SOS beim Wachwechsel im inhabergeführten Familienunternehmen

S.O.S. beim Wachwechsel im
inhabergeführten Familienunternehmen:
Die vier Untiefen
bei der Unternehmensnachfolge
Dr. Wolfgang Meyer-Hofmann und Wolfgang Seefeldt
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Die Regelungen des Bordfunk:
Wer kommuniziert mit wem, wie, worüber?
Welche Firma lässt schon ihre eigenen Talente vertrocknen? Wer riskiert es, dass glühend
motivierte Mitarbeiter im lauen Mittelmaß versacken? Und kreatives Potential schreddern,
langjährige Erfahrungen in die Mülltonne treten – wie sieht es damit aus? Völlig undenkbar, möchte man abwinken. Und doch ist all
das in vielen (Familien)-Unternehmen, wenngleich ohne Absicht, tägliche Praxis. Und die
kostet wertvolle Ressourcen. Schlimmer noch:
Springen qualifizierte Mitarbeiter reihenweise
von Bord, weil sie sich nicht mehr zuhause
fühlen – im Schlepptau ihr know how (Kollegen und die Kunden) – kann das Unternehmen sogar den Anschluss an die Zukunft verlieren. Denn letztlich geht auch ein unbezahlbarer Erfahrungsschatz verloren – oder er bereichert künftig den Konkurrenten, bei dem
die Frustrierten anheuern.
Von der Mastspitze aus betrachtet – die
Kommunikationsexperten nennen es "Metaperspektive“ – erscheinen die Zusammenhänge logisch. Doch was dem Beziehungsprofi einleuchtet, erschließt sich dem Beteiligten erst über Umwege. Zunächst dümpelt diffuses Unwohlsein in seinen Gedanken, er
trägt die Anspannung mit nach Hause, brütet
dort seinen Zwiespalt aus, nicht selten auf
Kosten von Psyche und Familie.
Läuft der Leidensdruck aus dem Ruder,
kommt es zur kopfinternen Kernschmelze.
Wer nicht die Reißleine zieht, zupft sich die
Situation anderswie erträglich: Dienst nach
Vorschrift, öfter mal krank melden oder auch
die viel zitierte „innere Kündigung“. Wahrlich
kein seltenes Phänomen, der aktuelle Engagement-Index des Beratungsunternehmens
Gallup definiert eine große Gruppe von Arbeitnehmern (70 Prozent) „mit geringer emotionaler Bindung“ an ihr Unternehmen.
Ärmel aufkrempeln reicht heute
nicht mehr aus, es muss
miteinander geredet werden
Auch zum Thema „Krankfeiern“ gibt es Fakten: Mitarbeiter, die wenig Gefühlsbindungen
an das Unternehmen haben und sich nicht mit
der Firma identifizieren, zeigen deutlich weniger Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft.
Jährlich verursachen sie etwa doppelt so viele
Krankheitstage wie motivierte Arbeitnehmer.
Ähnliches ergab eine Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO): Mitarbeiter, die von ihren Vorgesetzten wenig Anerkennung erfahren, sind häufiger krank.
Von der inneren Kündigung zur faktischen
Kündigung ist es oft nur ein kurzer Weg. Der
Firmenlenker registriert den Exodus seiner
Getreuen zunächst mit Ratlosigkeit und Unverständnis. Vielleicht zu wenig Geld, so die
reflexhafte Vermutung, wenn wieder mal jemand Abschied nimmt. Doch es steckt weitaus mehr dahinter. Oft ist es nämlich nicht der
finanzielle Aspekt, der Menschen zum Ausstieg bewegt.
Ploppt der Hauptgrund für den Mitarbeiter
meuchelnden Motivations-Crash an die Oberfläche, trifft das viele Firmenoberhäupter wie
eine Breitseite aus dem Hinterhalt. Doch seriöse Ursachenanalysen verdeutlichen immer
wieder eines: Es klemmt an der Kommunika2
tion – besser gesagt an kluger Kommunikation. Zweifellos ein Reizwort für Patriarchen,
die ihre Firma vorwiegend mit harter Arbeit
nach oben geboxt haben. Doch Ärmel aufkrempeln allein, das reicht heute nicht mehr
aus. Im Gegenteil, Führungsstil mit Fingerspitzengefühl ist gefragt, und dazu gehört,
dass miteinander geredet wird, konstruktiv,
mehrdimensional und möglichst mit einem filigranen und regelmäßigen Feedback.
„Frontalfeedback to go“ zeigt
niemandem eine Perspektive auf
In der betrieblichen Praxis geschieht oft genug Gegenteiliges. Wer zum Gespräch an
den Kapitänstisch muss, der erscheint dort
meist mit schlackernden Knien. Was kann
schon kommen, wenn man zum „Alten“ zitiert
wird – Kritik, Vorwürfe, vielleicht eine Abmahnung? Aber sogar ohne Rüffel und Rügen
herrscht
meist
Einbahnstraßenkommunikation, sozusagen „Frontalfeedback to go“.
Dabei sind solche Vier-Augen-Situationen regelrechte Premium-Gelegenheiten für den
Kapitän, motivationsbedingte Schlagseiten
auszuloten, die Stimmungslage der Besatzung abzuhorchen – und letztlich regulierend
einzugreifen, wenn der Kurs Knicke bekommt
und die Segel rissig werden. Vor allem aber
ist es eine hochformatige Chance, dem Gegenüber ein Stück „konkrete Zukunft“ zu vermitteln. Denn Unternehmen, die Mitarbeitern
keine Perspektiven aufzeigen, segeln auf Risikokurs. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels ist es regelrecht grob fahrlässig,
diesen Aspekt der Mitarbeiterbindung zu vernachlässigen.
Dabei ist eines nachvollziehbar: Wissen, woher der Wind weht, das wollen die allermeisten. Denn sie treiben perspektivisch-
existentielle Fragen um: Welche Rolle spiele
ich konkret im Besatzungsensemble, welche
Wertschätzung erfahre ich? Welche Karrierechancen bietet mir die Firma? Wo sieht mich
der Chef in 5 Jahren, und wie sicher ist mein
Arbeitsplatz.
Parallel dazu geht es um den persönlichen
Anerkennungsbonus. Das können Aufstiegsmöglichkeiten sein, ein interessantes Praktikum im Ausland, ein flotter Firmenwagen oder
auch soziale Sicherheit. Ab einem gewissen
Alter ist man ausgesprochen dankbar, nicht
noch mal andernorts anheuern zu müssen.
Und diese Wertschätzung zahlt sich aus; sie
kann zweifellos zu einem noch höheren Engagement für das Unternehmen führen.
Kommunikation „al dente“ verbaut
individuelle Lösungsansätze
Mitarbeiter brauchen Feedback und das Gefühl, dass man sie wahrnimmt. Nichts ist
schlimmer als Desinteresse oder administratorisch abgehandelte Zuwendungs-Alibis.
Doch gerade dieses Wertschätzen fällt vielen
Führungskräften der alten Schule schwer. Sie
sind wenig bereit, sich Zeit dafür zu nehmen.
Reden ist Silber, nur Arbeit bringt Gold. Aufmerksam zuhören, mal die Krawatte lösen,
ein lockeres Wort zwischendurch, das ist
zweifellos schwer, wenn man gewohnt ist, den
ganzen Tag Anweisungen zu erteilen.
Zudem verbaut Kommunikation „al dente“,
nämlich mit zusammengebissenen Zähnen,
auch individuelle Lösungsansätze. Wertschätzung lässt sich nämlich auch dadurch zeigen,
dass man herausfindet, was dem einzelnen
Mitarbeiter wichtig ist. Vielleicht hat die Mitarbeiterin ein krankes Kind zu Hause und geht
deshalb immer so früh. Ihr könnte man mit
flexiblen Arbeitszeiten entgegenkommen.
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Solche Individuallösungen beflügeln nicht nur
Einzelne. Es spricht sich rasch herum, dass
sich der eine oder andere Frosch im Hals
beim Chefgespräch kreativ entsorgen lässt.
Das stärkt das Wir-Gefühl und bringt in der
Summe Antrieb für alle. Leider kollidiert solcherart betriebliche Vorsorge oft mit beinharter Patriarchenmentalität.
Ähnlich unterentwickelt zeigt sich bei professioneller Analyse auch die Kommunikation mit
den übrigen Partnern im geschäftlichen Kosmos, etwa Kunden, Lieferanten oder Banken.
Auch diese wollen gern auf dem Laufenden
gehalten werden, allgemein atmosphärisch
als auch von der Faktenlage her.
Wer offensiv auftritt und Transparenz zeigt,
implantiert gleichzeitig eine Art MisstrauensPrävention. Viel zu oft wird aber erst dann
kommuniziert, wenn irgendwo der Schuh
drückt – wenn der Kreditrahmen zwickt, wenn
die Lieferkonditionen den Rechenstift rauchen
lassen oder wenn eine Preiserhöhung die Atmosphäre würgt. Auch in diesen Segmenten
stünde kluge Kommunikation dem einen oder
anderen Firmenlenker besser zu Gesicht als
ein undurchsichtiges Pokerface.
Nicht immer durchsichtig sind mitunter auch
die internen Machtverhältnisse in der Kapitänskajüte. Zwar muss es nicht gleich eine
Meuterei sein, aber Ränke und Rangeleien
unter den Offizieren, das spricht sich rasch
rum unter der Crew. Die aktuelle Stimmung
und das Vertrauen in die Zukunft fördert es
nicht.
Weniger maritim marmoriert formuliert: Oft
beschäftigt sich der Unternehmer nicht oder
zu spät mit der Nachfolge. Was aber nicht klar
geregelt ist, verursacht Missstimmungen und
stichelt persönliche Befindlichkeiten an. In der
Folge gärt und menschelt es unter der Ober-
fläche. So kann es bei einem Gesellschafterkreis aus mehreren Familienmitgliedern zu einem zersplitterten Meinungsbild kommen,
oder es entstehen sogar Pattsituationen.
Zudem sind immer wieder Allianzen innerhalb
der Familie und im Gesellschafterkreis zu orten, welche das Unternehmen nachhaltig
lähmen und blockieren. Mitunter schwelen
Neid und Eifersucht hinter den Familienkulissen. Aber auch falsches Gerechtigkeitsempfinden oder fehlendes Wissen können Ursachen sein, und auch durch Dritte drohen Konfliktfelder, etwa durch angeheiratete Familienmitglieder.
Wer einen Notfallkoffer an
Bord hat, vermeidet Chaos
in der Kapitänskajüte
Aber auch die Regelung der Altersversorgung
des Firmenlenkers darf nicht unterschätzt
werden. Hinzu kommen moralische Verpflichtungen des Unternehmers gegenüber seinen
Kindern. Und letztlich hemmt mitunter die Eitelkeit des Patriarchen, der Probleme mit dem
Loslassen hat. Klassische Generationenkonflikte wie diese können die Innovationskraft
bremsen und den gesamten Geschäftsverlauf
lähmen.
Parallel dazu können emotionale und persönliche Aspekte der im Nachfolgeprozess involvierten Personen eine blockierende Rolle
spielen. Selbst wenn es nicht zu Konflikten
kommt – die Lösung familiärer Verquickungen
lähmt den Nachfolgeprozess erheblich. Nicht
selten gärt eine ungelöste Grundsatzfrage im
Familienkorpus: Wer soll nach Ansicht des
Patriarchen der Kronprinz werden? Eine Entscheidung, die gerne verschoben, vermieden,
verdrängt wird, sogar über Jahre hinaus.
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Doch wer sich vor diesem emotionalen Nadelöhr drückt, riskiert gleich zweierlei: Zum einen die persönliche Enttäuschung, wenn
nämlich der Wunschnachfolger auf der Zielgeraden noch einen Rückzieher macht. Zum anderen liegen dringende und richtungweisende
Entscheidungen währenddessen auf Eis.
Deshalb: Karten auf den Tisch, und damit ist
nicht eine Runde Poker gemeint. Im Gegenteil: Offen miteinander reden, auch wenn es
wehtun mag. Eine Grundsatzentscheidung
treffen – den Kurs bestimmen -, und das so
frühzeitig wie möglich. Erst dann wird es gelingen, dass alle an einem Strang ziehen und
zukunftssichere Details erarbeiten.
All dies lässt sich durch einen sogenannten
Notfallkoffer vermeiden. Darin könnten sich
unter anderem Testament, Vollmachten und
weitere relevante Informationen befinden,
damit das Unternehmen in schwierigen Situationen wie Krankheit oder Tod manövrierfähig
bleibt. Solch ein Vorsorge-Tool ist ein einfaches aber überaus probates Mittel gegen
Chaos in der Kapitänskajüte. Allerdings haben
nur 27 Prozent der befragten Unternehmer
diesbezügliche Vorkehrungen getroffen, das
geht aus dem IHK-Nachfolgereport aus dem
Jahr 2014 hervor.
„Fly ahead of your Aircraft“, dieses Motto
zeichnet vorausschauend agierende Wirtschaftskapitäne aus. Wer aber weder eine
Niederschrift über Procedere und Konditionen
Nachfolge anlegt, noch relevante Familienangehörige und/oder Führungskräfte in den
Nachfolgeprozess einbindet, programmiert
nahezu vollautomatisch Zank, Krisensituationen und innerfamiliäre Händel und/oder innerhalb der Firma Machtspiele unter den Führungskräften.
Old School-Chefs fürchten
Change Management
wie der Seebär den Klabautermann
Es gibt viel zu tun an Bord, wenn Kommunikationsdellen oder persönliche Animositäten den
Gemeinschaftssinn trüben und wichtige Motivationsreserven blocken. Hier gilt es anzusetzen beim „Klar-Schiff-Machen“. Doch ganz
einfach lässt sich das Ruder nicht herumreißen. Es geistert ein Begriffsdoppel herum,
das viele Old School Chefs fürchten wie der
Seebär den Klabautermann: Change Management und auch Controlling! Die bewährten Gewohnheiten auf die Waagschale legen,
weil das angesichts der sich rasant wandelnden geschäftlichen Gegenwart ratsam wäre?
Sich in die Bücher schauen lassen? Dieser
Gedanke ist für manchen Selfmade-Chef ein
Gräuel, das lehnt er ab, das ging auch früher
ohne und unfallfrei, da hört er gar nicht erst
hin.
Sollte er aber, sonst kann es schnell auf Klippen und Untiefen zugehen, die auf bisherigen
Seekarten nicht verzeichnet waren. Der Ausweg: Wer solchen Havarien ausweichen will,
engagiert einen erfahrenen Lotsen. Am besten ein kompetentes Team, das auch gleich
die Segeln, den Mast und die Maschine überprüft und die verborgene Synergieeffekte in
Kajüte, Kombüse, Maschinen- und Frachtraum aufspürt. Der ideale Zeitpunkt dafür ist
dann, wenn sich absehen lässt, dass sich an
Bord ein Wachwechsel andeutet.
Unter diesen Aspekten fällt das Fazit mit Blick
auf „Untiefe Nummer eins“ kaum überraschend aus: Nur ein Schiff mit klarem Kurs,
mit permanenter Positionsbestimmung und
mit einer hochgradig motivierten Mannschaft
wird mit optimaler Segeltrimmung bei gutem
Wind in die Zukunft segeln.
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Leuchtturm im Ozean der Zahlen:
EBIT klickt Licht ins Interpretationsgestrüpp
Die zweite Untiefe ist zunächst einmal gekennzeichnet durch zweierlei Sichtweisen. In
der Praxis schlägt sich das folgendermaßen
nieder: Geht es um den Verkauf eines Unternehmens, stellen Firmenlenker gerne stolz ihre Kundenbindung oder ihren Umsatz ins
Schaufenster. Andere hingegen bevorzugen
es, ihre Gewinnmarge möglichst bunt zu beleuchten. Ein Dritter kokettiert vielleicht ganz
offensiv mit dem Begriff „Traditionsunternehmen“. Doch weil der potenzielle Partner meist
mehrere Objekte im Visier hat, drängt er auf
objektive Vergleichsmaßstäbe. Statt EuroKonfetti oder Selbstbeweihräucherung will er
knackiges Zahlenwerk sehen. Vor allem will er
wissen, wie gut ein Unternehmen in seinem
Kerngeschäft wirtschaftet. Für ihn ist eine attraktive Rendite wichtig; auch deshalb, weil er
damit den Kaufpreis einmal bezahlen will.
Und Recht hat er. Was nützt die großartige
Galionsfigur vor der flotten Viermast-Bark,
wenn’s unten im Frachtraum modert und das
Logbuch sich ausschweigt über Reparaturkosten und Liegezeiten? Länge, Lackierung, Bruttoregistertonnen oder der Sternekoch in der
Kombüse - das allein macht längst nicht den
Wert eines Schiffes aus.
Es fehlt eine Markierung,
an der sich alle orientieren können
Ähnlich denkt der investitionsbereite Interessent. Denn Gewinn ist allemal Ansichtssache.
Um die wirtschaftliche Situation richtig zu beurteilen, ist er im Normalfall auf Angaben aus
der Bilanz und der Gewinn-und-VerlustRechnung angewiesen. Doch kaum etwas
lässt sich so gut manipulieren, frisieren oder
auch modellieren wie eine Bilanz. Durch Jonglieren mit bestimmten Kosten, beispielsweise
mit den Abschreibungen, lässt sich knitterfreie
Kulissenbilanz betreiben. Insider nennen das
„kreative Buchführung“; beziehungsmäßig interpretiert: ein Schleiertanz, der über die inneren Werte der Braut / des Bräutigams wenig
aussagt.
Unter diesen Aspekten ist die Aussagefähigkeit solcher Zahlen mit gesunder Skepsis zu
betrachten. Hinzu kommt: Mögen Tabellen
noch so taff designed daherkommen – sie dokumentieren, wenn überhaupt, Vergangenheit
und Gegenwart, jedoch nicht die Zukunft. Also
muss der geneigte Investor tiefer bohren: Ist
das Unternehmen ordentlich finanziert? Wie
hoch sind die Schulden, wie viel stille Reserven gibt es? Und: Wie hält man es hier mit
Nachhaltigkeit und Umweltschutz, welchen
Stellenwert haben Mitarbeiter-Qualifizierung
und Innovationswesen? Hinzu kommt die Frage nach der Außendarstellung. Wie sehen die
Kunden das Unternehmen, welches Image hat
es, etwa hinsichtlich Servicementalität oder
Zuverlässigkeit? Alles Fakten, die man wissen
will, wenn man mit einem Unternehmen Geschäfte machen möchte.
Saubere Formel statt
Bilanz-Kulissen – welche inneren
Werte hat die Braut?
Also muss EBIT her. Was sich anhört wie die
Kurzbezeichnung einer Europäischen Eingreiftruppe, ist die Kennzahl zur Ermittlung der
wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens
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– und damit ein treffliches Werkzeug zur Bilanzanalyse. Die Abkürzung steht für „earnings before interest and taxes“. In einen zifferfreien Satz gegossen: EBIT zeigt schnörkelfrei
an, wie viel ein Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum erwirtschaftet hat. Bedeutet in der Kurzerklärung: Zins- und Steuererträge resp. Kosten werden bei der Berechnung außer Acht gelassen. Abschreibungen
hingegen werden vom Ertrag abgezogen.
EBIT stellt ein operatives Betriebsergebnis
dar. So lassen sich – speziell im internationalen Vergleich (IFRS) – verschiedene Firmen
fast auf einen Blick miteinander vergleichen.
Denn mit dem Herausrechnen bestimmter Positionen entsteht ein unverzerrter Einblick in
die wahre Ertragslage einer Firma, sogar unabhängig von der jeweiligen Währung.
Apropos herausrechnen: Stille Reserven, etwa im Immobilienbestand, den Maschinen und
im Rahmen der Altersversorgung des Patriarchen, können das Gesamtbild verändern, weil
in der Regel ein Erwerber dafür nichts bezahlt.
Dann kollidiert der Gedanke vom goldenen
Lebensabend mit der Erwartung einer goldenen „Rendite“. Doch diese Dellen lassen sich
ausbügeln, wenn im Vorwege diese stillen
Reserven aufgedeckt und ausgeschüttet werden. Dadurch kann auch die Betrachtungsweise von „langfristig“ auf „shareholder value“
umgestellt werden und der Veräußerer kann
die stillen Reserven dennoch genießen. Sinnvoller Weise sollte diese „Umschlüsselung“ erfolgen, bevor ein Interessent seine Aufwartung macht.
Das Resümee bezüglich der sauberen Formel: Im Gegensatz zu Umsatz- und Ertragszahlen erlaubt die EBIT „Kennzahl“ eine präzise Aussage darüber, über welche (Ertrags)Werte das Schiff verfügt, respektive, ggf. welche Ertragspotentiale in ihr schlummern. Das
klickt Licht ins Interpretationsgestrüpp und erlaubt einen wetterfesten Vergleich, national
wie international, sogar zwischen verschiedenen Unternehmen und Branchen.
Total-Analyse im Trockendock:
Löcher, Leichen oder Lunten an Bord?
Soll ein Unternehmen verkauft werden, verlangen potenzielle Investoren eine sorgfältige
Prüfung und Analyse, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen, rechtlichen,
steuerlichen und finanziellen Verhältnisse. In
der Regel ist dann eine Due-Diligence fällig,
frei übersetzt bedeutet das so viel wie „sorgfältiger Check“. Das damit verbundene Procedere entspricht, sehr salopp formuliert, in etwa
der Untersuchung eines Profi-Fußballers, den
das Ärzte-Team des neuen Vereins von Kopf
bis Fuß unter die Lupe nimmt, angefangen
vom Laktat-Test über MRT und EKG bis hin
zur Gehirnstrommessung. Denn schließlich
wollen die Club-Verantwortlichen genauestens
wissen, ob der neue Kicker auch unter gesundheitlichen Aspekten eine Top-Investition
ist.
Ähnlich wie den Fußball-Bossen geht es dem
Investor, der sich für ein bestimmtes Unternehmen interessiert. Er will sich der Qualität
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des potentiellen Anlageobjektes versichern,
indem er alle relevanten Aspekte aus seiner
Sicht mustert, bis aufs Komma genau. Auch
hier handelt es sich sozusagen um eine
Überprüfung des Gesamtorganismus von
Kopf bis Fuß.
Flankierender Support:
Ohne ausgewiesene Experten geht
es nicht
Und genau das ist das Ziel einer DueDiligence: sich bis in die kaufmännischen und
technischen Kapillarsysteme hinein abzusichern, ob die Annahmen und Voraussetzungen, auf die sich ein Kaufangebot bezieht, in
der betrieblichen Praxis wasserdicht und
sturmfest sind. Parallel dazu gilt es, alle relevanten Risiken zu identifizieren. Denn wer will
schon, aus maritimer Sicht argumentiert, ein
Schiff kaufen, das Löcher, Leichen oder gar
glimmende Lunten an Bord hat?
Also ab ins „Trockendock“ zur Totalbegutachtung! Dort erfolgt eine systematische Analyse
und Bewertung aller Sektoren hinsichtlich verborgener Schwächen und Risiken; gleichermaßen werden aber auch Erfolgspotentiale
registriert. Weil es im Rahmen dieser Prozedur häufig tief in Detailbereiche hinein geht,
gelingt eine seriöse Durchführung nur mit
flankierendem Support durch ausgewiesene
Experten. Hierfür beauftragt der Investor qualifizierte Fachleute, je nach Geschäftsfeld sind
das spezialisierte Anwälte, Wirtschaftsprüfer,
Branchenanalysten, Techniker.
Gemeinsam erarbeiten der Kapitän und ein
anzuheuerndes M&A Team mit dem Lotsen
die möglichen Heiratswilligen, die sich für das
Unternehmen interessieren könnten. Es wird
eine „long-list“ erstellt, dann eine „short-list“
erarbeitet und nur diese Interessenten erhal-
ten nach Überlassung eines anonymisierten
„Firmenprospekts“ und einer Verschwiegenheitsverpflichtungserklärung den Zugang zu
dem Datenraum.
Diese Datenräume sind heute meistens „virtuell. Diesem Due-Diligence Verfahren der Interessenten vorgeschaltet, bedarf es einer sorgfältigen Erstellung eines Datenraumen. Also
eines Raumes, in dem alle diese „Geheimnisse“ gehortet und gestapelt werden. Oftmals
sieht diese Datensammlung wie eine eigene
Due-Diligence aus, denn welche Daten beschafft werden müssen, wird der Lotse mit einem M&A Team erarbeiten. Dabei wird auch
oft dem Kapitän erst bewusst, was er alles hat
und was er alles vermisst. Ein gutes M&A
Team weiß, wie und wo diese Daten zu liegen
haben und überwacht auch den Zugriff auf
dieselben.
Sinfonie in 3D:
Der Interessent will den
gesamten Firmenkosmos sehen
Im Rahmen der Datensichtung haben die Interessenten alle Hände voll zu tun. So gilt es
beispielsweise in der Teildisziplin FinancialDue-Diligence, die finanzielle Situation des
Unternehmens zu „screenen“, heißt: Sichtung
aller Verträge, Abschlüsse, Verpflichtungen
und Forderungen sowie die Budgets, um ein
genaues Bild über Plusbereiche und Minusfaktoren zu erhalten. Bei der Technical-DueDiligence hingegen durchleuchten Spezialisten entsprechende Anlagen, Immobilien und
die dazugehörigen Informationen. Besonderes
Augenmerk liegt dabei auf den Bereichen Instandhaltung und Instandsetzung. Auch das
Modernisierungspotential muss auf den Prüfstand, ebenso wie der technische Zustand der
Anlagen. Hinzu kommt eine fundierte Einschätzung hinsichtlich der benötigten Investi-
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tionssumme und des künftigen Kostenszenarios.
Parallel wird der Markt geprüft, einerseits hinsichtlich des Kundenpotentials, auf der anderen Seite, um die Konkurrenzsituation zu definieren. Währenddessen läuft auch die Corporate-Legal-Due-Diligence, welche die rechtliche Struktur des Unternehmens unter die Lupe nimmt, etwa Verträge über Kapitalerhöhungen und andere Kapitalmaßnahmen, aber
auch Beschlüsse der Gesellschafter sowie die
Situation der Anteilseigner. Zeitgleich steht bei
der IPR-Due-Diligence das betriebliche know
how im Fokus, also rechtliche Angelegenheiten rund um die Themenbereiche Patente und
Copyrights.
Hochkritischer Showdown:
Am Ende wartet ein
temporäres Nadelöhr
Am Ende des Analyse-Marathons der Interessenten, der unter Umständen viele Monate
dauern kann, wird es dann plötzlich zeitlich
brenzlig. Die Präsentation der „Total-Analyse
im Trockendock“ hat ihre Tücken, die Konstellation gleicht einem Nadelöhr, das zudem
noch höchst terminkritisch unter Strom steht.
Denn für einen gewissen Zeitraum, auch
wenn dieser minimiert ist, liegen die Firmendaten „blank“. Mitunter auch die Nerven der
Beteiligten, auch wenn die Einsichtnahme in
einer abgeschirmten Location stattfindet. Eine
Situation, vergleichbar mit der eines Kapitäns,
der gemeinsam mit seinem Lotsen sein Schiff
sicher in den Hafen bringen will. Er weiß, dass
die kritische Phase der Ankunft in der sauberen Ansteuerung und dem vorsichtigen Anlegen liegt. Der Kapitän kennt sein Schiff und
dennoch vertraut auf seinen Lotsen, der der
die Ansteuerung, die Untiefen, die Gezeiten
und den Hafen kennt.
Nach diesem teleskopartigen Einblick in den
Kosmos der Firma samt ihrer Elementarteilchen haben die Interessenten ein komplettes
3D-Bild des Unternehmens. Fällt das in Sinne
ihrer Erwartungen aus, geben sie ein Angebot
ab. Nun ist es am Kapitän, zu entscheiden, ob
und welchen Kandidaten er an Bord lassen
will, oder – bei mehreren Bietern – welcher
am besten zur Braut passt und/oder das beste
Angebot gemacht hat.
Es folgen dann lange und zähe Vertragsverhandlungen, die denn mit dem glücklichen
Abschluss eines Unternehmenskaufvertrages
enden sollten.
Die dritte Untiefe wäre dann passiert.
Wunschtraum mit Widerhaken:
Kapitäns-Zapfenstreich ist erst, wenn …
Ende gut alles gut! Die große Fahrt hat ein
Ende, der Kapitän geht von Bord. In Gedanken weilt er schon im Traumhaus am Te-
gernsee oder sieht sich im Karibik-Ressort
am Palmenstrand. Letzte Worte an die Zu-
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rückgebliebenen: „Tschüss Leute, ich bin
dann mal wech…“.
Doch so einfach lässt sich das Ruder in
Richtung Ruhestand nicht herumreißen.
Maschine stopp und sich schnurstracks
ausbooten, das mag beim Beamten blendend funktionieren. Der Unternehmer hingegen kann sich erst dauerhaft zurücklehnen,
wenn jegliches Procedere ohne negativen
Nachhall in trockenen Tüchern ist. Denn eine Weile bleibt er noch – ob in der Karibik
oder in Bayern – im Sog seines Lebenswerks haften. Dies im wörtlichen Sinn, denn
Haftungstatbestände verlöschen mitnichten,
sobald jemand anderes am Ruder steht.
Im Extremfall macht ein
Bumerang-Gemenge
die ersten Ruhestandsmeilen
zur Vorhölle
Ohne den Klabautermann an die Wand
powerpointen zu wollen: Es kann allerlei
schief laufen beim Ruderwechsel und dem
Einlaufen in den neuen Heimathafen. Denn
es liegt in der Natur der Sache, dass ein Unternehmenskaufvertrag stets Klauseln mit
Vorbehalten einschließt, die dem künftigen
Kapitän und seiner Crew einen Rückzug erlauben, falls sich bestimmte im Vorfeld definierte Eigenschaften als Luftnummer erweisen. Mit anderen Worten: Schlecht gewebte
Verträge, zweideutiges Zahlenwerk, Kommunikations-Klippen unter den beteiligten
Akteuren – aus all dem kann sich ein Bumerang-Gemenge entwickeln, das nach hinten
losgeht.
Solch ein Bumerang kann zB. die vertragliche (Nach)-Haftung sein, die eine Haftung
des Veräußerers über den Zeitpunkt der tatsächlichen Übertragung hinaus verlängert.
In der Regel beträgt diese Frist einige Jahre.
In diesem „schwarzen Loch“ können Ansprüche lauern, die zeitlich deutlich nach der
erbrachten Leistung oder dem Abschluss eines Projektes liegen. Der Verkäufer garantiert so zB auch mal die Wertigkeit bestimmten Forderungen oder bestimmter Verträge
seiner Firma mit Kunden und / oder Lieferanten, und das Vorhandensein von Urheberrechten, Patenten und know-how.
Im Extremfall mutiert dann der Ruhestand
zur Vorhölle.
Professionelle „Ausstiegs-Lotsen“
bewahren vor dem Kentern
in letzter Minute
Eine ganz andersartig aufgeschüttete Sandbank lauert bei einem oder mehreren Saleand-lease-back-Verfahren, auch als Rückmietverkauf bekannt. Verkauft nämlich ein
Unternehmer das Unternehmen ohne die
Immobilien, etwa Bürogebäude oder Maschinen, an einen Nachfolger und least dieser anschließend die Immobilien und Anlagen vom Veräußerer zurück, wird zwar zunächst durch den Verkaufserlös Kapital beziehungsweise Liquidität freigesetzt, die
dem Veräußerer zusteht. Der Kauf wird so
für den Nachfolger „günstiger“.
Der Unternehmensverkäufer hatte dann die
Immobilien zuvor von seinem Unternehmen
an sich verkauft und „mutiert“ dadurch zum
Vermieter seiner betriebsnotwendigen Immobilien und/oder Anlagen an „sein“ Unternehmen.
In der Folgezeit allerdings belasten die
nunmehr zu zahlenden Mietzinsen (Leasingraten) die Liquidität des Nachfolgers. Dennoch muss der Leasing-Nehmer, der Mieter
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(Nachfolger) für laufende Kosten aufkommen, beispielsweise für Versicherungen,
Reparaturen oder Instandhaltungsmaßnahmen. Gute Gründe also, die Übergabemodalitäten mit aller Bedachtsamkeit festzulegen, damit Kapitäns’ Wunschtraum frei
von Widerhaken Wahrheit werden kann.
Da dem Veräußerer dann die Mietzinsen
zustehen, ist er weiterhin an sein Schiff gekettet und erhält diese Mietzinsen ja auch
nur, wenn das Schiff weiterhin über viele
Jahre hinaus auf guter Fahrt ist.
Eine Lösung für alle Fälle (sozusagen eine
festgezurrte Ausstiegsdramaturgie) gibt es
allerdings nicht. Aber es stehen einige
Leuchttürme und bereit, die das Umfahren
der Untiefen ermöglicht. Meist können Kapitäne, die mit ihrem Lotsen alles richtig gemacht haben, in der persönlichen Rückschau eine Handvoll bestimmter „OkayHäkchen“ setzen:
Nicht nur an Deck gilt jedoch immer folgendes:
1.
Wenn ein Kapitän sein Schiff verlässt,
gleicht kein Szenario dem anderen. Diese
Szenarien sind stets andere. Jedes Unternehmen, jede Mannschaft und jeder Kapitän
sind individuell.
2.
Der Ausstieg muss rechtzeitig und professionell vorbereitet werden und diese Entscheidung ist mit allen Beteiligten in der richtigen, individuellen und angemessenen
Form zu kommunizieren. Die Beteiligten dabei sind stets: Familie, Gesellschafter, Führungskräfte, Mitarbeiter, Banken, Kunden
und Lieferanten. Einen Notfallkoffer sollte in
jedem Falle zuvor stets griffbereit sein.
3.
Um eine transparente Kaufpreisoptimierung
zu erreichen, sollte das Unternehmen frühzeitig „auf Ertrag getrimmt werden“. Die Erfahrung zeigt, dass inhabergeführte Familienunternehmen häufig hohe Ertragspotentiale haben, die zügig auch zu einer Optimierung der Verkaufspreises führen können.
4.
Die Übertragung und / oder Veräußerung
sollte sehr sorgfältig vorbereitet werden. Eine Due-Diligence und Tender-Verfahren
ohne professionelle Partner kann desaströs
sein. Gleiches gilt für das Vertragswerk und
dessen Verhandlung insgesamt.
Wer dieses alles beachtet, der wird die Untiefen
1.
2.
3.
4.
Kommunikation,
EBIT,
M&A und
Übergabevertrag
– im Sturm, bei Flaute, bei Tag, bei Nacht
und auch im Nebel – sauber umfahren.
Dr. Wolfgang Meyer-Hofmann
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