Fünf Länder, eine Zukunft? Kreative Megacitys Mission

 Zukunft
Wir nehmen die Zukunft in die Hand!
Fünf Länder,
eine Zukunft?
Wie Menschen in
unterschiedlichen Kulturen
ihr Leben mithilfe von
Technologie neu gestalten
Kreative Megacitys
Wie Bewohner ihre Stadt
mitgestalten können
Mission zum Mars
Der Traum vom Leben auf
dem Mars könnte wahr werden
voestalpine AG
voestalpine -Straße 1
4020 Linz, Austria
T. +43/50304/15-0
F. +43/50304/55-0
www.voestalpine.com
www.voestalpine.com
Ausgabe 2016
voestalpine Magazin
„Wir nehmen die Zukunft
in die Hand.“
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Sie kennen das Gefühl vermutlich selbst: Angesichts der
ständig schneller ablaufenden Veränderungen in unserer Welt kann es schon einmal ein wenig schwierig
werden, immer mit allen Themen Schritt zu halten. Die
Welt ist mehr denn je im Wandel, permanent – und
Wandel bedeutet stets neue Herausforderungen. Der
englische Naturforscher Charles Darwin hat es sich
einst zur Aufgabe gemacht, die laufenden Veränderungen des biologischen Lebens zu untersuchen. Von ihm
stammt auch die Aussage „Nichts in der Geschichte
des Lebens ist beständiger als der Wandel“. Darwin
rückt damit ins Bild, was wir gerne aus den Augen
verlieren, was viele Menschen wohl am liebsten auch
gar nicht wahrhaben möchten: dass der Wandel eine
der wenigen verlässlichen Konstanten unseres Lebens
darstellt. Dies bedeutet für uns als Konzern, aber auch
für jeden Einzelnen, dass wir uns täglich den Herausforderungen der Veränderung stellen müssen – in wirtschaftlicher, technologischer, aber auch gesellschaftlicher Hinsicht. Wie dieses Sichstellen aussehen kann,
zeigen die Artikel unserer aktuellen Ausgabe von Zukunft. Sie spiegeln die Art und Weise wider, wie Technologien unsere Welt verändern, und zeigen auch,
welche Rolle kulturelle Unterschiede bei der Verbreitung und Akzeptanz neuer Techniken, neuer Technologien spielen. Unsere Autorin Luciana Ferrando
etwa berichtet vom Fortschrittsenthusiasmus Argentiniens. Zu den Eigenheiten des Landes gehört, dass
technologischer Wandel dort mit besonders großer
Begeisterung aufgenommen wird. Technologie wird
in Argentinien als Verstärker kultureller Entwicklung
begriffen und hat positiven Einfluss auf das Denken
und Handeln der Menschen im Land, auch wenn da
oder dort eingeschränkte Ressourcen dem Fortschritt
im Wege stehen. Michael Lind, Mitbegründer der
New America Foundation, fragt sich im Gespräch mit
unserer Redaktion, ob zu viel Technologie vielleicht
sogar gegen die Natur des Menschen ist, kommt aber
zu dem Schluss, dass es im Prinzip darauf ankommt,
was wir daraus machen. Und auch Paul Sullivan geht
in seinem Essay der Frage nach, inwiefern technologischer Wandel unser Leben bestimmt und wie wir
durch einen Wechsel der Perspektive Veränderung
auch als Chance begreifen können. Dabei eint unsere
Autoren eine gemeinsame Sicht der Basis: Veränderungen betreffen stets unsere Gesellschaft als Ganzes.
Durch Zusammenarbeit nehmen wir den Wandel gemeinsam in die Hand, begegnen wir ihm gemeinsam.
Er lässt uns, wie die Autorin Louisa Preston beschreibt,
sogar im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen
greifen. So ist eine ganze Reihe internationaler Missionen derzeit bestrebt, die ersten Menschen Richtung
Mars zu entsenden. Nicht wenige Wissenschaftler träumen neben der Erforschung des roten Planeten sogar
von seiner Besiedlung. Gerade solche Perspektiven
sind geprägt von laufenden technologischen Innovationen und großen Visionen. Es sind diese Themen,
die uns bei voestalpine besonders am Herzen liegen,
uns faszinieren. Wir sollten die Innovationskraft der
in dieser Ausgabe vorgestellten Menschen – besser vielleicht noch ihren Innovationswillen – als Aufruf an
uns alle verstehen, sich ihnen anzuschließen. Nur das
bewusste Engagement jedes Einzelnen von uns wird
diese Welt im positiven Sinne verändern.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Wolfgang Eder, CEO voestalpine AG
3
Inhalt
Da sein
Vorausdenken
Neugierig bleiben
12
30 60
Ausgabe 2016
Veränderung: Voraussetzung für Fortschritt
und Verbesserung
— Seite 12
Technologie: drei
ganz unterschiedliche
Sichtweisen
— Seite 30
Spezialisten: vier
Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten
— Seite 56
Die Macht der Veränderung
Wie Wandel unser privates und berufliches
Leben beeinflusst
„Ein
16 Leben ohne Risiko ist nicht
möglich“
38
Unsere Zukunft
48
Wie Menschen von voestalpine die
Zukunft sehen
6
Unsere Welt
Wie wird unsere Welt von morgen
aussehen?
8Mitwirkende
Die Menschen, die dieses Magazin
gemacht haben
8Impressum
4
20
Industrie im Zeichen des
digitalen Wandels
Traditionelle Unternehmen suchen die Nähe
zu jungen und dynamischen Ideenschmieden
22
Ideen, die uns weiterbringen
Fünf Länder, eine Zukunft?
Volle Kraft voraus
66
Kreative Megacitys
70
Spezialisten sind unersetzbar
Wir stellen vier Menschen aus dem
Unternehmen vor
Wenn Essen Leistung steigert
Können wir uns schlauer, gesünder und
schöner essen?
74
Wie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können
56
Lichtblicke aus dem Orbit
Spektakuläre Aufnahmen der Erde vom
Satelliten Suomi NPP
So funktionieren effiziente Kraftwerke der
Zukunft
52
Mission zum Mars
Der Traum vom Leben auf dem Mars
könnte wahr werden
Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen
ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten
Interview mit Wolfgang Eder
18
Technologie
Welche Rolle spielt sie bei der Lösung globaler
Herausforderungen?
Clevere Riesen
Entwicklungen bei Nutzfahrzeugen
76
Individualisierung des Alltags
Wenn Dienstleistungen den Menschen
in den Mittelpunkt stellen
Wir stellen aufgeweckte Gründer vor,
die unsere Welt verändern wollen
5
Unsere
Welt
Wie wird unsere Welt
von morgen aussehen?
Das sind die Orte, an
denen wir in dieser Ausgabe nachforschen.
Island
Deutschland
Washington, D.C.
Silicon Valley, USA
Vorbild ist das Silicon Valley: Um radikale
Innovationen zu ermöglichen, suchen
immer mehr Unternehmen die Nähe von
Start-ups.
Industrie im Zeichen des digitalen
Wandels — Seite 20
Mumbai
Kenia
Washington, D.C., USA
In Washington sprechen wir mit Autor
Michael Lind über Technologie und ihre
Rolle im Heute und Morgen.
„Es gibt kein Zurück“ — Seite 34
Island
Unsere Autorin Louisa Preston geht in der
marsähnlichen Landschaft von Island mit
dem Gründer des Besiedlungsprojekts Mars
One spazieren.
Mission zum Mars — Seite 60
6
Malaysia
Americana
Americana, Brasilien
Lara Baralhas aus Americana möchte
neue Planeten kennenlernen.
Unsere Zukunft — Seite 18
Argentinien
In Argentinien spielen Roboter in der
Bildung eine immer größere Rolle.
Fünf Länder, eine Zukunft? — Seite 38
Japan
Silicon Valley
Melbourne
Argentinien
Deutschland
Wie sich mit Abwärme von Kraftwerken aus
Brennstoff mehr Strom gewinnen lässt.
Volle Kraft voraus — Seite 48
Mumbai, Indien
Tool Houses bieten Flächen für Wohnraum
und Produktionsbetriebe.
Kreative Megacitys — Seite 52
Japan
Klischee oder Realität: Können auch technische Dinge eine Seele haben?
Fünf Länder, eine Zukunft? — Seite 38
Kenia
Die Vergasung von Biomasse eignet sich
besonders für Länder wie Kenia, wo die
Stromnetze schlecht ausgebaut sind.
Volle Kraft voraus — Seite 48
Malaysia
Mohammad Asadullah will Biomasse vergasen. Das braucht weniger Brennstoff als
Kraftwerke mit Dampfturbine.
Volle Kraft voraus — Seite 48
Melbourne, Australien
Bewohner hatten die Idee zur Little Library,
einer Bibliothek, die die Benutzer selbstständig organisieren.
Kreative Megacitys — Seite 52
7
Impressum
Mitwirkende
Die Menschen hinter
„Zukunft“
Mitwirkende
Veränderung ist Teil unseres Lebens – ohne
sie gibt es keinen Fortschritt. Mit diesem Heft
wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie
wird sich unser Leben verändern und welche
Rolle spielt dabei die Technik?
Von Argentinien bis Japan und von
Kalifornien bis Australien: Wir haben unsere
Reporter buchstäblich in jede Ecke der Welt
geschickt, damit sie uns von den spannendsten
Veränderungen erzählen. Einen Teil der
Menschen, die an dieser Ausgabe von Zukunft
mitgewirkt haben, möchten wir Ihnen auf
diesen Seiten vorstellen.
Chris Schinke
Luciana Ferrando
Paul Sullivan
Impressum
Journalist ( Deutschland )
Zu Chris Schinkes Schwerpunkten gehören
Themen rund um Technologie, Kino, Literatur
und Theater. Er lebt und arbeitet als freier
Journalist in München. Für das vorliegende
Magazin hat Schinke einen Beitrag über
kreative Megacitys verfasst.
Journalistin (Deutschland)
Für ihren Beruf taucht Luciana Ferrando immer
wieder in neue Welten ab – für Zukunft in die
der Technologie: In einem Artikel untersucht sie
deren Akzeptanz in ihrer Heimat Argentinien,
in einem anderen in welcher Beziehung der
Mensch zu ihr steht.
Autor und Fotograf (Deutschland)
Paul Sullivan ist Brite und lebt in Berlin. Seine
Arbeit umfasst hauptsächlich Kultur-, Lifestyleund Reisethemen. Für diese Ausgabe von Zukunft
nähert er sich dem Thema Veränderung und
Wandel in einem Essay.
— Seite 52 —
— Seite 32 —
— Seite 12 —
Eigentümer und Medieninhaber:
voestalpine AG
voestalpine - Straße 1
4020 Linz, Austria
Herausgeber:
Peter Felsbach
Chefredaktion:
Maria Reibenberger
T. + 43 / 50304 /15- 5432
[email protected]
Konzept und Redaktion:
Barbara Ecker,
Anne Kammerzelt und
Björn Lüdtke
Gestaltung:
Sandra Stäbler
Druck:
Kontext Druckerei GmbH
Spaunstraße 3 a
4020 Linz, Austria
8
Louisa Preston
Raouia Kheder
Björn Lüdtke
Astrobiologin und -geologin (Großbritannien)
Louisa Preston, Astrobiologin und -geologin sowie
TED Fellow, beschäftigt sich mit der Entdeckung
von Leben auf dem Mars und der Besiedlung
von anderen Planeten und Monden durch den
Menschen. Für das Magazin Zukunft nimmt sie
uns mit auf ihre Mission.
Journalistin und Radio-Moderatorin (Tunesien)
Raouia Kheder berichtet vor allem über Gesellschafts- und Kulturthemen aus ihrem Heimatland
Tunesien und dem arabischen Raum. In diesem
Heft untersucht sie, welchen kulturellen Stellenwert Technologie in ihrem Land einnimmt.
Redakteur (Deutschland)
Björn Lüdtke ist seit Beginn mitverantwortlich für
Konzept und Redaktion des Magazins Zukunft.
Die Spezialgebiete des freiberuflichen Fachjournalisten sind eigentlich Mode und Marketing. Für
voestalpine befasst er sich aber auch gerne mit
Veränderung und Technologie.
— Seite 60 —
— Seite 38 —
— Seite 38 —
9
Da sein
Menschen Halt und Sicherheit geben
Aufgrund unserer dezentralen Struktur können wir schneller agieren und
reagieren. So sind wir für all unsere Anspruchsgruppen greifbar und versuchen,
ihre Bedürfnisse mit einem Höchstmaß an Flexibilität und Dynamik zu
erfüllen. Wir packen Probleme an der Wurzel und lassen nicht locker, denn für
die Zukunft lohnt es sich zu kämpfen.
12
Die Macht der Veränderung
Wie Wandel unser privates und berufliches
Leben beeinflusst
16
„Ein Leben ohne Risiko
ist nicht möglich“
Interview mit Wolfgang Eder
18
Unsere Zukunft
Wie Menschen von voestalpine
die Zukunft sehen
20
Industrie im Zeichen des
digitalen Wandels
Traditionelle Unternehmen suchen
die Nähe zu jungen und dynamischen
Ideenschmieden
22
Ideen, die uns weiterbringen
Wir stellen aufgeweckte Gründer vor,
die unsere Welt verändern wollen
10
11
Da sein
Da sein
Die Macht der
Veränderung
„Nichts ist so beständig
wie der Wandel.“
— Heraklit von Ephesus
Text Paul Sullivan
© iStock
Paul Sullivan über Wandel und wie er unser privates
und berufliches Leben beeinflusst
12
Der Wandel ist auch nicht mehr das,
was er einmal war. Das könnte man
zumindest meinen, wenn man unsere
Generation mit früheren vergleicht.
Diese haben sicher nicht die schwindelerregend schnellen technischen
Umbrüche erlebt, die heute unseren
Alltag verändern. In keiner früheren
Kultur wurde „gesurft“, „gewischt“
oder „gescrollt“, so viel ist sicher,
aber seit Anbeginn der Zeit hat fast
jede Gesellschaft zu einem gewissen
Grad intensiven Wandel und Veränderung erfahren. Sogar in den angeblich so unbeweglichen vormodernen
Gesellschaften fanden Umbrüche
statt: religiöse Auseinandersetzungen
und Stammeskriege, Überschwemmungen und Kälteperioden, Aufruhr
und Krankheitsepidemien und nicht
zuletzt all die schrittweisen Entwicklungen, die langsam aber sicher unseren heutigen Lebensstil begründeten.
In Wahrheit ist Wandel ein grundlegender Teil unseres Lebens und der
menschlichen Natur. Schon Heraklit,
der griechische Philosoph aus der
Zeit vor Sokrates und einer der ersten,
der sich mit dem Konzept von Wandel beschäftigte, bestätigte dies mit
seiner berühmten Aussage „Nichts ist
so beständig wie der Wandel“. Zur
Verdeutlichung fügte er hinzu: „Kein
Mann steigt zweimal in denselben
Fluss.“
Ob wir es mögen oder nicht, wir erleben jeden Tag Veränderungen, egal
ob es sich um kleinere, unwichtig
erscheinende tägliche Ereignisse wie
Änderungen im Busfahrplan, das
Schließen eines Lieblingsgeschäftes,
einen kleinen Lotteriegewinn handelt
oder um einschneidende Ereignisse
wie Geburt und Tod, Umzug oder
Beruf, einen neuen Freund kennenlernen oder sich verlieben. Letzteres
übrigens kann fast beiläufig und je-
derzeit passieren und doch nachhaltigen Einfluss auf unser Leben haben.
Wir Menschen neigen dazu, Veränderungen mit einer Mischung aus
Furcht und Sehnsucht zu begegnen.
Sie sind von Natur aus unvorhersehbar und nicht selten mit einem Risiko
behaftet. Wandel ist eine unsichtbare
Macht, die unsere Welt immerwährend beeinflusst. Mit der Zeit haben
wir Menschen geschickt gelernt, mit
dem Wandel klarzukommen – was
die Grundlage für einen proaktiven
Blick nach vorne ist. Das wiederum
ist positiv für uns als Individuen, aber
auch für unser berufliches Handeln
und die Gesellschaft als Ganzes.
„Wir selbst müssen die
Veränderung sein, die wir
in der Welt sehen wollen.“
— Mahatma Gandhi
Wandel ist untrennbar mit der Vorstellung von Fortschritt und Verbesserung verbunden. Denn schließlich
ist Letzteres nicht ohne ein gewisses
Maß von Ersterem möglich. Es ist
wohl keine Übertreibung, dass sowohl die Gesellschaft als auch jeder
Einzelne in sich den Wunsch trägt,
sich weiterzuentwickeln und sich zu
verbessern. Wir brauchen uns nur
umzusehen: Die positiven Seiten von
Wandel sieht man überall.
Wir können uns heute eine Welt ohne
Smartphones, MP3-Player oder Reisen mit dem Flugzeug nicht mehr
vorstellen – und doch war das vor ein
paar Jahren oder Jahrzehnten noch
völlig normal. Und wer hätte es sich
damals träumen lassen, dass 3DDrucker, fahrerlose Autos oder künstliche Intelligenz bei medizinischen
Diagnosen im Jahr 2016 zum Alltag
gehören?
Das Gleiche gilt für soziale Entwicklungen. Einer der wichtigsten Faktoren in unseren sich permanent
wandelnden Gesellschaften ist die
Macht der Ideen, die ihrerseits im
Laufe der Zeit Veränderungen erfahren. Unsere heutigen Demokratien,
wenn auch nicht annähernd perfekt,
sind hoch entwickelt und sie sind es
aufgrund von bedeutenden sozialen
Veränderungen in der Vergangenheit:
der Abschaffung der Sklaverei, der
Einführung des Wahlrechts für die
Frau, der Bürgerrechtsbewegung und
nicht zuletzt der Aufklärung und der
industriellen Revolution.
Auch heute noch finden solche Veränderungen statt. So war der Klimawandel vor zwei oder drei Jahrzehnten
nicht mehr als ein Randthema, das
von vielen Regierungen oder großen
Unternehmen nicht ernst genommen
wurde. Heute ist die Problematik in
der Mitte der Gesellschaft angekommen und wird auf beinahe allen Ebenen angegangen. Die komplizierte
Kriegslage in Syrien und dem Nahen
Osten löste eine der größten humanitären Krisen der jüngeren Geschichte
aus – vielleicht wiederholt sich hier
Geschichte, aber die Situation bringt
auch völlig neue Herausforderungen
mit sich.
Auch der Feminismus, der auf einer
Jahrhunderte lang währenden
Tradition der Befreiung der Frau beruht, bekommt seit Kurzem neuen
Auftrieb aus dem Internet und den
sozialen Medien. Das führt dazu,
dass die männliche Vorherrschaft
erneut infrage gestellt wird und sich
Menschen auf allen Ebenen für eine
Gleichberechtigung der Geschlechter
einsetzen. All diese sich permanent
ändernden Themen bieten den Menschen und Regierungen die Gelegenheit, zusammen positiven sozialen
Wandel zu gestalten.
Auch technischer Wandel kann heute
zum Treiber für soziale Veränderung
werden. So hat das Internet einen
bisher nicht dagewesenen Zugang
zu Information und Bildung ermöglicht (Wikipedia, YouTube, E-Learning) und immer neue Apps liefern
zum Beispiel Wetterinformationen für
13
Da sein
„Überleben wird nicht der
Stärkste, auch nicht der
Intelligenteste, sondern
der Anpassungs- und
Wandlungsfähigste.“
— Charles Darwin
Auch wenn diese Themen universal
scheinen, so haben sie selbstverständlich an verschiedenen Orten unterschiedliche Wirkung: Die Flüchtlingskrise wird in Südamerika anders
aufgenommen als in Europa; Europa
spürt die direkten Folgen der Erderwärmung anders als beispielsweise
Bangladesch oder Kalifornien; der
Neo-Feminismus westlicher Prägung
wird in vielen Ländern des Nahen
Ostens stark eingeschränkt. Die jeweils vorherrschende kulturelle, politische und gesellschaftliche Struktur
bestimmt, wie eine Gesellschaft von
Wandel beeinflusst wird.
Es ist kein Zufall, dass das Konzept
des Wandels – und das Annehmen
von Wandel – in den letzten Jahrzehnten auch in Unternehmen ein
wichtiges Thema war. Sie stehen unter
dem permanenten Druck, sich an der
Spitze behaupten zu müssen, sei es
in Bezug auf interne Kommunikation oder externes Marketing. Dabei
ändern sich viele Aspekte täglich
14
aufgrund von neuen Technologien.
Die sozialen Medien sind hier das
beste Beispiel: Noch vor zehn Jahren
waren sie nicht sehr relevant, heute
muss jedes Unternehmen auf Facebook oder Twitter präsent und online
sichtbar sein.
Die Globalisierung hat die Geschäftswelt dabei noch offener für Veränderungen gemacht. Als die Märkte sich
durch das Internet öffneten und sich
so eine Fülle von neuen Möglichkeiten und Gelegenheiten ergaben,
wurden Ausdrücke wie „Mobilität“
und „Flexibilität“ Teil des Standardvokabulars. Die ultra-flexible Startup-Kultur verdeutlicht das vielleicht
am besten. 2001 erkannte eine Gruppe von 17 Softwareentwicklern die
dringende Notwendigkeit, sich an die
neuen Gegebenheiten anzupassen
und verabschiedete das „Agile Manifest“. Ein zentraler Punkt darin ist die
„Notwendigkeit, auf Veränderungen
zu reagieren, anstatt einem Plan zu
folgen“.
Die guten wie die
schlechten Dinge
sind vergänglich
Am deutlichsten sichtbar ist die neue
Kultur der Flexibilität in den PR- und
Marketingabteilungen. Das Image
oder die Marke eines Unternehmens
ist von enormer Wichtigkeit und beide
darzustellen und zu kommunizieren,
ist für die meisten Unternehmen ein
permanentes und sich kontinuierlich
entwickelndes Thema. Eine überholte Website, die nicht nutzerfreundlich
ist, oder nicht aktualisierte Facebookoder Twitter-Accounts werden von
draußen als mehr oder weniger nicht
existent wahrgenommen.
Die Regeln fürs Überleben sind überall gleich, auch im Geschäftlichen.
Wer die Herausforderungen einer
wenn man sein Haus neu einrichtet
oder alte Kleider durch neue ersetzt.
Die natürliche Angst überwinden
zu lernen und Wandel anzunehmen,
scheint nur vernünftig zu sein. Letztlich haben Menschen, Unternehmen
und Regierungen, die bereit sind,
Risiken einzugehen, bessere Chancen auf Erfolg. Sich an neue Umgebungen, Leute und Situationen
anzupassen, bringt einen weiter –
die eigene Persönlichkeit, das Einkommen, das Wertesystem.
Es gibt verschiedene Wege, um sich
sich ständig verändernden Welt nicht
annimmt, wird aussterben – wie die
Dinosaurier. Sich auf diese Bedingungen einzulassen, erfordert Flexibilität
und die Fähigkeit, die Bedürfnisse
und Befindlichkeiten der Kunden zu
verstehen oder gar vorauszusehen.
„Ein Pessimist sieht in
jeder Gelegenheit eine
Schwierigkeit, ein
Optimist sieht in jeder
Schwierigkeit eine
Gelegenheit.“
— Winston Churchill
Trotz der Vielzahl an Beispielen, wie
Wandel unser berufliches oder persönliches Leben positiv beeinflussen
kann, stehen doch die meisten von
uns dem Wandel kritisch gegenüber.
Wie der amerikanische Wirtschaftsautor Alan Deutschman in seinem
dramatisch betitelten Buch Change or
Die („Verändere dich oder stirb“) aus
dem Jahr 2007 aufzeigt, halten sich
die meisten von uns lieber innerhalb
ihrer persönlichen Grenzen auf, in
denen sie sich wohlfühlen, als sich
dem Unbekannten auszusetzen –
selbst dann, wenn ein gutes Ende
wahrscheinlich ist. Deutschmann
zeigt an unterschiedlichen Beispielen
– vom Herzpatienten bis zu festgefahrenen Unternehmen –, wie sehr wir
uns Veränderungen widersetzen und
doch gleichzeitig die angeborene
Fähigkeit haben, sie zu bewältigen.
Letzten Endes spielt es aber keine
Rolle, ob wir Veränderungen fürchten
oder nicht. Furcht wird den Lauf der
Zeit und die damit einhergehenden
Veränderungen nicht aufhalten. Wir
können dem Unausweichlichen nicht
entkommen. Es gibt eine Vielzahl von
guten Beispielen, wo Wandel neue
Möglichkeiten eröffnet – sei es die
neue Aufgabe am neuen Arbeitsplatz,
die Befriedigung, die man verspürt,
Eine andere Möglichkeit ist, sich bei
Weltanschauungen zu bedienen, die
Veränderungen wohlwollend gegenüberstehen. Viele östliche Philosophien beschäftigen sich mit dem
Konzept des Wandels. Aus dem 2.600
Jahre alten chinesischen Buch I Ching
kann man beispielsweise lernen,
dass die guten, aber eben auch die
schlechten Dinge in unserem Leben
vergänglich sind.
Die ultimative östliche Philosophie
von Unbeständigkeit ist vielleicht
der Taoismus. Einer seiner zentralen
passieren‘ und sich umso mehr
bemüht, den Dingen eine andere
Richtung zu geben.“
Eine weitere Strategie könnte darin
bestehen, den Blickwinkel zu ändern.
Nicht jeder Wandel ist gleich. Wenn
die kleinen Veränderungen zu viel
werden, lohnt es sich vielleicht, einen
Schritt zurückzutreten und die größeren Veränderungen zu betrachten
– denen häufig weniger Wandel innewohnt. Verwirrt? Ein Beispiel: Wer
vom permanenten Informationsstrom
aus den sozialen Medien gestresst ist,
der sollte sich daran erinnern, dass
die Inhalte, die er konsumiert, eigentlich nichts anderes sind als Geschichten, früher erzählt, heute gelesen.
Das Medium mag neu sein, der Kern
der Sache nicht.
Wandel ist Teil
unseres Lebens
© iStock
afrikanische Landwirte oder exakte
Standortdaten für Erdbebenopfer.
Social-Media-Plattformen wie Twitter,
WhatsApp und Facebook haben nicht
nur dabei geholfen, schnell und in
großem Umfang Proteste oder Hilfe
bei Massenfluchten zu organisieren,
sondern haben die Welt auch näher
zusammenrücken lassen. Über diese
Plattformen stehen wir direkt mit
Menschen aus der ganzen Welt in
Kontakt und haben so das Gefühl,
dass auch weit entfernte und abgelegene Orte Teil unserer eigenen
globalen Nachbarschaft sind.
Da sein
anzupassen. Schwierig sind sie alle
nicht. Eine Möglichkeit ist, sich die
positiven Bedeutungen von Wandel
zu verinnerlichen. Betrachtet man
einige Synonyme genauer – Innovation, Entwicklung, Umwandlung, Diversifikation, Verfeinerung, Vielfalt –,
dann erkennt man schnell, dass der
Begriff voller Begeisterung und Positivität steckt.
Lehrsätze lautet: „Schwimm mit dem
Strom.“ In Benjamin Hoffs bezauberndem Buch Tao Te Puh. Das Buch
vom Tao und von Puh dem Bären
vermittelt uns Puh der Bär taoistische
Leitsätze: „Alles fügt sich auf die
richtige Weise und zur rechten Zeit.
Zumindest wenn man es zulässt,
wenn man die Umstände annimmt,
anstatt zu sagen ‚das darf so nicht
Heraklits paradoxe Aussage, dass
Wandel eigentlich beständig ist,
kann ganz ähnlich als Anker dienen.
Die Sonne jeden Morgen aufgehen
und die Sterne nachts am Himmel
leuchten zu sehen oder die Jahreszeiten in ihrem vorhersehbaren Wechsel zu erleben, gibt uns ein Gefühl
von Ewigkeit. Genau wie Heraklits
Weisheit erinnert uns die französische
Redewendung „Plus ça change, plus
c’est la même chose“ („Je mehr sich
ändert, desto mehr bleibt gleich“)
an das, was eigentlich jeder weiß:
nämlich dass Wandel eher die Norm
als die Ausnahme ist. Wer das akzeptiert, der wird Wandel für die
eigene persönliche und berufliche
Entwicklung nutzen können. Wer
sich dem Unausweichlichen nicht in
den Weg stellt und mit dem Strom
schwimmt, wird sich als dynamischer
Gestalter wohler fühlen als als trauriger alter Dinosaurier.
15
Da sein
Da sein
„Ein Leben ohne
Risiko ist nicht
möglich“
Text Paul Sullivan
Interview mit Wolfgang Eder
Haben Sie eine persönliche Philosophie in Bezug auf Wandel und
Veränderung?
Wandel und Veränderung sind Voraussetzung für Fortschritt in allen Lebensbereichen. Anders ausgedrückt:
Stillstand heißt Rückschritt – oder
vornehmer gesagt: Nichts ist beständiger als der Wandel. Wandel und
Veränderung sind für mich damit die
Regel und nicht die Ausnahme.
Schauen wir uns doch nur die letzten
20 Jahre an und wie sich die Gesellschaft und die Wirtschaft allein in dieser vergleichsweise kurzen Zeit verändert haben: Unser Kommunikationsverhalten, die Produktionsprozesse,
das Leben zu Hause – alles ist vernetzt.
Ich sehe vieles davon durchaus kritisch, aber gerade deswegen muss
man sich diesen Entwicklungen aktiv
16
stellen, muss man versuchen, sie in
die richtige Richtung zu steuern.
Wie wirkt sich das auf Ihre Rolle
als Vorstandsvorsitzender der
voestalpine AG aus? In welcher Beziehung steht hier das Persönliche
und das Berufliche?
Zunächst einmal gilt für mich wie für
die meisten Menschen, dass die
Rollen im Beruf und im Privatleben
unterschiedliche Aufgaben, unterschiedliche Herausforderungen mit
sich bringen. Dennoch ist es immer
ein und derselbe Mensch, der damit
umzugehen hat. Die Bewältigung der
verschiedenen Lebenssituationen, sei
es als Vorstandsvorsitzender oder als
Privatperson, bedarf trotz aller – häufig ohnehin nur vordergründigen –
Unterschiede schon aus Gründen der
Wolfgang Eder
Dr. Wolfgang Eder ist Vorsitzender
des Vorstandes und CEO der
voestalpine AG
persönlichen Glaubwürdigkeit gleicher Grundsätze und Kriterien.
Gehen Sie mit Veränderung privat
anders um als in Ihrer Position als
CEO?
Für mich persönlich heißt Veränderungsbereitschaft, sich privat mit der
gleichen Offenheit und Unvoreingenommenheit neuen Herausforderungen zu stellen wie im Beruf. Natürlich
sind die Aufgaben in einem internationalen Konzern mit fast 50.000 Mitarbeitern andere als in einer Familie.
Dennoch geht es in beiden Fällen im
Kern immer darum, Verantwortung zu
übernehmen, und um die Einsicht,
dass ein Leben ohne Risiko nicht möglich ist. Letztlich bedeutet Verantwortung zu tragen, ein einzugehendes
Risiko gegen die diesem gegenüberstehenden Chancen abzuwägen – privat genauso wie beruflich.
Gibt es so etwas wie eine offizielle
und objektive Unternehmensrichtlinie in Bezug auf Veränderungen,
um zum Beispiel übermäßige Risikofreude im Zaum zu halten?
Ich glaube, dass man Veränderungsbereitschaft ganz generell nicht über
Richtlinien reglementieren oder gar
ein konkretes Ausmaß dekretieren
kann. Sie können nur versuchen, eine
Unternehmenskultur zu schaffen, in
der stetiger Wandel und die notwendige Veränderungsbereitschaft Teil
der Unternehmensidentität sind, das
heißt bewusst und mit Überzeugung
gelebt werden. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist aber wiederum,
allen Menschen im Unternehmen
verständlich zu machen, dass es nur
durch Bereitschaft zur Veränderung
gelingt, permanent Spitzenleistungen
zu erbringen und damit auch die
Keine Innovation ohne Veränderung
eigene Zukunft bestmöglich abzusichern. Natürlich bedeutet Veränderung immer auch Risiko. Entscheidend ist dabei, dass solche Risiken
überschaubar und damit managebar
bleiben. Das lässt sich in sehr hohem Maß durchaus kalkulieren. Das
größte Risiko ist aber zweifellos, in
seiner Entwicklung stehen zu bleiben, Veränderung abzulehnen.
Wie können Sie sicherstellen, dass
Ihre Entscheidungen auch wirklich
langfristig und nachhaltig orientiert
sind und nicht durch kurzfristige
Ziele überlagert und damit entwertet
werden?
Das ist eine Frage des grundsätzlichen Managementstils. So verfolgen
wir etwa in der voestalpine seit vielen
Jahren mit wirklich unbeugsamer
Konsequenz eine klare Langfriststrategie weg vom klassischen Stahlhersteller hin zu einem metallbasierten
Technologiekonzern. Diese langfristige
Ausrichtung prägt auch unser kurz-
fristiges Handeln und die damit verbundenen Ziele. Jede unternehmerische Entscheidung muss sich also
an der Langfriststrategie orientieren.
Steht sie dazu im Widerspruch, hat
sie keine Realisierungschance.
Was tun Sie, wenn Sie erkennen,
dass eine Entscheidung falsch war?
Erfolgreiche Unternehmen zeichnen
sich dadurch aus, dass sie Strategien
und Geschäftsmodelle konsequent
leben, sie gleichzeitig aber auch immer wieder hinterfragen und gegebenenfalls veränderten Zukunftsszenarien anpassen, ohne sie jedoch in
ihren Grundsätzen zu ändern. Gerade zu einer offenen Unternehmenskultur gehört auch die permanente
Auseinandersetzung mit einem sich
immer schneller ändernden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umfeld. Nur so können
wir uns stetig verbessern und in
diesem kontinuierlichen Wandel erfolgreich bestehen.
17
Da sein
Da sein
Unsere Zukunft
LARS BECKER (43 )
Key Account Manager
Löhne, Deutschland
Text Anne Kammerzelt
Wie Menschen von voestalpine die Zukunft sehen
1. Auf welche Veränderung freust du dich / freuen Sie sich im nächsten Jahr?
2. Wenn du / Sie eine Sache auf der Welt verändern könntest / könnten, was wäre das?
3. Welche Technologie sollte in den nächsten Jahren auf jeden Fall erfunden werden?
4. Was würdest du / würden Sie gerne einen Menschen aus der Zukunft heute fragen?
„Was könnten wir heute anders
machen?“
1. Ich freue mich darauf, wieder öfter mit meiner Band
Musik zu machen. 2. Wenn ich könnte, würde ich verhindern, dass so viele Menschen täglich auf der ganzen Welt
unter Krieg, Armut und Krankheit leiden. 3. Als jemand,
der beruflich viel Auto fährt: ein vollkommen selbstständig
fahrendes – oder gerne auch fliegendes – individuelles
Transportmittel. 4. Geht es euch gut – und wenn nicht,
was könnten wir heute anders machen, um euch in der
Zukunft zu helfen? Und: Habt ihr meinen Wunsch aus
Frage 3 umgesetzt?
LARA BARALHAS (5)
Vorschulkind Americana, Brasilien
„Ich möchte andere Planeten
kennenlernen“
1. Kommendes Jahr möchte ich zur Schule gehen und
ganz schnell lesen und schreiben lernen. 2. Dass jedes
Kind auf der Welt Spielsachen und Schokolade hat. Alle
sollten spielen und leckere Sachen essen können. 3. Fliegende Autos, die man mit einer Fernbedienung steuern
kann. 4. Ob wir in der Zukunft in Raketen fliegen, so
wie heute in Flugzeugen. Ich möchte andere Planeten
kennenlernen.
OLESYA BONCHENKO (30 )
Vertriebsmanagerin
Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
„Man vergisst manchmal,
wie glücklich und privilegiert
man ist“
„Gute Gesundheit und Glück“
1. Weiterhin gute Gesundheit und Glück. 2. Ich würde
gern die Erderwärmung stoppen. 3. Die Nutzung von
Erdwärme. 4. Was hätten wir tun sollen, damit es euch
besser geht?
18
Seite 18 –19 © Private
HELMUT RASENBERGER ( 77 )
Berater Toronto (Ontario), Kanada
1. Ich werde Mutter und werde Arbeit und Mutterschaft
vereinbaren müssen. Ich hoffe, mithilfe meiner Familie
beides ausgewogen in Einklang miteinander bringen zu
können. 2. Ich würde allen Kindern auf der ganzen Welt
freien, kostenlosen Schulzugang ermöglichen. Wenn man
in einem Land aufwächst, in dem die Schule für alle Kinder kostenlos ist und Schulpflicht besteht, dann vergisst
man manchmal, wie glücklich und privilegiert man ist.
3. Hoch entwickelte Systeme zum Emissionsschutz für alle
Bereiche, angefangen von Autos bis zu großen Fabriken.
4. Ich würde fragen, ob Reisen ins Weltall oder Ferien auf
dem Mond alltäglich geworden sind.
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Da sein
Da sein
Industrie im
Zeichen des digitalen Wandels
Text Hans Schürmann
Traditionelle Unternehmen suchen die Nähe zu
jungen und dynamischen Ideenschmieden
D
ie Digitalisierung verändert
die Welt. Technologien, die
es ermöglichen, jederzeit und
blitzschnell auf Informationen und
Daten zuzugreifen, führen zu Innovationen, die nicht nur die Gesellschaft,
sondern auch Unternehmen und
Märkte verändern. Plattformen im
Internet, über die Firmen nicht nur
ihre Kunden besser kennenlernen,
sondern auch mit Lieferanten schneller und enger zusammenarbeiten
können, der Trend zu einer digital vernetzten Fabrik – das sind Trends, die
neue Chancen bieten, gleichzeitig
aber gewohnte Geschäftskonzepte
herausfordern. Standen bislang vor
allem Produkte im Fokus, geht es
künftig mehr um intelligente und individualisierte Dienstleistungen.
Sowohl Konzerne als auch mittelständische Unternehmen müssen sich im
Zuge der Digitalisierung neu erfinden,
wenn sie im globalen Markt Schritt
halten wollen. Sie müssen in kurzer
Zeit innovativer werden, alte Managementmethoden und Organisationsformen anpassen. Doch das ist nicht
20
so einfach. „Wenn eine Organisation
einmal etabliert ist und jahrzehntelang besteht, dann ist es schwierig,
vorherrschende Denk- und Handlungsmuster zu verlassen und komplett
neue Ideen und Geschäftsmodelle
zu entwickeln“, sagt Stephan Grabmeier. Der Unternehmensberater hat
Um Innovationen zu
ermöglichen, suchen
Unternehmen die
Nähe von Start-ups
mehrere Jahre die digitale Transformation bei der Deutschen Telekom begleitet und unterstützt zwei Start-ups
nicht nur finanziell, sondern auch mit
seinen Praxiserfahrungen.
Der digitale Wandel ist dabei nicht
nur ein Problem der Telekommunikationsbranche, sondern trifft auch
viele Bereiche des Handels und der
Industrie, wie beispielsweise den Maschinenbau. Durch die Vernetzung
der Produktion werden die Firmen
zwar flexibler und können schneller
auf Kundenwünsche reagieren,
gleichzeitig werden aber auch die
Innovationszyklen kürzer und die
Märkte globaler. Die Folge: Die Unternehmen müssen deutlich schneller neue Produkte entwickeln und
auf den Markt bringen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Um
radikale Innovationen zu ermöglichen,
suchen immer mehr Unternehmen
deshalb die Nähe von Start-ups.
Diese haben große Vorteile, wenn es
um marktverändernde Innovationen geht. „Sie müssen auf kein margenstarkes Kerngeschäft Rücksicht
nehmen, außerdem können sie strukturell bedingt schneller und flexibler
agieren als große Konzerne“, erläutert Markus Struppe, Partner der UnternehmerTUM GmbH, dem Zentrum
für Innovation und Gründung an der
Technischen Universität München.
Die auf neue Technologien fokussierten jungen Unternehmen können es
© iStock
Digitale Transformation in der Praxis
sich leisten, etwas Neues auszuprobieren, ohne vorher zu wissen, ob es
am Markt auch erfolgreich sein wird.
Sie begegnen diesen Unsicherheiten durch ein iteratives Vorgehen.
Das bedeutet: Es gibt kein finales
Endergebnis, vielmehr werden Ergebnisse immer weiter optimiert und
Projektziele angepasst. Dazu suchen
sie immer wieder den Kontakt zu
potenziellen Kunden, sie erstellen
Prototypen und diskutieren mit den
künftigen Nutzern.
Das sei ein entscheidender Vorteil vor
allem vor dem Hintergrund immer
kürzerer Innovationszyklen, sagt der
UnternehmerTUM-Berater. Ein etabliertes Unternehmen muss auf sein
Image Rücksicht nehmen und kann
daher nicht unter seinem Namen
„unfertige“ Produkte bei seinen Kunden testen. Eine frühzeitige Kooperation könnte für beide Seiten ein
Gewinn sein, ist Struppe überzeugt.
Während Start-ups innovativ und
flexibel sind, verfügen Großunternehmen über ein nachhaltiges Branchenund Kundennetzwerk und Know-how
bei der Umsetzung und Skalierung
von neuen Produkten.
Unter anderem tummeln sich Automobilkonzerne in der Start-up-Szene.
Die BMW Group hat vor Kurzem
sehr medienwirksam eine Start-upGarage gegründet. Ziel ist es, junge
Unternehmen mit Potenzial früh
zu fördern und Start-up-Technologien
in die eigenen Innovationsprozesse
einfließen zu lassen.
Andere lieben es leiser: Ein deutscher
Baugerätehersteller beispielsweise
arbeitet seit einigen Jahren mit einem
jungen Softwareunternehmen zusammen. Hinter der Mini-Firma stecken
experimentierfreudige Ingenieure,
die mit ihren Programmen dafür sorgen, dass Steuerungen für mobile
Arbeitsmaschinen intelligenter werden. Die Softwareschmiede hat für den
Maschinenbauer dabei eine besonders ausgeklügelte Baggersteuerung
entwickelt.
Auch Energiekonzerne hoffen, durch
eine stärkere Zusammenarbeit mit
jungen, agilen Firmen auf frische
Ideen zu kommen, die ihnen bei der
Bewältigung des Wandels helfen.
Dabei denken Konzerne wie EnBW
an Start-ups, die Innovationen für
das Smart Home, das vernetzte Haus,
entwickeln. Solche Unternehmen
könnten beispielsweise intelligente
Lösungen erarbeiten, die in Verbindung mit einem intelligenten Stromnetz (Smart Grid) dazu beitragen,
dass Schwankungen in einem Netz,
das von erneuerbaren Energien
gespeist wird, besser ausgeglichen
werden können.
Das Interesse von großen Unternehmen an Start-ups gibt es schon länger.
Die Motive der Großunternehmen
haben sich jedoch gewandelt: „Ist es
früher hauptsächlich um finanzielle
Beteiligungen gegangen, steht heute
vor allem das Innovationsmanagement im Mittelpunkt“, so Transformationsberater Stephan Grabmeier. Der
Trend zur Digitalisierung hat beide
Seiten näher zueinander geführt
und gezeigt, dass sie sich sehr gut
ergänzen und voneinander profitieren können.
21
Da sein
Da sein
Ideen, die uns
weiterbringen
Text André Uhl
Spielzeug für die digitale Generation von morgen: TinkerBots
22
Seite 22 – 23 ©
Kinematics
Wir stellen aufgeweckte Gründer vor, die unsere
Welt verändern wollen
Bausteine für das digitale Zeitalter
Spielzeug ist vor allem dann gut, wenn es die Fantasie anregt. Und es ist noch besser, wenn Kinder es mit Spaß zusammenbauen und nach ihren eigenen Vorstellungen weiterentwickeln können. Die Gründer von Kinematics aus Deutschland hauchen mit ihren TinkerBots Bausteinen Leben ein. Im Zentrum steht das sogenannte Power Brain, ein roter
Würfel, der über seine Sensoren Gelenke, Greifer und Motoren steuert. Alle Module werden ohne Kabel verbunden und
einfach zusammengesteckt. Die fertigen Roboter lernen geschickt immer neue Bewegungen und die Kinder werden
zu neugierigen Nachwuchsforschern. Das passende Spielzeug für die digitale Generation von morgen.
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© Vitameter
Gemeinsam sind wir schlau
Ideen teilen, Notizen austauschen, sich gegenseitig unterstützen – die meisten Schüler wissen, dass gemeinsames
Lernen effektiver ist, als allein im stillen Kämmerlein vor sich hinzubrüten. Die Macher von BrainShare, einer BildungsApp aus Uganda, übertragen dieses Prinzip in die digitale Welt. Mit ihrer Online-Social-Media-Plattform vermitteln
sie Spaß am gemeinsamen Lernen und ermöglichen ein einfaches Teilen von Lehrinhalten, egal ob es sich um private
Mitschriften, Beiträge oder Videos handelt. Wenn sich Schüler, Lehrer und Eltern in einem virtuellen Klassenzimmer
treffen, bleibt niemand allein – eine soziale Innovation, von der alle profitieren können.
Da sein
© iStock
Da sein
Gesunder Durchblick
Wer zu wenige Vitamine zu sich nimmt, wird schneller krank – das wissen wir alle. Ebenfalls bekannt ist, dass ein
hoher Vitaminüberschuss negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben kann. Wäre es da nicht praktisch,
einen Überblick über den eigenen Vitaminhaushalt zu haben? Die Erfinder des Vitameters aus Kanada sind angetreten,
um dies zu ermöglichen. Mit Erkenntnissen aus der Nanotechnologie und mithilfe von Biosensoren prüft das Gerät
innerhalb weniger Minuten den persönlichen Vitaminlevel des Anwenders, der damit den eigenen Körper besser
verstehen, seine Ernährung auf den Prüfstand stellen und letztendlich gesünder leben kann.
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© Cityflo
Neues Wissen in Rekordzeit
Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, die Inhalte ganzer Bücher innerhalb kürzester Zeit erfassen zu können?
Die Gründer des Berliner Start-ups Blinkist haben aus diesem Wunsch eine pfiffige Geschäftsidee gemacht. Anstatt
sich stundenlang durch hunderte von Seiten quälen zu müssen, können die Kerngedanken von mehr als 1.000 Sachbüchern in nur wenigen Minuten über eine App auf dem Smartphone, dem Tablet oder in jedem Browser bequem
und zwischendurch gelesen werden. Eine ideale Lösung für alle, die sich immer wieder schnell neues Wissen aneignen
müssen und dafür die vielen freien Momente unterwegs nutzen wollen.
Da sein
© iStock
Da sein
Entspannt ans Ziel
Oft sind die einfachsten Ideen zugleich die besten. Wie ist es möglich, den notorisch überlasteten öffentlichen Nahverkehr in der indischen Millionenmetropole Mumbai zu entspannen? Jerin Venad, indischer IT-Experte und Gründer
der Initiative Cityflo, hat die Antwort: Indem private Minibusse die wichtigsten Strecken abfahren und damit eine echte
Alternative für Pendler bieten. Über eine App können sich die Passagiere anmelden und Tickets lösen, die Routen
können sie über Google Maps einsehen. Damit wäre einmal mehr bewiesen: Das „Rad“ muss nicht unbedingt neu
erfunden, sondern nur sinnvoll eingesetzt werden.
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Vorausdenken
Bewegung schaffen und mit Energie versorgen
Wir treiben Entwicklungen voran – offen gegenüber Neuem und mit der
Neugier des Forschenden denken wir visionär und weit über das Bestehende
hinaus. Einfallsreichtum prägt unsere Produkte und Prozesse genauso wie
die Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Denn nichts ist so gut, als dass wir
es nicht noch verbessern könnten.
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Technologie
Welche Rolle spielt sie bei der Lösung
globaler Herausforderungen?
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Fünf Länder, eine Zukunft?
Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen
ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten
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Volle Kraft voraus
So funktionieren effiziente Kraftwerke der Zukunft
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Kreative Megacitys
Wie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können
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Spezialisten sind unersetzbar
Wir stellen vier Menschen aus dem Unternehmen vor
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Vorausdenken
Vorausdenken
Technologie
Text Luciana Ferrando, Björn Lüdtke
Überall auf der Welt gibt es Herausforderungen,
denen wir Menschen uns stellen müssen. Welche
Rolle kann Technologie dabei spielen? Oder liegt
die Bewältigung der Herausforderungen schlussendlich an uns selbst? Drei ganz unterschiedliche
Sichtweisen zum Thema.
Technologie von innen: ein Serverraum
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31
Vorausdenken
Vorausdenken
„Mensch und Maschine“
— wer braucht wen?
formatik ein Werkzeug, um Wissen
besser zu vermitteln. „In gefährlichen
Bereichen ist es jedoch ein Vorteil,
dass Maschinen autonom handeln,
zum Beispiel bei Missionen im All.“
Aber selbst in solchen Fällen ist eine
Kooperation von Mensch und Maschine erforderlich, denn der Mensch
muss die Daten interpretieren, die
der Computer im All sammelt.
In den FabLabs steht wiederum die
menschliche Neugier und Kreativität
im Mittelpunkt. In diesen weltweit
verbreiteten Hightech-Werkstätten
dürfen alle die neuesten technischen
Geräte wie 3D-Drucker oder Lasercutter ausprobieren. Das Ziel? Technologie selbst in die Hände zu nehmen,
sie besser zu verstehen und für eigene
Zwecke zu nutzen.
Ein weiterer unentbehrlich gewordener Vorteil der Technik ist die Ent-
Text Luciana Ferrando
32
Villaplana, Technologie-Philosoph
an den Universitäten von Madrid und
Costa Rica.
Der heutige Computer werde seiner
Meinung nach idealisiert: Er sei
schneller und präziser als der Mensch,
er werde nie müde. „Als würden
Maschinen für sich stehen und mit
dem Menschen konkurrieren“, so
Villaplana. Doch Computer haben
dem Menschen gegenüber Nachteile:
Sie besitzen keine Spontaneität. Sie
brauchen klare Muster und Kommandos, die vorgeben, wie es weitergeht.
„Computer können ganz prima
Anweisungen befolgen, aber sie sind
schrecklich im Improvisieren“, sagt
der Autor Nicholas Carr in der New
York Times. „Ihre Talente enden an
den Grenzen ihrer Programme.
Menschliche Fähigkeiten kennen
eine solche Beschränkung nicht.“
Für die Designforscherin Andrea
Augsten ist die große Herausforderung, das, was den Mensch zum
Menschen macht, vom Analogen ins
Digitale zu transferieren. „Wenn wir
in einem Workshop zusammen arbeiten, lachen und Ideen austauschen,
bleibt diese Stimmung im Raum. Sobald alle wieder an ihren Computern
sitzen, geht sie verloren“, sagt die
Expertin für Zukunftsfragen rund um
Design, Wirtschaft und Politik. „Wir
versuchen, diese Erinnerung digital zu
erhalten, aber sie kann nur auf einem Kanal dokumentiert werden, mit
Bildern zum Beispiel.“ Für sie spielen
Faktoren wie Lebenserfahrung oder
emotionale Intelligenz eine wichtige
Rolle. „Das sogenannte stille Wissen,
das nicht in Worten auszudrücken ist
und das Menschen einfach haben,
ist digital nicht abdeckbar.“
Bei dem Forschungsansatz „Affective
Computing“, der sich mit Computern
und Emotionen beschäftigt, gab es
dennoch überraschende Ergebnisse:
Software kann aus Gesichtern Gefühle ablesen. 2013 zeigte eine Studie
der Universität von North Carolina,
wie eine trainierte Software Gesichtsausdrücke erkennen und mit Begriffen wie „Frustration“ oder „Motivation“ assoziieren konnte. Diese
Software soll Lehrer bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen.
Für Álvaro Villaplana bringt allerdings
nur die Kombination menschlicher
und technischer Kräfte wirkliche Fortschritte. Im Bildungsbereich ist für
ihn der Mensch noch zentral und In-
Im Gegenteil. Gleichwohl sollte der
Mensch weiterhin danach streben,
sein Verhältnis zur Technik zu optimieren. Die Entwicklung der Robotik,
für die Pflege oder im Automobilbau
beispielsweise, zeigt für Augsten
deutlich, wie Maschinen unser Leben
erleichtern können, wenn sie von uns
gesteuert werden. Denn der Mensch
kann auf Unvorhergesehenes reagieren, die Maschinen folgen nur Regeln.
Alltäglich, nah und immer intensiver:
Das Verhältnis des Menschen zur
Technik ist in seinem Leben heute so
präsent wie seine zwischenmenschlichen Beziehungen. Allerdings ist der
Mensch auch für die Technik unverzichtbar, denn er ist es, der sie schafft,
der sie programmiert – oder auch wieder den Stecker zieht.
3D-Drucker: Bald Alltag für alle?
Seite 30 – 31 © iStock Rechts © iStock
A
uf die sanfte Stimme des Navigationsgerätes zu antworten,
sauer auf das Smartphone zu
sein oder Geräusche mit Klingeltönen zu verwechseln – das sind keine
merkwürdigen Verhaltensweisen
mehr, sondern Hinweise auf eine immer größer werdende Vertrautheit
mit technischen Geräten. Technologie
ist ein selbstverständlicher Teil unseres Alltages geworden. Maschinen
übernehmen viele unserer Aufgaben und manche befürchten bereits,
der Mensch werde bald überflüssig.
Könnte es tatsächlich so weit kommen?
In Zeiten der Digitalisierung vergessen die Menschen oft, dass sie selbst
diejenigen sind, die hinter der Entwicklung stecken. Mitte des 18. Jahrhunderts war „Computer“ eine
Berufsbezeichnung für menschliche
Rechner, die komplexe mathematische Probleme lösten oder numerische
Analysen durchführten. „Ohne
Menschen wie Alan Turing, Erfinder
des Computers, oder Gottfried Wilhelm Leibniz, der das binäre Zahlensystem entwickelte, hätten wir heute
keine Maschinen, die fast so genial
sind wie ihre Erschaffer“, sagt Álvaro
lastung bei der Wissensspeicherung.
Studien beweisen, dass Mensch und
Maschine sich dabei gut ergänzen.
„Was wird aus den Ressourcen, die im
Gehirn frei werden, wenn Daten
extern gespeichert werden?“, fragten
sich Ende 2014 Ben Storm und Sean
Stone vom Memory Lab der University
of California. „Das digitale Abspeichern von Daten, die man sich sonst
merken müsste, erleichtert das Lernen neuer Informationen“, schrieben
die Forscher im Fachblatt Psychological Science. Probanden konnten
sich Wörter aus einem PDF besser
merken, wenn sie wussten, dass sie
die Datei speichern durften.
Wenn es nach Andrea Augsten geht,
wird es eine Zukunft, „in der Maschinen uns im Griff haben und wir
nicht mehr selber denken können“,
wie manche befürchten, nicht geben.
33
Vorausdenken
Vorausdenken
„Es gibt kein Zurück“
— eine Unterhaltung mit Autor Michael
Lind zum Thema Technologie
Text Björn Lüdtke
Z
u jeder Zeit hatten und haben
Menschen bestimmte Vorstellungen davon, wie die Zukunft
aussehen könnte. In den 1960 er Jahren dachten sie beispielsweise, dass
wir in den 2010er Jahren in Raumschiffen zu unseren Mondkolonien
fliegen würden.
Wie wir wissen, ist das nicht der Fall.
Dafür tragen wir Computer in Form
von Telefonen in unseren Taschen
herum, deren Rechenleistung damals
völlig utopisch war. So oder so, bei
den meisten Visionen für die Zukunft
spielen neue Techniken und Technologien eine entscheidende Rolle.
Wie diese Rolle tatsächlich aussieht,
versuchen wir im Gespräch mit
Michael Lind herauszufinden. Lind
ist Autor und Mitbegründer von
New America, einer Organisation,
die sich bei Entscheidungsträgern
unter anderem für eine Neuausrichtung der US-amerikanischen Politik
im digitalen Zeitalter einsetzt.
Neue Technologien werden heute
oft als disruptiv bezeichnet, das
heißt, sie verändern den Markt und
das Nutzungsverhalten nachhaltig.
34
Sind neue Technologien wirklich so
bahnbrechend?
Ja, das sind sie. Allerdings werden
viele Technologien meiner Meinung
nach oft falsch eingeordnet. Die überwiegende Mehrzahl dieser sogenannten disruptiven Innovationen sind
eigentlich revolutionäre Technologien,
die schon Mitte des 20. Jahrhunderts
entwickelt wurden und die heute im
Wesentlichen weiterentwickelt oder
auf breiterer Basis genutzt werden.
Nehmen Sie die Automatisierung von
Autos, die zunehmende Verwendung
von Informations- und Kommunikationstechnologien in den verschiedensten Bereichen oder die sozialen
Medien – die zugrunde liegenden
Techniken wurden teilweise bereits in den 1930er Jahren entwickelt.
Viele der heutigen Innovationen sind
nicht wirklich transformative Technologien, die zu grundlegenden Veränderungen führen. Ein Beispiel:
Die Erfindung des Elektromotors entspricht der Entwicklung des Computers zwischen den 1940er und 1980er
Jahren. Die Elektrifizierung der
Städte und ländlicher Gebiete entspricht der Entwicklung des Internets
in den 1990er und 2000er Jahren.
Und die heutigen Apps entsprechen
den Fernseh- und Radioprogrammen, die erst durch den Ausbau des
Stromnetzes möglich wurden. Ebensowenig wie das Fernsehnetz eine
bahnbrechende Technologie ist, ist
es eine App in den sozialen Medien –
ganz im Gegensatz zum elektrischen
Motor.
Würden Sie sagen, dass es überhaupt
eine digitale Revolution gibt?
Ja, denn die wirklichen Produktivitätsgewinne und die eigentlichen Veränderungen in der Gesellschaft rühren
ja nicht von der Erstentwicklung von
sogenannten Basistechnologien oder
wegweisenden Technologien wie der
Dampfmaschine, dem Elektromotor oder dem Computer. Die wahre
Veränderung entsteht durch die
Anwendung dieser Technologien in
verschiedenen, bereits existierenden
Sektoren.
Diese Bereiche sind alte Bekannte:
Industrie, Landwirtschaft, Einzelhandel, Freizeit etc. Es gibt sie, die
Transformation in unserer Gesellschaft, aber wir sollten die Anzahl an
transformativen Technologien nicht
überschätzen.
Denken Sie, dass wir im Allgemeinen
zu viel Hoffnung in neue Technologien stecken?
Ja, vor allem in den USA, nicht so sehr
in anderen Ländern wie zum Beispiel
Deutschland. Der Fokus liegt gerade
in den USA zu sehr auf disruptiven
Technologien. Der breiteren Nutzung
von bereits entwickelten Technologien wird zu wenig Beachtung geschenkt – zumindest was staatliche
Maßnahmen angeht. Dabei führen
gerade diese zu den wirklichen Produktivitätsgewinnen und zu einer
Verbesserung unserer Lebensqualität.
Manchmal entstehen in der Tat neue
Sektoren. Aber größtenteils verändert Technologie altbekannte Bereiche. Mit dem Verbrennungsmotor
wurde beispielsweise die Landwirtschaft mechanisiert: Der Traktor
ersetzt Pferd und Mensch. Es ist immer noch Landwirtschaft, nur eben
produktiver.
Es gibt eine Bewegung namens
Maker Movement, bei der es darum
geht, viele Dinge wieder selbst herzustellen. Denken Sie, dass Selbermachen eine Möglichkeit für uns ist,
um einige unserer Probleme wie Unterernährung oder die Bereitstellung
erneuerbarer Energien zu lösen?
Mit einem Wort: Nein. Ich bin sehr begeistert vom Maker Movement und
ich glaube, es ist gut für eine Gesellschaft, wenn die Menschen nicht alles einfach nur in Geschäften kaufen.
In den USA gibt es diese Tradition
schon lange: Geschäfte für Heimwerker bieten Werkzeuge an, mit denen
die Leute dann am Wochenende ihre
eigenen Gewächshäuser bauen. Das
ist gut und ich glaube, dass das durch
Maschinen zur schnellen Herstellung
von Musterbauteilen, Rapid Prototyping genannt, beschleunigt werden
wird. Es ist aber utopisch zu glauben,
dass die Wirtschaftlichkeit der Massenfertigung durch 3D-Drucker im
Hobbykeller ersetzt werden kann. Es
ist und bleibt sinnvoll, Produkte wie
Autos oder Flugzeuge in der Masse
herzustellen.
Seit den Anfängen der industriellen
Revolution gibt es die Hoffnung, dass
man zu einer prä-urbanen, ländlichen Gesellschaft zurückkehren
könne, nur mit neuen Werkzeugen.
Das ist bisher nicht gelungen und
ich glaube auch nicht, dass es jemals
gelingen wird.
Denken Sie, dass die Komplexität
des heutigen Lebens bei den Menschen Unbehagen auslöst?
Ja, ich denke schon. Es gibt da meiner Meinung nach eine Diskrepanz:
Ich glaube, dass der Mensch traditionell in kleinen Gruppen funktioniert,
die keine große wissenschaftliche
oder technische Kompetenz erfordern.
In der Tat aber leben wir in Staaten
mit Grenzen und großen Gemeinschaften wie der Europäischen Union.
Das ist nicht nur eine neue menschliche Erfahrung, ich glaube auch,
dass es auf eine gewisse Weise gegen
unsere Natur ist. Menschen wollen
wie Schimpansen im Urwald in kleinen Gruppen wohnen. Um uns herum
wuselt es aber wie in einem Ameisenhaufen. Das muss einfach alle möglichen sozialen und politischen Probleme mit sich bringen.
Dabei sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es kein Zurück mehr
gibt. Zehn Milliarden Menschen
können nicht mit lokal hergestellten
Produkten ernährt werden, die mithilfe von Solarstrom produziert werden. Die Deutschen versuchen das im
Moment, aber es funktioniert nicht.
Ein Dilemma: Die jetzige Situation
sorgt bei vielen für Unbehagen und
trotzdem verlassen wir uns mehr
und mehr auf Technologie – man
schaue sich nur die Finanzmärkte
oder Autopiloten in Flugzeugen an,
die immer mehr Funktionen übernehmen.
Ich würde zwischen Technologie und
Technik unterscheiden. Die Techno-
logie ist die eigentliche Maschine,
die Technik ist die Verwendung dieser Maschine. Die meisten dieser
Beispiele für Technologie sind eigentlich Techniken. In den 1990er Jahren,
bevor die USA den Finanzsektor
deregulierte, war zum Beispiel genau dieselbe Technologie im Einsatz
wie in den 2000er Jahren, also nach
der Deregulierung. Es waren rein die
rechtlichen Bedingungen, die sich
veränderten.
Wir haben eigentlich vollkommene
Freiheit, wenn es darum geht, Dinge
zu strukturieren. Es ist wie bei Leuten,
die denken, sie lehnen Technologie
ab. Eigentlich lehnen sie bestimmte
soziale, politische und gesetzliche
Rahmenbedingungen ab. Es spielt
keine Rolle, welche Werkzeuge wir
verwenden. Es gibt Kosten und es
gibt Nutzen, alles eine Frage der Abwägung – aber unterm Strich liegt es
an uns, die Gesellschaft so zu formen,
wie wir sie haben wollen.
Michael Lind
US-amerikanischer Autor, der unter
anderem für The New Yorker tätig
war. Er ist Mitbegründer des Thinktanks New America.
35
Vorausdenken
Vorausdenken
„Ein Schubs in die richtige Richtung“
— Nudging als Alternative zu technischen
Lösungen?
schungsverbund Danish Nudging
Network führte dazu folgendes
Experiment durch: Neben den Lichtschaltern einer Universität wiesen
Schilder darauf hin, dass 85 Prozent
der Studenten das Licht beim Verlassen des Raumes ausmachen würden. Das führte dazu, dass das Licht insgesamt weniger oft angelassen wurde
(ein Rückgang von 20 bis 26 Prozent) –
es wurde effektiv Energie gespart.
Und auch in den USA wird geschubst:
Im heißen Kalifornien liegt es in der
Natur der Sache, dass die Bürger
bei Hitzewellen ihre Klimaanlagen
einschalten. Das führte jedoch immer
wieder zum Zusammenbruch der
Stromversorgung. Psychologen kamen
auf die Idee, die Einwohner darüber
Text Björn Lüdtke
36
anstreben und weniger Wert auf die
Einführung neuer Produkte legen.
Soziale Innovationen sind neue Ansätze zum Erfüllen sozialer Bedürfnisse. Bekannte Beispiele sind fairer
Handel, Mikrofinanzierungen, Arbeitszeitkonten, Gemeinschaftswährungen und mobile Apps zum Organisieren von Fahrgemeinschaften.
Wie können Menschen zu sozialerem
Verhalten angeregt
werden?
Ein neuerer Ansatz innerhalb der sozialen Innovationen ist das sogenannte
Nudging, englisch für „schubsen“. Es
handelt sich dabei um einen Ansatz,
der sich mit der Frage beschäftigt,
wie man Menschen zu sozialerem und
produktiverem Verhalten anregen
kann, ohne sie dabei zu bevormunden.
Die Nudging-Theorie besagt, dass
allein positives Feedback oder indirekte Anregungen – ein Anstoß oder
eben ein Schubs – Gruppen und einzelne Personen genauso effektiv oder
sogar effektiver beeinflussen können
als direkte Anweisungen, Gesetze
oder Zwang.
Zum Einsatz kommen die sogenannten Nudges oft als Alternative zu
technischen Lösungen. In einem
Hotel in Dänemark beispielsweise
hat man Äpfel in einer Auslage ausgestellt und versucht, mit einer alten
Weisheit an der Wand dazu anzuregen,
gesünder zu leben: „An apple a day
keeps the doctor away.“ Die Konferenzteilnehmer fingen an, den gesunden Snack gegenüber Kuchen oder
Schokolade zu bevorzugen, woraufhin
das Hotel sein Obstangebot erweitern musste. Die technische Alternative? Mehr Diätprodukte entwickeln
oder gar mehr Geld ins Gesundheitswesen stecken. Menschen auf die
beschriebene Art und Weise dazu anzuregen, gesünder zu leben, ist jedoch auf jeden Fall nachhaltiger und
kosteneffizienter.
Nudges können auch ein einfaches
und günstiges Mittel sein, um Menschen zum Energiesparen zu ermuntern. Der 2010 vom Dänen Pelle
Guldborg Hansen gegründete For-
Nudging-Klassiker: Anstoß zum Ausschalten des Lichts
© iStock
Ü
berall auf der Welt sehen wir
uns einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber:
nicht nachhaltige Landwirtschaft, Klimawandel, hoher Energieverbrauch,
eine alternde Bevölkerung und steigende Kosten im Gesundheitssektor sind dabei nur die dringlichsten.
Traditionelle Ansätze scheitern immer häufiger bei dem Versuch, diese
komplexen Probleme zu bewältigen.
Staatliche Instrumente oder reine
Marktlösungen genügen in den meisten Fällen nicht. Immer häufiger
werden deswegen soziale Innovationen als Ergänzung oder Alternative
zu traditionellen, meist technischen
Problemlösungen gesehen.
Dabei gibt es noch keine eindeutige
Definition dafür, was soziale Innovationen eigentlich sind. Die Diskussionen dazu sind lang und zahlreich.
Im Grunde genommen geht es aber
schlicht um Folgendes: Jeder packt
mit an, um positive Veränderungen
für sich selbst und seine Mitmenschen herbeizuführen.
Soziale Innovationen unterscheiden
sich von technischen in erster Linie
dadurch, dass sie die Veränderung bestimmter gesellschaftlicher Praktiken
Im oft kalten Großbritannien liegt das
Problem genau andersherum. Hier
geht viel Wärme (und somit Energie)
buchstäblich durch das Dach. Damit
die Menschen ihre Heizungen weniger weit aufdrehen müssen – und
somit der CO2-Ausstoß verringert
wird –, wollte die britische Regierung
die Bürger mit Subventionen zum
Dämmen ihrer Dächer anregen. Das
hat aber nicht funktioniert, die Subventionen wurden gar nicht erst abgerufen. Warum? Man hat herausgefunden, dass die Menschen vor einer
Renovierung zurückschreckten, weil
die meisten Dachstühle voll mit Gerümpel waren. Fortan gab man nicht
mehr nur Finanzspritzen zum Isolieren des Dachs, sondern ließ gleich-
zu informieren, wie sie im Vergleich
zu ihren Nachbarn beim Stromverbrauch dastehen. Zusätzlich wurden
auf den nächsten Rechnungen Smileys
vergeben, je nachdem wie viel gespart wurde. Das verantwortliche Unternehmen Opower gibt an, seit 2007
2,8 Terawattstunden Strom eingespart zu haben.
zeitig den Sperrmüll entsorgen.
Das Resultat: Es wurden dreimal
mehr Subventionen in Anspruch
genommen.
Die Idee, die Dachstühle räumen zu
lassen, stammte vom Behavioural
Insights Team, ein Beraterteam, das
2010 von der britischen Regierung
gegründet wurde, um Verhaltens-
wissenschaften im Allgemeinen und
die Nudging-Theorie im Speziellen
in praktische Anwendungen zu überführen. Das Team soll Menschen
dabei helfen, bessere Entscheidungen
für sich zu treffen.
Eine erste Aufgabe des Teams bestand darin, mehr Steuern einzutreiben. Wie? Anstatt den Leuten mitzuteilen, dass sie noch Steuerschulden
haben, lies man sie wissen, dass die
meisten Einwohner ihrer Stadt schon
bezahlt hätten. Das einfache Umformulieren der Briefe soll Mehreinnahmen in Höhe von 200 Millionen
Pfund gebracht haben – und das
ohne mehr Kosten zu verursachen.
Das alles sind kleine Anstöße, die einen großen Effekt haben können.
Beim Nudging geht es nicht um Verbote, sondern darum, Menschen frei
entscheiden zu lassen – die Entscheidung jedoch zu lenken. Der Grat zur
Bevormundung ist dabei aber schmal
und so wundert es nicht, dass Nudging auch in der Kritik steht.
Laut Theorie ist ein Schubs nur dann
ein Nudge, wenn er das Verhalten
von Menschen in einer vorhersehbaren Weise beeinflusst, ohne Optionen
zu verbieten. Nicht jeder Eingriff, der
einen frei entscheidenden und vernünftig handelnden Menschen beeinflusst, ist ein Nudge. Nudges setzen
keine Anreize – weder positive noch
negative. Ob das Ausnutzen von
Schamgefühlen in diesem Sinne noch
neutral ist, ist sicherlich diskussionswürdig. Außerdem wird die Nachhaltigkeit der Verhaltensänderung infrage gestellt.
Allen Kritiken zum Trotz jedoch kann
Nudging zu positiven Verhaltensänderungen beim Einzelnen und bei ganzen Gruppen führen. Nudges stellen
oft günstige Alternativen zu so manch
kostspieliger technischer Problemlösung dar. Werden sie mit gesundem
Menschenverstand und Feingefühl
angewendet, dann kann jeder von uns
dazu angeregt werden, die Welt zu
verändern – Schubs für Schubs.
37
Vorausdenken
Vorausdenken
Fünf Länder,
eine Zukunft?
W
Text Björn Lüdtke, Yuki Sato, Ellen Lee, Angela Gruber, Luciana Ferrando, Raouia Kheder
Fußball spielende Roboter
38
Links © Jiuguang Wang / Flickr (CC BY-SA 2.0) Rechts © HUISTEN BOSCH
Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr
Leben mithilfe von Technologie neu gestalten
ie in jeder Ausgabe von
Zukunft schauen wir uns in
fünf Ländern dieser Welt
um. Wir wollen sehen, wo Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten
liegen. Dieses Mal geht es dabei um
neue technische Entwicklungen.
Was sind die kulturellen Besonderheiten bei der Verbreitung und Akzeptanz von Technik in der jeweils betrachteten Kultur? Welchen Stellenwert nimmt sie in Japan, den USA,
Deutschland, Argentinien und Tunesien ein und welchen Platz findet
sie dort im Alltag?
Den Anfang macht unsere Reporterin
Yuki Sato in Japan. Japaner haben
den Ruf, technischen Innovationen gegenüber besonders aufgeschlossen
zu sein. Ist das tatsächlich so oder
handelt es sich um ein Klischee? Und
welche Erwartungen werden dabei
an Roboter gestellt?
Auch die USA sind immer ganz vorne
mit dabei, wenn es um neue Anwendungen geht. Laut Ellen Lee könnte
das vor allem am unangepassten
Pioniergeist der Amerikaner liegen.
Sie findet dort eine Kultur vor, „die
Risikobereitschaft begrüßt und Menschen belohnt, die kluge Dinge tun“.
Den Deutschen dagegen haftet das
Image der Technik-Skeptiker an – und
das, obwohl sie das Land der Tüftler
und Denker sind. Haben sie dieses
Image zurecht? Angela Gruber versucht, diese Frage zu beantworten.
Luciana Ferrando schaut sich in Argentinien genauer um. Dort spielen
neue Techniken im Alltag eine größere Rolle, als man das vielleicht vermuten würde. Das fängt schon bei
der Bildung der Kleinen an und ist vor
allem einem staatlichen Programm
zu verdanken.
Woran es in Tunesien liegt, dass es
neue Technologien – abgesehen von
Informations- und Kommunikationstechnologien – schwer haben, sich zu
verbreiten, berichtet Raouia Kheder.
Eines sei vorweggeschickt: An den
Bürgern scheint es nicht zu liegen.
Roboter am Empfang eines Hotels
Japan
— Roboter mit Seele
Im Sommer 2014 stellte das japanische Telekommunikationsunternehmen SoftBank der Öffentlichkeit den
humanoiden Roboter Pepper vor.
Pepper hat einen menschenähnlichen
Körper, zwei Augen, die blinzelnd
Emotionen vermitteln, und einen großen Auftrag: Er soll Menschen glücklich machen, indem er „ihre Gefühle
liest“. Touristen mag es überraschen,
wenn sie in Japan in einigen Geschäften oder Hotels von humanoiden
Robotern bedient werden. Für immer
mehr Japaner werden sie indes zur
Gewohnheit.
Zugegeben, auch hier gehören Roboter noch nicht zum Straßenbild – das
entspricht vielleicht eher einem Klischee. Trotzdem scheinen menschlich
wirkende Roboter immer mehr Aufgaben zu übernehmen. Wieso ist man
in Japan so offen für diese Art von
Technologie?
Ein Grund mag darin liegen, dass
weltlichen und rationalen Werten
hohe Bedeutung beigemessen wird,
im Gegensatz zu traditionellen Werten,
die sich um Familie, die lokale Gemeinschaft oder Religion drehen. In
einer solchen Gesellschaft verlässt
man sich lieber auf die Technik, als
die Familie oder die Gemeinschaft
um Hilfe zu bitten.
Laut Shunsuke Aoki, CEO von Yukai
Engineering, einem Unternehmen
aus Tokio, das interaktive digitale
Gadgets und Spielzeug herstellt, bevorzugen seine Kunden Produkte
in Form von Puppen oder Figuren.
Eines der Produkte ist Bocco, ein
Familienroboter, der dafür sorgt, dass
getrennt voneinander lebende Familienmitglieder in Verbindung bleiben.
Er sieht aus wie ein Yokai, eine übernatürliche Figur aus dem japanischen
Volksglauben.
Aoki glaubt, dass Yokai eine wichtige
Rolle bei der Einstellung zu Robotern
spielen. „Seit dem Mittelalter glauben
Japaner, dass Dinge, die immer wieder benutzt werden, wie zum Beispiel
eine Tasse oder ein Teller, auch eine
Seele haben und sich in ein Yokai
verwandeln können. Diese Kultur beeinflusst noch immer die Interaktion
der Menschen mit Dingen.“
Die Erwartung an Roboter als aktive
Hilfe im Alltag scheint sich in der
modernen japanischen Gesellschaft
39
Videobrille Oculus Rift
immer stärker auszuprägen. Die öffentliche Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft New Energy and
Industrial Technology Development
Organization sagt dem heimischen
Markt für Industrie- und Privat-Roboter ein Wachstum von 1,6 Billionen
Yen im Jahr 2015 auf 9,7 Billionen
Yen im Jahr 2039 voraus.
Der Trend wird durch die demografischen Veränderungen in vielen
kleinen und mittelgroßen Städten
verstärkt. Die Gesundheitsverwaltung von Nanto zum Beispiel setzt
für therapeutische Aufgaben Paro
ein, eine Roboter-Puppe in Form
einer Robbe. Sie soll einen beruhigenden Einfluss auf Patienten haben.
Nach einer erfolgreichen Testphase
beschloss die Stadt, sie in Dienst zu
stellen, um Familien zu entlasten, die
sich um ihre älteren Mitglieder kümmern müssen. Die Bevölkerung von
Nanto ist in den letzten 25 Jahren um
40
20 Prozent auf 55.000 Einwohner zurückgegangen, wobei der Anteil der
über 65-Jährigen 34 Prozent beträgt,
30 Prozent mehr als im japanischen
Durchschnitt.
Bevölkerungsverlust und eine alternde Gesellschaft sind Herausforderungen, denen sich viele japanische
Städte gegenübersehen – und so steigen auch die Erwartungen an Roboter.
USA
— Offen gegenüber
Neuem
Eine Waschmaschine, die per SMS
meldet, dass die Wäsche fertig ist. Ein
selbstfahrendes Auto. Eine VirtualReality-Brille, mit der man ohne
Schläger und Ball Tischtennis spielen
kann. Bei der Verbreitung und Akzeptanz neuer Technologien setzen die
Vereinigten Staaten immer wieder
Maßstäbe.
Woher kommt aber eine Kultur, die
dem Neuen so offen gegenübersteht?
Sie ist tief verankert in einer Gesellschaft, die auch heute noch die Unangepassten und die Risikobereiten
feiert. Nehmen wir die amerikanische
Popkultur, von Rock ’n’ Roll bis Hollywood. Oder die Erinnerungen an den
Wilden Westen. Oder die stolze Historie von Immigranten, darunter Technikkoryphäen wie Elon Musk von Tesla
oder Sergey Brin von Google.
„Stellen Sie sich vor, wie es gewesen
sein muss, als Amerika von europäischen Auswanderern besiedelt
wurde. Sie mussten einfallsreich und
risikobereit sein, um es überhaupt
bis hierher zu schaffen“, sagt Lee
Rainie, Direktor für Internet-, Wissenschafts- und Technologiestudien am
Pew Research Center in Washington,
D.C. „Das führt zu einer gewissen
Kultur, die Risikobereitschaft begrüßt
und Menschen belohnt, die kluge
Dinge tun.“
Amerikanische Technikinnovationen
basieren laut einem Bericht der Information Technology and Innovation
Foundation, einem gemeinnützigen
Thinktank in Washington, D.C., auch
auf einem tief verwurzelten Interesse
am Basteln, Erfinden und Verbessern.
„In Kombination mit einer ausgeprägten Kultur des Individualismus macht
es das leichter, eingefahrene Vorgehensweisen infrage zu stellen – ob
Sie nun Steve Jobs oder ein Fabrikarbeiter sind“, stellt der Bericht fest.
Es gibt aber auch Stimmen, die vor
einer Kultur warnen, die nur noch
von der nächsten Innovation besessen ist. Das American Enterprise
Institute, ein weiterer Thinktank in
Washington, D.C., warnt die Amerikaner davor, der „Faszination der Technikideologie“ zu erliegen. Das gefährde die Ethik und die Tugenden einer
Gesellschaft. Immerhin sorgt man sich
© iStock
Vorausdenken
© Kārlis Dambrāns / Flickr (CC BY 2.0)
Vorausdenken
seit Kurzem um Technikabhängigkeit
– vor allem von Smartphones – und
wie sie die Interaktion zwischen uns
Menschen beeinträchtigt.
Außerdem wird befürchtet, dass den
USA bei den Innovationen die Puste
ausgeht. Zum einen wird Unternehmern vorgeworfen, sie entwickelten
nur noch Produkte, von denen nur
wenige wohlhabende Menschen
profitierten, und sie vernachlässigten größere, drängende Probleme
wie Armut oder Klimawandel. Zum
anderen weist zum Beispiel Eamonn
Fingleton, der Autor von In the Jaws
of the Dragon: America’s Fate in the
Coming Era of Chinese Dominance
(„In den Klauen des Drachen: Amerikas Schicksal in der kommenden Ära
chinesischer Dominanz“), darauf
hin, dass chinesische Unternehmen
in den letzten Jahren mehr Technikpatente angemeldet haben als USamerikanische.
Trotzdem verläuft die technische Entwicklung im Land noch immer rasant.
Da gibt es beispielsweise Oculus Rift,
eine Virtual-Reality-Brille. Der erste
Prototyp wurde 2012 von einem
damals 20-jährigen Spielebegeisterten entwickelt und hat ein Wettrennen unter den Tech-Titanen Sony,
Microsoft und Google ausgelöst: Wer
kann als erstes Virtual Reality für den
Massenmarkt anbieten? Im Jahr 2014
übernahm Facebook das Unternehmen Oculus VR.
Die neueste Version der Brille wurde
im Jahr 2015 vorgestellt, zusammen
mit einem virtuellen Tischtennisspiel,
das von Spielern gespielt werden
kann, die Tausende von Meilen voneinander entfernt sind. „Ich glaube,
ich habe in meinem Leben fünf oder
sechs Computer-Demos gesehen, bei
denen ich anschließend dachte, dass
sie die Welt verändern würden“, sagte
Chris Dixon, einer der Investoren von
Oculus Rift dem Wired Magazine.
„Apple II, Netscape, Google, iPhone –
und jetzt Oculus. Das gehört in die
gleiche, unglaubliche Kategorie.“
Deutschland
— Tüftler und Denker
Wer nach Deutschland kommt und
ins Internet will, muss erst mal anfangen, nach Passwörtern zu fragen.
Während man sich in anderen Ländern in jedem Café in ein offenes
sierten Innenausstatter des Landes,
gibt es seit Kurzem Glühbirnen zu
kaufen, die sich per App steuern lassen. Die Digitalisierung kommt immer mehr in der Mitte der Gesellschaft
an.
Die Deutschen lieben Technik, Effizienz und Nützlichkeit der modernen
Geräte. Gleichzeitig stellen sie Neuerungen infrage wie wenige andere
Nachbarn. Was auf den ersten Blick
wie ein Widerspruch aussieht, ist
allerdings keiner.
Deutsche Ingenieure beim Tüfteln
WLAN einwählen kann, werden hier
die Netzwerke geschützt. Der Grund:
die Gesetzeslage. Denn wenn ein
Dritter den Zugang zum Netz missbraucht, kann in Deutschland der
Besitzer des Netzanschlusses haftbar
gemacht werden.
Gleichzeitig ist das Land Vorreiter in
Sachen grüner Technologie: Überall
stehen Windräder und Wasserkraftwerke, und Elektroautos sind hier
nicht nur Utopie. Auch in den eigenen
vier Wänden setzen die Deutschen auf
Technik. Erfolgreiche Smart-HomeAnbieter wie das Münchner Start-upUnternehmen Tado mit seinem intelligenten Heizungssystem sind das beste
Beispiel. Sogar bei Ikea, dem favori-
„Weil das Neue eingespielte Prozesse
durcheinanderbringt, wird es oft
nicht nur als nutzlos, sondern als geradezu lästig empfunden“, moniert
die Autorin Kathrin Passig in ihrem
Text „Standardsituationen der Technologiekritik“. Dass Neues zunächst
kritisch geprüft wird, bevor man es in
den Alltag integriert, ist insbesondere
in Deutschland der Fall: Ein neues
Gerät, eine neue Technik, muss erst
einmal seinen Mehrwert unter Beweis
stellen. Die Deutschen haben bei
technischen Neuerungen somit zwar
hohe Ansprüche – richten sich dadurch aber letztlich so konsequent
wie wenige andere Nationen in Richtung Fortschritt aus.
41
Vorausdenken
Während Bürger anderer Nationen
oft bedenkenlos in AGB und Nutzungsverträge internationaler Anbieter wie
Facebook oder Skype einwilligen,
sehen die Deutschen laut einer Umfrage von Statista aus dem Jahr 2014
auch das Überwachungspotenzial
der Technik – die Enthüllungen von
Whistleblower Edward Snowden
trugen ihr Übriges dazu bei. In keinem
anderen europäischen Land riefen
sie eine solche Empörung hervor.
Umfragen zeigen aber auch, dass das
Image vom technikfeindlichen Deutschen keinesfalls gerechtfertigt ist.
Ein gutes Drittel der Befragten kann
sich laut der Umfrage aus dem Jahr
2014 ein Leben ohne Smartphone
nicht mehr vorstellen. 47 Prozent
finden es zudem „richtig spannend“,
wie sich die technischen Möglich-
Vorausdenken
keiten im Zuge der Digitalisierung
vervielfältigen.
Im europäischen Vergleich blicken
die Deutschen zwar insgesamt etwas
nüchterner auf technische Neuerungen als ihre Nachbarn und stürzen
sich nicht begeistert auf jede neue
technische Spielerei, so der Dortmunder Techniksoziologe Johannes
Weyer in einer Studie zum Thema.
Die Daten liegen Weyer zufolge aber
immer noch in der Nähe des europäischen Durchschnitts.
In puncto neue Medien kommen die
großen Entwicklungen – das tolle
neue Smartphone oder die trendige
App – eher aus dem angelsächsischen
Raum. Die Deutschen dürfte das
wenig stören. Das Hochtechnologieland ist der Platzhirsch wenn es um
Ingenieurswesen und Maschinenbau
Argentinien
geht. Die technische Überlegenheit
und das hohe Qualitätsbewusstsein
zeigen sich in diesen klassischen
Bereichen. Dort präsentiert sich
Deutschland unangefochten als Land
der Tüftler und Denker.
Nicht zuletzt der Fokus auf diesen
Kernbereich macht das Land zum
nachhaltigsten Innovationsmotor
Europas. Die Deutschen verteidigten
auch 2014 ihren Spitzenplatz als „Patentkaiser“ der Europäischen Union.
Knapp 32.000 Patente wurden 2014
angemeldet, die meisten aus der
Industrie. Insgesamt gab es so viele
Anmeldungen wie aus keinem anderen europäischen Land. Vielleicht
ist eben das typisch deutsch: Kein
großes Gerede über Innovationsfähigkeit, dafür die Zahlen für sich
sprechen lassen.
— Blick nach vorn
42
© TECHNIK BEGEISTERT e.V.
© 2009, Intuitive Surgical, Inc.
Da Vinci, das weltweit meistverwendete Operationsrobotersystem
Aufregung und Enthusiasmus herrschten in der argentinischen Wissenschaftsgemeinde, als Buenos Aires,
die Hauptstadt des Landes, Ende Juli
2015 Gastgeberin der International
Joint Conference on Artificial Intelligence (IJCAI) war. Mit 1.200 Teilnehmern fand die weltweit wichtigste
Konferenz im Bereich künstliche Intelligenz damit erstmals in Südamerika
statt.
Es ist wohl kein Zufall, dass Argentinien das auserkorene Land war. „Es
ist eine Anerkennung und der Beweis,
dass in Lateinamerika Argentinien im
technologischen Fortschritt vorneweg
ist“, meint Professor Guillermo Simari,
Vorsitzender des lokalen Organisationskomitees der IJCAI. „Argentinier
sind von neuen Ideen sofort begeistert und betrachten Technologie als
Verstärker kultureller Entwicklung in
allen Bereichen“, sagt Simari.
Die Gründe für diese Offenheit sieht
Simari, der auch Leiter des Instituts
für Ingenieurinformatik an der Universidad Nacional del Sur in Bahía
Blanca ist, in den kulturellen Eigenheiten der Argentinier. Der Satz des
mexikanischen Autors Carlos Fuentes
„Die Mexikaner kommen von den
Azteken, die Argentinier von den
Schiffen“ ist für ihn mehr als ein humorvolles Zitat. „Die Welle europäischer Immigration, die Anfang des 20.
Jahrhunderts in Argentinien ankam,
hat einen klaren Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Ländern
hervorgebracht“, sagt Simari. „Immigranten möchten, dass ihre Kinder
sich bilden, um bessere Positionen in
der Gesellschaft zu erlangen. Dieser
Input anderer Kulturen hat uns positiv
beeinflusst. Er ist Teil unserer heu-
Teilnehmerin bei der World Robot Olympiad ( WRO )
tigen Wesensart: Wir bewegen uns
vorwärts und schauen nach vorn.“
Das spiegelt sich auch in der wachsenden Nutzung von Technologie und
Robotik in der Bildung wider. Inzwischen gibt es alle Arten von Anwendungen in den Klassenzimmern.
Grundschulkinder lernen programmieren, Schüler bauen Roboter, Rechner gehören zur Grundausstattung.
Den Anstoß gab 2010 das staatliche
Programm Conectar Igualdad, das
landesweit 5,4 Millionen Netbooks
an Schüler und Lehrer von Sekundarschulen verteilte.
Bis dahin waren Netbooks exklusiver Luxus. „Conectar Igualdad hat
ein Fenster zur Welt geöffnet und
die technologische Kluft verkleinert“,
sagt Monika Paves, Physikprofessorin
und Geschäftsführerin von RobotGroup Argentinien. Das Unternehmen,
das Roboter für den Erziehungsbereich baut, bietet Workshops (auch
für Lehrer) an, arbeitet bei pädagogischen Projekten des Wissenschaftsministeriums mit und stellt didaktische
Robotik-Kits her. „Wenn Kinder programmieren, eigene Ideen entwickeln
und dann sehen, dass die Roboter,
die sie bauen, so funktionieren wie
sie sich das vorgestellt haben, wird
ihre Motivation immer größer“, sagt
Paves.
So sieht das auch Marcelo De Vincenzi
von der Universidad Abierta Interamericana (UAI). „Immer mehr Lehrer
und Pädagogen nutzen die Robotik,
um wissenschaftliche Grundlagendisziplinen zu erklären. Beispielsweise
spielen sie Roboterfußball und die
Kinder lernen dabei Mathematik oder
Physik.“ Seit 16 Jahren organisiert
die UAI die Olimpíadas Nacionales
de Robótica (Robotik-Olympiade),
bei der 250 Teams aus Schulen des
ganzen Landes miteinander konkurrieren.
Oder die Schüler designen selber
Roboterteile und drucken sie mit
einem 3D-Drucker aus. So macht es
die Informatiklehrerin Alicia Siri
mit Jugendlichen in ihren Klassen.
Auch zu Hause ist Siri ein Tech-Fan.
Sie hat einen Staubsauger-Roboter
und bedient die Waschmaschine oder
die Spülmaschine mit ihrem Smartphone. Die jungen Leute in ihrer
43
Vorausdenken
lungsland sind.“ Doch die Experten
sind sich einig: Talent, kreative Ideen
und Know-how hat Argentinien in
großer Fülle. Und mit Blick auf die jungen Generationen, die mit den
neuen Technologien aufwachsen,
sind sie überzeugt: Es wird noch
besser!
Neue Arten des Bezahlens in Tunesien
Niere operieren lassen. Das Krankenhaus, wie auch das Hospital El
Cruce-Néstor Kirchner, beide in
Buenos Aires, besitzen „intelligente
Operationssäle“ der neuesten Generation. „Vor 40 Jahren war mein
Vater wegen einer ähnlichen Operation 15 Tage im Bett und hatte eine
30 Zentimeter lange Wunde. Meine
maß nur drei Zentimeter und nach
vier Tagen ging ich meinem normalen
Leben wieder nach.“
Eine andere Anwendungsmöglichkeit
von künstlicher Intelligenz, bei der
eine Kamera Altenpfleger unterstützt,
entwickelte Ricardo Rodriguez. Sie
kam jedoch nicht zum Einsatz. „Für
das Projekt gab es keine Investoren.
Das ist ein häufiges Problem in Argentinien, da wir noch ein Entwick44
Tunesien
— Lust auf mehr
Mit einer Versorgungsrate von 53
Prozent liegt Tunesien bei der Internetnutzung auf dem zehnten Platz
in Afrika. Knapp 6 der 11 Millionen
Tunesier benutzen es. Bezogen auf
die Zahl der User liegt das Land laut
dem Marktforschungsinstitut Tunisie
Sondage damit weltweit sogar auf
Platz 66. Das ist beachtlich, bedeutet
aber nicht, dass Tunesien seinem
Ruf gerecht wird, wenn es um neue
Technologien generell geht.
„Neue Technologien“ bedeutet für die
Mehrzahl der Tunesier ausschließlich
„Internet“. Erwachsene über 40 Jahre
räumen ein, nur grundsätzliche Anwendungen wie E-Mail oder Google
zu benutzen, darüber hinausgehende
Kenntnisse in Bezug auf Apps, Streaming oder Crowdsourcing aber nicht
zu besitzen.
Abdullah, ein 35-jähriger Verkäufer,
beschränkt sich bei der Nutzung
neuer Technologien auf Smartphone,
Internet und Facebook: „Das ist
alles, was ich nutzen kann. Sonst ist
nichts zugänglich und sicher. Natürlich weiß ich, dass es andere Bereiche
gibt, in denen neue Technologien
zum Einsatz kommen. Die Automatisierung des Zuhauses ist ein gutes
Beispiel. Natürlich gibt es die entsprechenden Technologien in Tunesien. Aber mir ist die Vorstellung,
dass mein gesamtes Haus fernüberwacht wird, nicht geheuer. Was,
wenn jemand mein Konto hackt? Mir
ist absolut klar, dass so etwas anderswo funktionieren kann, aber nicht
in Tunesien.“ Dieses Unbehagen ist
tief verwurzelt und beruht auf Erfahrungen mit Korruption – von Computersystemen, Unternehmen, sogar
der Regierung. Viele fürchten, Opfer
von Betrug oder Hackerangriffen zu
werden.
Bei nachkommenden Generationen
verschwindet diese Angst jedoch
allmählich. In den Städten gibt es
Communities von Computer-Geeks
im Alter von 20 bis 30 Jahren, die
alles ausprobieren: von Cloud Computing über Streaming bis hin zur
Sharing Economy.
Ramzi El Fekih beispielsweise versuchte mit mdinar, einem Projekt für
mobiles Bezahlen, die Einstellung
gegenüber dieser Technik in der
Gesellschaft zu ändern. „Unser Projekt war in vielerlei Hinsicht seiner
Zeit voraus. Und vor allem war es
fortschrittlicher als die Verordnungen,
die zu seinem Erfolg notwendig
gewesen wären. Obwohl die Leute
sich wegen der Sicherheit Sorgen
machten, waren sie dem Produkt
gegenüber sehr offen. Wir reden hier
natürlich über die Jüngeren, die unter 35-Jährigen. Unser Problem waren die Verordnungen, die für unsere
Entwicklung einfach nicht flexibel
genug waren.“
Abgesehen von der ohnehin abnehmenden Skepsis gibt es nur wenige
kulturelle Hürden, nämlich solche,
die sich auf sensible Bereiche wie
Religion und Tradition beziehen:
Glücksspiel oder der Handel mit Aktien sind in vielen arabischen Ländern verpönt.
Das größte Hemmnis ist der Zugang
zu den neuen Technologien. „Ich
kann mir keine spezielle Erfindung
oder Technologie vorstellen, die nicht
akzeptiert werden würde“, meint
Ramzi El Fekih. „Ich denke, dass in
Tunesien die Hindernisse mehr ökonomischer als kultureller Art sind.
Der Wechselkurs und die fehlende
Konvertierbarkeit des Dinars stehen
der Entwicklung und Übernahme
neuer Technologien sehr im Weg. Ich
denke, dass die Tunesier jegliche
neue Technologie übernehmen würden, wenn sie gut informiert werden
und darin Vorteile erkennen.“
Wie so oft ist das Bild von fremden
Kulturen mit Klischees behaftet. Dem
einen oder anderen Klischee konnten
wir auf die Schliche kommen. Wir
haben herausgefunden, dass auch in
Japan Roboter noch nicht zum Alltag
gehören. In Argentinien dagegen spielen sie seit ein paar Jahren vor allem
in der Bildung eine recht große Rolle.
Die Deutschen schauen bei neuen
Technologien zwar genauer hin, Technik-Muffel sind sie deswegen aber
noch lange nicht. In Tunesien hätte
man diese Probleme wohl gerne. Dort
liegt es eher an äußeren Umständen,
dass sich neue Technologien nicht so
schnell verbreiten können.
Nur die Amerikaner werden ihrem
Ruf als unangepasste Pioniere gerecht – zumindest in unserer kleinen
Reise um den Globus – und können
zurecht als unerschrockene Vorreiter in Sachen Technologie gesehen
werden.
Eines aber haben alle Kulturen gemeinsam: Die Technik gehört zum
Alltag und auch ihr kultureller Stellenwert verfestigt sich immer mehr.
In dem einen Land vielleicht schneller
als im anderen, aber tendenziell ist
abzusehen, dass sich die Gewohnheiten in Bezug auf ihren Gebrauch
weltweit angleichen. Wie wir sie für
unseren eigenen Fortschritt nutzen –
das liegt in unseren eigenen Händen.
Die fünf Länder im Vergleich
Japan
USA
Deutschland
Argentinien
Tunesien
A. Auch vor der Ein-
A. Sorgen um die
A. Ein gutes Drittel
A. 71 % der Befrag-
A. Zwei von drei
führung von Smartphones waren
„normale“ Handys
schon internetfähig
Abhängigkeit von
Smartphones
machen sich breit
B. Die ersten fahrer-
B. Roboter sollen
bei der Pflege der
überalternden
Gesellschaft helfen
losen Autos fahren
auf den Straßen
von Kalifornien
der Befragten einer
Umfrage kann sich
ein Leben ohne
Smartphone nicht
mehr vorstellen
eine Seele haben
Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen und
risikobereit
ten einer Umfrage
gehen ohne das
Smartphone nicht
aus dem Haus
B. Smart Homes
werden immer
beliebter
Tunesiern hätten gerne ein
Smartphone
B. Neue Techno-
B. Roboter werden
C. Amerikaner sind
C. Auch Technik kann
© iStock
Umgebung seien davon fasziniert,
aber „Menschen über 45 sehen nicht,
warum sie Geld dafür ausgeben sollen“. Sie selbst dagegen versteht die
Nutzung von Technologie als Verbesserung ihrer Lebensqualität. Auch
deswegen hat sie sich im Hospital
Italiano von einem Roboter an ihrer
Vorausdenken
in der Bildung
eingesetzt
logien kommen
hauptsächlich in
den Städten zur
Anwendung
C. Argentinier beC. Neues muss sich
erst bewähren
trachten Technologie als Verstärker kultureller
Entwicklung
C. Nachwachsende
Generationen
verlieren Berührungsängste
A. Smartphone-Gewohnheiten B. Technologie im Alltag C. Kulturelle Besonderheit
45
Vorausdenken
46
Vorausdenken
47
Vorausdenken
Vorausdenken
Volle Kraft voraus
Generator übertragen. Dessen Herzstück ist ein Magnet, der sich, angetrieben durch die Turbine, in einer
Spule bewegt. Dabei entsteht Spannung – und Strom fließt.
Die derzeit effizientesten Stein- und
Braunkohlekraftwerke verwandeln
rund 46 Prozent der Energie, die im
Brennstoff steckt, in Strom. Doch
das Ende der technologischen Entwicklung ist damit noch nicht erreicht, meint Professor Alfons Kather,
der das Institut für Energietechnik
an der Technischen Universität
Hamburg-Harburg leitet. „Ein Wirkungsgrad von 50 Prozent ist mittelfristig durchaus möglich“, erklärt
der Wissenschaftler. Der wichtigste
Ansatzpunkt: Je höher Temperatur
und Druck im Kessel, desto mehr
Text Ralph Diermann Illustration Jan Erlinghagen
Aus Brennstoff wird Hitze, aus Hitze wird Bewegung, aus Bewegung wird Strom — das ist das
Prinzip vieler Kraftwerke. Forscher aus Industrie
und Wissenschaft arbeiten daran, diesen Prozess
noch effizienter zu machen.
Strom lässt sich aus der Kohle holen.
Bislang allerdings ist bei etwa 600
Grad und einem Druck von 300 bar
Schluss, da die Komponenten der
Anlage sonst zu schnell verschleißen
würden. Industrie und Forschung
entwickeln deshalb bereits neue, widerstandsfähige Werkstoffe auf Basis
von Nickel. Die Werkstoffe sollen
einer Temperatur von 700 Grad und
einem Druck von 350 bar standhalten. Das kann den Wirkungsgrad um
etwa zwei Prozentpunkte steigern.
Und auch bei den Turbinen ist noch
etwas zu holen, zeigt sich Kather
überzeugt. „Die Strömungsführung
lässt sich noch verbessern“, sagt der
Forscher. Bilden sich nämlich Wirbel
oder Abrisse, wenn der Dampf die
Turbinen durchströmt, geht Energie
verloren. Wissenschaftler der Rheinisch-Westfälischen Technischen
Hochschule ( RWTH ) Aachen und der
Universität Hannover arbeiten daher
momentan an neuen Schaufelprofilen,
die solche Strömungsverluste so weit
wie möglich vermeiden sollen.
Der Siemens-Experte Stefan Lampenscherf dagegen will die Abwärme
der Kraftwerke nutzen, um aus dem
Brennstoff mehr Strom zu gewinnen.
Dazu entwickelt der Forscher mit seinem Team bei Siemens sogenannte
thermoelektrische Generatoren. Das
sind spezielle Halbleiter, an deren
Oberfläche eine elektrische Spannung entsteht, sobald dort Temperaturdifferenzen auftreten – etwa wenn
die eine Hälfte des Materials von
einem Abwärmestrom aufgeheizt und
A
ls die EU vor einigen Jahren
das Aus für konventionelle
Glühlampen beschloss,
hatten zwei Unternehmer aus dem
Ruhrgebiet eine pfiffige Idee. Um
das Verkaufsverbot zu umgehen,
deklarierten sie die Birnen einfach
als Miniatur-Heizkörper. Ihre Argumentation: Die Lampen liefern in
erster Linie Wärme, das Licht ist
nur ein Abfallprodukt.
In der Tat beträgt der Wirkungsgrad
einer Glühbirne gerade einmal fünf
Prozent – nur ein Zwanzigstel der
aufgewendeten Strommenge wird in
Licht umgewandelt. Der große Rest
entweicht als Abwärme in die Umwelt. Hoher Einsatz, niedriger Ertrag:
Kein Wunder, dass die EU diese
Technologie aus den Läden verbannt
hat. Der Klimaschutz verlangt, Energie so produktiv wie möglich zu nutzen.
48
Effizienz ist also das zentrale Gebot.
Das gilt jedoch nicht nur für den Verbrauch von Energie, sondern auch
für deren Erzeugung. Denn je mehr
Strom sich aus den eingesetzten
Der Klimaschutz
verlangt, Energie
so produktiv wie
möglich zu nutzen
Ressourcen in den Kraftwerken gewinnen lässt, desto besser fällt die
Klimabilanz der Anlagen aus. Die Internationale Energieagentur IEA
erwartet, dass bis 2035 weltweit insgesamt 23 Billionen US-Dollar in konventionelle Kraftwerke – allen voran
Kohlekraftwerke – investiert werden.
Vor allem China und Indien sowie
mehrere südostasiatische Staaten
wollen in den nächsten Jahren zahlreiche neue Kohlekraftwerke bauen.
Jeder noch so kleine Effizienzgewinn
bedeutet daher eine spürbare Entlastung für das Klima.
Kohlekraftwerke funktionieren im
Grunde wie ein Schnellkochtopf:
Durch das Verbrennen von Steinoder Braunkohle wird Wasser erhitzt
bis es verdampft. Dabei baut sich
im Inneren der Anlage ein hoher Druck
auf. Der Wasserdampf wird zu einer
Turbine geleitet. Dort entspannt er
sich, indem er die Turbinenschaufeln
durchströmt – ähnlich dem Öffnen
des Ventils am Kochtopf. Vom Dampf
in Bewegung gesetzt, rotiert die Turbine mit 3.000 und mehr Umdrehungen pro Minute. Diese mechanische
Energie wird über eine Welle auf den
© iStock
Staudamm eines Wasserkraftwerks in Manitoba, Kanada
49
Vorausdenken
stoff. Vielerorts ist aber gar nicht
genug Biomasse verfügbar, um diesen Bedarf zu decken.
Professor Mohammad Asadullah von
der Technischen Universität MARA
in Malaysia will dieses Problem jetzt
Turbine im Inneren eines Wasserkraftwerks
geht es zum Beispiel darum, aus der
Abwärme eines Verbrennungsmotors
Strom zu erzeugen, um die Lichtmaschine zu entlasten“, erklärt Lampenscherf. „Mit der Weiterentwicklung
der Technik werden wir aber auch
Anwendungen in der Industrie- oder
Kraftwerkstechnik sehen, mit denen
sich Leistungen im Kilo- oder sogar
Megawattbereich erzielen lassen.“
Dampf und Druck, Turbine und Generator – dieses Prinzip funktioniert
nicht nur mit Kohle, sondern genauso
mit CO2-neutralen Brennstoffen wie
Holz und anderer Biomasse. Technisch gesehen macht es kaum einen
Unterschied, welcher Brennstoff
die Hitze für die Verdampfung des
Wassers im Kraftwerkskessel liefert.
Deutlich größer dagegen ist die logistische Herausforderung, wenn
Anlagenbetreiber Biomasse einsetzen
wollen. Denn Dampfkraftwerke benötigen gewaltige Mengen an Brenn50
auf ungewöhnlichem Wege lösen:
Er schlägt vor, die Biomasse nicht zu
verbrennen, sondern zu vergasen.
Solche Anlagen brauchen deutlich
weniger Brennstoff als herkömmliche
Kraftwerke mit Dampfturbine, da
sie wesentlich kleiner sind.
Die Vergasertechnologie ist dabei
nicht neu. Doch erst jetzt haben
Industrie und Forschung das Problem
der Teerbildung in den Griff bekommen, die den kommerziellen Einsatz
lange Zeit verhinderte. „Die Probleme sind gelöst“, sagt Asadullah.
„Die Vergasung von Biomasse ist
technisch wie wirtschaftlich machbar.“ Der besondere Charme des
Konzepts liegt in der Vielfalt der
möglichen Rohstoffe – ZuckerrohrBagasse zum Beispiel lässt sich
genauso einsetzen wie Reisstroh oder
Reststoffe aus der Palmöl-Produktion.
Damit ist das Konzept besonders
für Länder interessant, in denen das
— Gas- und Dampfheizkraftwerk
Stromnetz nur rudimentär ausgebaut
ist (beispielsweise Vietnam, Nepal
und Kenia) und die mit Kleinkraftwerken eine dezentrale Energieversorgung aufbauen wollen.
Blockheizkraftwerke zum Beispiel
arbeiten häufig mit Gasturbinen, wie
sie auch – in deutlich leistungsstärkeren Varianten – in großen Gaskraftwerken zum Einsatz kommen. Sie
werden nicht von komprimiertem
Wasserdampf, sondern von einem
Luft-Gas-Gemisch angetrieben. Wird
dieses Gemisch verbrannt, dehnt es
sich aus und setzt dabei die Turbinen
in Bewegung.
Und warum nicht zusätzlich auch die
energiereichen Abgase nutzen, um
Strom zu erzeugen? Dieser Gedanke
stand Pate bei der Entwicklung der
Gas- und Dampfkraftwerke, kurz
GuD-Kraftwerke. Sie kombinieren
eine oder mehrere große Gasturbinen
mit einer Dampfturbine. Die heißen
Abgase aus der Gasturbine werden
genutzt, um Wasserdampf für die
Dampfturbine zu erzeugen. Mit dieser Koppelung erreichen die Anlagen
Wirkungsgrade von bis zu 60 Prozent.
Keine andere Kraftwerkstechnologie
verwertet den Energiegehalt der
Brennstoffe so gut wie GuD-Anlagen.
Zudem sind sie flexibel – sie können
relativ schnell auf Schwankungen
bei der Einspeisung von Wind- und
Solarenergie reagieren. Damit bieten
sie beste Voraussetzungen, um zum
Wegbereiter der globalen Energiewende zu werden.
Erdgas wird mit komprimierter,
heißer Luft gemischt und
verbrannt. Dabei entsteht ein
über 1.000 Grad heißes Verbrennungsgas, das die Schaufeln einer Gasturbine mit
hohem Druck in Rotation versetzt. Diese Drehbewegung
treibt einen Generator an, der
Strom erzeugt.
Die Abgase aus der Gasturbine sind immer noch rund
5
3
9
1
7
4
8
Umdrehungen pro Minute der in
Bewegung gesetzten Turbinen
3.000
10
2
6
© iStock
die andere Hälfte der deutlich kühleren Umgebungsluft ausgesetzt wird.
Je größer der Temperaturunterschied,
desto stärker der Effekt. „Momentan
konzentriert sich die Forschung vor
allem auf die Verkehrstechnik. Da
Vorausdenken
1 2 3 4 5 Luftzufuhr
Kompressor
Gaszufuhr
Gasturbine
Abhitzekessel
6 Dampfturbine
7 Heizkondensator
8 Generatoren
9 Transformator
10 Stromnetz
600 Grad heiß – genug, um in
einem Abhitzekessel mithilfe
eines Wärmetauschers Wasserdampf zu erzeugen, der dann
in eine Dampfturbine geleitet
wird. Vom Dampf unter Druck
gesetzt, beginnen sich die
Turbinenschaufeln zu drehen.
Eine Welle überträgt diese
Bewegung dann auf einen zwei-
ten Generator. Nachdem der
Wasserdampf die Turbine
durchströmt hat, wird er in
einem Kondensator abgekühlt.
Aus dem Dampf wird wieder
Wasser, das in den Abhitzekessel zurückgepumpt wird.
So entsteht ein geschlossener
Wasserkreislauf. Ein Transformator bringt den Strom aus
den beiden Generatoren
schließlich auf eine höhere
Spannung, sodass er ins
Stromnetz eingespeist werden
kann.
51
Vorausdenken
Vorausdenken
Kreative Megacitys
Text Chris Schinke
Wie Bewohner ihre Stadt selbst mitentwickeln
können
Blaupause für die moderne Stadt: New York City, USA
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© iStock
D
ie Zahlen klingen gewaltig.
Laut aktuellen Schätzungen
der Vereinten Nationen könnte die Weltbevölkerung bis zum Jahr
2100 auf bis zu 12,3 Milliarden Menschen anwachsen. Den UN-Forschern
zufolge ist mit einem Abflauen des
Wachstums erst einmal nicht zu rechnen. Wo aber werden diese vielen
Menschen leben? Und vor allem: unter welchen Umständen?
Die UN-Zahlen legen ebenfalls nahe,
dass in Zukunft zwei Drittel der Weltbevölkerung in Metropolen leben
werden. Der Trend zur Urbanisierung
ist also ungebrochen. Aus Citys werden so Megacitys – Städte, die sich
ganz neuen, ungeahnten Herausforderungen zu stellen haben. Dieses
Wachstum erfordert Planung und jede
Menge kreative Gestaltung. Denn wo
so viele Menschen zusammenrücken,
muss ein funktionierendes Miteinan-
der auch organisiert werden. Das ist
die Aufgabe kreativer und vorausschauender Städteplanung.
Neben den Verwaltungen stellen
sich dieser Aufgabe auch vermehrt
In Zukunft werden
zwei Drittel der
Weltbevölkerung in
Metropolen leben
kreative und engagierte Bürger, die
sich zu privaten Initiativen zusammenschließen. Oft sitzen die Akteure
in luftigen Künstler-Ateliers, DesignLabs und Architekten-Studios. Unter
dem Schlagwort „Tactical Urbanism“
bündeln derzeit weltweit kreative
Köpfe Ideen zur zukünftigen Gestaltung unserer Städte, auch von Megacitys wie Mumbai, Hongkong, Lagos
oder New York. Aber wer sind diese
Kreativen? Und wie stellen sie sich
unser Zusammenleben in Zukunft
vor?
Einer von ihnen ist Pedro Gadanho.
Er ist Kurator für zeitgenössische
Architektur am MoMA, dem Museum
for Modern Art in New York. In
jüngster Zeit führte er für verschiedene Projekte interdisziplinäre Teams
zur Arbeit an urbanen Fallstudien
zusammen. Pedro Gadanho liegt
eines am Herzen: die Gestaltung und
Weiterentwicklung unserer architektonischen Wirklichkeit. Ihm zufolge
müssen Einwohner diese – neben der
Planung durch Behörden – zum Teil
selbst in die Hand nehmen. Gefordert
sind in Zukunft dabei auch ungewöhnliche Methoden.
53
Vorausdenken
Vorausdenken
54
meller Mietmarkt in der Metropole
am Hudson River entwickelt hat.
Ausgehend vom Engagement lokaler
Initiativen gelang es, die Anliegen
von Mietern, Interessenvertretern der
Kommune, Non-Profit-Unternehmen
Derzeit bündeln
weltweit kreative
Köpfe Ideen zur
zukünftigen Gestaltung unserer Städte
und städtischen Behörden zu bündeln
und einen Cooperative Housing Trust,
einen Wohnbaugenossenschaftsfonds
einzurichten, der langfristig bezahlbaren Wohnraum sichern und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit schaffen
soll. Ausgangspunkt der Überlegungen
war der hohe Bestand an leerstehen-
ren. Das Prinzip ist denkbar einfach:
Leih ein Buch aus, lies es, bring es
zurück oder, falls du es behalten
willst, bring stattdessen ein neues. Von
ihren Schöpfern ist die Little Library
als gemeinschaftsbildendes Projekt
gedacht – ein Merkmal, das viele Ansätze der Uneven-Growth-Initiative
eint. Darüber hinaus soll es passionierte Leser in ihrer Liebe zur Literatur einander näher bringen. Und
in der geschäftigen Vier-MillionenEinwohner-Stadt Melbourne bietet
sie einen idealen Ort, um ein wenig
Entspannung vom stressigen Alltag
zu finden.
Wie diese Beispiele für Tactical Urbanism zeigen, steht in dessen Zentrum
die Idee, sich Wissen anzueignen,
dieses Wissen mit der Gemeinschaft
zu teilen und möglichst vielen In-
dividuen den Zugang dazu zu ermöglichen. Ein Selbstzweck ist dieses
Wissen dabei nicht. Es dient immer
dazu, der bestehenden Realität neue
Impulse für die Zukunft zu geben
und Theorie in gelebte Praxis zu verwandeln. Eine Praxis, die auf eine
Verbesserung des Lebens möglichst
vieler Menschen abzielt. Das sieht
auch Pedro Gadanho so. Auf die
Frage, wie er sich seine Ideal-Stadt
der Zukunft vorstellt, antwortete er:
„Sie ist groß, lebendig, vielschichtig,
dicht, ausgefallen und kulturell reichhaltig – allerdings mit einem Minimum an Verkehrsaufkommen und
ohne extreme soziale Unterschiede.“
Alles in allem hört sich das nach einer
Stadt an, in der es sich lohnen würde,
zu leben.
Von den Benutzern organisiert: die Little Library in Melbourne, Australien
© The Shopping Sherpa / Flickr (CC BY-ND 2.0)
Auch Pedro Gadanhos Visionen sind
inspiriert von der immer beliebter werdenden Idee des Tactical Urbanism.
Auf die Frage, wie er den Begriff für
sich definiere, gibt Gadanho an: „Ich
verstehe darunter spontane Bottom-upInterventionen in Städten.“ Diese
Von-unten-nach-oben-Konzepte
sehen vor, dass Bürger die Herausforderungen der realen Welt selbst angehen. „Umgesetzt werden sie von
Künstlern, Architekten und Designern
in Zusammenarbeit mit den örtlichen
Kommunen. Dazu zählen aber auch
Initiativen von engagierten Privatpersonen, auf deren Bedürfnisse die
Behörden nicht immer reagieren.“
Vor Pedro Gadanhos Haustür des
MoMA findet sich ein Beispiel einer
solchen Bottom-up-Intervention:
Bekanntermaßen ist der New Yorker
Wohnraum kaum noch bezahlbar.
Globale Investmentbewegungen und
auch profitorientiertes Bauen haben
die soziale Kluft in New York in den
letzten Jahren immens vergrößert,
sodass sich in jüngster Zeit ein infor-
breite Öffentlichkeit, ihrerseits Beispiele für urbane Taktiken abzugeben.
Die Aktion war ein voller Erfolg.
Hunderte Zuschriften, die auf der
Website einzusehen sind, zeigen, dass
die Idee des Tactical Urbanism beginnt, weltweit Funken zu schlagen.
Engagierte Aktivisten aus ganz
Europa, Lateinamerika, Südostasien
und den USA bilden dabei eine Bewegung, auf deren zukünftige urbane Visionen man gespannt sein darf.
Ein besonders kreativer Beitrag kam
dabei aus der australischen Metropole
Melbourne. Die Bewohner der zweitgrößten Stadt des Kontinents hatten
die Idee zur Little Library – einer spontan in einem ehemaligen Einkaufszentrum eingerichteten Bibliothek
mit einem Gratis-Ausleihsystem, das
die Benutzer selbstständig organisie-
© iStock
Bahnhof in Mumbai, Indien
dem Wohnraum in New York, der
durch den gemeinnützigen Trust erworben werden soll. Im Laufe der
letzten Jahre gelang es dem Genossenschaftsfonds so, Wohnraum für annähernd 200.000 Menschen zu schaffen.
Von dem Engagement profitieren
Familien, ältere Menschen, Geringverdiener und sogar Obdachlose,
denen der Zugang zum Mietmarkt bisher versperrt war. Das Problem unbezahlbar gewordener Mieten in der
Ostküsten-Metropole ist damit zwar
keineswegs gelöst, aber das Engagement zeigt für die Zukunft reale
Alternativen zum scheinbar unveränderlichen Status quo auf.
Auch ein Blick in andere Regionen
der Welt lohnt sich, um Beispiele
für Tactical Urbanism in der Praxis
zu finden, etwa nach Indien. In der
12,5-Millionen-Einwohner-Metropole
Mumbai, dem ökonomischen und
kulturellen Impulsgeber des Landes,
haben sich in den letzten Jahren
einige besonders kreative Taktiken
entwickelt, um mit dem rasanten
Wachstum der Stadt Schritt zu halten.
Ausdruck dieser architektonischen
Kreativität ist ein vielversprechendes
Modell: das der sogenannten Tool
Houses. Sie bieten sowohl Wohnraum
als auch Flächen für effizient wirtschaftende Unternehmen sowie für
Produktionsstätten. Auf engstem
Raum vereinen sie Gesellschaftsbereiche des öffentlichen Lebens und
der Familie. Durch ihre kompakte
Bauweise fügen sie sich optimal in
bestehende Ensembles der Stadt ein,
lassen sich in kürzester Zeit errichten und sind beliebig erweiter- und
aufstockbar. In jüngster Zeit haben
Mumbais Tool Houses derartig an
Beliebtheit gewonnen, dass es selbst
Modedesigner, Schriftsteller und
Doktoren in die robusten Mini-Bauten zieht.
Zurück zu Pedro Gadanho: Anfang
2015 startete er einen Aufruf auf der
Online-Plattform „uneven-growth.
moma.org“. Er appellierte an eine
55
Vorausdenken
Vorausdenken
Spezialisten sind
unersetzbar
DER TECHNOLOGIE-TÜFTLER
Tobias Hägele, voestalpine Polynorm GmbH & Co. KG
Schwäbisch Gmünd, Deutschland
Es gibt Menschen, die haben ganz besondere Fähigkeiten.
Im Falle von Tobias Hägele sind das Vorstellungsgabe,
das Gespür für das Machbare und vor allem Beharrlichkeit.
Der Projektleiter für die Serie und neue Technologien
entwickelt nicht nur Verfahren bis ins kleinste Detail, er
bringt diese auch zur Serienreife, wie beispielsweise bei
der Produktion von Pressteilen für die Automobilindustrie.
Bei Hägele und seinem Team treffen Geistesblitze auf
Fachwissen – und daraus entsteht immer wieder etwas
Neues.
Text Björn Lüdtke Illustration Philipp Herrmann
Um qualitativ höchstwertige Produkte anbieten zu
können, braucht es weltweit Mitarbeiter, die auf
ihrem Gebiet ganz besondere Fähigkeiten haben.
Vier davon wollen wir Ihnen vorstellen.
DER TALENT-FINDER
Harald Mühleder, voestalpine Stahl GmbH
Linz, Österreich
Harald Mühleder hat einen treffsicheren Blick für Talente
und sorgt so mit für unsere Zukunft. Er schätzt ab, wie sich
ein Mensch mit Potenzial entwickeln wird. Dafür braucht
es ein Gespür für technische und menschliche Entwicklungen, Einfühlungsvermögen, aber auch den prüfenden Blick,
wie sich das gefundene Talent entwickelt. Ob er die richtige Einschätzung getroffen hat, zeigt sich bei Wettbewerben, zu denen die Talente entsandt werden. Belohnt
wird er mit mehrfach preisgekröntem Nachwuchs, den er
fordert und fördert.
DER WALZEN-FLÜSTERER
Wolfgang Hochfellner, voestalpine Schienen GmbH
Leoben, Österreich
Wolfgang Hochfellner ist Walzmeister bei der voestalpine
Schienen GmbH in Österreich und sorgt mit dem Team
des Walzwerks dafür, dass beim Walzen von bis zu 120
Meter langen Schienen alles glatt läuft. Der Walzvorgang
ist komplex und das Produkt muss absolut fehlerfrei sein.
Damit dies gelingt, sind die Voreinstellungen wichtig,
aber auch die rasche und kontrollierte Reaktion, wenn es
zu Unregelmäßigkeiten kommt. Läuft in der Tat mal etwas
nicht rund, dann erkennt Hochfellner das am Geräusch –
so gut kennt er die Walzanlage.
56
DER STAHL-ERFINDER
Sebastian Ejnermark, Uddeholms AB
Hagfors, Schweden
Wer eine neue Stahlsorte braucht, für den ist Sebastian
Ejnermark der richtige Mann. Er ist Materialentwickler und
der Spezialist, wenn es darum geht, neue Legierungskombinationen zu finden, die ganz bestimmte Anforderungen unserer Kunden erfüllen. Ejnermark weiß: Die Mischung macht’s. Welche Legierungen bewirken was und
mit welchem Verhältnis wird die gewünschte Eigenschaft
im Endprodukt erreicht – von superhart bis extrem korrosionsbeständig.
57
Neugierig bleiben
Ideen Wirklichkeit werden lassen
Als weltweiter Verbund unabhängiger Spezialisten bringen wir für jedes Projekt
die richtigen Köpfe und Kompetenzen an einen Tisch und bieten
ein Maximum an Erfahrung und Know-how. So ermöglichen wir auf vielfältige
Weise Vorsprung und Fortschritt und sichern damit auch den Erfolg unseres
Unternehmens.
60
Mission zum Mars
Der Traum vom Leben auf dem Mars
könnte wahr werden
66
Lichtblicke aus dem Orbit
Spektakuläre Aufnahmen der Erde
vom Satelliten Suomi NPP
70
Wenn Essen Leistung steigert
Können wir uns schlauer,
gesünder und schöner essen?
74
Clevere Riesen
Entwicklungen bei Nutzfahrzeugen
76
Individualisierung des Alltags
Wenn Dienstleistungen den Menschen
in den Mittelpunkt stellen
58
59
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Mission
zum Mars
Text Louisa Preston
Der Traum vom Leben auf dem Mars könnte
wahr werden
Mars-One-Siedlung
60
61
Neugierig bleiben
62
Die Entdeckung
fremder Welten im
All ist die größte
Herausforderung
für die Menschheit
Wir sind aber immer noch äußerst
optimistisch. Der Mars ist derzeit die
einzige uns bekannte Welt, die ausschließlich von Robotern bewohnt ist:
Bis jetzt wurden 14 Orbiter und mehrere Rover (Erkundungsfahrzeuge)
auf seine Oberfläche geschickt. Sie
sollen den Planeten nach Hinweisen
auf kohlenstoffbasiertes Leben und
Anzeichen von Leben absuchen. 2016
sollen mit dem ExoMars Trace Gas
Orbiter der europäischen Weltraumorganisation ESA und dem NASAProjekt Insight zwei bahnbrechende
Missionen auf den Weg zum Mars
gebracht werden. Die Landung ist für
Oktober geplant. Die dabei abgesetzten Messinstrumente sollen Antworten auf die Frage liefern, wie der
Mars und andere Gesteinsplaneten
entstanden sind und sich entwickelt
haben. Daneben sollen sie den Zustand der Atmosphäre aufzeichnen
und – ganz wichtig – dabei helfen,
einen Landeplatz für den ExoMars
Rover, der 2018 starten soll, zu finden.
Dieses mobile Labor soll mithilfe von
Bohrungen in den Untergrund nach
Spuren von Leben im Gestein suchen.
Bis zum Jahr 2020, so die Hoffnung,
werden wir dann wissen, ob es Leben
auf dem Mars gab oder gibt. All diese
Missionen verfolgen aber noch einen
anderen Zweck. Sie sollen uns Aufschluss über die gegenwärtigen und
zukünftigen Bedingungen auf dem
Mars geben. Damit könnte dann der
nächste große Schritt für die Menschheit geplant werden: eine auf zwei
Planeten beheimatete Gattung zu
werden.
Menschen haben bereits den Mond
betreten und einige leben derzeit
Farm in einer Mars-One-Kapsel
Innenansicht einer Mars-One-Kapsel
© Bryan Versteeg / Mars One
Wohnbereich einer Mars-One-Kapsel
Erde. Heute wissen wir, dass auf
dem Mars Wasser rar und die Luft
toxisch ist und dass der Planet kein
Magnetfeld mehr besitzt. Ohne diesen Schutzschild ging die Atmosphäre des Planeten zu großen Teilen verloren; die Marsoberfläche
war kosmischer Strahlung und Sonnenstrahlung ausgesetzt und wurde
nahezu unbewohnbar.
Seite 60 – 61 © Bryan Versteeg / Mars One Links © Bryan Versteeg / Mars One
B
ereits vom 19. Jahrhundert an
gab es in der Populärkultur
die Vorstellung, der Mars sei
oder war bewohnt und es existiere
dort eine fortschrittliche Lebensform,
die den Planeten mit Wasserkanälen
überzogen habe und vielleicht auch
unmittelbar davor stünde, die Erde
zu kolonisieren. Als die Technik dann
soweit war, wurden Satelliten entwickelt, die den Mars umkreisen und
die ersten Nahaufnahmen von seiner
Oberfläche machen sollten. Die ersten Missionen endeten oft noch vor
Austritt aus der Erdatmosphäre katastrophal. Erst der amerikanischen
Sonde Mariner 4 gelang es im März
1965 nach einer 54,6 Millionen Kilometer langen, 7,5 Monate dauernden
Reise durch das Weltall, am Mars
vorbeizufliegen und dabei Aufnahmen vom roten Planeten zu machen.
Dieser mit Spannung erwartete Vorbeiflug zerstörte jegliche Hoffnung
auf eine üppige, erdähnliche Welt
mit wasserführenden Flüssen und
Städten, die von menschenähnlichen
Marsianern bevölkert sind. Der Mars
zeigte sich stattdessen als eine von
Staub bedeckte, eisige und unfruchtbare Welt mit Kratern und tiefen
Tälern. Eine Welt, die eher dem luftund leblosen Mond ähnelte als der
Neugierig bleiben
sogar im All. Sie fliegen mit fast acht
Kilometern pro Sekunde über uns
hinweg und umkreisen die Erde 15,5
Mal am Tag. Das ultimative Ziel von
Raumfahrtbehörden, Non-ProfitOrganisationen und der Öffentlichkeit
ist es aber, Menschen auf den Mars
zu schicken. Elon Musk gründete
SpaceX, um den Mars zu besiedeln,
und Jeff Bezos (Amazon), Paul Allen
(Microsoft) und der Computerspieldesigner John Carmack haben große
Summen aus ihrem Privatvermögen
in die Erforschung des Weltalls investiert. Die Frage ist nun lediglich,
wer den Mars zuerst erreicht und
ob diese mutigen Menschen jemals
wieder zur Erde zurückkehren können. Angesichts der ungastlichen
und im Wesentlichen toxischen Umgebung auf dem Planeten stellt sich
auch die Frage, weshalb jemand
überhaupt dorthin möchte. Eine Antwort könnte sein: zum Selbstschutz,
als eine Art Lebensversicherung, um
das Erdenleben zu bewahren, das
von einer Vielzahl von Naturkatastrophen oder selbst herbeigeführten
Katastrophen ausgelöscht werden
könnte. Den Mars zu besuchen und zu
erforschen, kann uns aber auch sehr
viel über unsere eigene Geschichte
und die der Erde lehren. Und schließlich steckt der Forscherdrang einfach
in uns Menschen. Andere Welten im
Kosmos zu entdecken und zu erfor-
schen, ist die größte Herausforderung
für die Menschheit und wird zugleich
eine unserer großartigsten Leistungen sein, auch wenn nur eine Handvoll Menschen je selbst die Marsoberfläche betreten wird.
Der schwierigste Teil einer Marsmission ist dabei nicht, auf den Planeten
zu gelangen, sondern zurückzukommen. Die Landung auf einem fremden
Planeten ist risikoreich – die Erfolgsrate auf dem Mars wird mit 30 Prozent
Der Mensch auf
dem Mars ist das
ultimative Ziel
beziffert. Und erneut zu starten, ist
noch schwieriger. Der Start eines
Raumschiffes erfordert auf der Erde
bereits einen immensen Aufwand
an Infrastruktur und Personal, ganz
zu schweigen von der Treibstoffmenge, die nötig ist, um die Schwerkraft zu überwinden. All das steht
auf dem Mars nicht zur Verfügung.
Es ist auch völlig unklar, ob die Astronauten überhaupt physisch in der
Lage wären, zur Erde zurückzukehren,
nachdem sie unter den Schwerkraftbedingungen des Mars gelebt haben.
Für die meisten von uns ist es mora-
lisch und politisch undenkbar, Menschen für immer und ohne Rückkehrmöglichkeit auf dem Mars zu
lassen. Staatliche Behörden wie
NASA oder ESA können und werden sich mit solchen Überlegungen
nicht befassen. Es gibt allerdings
ein privates Unternehmen, das diese
Bedenken nicht teilt. Die gemeinnützige Stiftung Mars One will eine
ständige menschliche Siedlung auf
dem Mars gründen und wurde mit der
Idee einer Marsmission ohne Rückkehr bekannt. Der Unternehmer
und Gründer von Mars One, Bas
Lansdorp, will zunächst mit acht unbemannten Raketen Ausrüstung,
Material und Roboter zum Bau einer
knapp 200 m2 großen Basisstation auf
den Mars schicken. Dort sollen die
ersten Marssiedler leben und arbeiten. Im Rahmen von Mars One soll
ab 2027 alle zwei Jahre ein vierköpfiges Team zum Mars gebracht werden.
Auf einen Aufruf von Lansdorp im
Jahr 2013 meldeten sich erstaunliche
202.000 Freiwillige aus der ganzen
Welt, die die Anforderung, volljährig
zu sein, erfüllten. Die ersten 1.058
Kandidaten mussten sich einer medizinischen Routineuntersuchung bei
ihrem Arzt unterziehen. Aus den 660
verbleibenden Personen wurden die
sogenannten Mars 100 ausgewählt:
50 Männer und 50 Frauen.
Ich habe Bas Lansdorp 2015 getroffen
63
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Landegerät während der Landung
© Bryan Versteeg / Mars One
Landegerät nach der Landung
64
und wanderte mit ihm drei Tage
durch die kahle, marsähnliche Landschaft von Island. Ich konnte mich
von seiner Leidenschaft, Dynamik,
Ausdauer und Entschlossenheit überzeugen, Mars One im wahrsten Sinne
des Wortes „abheben“ zu lassen.
Könnte man ein solches Projekt allein
durch Willen und Glauben realisieren,
dann würde dieser Mann es schaffen. Leider ist das nicht möglich. Es
ist letzten Endes immer eine Frage
der Kosten und der Finanzierung.
Lansdorp ist zurückhaltend in Bezug
auf die finanzielle Situation von Mars
One, die mit Sicherheit ausschlaggebend für den Erfolg sein wird. Das
Ganze wird von Sponsoren, Partnern
und einer sehr kontroversen Geldquelle, einer Reality-Show im Fernsehen, finanziert. Die Marsausgabe
von Big Brother wird mit Sicherheit
von der ganzen Welt gesehen werden,
aber das Interesse wird wohl nicht
von Dauer sein. Warum? Eine gute
Reality-Show wird von Spannungen,
Konflikten und Schwierigkeiten
getragen. So ziemlich genau all das,
was man auf dem Mars vermeiden will,
soll die Mission Erfolg haben. Einfach nur den Astronauten bei der
Erledigung ihrer täglichen Arbeiten
zusehen, wird die Zuschauer aber
nicht lange binden und damit auch
keine hohen Einnahmen garantieren.
Wie kann dann aber das Überleben
der Marssiedler finanziert werden?
Und was sind das überhaupt für Leute,
die den Rest ihrer Tage auf dem Mars
verbringen wollen? „Ich habe die einmalige Gelegenheit, die Hälfte meines Lebens auf einem und die andere
Hälfte auf einem anderen Planeten
zu verbringen – das ist das ultimative
Abenteuer“, sagt die Mars-100-Kandidatin Clare Weedon aus dem Vereinigten Königreich. Als ich sie auf die
Kritik und Skepsis ansprach, die ihr
und den anderen Kandidaten entgegengebracht wurde, antwortete sie:
„Das ist eine ehrgeizige und riskante
Mission, aber ich bin felsenfest davon
überzeugt, dass die Zeit für die
Menschheit gekommen ist, den nächsten Schritt zu machen.“ Und was
halten ihre Familie und Freunde von
dem Plan, ihren Lebensabend auf
dem Mars zu verbringen? „Sie haben mich fantastisch unterstützt. Sie
kennen mich und wenn sie die Leidenschaft und den Glanz in meinen
Augen sehen, wenn ich über Mars
One spreche, dann können sie nicht
anders, als mich zu unterstützen.“
Es wäre eine Untertreibung zu sagen,
dass der Umzug auf den Mars möglicherweise mehr Herausforderungen
als Vorteile mit sich bringt. „Am meisten gespannt bin ich darauf, wie es
ist, sich jeden Tag extremem Stress
und Druck auszusetzen und täglich
ums Überleben kämpfen zu müssen;
gleichzeitig ist es das, was ich am
meisten fürchte“, sagt Clare. „Isolation, streng reglementierte Ernährung, nur im Raumanzug nach draußen gehen – das wird völlig neu für
mich sein und ich werde erst wissen,
wie ich damit fertig werde, wenn ich
mich diesen Situationen aussetze.“
Das sind nur einige von zahlreichen
Herausforderungen, mit denen sie
und ihre Mannschaftskameraden auf
dem Weg zum Mars zu tun haben
werden. Unterkünfte zu bauen und
instand zu halten, Nahrungsmittel,
Wasser, Luft und Energie zu erzeugen
– das ist nur der Anfang auf dem Weg
zu einer autarken Marskolonie.
Zahlreiche Kritiker des Unterfangens
fragen sich, warum der Mensch denn
auf den Mars muss, gibt es doch auf
der Erde noch so viel zu tun und zu reparieren. Eine berechtigte Frage,
aber für mich steht die Antwort fest:
Sollen wir erst die Menschheit ändern und dann zum Mars fliegen,
egal wann das sein wird? Oder sollen
wir die Menschheit ändern, indem
wir zum Mars fliegen? Die Erforschung
des Weltalls und der Erhalt unseres
Planeten müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Wir können
und sollten beides tun. Und es gibt
Louisa Preston arbeitet im Moment
an ihrem ersten Buch Goldilocks and
the Water Bears: The Search for Life
in the Universe, das im Juli 2016
bei Bloomsbury Sigma veröffentlicht
werden soll
derzeit mehr als genug Menschen auf
der Erde, um beide Ansätze zu verfolgen. Auch wenn Mars One nicht
abhebt, so hat das Projekt doch dem
Forschungsdrang neue Impulse verliehen. Viele Kinder träumen immer
noch davon, Astronaut zu werden
und andere Planeten zu besuchen,
wenn sie groß sind. Die heutige
Generation kann diesen Traum wahr
werden lassen.
Entfernung Erde—Mars
in Millionen Kilometern
54,6
65
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Lichtblicke
aus dem Orbit
Text André Uhl
Eigentlich ist die Mission von Suomi NPP, die
Wetter- und Umweltverhältnisse auf der Erde zu
beobachten. Doch wenn der Satellit in einer
Höhe von über 800 Kilometern seine Arbeit verrichtet, entstehen dabei auch Aufnahmen von ganz
besonderer Strahlkraft. Wenn es Nacht wird,
präsentieren sich die Metropolen dieser Welt in
vollem Glanz — und dank Suomi NPP können
wir dies in einer nie zuvor dagewesenen Qualität
bestaunen.
Nächtlicher Blick auf die Welt durch die Linse des Satelliten Suomi NPP
66
67
Europa, Nordafrika und Westasien
Australien
68
Seite 66 – 67 und rechts © NASA Earth Observatory / NOAA NGDC Links oben © NASA Earth Observatory Links unten © Craig Mayhew and Robert Simmon, NASA GSFC
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Osten der USA
69
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Wenn Essen
Leistung steigert
Text Christian Heinrich
In den Forschungslabors weltweit wird an der
Ernährung der Zukunft gearbeitet: individuell auf
den Einzelnen zugeschnitten, optimiert auf
Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Wie können
neue Technologien dabei helfen?
Trend hin zu Bio-Lebensmitteln
70
© iStock
E
in individuelles Ernährungsprofil erstellen zu lassen, kostet
Forschern der US-amerikanischen University of Minnesota zufolge 1.000 US-Dollar. Dabei handelt
es sich um eine Art aktuellen Fingerabdruck des Stoffwechselhaushalts
des Körpers. Welche Vitamine, Nährstoffe und Mineralien fehlen gerade
und welche sind womöglich in zu
hoher Dosis vorhanden? Das Ernährungsprofil liefert ein umfassendes
Bild davon, was wir brauchen und
was im Überfluss vorhanden ist. Es
ähnelt der Bestimmung des Cholesterinwertes, der beim Arztbesuch im
Blutbild erfasst wird – nur dass im
Ernährungsprofil bis zu mehrere Dutzend Werte abgebildet werden, von
Vitamin D bis hin zu Magnesium.
Noch steckt das Konzept in seinen
Anfängen, doch sollte es sich bewähren, wird es zu einer kleinen Revolution führen: Einer personalisierten
Werden wir überhaupt noch an
einem Tisch essen?
Ernährung stünde dann nichts mehr
im Wege. Das bedeutet, dass jeder
ein eigenes, auf seinen Körper individuell abgestimmtes optimales Essen
hätte – nicht mehr ein Gericht für alle,
sondern für alle jeweils ein Gericht.
Das wirft soziologische Fragen auf:
Werden wir überhaupt noch an einem
Tisch essen? Oder wird Essen in Gesellschaft vielleicht sogar wichtiger,
wenn jeder seine eigene Nahrung zu
sich nimmt? Außerdem hat eine personalisierte Ernährung Konsequenzen
für Körper und Geist. Weil wir unseren Stoffwechsel genauer kennen,
kann jeder individuelle Mängel- und
Überdosierungen vermeiden. Wir
können uns gezielt gesünder ernähren
und uns mit einer allmählichen Erweiterung des Ernährungsprofils um
Informationen über den Hirnstoffwechsel und den der Haut vielleicht
sogar auch ein Stück weit klüger und
schöner essen.
Dass solche Gedanken keine Spinnereien sind, sondern tatsächlich die
Zukunft beschreiben, zeigt ein Blick
71
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Gezielt gesünder essen
72
© The Orange Chef Co.
© iStock
Hightech in der Küche: das Prep Pad
in die Forschungslabors des Lebensmittelriesen Nestlé. 15 Wissenschaftler
basteln am konzerneigenen Nestlé
Institute of Health Sciences ( NIHS )
in Lausanne in der Schweiz im sogenannten Iron-Man-Programm bereits
an einer Maschine, die auf Knopfdruck ein Pulver bereitstellt, das
entsprechend des jeweiligen Ernährungsprofils individuell abgemischt
ist. In den nächsten zehn Jahren sei
die Marktreife der Maschine noch
nicht zu erwarten, gibt man dort zu.
Aber wenn es soweit ist, dann „kann
es die nächste Mikrowelle in der
Küche sein“, sagt Edward Baetge,
Direktor des NIHS.
Für Felix Tegeler, Innovation Analyst
der Trendagentur TRENDONE, wäre
das die endgültige Etablierung einer
Entwicklung, die längst begonnen
hat. Bereits heute definieren sich Gesellschaftsschichten immer stärker
auch darüber, was man isst und was
nicht. Die einen – viele von ihnen Vegetarier – greifen nur noch zu Lebensmitteln mit dem Biosiegel, andere
wiederum essen jeden Tag mehrmals
Fleisch und kurbeln so die Nachfrage
weiter an. Ihnen allen ist gemein: Sie
definieren sich ein Stück weit darü-
ber, wie und was sie essen. „Ernährung bekommt einen immer stärkeren
Lifestyle-Charakter“, sagt Tegeler.
„Der Einzelne lebt zunehmend seinen
Ernährungsstil nach außen, er wird
gewissermaßen Teil der Identität.“
Und die ist heute extrem individuell.
Kommt nun eine auf den eigenen
Körper abgestimmte HightechErnährung hinzu, kann das auch zu
Widersprüchen führen. Diejenigen
etwa, die auf Selbstanbau und natürlich gewachsene Lebensmittel setzen,
wird die neue Idee kaum begeistern.
Doch bei der gigantischen Bewegung
in Richtung zunehmende Individualisierung dürfte für beide Trends mehr
als genug Platz sein.
Schon heute bedienen Wirtschaft
und Technologie das Bedürfnis nach
personalisiertem Essen immer mehr.
Im 3D-Drucker lassen sich bereits eigens designte Pasta und Schokolade
drucken. Bislang geht es vor allem
um die Form, bald aber dürfte es
auch um den Inhalt gehen. Einzelne
Restaurants bieten sogar schon heute
personalisierte Kost an: Die Vista
Kitchen im thailändischen Bangkok
etwa richtet ihre Ernährungsangebote
an der jeweiligen Blutgruppe der
Kunden aus. Das wird von Wissenschaftlern zwar als unseriös eingestuft,
zieht aber Scharen neugieriger Kunden an.
Hilfreich beim Trend hin zur personalisierten Ernährung dürfte auch ein
Computer sein, den IBM gerade entwickelt. Man gibt seine Lieblingszutaten – oder eben diejenigen Zutaten,
die die eigene Performance am besten
fördern – ein und der Rechner, bestens informiert über Küchen und Geschmacksrichtungen aus der ganzen
Welt, spuckt die passenden Rezepte
aus.
Vonseiten des Essens und nicht vonseiten des Körpers nähert sich auch
das sogenannte Prep Pad des USamerikanischen Start-ups Orange
Chef dem Thema, das vielleicht schon
in wenigen Jahren bei vielen Menschen auf der heimischen Küchenzeile
liegen wird. Das Prep Pad ist eine Art
Küchenbrett und analysiert das Essen,
das man zu sich nimmt. Daraufhin
gibt es individualisierte Ratschläge,
was denn demnächst wieder auf den
Speiseplan sollte.
Die beiden Ansätze – Analyse des
Stoffwechsels und Analyse der Nahrung – dürften in Zukunft immer
mehr verschmelzen. Womöglich berät uns ja auch eines Tages der Tisch.
Hand auflegen, ein kurzer Test, wie
es aktuell im Körper aussieht, und der
Tisch, der unser Essen der vergangenen Monate kennt, macht Vorschläge
fürs Abendessen. Dabei könnte er
gleich auch für die entsprechende
Atmosphäre sorgen, etwa durch Licht
und Musik. Guten Appetit!
Kosten für ein individuelles
Ernährungsprofil in US-Dollar
1.000
73
Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Clevere Riesen
Text Jan Wilms Illustration Philipp Herrmann
Entwicklungen bei Nutzfahrzeugen
2
1
6
4
5
3
1
Antriebe
Der Antrieb der Zukunft ist elektrisch:
Schon heute fahren Lieferwagen und
leichte Nutzfahrzeuge mit Strom und
damit lokal emissionsfrei. Leichte Lkws
und Bagger kombinieren in ihren Hybridsystemen dafür Diesel- und Elektromotoren. Bald könnten diese Systeme auch
für lange Schwerlastverkehr-Distanzen
auf sogenannten E-Highways mit Oberleitungen weltweit eingesetzt werden.
74
2
Navigation
Eine exakte Streckenplanung schont nicht
nur die Nerven, sondern erhöht auch
Effizienz und Sicherheit. Lkws verknüpfen die GPS-Daten der Strecke dafür mit
der Motorsteuerung, zum Beispiel bei
Steigungen und Gefällen. Noch präzisere
Satellitendaten nutzen Bagger: Sogar
die genaue Position und Tiefe des zu grabenden Lochs können hier vorprogrammiert werden.
3
Digitalisierung
In einer Big-Data-Cloud können alle Betriebs- und Ortsdaten der Nutzfahrzeuge
auf Autobahnen und Baustellen digital gesammelt und verknüpft werden. Der Fuhrpark ist so ständig unter Kontrolle, die
Disposition kann Leerfahrten reduzieren.
Dazu vernetzen sich die Fahrzeuge per
Car-to-X-Kommunikation auch direkt miteinander.
4
Leichtbau
Immer leichter, immer stabiler: Hochfeste
und ultrahochfeste Stähle und andere
Materialien wie Aluminium, zum Beispiel
bei Achsaufhängungen für Lkws, Kräne,
Betonmischer und andere Baumaschinen,
können das Fahrzeuggewicht um bis zu
70 Prozent reduzieren. Das sorgt für mehr
Transportleistung, mehr Effizienz und weniger CO2-Ausstoß.
5
Sicherheit
In Lkws und Bussen sorgen unzählige
Helfer für mehr Sicherheit: Notbrems-,
Abbiege-, Spurwechsel-, Seitenwind- und
Kollisions-Verhinderungs-Assistenten zum
Beispiel. Bei Baggern und Kränen sind
die Gefahren beim Umkippen unter Traglast am größten – weshalb ihre Sicherheitskabinen aus Spezialprofilen konstruiert werden.
6
Autonomes Fahren
Ab 2020 sollen Lkws autonom fahren –
also ohne Zutun des Fahrers. Dies spart
Sprit und vermeidet Unfälle. Das System
speist sich dann aus Daten und Sensoren,
die es heute schon gibt: zum Beispiel aus
GPS-Daten, 3D-Karten, dem Abstandsregeltempomat, Spurhalteassistent und
Notbremssystem. Allerdings müssen
Politik und Gesellschaft noch Fragen der
Haftung bei Unfällen klären.
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Neugierig bleiben
Neugierig bleiben
Individualisierung
des Alltags
Sich fast wie zu Hause fühlen: Lounge am Flughafen Helsinki, Finnland
Text Verena Dauerer
D
er Flughafen – ein spannender
Transit-Ort mit hoher Fluktuation, durch den täglich tausende Reisende strömen. Für viele ist
es eine reine, aber notwendige Zwischenstation auf dem Weg zum Ziel,
die auch mal ganz schön stressig
werden kann. Die Flughafenbesucher
müssen sich zurechtfinden, nach Informationen suchen und einige haben
mit Sprachbarrieren zu kämpfen.
Bei langer Wartezeit zum Umsteigen
gilt es dabei, die Zeit möglichst effizient für sich zu nutzen. Bei geringer
Wartezeit kommen die Fluggäste
mitunter ganz schön ins Schwitzen,
hetzen durch Zoll und Security und
nach dem richtigen Gate suchend
durch die Wartehallen. Dass Reisen
aber auch zum angenehm fließenden
Erlebnis werden kann, beweist der
finnische Flughafenbetreiber Finavia
am Flughafen Helsinki. Sein mit dem
Award des internationalen Service
Design Network ausgezeichnetes
Projekt Travellab macht aus einem der
größten Umschlagplätze für Reisende
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nach Asien fast einen Ort der Besinnlichkeit. Ausschlaggebend waren die
optimierten Service-Angebote, wie
etwa ein Yoga-Bereich, Familienunterhaltung oder auch eine Grillstation
am Gate, die den Gästen den Aufenthalt so angenehmen wir möglich
Wir wollen uns in
einer ständig wandelnden Umgebung
wohlfühlen
gestalten sollen. Finavia hat dabei
die Methode des Service Designs
angewandt und ist direkt auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen,
indem Reisende im Vorfeld großangelegt nach ihren Wünschen befragt
wurden.
Beim Service Design steht der Mensch
im Zentrum. Hierbei werden neue
Hilfsdienste nicht im stillen Kämmerlein entwickelt und dem Nutzer als
gegeben vorgelegt. Vielmehr setzen
sich Designer und Entwickler mit den
Konsumenten zusammen und erarbeiten gemeinschaftlich eine bestmögliche Lösung. Dieser DesignBereich ist heute notwendiger denn
je: Die Technisierung der Umwelt
und gleichsam die Digitalisierung des
Alltags lassen viele mitunter straucheln. Jedoch wollen wir uns alle in
einer ständig wandelnden Umgebung wohlfühlen. Und dafür benötigt
es die Gestaltung von Dienstleistungen über alle Lebensbereiche hinweg.
Der Begriff „Service Design“ hat sich
in den letzten Jahren durch immer
mehr digitale Services auf Webseiten
und auch mobilen Endgeräten etabliert.
„Service Design legt sich als Methode und als Disziplin zunehmend über
alle Bereiche der Produkt- und Unternehmensentwicklung, quasi als ein
Querschnittsthema“, erklärt Peter Bihr.
Der Berliner befasst sich mit Service
© Finavia
Wenn Dienstleistungen den Menschen in den
Mittelpunkt stellen
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Neugierig bleiben
Design und User Experience unter
anderem als Kurator der jährlichen
NEXT Konferenz. „Beim Service
Design stehen die Bedürfnisse der
Nutzerinnen und Nutzer im Fokus.
Damit ist Service Design ein zuverlässiger Weg hin zu bedienungsfreundlichen Produkten und Services“, so Peter Bihr weiter.
Ein weiteres Beispiel für gelungenes
Service Design im Bereich Mobilität
ist die Reisestudie der internationalen Agentur edenspiekermann. Dabei
wurde der Weg, den ein Reisender
von Tür zu Tür von Tokio bis Amsterdam zurücklegt, genau unter die
Lupe genommen und dazu jede Menge Daten ausgewertet. Das Ergebnis
ist das Info Connectivity System ( ICS ),
ein Reisesystem, das verschiedene,
bislang nicht miteinander verbundene
Informationen – Daten von verschiedenen Mobilitätsdiensten und aus
dem öffentlichen Nahverkehr, Fluginfos, Daten von Flughafenbetreibern
sowie Touristikinfos und Daten von
Hotels – bündelt und auswertet. Mit
dem System soll ein Reisender nicht
nur bequem von seinem Smartphone
zum Ziel geleitet werden. Vielmehr
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soll er die speziell für ihn relevanten
Infos auch jederzeit auf FlughafenTerminals, Ticketautomaten und
sogar auf dem Screen des Bordprogramms im Flugzeug angezeigt
bekommen. Ein ganzheitlicher, innovativer Ansatz, bei dem der Nutzer
von Anfang bis Ende seiner Reise bei
fließenden Übergängen an die Hand
genommen wird. Und genau das
ist ein Kriterium für gutes Service
Design: es wird nicht bemerkt.
Während der Bedarf nach digitalen
Services mehr und mehr wächst,
haben sich gleichzeitig auch die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzer
stetig weiterentwickelt. Thomas
Schönweitz, Gründer und Geschäftsführer von Whitespring Service Design,
einem Münchner Strategie-Netzwerk,
erklärt: „Obwohl Millionen identischer iPhones verkauft werden, ist
kein einziges wie das andere. Jedes
ist individuell auf den Nutzer eingerichtet, denn jeder hat seine eigenen
Apps, Klingeltöne oder Hintergrundbilder heruntergeladen.“ Diese Art
von individuell maßgeschneidertem
Produkt würden die Nutzer heute
aber auch genauso in anderen Lebens-
Hans Freudenthaler, Head of Engineering, Österreich
Unsere aus Speziallegierungen geschmiedeten Triebwerksaufhängungen halten den enormen Belastungen und Temperaturschwankungen des modernen
Flugbetriebs zuverlässig stand. Gemeinsam mit unseren Kunden entwickeln
wir sie aber immer noch weiter – für mehr Freiheit und Sicherheit. Es ist diese
© Finavia
Angenehme Wartezeit am Flughafen Helsinki, Finnland
bereichen erwarten. Alles müsse unkompliziert sein, jederzeit verfügbar
und flexibel – und ohne Risiko, so
Schönweitz. Ein gutes Beispiel dafür
ist AirBnB, ein Service zum Buchen
von privaten Unterkünften. Reisende
können über eine Webseite oder
mobile App eine Privatunterkunft buchen. Dabei erhalten sie eine genaue
Karte von der Wohnung mit vielen
Ausstattungsdetails und Fotos sowie
das Profil des Anbieters. Buchung
und Zahlung werden einfach und
schnell abgewickelt.
Doch was Service Design alles leisten
kann, geht weit über ein angenehmes
Buchungserlebnis hinaus. Smartphones und Tablets bis hin zu Sensoren in unserer Umwelt haben
schon lange begonnen, miteinander
zu kommunizieren – um dem User
ein besseres Angebot zu liefern. Die
Agentur Fjord identifizierte als einen
der aktuellen Haupttrends beim Service Design die Kommunikation von
smarten Objekten untereinander.
Je intelligenter Gadgets werden, desto
besser interagieren sie miteinander
und desto besser können sie sich auf
den User einstellen. Dies bedeutet
aber auch, dass den Nutzern neue
Formen der Interaktion zur Verfügung
stehen. Man denke nur an die smarte
Brille Google Glass, die der Träger
mit Wortbefehlen bedient. Diese Entwicklung hat natürlich auch Folgen
für das soziale Verhalten der Menschen und dafür, wie sie mit ihren
Mitmenschen umgehen. Und es zeigt
einmal mehr, dass Service Design
weitreichende Auswirkungen auf die
Gesellschaft hat und einen wichtigen
Beitrag zu einem positiven Wandel
im Dienstleitungssektor leisten kann.
Eines ist klar: In zehn Jahren werden
wir von noch mehr Technik umgeben
sein. Service Design sorgt dafür, dass
wir uns mit ihr wohlfühlen. Denn die
Technisierung bringt uns nur Vorteile,
so lange der Mensch auch im Mittelpunkt steht.
„Wir geben mit unseren
Triebwerksaufhängungen
grenzenloser Freiheit
mehr Sicherheit.“
Verlässlichkeit, diese Freude an der Herausforderung, die uns alle ausmacht.
Wir nehmen die Zukunft in die Hand.
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Zukunft
Wir nehmen die Zukunft in die Hand!
Fünf Länder,
eine Zukunft?
Wie Menschen in
unterschiedlichen Kulturen
ihr Leben mithilfe von
Technologie neu gestalten
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Der Traum vom Leben auf
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