"Impulse für die Pastoral" gewidmet.

1/2016
für die Pastoral
Erfahrungen
Schallplatten in St. Michael
ÜBERRASCHENDE, UNERWARTETE BEGEGNUNGEN
IN EINER KIRCHE
Eine Kirche in der Kölner Innenstadt öffnet die Türen zu ungewohnten Zeiten. Musik, Theater,
Film – Begegnungen an einem ungewohnten Ort. Begegnungen mit Wirkung! Teilen und sich
gegenseitig bereichern und beschenken. Das ermöglicht Art & Amen, die jüngste Reihe aus dem
Kulturprogramm von St. Michael, das damit neue Wege in der Pastoral geht. (Red.)
Ein großer neo-romanischer Kirchenraum, beinahe
nur mit Kerzen erleuchtet. Aus zwei Lautsprecherboxen ertönen elektronische Klänge mit langsamem
Beat. Zwischen den Boxen steht ein Tisch mit zwei
Plattenspielern, dahinter ein junger Mann mit Kopfhörern, der DJ. Es ist spät an einem Samstagabend.
Art & Amen: analog steht auf dem Programmflyer.
Analog, weil der DJ nicht auf digitale CD oder mp3
zurückgreift, sondern nur auf analoge Schallplatten.
Wenn er keine Platten auflegt, verkauft er sie in
einem nahegelegenen Geschäft. Drei Stunden dauert
sein Programm. Im Laufe des Abends kommen ca.
300 meist junge Menschen in die Kirche. Manche
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setzen sich in die Bank und hören einfach zu, andere
gehen langsam durch die Kirche. Die meisten staunen
über die Kombination von sakralen Raum und ungewohnt musikalischen Klängen.
Art & Amen: analog ist die jüngste Reihe aus dem
Kulturprogramm von St. Michael, mit dem die Pfarrgemeinde St. Gereon in Köln seit fünf Jahren neue
Wege in der Pastoral geht. Kirchen sind zwar zunächst einmal Räume für die gottesdienstliche Versammlung. Sie sind und waren aber auch schon immer
mehr: sie sind ebenso Orte der Ruhe, der Kunst, der
Musik, der Begegnung. Diesen Gedanken greifen die
Initiatoren von Art & Amen auf. Sie öffnen die Türen
der Kirche St. Michael und zwar zu einem Zeitpunkt,
an dem andere Gotteshäuser fest verschlossen sind:
in den späten Abendstunden. Dies hat einen besonderen Grund: Diese drittgrößte Kirche in Köln liegt an
einem besonderen Platz, der über Köln hinaus einen
großen Bekanntheitsgrad erreicht hat, dem Brüsseler
Platz. Wenn das Wetter es zulässt versammeln sich
abends im Schatten der Kirchtürme mehrere hundert
Menschen. Sie genießen die besondere Atmosphäre
zwischen den Bäumen, trinken Bier und Wein, treffen
Freunde und Bekannte. Art & Amen reagiert auf diesen beliebten Treffpunkt und bietet an den sommerlichen Abenden ein für kirchliche Verhältnisse unkonventionelles Programm an. Das Programm reicht von
Kunst (Art) bis hin zu besonderen Gottesdiensten
Erfahrungen
(Amen). Das Kulturprogramm ist dabei nicht unbedingt religiös. Die Künstlerinnen und Künstler haben
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aber den Auftrag, auf diesen Raum mit seiner besonderen Bestimmung zu reagieren. So auch der DJ. Als
ich ihn anfragte, ob er nicht Lust hätte, abends in der
Kirche Platten aufzulegen, wiegelte er zunächst ab: Er
habe keine fromme Musik. Da sei auch gar nicht meine Intention, warb ich für unsere Idee. Es gäbe aber
bestimmt Musik, die in einem Kirchenraum eine besondere Wirkung entfalten würde. Dem war auch so.
Das Vorbild für diese Idee, Kultur und Kirche aufeinander treffen zu lassen, findet sich im Kölner Dom.
Seit beinahe 10 Jahren sind Besucher der Kathedrale
vom Fenster im Südquerhaus begeistert. Auch wenn
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die Farbquadrate Gerhard Richters sicherlich auch
in einem Rathaus oder Museum einen angemessenen
Platz gefunden hätten, spüren die Betrachter, dass sie
im Dom eine außergewöhnliche Wirkung entfalten.
Das gleiche geschieht mit einem Popsong, der in der
Kirche gespielt wird, auch wenn er keinen vordergründig religiösen Bezug hat. Aber manches Orgelstück kommt ja auch ohne sakrale Intention aus.
Musik spielt eine besondere Rolle im Programm von
Art & Amen. Das liegt auch daran, dass die Programmgruppe bei ihrer Planung bewusst das kulturelle Umfeld beachtet. Das Belgische Viertel, in dem
die Kirche liegt, ist geprägt von Musik-Clubs und
Plattenläden. Daher liegt es nahe, Akteure aus diesem Umfeld für eine Kooperation zu gewinnen. Die
ein oder andere Popband hat hier ihre ersten Konzerte gegeben. So hatte die in der Zwischenzeit sehr
für die Pastoral
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erfolgreiche Kölner Pop Band AnnenMayKantereit
hier eine ihrer ersten Auftritte.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich Film. Studierende der Kunsthochschule für Medien können in
der Kirche ihre ersten Kurzfilme zeigen. Dokumentarfilmer, die im Viertel wohnen und arbeiten, freuen
sich, in der Kirche mit Nachbarn über ihren Film ins
Gespräch zu kommen. Aber auch Theaterinszenierungen, Lichtinszenierungen Ausstellungen hatten
schon ihren Ort in dieser Kirche.
Grundsätzlich getragen wird Art & Amen durch eine
gGmbH, über die alle finanziellen Angelegenheiten
abgewickelt werden. Die meisten Veranstaltungen
sind für die Besucherinnen und Besucher kostenfrei.
Die Kulturschaffenden bekommen zumindest ein
kleines Honorar. Finanziert werden die Events und
Veranstaltungen durch Spenden oder durch Veranstaltungen, bei denen wir mit Eintritt Gewinn erzielen können.
So eine Idee braucht natürlich eine Struktur und ein
gutes Zusammenspiel von hauptamtlichen und eh-
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renamtlichen Kräften. Das operative Geschäft liegt
in den Händen einer Projektmanagerin, als Pastoralreferent begleite ich das Projekt von Seiten der Seelsorger. Zusammen mit freiwillig Engagierten bilden
wir eine Programmgruppe, die aktiv auf Künstler zugehen und auf Anfragen reagieren. Flyer, Plakate und
Homepage werden von jungen kreativen Freiwilligen
gestaltet.
Die positiven Erfahrungen der letzten Jahre wollen
wir als Kirchengemeinde weiter entwickeln. Wir
überlegen, wie wir den Kirchenraum zukünftig gestalten, damit unsere Idee von Teilhabe noch besser
möglich ist. Diese Überlegungen werden wird nicht
hinter verschlossenen Türen führen, sondern öffentlich unter möglichst großer Beteiligung interessierter
Menschen. Deswegen werden wir im Laufe des Jahres
2016 Experten beauftragen, mit Hilfe von Kunst einen
Kommunikationsprozess zu gestalten. Von diesem erwarten wir uns genauere Erkenntnisse darüber, was
Menschen heute von diesem Kirchenraum als Ort
der Spiritualität und Kultur erwarten und welchen
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für die Pastoral
Erfahrungen
Beitrag sie dazu leisten können und wollen.
Ein Punkt ist für uns als Pfarrgemeinde dabei sehr
wichtig. Wir wollen diesen Raum teilen. Was wir
damit meinen, wird durch die englische Übersetzung
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vielleicht noch deutlicher: sharing. Heute wird viel
von den Chancen der sharing economy gesprochen.
Menschen teilen sich gemeinsam eine Ressource, z.B.
ein Auto, und ermöglichen so vielen Menschen ein
Nutzen. Diesen Gedanken des Teilens wollen wir
uns aneignen, damit möglichst vielen Menschen einen
Nutzen für sich in dieser Kirche entdecken können.
Denn das zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre:
Art & Amen bietet für alle Beteiligten ein Gewinn. Für
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die Künstlerinnen und Künstler, die es als besondere
Chance ansehen, ihre Arbeit in so einem besonderen
Rahmen zu zeigen. Es ist aber auch ein Gewinn für
uns als Kirchengemeinde, schenken die Künstler uns
doch ganz neue und besondere Eindrücke unserer
Kirche.
Norbert Bauer
Pastoralreferent Köln