Freshfields Briefing_Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des

Reinhart Rüsken und
Dr. Roland M. Stein¹
In kürzerer Fassung
erschienen im BetriebsBerater, BB 25.2015,
S. 1505-1510.
Wie weit reicht die Steuerbegünstigung
des § 9a Stromsteuergesetz?
Neue Entscheidungen zum Begriff des
„zweierlei Verwendungszweck“ (dual-use)
und ihre Auswirkungen
Einleitung1
Es gehört hierzulande zum politischen Ritual, dass Regierungsmitglieder regelmäßig
betonen, wie wichtig der Erhalt einer starken industriellen Basis in Deutschland ist. Dieses
grundsätzliche – und begrüßenswerte – Bekenntnis hat Auswirkungen auch auf das Verbrauchsteuerrecht, das eine ganze Reihe von Maßnahmen zum Ausgleich steuerlicher
Nachteile für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vorsieht.
Demgegenüber vertritt
die Finanzverwaltung
eine äußerst restriktive
Auslegung.
Im Einzelfall schwierig ist es, die Reichweite der einschlägigen Regelungen zu bestimmen.
Hier fordern in Deutschland produzierende Unternehmen, dass sie tatsächlich in weitem
Umfang von einer zu hohen Strom- und Energiesteuer befreit werden. Demgegenüber vertritt
die Finanzverwaltung eine äußerst restriktive Auslegung. Insbesondere ist sie der Auffassung, dass das Gesetz die begünstigten Prozesse losgelöst vom technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang eigenständig und eng definiert. Das politische Bekenntnis zur Erhaltung industrieller Anlagen und Arbeitsplätze in Deutschland spielt bei den finanzgerichtlichen Verfahren insoweit dann kaum noch eine Rolle.
Besondere Rechtsunsicherheit bestand bisher hinsichtlich der steuerlichen Begünstigung der
Verwendung eines Energieerzeugnisses zu zweierlei Zwecken. Dazu liegt jetzt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vor.2 Sie hat den Bundesfinanzhof genötigt, seine eigene
Rechtsprechung zu der betreffenden Entlastungsvorschrift des EnergieStG zu überdenken.3
Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Entwicklung für die Auslegung und
Anwendung des § 9a StromStG hat, der eine für die Praxis besonders wichtige Begünstigung
von Prozessen der Elektrolyse sowie der Metallerzeugung und -bearbeitung vorsieht. Nach
Auffassung der Autoren muss die schon bisher teilweise zu enge Begünstigungspraxis der
Finanzverwaltung allemal nach jenen Entscheidungen revidiert werden.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu dual-use
§ 51 EnergieStG sieht für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Steuerentlastungen
für bestimmte Prozesse und Verfahren vor. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d EnergieStG wird auf
Antrag eine Steuerentlastung für nachweislich versteuerte Energiezeugnisse gewährt, die
von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes gleichzeitig zu Heizzwecken und zu
anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff verwendet worden sind (dual-use). Der Bundesfinanzhof hatte in seiner bisherigen Rechtsprechung eine äußerst enge Auslegung dieser
Vorschrift vertreten.
1
Reinhart Rüsken ist Rechtsanwalt in Berlin und war zuvor Richter am Bundesfinanzhof in dessen Zollsenat. Dr.
Roland Stein ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Berlin. Der vorliegende Beitrag
beruht auf einer gutachterlichen Stellungnahme für eine Mandantin der Autoren. Diese bedanken sich bei
Assessorin Julia Weismann für die wertvolle Unterstützung bei der Vorbereitung des Manuskripts.
2
EuGH, Urteil v. 2.10.2014, C 426/12, ZfZ 2014, 308.
3
BFH, Urteil v. 13.01.2015, VII R 35/12, ZfZ 2015, S. 167 mit zust. Anm. Stein.
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP
1
In seinem Urteil vom 28. Oktober 20084 war es um den Anspruch eines textilverarbeitenden
Unternehmens auf eine solche Steuerentlastung gegangen. Im Rahmen seiner Produktion
verwendete das Unternehmen Erdgas zum Absengen von Textilfasern. Hierzu wurden
Gewebebahnen an einer durch Verbrennen des Erdgases erzeugten offenen Flamme vorbeigeführt, wodurch überstehende Textilfasern abgesengt werden. Das Hauptzollamt hatte eine
Entlastung mit der Begründung abgelehnt, dass das Erdgas ausschließlich verheizt und nicht
zugleich zu anderen Zwecken als als Heizstoff verwendet werde. Der Bundesfinanzhof
bestätigte diese Auffassung. Er stellte in seiner Entscheidung maßgeblich auf zwei Kriterien
ab: § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d. EnergieStG sei dahingehend auszulegen, dass eine gleichzeitige
Verwendung nur dann vorliegt, wenn (i) das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen
Prozesses neben dem Verheizen zugleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt wird und
(ii) die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund tritt.5 Diese Voraussetzungen
lägen in dem zu entscheidenden Fall nicht vor. Mit dem Verbrennen des Erdgases sei dessen
Verwendung abgeschlossen. Unabhängig von der nachfolgenden Nutzung zum Absengen der
Textilfasern liege ein reines Verheizen des Erdgases vor. Das Erdgas werde nicht als Roh-,
Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt.
Mit Urteil vom
13. Januar 2015 hat
der Bundesfinanzhof
diese Rechtsprechung
aufgegeben oder, wie
er es nennt, „modifiziert“.
Einsatz des Energieerzeugnisses als Roh-,
Grund- oder Hilfsstoff
zur Bearbeitung oder
Herstellung des fraglichen Produktes
neben der Nutzung
der beim Verbrennen
entstehenden Wärme
sei für die Anerkennung eines doppelten
Verwendungszweckes
hingegen nicht entscheidend.
Mit Urteil vom 13. Januar 20156 hat der Bundesfinanzhof diese Rechtsprechung aufgegeben
oder, wie er es nennt, „modifiziert“7. Anlass zu dieser Rechtsprechungskehre hat das auf
Ersuchen des Gerechtshof’s-Hertogenbosch ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 2. Oktober 2014 in der Rechtssache C-426/128 gegeben. Darin hat der Europäische
Gerichtshof nicht – wie die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – auf die
stoffliche Verwendung des Energieerzeugnisses zu etwas anderem als zum Verbrennen
abgestellt. Vielmehr hat er erkannt, dass ein Energieerzeugnis (neben dem Verheizen) einen
weiteren Verwendungszweck haben kann, wenn der betreffende Produktionsprozess nicht
ohne Einsatz eines Stoffes durchgeführt werden kann, der nur durch die Verbrennung des
betreffenden Energieerzeugnisses erzeugt werden kann.9
Dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat sich der Bundesfinanzhof mit
seinem Urteil vom 13. Januar 201510 angeschlossen. Für die Verwendung eines Energieerzeugnisses zu „zweierlei Verwendungszwecken“ sieht der Bundesfinanzhof nunmehr als entscheidend an, dass das Energieerzeugnis nicht nur als Heizstoff verwendet wird, also mittels
Wärmeentwicklung den Produktionsprozess fördert, sondern darüber hinaus entweder das
Energieerzeugnis selbst oder beim Verheizen entstehende Stoffe (etwa die Verbrennungsgase)
für den Herstellungsprozess erforderlich sind. Der Einsatz des Energieerzeugnisses als Roh-,
Grund- oder Hilfsstoff zur Bearbeitung oder Herstellung des fraglichen Produktes neben der
Nutzung der beim Verbrennen entstehenden Wärme sei für die Anerkennung eines doppelten Verwendungszweckes hingegen nicht entscheidend.
Die Entscheidung betrifft die Herstellung von Phosphaten. In dem Herstellungsprozess der
Phosphate werden die Flamme eines Erdgasbrenners und dessen heiße Verbrennungsgase
eingesetzt. Die Wärme bewirkt eine chemische Reaktion, bei der die Phosphate entstehen.
4
BFH, Urt. v. 8.10.2008, VII R 6/08, BFHE 223, 280.
5
Was diese zweite Voraussetzung angeht, handelt es sich um freie Rechtschöpfung, gegen die sich einhellige Kritik
im Schrifttum erhob, vgl. Stein, in: Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 2. Auflage 2012, S. 159; Friedrich, in:
Friedrich/Meißner, Energiesteuern, 34. Ergänzungslieferung, Stand: 2014, § 51 EnergieStG, Rn 25; Möhlenkamp, :
in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG 2012, § 51 EnergieStG, Rn 17; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn H 168; Bongartz ZfZ 2009, 57, 62; Falkenberg ZfZ 2012, 117, 119.
6
BFH, Urteil v. 13.01.2015, VII R 35/12, ZfZ 2015, S. 167.
7
Dabei misst der Senat offenbar dem Umstand Bedeutung bei, dass der Rechtssatz, Energieerzeugnisse würden nur
dann gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als als Heizstoff verwendet, wenn das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen Prozesses oder Verfahrens sowohl als Heizstoff als auch als Rohstoff, Grundstoff
oder Hilfsstoff eingesetzt wird, in den bisherigen Entscheidungen des Senats nicht entscheidungserheblich
gewesen und auch nicht in den Leitsätzen wiedergegeben worden sei.
8
EuGH, Urteil v. 2.10.2014, C 426/12, ZfZ 2014, 308.
9
Im Vorabentscheidungsfall wurde Zucker durch Einsatz von Kohle hergestellt, welche zur Durchführung des
Produktionsprozesses verheizt wird. Das war erforderlich für die Gewinnung von Kalkofengas bzw. das darin
enthaltene Kohlendioxid, dessen es für die erforderliche Reinigung des aus der Zuckerrübe mittels Hitze
gewonnenen Rohsafts bedarf. Vgl. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin vom 22. Mai 2014.
10
BFH, Urteil v. 13.01.2015, VII R 35/12, ZfZ 2015, 167.
2
Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015
Durch die Verbrennungsgase werden überschüssige Reste entfernt. Der Bundesfinanzhof hat
entschieden, dass zwei Verwendungszwecke vorlägen. Er begründet dies sinngemäß damit,
dass die beim Verheizen des eingesetzten Erdgases entstehenden Verbrennungsgase zum
Abschluss des Herstellungsprozesses erforderlich seien; das Gas werde nicht nur zwecks
Wärmegewinnung verheizt, sondern das Verheizen des Gases diene zugleich der Herstellung
von Kohlendioxid, dass für die Herstellung der Phosphate benötigt werde.
Die Verfolgung eines doppelten Verwendungszwecks wird also vom Bundesfinanzhof jetzt anders als von seiner früheren Rechtsprechung nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Energieerzeugnis vollständig verbrannt wird und folglich keine weitere stoffliche Reaktion chemischer oder physikalischer Art durch dasselbe bewirkt wird. Gegenstand der Betrachtung ist
nicht mehr das stoffliche Schicksal des Energieerzeugnisses, sondern der Herstellungsprozess
als ganzer: Welche Funktion hat der Einsatz des Energieerzeugnisses in diesem Herstellungsprozess? Dient er nur der Erzeugung von Wärme? Oder dient der Einsatz auch dem Zweck,
die durch die Verbrennung ausgelösten physikalisch-chemischen Prozesse in Gang zu setzen,
oder reicht allein Wärme nicht aus, um zu dem angestrebten Produktionsergebnis zu
gelangen? In diesem Sinne stellt der Bundesfinanzhof für eine Steuerentlastung nach § 51
Abs. 1 Nr. 1 lit. d EnergieStG nur noch darauf ab, ob der Einsatz des Energieerzeugnisses für
den Erfolg des Herstellungsprozesses als solchen erforderlich ist.
Wie § 51 EnergieStG
sieht auch die Parallelvorschrift im
Stromsteuerrecht
(§ 9a StromStG) Begünstigungen für
Unternehmen des
Produzierenden
Gewerbes vor.
Verwaltungsauffassung und Instanzrechtsprechung zu § 9a StromStG
Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und ihm folgend des Bundesfinanzhofs
geben Anlass zu der Frage nach den Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf andere
Streitfragen im Bereich des Energie- und Stromsteuerrechts. Wie § 51 EnergieStG sieht auch
die Parallelvorschrift im Stromsteuerrecht (§ 9a StromStG) Begünstigungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vor, wenn Strom in dort näher bezeichneten Prozessen
oder Verfahren für die Herstellung bestimmter Waren verwendet wird. § 9a Abs. 1 Nr. 1 bis 3
StromStG entspricht im Wesentlichen § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a bis c EnergieStG. § 9a
Abs. 1 Nr. 1 StromStG sieht eine Steuerentlastung für Strom vor, der für die Elektrolyse
entnommen wird; Nr. 3 begünstigt Strom, der für die Metallerzeugung oder -bearbeitung verwendet wird.
Die bisherige Auffassung der Finanzgerichte
Zollverwaltung und
die Finanzgerichte
haben bislang ein
enges Verständnis der
Begünstigungstatbestände.
Im Bereich der Stromsteuerentlastungen für bestimmte Prozesse und Verfahren haben die
Zollverwaltung und die Finanzgerichte bislang ein enges Verständnis der Begünstigungstatbestände zugrunde gelegt. Insbesondere das Finanzgericht Hamburg hat sich in zwei
voneinander getrennt verhandelten Fällen mit Stromsteuerentlastungen nach § 9a StromStG
befasst.11 Das betroffene Unternehmen stellt Kupfer und verschiedene Edelmetalle her. Es
setzt sowohl für die Metallerzeugung und -bearbeitung als auch für die Elektrolyse Strom
ein. Bei dem Verfahren zur Herstellung des Kupfers werden die Ausgangsstoffe, zum Beispiel
Erzkonzentrate, in Schmelzöfen geschmolzen. Daneben kommen weitere Öfen für Folgeprozesse zum Einsatz. Der Gesamtprozess der Herstellung erfordert aber auch andere strombetriebene Anlagen, wie etwa Filteranlagen oder die Kühlwasserbereitstellung.
Metallerzeugung und -bearbeitung (§ 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG)
Das Gericht befasste sich zunächst mit der Frage, welche von dem Unternehmen entnommenen Strommengen in den Anwendungsbereich des § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG fallen.12 Nach
dieser Vorschrift ist Strom entlastungsfähig, den ein Unternehmen des Produzierenden
Gewerbes „für die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie im Rahmen der Herstellung von
Metallerzeugnissen … jeweils zum Schmelzen, Erwärmen, Warmhalten, Entspannen oder
sonstigen Wärmebehandlung“ entnommen hat. Aus der abschließenden Wendung „oder
sonstigen Wärmebehandlung“ ergibt sich nach Auffassung der Finanzverwaltung und des
Finanzgerichts eine Einschränkung der Steuerentlastung auf den sogenannten Wärmestrom.13
11
FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12; FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 134/12; hierzu Anm. Stein/
Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2013, BB 31, 2014, 1815 ff.
12
FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12.
13
FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12.
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP
3
Nach Auffassung der
Finanzverwaltung
soll indes nur die
Strommenge entlastungsfähig sein, die
unmittelbar in die
Elektrolyse einfließt.
Die Vorschrift stelle nach eindeutigem Wortlaut keine Grundlage für die Entlastung des
gesamten für die Metallerzeugung entnommenen Stroms dar, sondern schränke die Entlastung
auf die explizit genannten Wärmebehandlungen ein. Nicht entlastungsfähig sei daher der
sogenannte Kraftstrom, der im Rahmen des Herstellungsprozesses zum Antrieb von Maschinen
oder Motoren verwendet wird, wie zum Beispiel zum Antrieb von Transportbändern oder
Drehrohröfen. Der Gesetzgeber habe enumerativ die einzelnen Produktionsschritte, für die die
Begünstigung gilt, aufgezählt. Erfasst seien nur Vorgänge der Wärmeerzeugung. § 9a Abs. 1 Nr.
3 StromStG sei eine Ausnahmevorschrift und daher restriktiv auszulegen. Aus Art. 2 Abs. 4 lit.
b 3. Spiegelstrich der Energiesteuerrichtlinie folge lediglich die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, bei der Elektrolyse und bei Prozessen in der Metallindustrie weitere Steuerbefreiungen
anzuwenden, jedoch keine Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers, sämtlichen in diesem
Zusammenhang entnommenen Strom von der Besteuerung zu entlasten.14
Elektrolyse (§ 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG)
§ 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG gewährt ferner eine Steuerentlastung für Strom, der „für die
Elektrolyse“ entnommen wird. Elektrolyse ist ein Prozess, bei dem elektrischer Strom eine
chemische Reaktion erzwingt. Eine Elektrolyse erfordert eine Gleichspannungsquelle, welche
die elektrische Energie liefert. Durch zwei Elektroden (Anode und Kathode) wird ein elektrischer Gleichstrom in eine leitende Flüssigkeit (Elektrolyt) geleitet.15
Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll indes nur die Strommenge entlastungsfähig sein,
die unmittelbar in die Elektrolyse einfließt, d.h. der Strom, der an den Elektroden anliegt.
Das Hauptzollamt lehnte folglich eine Steuerentlastung für die Stromentnahme der Klägerin
zum Antrieb einer Pumpe ab, die zur Bewegung des Elektrolyts im Rahmen der Elektrolyse
erforderlich war. Entlastungsfähig sei nur der für den „Kernvorgang“ der Elektrolyse
entnommene Strom. Das Finanzgericht Hamburg schloss sich der Auffassung des Hauptzollamtes an.16 Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass zur Durchführung der Elektrolyse auch
weitere Maschinen erforderlich sind, die mit Strom betrieben werden. Es entspreche aber
dem allgemeinen Grundsatz einer restriktiven Auslegung von Ausnahmetatbeständen – wie
§ 9a StromStG – die Steuerbegünstigung nicht auf „Randbereiche“ der Elektrolyse zu
erstrecken. Daher sei Strom, welcher nicht unmittelbar in die Elektrolyse einfließt und nur
in Nebenaggregaten verwendet wird, nicht entlastungsfähig.
Enge Auslegung schon ungeachtet der neuen BFH-Rechtsprechung
verfehlt
Die beiden Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig.17 Ihre Argumentation und der
Ansatz der Verwaltung, dem das Finanzgericht gefolgt ist, bedürfen schon ungeachtet
eingangs genannter neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung einer kritischen Analyse.
Es gibt keinen Rechtssatz, dass sogenannte
Ausnahmevorschriften stets eng ausgelegt werden müssen.
Keine „enge“ Auslegung geboten
Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Es gibt keinen Rechtssatz, dass
sogenannte Ausnahmevorschriften stets eng oder sogar so eng wie möglich ausgelegt werden
müssen.18 Ausnahmevorschriften definieren eine Teilmenge von Regelungsgegenständen der
Grundvorschrift, bei welcher die Rechtsfolgeanordnung der Grundvorschrift nicht gelten
soll. Ob diese Teilmenge groß oder klein ist, hat mit dem Begriff der Ausnahmevorschrift
nichts zu tun; bisweilen lässt das Gesetz nur enge Ausnahmen von seiner Grundregelung zu,
bisweilen ist die Ausnahme in der praktischen Anwendung aber auch die Regel. Ob ein
solcher Regelfall mit einer Ausnahmevorschrift erfasst wird oder selbstständig ohne Bezugnahme auf eine Grundvorschrift erfasst wird, ist eine bloße Frage zweckmäßiger Gesetzgebungstechnik im Einzelfall.
14
FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 133/12.
15
Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 3. Auflage 2013, S. 417.
16
FG Hamburg, Urteil v. 11.09.2013, 4 K 134/12; ebenso FG Thüringen, 29.03.2012, 2 K 667/10, ZfZ Beilage 2012, Nr. 4, 62.
17
Die Klägerinnen haben in beiden Fällen Revision eingelegt. Diese sind unter Aktenzeichen des BFH, VII R 53/13 und
VII R 52/13 beim BFH anhängig.
18
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 355; König, Abgabenordnung, 3. Auflage 2014,
§ 4 Rn. 92.
4
Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015
Darüber hinaus lässt sich sogar darüber streiten, ob § 9a StromStG eine „Ausnahmevorschrift“ darstellt. Es ist nämlich nicht so, dass für den unter die Norm fallenden Strom eine
Ausnahme von der Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 StromStG gilt. Vielmehr wird für den
Strom die Steuer abgeführt. Lediglich in einem nachgelagerten behördlichen Verfahren kann
für einen Teil der entrichteten Steuern eine Rückerstattung beantragt werden. Auch auf
europäischer Ebene ist die Grundlage für § 9a StromStG nicht als „Ausnahmevorschrift“
ausgestaltet. Vielmehr besagt Art. 2 Abs. 4 Energiesteuerrichtlinie lediglich, dass die Richtlinie für bestimmte Verwendungen keine Anwendung findet. Das Argument der „Ausnahmevorschrift“ beweist also eher das Bemühen, feinsinnige Differenzierungsfähigkeit unter
Beweis zu stellen, als dass es dogmatisch zu rechtfertigen wäre.
„Für die Elektrolyse“
verlangt einen sachlichen Bezug der Verwendung von Strom
zur Elektrolyse.
Wortlaut und Gesetzeszweck
Auch der Hinweis auf den Wortlaut der Vorschriften beeindruckt nicht. Der Wortlaut ist
nicht „eindeutig“, schon gar nicht im Sinne der Verwaltungsauffassung. Die Formulierung in
§ 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG – „Strom für die Elektrolyse“ – schränkt den Anwendungsbereich
der Vorschrift nicht in Bezug auf bestimmte Stromverwendungen ein.
„Für die Elektrolyse“ verlangt einen sachlichen Bezug der Verwendung von Strom zur
Elektrolyse: sie muss mit Hilfe des Stroms bewirkt, unterstützt oder ermöglicht werden.
Mehr besagt das „Für“ nicht. Die Energiesteuerrichtlinie, die den Mitgliedstaaten gestattet,
sogar den nur „hauptsächlich“ bei der Elektrolyse verwendeten Strom freizustellen, lässt eine
solche Auslegung zu. Das von der Energiesteuerrichtlinie in diesem Zusammenhang benutzte
Wort „bei“ (der Elektrolyse) fordert keinen „engeren“ oder „unmittelbareren“ Zusammenhang der Stromverwendung zum elektrolytischen Prozess als das Wort „für“. Umgekehrt
manifestiert sich in dem Wort „für“ auch nicht etwa die Anforderung eines „engeren“
Bezugs der Stromverwendung zu dem „eigentlichen“ elektrolytischen Prozess i. S. eines
„Kernprozesses“.
Es ist auch sonst nicht erkennbar, dass der deutsche Gesetzgeber diesen weiten Rahmen, in
dem ihm die Richtlinie der Union einen Regelungsspielraum eröffnet,19 durch die deutschen
Steuerentlastungsvorschriften nicht ausschöpfen wollte. Das Gegenteil ist anzunehmen.
Denn der deutsche Gesetzgeber musste damit rechnen, dass andere Industrienationen ihre
Position im Wettbewerb dadurch schützen werden, dass sie den ihnen unionsrechtlich
eingeräumten Regelungsspielraum zum Schutze ihrer Wirtschaft vollumfänglich ausschöpfen werden. Eine restriktive Auslegung der Begünstigungsvorschriften, welche die deutsche
Wirtschaft in Gefahr brächte, gegenüber den Industrien dieser Länder empfindliche Nachteile zu erleiden, widerspräche deshalb dem Ziel des deutschen Gesetzgebers, die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Wirtschaftszweige zu sichern und zu fördern.
Der Gesetzgeber20 spricht im Übrigen in der Gesetzesüberschrift von der Vergütung von
Steuer „für bestimmte Prozesse und Verfahren“, nicht von bestimmten Verwendungszwecken innerhalb solcher Prozesse und Verfahren. Gegenstand der Steuerbegünstigung ist
mithin die Elektrolyse, nicht der Elektrodenstrom, der kein „Prozess“ oder „Verfahren“ ist.
Eindeutig ist auch § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG nicht. Am Anfang der Vorschrift steht die
Begünstigung der Metallerzeugung und -bearbeitung, was eine erste Tatbestandsvariante
darstellt. Diese lässt keine Einschränkung auf irgendwelche bestimmten Produktionsschritte
oder Verwendungszwecke bei der Erzeugung von Metallen und der Bearbeitung von Metall
erkennen. Die mit „sowie“ eingeleitete langatmige Aufzählung einzelner Metall-„Erzeugnisse“ und die Anführung der Oberflächenveredelung ergänzen den Begünstigungstatbestand
um eine zweite Tatbestandsalternative. Hier kann man sich schon fragen, ob dies bloß
klarstellend gemeint ist oder „Herstellung von Metallerzeugnissen“ etwas anderes ist als
„Metallbearbeitung“. Und die gleiche Frage wird man sich – auf der Ebene der Wortlautinterpretation – erst recht im Hinblick auf den letzten Halbsatz der Nummer stellen („und
Wärmebehandlung jeweils …“). Dieser benennt Verfahren, die bei der Metallerzeugung und
-bearbeitung überhaupt nicht angewandt werden, weshalb es fernliegt, „Wärmebehandlung“
auf „Metallerzeugung“ zu beziehen. Der betreffende Halbsatz lässt sich überdies auch
sprachlich schwerlich dahin verstehen, es solle die zuvor gewährte Steuervergünstigung
wieder zurückgenommen beziehungsweise eingeschränkt werden. Eher ist die dortige
19
EuGH, Urteil v. 2.10.2012, C-426/12, ZfZ 2014, 308.
20
Vgl. BT-Drs. 16/2709 Seite 19.
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP
5
Auflistung aus dem Bemühen des Gesetzgebers zu deuten, die begünstigten Vorgänge
plastisch zu umschreiben. Offensichtlich hat sich der Gesetzgeber demgegenüber über die
Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten kein abschließendes Bild gemacht und wohl auch
nicht machen wollen.
Die enge Auslegung
des § 9a Abs. 1 StromStG „passt“ auch nicht
zu Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs,
in denen es ebenfalls
um die Bestimmung
der Reichweite prozessbezogener Begünstigungen ging.
Abweichung von der BFH-Rechtsprechung
Die enge Auslegung des § 9a Abs. 1 StromStG „passt“ auch nicht zu Entscheidungen des
Bundesfinanzhofs, in denen es ebenfalls um die Bestimmung der Reichweite prozessbezogener Begünstigungen ging.
Das betrifft zunächst die Rechtsprechung zu Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen (KWK). Für
eine weitergehende Entlastung hat der Bundesfinanzhof bei der Auslegung und Anwendung
des § 53 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG a.F. argumentiert. In einem dazu ergangenen Urteil ging es
um die Frage, ob Energieerzeugnisse, die zur Rauchgasreinigung einer KWK-Anlage eingesetzt werden, steuerlich begünstigt sind.21 Das Bundesfinanzministerium vertrat die Rechtsauffassung, dass nur solche Energieerzeugnisse entlastungsfähig sind, die im Rahmen des
Betriebes einer KWK-Anlage unmittelbar einer gekoppelten Kraft- und Wärmeerzeugung
dienen. Nicht begünstigt werde hingegen der Energieeinsatz in Rauchgasreinigungsanlagen,
weil dort das Energieerzeugnis nicht unmittelbar für den KWK-Prozess verwendet werde.22
Der Bundesfinanzhof hat diese Auffassung verworfen. Er stellte nicht auf den Verbrauch von
Energieerzeugnissen unmittelbar zur gekoppelten Erzeugung von Kraft und Wärme in dem
KWK-Kessel, sondern vielmehr auf die Verwendung des Energieerzeugnisses zur Erreichung
des begünstigten Zwecks, nämlich des Betriebs einer KWK-Anlage ab23, mit allem was dazu
aus technischen oder zum Beispiel umweltschutz-rechtlichen Gründen notwendig ist.24
Maßgeblich ist, dass das Energieerzeugnis innerhalb eines einheitlichen KWK-Prozesses
verwendet wird und zur Zweckerreichung erforderlich ist.25 Der Bundesfinanzhof versteht
also hier den Verwendungsbegriff als umfassend auf die Anlage bezogen, sofern es sich bei
ihr um eine funktionale Einheit handelt, mag sie auch aus einzelnen, jedoch integralen
Bestandteilen (z. B. Kessel und Rauchgasreinigungsvorrichtung) bestehen.
In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof kürzlich folgerichtig auch
die Entlastungsfähigkeit des Erdgases für eine Abhitzekessel-Zusatzfeuerung grundsätzlich
bejaht, sofern deren Betrieb unverzichtbarer, „integraler“ Bestandteil des KWK-Prozesses ist.26
Es reiche allerdings nicht aus, dass der Anlageteil, in dem Energieerzeugnisse verbrannt
werden, bloß mit der Anlage, in der der begünstigte Prozess abläuft, konstruktiv zusammenhängt. Eine integrale Verbindung sei daher ausgeschlossen, wenn der KWK-Prozess jederzeit
auch ohne den betreffenden Anlagenteil betrieben werden könnte, dieser Anlageteil also
zum Beispiel schlicht abgeschaltet oder demontiert werden könnte, ohne dass dadurch der
KWK-Prozess beeinträchtigt würde.
Von einem ähnlichen, umfassenden Grundverständnis der Begünstigungsvorschriften ist
schließlich auch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. Dezember 201127 ausgegangen, das
eine Vorschrift28 betrifft, welche ähnlich wie § 51 EnergieStG und § 9a StromStG strukturiert
und ähnlich gefasst ist. Danach reicht es aus, dass die Verwendung des Stroms mit der
Stromerzeugung „in einem engen Zusammenhang steht und aufgrund der besonderen
21
BFH Urteil v. 11.11.2008, VII R 33/07, BFH/NV 2009, 610.
22
Dienstvorschrift des BMF vom 12. Juni 2007, III A 1 – V 8245/07/0010.
23
BFH, Urteil v. 11.11.2008, VII R 33/07; BFH, Urteil v. 1.04.2008, VII R 26/06; BFH, Urteil v. 16.04.2013, VII R 59/11,
hierzu Anm. Stein/Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2013, BB 31, 2014, 1815 ff.
24
In dem Grundsatzurteil stellte der BFH auf eine rechtliche Erforderlichkeit aus Emissionsschutzgründen ab.
25
Rüsken, Mineralölsteuerbegünstigung für KWK-Anlagen umfasst auch die Raugasentschwefelung, BFH/PR 2009,
202; Stein, in: Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 2. Auflage 2012, S. 192 f.
26
BFH, Urteil v. 8.10.2013, VII R 19/12; mit Anm. Stein/Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2013, BB 31, 2014, 1815 ff.
27
VII R 73/10, BFHE 237, 478 = ZfZ 2012, 106.
28
§ 9 StromStG.
6
Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015
Gegebenheiten der jeweiligen Stromerzeugungsanlage erforderlich ist“, um den Betrieb der
Anlage aufrechtzuerhalten. Lediglich die Verwendung von Strom etwa für die Beleuchtung
oder für Büros und andere Verwaltungseinrichtungen eines Stromkraftwerks hat der
Bundesfinanzhof von der Entlastung ausgeschlossen, weil solche Einrichtungen jedes
Unternehmen benötigt und daher ein spezifischer Zusammenhang zu der begünstigten
Verwendung („Strom zur Stromerzeugung“) fehlt.29
Dieser Beurteilung sowohl der Rauchgasreinigungsanlage als auch der Abhitzekessel-Zusatzfeuerung und eines Stromkraftwerks steht auch nicht die Forderung einer verwendungsorientierten Bewertung der Entlastungstatbestände im Energie- und Stromsteuerrecht entgegen. Eine solche wurde in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – mit Recht – immer
wieder herausgestellt. EnergieStG und StromStG begünstigen mit den hier erörterten
Vorschriften – anders als bei den generell das „Produzierende Gewerbe“ betreffenden
Vorschriften – nicht Unternehmen, Betriebe oder als zusammenhängende technische
Komplexe verstandene Anlagen; sie begünstigen vielmehr die Energieverwendung für
bestimmte Zwecke beziehungsweise einen doppelten Zweck. Auf die Art der Verwendung des
Energieerzeugnisses als solchem kommt es aber nicht allein an. Vielmehr ist (zumindest
alternativ) auf den Zweck seiner Verwendung abzustellen.
Die Verwendung von Strom für das In-Bewegung-Halten des Elektrolyts oder für in einer
Stahl-Produktionsstraße notwendige Walzen sind aus der Sicht einer verwendungsbezogenen
Betrachtung Verwendungen zum Zwecke der Elektrolyse beziehungsweise der Metallerzeugung. Der Drang der Finanzverwaltung zur Begrenzung der Steuerbegünstigung auf einen
Teil der technisch an sich einheitlichen Produktionsprozesse ist also nicht Konsequenz einer
verwendungsbezogenen Betrachtung, wie sie die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
verlangt.30
Die Auswirkungen der neuen BFH-Rechtsprechung
All das spricht schon gewichtig gegen die Auffassung der oben dargestellten Instanzentscheidungen. Allemal aber bedarf diese Rechtsprechung aus der Sicht der neuen Entscheidungen
zum „zweierlei Verwendungszweck“ kritischer Prüfung.
Es fehlt indes an einer
Rechtfertigung für die
Annahme der Finanzverwaltung, dass das
Gesetz die begünstigten Prozesse losgelöst
vom technischen und
wirtschaftlichen Zusammenhang eigenständig definiere.
Keine Filetierung
Wenn die Finanzverwaltung und – dieser folgend – das Finanzgericht Hamburg nur Strom
entlasten wollen wird, der in bestimmten Teilbereichen der im Gesetz angesprochenen
Produktionsprozesse („Kernbereich“) eingesetzt wird, brechen sie einzelne Verwendungen
aus einem technisch einheitlichen Prozess heraus. Es fehlt indes an einer Rechtfertigung für
die Annahme der Finanzverwaltung, dass das Gesetz die begünstigten Prozesse losgelöst vom
technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang eigenständig definiere. Statt darauf
abzustellen, ob Strom verwendet werden muss, um bestimmte, im Rahmen solcher Prozesse
physikalisch-technisch notwendige Effekte zu erzielen, dürfen nicht einzelne Verwendungszwecke aus dem Produktionsprozess herausgegriffen werden (z. B. den Stromeinsatz für die
Erzeugung des Elektrodenstroms). Die Auffassung der Finanzverwaltung und des Finanzgerichts filetiert gleichsam die betroffenen industriellen Vorgänge bei der Auslegung und
Anwendung des § 9a Abs. 1 StromStG. Das ist unzulässig. Es ist weder durch den Wortlaut,
die Systematik oder den Sinn der Vorschriften zu rechtfertigen.
Die Generalanwältin hat in dem Verfahren C-426/12 mit Recht darauf hingewiesen – und es
dürfte davon auszugehen sein, dass sich die Kammer diese Überlegung zu eigen gemacht hat,
dass sich weder dem Wortlaut noch der Systematik von Art. 2 Abs. 4 Buchst. b EnergieStRL
entnehmen lasse, dass das Energieerzeugnis, dessen Verwendung begünstigt werden soll,
stets in einer bestimmten Art und Weise verwendet werden muss oder dass bestimmte
29
BFH, Urteil v. 13.12.2011, VII R 73/10, BFHE 237, 478.
30
Die angeblich gebotene restriktive Auslegung des § 9 a StromStG steht auch im Gegensatz etwa zu der Auslegung
der besonderen Ausgleichsregelung für Schienenbahnen in § 65 EEG. Diese Vorschrift begünstigt nur den
„unmittelbar für den Fahrbetrieb“ eingesetzten Strom, also den sogenannten Fahrstrom. Davon erfasst wird jedoch
unstreitig nicht nur der Verbrauch zum reinen Antrieb der Fahrzeuge, sondern auch der Verbrauch zum Betrieb
sonstiger mit dem Fahrbetrieb in Zusammenhang stehender elektrischer Anlagen, der Verbrauch für die
Zugbildung und Zugvorbereitung sowie der Verbrauch für die Bereitstellung und Sicherheit der Fahrtrasse und
Fahrwege. Nicht erfasst werden lediglich die Stromentnahme für den Verwaltungs- und Bürobereich der
Verkehrsunternehmen oder etwa für die Beleuchtung der Bahnhöfe (Vgl. hierzu BAFA, Merkblatt für Schienenbahnen 2015 zu den gesetzlichen Regelungen nach §§ 63 ff. Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014).
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Verwendungsarten durch die Formulierung „für andere Zwecke als als Heiz[stoff]“ ausgeschlossen sein könnten. Für die hier zu erörternden Begünstigungstatbestände Elektrolyse
und Metallerzeugung und -bearbeitung gilt Entsprechendes. So wie der Wortlaut vorgenannter Richtlinienvorschrift „weit genug“ ist, um bei Verwendung eines Verbrennungsproduktes
des Energieerzeugnisses im Rahmen eines einheitlichen bestimmten Produktionsprozesses
die Verwendung des Energieerzeugnisses als begünstigungsfähig anzusehen,31 so ist § 9a
StromStG weit genug für die Anwendung einer umfassenden (nicht auf einen sog. Kernbereich oder das sog. „Eigentliche“ des begünstigten Prozesses beschränkten) Begünstigung der
Stromverwendung! Dem Sinn und Zweck des Gesetzes trüge das allemal Rechnung: es
konkurrieren auf dem Weltmarkt nicht Elektroden- und Wärmeströme, sondern Produkte
der Elektrolyse und Metalle.
Metallerzeugung und -bearbeitung
... ist dementsprechend bei der Verwendung von Strom im
Rahmen der Metallerzeugung und -bearbeitung nicht nur der
sogenannte „Wärmestrom“, sondern auch
sogenannte „Kraftstrom“ als für den
Gesamtprozess der
Metallerzeugung und
-bearbeitung zwingend erforderlich ...
Die Stromsteuerentlastung nach § 9 a Abs. 1 Nr. 3 StromStG setzt mithin nur voraus, dass der
eingesetzte Strom innerhalb eines einheitlichen Prozesses verwendet wird und zur Erreichung des begünstigten Zwecks erforderlich ist. Selbst wenn man die Norm nicht dahingehend auslegt, dass ohnehin nur die zweite Tatbestandsalternative von der Einschränkung
„zur sonstigen Wärmebehandlung“ erfasst wird,32 ist dementsprechend bei der Verwendung
von Strom im Rahmen der Metallerzeugung und -bearbeitung nicht nur der sogenannte
„Wärmestrom“, sondern auch sogenannte „Kraftstrom“ als für den Gesamtprozess der
Metallerzeugung und -bearbeitung zwingend erforderlich von der Stromsteuer zu entlasten.
Neben dem Erhitzungsprozess sind auch Rand- und Unterstützungsprozesse der Metallerzeugung zwingend zum Abschluss der Metallerzeugung notwendig. Zu dem begünstigten
Prozess des Schmelzens im Rahmen der Metallerzeugung und -bearbeitung gehört etwa
notwendigerweise auch der Betrieb von Gebläse, Lüfter etc., ohne die der Prozess der Metallerzeugung nicht durchgeführt werden kann. Daher muss der Strom nicht selbst dem
Erwärmen oder Schmelzen dienen.
Darüber hinaus stellt der bei der Metallerzeugung eingesetzte sogenannte Kraftstrom häufig
selbst auch eine „Wärmebehandlung“ dar. Die Rechtsprechung hat sich bisher bezüglich
einer Definition der „Wärmebehandlung“ i. S. v. § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG zurückgehalten.
Es ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des Prozesses für die Metallerzeugung und
-bearbeitung nicht nur Erhitzungsprozesse erforderlich sind, sodass jedenfalls nicht ausschließlich Vorgänge mit Wärmeerzeugung erfasst werden. Vielmehr sind in der Praxis,
insbesondere im Bereich der Metallverarbeitung, in mehreren Prozessschritten etwa auch
das Abkühlen und die Verformung des Materials in bestimmten Temperaturen erforderlich.
Hierdurch können bestimmte Werkstoffeigenschaften planmäßig erzielt werden. Eine
Wärmebehandlung ist demnach ein Verfahren, in dem ein Werkstück Temperaturveränderungen unterzogen wird, um bestimmte Werkstoffeigenschaften zu erzielen.
Diese Definition wird gestützt durch die Heranziehung der DIN Norm EN 1005233, welche
Begriffe der Wärmebehandlung von Eisenwerkstoffen festlegt. Unter dem Begriff der
Wärmebehandlung nennt die technische Vorschrift ausdrücklich auch das gezielte Abkühlen
eines Werkstoffs oder das Behandeln des Werkstoffes bei bestimmten Temperaturen. Diese
Prozessschritte stellen unverzichtbare Bestandteile für den Gesamtprozess der Metallerzeugung und -bearbeitung dar und werden vom Begünstigungstatbestand erfasst.
Nur eine solche umfassende Begünstigung
des bei der Metallerzeugung und -bearbeitung verwendeten
Stroms entspricht der
Intention des Gesetzgebers
Die durch Kraftstrom gesteuerte Geschwindigkeit der Fortbewegung der Metallteile hat
überdies einen beabsichtigten und unmittelbaren Einfluss auf die „Wärmebehandlung“.
Durch den Einsatz des Stroms zur Erreichung einer bestimmten Geschwindigkeit der
Metallteile in Verbindung mit der gezielten Einstellung einer Temperatur werden bestimmte
Werkstoffeigenschaften erreicht. Beide Faktoren sind zwingend notwendiger Bestandteil
zum Abschluss des Herstellungsprozesses des Metalls.
Nur eine solche umfassende Begünstigung des bei der Metallerzeugung und -bearbeitung
verwendeten Stroms entspricht der Intention des Gesetzgebers, durch die steuerliche Begünstigung die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Produzierenden Gewerbes zu verbessern
31
Schlussanträge in dem Verfahren C-426/12.
32
Siehe oben unter IV. 2.
33
DIN EN 10052, Begriffe der Wärmebehandlung von Eisenwerkstoffen, Januar 1994, DK 669.1: 621.785: 001.4.
8
Wie weit reicht die Steuerbegünstigung des § 9a Stromsteuergesetz?, Juni 2015
und bestimmte energieintensive Prozesse zu begünstigen.34 Es ist nicht nachvollziehbar,
warum es die Zielsetzung, die durch eine hohe Stromsteuer herbeigeführte Wettbewerbsbelastung der deutschen Metallindustrie zu neutralisieren, rechtfertigen oder auch nur
zulassen soll, nur bestimmte Teile des Verbrauchs von Strom (Wärmestrom, nicht auch
Kraftstrom) zu begünstigen. Die Einschränkung auf die Wärmebehandlung, wie sie die
Finanzverwaltung der Schlusswendung des § 9a Abs. 1 Nr. 3 StromStG („… oder sonstigen
Wärmebehandlung“) entnehmen will, ist deshalb, wenn sie überhaupt als Begrenzung der
zunächst uneingeschränkten Begünstigung der Metallverarbeitung zu verstehen ist, dahin
auszulegen, dass von der Steuerentlastung die im Gesetz benannten Prozesse und Verfahren
umfassend begünstigt werden sollen, sofern sich der Gesamtprozess als durch eine Wärmebehandlung im eben erläuterten, umfassenden Sinn geprägt darstellt.
Elektrolyse
Bei der Durchführung der Elektrolyse eingesetzter Strom ist ebenfalls sowohl dann begünstigt, wenn er unmittelbar für den sogenannten Kernbereich der Elektrolyse, die Erzeugung
des Elektrodenstroms, als auch wenn er für mittelbar und untrennbar zum Gesamtprozess
gehörende Hilfs- und Nebenanlagen verwendet wird. Für die Elektrolyse wird im Regelfall
auch an anderen Stellen als an den Elektroden Strom verwendet. Dieser für die Elektrolyse
zwingend erforderliche, in Nebenaggregaten o. dgl. eingesetzte Strom muss ebenfalls
entlastet werden.35 Hierzu gehört insbesondere auch der Einsatz von Pumpen zur Bewegung
des Elektrolyts. Hierzu gehört aber auch, je nach Ausgestaltung des Verfahrens, der Betrieb
weiterer Motoren, Maschinen etc., die mit Strom betrieben werden, um den laufenden
Prozess der Elektrolyse aufrechtzuerhalten.
Die Elektrolyse ist
insofern als Gesamtprozess zu behandeln
und der für diesen
verwendete Strom
begünstigt.
Die Elektrolyse ist insofern als Gesamtprozess zu behandeln und der für diesen verwendete
Strom begünstigt. Ähnlich wie bei dem KWK-Prozess handelt es sich nämlich bei der
Elektrolyse um ein komplexes, aber einheitliches Verfahren, bei welchem durch Einsatz von
Energie (Strom) ein Produkt erzeugt wird. Eine Unterscheidung des begünstigten Stromeinsatzes für den „eigentlichen“ Elektrolyseprozess – verstanden als Erzeugung eines Gleichstroms zwischen den Elektroden – und „nicht elektrolytischen Begleitmaßnahmen“ ist eine
künstliche Aufsplitterung des Stromeinsatzes innerhalb eines einheitlichen Gesamtprozesses. Entscheidend ist, dass es sich bei alledem um integrale Bestandteile des Produktionsprozesses handelt, auf die nicht verzichtet werden kann, ohne dass die Elektrolyse nicht durchgeführt werden könnte, die mit anderen Worten für den Erfolg des Gesamtprozess
erforderlich sind.
Fazit
Die bisherige restriktive Auslegung und Anwendung des § 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG durch die
Finanzverwaltung und die finanzgerichtliche Instanzrechtsprechung bedarf nicht nur
aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 9 StromStG und § 53
EnergieStG, sondern erst recht nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum
dual-use-Begriff und des Bundesfinanzhofs zu § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. d EnergieStG der Überprüfung und Revision. Maßgeblich für die Begünstigung der Verwendung von Strom nach § 9a
StromStG muss sein, dass der Stromeinsatz zur Durchführung eines bestimmten einheitlichen Produktionsverfahrens erforderlich ist. Nur diese Auslegung genügt dem – auch
politisch gewollten – Zweck der Vorschrift, die Abwanderung von Industriebetrieben aus
Deutschland zu verhindern.
34
Vgl. Einleitung der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung v. 16. März 2006, BR-Drs. 206/06.
35
So auch Friedrich, in: Friedrich/Meißner, Energiesteuern, 34. Ergänzungslieferung, Stand: 2014, § 9a, Rn 5.
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© Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Juni 2015, 03485