Interessant Entscheidungen im Newsletter Oktober 2010

Interessante Entscheidungen September / Oktober 2015
Das Recht auf Auskunft über die Beitragszahlung des Arbeitgebers an die Krankenkasse.
Hessisches LSG, Urteil vom 14.07.2015, Aktenzeichen L 8 KR 158/14
Eine Arbeitnehmerin hatte erfahren, dass ihr früherer Arbeitgeber die Beiträge zu den
Sozialversicherungen nicht ordnungsgemäß abgeführt hat. Sie rief deshalb bei der zuständigen Krankenkasse an und begehrte Auskunft darüber, ob diese Mitteilung tatsächlich stimme. Die Krankenkasse hat ihr die Auskunft verweigert, da eine Einwilligung des
früheren Arbeitgebers zur Auskunftserteilung nicht vorliege.
Das Hessische Landessozialgericht hat nun bestätigt, dass Arbeitnehmer Anspruch auf
Auskunft über die Beitragszahlungen des Arbeitgebers haben. Dies folgt schon aus dem
Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Grundgesetz). Ein Arbeitnehmer hat
das Recht zu wissen, welche personenbezogenen Daten über ihn gespeichert werden.
Hierzu zählt auch das Datum, ob der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge korrekt
abgeführt hat.
Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Betriebsvereinbarung?
LAG Hamm, Urteil vom 14.01.2015, Aktenzeichen 4 Sa 1176/14
Das LAG Hamm hatte darüber zu entscheiden, ob ein Betriebsrat rechtswirksam mit der
Arbeitgeberseite eine Betriebsvereinbarung abschließen kann, nach der die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Betrieb ohne Kündigung mit
Ablauf des Monats enden, in welchem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Altersgrenze für die Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Abschläge erreicht haben.
Der Betriebsrat hatte eine solche Betriebsvereinbarung geschlossen. Daraufhin schied
der Arbeitnehmer und Betriebsratsvorsitzende vier Monate später aus dem Betrieb aus,
da er das Rentenregelalter erreicht hatte, in dem er ohne gesetzliche Abschläge Altersrente beziehen konnte. Gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses setzte sich
der Kläger zur Wehr.
Das LAG Hamm war der Rechtsauffassung, dass eine solche Vereinbarung grundsätzlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung getroffen werden
kann und eine solche Betriebsvereinbarung nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen
würde.
Insbesondere sei das Günstigkeitsprinzip nicht betroffen. Zwar enthält der Arbeitsvertrag
keine solche Klausel, nach der das Arbeitsverhältnis bei Erreichen einer bestimmten
Altersgrenze endet. Aber da der Arbeitsvertrag generell keine Beendigungsklausel enthalte, kann das Günstigkeitsprinzip nicht zur Anwendung kommen. Nach Auffassung des
LAG Hamm existiert schlichtweg keine Klausel, die günstiger wäre als die in der Betriebsvereinbarung festgehaltene, da der Arbeitsvertrag nämlich schlichtweg keine Regelungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalte, weder positive noch negative.
Aus diesem Grund hält es das LAG Hamm für gerechtfertigt, dass Betriebsrat und Arbeitgeber Regelungen vereinbaren, die zu Lasten des Klägers das Arbeitsverhältnis bei
Erreichen einer bestimmten Altersgrenze beenden.
Im konkreten Fall hat der Kläger jedoch die Klage deshalb gewonnen, weil die Betriebsvereinbarung keine Übergangsregelungen vorsah und der Kläger nach Abschluss der
Betriebsvereinbarung bereits innerhalb von vier Monaten aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden musste. Dies hält das LAG Hamm nicht für gerechtfertigt, da in diesem Fall
noch nicht einmal die arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist eingehalten wurde.
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Interessante Entscheidungen September / Oktober 2015
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Für die Praxis:
Zwar besteht die Möglichkeit, im Klagewege gegen diese Beendigung vorzugehen, der
Ausgang des Rechtsstreits ist jedoch ungewiss.
Während der Freistellungsphase in der Altersteilzeit darf der Dienstwagen auch zur
privaten Nutzung weiter verwendet werden.
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2015, Aktenzeichen 5 Sa 565/14
Das LAG Rheinland-Pfalz hatte zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer während der Freistellungsphase der Altersteilzeit den Dienstwagen zur privaten Nutzung weiter behalten
und verwenden darf. In dem Betrieb bestand keine Regelung zur Dienstwagennutzung.
Es waren auch keine Vereinbarungen getroffen worden, unter welchen Umständen der
Dienstwagen vorzeitig zurückgegeben werden muss.
Das Altersteilzeitverhältnis ist ein Teilzeitarbeitsverhältnis und unterliegt deshalb dem
Diskriminierungsschutz nach § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz. Das LAG RheinlandPfalz hat deshalb entschieden, dass alle nicht teilbaren Leistungen dem Arbeitnehmer
auch während der Freistellungsphase der Altersteilzeit zur Verfügung stehen müssen.
Ein Entzug des Dienstwagens, der auch zur privaten Nutzung überlassen worden ist,
stelle ansonsten eine Benachteiligung des Teilzeitbeschäftigten dar. Da ein Dienstwagen
zur privaten Nutzung aus faktischen Gründen nicht lediglich zu 50% zur Verfügung gestellt werden kann, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diesen nicht nur während der Arbeitsphase, sondern auch während der Freistellungsphase zu 100% zur Verfügung zu stellen.
Mit diesem Urteil ist die 5. Kammer des LAG Rheinland-Pfalz einen anderen Weg gegangen als die 11. Kammer desselben Landesarbeitsgerichts. Die 11. Kammer des LAG
Rheinland-Pfalz war der Rechtsauffassung, dass der Dienstwagen, auch wenn er zur
privaten Nutzung überlassen worden ist, während der Freistellungsphase zurückgegeben
werden muss.
Den Streit wird nun das Bundesarbeitsgericht beenden müssen.
Für die Praxis:
Im Rahmen von Altersteilzeitverhältnissen sollte darauf geachtet werden, dass die Kolleginnen und Kollegen den Dienstwagen auch während der Freistellungsphase zur privaten
Nutzung zur Verfügung gestellt bekommen. Die Argumente der 5. Kammer des LAG
Rheinland-Pfalz sind sehr überzeugend. Insbesondere sollten davon betroffene Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Rechte sichern, so dass sie für den Fall einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zumindest gegebenenfalls Schadenersatzansprüche wegen des Entzugs des Dienstwagens geltend machen können. Den Betriebsräten
wird empfohlen, die Kolleginnen und Kollegen hierauf hinzuweisen.
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Die Vereinbarung von so genannten Binnendifferenzierungsklauseln in (Sozial-)
Tarifverträgen ist zulässig. So können Gewerkschaftsmitglieder wirksam Vorteile
erlangen.
BAG, Urteil vom 15.04.2015, Aktenzeichen 4 AZR 796/13
Anlässlich eines interessenausgleichpflichtigen Personalabbaus hat die Gewerkschaft mit
der Arbeitgeberin einen Transfer- und Sozialtarifvertrag abgeschlossen, der Abfindungsleistungen für die betroffenen Beschäftigten vorsah und die Errichtung einer Transfergesellschaft, in die die vom Personalabbau Betroffenen für die Dauer von 24 Monaten
wechseln konnten. Am gleichen Tag schlossen die Gewerkschaft und die Arbeitgeberin
einen weiteren Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag ab. Von diesem Ergänzungstarifvertrag sind nach den Regelungen des persönlichen Geltungsbereichs ausschließlich
diejenigen Gewerkschaftsmitglieder erfasst, die zu einem bestimmten Stichtag bereits
Mitglieder waren. Der Ergänzungstarifvertrag sieht eine Erhöhung der Abfindung pro
Beschäftigten um 10.000,00 € und die Erhöhung der Vergütung in der Transfergesellschaft vor. Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin haben in den betrieblichen Verhandlungen auf den Abschluss eines gesonderten Sozialplans verzichtet und nur die Regelungen
des Transfer- und Sozialtarifvertrag, nicht aber auch die des Ergänzungstarifvertrags
übernommen. Die Klägerin ist erst nach dem im Ergänzungstarifvertrag genannten Stichtag in die Gewerkschaft eingetreten. Mit der vorliegenden Klage begehrte sie die höhere
Abfindungszahlung und die höhere Vergütung in der Transfergesellschaft. Sie war der
Meinung, dass die Regelungen des Ergänzungstarifvertrags sie in ihrer negativen Koalitionsfreiheit verletze und daher unzulässig seien. Sie müsse daher so behandelt werden
wie diejenigen, die vor dem Stichtag bereits Gewerkschaftsmitglieder waren. Die Klage
blieb in allen Instanzen erfolglos.
Das BAG hat dabei zunächst festgestellt, dass die allgemeine Verweisungsklausel auf
die gültigen Tarifverträge, die im Arbeitsvertrag der Klägerin enthalten ist, den geltend
gemachten Anspruch nicht rechtfertigen kann, denn die Verweisungsklausel bewirkt zwar
die Geltung des Ergänzungstarifvertrags im Arbeitsverhältnis der Klägerin, dennoch
müssen aber immer auch die dort vereinbarten persönlichen Voraussetzungen (hier:
Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag) erfüllt sein. Da diese nicht gegeben sind,
konnte die Klägerin sich nicht auf die Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag stützen.
Daher hat das BAG in der Folge geprüft, ob die im Ergänzungstarifvertrag vereinbarte
Stichtagsregelung wirksam ist und nicht gegen grundsätzliche Rechtsgrundsätze verstößt. Dabei hat das BAG die Stichtagsregelung zunächst nicht als eine einfache Differenzierungsklausel bewertet. Eine solche einfache Differenzierungsklausel liegt dann vor,
wenn der Tarifvertrag zwischen organisierten und nicht organisierten Beschäftigten (so
genannte Außenseiter) unterscheidet. Solche Klauseln sind grundsätzlich unzulässig.
Das BAG hat die Stichtagsregelung aber als Binnendifferenzierungsklausel bewertet, die
zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern unterschiedliche Regelungen vorsieht. Derartige Binnendifferenzierungen sind immer dann zulässig, wenn sie
nicht gegen den grundgesetzlich geschützten Gleichheitsgrundsatz und nicht gegen die
negative Koalitionsfreiheit verstoßen, indem sie einen unerträglichen Druck auf nicht
organisierte Beschäftigte ausüben. Beides hat das BAG im vorliegenden Fall verneint.
Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nicht vor, da die Tarifvertragsparteien den ihnen durch Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten haben. Der Ergänzungstarifvertrag bezieht sich auf einen einzelnen singulären Vorgang (hier: der Personalabbau) und beinhaltet ausschließlich Regelungen, die sich auf diesen Vorgang beziehen. Daher erscheint es nicht ungerechtfer-
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tigt, einen zusätzlichen Nachteilsausgleich in Form höherer Leistungen für diejenigen zu
vereinbaren, die vor dem Tarifabschluss – also dem Stichtag – bereits Gewerkschaftsmitglieder waren. Der Ergänzungstarifvertrag verletzt aber auch nicht die so genannte
negative Koalitionsfreiheit, denn er übt keinen unerträglichen Druck auf nicht organisierte
Beschäftigte aus. Dass der Ergänzungsvertrag keine Wirkung für die Klägerin entfaltet,
die zum Zeitpunkt des Abschlusses noch nicht organisiert war, ergibt sich nicht aus der
normativen, d.h. unmittelbaren Wirkung des Tarifvertrags, sondern aus der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel. Will ein nicht organisierter Beschäftigter die Regelungen
eines Tarifvertrags auch für den Fall angewendet wissen, dass die persönlichen Voraussetzungen des Tarifvertrags (hier: Mitgliedschaft zu einem bestimmten Stichtag) nicht
vorliegen, so muss er dies im Arbeitsvertrag durch eine entsprechende Verweisungsklausel vereinbaren. Er muss also den Arbeitgeber und nicht die Gewerkschaft davon
überzeugen, dass im Arbeitsvertrag eine Verweisungsklausel aufgenommen wird, die
über die allgemeine hinausgeht. Daher geht von einer solchen Binnendifferenzierungsklausel in Form einer Stichtagsklausel kein höherer Druck aus, als derjenige, der immer
dann besteht, wenn der Arbeitsvertrag ungünstigere Regelungen enthält als ein Tarifvertrag. Da die Regelung des Ergänzungstarifvertrags auch das Sozialplanvolumen nicht
ausgezehrt hat, ist die Stichtagsregelung wirksam. Somit hat die Klägerin keinen Anspruch auf die höhere Abfindung aus dem Ergänzungstarifvertrag, da sie dessen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Entscheidung zeigt, dass solche Binnendifferenzierungsklauseln gut geeignet sind, jedenfalls bei einmaligen Vorgängen wie Personalabbaumaßnahmen Gewerkschaftsmitglieder zu begünstigen. Das kann immer dann gelingen, wenn
Betriebsräte und Gewerkschaft gemeinsam und abgestimmt agieren.
Ein betriebsbedingter Personalabbau und dessen Umfang stellt grundsätzlich kein
Geschäftsgeheimnis gemäß § 79 BetrVG dar
LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.05.2015, Aktenzeichen 3 TaBV 35/14
Die Arbeitgeberin ist in großes Pharmaunternehmen, das seinen Außendienst in vier
Sparten organisiert hat. Ende August 2014 hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat und den
Wirtschaftsausschuss gemeinsam darüber informiert, dass sie beabsichtigt, eine der vier
Außendienstsparten zu schließen. Damit einher geht der Abbau von annähernd 300 Stellen. Die Information erfolgte in Form einer mehrseitigen PowerPoint-Präsentation. Nach
Ende der Präsentation teilte die Arbeitgeberin mit, dass sie davon ausgeht, dass hiermit
alle notwendigen Informationen erteilt seien. Sie forderte den Betriebsrat auf, unverzüglich in Verhandlungen zu einem Interessenausgleich zu treten und nannte auch schon
Termine. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass sie davon ausgeht, dass alle erteilten
Informationen streng vertraulich seien und daher der Geheimhaltungspflicht des § 79
BetrVG unterliegen. Dies gelte auch für die Tatsache, dass ein betriebsändernder Personalabbau geplant sei sowie für den Umfang desselben. Sie begründete die Geheimhaltungspflicht damit, dass sie Unruhe in der Belegschaft fürchte, in Ruhe gemeinsam eine
Lösung mit dem Betriebsrat erarbeiten wolle und dies den Beschäftigten helfe, da die
gemeinsame Lösung gemeinsam kommuniziert werde. Nach dem ersten Gespräch
wandte sich der Betriebsrat an die Arbeitgeberin und teilte ihr mit, dass er nicht von einer
Geheimhaltungspflicht ausgehe und beabsichtige, die Beschäftigen über den Umstand
der geplanten Betriebsänderung zu informieren. Daraufhin bekräftigte die Arbeitgeberin
ihre Ansicht, wonach die Informationen der Geheimhaltung unterlägen und drohte darüber hinaus jedem Betriebsratsmitglied an, es persönlich straf- und haftungsrechtlich zur
Verantwortung zu ziehen. Dies veranlasste den Betriebsrat dazu, das vorliegende Beschlussverfahren einzuleiten und zu beantragen, festzustellen, dass der mitgeteilte beab-
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sichtigte betriebsändernde Personalabbau und dessen Umfang kein Geschäftsgeheimnis
ist. Der Betriebsrat hat sowohl vor dem Arbeits- als auch vor dem Landesarbeitsgericht
gewonnen.
Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der Personalabbau und dessen
Umfang als solches keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse i.S.d. § 79 BetrVG sind.
Ein solches Geheimnis liegt nur vor, wenn es sich um Tatsachen handelt, die nicht offenkundig und nach dem ausdrücklichen Willen der Arbeitgeberin geheim zu halten sind und
darüber hinaus die Arbeitgeberin ein berechtigtes wirtschaftliches, an objektiven Kriterien
zu beurteilendes Interesse an der Geheimhaltung hat. Ein solches berechtigtes wirtschaftliches Interesse ist aber hinsichtlich des geplanten Personalabbaus und dessen
Umfang nicht gegeben. Ein solches wirtschaftliches Interesse setzt zwingend voraus,
dass konkurrierende Unternehmen von der Kenntnis des Personalabbaus und dessen
Umfang noch vor Abschluss des Interessenausgleichs und vor dessen Umsetzung unmittelbar einen Vorteil erlangen könnten, der zum Nachteil der Arbeitgeberin wird. Einen
solchen konkreten Nachteil hat sie jedoch nicht ansatzweise vorgetragen, sondern nur
allgemein einen solchen behauptet. Vielmehr hat sie die Geheimhaltung stets damit begründet, dass diese erforderlich ist, um einen ungestörten Betriebsablauf bis zum Ende
der Interessenausgleichsverhandlungen zu gewährleisten und keine Unruhe unter den
Beschäftigten aufkommen zu lassen. Dies aber kann das Geheimhaltungsbedürfnis nicht
rechtfertigen. Würde man die Ruhe unter den Beschäftigten zum Maßstab machen, so
das LAG weiter, würde man den Betriebsrat in seiner Aufgabenwahrnehmung unzulässig
behindern. Denn eine sachgerechte Wahrnehmung der Interessen der Belegschaft und
damit der betroffenen Beschäftigten setzt zwingend voraus, dass der Betriebsrat sich mit
diesen austauschen kann. Eine sachgerechte Wahrnehmung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte ist ohne Meinungsaustausch zwischen Belegschaft und Betriebsrat
nicht denkbar. Daher muss der Betriebsrat in der Regel ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Unterrichtung über den betriebsändernden Personalabbau berechtigt sein, sich mit
seinen Wählern, also den Beschäftigten, auszutauschen und zu kommunizieren, denn
ohne diese Kommunikation könne der Betriebsrat nicht eruieren, was die konkreten Interessen der Beschäftigten sind. Die Unruhe, die in der Belegschaft durch diese Kommunikation entstehen könne und die damit möglicherweise einhergehende Beeinträchtigung
der Betriebsfähigkeit muss die Arbeitgeberin hinnehmen, sie stellt jedenfalls kein schutzwürdiges Interesse i.S.d. § 79 BetrVG dar. Denn dass ein Personalabbau für Unruhe in
der Belegschaft sorgt, liegt in der Natur der Sache, da es ja um die wirtschaftliche Existenz der Beschäftigten geht.
Die Übertragung von Personalverantwortung auf einen Beschäftigten eines anderen Betriebs stellt für den Einsatzbetrieb eine Einstellung nach § 99 BetrVG dar.
LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.06.2015, Aktenzeichen 17 TaBV 277/15
Die Arbeitgeberin unterhält in Deutschland mehrere Betriebe in unterschiedlichen Städten. Ihre Personalführungsorganisation ist in Form einer so genannten Matrixorganisation
strukturiert. Das bedeutet, dass die jeweiligen Teams in den einzelnen Betrieben von
Vorgesetzten geführt werden, die nicht notwendig im selben Betrieb tätig sind. Sie können die Vorgesetztenaufgaben auch von einem anderen Standort ausüben und sogar bei
einer anderen konzernangehörigen Gesellschaft (also bei einer anderen Arbeitgeberin)
tätig sein. Ihre Vorgesetztentätigkeit führen sie dann von ihrem Standort aus und zwar
mit Hilfe der modernen Informations- und Kommunikationsmittel, also E-Mail, Intranet
und Internet. Nur gelegentlich suchen sie den Betrieb auf und haben dort in der Regel
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keinen eigenen Schreibtisch. In der vorliegenden Fallkonstellation war es so, dass die
Arbeitgeberin die Vorgesetztenfunktion einschließlich der Personalführung einem Beschäftigten übertragen hat, der nicht im Berliner Betrieb seinen Standort hat. Die Arbeitgeberin hat den Berliner Betriebsrat zu dieser Aufgabenübertragung nicht gemäß § 99
BetrVG beteiligt, sondern schlicht die Aufgaben übertragen. Der Betriebsrat hat sich hiergegen gewehrt und ein Verfahren nach § 101 BetrVG eingeleitet mit dem Ziel, die Maßnahme aufheben zu lassen, da in der Aufgabenübertragung eine Einstellung i.S.d. § 99
BetrVG zu sehen ist. Das LAG hat dem Betriebsrat nun Recht gegeben. Eine Einstellung
liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG immer dann vor, wenn der betroffene
Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert wird. Eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn
der Beschäftigte in einem Arbeitsverhältnis steht und innerhalb der Betriebsorganisation
abhängige Arbeitsleistungen erbringt, die der Verwirklichung des Betriebszwecks dienen.
Im Rahmen von unternehmensübergreifenden Matrixstrukturen kann dies schon darin
liegen, dass ein Beschäftigter eines anderen Betriebs oder Unternehmens zum Vorgesetzten wird. Dies setzt nicht notwendig voraus, dass dieser Beschäftigte selbst seinen
Arbeitsplatz im Betrieb hat. Denn hierauf kommt es – so das LAG – nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass der Beschäftigte selbst weisungsabhängig tätig ist – was bei einem Beschäftigten im Arbeitsverhältnis immer gegeben ist – und dass seine Tätigkeit
dem Zweck des Einsatzbetriebs diene. Da aber ohne Personalführung die Tätigkeiten
und Aufgaben des Betriebs nicht sachgerecht und zweckmäßig erfüllt werden können,
stellt die Übertragung der Vorgesetztenfunktion eine Einstellung dar. Dieses Ergebnis
wird auch durch den Gesetzeszweck des § 99 BetrVG gerechtfertigt, da dieser dem Betriebsrat die Aufgabe zukommen lässt, die Verteilung der vorhandenen Tätigkeiten auf
die Belegschaft und deren Auswirkungen zu prüfen. Dies gilt ebenso für Vorgesetztentätigkeiten, sofern diese Beschäftigten nicht leitende Angestellte sind. Außerdem sind Zustimmungsverweigerungsgründe gerade auch in einer solchen Situation denkbar.
Eine krankheitsbedingte Kündigung eines mit einem Schwerbehinderten Gleichgestellten ohne Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements führt
zu einer erhöhten Beweislast für den Arbeitgeber und macht die Kündigung angreifbar.
BAG, Urteil vom 20.11.2014, Aktenzeichen 2 AZR 664/13
Die Arbeitgeberin ist im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik tätig
und betreibt bundesweit eine Vielzahl von Betrieben. Der im Jahr 1957 geborene Kläger
ist seit 2001 als Call-Center-Agent im Betrieb tätig, der aus den Standorten Essen und
Erfurt besteht. Der Kläger ist in Erfurt tätig. Seit 2007 ist er einem schwerbehinderten
Menschen gleichgestellt. Grund für den Grad der Behinderung ist ein beidseitiger Tinnitus, den der Kläger nach seinen Angaben während der Tätigkeit bei der Arbeitgeberin
erlitten hat. Ab November 2006 war er dauerhaft arbeitsunfähig, ab Juni 2007 erhielt er
eine befristete Erwerbsminderungsrente. Im Mai 2010 beantragte die Arbeitgeberin die
krankheitsbedingte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses beim zuständigen
Integrationsamt, das die Zustimmung erteilte. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch
wurde nicht abgeholfen. Das Integrationsamt führt in den Bescheiden aus, dass der Kläger nicht länger als drei Stunden auf seinem vertraglich vereinbarten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann. Zwar hat die Arbeitgeberin kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, dieses sei aber entbehrlich gewesen – so das Integrationsamt
weiter – denn dieses hätte die Kündigung nicht verhindern können. Nachdem der Kläger
in erster und zweiter Instanz sein Kündigungsschutzverfahren verloren hat, gab ihm das
BAG Recht. Zwar ist mit Blick auf die Erkrankung des Klägers und seine diesbezüglichen
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Interessante Entscheidungen September / Oktober 2015
Einlassungen im Verfahren davon auszugehen, dass er nicht mehr auf seinem bisherigen
Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, so dass eine negative Prognose gegeben ist. Auch
muss die Arbeitgeberin keinen besetzten Arbeitsplatz freikündigen, wenn solche Arbeitsplätze mit solchen Beschäftigten besetzt sind, die wegen deren vertraglichen Bedingungen nicht versetzt werden können. Trotz all dieser ungünstigen Bedingungen für den
Beschäftigten hätte die Arbeitgeberin aber ein betriebliches Eingliederungsmanagement
durchführen müssen und hätte sich nicht einzig und allein darauf berufen können, dieses
sei ohnehin erfolglos gewesen, da es keine alternativen Einsatzmöglichkeiten gegeben
habe. Führt ein Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durch, so
muss er im Kündigungsschutzverfahren von sich aus sämtliche möglichen Einsatzmöglichkeiten und sämtliche Alternativen in Betracht ziehen, prüfen und würdigen sowie darlegen und beweisen, warum alle diese Einsatzmöglichkeiten nicht erfolgreich die krankheitsbedingten Fehlzeiten reduzieren können. Dabei muss er insbesondere die Anpassungsmöglichkeiten technischer und organisatorischer Art in die Prüfung mit einbeziehen. Die Arbeitgeberin muss also im Kündigungsschutzverfahren durch konkreten Vortrag von Tatsachen die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements darlegen und beweisen. Dies kann sie nur erreichen, wenn ein solches Verfahren
unter keinen denkbaren Umständen erfolgreich sein könnte, wenn also unter keinem
denkbaren Umstand eine Verminderung der Krankheitszeiten denkbar ist. Dabei kann
sich die Arbeitgeberin nicht darauf berufen, das Integrationsamt habe ja die Zustimmung
erteilt und festgestellt, dass das Eingliederungsmanagement nicht erfolgreich hätte sein
können. Denn das Integrationsamt hat dies vorliegend nur behauptet. Einen konkreten
Vortrag hat die Arbeitgeberin auch im Integrationsamtsverfahren nicht vorgenommen,
das Integrationsamt hat die bloße Behauptung der Arbeitgeberin nicht überprüft mit der
Folge, dass es im anschließenden Kündigungsschutzverfahren die Pflicht der Arbeitgeberin war, die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu
beweisen. Die Nutzlosigkeit muss die Arbeitgeberin entweder lückenlos im Integrationsamtsverfahren oder aber im Kündigungsschutzverfahren beweisen. Diese sehr hohe
Hürde hat die Arbeitgeberin nicht darlegen können, weshalb der Kläger erfolgreich war.
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