Der Sinn und Unsinn von 24-Stunden

Der Sinn und Unsinn von 24-Stunden-Versicherungen
Gegen Freizeitgefahren wie etwa tödliche Golfball-Querschläger kann man sich für einen oder wenige
Tage absichern. Das kostet ein paar Euro und viele Verträge wirken skurril. Taugen sie vielleicht doch
etwas?
Das Leben ist ein Abenteuer. Vor allem in der Freizeit. Beim Surfen kann einem das Segel auf den Kopf fallen.
Im Schwimmbad droht der Sturz vom Drei-Meter-Brett. Und beim Golf drohen Zahnschäden, wenn der Ball
oder Schläger nicht da landet wo er hin soll.
Doch keine Angst. Gegen solche Gefahren kann man sich absichern. Mit Kurzzeitpolicen, die sofort gelten und
nur wenige Tage laufen. Mit wenigen Klicks lassen sich über Smartphone oder Tablet Mini-Policen
abschließen.
Möglich ist das unter anderem über die App „Appsichern“, die das Düsseldorfer Startup Situative im Herbst
2013 auf den Markt gebracht hat. Nach einer einmaligen Registrierung lassen sich Kurzzeitversicherungen für
sich selbst und oder eine andere Person mit wenigen Klicks abschließen.
Die Preise reichen von 1,49 Euro pro Tag für Versicherungen von Kita- und Schulausflügen bis hin zu 6,99
Euro täglich für Drittfahrer-Versicherungen bei Autos. Je nach Wunsch tritt die Police sofort oder zu einem
späteren Zeitpunkt in Kraft. Auch die Laufzeit kann bis auf die Minute genau angepasst werden und von 24
Stunden bis zu mehreren Wochen dauern. Bezahlt wird per Kreditkarte, Sofortüberweisung oder Paypal.
Wie dieser Schutz in der Praxis aussieht, zeigt ein Blick Bedingungen dieser Mini-Policen. Golfer können sich
etwa gegen Unfälle schützen. Bei Zahnschäden – etwa wenn ein fremder Ball im eigenen Gebiss landet - zahlt
der Versicherer zum Beispiel bis zu 350 Euro. Im Todesfall gibt es bis zu 30.000 Euro für den Berechtigten.
Aus das Gepäck lässt sich absichern mit 1.500 Euro. Nicht zuletzt gibt es eine Hole-in-One-Police. Die schützt
den Golfer, der den Ball direkt beim ersten Anschlag im Loch versenkt. Denn in diesem Falle fällt eine
Lokalrunde im Clubheim an.
Auch wenn solche Policen nicht nur auf dem ersten Blick wie eine Satire auf einen seriösen Risikoschutz
erscheinen, so werden sie trotzdem abgeschlossen. Wie viele Policen bisher genau über die App „Appsichern“
abgeschlossen wurden, möchte Situative-Gründer und Geschäftsführer Lennart Wulff zwar nicht verraten. Im
vergangenen Jahr habe die Zahl aber im vierstelligen Bereich gelegen. „Besonders gut verkaufen sich
Versicherungen aus dem Bereich Mobilität“, erklärt der Online-Makler.
Zu diesem Bereich gehören beispielsweise Versicherungen für Drittfahrer, eine Police für Mietwagen und ein
Schutz für Probefahrten. Tatsächlich haften mussten die Versicherer nach Wulffs Angaben jedoch bisher
kaum. Und wenn doch, dann ausschließlich für Schäden an Mietwagen.
Quelle: handelsblatt.com
Gag oder sinnvoller Schutz?
Mit seiner App möchte Wulff eine flexible Alternative zu herkömmlichen Versicherungsmodellen schaffen.
„Unsere Kunden sind oft die, die gar keine Versicherung haben und ihre Risiken kurzfristig absichern wollen“
sagt er. Hinter den Versicherungsangeboten steht nicht die Firma Situative selbst, sondern bekannte
Versicherer wie ARAG, Kiln oder Die Bayerische. Situative übernimmt ausschließlich die Vermittlung.
Und der Schutz gilt nicht nur für sich selbst. Der „Kita-Ausflugschutz“ deckt etwa minutengenau die Risiken
von Klein- und Krabbelkindern bei Wandertagen ab. Der Tod des Kindes ist mit 10.000 Euro versichert,
bleibende Schäden mit bis zu 50.000 Euro. Bei den meisten Policen, die sich über das Portal „Appsichern“
abschließen lassen, gelten diese Versicherungssummen bei Invalidität oder Todesfällen. Eine echte
Alternative zu einem seriösen Risikoschutz mit Invaliditätspolicen sind solche Verträge in den meisten Fällen
eher nicht.
Mehr für einen „Gag“ als für einen sinnvollen Schutz hält Bianca Boss vom Bund der Versicherten die
Kurzzeitpolicen. „Das sind in der Regel unnütze Verträge“, sagt sie. „Eine Versicherung lohnt sich nur, wenn
sie existenzielle Risiken absichert und das ist bei diesen Versicherungen in der Regel nicht der Fall.“ Zudem
hält sie die Versicherungssummen für viel zu gering.
Auch Rita Reichard von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen findet das Preis-Leistungsverhältnis
ungerechtfertigt. „Bei einer Unfallversicherung mit Jahresprämie ist die Vereinbarung eine
Versicherungssumme bei Vollinvalidität von mindestens 500.000 Euro empfohlen“, sagt sie. Gleichzeitig sei
eine Unfallversicherung, die ganzjährig gilt, heruntergerechnet sehr viel günstiger als die Preise der
Kurzzeitversicherungen. Für diese Unterschiede hat Wulff eine Erklärung: „Bisher hat niemand Erfahrungen,
ob bei kurzfristigen Versicherungen das Risiko höher ist als bei Jahrespolicen“, sagt er.
Ein weiteres Problem sieht Reichard darin, dass sich die Kunden bei einer Versicherung, die über das
Smartphone abgeschlossen wird, nicht ausreichend über die Konditionen informieren. „Wer per App eine
Versicherung abschließt, bekommt die Versicherungsbedingungen auch auf das Handy und die
Wahrscheinlichkeit, dass dann noch jemand das Kleingedruckte liest, tendiert gegen null“, sagt sie.
Quelle: handelsblatt.com
Schutz gegen Drohnen und für den Kinderwagen
Doch gerade im Kleingedruckten lauern Gefahren. So etwa beim „Stadionschutz“. Fußballfans können so eine
Police abschließen, wenn sie Angst vor Verletzungen haben. Ein Blick ins Kleingedruckte dürfte manchen
Fußballfan allerdings vergraulen. Denn der Schutz gilt nicht, wenn der Versicherte Alkohol getrunken hat –
unabhängig davon, ob der Alkohol Ursache des Unfalls war. Nicht nur Bierfreunde, auch Hooligans sollten die
Police meiden. Die Folgen von Straftaten zahlt der Versicherer nicht. „Die Versicherungsbedingungen
stammen von den Versicherern“, erklärt Wulff. „Wir bemühen uns aber sie möglichst transparent zu machen.“
Grundsätzlich abraten möchte Verbraucherschützerin Reichard von Kurzzeitpolicen trotz allem nicht. „Es
hängt davon ab, gegen was ich mich versichere“, sagt sie. „Risiken bei einem Stadionbesuch sichere ich
besser mit einer ganzjährigen Unfallversicherung ab. Aber wenn ich mir beispielsweise ein Auto leihe, kann
eine Versicherung, die im Falle eines Unfalls die Selbstbeteiligung ausschließt, durchaus sinnvoll sein.“
Auch Boss macht eine Ausnahme: „Die Krankenkasse zahlt den medizinischen Rücktransport aus dem
Ausland nicht. Daher ist eine Auslandsreisekrankenversicherung immer zu empfehlen.“ In allen anderen
Fällen rät aber auch sie dazu, eine Unfallversicherung und eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit langen
Laufzeiten abzuschließen.
Der Mini-Policen-Anbieter Wulff lässt sich von den Bedenken der Verbraucherschützer nicht abschrecken. Er
plant schon den Vertrieb von neuen, noch schrilleren Policen - darunter eine Kinderwagenversicherung, eine
Drohnenversicherung und Versicherungen für Events.
Quelle: handelsblatt.com