Arzneipreise auf dem Prüfstand

elb
/ey
eg
tol
ia
: fo
Fot
o
EUROPÄISCHE UNION
Arzneipreise auf
dem Prüfstand
Der Zugang aller Patienten zu Arzneimitteln sowie
deren Bezahlbarkeit sind Schwerpunktthemen der
niederländischen EU-Ratspräsidentschaft.
D
ie Preispolitik der Pharmaindustrie steht zurzeit ganz oben
auf der Tagesordnung der Brüsseler
Gesundheitspolitik. „Allzu oft kommen neue, innovative Medikamente
zu horrenden Preisen auf den Markt.
Das gefährdet die Tragfähigkeit unserer Gesundheitssysteme“, erklärte die
niederländische Gesundheitsministerin Edith Schippers bei einer Konferenz zum Thema „Innovation für Patienten“ Anfang März in Amsterdam.
Die Ministerin betonte, aus diesem
Grund müsse man auch über die Bezahlbarkeit sprechen, wenn man über
den Zugang zu Arzneimitteln diskutiere. Beide Aspekte zählten zu den
Schwerpunkten der niederländischen
EU-Ratspräsidentschaft in der ersten
Jahreshälfte 2016.
Die Experten und Vertreter nationaler Arzneimittelbehörden beschäftigten sich in Amsterdam zum einen
mit der Frage, wie der Zugang
von Patienten zu lebensnotwendigen Therapien beschleunigt werden
kann. Denn während in Deutschland
meist weniger als drei Monate zwischen Marktzulassung und Verfügbarkeit zulasten der gesetzlichen
Krankenversicherung vergehen, sind
A 632
es andernorts neun Monate oder
mehr. Die Niederländer schlagen
vor, die Koordination und Kooperation zwischen den Bereichen Zulassung, Gesundheitstechnologiefolgenabschätzung, Preisgestaltung und
Kostenerstattung zu verbessern. Dazu sollten die Mitgliedstaaten Erfahrungen und Dokumentationen austauschen, erklärte Schippers.
Die andere große Frage, die die
Konferenzteilnehmer beschäftigte,
war die, wie man den steigenden
Preisen entgegenwirken kann. Beispiel Deutschland: Hier werden die
Krankenkassen nach Schätzungen
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des GKV-Spitzenverbandes 2016 mindestens 1,4
Milliarden Euro allein für die neuen,
zugegebenermaßen hoch wirksamen, Hepatitis-C-Medikamente ausgeben müssen. Je nach Therapieregime entstehen für die Behandlung
eines Patienten Kosten in Höhe von
60 000 bis 120 000 Euro. Unter den
46 Arzneiwirkstoffen, die 2014 auf
den deutschen Markt kamen, waren
dem Arzneiverordnungsreport 2015
zufolge acht mit einem Packungspreis von mehr als 10 000 Euro.
Angesichts des steigenden finanziellen Drucks auf die Gesundheitssysteme forderte Ministerin Schippers die Regierungen der EU und die
Kostenträger auf, mehr Einfluss auf
die Gestaltung der Arzneimittelpreise
zu nehmen. In einer Vorlage für das
niederländische Parlament spricht sie
sich ebenfalls dafür aus, dass innovative Arzneimittel zu Preisen verfügbar sein müssen, die für das Gesundheitssystem tragbar sind, schreiben
Bundesärztekammer (BÄK) und
KBV in ihrem Newsletter Europapolitik. Insbesondere sollten die Kosten
in Relation zum Zusatznutzen stehen,
so Schippers. Da die Marktmacht der
Niederlande zu klein sei, um nennenswerten Einfluss auf Arzneimittelpreise nehmen zu können, will die
Ministerin den EU-Ratsvorsitz nutzen, um die Mitgliedstaaten zu einer
engeren Kooperation auf diesem Gebiet zu bewegen.
Die Niederlande gehen mit gutem Beispiel voran. Sie haben im
vergangenen Jahr mit Belgien vereinbart, künftig bei Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie zusammenzuarbeiten, um ihre Verhandlungsposition zu stärken. Die
Kooperation beschränkt sich jedoch
zunächst auf Arzneimittel gegen
seltene Erkrankungen. Auch Bulgarien und Rumänien haben einen
besseren Austausch von Informationen über Preisverhandlungen
vereinbart. Mit dem Zugang zu
Arzneimitteln und der Preisgestaltung werden sich BÄK und KBV
zufolge am 18. April auch die EUGesundheitsminister beschäftigen.
Der EU-Parlamentarier Dr. med.
Peter Liese begrüßte die Initiative
der niederländischen Ratspräsidentschaft. Es sei ein wichtiges Anliegen, Patienten einen möglichst
preiswerten und schnellen Zugang
zu innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion. Zugleich warnte
er vor falschen Erwartungen. „Die
Erstattungspolitik der Mitgliedstaaten kann und soll nicht harmonisiert
▄
werden“, betonte Liese.
Heike Korzilius
@
Kurzinterview mit Peter Liese:
www.aerzteblatt.de/n66204
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 14 | 8. April 2016