Reinhart Rüsken und Dr. Roland M. Stein¹ In kürzerer Fassung erschienen im BetriebsBerater, BB 25.2015, S. 1505-1510. Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz? Neue Entscheidungen zum Begriff des „zweierlei Verwendungszweck“ (dual-use) und ihre Auswirkungen Einleitung1 Es gehört hierzulande zum politischen Ritual, dass Regierungsmitglieder regelmäßig betonen, wie wichtig der Erhalt einer starken industriellen Basis in Deutschland ist. Dieses grundsätzliche – und begrüßenswerte – Bekenntnis hat Auswirkungen auch auf das Verbrauchsteuerrecht, das eine ganze Reihe von Maßnahmen zum Ausgleich steuerlicher Nachteile für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vorsieht. Demgegenüber vertritt die Finanzverwaltung eine äußerst restriktive Auslegung. Im Einzelfall schwierig ist es, die Reichweite der einschlägigen Regelungen zu bestimmen. Hier fordern in Deutschland produzierende Unternehmen, dass sie tatsächlich in weitem Umfang von einer zu hohen Strom- und Energiesteuer befreit werden. Demgegenüber vertritt die Finanzverwaltung eine äußerst restriktive Auslegung. Insbesondere ist sie der Auffassung, dass das Gesetz die begünstigten Prozesse losgelöst vom technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang eigenständig und eng definiert. Das politische Bekenntnis zur Erhaltung industrieller Anlagen und Arbeitsplätze in Deutschland spielt bei den finanzgerichtlichen Verfahren insoweit dann kaum noch eine Rolle. Besondere Rechtsunsicherheit bestand bisher hinsichtlich der steuerlichen Begünstigung der Verwendung eines Energieerzeugnisses zu zweierlei Zwecken. Dazu liegt jetzt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vor.2 Sie hat den Bundesfinanzhof genötigt, seine eigene Rechtsprechung zu der betreffenden Entlastungsvorschrift des EnergieStG zu überdenken.3 Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Entwicklung für die Auslegung und Anwendung des § 9a StromStG hat, der eine für die Praxis besonders wichtige Begünstigung von Prozessen der Elektrolyse sowie der Metallerzeugung und -bearbeitung vorsieht. Nach Auffassung der Autoren muss die schon bisher teilweise zu enge Begünstigungspraxis der Finanzverwaltung allemal nach jenen Entscheidungen revidiert werden. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu dual-use § 51 EnergieStG sieht für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Steuerentlastungen für bestimmte Prozesse und Verfahren vor. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d EnergieStG wird auf Antrag eine Steuerentlastung für nachweislich versteuerte Energiezeugnisse gewährt, die von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff verwendet worden sind (dual-use). Der Bundesfinanzhof hatte in seiner bisherigen Rechtsprechung eine äußerst enge Auslegung dieser Vorschrift vertreten. 1 Reinhart Rüsken ist Rechtsanwalt in Berlin und war zuvor Richter am Bundesfinanzhof in dessen Zollsenat. Dr. Roland Stein ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Berlin. Der vorliegende Beitrag beruht auf einer gutachterlichen Stellungnahme für eine Mandantin der Autoren. Diese bedanken sich bei Assessorin Julia Weismann für die wertvolle Unterstützung bei der Vorbereitung des Manuskripts. 2 EuGH, Urteil v. 2.10.2014, C 426/12, ZfZ 2014, 308. 3 BFH, Urteil v. 13.01.2015, VII R 35/12, ZfZ 2015, S. 167 mit zust. Anm. Stein. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 1 In seinem Urteil vom 28. Oktober 20084 war es um den Anspruch eines textilverarbeitenden Unternehmens auf eine solche Steuerentlastung gegangen. Im Rahmen seiner Produktion verwendete das Unternehmen Erdgas zum Absengen von Textilfasern. Hierzu wurden Gewebebahnen an einer durch Verbrennen des Erdgases erzeugten offenen Flamme vorbeigeführt, wodurch überstehende Textilfasern abgesengt werden. Das Hauptzollamt hatte eine Entlastung mit der Begründung abgelehnt, dass das Erdgas ausschließlich verheizt und nicht zugleich zu anderen Zwecken als als Heizstoff verwendet werde. Der Bundesfinanzhof bestätigte diese Auffassung. Er stellte in seiner Entscheidung maßgeblich auf zwei Kriterien ab: § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d. EnergieStG sei dahingehend auszulegen, dass eine gleichzeitige Verwendung nur dann vorliegt, wenn (i) das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen Prozesses neben dem Verheizen zugleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt wird und (ii) die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund tritt.5 Diese Voraussetzungen lägen in dem zu entscheidenden Fall nicht vor. Mit dem Verbrennen des Erdgases sei dessen Verwendung abgeschlossen. Unabhängig von der nachfolgenden Nutzung zum Absengen der Textilfasern liege ein reines Verheizen des Erdgases vor. Das Erdgas werde nicht als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt. Mit Urteil vom 13. Januar 2015 hat der Bundesfinanzhof diese Rechtsprechung aufgegeben oder, wie er es nennt, „modifiziert“. Einsatz des Energieerzeugnisses als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff zur Bearbeitung oder Herstellung des fraglichen Produktes neben der Nutzung der beim Verbrennen entstehenden Wärme sei für die Anerkennung eines doppelten Verwendungszweckes hingegen nicht entscheidend. Mit Urteil vom 13. Januar 20156 hat der Bundesfinanzhof diese Rechtsprechung aufgegeben oder, wie er es nennt, „modifiziert“7. Anlass zu dieser Rechtsprechungskehre hat das auf Ersuchen des Gerechtshof’s-Hertogenbosch ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 2. Oktober 2014 in der Rechtssache C-426/128 gegeben. Darin hat der Europäische Gerichtshof nicht – wie die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – auf die stoffliche Verwendung des Energieerzeugnisses zu etwas anderem als zum Verbrennen abgestellt. Vielmehr hat er erkannt, dass ein Energieerzeugnis (neben dem Verheizen) einen weiteren Verwendungszweck haben kann, wenn der betreffende Produktionsprozess nicht ohne Einsatz eines Stoffes durchgeführt werden kann, der nur durch die Verbrennung des betreffenden Energieerzeugnisses erzeugt werden kann.9 Dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat sich der Bundesfinanzhof mit seinem Urteil vom 13. Januar 201510 angeschlossen. Für die Verwendung eines Energieerzeugnisses zu „zweierlei Verwendungszwecken“ sieht der Bundesfinanzhof nunmehr als entscheidend an, dass das Energieerzeugnis nicht nur als Heizstoff verwendet wird, also mittels Wärmeentwicklung den Produktionsprozess fördert, sondern darüber hinaus entweder das Energieerzeugnis selbst oder beim Verheizen entstehende Stoffe (etwa die Verbrennungsgase) für den Herstellungsprozess erforderlich sind. Der Einsatz des Energieerzeugnisses als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff zur Bearbeitung oder Herstellung des fraglichen Produktes neben der Nutzung der beim Verbrennen entstehenden Wärme sei für die Anerkennung eines doppelten Verwendungszweckes hingegen nicht entscheidend. Die Entscheidung betrifft die Herstellung von Phosphaten. In dem Herstellungsprozess der Phosphate werden die Flamme eines Erdgasbrenners und dessen heiße Verbrennungsgase eingesetzt. Die Wärme bewirkt eine chemische Reaktion, bei der die Phosphate entstehen. 4 BFH, Urt. v. 8.10.2008, VII R 6/08, BFHE 223, 280. 5 Was diese zweite Voraussetzung angeht, handelt es sich um freie Rechtschöpfung, gegen die sich einhellige Kritik im Schrifttum erhob, vgl. Stein, in: Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 2. Auflage 2012, S. 159; Friedrich, in: Friedrich/Meißner, Energiesteuern, 34. Ergänzungslieferung, Stand: 2014, § 51 EnergieStG, Rn 25; Möhlenkamp, : in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG 2012, § 51 EnergieStG, Rn 17; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn H 168; Bongartz ZfZ 2009, 57, 62; Falkenberg ZfZ 2012, 117, 119. 6 BFH, Urteil v. 13.01.2015, VII R 35/12, ZfZ 2015, S. 167. 7 Dabei misst der Senat offenbar dem Umstand Bedeutung bei, dass der Rechtssatz, Energieerzeugnisse würden nur dann gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als als Heizstoff verwendet, wenn das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen Prozesses oder Verfahrens sowohl als Heizstoff als auch als Rohstoff, Grundstoff oder Hilfsstoff eingesetzt wird, in den bisherigen Entscheidungen des Senats nicht entscheidungserheblich gewesen und auch nicht in den Leitsätzen wiedergegeben worden sei. 8 EuGH, Urteil v. 2.10.2014, C 426/12, ZfZ 2014, 308. 9 Im Vorabentscheidungsfall wurde Zucker durch Einsatz von Kohle hergestellt, welche zur Durchführung des Produktionsprozesses verheizt wird. Das war erforderlich für die Gewinnung von Kalkofengas bzw. das darin enthaltene Kohlendioxid, dessen es für die erforderliche Reinigung des aus der Zuckerrübe mittels Hitze gewonnenen Rohsafts bedarf. Vgl. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin vom 22. Mai 2014. 10 BFH, Urteil v. 13.01.2015, VII R 35/12, ZfZ 2015, 167. 2 Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015 Durch die Verbrennungsgase werden überschüssige Reste entfernt. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass zwei Verwendungszwecke vorlägen. Er begründet dies sinngemäß damit, dass die beim Verheizen des eingesetzten Erdgases entstehenden Verbrennungsgase zum Abschluss des Herstellungsprozesses erforderlich seien; das Gas werde nicht nur zwecks Wärmegewinnung verheizt, sondern das Verheizen des Gases diene zugleich der Herstellung von Kohlendioxid, dass für die Herstellung der Phosphate benötigt werde. Die Verfolgung eines doppelten Verwendungszwecks wird also vom Bundesfinanzhof jetzt anders als von seiner früheren Rechtsprechung nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Energieerzeugnis vollständig verbrannt wird und folglich keine weitere stoffliche Reaktion chemischer oder physikalischer Art durch dasselbe bewirkt wird. Gegenstand der Betrachtung ist nicht mehr das stoffliche Schicksal des Energieerzeugnisses, sondern der Herstellungsprozess als ganzer: Welche Funktion hat der Einsatz des Energieerzeugnisses in diesem Herstellungsprozess? Dient er nur der Erzeugung von Wärme? Oder dient der Einsatz auch dem Zweck, die durch die Verbrennung ausgelösten physikalisch-chemischen Prozesse in Gang zu setzen, oder reicht allein Wärme nicht aus, um zu dem angestrebten Produktionsergebnis zu gelangen? In diesem Sinne stellt der Bundesfinanzhof für eine Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d EnergieStG nur noch darauf ab, ob der Einsatz des Energieerzeugnisses für den Erfolg des Herstellungsprozesses als solchen erforderlich ist. Wie § 51 EnergieStG sieht auch die Parallelvorschrift im Stromsteuerrecht (§ 9a StromStG) Begünstigungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vor. Verwaltungsauffassung und Instanzrechtsprechung zu § 9a StromStG Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und ihm folgend des Bundesfinanzhofs geben Anlass zu der Frage nach den Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf andere Streitfragen im Bereich des Energie- und Stromsteuerrechts. Wie § 51 EnergieStG sieht auch die Parallelvorschrift im Stromsteuerrecht (§ 9a StromStG) Begünstigungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vor, wenn Strom in dort näher bezeichneten Prozessen oder Verfahren für die Herstellung bestimmter Waren verwendet wird. § 9a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StromStG entspricht im Wesentlichen § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a bis c EnergieStG. § 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG sieht eine Steuerentlastung für Strom vor, der für die Elektrolyse entnommen wird; Nr. 3 begünstigt Strom, der für die Metallerzeugung oder -bearbeitung verwendet wird. Die bisherige Auffassung der Finanzgerichte Zollverwaltung und die Finanzgerichte haben bislang ein enges Verständnis der Begünstigungstatbestände. Im Bereich der Stromsteuerentlastungen für bestimmte Prozesse und Verfahren haben die Zollverwaltung und die Finanzgerichte bislang ein enges Verständnis der Begünstigungstatbestände zugrunde gelegt. Insbesondere das Finanzgericht Hamburg hat sich in zwei voneinander getrennt verhandelten Fällen mit Stromsteuerentlastungen nach § 9a StromStG befasst.11 Das betroffene Unternehmen stellt Kupfer und verschiedene Edelmetalle her. Es setzt sowohl für die Metallerzeugung und -bearbeitung als auch für die Elektrolyse Strom ein. Bei dem Verfahren zur Herstellung des Kupfers werden die Ausgangsstoffe, zum Beispiel Erzkonzentrate, in Schmelzöfen geschmolzen. Daneben kommen weitere Öfen für Folgeprozesse zum Einsatz. Der Gesamtprozess der Herstellung erfordert aber auch andere strombetriebene Anlagen, wie etwa Filteranlagen oder die Kühlwasserbereitstellung. Metallerzeugung und -bearbeitung (§ 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG) Das Gericht befasste sich zunächst mit der Frage, welche von dem Unternehmen entnommenen Strommengen in den Anwendungsbereich des § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG fallen.12 Nach dieser Vorschrift ist Strom entlastungsfähig, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes „für die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie im Rahmen der Herstellung von Metallerzeugnissen … jeweils zum Schmelzen, Erwärmen, Warmhalten, Entspannen oder sonstigen Wärmebehandlung“ entnommen hat. Aus der abschließenden Wendung „oder sonstigen Wärmebehandlung“ ergibt sich nach Auffassung der Finanzverwaltung und des Finanzgerichts eine Einschränkung der Steuerentlastung auf den sogenannten Wärmestrom.13 11 FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12; FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 134/12; hierzu Anm. Stein/ Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2013, BB 31, 2014, 1815 ff. 12 FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12. 13 FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll indes nur die Strommenge entlastungsfähig sein, die unmittelbar in die Elektrolyse einfließt. Die Vorschrift stelle nach eindeutigem Wortlaut keine Grundlage für die Entlastung des gesamten für die Metallerzeugung entnommenen Stroms dar, sondern schränke die Entlastung auf die explizit genannten Wärmebehandlungen ein. Nicht entlastungsfähig sei daher der sogenannte Kraftstrom, der im Rahmen des Herstellungsprozesses zum Antrieb von Maschinen oder Motoren verwendet wird, wie zum Beispiel zum Antrieb von Transportbändern oder Drehrohröfen. Der Gesetzgeber habe enumerativ die einzelnen Produktionsschritte, für die die Begünstigung gilt, aufgezählt. Erfasst seien nur Vorgänge der Wärmeerzeugung. § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG sei eine Ausnahmevorschrift und daher restriktiv auszulegen. Aus Art. 2 Abs. 4 lit. b 3. Spiegelstrich der Energiesteuerrichtlinie folge lediglich die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, bei der Elektrolyse und bei Prozessen in der Metallindustrie weitere Steuerbefreiungen anzuwenden, jedoch keine Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers, sämtlichen in diesem Zusammenhang entnommenen Strom von der Besteuerung zu entlasten.14 Elektrolyse (§ 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG) § 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG gewährt ferner eine Steuerentlastung für Strom, der „für die Elektrolyse“ entnommen wird. Elektrolyse ist ein Prozess, bei dem elektrischer Strom eine chemische Reaktion erzwingt. Eine Elektrolyse erfordert eine Gleichspannungsquelle, welche die elektrische Energie liefert. Durch zwei Elektroden (Anode und Kathode) wird ein elektrischer Gleichstrom in eine leitende Flüssigkeit (Elektrolyt) geleitet.15 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll indes nur die Strommenge entlastungsfähig sein, die unmittelbar in die Elektrolyse einfließt, d.h. der Strom, der an den Elektroden anliegt. Das Hauptzollamt lehnte folglich eine Steuerentlastung für die Stromentnahme der Klägerin zum Antrieb einer Pumpe ab, die zur Bewegung des Elektrolyts im Rahmen der Elektrolyse erforderlich war. Entlastungsfähig sei nur der für den „Kernvorgang“ der Elektrolyse entnommene Strom. Das Finanzgericht Hamburg schloss sich der Auffassung des Hauptzollamtes an.16 Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass zur Durchführung der Elektrolyse auch weitere Maschinen erforderlich sind, die mit Strom betrieben werden. Es entspreche aber dem allgemeinen Grundsatz einer restriktiven Auslegung von Ausnahmetatbeständen – wie § 9a StromStG – die Steuerbegünstigung nicht auf „Randbereiche“ der Elektrolyse zu erstrecken. Daher sei Strom, welcher nicht unmittelbar in die Elektrolyse einfließt und nur in Nebenaggregaten verwendet wird, nicht entlastungsfähig. Enge Auslegung schon ungeachtet der neuen BFH-Rechtsprechung verfehlt Die beiden Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig.17 Ihre Argumentation und der Ansatz der Verwaltung, dem das Finanzgericht gefolgt ist, bedürfen schon ungeachtet eingangs genannter neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung einer kritischen Analyse. Es gibt keinen Rechtssatz, dass sogenannte Ausnahmevorschriften stets eng ausgelegt werden müssen. Keine „enge“ Auslegung geboten Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Es gibt keinen Rechtssatz, dass sogenannte Ausnahmevorschriften stets eng oder sogar so eng wie möglich ausgelegt werden müssen.18 Ausnahmevorschriften definieren eine Teilmenge von Regelungsgegenständen der Grundvorschrift, bei welcher die Rechtsfolgeanordnung der Grundvorschrift nicht gelten soll. Ob diese Teilmenge groß oder klein ist, hat mit dem Begriff der Ausnahmevorschrift nichts zu tun; bisweilen lässt das Gesetz nur enge Ausnahmen von seiner Grundregelung zu, bisweilen ist die Ausnahme in der praktischen Anwendung aber auch die Regel. Ob ein solcher Regelfall mit einer Ausnahmevorschrift erfasst wird oder selbstständig ohne Bezugnahme auf eine Grundvorschrift erfasst wird, ist eine bloße Frage zweckmäßiger Gesetzgebungstechnik im Einzelfall. 14 FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12. 15 Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 3. Auflage 2013, S. 417. 16 FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 134/12; ebenso FG Thüringen, 29.03.2012, 2 K 667/10, ZfZ Beilage 2012, Nr. 4, 62. 17 Die Klägerinnen haben in beiden Fällen Revision eingelegt. Diese sind unter Aktenzeichen des BFH, VII R 53/13 und VII R 52/13 beim BFH anhängig. 18 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 355; König, Abgabenordnung, 3. Auflage 2014, § 4 Rn. 92. 4 Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015 Darüber hinaus lässt sich sogar darüber streiten, ob § 9a StromStG eine „Ausnahmevorschrift“ darstellt. Es ist nämlich nicht so, dass für den unter die Norm fallenden Strom eine Ausnahme von der Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 StromStG gilt. Vielmehr wird für den Strom die Steuer abgeführt. Lediglich in einem nachgelagerten behördlichen Verfahren kann für einen Teil der entrichteten Steuern eine Rückerstattung beantragt werden. Auch auf europäischer Ebene ist die Grundlage für § 9a StromStG nicht als „Ausnahmevorschrift“ ausgestaltet. Vielmehr besagt Art. 2 Abs. 4 Energiesteuerrichtlinie lediglich, dass die Richtlinie für bestimmte Verwendungen keine Anwendung findet. Das Argument der „Ausnahmevorschrift“ beweist also eher das Bemühen, feinsinnige Differenzierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, als dass es dogmatisch zu rechtfertigen wäre. „Für die Elektrolyse“ verlangt einen sachlichen Bezug der Verwendung von Strom zur Elektrolyse. Wortlaut und Gesetzeszweck Auch der Hinweis auf den Wortlaut der Vorschriften beeindruckt nicht. Der Wortlaut ist nicht „eindeutig“, schon gar nicht im Sinne der Verwaltungsauffassung. Die Formulierung in § 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG – „Strom für die Elektrolyse“ – schränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht in Bezug auf bestimmte Stromverwendungen ein. „Für die Elektrolyse“ verlangt einen sachlichen Bezug der Verwendung von Strom zur Elektrolyse: sie muss mit Hilfe des Stroms bewirkt, unterstützt oder ermöglicht werden. Mehr besagt das „Für“ nicht. Die Energiesteuerrichtlinie, die den Mitgliedstaaten gestattet, sogar den nur „hauptsächlich“ bei der Elektrolyse verwendeten Strom freizustellen, lässt eine solche Auslegung zu. Das von der Energiesteuerrichtlinie in diesem Zusammenhang benutzte Wort „bei“ (der Elektrolyse) fordert keinen „engeren“ oder „unmittelbareren“ Zusammenhang der Stromverwendung zum elektrolytischen Prozess als das Wort „für“. Umgekehrt manifestiert sich in dem Wort „für“ auch nicht etwa die Anforderung eines „engeren“ Bezugs der Stromverwendung zu dem „eigentlichen“ elektrolytischen Prozess i. S. eines „Kernprozesses“. Es ist auch sonst nicht erkennbar, dass der deutsche Gesetzgeber diesen weiten Rahmen, in dem ihm die Richtlinie der Union einen Regelungsspielraum eröffnet,19 durch die deutschen Steuerentlastungsvorschriften nicht ausschöpfen wollte. Das Gegenteil ist anzunehmen. Denn der deutsche Gesetzgeber musste damit rechnen, dass andere Industrienationen ihre Position im Wettbewerb dadurch schützen werden, dass sie den ihnen unionsrechtlich eingeräumten Regelungsspielraum zum Schutze ihrer Wirtschaft vollumfänglich ausschöpfen werden. Eine restriktive Auslegung der Begünstigungsvorschriften, welche die deutsche Wirtschaft in Gefahr brächte, gegenüber den Industrien dieser Länder empfindliche Nachteile zu erleiden, widerspräche deshalb dem Ziel des deutschen Gesetzgebers, die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Wirtschaftszweige zu sichern und zu fördern. Der Gesetzgeber20 spricht im Übrigen in der Gesetzesüberschrift von der Vergütung von Steuer „für bestimmte Prozesse und Verfahren“, nicht von bestimmten Verwendungszwecken innerhalb solcher Prozesse und Verfahren. Gegenstand der Steuerbegünstigung ist mithin die Elektrolyse, nicht der Elektrodenstrom, der kein „Prozess“ oder „Verfahren“ ist. Eindeutig ist auch § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG nicht. Am Anfang der Vorschrift steht die Begünstigung der Metallerzeugung und -bearbeitung, was eine erste Tatbestandsvariante darstellt. Diese lässt keine Einschränkung auf irgendwelche bestimmten Produktionsschritte oder Verwendungszwecke bei der Erzeugung von Metallen und der Bearbeitung von Metall erkennen. Die mit „sowie“ eingeleitete langatmige Aufzählung einzelner Metall-„Erzeugnisse“ und die Anführung der Oberflächenveredelung ergänzen den Begünstigungstatbestand um eine zweite Tatbestandsalternative. Hier kann man sich schon fragen, ob dies bloß klarstellend gemeint ist oder „Herstellung von Metallerzeugnissen“ etwas anderes ist als „Metallbearbeitung“. Und die gleiche Frage wird man sich – auf der Ebene der Wortlautinterpretation – erst recht im Hinblick auf den letzten Halbsatz der Nummer stellen („und Wärmebehandlung jeweils …“). Dieser benennt Verfahren, die bei der Metallerzeugung und -bearbeitung überhaupt nicht angewandt werden, weshalb es fernliegt, „Wärmebehandlung“ auf „Metallerzeugung“ zu beziehen. Der betreffende Halbsatz lässt sich überdies auch sprachlich schwerlich dahin verstehen, es solle die zuvor gewährte Steuervergünstigung wieder zurückgenommen beziehungsweise eingeschränkt werden. Eher ist die dortige 19 EuGH, Urteil v. 2.10.2012, C-426/12, ZfZ 2014, 308. 20 Vgl. BT-Drs. 16/2709 Seite 19. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 5 Auflistung aus dem Bemühen des Gesetzgebers zu deuten, die begünstigten Vorgänge plastisch zu umschreiben. Offensichtlich hat sich der Gesetzgeber demgegenüber über die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten kein abschließendes Bild gemacht und wohl auch nicht machen wollen. Die enge Auslegung des § 9a Abs. 1 StromStG „passt“ auch nicht zu Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, in denen es ebenfalls um die Bestimmung der Reichweite prozessbezogener Begünstigungen ging. Abweichung von der BFH-Rechtsprechung Die enge Auslegung des § 9a Abs. 1 StromStG „passt“ auch nicht zu Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, in denen es ebenfalls um die Bestimmung der Reichweite prozessbezogener Begünstigungen ging. Das betrifft zunächst die Rechtsprechung zu Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen (KWK). Für eine weitergehende Entlastung hat der Bundesfinanzhof bei der Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG a.F. argumentiert. In einem dazu ergangenen Urteil ging es um die Frage, ob Energieerzeugnisse, die zur Rauchgasreinigung einer KWK-Anlage eingesetzt werden, steuerlich begünstigt sind.21 Das Bundesfinanzministerium vertrat die Rechtsauffassung, dass nur solche Energieerzeugnisse entlastungsfähig sind, die im Rahmen des Betriebes einer KWK-Anlage unmittelbar einer gekoppelten Kraft- und Wärmeerzeugung dienen. Nicht begünstigt werde hingegen der Energieeinsatz in Rauchgasreinigungsanlagen, weil dort das Energieerzeugnis nicht unmittelbar für den KWK-Prozess verwendet werde.22 Der Bundesfinanzhof hat diese Auffassung verworfen. Er stellte nicht auf den Verbrauch von Energieerzeugnissen unmittelbar zur gekoppelten Erzeugung von Kraft und Wärme in dem KWK-Kessel, sondern vielmehr auf die Verwendung des Energieerzeugnisses zur Erreichung des begünstigten Zwecks, nämlich des Betriebs einer KWK-Anlage ab23, mit allem was dazu aus technischen oder zum Beispiel umweltschutz-rechtlichen Gründen notwendig ist.24 Maßgeblich ist, dass das Energieerzeugnis innerhalb eines einheitlichen KWK-Prozesses verwendet wird und zur Zweckerreichung erforderlich ist.25 Der Bundesfinanzhof versteht also hier den Verwendungsbegriff als umfassend auf die Anlage bezogen, sofern es sich bei ihr um eine funktionale Einheit handelt, mag sie auch aus einzelnen, jedoch integralen Bestandteilen (z. B. Kessel und Rauchgasreinigungsvorrichtung) bestehen. In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof kürzlich folgerichtig auch die Entlastungsfähigkeit des Erdgases für eine Abhitzekessel-Zusatzfeuerung grundsätzlich bejaht, sofern deren Betrieb unverzichtbarer, „integraler“ Bestandteil des KWK-Prozesses ist.26 Es reiche allerdings nicht aus, dass der Anlageteil, in dem Energieerzeugnisse verbrannt werden, bloß mit der Anlage, in der der begünstigte Prozess abläuft, konstruktiv zusammenhängt. Eine integrale Verbindung sei daher ausgeschlossen, wenn der KWK-Prozess jederzeit auch ohne den betreffenden Anlagenteil betrieben werden könnte, dieser Anlageteil also zum Beispiel schlicht abgeschaltet oder demontiert werden könnte, ohne dass dadurch der KWK-Prozess beeinträchtigt würde. Von einem ähnlichen, umfassenden Grundverständnis der Begünstigungsvorschriften ist schließlich auch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. Dezember 201127 ausgegangen, das eine Vorschrift28 betrifft, welche ähnlich wie § 51 EnergieStG und § 9a StromStG strukturiert und ähnlich gefasst ist. Danach reicht es aus, dass die Verwendung des Stroms mit der Stromerzeugung „in einem engen Zusammenhang steht und aufgrund der besonderen 21 BFH Urteil v. 11.11.2008, VII R 33/07, BFH/NV 2009, 610. 22 Dienstvorschrift des BMF vom 12. Juni 2007, III A 1 – V 8245/07/0010. 23 BFH, Urteil v. 11.11.2008, VII R 33/07; BFH, Urteil v. 1.04.2008, VII R 26/06; BFH, Urteil v. 16.04.2013, VII R 59/11, hierzu Anm. Stein/Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2013, BB 31, 2014, 1815 ff. 24 In dem Grundsatzurteil stellte der BFH auf eine rechtliche Erforderlichkeit aus Emissionsschutzgründen ab. 25 Rüsken, Mineralölsteuerbegünstigung für KWK-Anlagen umfasst auch die Raugasentschwefelung, BFH/PR 2009, 202; Stein, in: Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 2. Auflage 2012, S. 192 f. 26 BFH, Urteil v. 8.10.2013, VII R 19/12; mit Anm. Stein/Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2013, BB 31, 2014, 1815 ff. 27 VII R 73/10, BFHE 237, 478 = ZfZ 2012, 106. 28 § 9 StromStG. 6 Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015 Gegebenheiten der jeweiligen Stromerzeugungsanlage erforderlich ist“, um den Betrieb der Anlage aufrechtzuerhalten. Lediglich die Verwendung von Strom etwa für die Beleuchtung oder für Büros und andere Verwaltungseinrichtungen eines Stromkraftwerks hat der Bundesfinanzhof von der Entlastung ausgeschlossen, weil solche Einrichtungen jedes Unternehmen benötigt und daher ein spezifischer Zusammenhang zu der begünstigten Verwendung („Strom zur Stromerzeugung“) fehlt.29 Dieser Beurteilung sowohl der Rauchgasreinigungsanlage als auch der Abhitzekessel-Zusatzfeuerung und eines Stromkraftwerks steht auch nicht die Forderung einer verwendungsorientierten Bewertung der Entlastungstatbestände im Energie- und Stromsteuerrecht entgegen. Eine solche wurde in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – mit Recht – immer wieder herausgestellt. EnergieStG und StromStG begünstigen mit den hier erörterten Vorschriften – anders als bei den generell das „Produzierende Gewerbe“ betreffenden Vorschriften – nicht Unternehmen, Betriebe oder als zusammenhängende technische Komplexe verstandene Anlagen; sie begünstigen vielmehr die Energieverwendung für bestimmte Zwecke beziehungsweise einen doppelten Zweck. Auf die Art der Verwendung des Energieerzeugnisses als solchem kommt es aber nicht allein an. Vielmehr ist (zumindest alternativ) auf den Zweck seiner Verwendung abzustellen. Die Verwendung von Strom für das In-Bewegung-Halten des Elektrolyts oder für in einer Stahl-Produktionsstraße notwendige Walzen sind aus der Sicht einer verwendungsbezogenen Betrachtung Verwendungen zum Zwecke der Elektrolyse beziehungsweise der Metallerzeugung. Der Drang der Finanzverwaltung zur Begrenzung der Steuerbegünstigung auf einen Teil der technisch an sich einheitlichen Produktionsprozesse ist also nicht Konsequenz einer verwendungsbezogenen Betrachtung, wie sie die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verlangt.30 Die Auswirkungen der neuen BFH-Rechtsprechung All das spricht schon gewichtig gegen die Auffassung der oben dargestellten Instanzentscheidungen. Allemal aber bedarf diese Rechtsprechung aus der Sicht der neuen Entscheidungen zum „zweierlei Verwendungszweck“ kritischer Prüfung. Es fehlt indes an einer Rechtfertigung für die Annahme der Finanzverwaltung, dass das Gesetz die begünstigten Prozesse losgelöst vom technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang eigenständig definiere. Keine Filetierung Wenn die Finanzverwaltung und – dieser folgend – das Finanzgericht Hamburg nur Strom entlasten wollen wird, der in bestimmten Teilbereichen der im Gesetz angesprochenen Produktionsprozesse („Kernbereich“) eingesetzt wird, brechen sie einzelne Verwendungen aus einem technisch einheitlichen Prozess heraus. Es fehlt indes an einer Rechtfertigung für die Annahme der Finanzverwaltung, dass das Gesetz die begünstigten Prozesse losgelöst vom technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang eigenständig definiere. Statt darauf abzustellen, ob Strom verwendet werden muss, um bestimmte, im Rahmen solcher Prozesse physikalisch-technisch notwendige Effekte zu erzielen, dürfen nicht einzelne Verwendungszwecke aus dem Produktionsprozess herausgegriffen werden (z. B. den Stromeinsatz für die Erzeugung des Elektrodenstroms). Die Auffassung der Finanzverwaltung und des Finanzgerichts filetiert gleichsam die betroffenen industriellen Vorgänge bei der Auslegung und Anwendung des § 9a Abs. 1 StromStG. Das ist unzulässig. Es ist weder durch den Wortlaut, die Systematik oder den Sinn der Vorschriften zu rechtfertigen. Die Generalanwältin hat in dem Verfahren C-426/12 mit Recht darauf hingewiesen – und es dürfte davon auszugehen sein, dass sich die Kammer diese Überlegung zu eigen gemacht hat, dass sich weder dem Wortlaut noch der Systematik von Art. 2 Abs. 4 Buchst. b EnergieStRL entnehmen lasse, dass das Energieerzeugnis, dessen Verwendung begünstigt werden soll, stets in einer bestimmten Art und Weise verwendet werden muss oder dass bestimmte 29 BFH, Urteil v. 13.12.2011, VII R 73/10, BFHE 237, 478. 30 Die angeblich gebotene restriktive Auslegung des § 9 a StromStG steht auch im Gegensatz etwa zu der Auslegung der besonderen Ausgleichsregelung für Schienenbahnen in § 65 EEG. Diese Vorschrift begünstigt nur den „unmittelbar für den Fahrbetrieb“ eingesetzten Strom, also den sogenannten Fahrstrom. Davon erfasst wird jedoch unstreitig nicht nur der Verbrauch zum reinen Antrieb der Fahrzeuge, sondern auch der Verbrauch zum Betrieb sonstiger mit dem Fahrbetrieb in Zusammenhang stehender elektrischer Anlagen, der Verbrauch für die Zugbildung und Zugvorbereitung sowie der Verbrauch für die Bereitstellung und Sicherheit der Fahrtrasse und Fahrwege. Nicht erfasst werden lediglich die Stromentnahme für den Verwaltungs- und Bürobereich der Verkehrsunternehmen oder etwa für die Beleuchtung der Bahnhöfe (Vgl. hierzu BAFA, Merkblatt für Schienenbahnen 2015 zu den gesetzlichen Regelungen nach §§ 63 ff. Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 7 Verwendungsarten durch die Formulierung „für andere Zwecke als als Heiz[stoff]“ ausgeschlossen sein könnten. Für die hier zu erörternden Begünstigungstatbestände Elektrolyse und Metallerzeugung und -bearbeitung gilt Entsprechendes. So wie der Wortlaut vorgenannter Richtlinienvorschrift „weit genug“ ist, um bei Verwendung eines Verbrennungsproduktes des Energieerzeugnisses im Rahmen eines einheitlichen bestimmten Produktionsprozesses die Verwendung des Energieerzeugnisses als begünstigungsfähig anzusehen,31 so ist § 9a StromStG weit genug für die Anwendung einer umfassenden (nicht auf einen sog. Kernbereich oder das sog. „Eigentliche“ des begünstigten Prozesses beschränkten) Begünstigung der Stromverwendung! Dem Sinn und Zweck des Gesetzes trüge das allemal Rechnung: es konkurrieren auf dem Weltmarkt nicht Elektroden- und Wärmeströme, sondern Produkte der Elektrolyse und Metalle. Metallerzeugung und -bearbeitung ... ist dementsprechend bei der Verwendung von Strom im Rahmen der Metallerzeugung und -bearbeitung nicht nur der sogenannte „Wärmestrom“, sondern auch sogenannte „Kraftstrom“ als für den Gesamtprozess der Metallerzeugung und -bearbeitung zwingend erforderlich ... Die Stromsteuerentlastung nach § 9 a Abs. 1 Nr. 3 StromStG setzt mithin nur voraus, dass der eingesetzte Strom innerhalb eines einheitlichen Prozesses verwendet wird und zur Erreichung des begünstigten Zwecks erforderlich ist. Selbst wenn man die Norm nicht dahingehend auslegt, dass ohnehin nur die zweite Tatbestandsalternative von der Einschränkung „zur sonstigen Wärmebehandlung“ erfasst wird,32 ist dementsprechend bei der Verwendung von Strom im Rahmen der Metallerzeugung und -bearbeitung nicht nur der sogenannte „Wärmestrom“, sondern auch sogenannte „Kraftstrom“ als für den Gesamtprozess der Metallerzeugung und -bearbeitung zwingend erforderlich von der Stromsteuer zu entlasten. Neben dem Erhitzungsprozess sind auch Rand- und Unterstützungsprozesse der Metallerzeugung zwingend zum Abschluss der Metallerzeugung notwendig. Zu dem begünstigten Prozess des Schmelzens im Rahmen der Metallerzeugung und -bearbeitung gehört etwa notwendigerweise auch der Betrieb von Gebläse, Lüfter etc., ohne die der Prozess der Metallerzeugung nicht durchgeführt werden kann. Daher muss der Strom nicht selbst dem Erwärmen oder Schmelzen dienen. Darüber hinaus stellt der bei der Metallerzeugung eingesetzte sogenannte Kraftstrom häufig selbst auch eine „Wärmebehandlung“ dar. Die Rechtsprechung hat sich bisher bezüglich einer Definition der „Wärmebehandlung“ i. S. v. § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG zurückgehalten. Es ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des Prozesses für die Metallerzeugung und -bearbeitung nicht nur Erhitzungsprozesse erforderlich sind, sodass jedenfalls nicht ausschließlich Vorgänge mit Wärmeerzeugung erfasst werden. Vielmehr sind in der Praxis, insbesondere im Bereich der Metallverarbeitung, in mehreren Prozessschritten etwa auch das Abkühlen und die Verformung des Materials in bestimmten Temperaturen erforderlich. Hierdurch können bestimmte Werkstoffeigenschaften planmäßig erzielt werden. Eine Wärmebehandlung ist demnach ein Verfahren, in dem ein Werkstück Temperaturveränderungen unterzogen wird, um bestimmte Werkstoffeigenschaften zu erzielen. Diese Definition wird gestützt durch die Heranziehung der DIN Norm EN 1005233, welche Begriffe der Wärmebehandlung von Eisenwerkstoffen festlegt. Unter dem Begriff der Wärmebehandlung nennt die technische Vorschrift ausdrücklich auch das gezielte Abkühlen eines Werkstoffs oder das Behandeln des Werkstoffes bei bestimmten Temperaturen. Diese Prozessschritte stellen unverzichtbare Bestandteile für den Gesamtprozess der Metallerzeugung und -bearbeitung dar und werden vom Begünstigungstatbestand erfasst. Nur eine solche umfassende Begünstigung des bei der Metallerzeugung und -bearbeitung verwendeten Stroms entspricht der Intention des Gesetzgebers Die durch Kraftstrom gesteuerte Geschwindigkeit der Fortbewegung der Metallteile hat überdies einen beabsichtigten und unmittelbaren Einfluss auf die „Wärmebehandlung“. Durch den Einsatz des Stroms zur Erreichung einer bestimmten Geschwindigkeit der Metallteile in Verbindung mit der gezielten Einstellung einer Temperatur werden bestimmte Werkstoffeigenschaften erreicht. Beide Faktoren sind zwingend notwendiger Bestandteil zum Abschluss des Herstellungsprozesses des Metalls. Nur eine solche umfassende Begünstigung des bei der Metallerzeugung und -bearbeitung verwendeten Stroms entspricht der Intention des Gesetzgebers, durch die steuerliche Begünstigung die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Produzierenden Gewerbes zu verbessern 31 Schlussanträge in dem Verfahren C-426/12. 32 Siehe oben unter IV. 2. 33 DIN EN 10052, Begriffe der Wärmebehandlung von Eisenwerkstoffen, Januar 1994, DK 669.1: 621.785: 001.4. 8 Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015 und bestimmte energieintensive Prozesse zu begünstigen.34 Es ist nicht nachvollziehbar, warum es die Zielsetzung, die durch eine hohe Stromsteuer herbeigeführte Wettbewerbsbelastung der deutschen Metallindustrie zu neutralisieren, rechtfertigen oder auch nur zulassen soll, nur bestimmte Teile des Verbrauchs von Strom (Wärmestrom, nicht auch Kraftstrom) zu begünstigen. Die Einschränkung auf die Wärmebehandlung, wie sie die Finanzverwaltung der Schlusswendung des § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG („… oder sonstigen Wärmebehandlung“) entnehmen will, ist deshalb, wenn sie überhaupt als Begrenzung der zunächst uneingeschränkten Begünstigung der Metallverarbeitung zu verstehen ist, dahin auszulegen, dass von der Steuerentlastung die im Gesetz benannten Prozesse und Verfahren umfassend begünstigt werden sollen, sofern sich der Gesamtprozess als durch eine Wärmebehandlung im eben erläuterten, umfassenden Sinn geprägt darstellt. Elektrolyse Bei der Durchführung der Elektrolyse eingesetzter Strom ist ebenfalls sowohl dann begünstigt, wenn er unmittelbar für den sogenannten Kernbereich der Elektrolyse, die Erzeugung des Elektrodenstroms, als auch wenn er für mittelbar und untrennbar zum Gesamtprozess gehörende Hilfs- und Nebenanlagen verwendet wird. Für die Elektrolyse wird im Regelfall auch an anderen Stellen als an den Elektroden Strom verwendet. Dieser für die Elektrolyse zwingend erforderliche, in Nebenaggregaten o. dgl. eingesetzte Strom muss ebenfalls entlastet werden.35 Hierzu gehört insbesondere auch der Einsatz von Pumpen zur Bewegung des Elektrolyts. Hierzu gehört aber auch, je nach Ausgestaltung des Verfahrens, der Betrieb weiterer Motoren, Maschinen etc., die mit Strom betrieben werden, um den laufenden Prozess der Elektrolyse aufrechtzuerhalten. Die Elektrolyse ist insofern als Gesamtprozess zu behandeln und der für diesen verwendete Strom begünstigt. Die Elektrolyse ist insofern als Gesamtprozess zu behandeln und der für diesen verwendete Strom begünstigt. Ähnlich wie bei dem KWK-Prozess handelt es sich nämlich bei der Elektrolyse um ein komplexes, aber einheitliches Verfahren, bei welchem durch Einsatz von Energie (Strom) ein Produkt erzeugt wird. Eine Unterscheidung des begünstigten Stromeinsatzes für den „eigentlichen“ Elektrolyseprozess – verstanden als Erzeugung eines Gleichstroms zwischen den Elektroden – und „nicht elektrolytischen Begleitmaßnahmen“ ist eine künstliche Aufsplitterung des Stromeinsatzes innerhalb eines einheitlichen Gesamtprozesses. Entscheidend ist, dass es sich bei alledem um integrale Bestandteile des Produktionsprozesses handelt, auf die nicht verzichtet werden kann, ohne dass die Elektrolyse nicht durchgeführt werden könnte, die mit anderen Worten für den Erfolg des Gesamtprozess erforderlich sind. Fazit Die bisherige restriktive Auslegung und Anwendung des § 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG durch die Finanzverwaltung und die finanzgerichtliche Instanzrechtsprechung bedarf nicht nur aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 9 StromStG und § 53 EnergieStG, sondern erst recht nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum dual-use-Begriff und des Bundesfinanzhofs zu § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d EnergieStG der Überprüfung und Revision. Maßgeblich für die Begünstigung der Verwendung von Strom nach § 9a StromStG muss sein, dass der Stromeinsatz zur Durchführung eines bestimmten einheitlichen Produktionsverfahrens erforderlich ist. Nur diese Auslegung genügt dem – auch politisch gewollten – Zweck der Vorschrift, die Abwanderung von Industriebetrieben aus Deutschland zu verhindern. 34 Vgl. Einleitung der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung v. 16. März 2006, BR-Drs. 206/06. 35 So auch Friedrich, in: Friedrich/Meißner, Energiesteuern, 34. Ergänzungslieferung, Stand: 2014, § 9a, Rn 5. freshfields.com Diese Dokumentation wird zur Verfügung gestellt von der international tätigen Rechtsanwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (eine Limited Liability Partnership nach dem Recht von England und Wales, UK LLP) und ihren weltweiten Niederlassungen und assoziierten Partnerkanzleien, die unter dem Namen Freshfields Bruckhaus Deringer in mehreren Jurisdiktionen tätig sind, sowie der Freshfields Bruckhaus Deringer US LLP. In der Information werden diese Kanzleien und Einheiten zusammengefasst als »Freshfields« bezeichnet. Weitere regulatorische Informationen finden Sie unter www.freshfields.com/support/legalnotice. Die UK LLP hat Niederlassungen und assoziierte Partnerkanzleien in Bahrain, Belgien, China, Deutschland, England, Frankreich, Hongkong, Italien, Japan, den Niederlanden, Österreich, Russland, Singapur, Spanien, Vietnam und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Freshfields Bruckhaus Deringer US LLP unterhält Niederlassungen in New York City und Washington DC. Diese Dokumentation dient der allgemeinen Information und ist nicht als umfassende Darstellung gedacht. Sie kann eine Rechtsberatung nicht ersetzen. © Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Juni 2015, 03485
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