Rechtsmedizin und Community Medicine B. Bockholdt Institut für Rechtsmedizin Universitätsklinikum Greifswald Kuhstr. 30, 17489 Greifswald Tel.: 03834/865743 Email: [email protected] 1 Geschichtliches 1886 als 25. Sektion der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin etabliert 1904 Gründung der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Gerichtliche Medizin in Breslau (76. Tagung der GDNÄ) Gastvortrag P. Uhlenhuth (HGW) 2 Geschichtliches: seit 5.07.1924 war Gerichtsmedizin eigenständiges Fach im Staatsexamen Situation in Greifswald: erster Beleg für rechtsmed. Tätigkeit: 1451 Stadtverfassung von. H. Rubenow: „..Anzeigepflicht der Stadtärzte bei Verletzungen von denen anzunehmen ist, dass sie im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen zustande gekommen sind…“ erste Vorlesungen 18.Jh. 1870 erstmals Institut (noch außerhalb der Universität) 1919 Trennung der gerichtsmedizinischen Aufgaben von denen des Kreisarztes 3 Aufgaben der Forensische Medizin und klinischen Rechtsmedizin: gerichtliche Obduktionen nach §§87- 91 StPO qualifizierte rechtsmedizinische Leichenschau bei unklaren Todesfällen zweite Leichenschau vor der Feuerbestattung nach §12 BestattG MV rechtsmedizinische körperliche Untersuchung an lebenden Personen nach §81a, c, d StPO rechtsmedizinische konsiliarärztliche Untersuchungen Kausalzusammenhangsgutachten nach Aktenlage Alkoholrückrechnungsgutachten/Begleitstoffanalysen 4 Körperliche Untersuchung von lebenden Personen für Polizei/StA: zur Beurteilung der Art der Gewalteinwirkung zur Tatrekonstruktion (Sturz oder Schlag, Selbst oder Fremd) zur Beurteilung der Lebensgefahr zur Einschätzung von Spätschäden Körperliche Untersuchung von lebenden Personen für die Ärzte in der Klinik: konsiliarärztlich für die Klinik Körperliche Untersuchung von lebenden Personen für Privatpersonen: 5 zur Befunddokumentation Aufgaben der Forensische Toxikologie und Alkoholanalytik: Untersuchungen auf Alkohol und Betäubungsmittel bei lebenden Personen überwiegend aus dem Straßenverkehrsbereich (§24a StVG, §§ 315, 316, 44, 69 StGB) im Rahmen der Fahreignungsbegutachtung (§2StVG, FeV) im Rahmen der Abstinenzkontrolle z.B. Vorbereitung einer MPU zur Klärung von Eignungszweifeln i. H. auf die Fahrtüchtigkeit bei Privatpersonen, Führerscheinbehörden u. Suchtberatungsstellen (§§11, 13, 14 FeV) 6 Aufgaben der Forensischen Molekulargenetik: molekulargenetische Untersuchungen von Mundschleimhautabrieben und sämtlichen anderen biologischen Proben (Blut, Gewebe, Knochen usw.) molekulargenetische Untersuchungen von sämtlichen Spurenträgern im Rahmen von polizeilich bzw. staatsanwaltlich geführten Ermittlungsverfahren Paternitätsgutachten für Gerichte und Privatpersonen Verwandtschaftsuntersuchungen Identifizierung unbekannter Toter 7 Radiologie ? Innere Medizin Chirurgie Allgemeinmedizin COMMUNITY MEDICINE epidemiolog. Untersuchung über Leben und Gesundheit Datenerhebung Publikation 8 Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen MV vom 3. Juli 1998 = BestattG MV http://www.mv-regierung.de/laris/ ► Volltextsuche►Bestattungsgesetz 9 Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen MV vom 3. Juli 1998 = BestattG MV §1 Begriffsbestimmung (1) Leiche i.S. dieses Gesetzes ist der Körper eines Menschen, bei dem sichere Zeichen des Todes bestehen oder der Tod auf eine andere Weise zuverlässig festgestellt worden ist. Als Leiche gilt auch der Körper eines Neugeborenen, bei dem nach vollständigem Verlassen des Mutterleibes 1. entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat und das danach verstorben ist. 2. Keines der o.g. Lebenszeichen festzustellen war, das Geburtsgewicht jedoch mindestens 500g betrug (Totgeborenes). 10 Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen MV vom 3. Juli 1998 = BestattG MV §3 Ärztliche Leichenschau (1) Jede Leiche ist zur Feststellung des Todes, des Todeszeitpunktes, der Todesursache und der Todesart von einem Arzt zu untersuchen. (Leichenschau). (2) Die Leichenschau haben unverzüglich zu veranlassen:...... 1. die im Haushalt des Verstorbenen gehörenden Personen 2. derjenige in dessen Wohnung, Unternehmen....sich der Sterbefall ereignet hat 3. jeder der eine Leiche auffindet Die Pflicht besteht nicht, wenn in den Fällen Nr. 3 die Polizei benachrichtigt wird. 11 Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen MV vom 3. Juli 1998 = BestattG MV (3) Zur Vornahme der Leichenschau sind verpflichtet: 1. Bei Sterbefällen in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zu deren Aufgaben auch die ärztliche Behandlung der aufgenommenen Personen gehört, j e d e r dort tätige Arzt; bei mehreren Regelung durch Leitung. 2. Bei Sterbefällen in einem Fahrzeug des Rettungsdienstes ohne Notarzt der im jeweils nächstgelegenen Krankenhaus diensthabende Arzt. 3. In allen anderen Fällen j e d e r e r r e i c h b a r e niedergelassene Arzt sowie Ärzte im Notfalldienst und Rettungsdienst 12 Kann man als Arzt die Leichenschau ablehnen?? NEIN!! Ausnahmen: ►§52 StPO wenn Gefahr besteht , sich selbst oder einen Angehörigen einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen ►Notärzte und Ärzte im Rettungsdienst 13 Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen MV vom 3. Juli 1998 = BestattG MV (4) Ein im Notfalldienst oder Rettungsdienst tätiger Arzt kann sich auf die Feststellung des Todes, des Todeszeitpunktes und der äußeren Umstände beschränken, wenn er durch die Durchführung der Leichenschau an der Wahrnehmung seiner Aufgaben im Notfalldienst oder Rettungsdienst gehindert würde und er dafür sorgt, dass ein anderer Arzt eine vollständige Leichenschau durchführt. Er hat über die Feststellung unverzüglich eine Bescheinigung auszustellen. 14 §4 Durchführung der Leichenschau (1) LS unverzüglich, spätestens nach acht Stunden nach der Aufforderung durchzuführen. LS soll an dem Ort an dem der Tod eingetreten oder die Leiche aufgefunden worden ist durchgeführt werden. Hält es der Arzt nicht für zweckmäßig, die LS an diesem Ort durchzuführen, weil sich die Leiche nicht in einem geschlossenen Raum befindet oder die Rücksicht auf anwesende Angehörige oder andere Umstände einer ordnungsgemäßen LS entgegenstehen, kann er sich auf die Todesfeststellung beschränken und die vollständige LS an einem geeigneten Ort weiterführen. 15 Noch zu (1) unverändert: Die Leichenschau ist an der vollständig entkleideten Leiche unter Einbeziehung aller Körperregionen durchzuführen. (1) WARUM?? ⇒ Sicherung der Qualität der Leichenschau, daher zunächst Todesfeststellung, dann Abtransport der Leiche an einen geeigneten Ort 16 §6 Todesbescheinigung (1) Unverzüglich nach Beendigung der LS hat der Arzt eine Todesbescheinigung auszustellen. Die Todesbescheinigung dient dem Nachweis des Todeszeitpunktes und der Todesursache, der für die Aufklärung von etwaigen Straftaten erforderlichen Mitteilung der Todesart, der Prüfung ob seuchenhygienische oder sonstige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich sind sowie Zwecken der Statistik und der Forschung. Verbessert: Kann der Arzt die Todesbescheinigung nicht sofort vollständig ausstellen, insbesondere weil ihm notwendige Angaben fehlen, hat er vorerst eine Bescheinigung über die Feststellung des Todes auszustellen und das vollständige Ausfüllen der Todesbescheinigung u n v e r z ü g l i c h nachzuholen. 17 WARUM??? ⇒Wenn bestimmte Angaben dem Arzt fehlen (Pat. nicht bekannt, Vorerkrankungen); ⇒ZUNÄCHST TODESFESTSTELLUNG; ⇒Wenn Angaben vorhanden, vollständiges Ausfüllen der Todesbescheinigung 18 Gesetzliche Grundlagen I: § 4 BestattG MV (3) Ist durch äußere Merkmale bereits erkennbar oder lässt sich nicht ausschließen, dass es sich um einen nichtnatürlichen Tod handelt, oder handelt es sich um einen unbekannten Toten, hat der Arzt unverzüglich die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu verständigen. Er hat in diesem Fall von der Leichenschau abzusehen und bis zum Eintreffen der Polizei oder Staatsanwaltschaft dafür zu sorgen, dass keine Veränderungen an der Leiche oder der unmittelbaren Umgebung vorgenommen werden. Als nichtnatürlich ist ein Tod anzunehmen, der durch Selbsttötung oder durch einen Unfall herbeigeführt wurde oder bei dem eine Einwirkung Dritter ursächlich gewesen ist. Ergeben sich erst während der Leichenschau Hinweise auf einen nichtnatürlichen Tod, hat der Arzt ebenso zu verfahren. 19 Gesetzliche Grundlagen II: Auf Bundesebene: Strafprozessordnung (StPO) § 159: Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist oder wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizeiund Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die StA oder das Amtsgericht verpflichtet. 20 Todesursache: Medizinische Diagnose: Erkrankung, Verletzung oder Komplikation, die den Tod unmittelbar verursachte Todesart: Rechtsbegriff, jedoch nur mit medizinischem Sachverstand beurteilbar "warum" ist die Person gestorben Kein strenger Bezug zur Todesursache Natürlicher Tod: allein infolge "innerer" Gesundheitsstörung: Erkrankung, Fehlbildung, Altersschwäche. Unabhängig von rechtlich bedeutsamen Faktoren Nicht natürlicher Tod: (rechtserhebliche) Mitwirkung einer "äußeren Einwirkung" - unabhängig von einer Mitwirkung einer anderen Person! Alle Unfälle - Suizide - Tötungen 21 Vorgehen bei der ärztlichen Leichenschau 22 Feststellen des Todes erste und wichtigste Aufgabe sichere Todeszeichen - Totenflecke - Totenstarre - Fäulnis - mit dem Leben nicht zu vereinbarende Körperzerstörungen 23 Todesfeststellung unsichere Todeszeichen: lichtstarre Pupillen Fehlen der Herztätigkeit Fehlen der Atmung Sinken der Körpertemperatur Richtlinien der BÄK für Wiederbelebung und Notfallversorgung: 30-40 min. frustrane Reanimation ohne Zustandekommen einer suff. Kreislauffunktion Abbruch der Rea 24 Todesfeststellung besondere Situationen: Scheintod oder scheintodähnliche Zustände: A Alkohol, Anämie, Anoxämie E Elektrizität I Injury (Schädel-Hirn-Trauma) O Opiate, Betäubungsmittel allgemein, zentral wirksame Pharmaka U Urämie, andere metabolische Komata, Unterkühlung 25 nach der Todesfeststellung: Komplette Untersuchung der entkleideten Leiche: (Kopfuntersuchung einschl. Augen/Augenlider, Lippen, Mundschleimhaut, Halsinspektion Brustkorb (abnorme Eindrückbarkeit, Verletzungen) Bauchhaut einschl. Genitale Extremitäten Rücken einschl. Afterregion 26 ►Leichenschauarzt hat die Aufgabe nach „Merkmalen“ also Anhaltspunkten für einen nichtnatürlichen Tod zu suchen.... ►Es reicht, dass derartige Anhaltspunkte auf die auch nur e n t f e r n t e M ö g l i c h k e i t einer Straftat, eines Suizides, eines Unfalles hinweisen, eine Beweisführung oder Darstellung einer Kausalkette ist nicht erforderlich. Schuldfragen spielen keine Rolle 27
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