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LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
MEXIKO
PROF. DR. STEFAN JOST
April 2016
www.kas.de/mexiko
Obama in Kuba
SMARTE LANGFRISTD IPLOMATIE VERSUS ZYNISCHE GERONTO-DIKTATUR
Auf der Zielgeraden seiner Amtszeit traf
oder der Erlaubnis der „remesas“, d.h. der
Präsident Obama in Kuba auf die Ver-
von Exil-Kubanern an ihre Familien in Kuba
treter einer Polit-Gerontokratie, die um
getätigten Geldtransfers.
das Überleben ihrer anachronistischen Karibik-Diktatur kämpft. Im Gegensatz zu so
US-Präsident Obama schließlich sah sich,
manch
hat
wie viele seiner Vorgänger, mit einem zu-
Obama dabei allerdings Maßstäbe gesetzt.
nehmend selbstbewusster agierenden La-
Das karibische Macondo ist angezählt.
teinamerika konfrontiert, in dem, unabhän-
Hätte der US-Präsident sich selbst beim
gig von der politischen Couleur der jeweili-
Wort genommen, wäre diese Reise, die
gen nationalen Regierungen, das Nicht-
erste eines US-Präsidenten seit 88 Jahren,
Verhältnis der USA-Kuba und die als Isolie-
nicht zustande gekommen. Er ist dennoch
rung Kubas empfundene Behandlung die
gefahren, und das war gut so.
Akzeptanz und den politischen Bewegungs-
anderem
Kuba-Reisenden
spielraum der US-Regierung einschränkte.
Die Verkündigung der Annäherung zwischen
Auch wenn Lateinamerika trotz aller Prob-
den USA und Kuba am 17. Dezember 2014
leme im Vergleich zu anderen Regionen der
war ein diplomatischer Paukenschlag. Un-
Welt aktuell nicht als Krisen-oder Bedro-
erwartet nach über 60-jähriger Eiszeit und
hungsregion einzuschätzen ist, und die Peri-
einem verschiedentlich selbst die Weltpolitik
ode anti-US-amerikanischer Linksregierun-
beeinflussenden Nicht-Verhältnis zwischen
gen auszulaufen scheint, sah Obama klar
den beiden Staaten.
die Verknüpfung zwischen der Kuba-Frage
und der Rolle der USA in Lateinamerika.
Unterschiedliche Motivationen der Annä-
Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jah-
herung
ren auch die innenpolitische Bedeutung der
So überraschend die Annäherung auch kam,
Kuba-Frage in den USA selbst spürbar ver-
die zugrundeliegenden Motive beider Regie-
ändert hat und auch in relevanten swing-
rungen lagen offen zu Tage.
states nicht mehr die wahlentscheidende
Bedeutung wie noch vor Jahren hat. Der
In Kuba funktionieren nur noch das Macht-
Generationenwechsel in der exilkubanischen
system des Castro-Regimes als solches,
Bevölkerung zeigt hier seine Wirkung. Ab-
Geheimdienste und Repressionsapparat al-
lesbar ist dies auch an der erstaunlich ge-
len voran, und der Tourismus. Ansonsten
ringen Rolle, die die Kuba-Frage im US-
dominiert der Kampf ums Überleben, des
amerikanischen Wahlkampf spielt.
Einzelnen
und
des
Systems,
vor
allem
nachdem der langjährige Finanzier Vene-
Demokratie und Menschenrechte nicht auf
zuela selbst zunehmend in ökonomische
der Agenda – Repression funktioniert
Schieflage geriet und sich auch die politischen Vorzeichen in Venezuela selbst zu
Die erste Phase dieses Annäherungsprozes-
verändern begannen. Kuba braucht wirt-
ses verlief durchaus erfolgreich und gipfelte
schaftliche Perspektiven, und sei es zu-
in der Wiederaufnahme offizieller diplomati-
nächst nur in Form von Tourismusdollars
scher Beziehungen zwischen den USA und
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Kuba. Der wichtigste Kritikpunkt vieler Be-
Auch während des Besuchs von Obama
obachter bestand jedoch darin, dass offen-
wurden dutzendfach Bürgerrechtler verhaf-
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sichtlich die Frage nach Demokratie und der
tet, bereits vorher kam es zu Warnungen
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Achtung der Menschenrechte nicht nur sei-
der Sicherheitsbehörden an Dissidenten, sie
tens des kubanischen Regimes keine Rolle
sollten ihre Wohnungen nicht verlassen.
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spielte, sondern offenbar auch für die USA
nicht einmal mehr ein diskursives Hindernis
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Annäherung, Koexistenz und Distanz
für diesen Annäherungsprozess darstellte.
Der Besuch Obamas ist gekennzeichnet
Die kubanische Strategie war völlig klar.
durch eine interessante Mischung von An-
Das Vorbild eines „chinesischen Modells“ lag
näherung, Koexistenz und Distanz. Nahm
auf der Hand: Aufrechterhaltung der Vor-
sich Raúl Castro am Vortag noch Zeit, den
machtstellung der Kommunistischen Partei
venezolanischen Staatspräsidenten Maduro
und ihres Herrschaftsapparates um jeden
am Flughafen zu begrüßen, so schickte er
Preis bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Öff-
für Obama nur seinen Außenminister zum
nung vor allem für US-amerikanische Devi-
Flughafen. Dass Castro einen Tag später
sen und Investoren, um so das Überleben
öffentlich verkündete, man habe keine Zeit
des Castro-Regimes zu sichern.
gehabt, mit Obama über die Destabilisierung
Venezuelas
zu
sprechen,
dürfte
Obama äußerte in einem Interview vor eini-
Maduro als vergiftete Solidaritätsbekundung
gen Monaten: “Wenn ich zuversichtlich sa-
empfunden haben. Die USA können mit sol-
gen kann, dass wir Fortschritte bei der Frei-
chen Verlautbarungen gut leben.
heit und den Möglichkeiten einfacher Kubaner sehen, dann würde ich einen Besuch
Der erste gemeinsame Auftritt Castros und
gerne nutzen, um diese Fortschritte hervor-
Obamas in der Pressekonferenz schien zu-
zuheben“.
nächst die Befürchtung zu bestätigen, dass
die USA in Fragen von Demokratie und
Wenn Obama sich selbst beim Wort ge-
Menschenrechten weiterhin ihren seit De-
nommen hätte, hätte er zu Hause bleiben
zember
müssen.
Kuschelkurs verfolgen würden. Castro ging
2014
gehaltenen
diplomatischen
in die Offensive und glorifizierte die die ErDer Repressionsapparat der Castro-Diktatur
rungenschaften der Revolution. Dass selbst
funktioniert nach wie vor uneingeschränkt.
in vor langer Zeit positiv konnotierten Be-
Die Reisefreiheit gilt bei weitem nicht für
reichen wie der Gesundheitsversorgung in-
alle, und schon gar nicht für alle Dissiden-
zwischen fast nur noch der Export von ku-
ten. Nach wie vor gibt es politische Häftlin-
banischen Ärzten in andere Länder zwecks
ge in kubanischen Gefängnissen. Der Zy-
Devisenerwirtschaftung funktioniert, ist nur
nismus, mit dem Raúl Castro eine entspre-
ein Beispiel für die zahlreichen anderen As-
chende
pekte einer sich in der Sackgasse befinden-
Frage
eines
US-amerikanischen
Journalisten beantwortete, spricht Bände.
den „Revolution“.
Nach Angaben von Oppositionsgruppierun-
Castro ging die USA hart an, sowohl was die
gen
Menschen-
Verantwortung für die komplizierten Bezie-
sowie
der
kubanischen
rechtskommission hat die Repression seit
hungen in der Vergangenheit wie für innen-
Dezember 2014 sogar noch zugenommen.
politische Themen in den USA betraf. Oba-
Die Menschenrechtskommission spricht von
ma blieb diplomatisch reserviert und zog
2600 Verhaftungen in den ersten beiden
sich auf viele Allgemeinplätze zurück. Für
Monaten des Jahres 2016. Laut der „damas
Castro wurde die Pressekonferenz zu einem
en blanco“ wurden seit dem 8. März mehr
ungewollten Lehrstück in Demokratie, mit
als 300 Dissidenten kurzzeitig verhaftet.
dem er derart überfordert war, dass er sich
Das
„Hablemos“
selbst bei von Kubanern auf Spanisch ge-
spricht für 2015 von 8074 politisch moti-
stellten Fragen die Übersetzungskopfhörer
vierten Festnahmen.
aufsetzte und meinte, er habe die Frage
Informationszentrum
nicht verstanden.
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Tags darauf wurde Obama jedoch deutlich.
und soll gegenüber den USA über die Rede
Und es gelang ihm die Gratwanderung.
von Raúl Castro hinaus signalisiert werden,
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Ausgehend von einem klaren, bereits am
dass noch nicht alles in trockenen Tüchern
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Vortag abgelegten Bekenntnis zur kubani-
ist und Kuba sich sehr wohl anders orientie-
schen Souveränität und der Aussage, dass
ren könne?
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die Kubaner ihre Zukunft selbst bestimmen
müssen und die USA Kuba nicht mehr als
Der im April stattfindende Parteitag der
Bedrohung ansehen, sprach er die Themen
Kommunistischen
an, die viele von ihm erwarteten: Demokra-
wohl Aufschluss geben.
tie,
Menschenrechte,
Partei
könnte
hierüber
Meinungsfreiheit,
Recht auf Widerspruch.
Der „point of no return“
Obama hat mit dieser Rede und seinem
Die Eiszeit zwischen den USA und Kuba ist
Treffen mit Vertretern der kubanischen Op-
vorbei, aber auch Tauwetter kann immer
position das Vakuum ausgefüllt, das eine
wieder
Reihe anderer internationaler politischer Be-
werden. Dennoch scheint der „ point of no
sucher, der Papst und deutsche Regie-
return“ erreicht. Die USA können sich ein
rungsmitglieder eingeschlossen, nicht ange-
Zurück politisch, Kuba wirtschaftlich aber
hen wollten. Allein dies hat den Besuch ge-
auch politisch nicht leisten, da Kuba in ei-
rechtfertigt und Maßstäbe gesetzt.
nem solchen Fall wohl kaum mehr auf die
durch
Frostphasen
unterbrochen
ungeteilte Solidarität in einem sich ändernEin für Kuba zentrales Thema ist das beste-
den Lateinamerika rechnen könnte.
hende Embargo, das traditionell als Begründung für alles herhalten muss, was in Kuba
Die wirtschaftlichen Beziehungen dürften
nicht funktioniert Obama will das Embargo
sich langsam verbessern; das Thema Em-
beenden. Dafür braucht er aber eine Kon-
bargo bleibt auf der Tagesordnung.
gressmehrheit, die er vor den Wahlen im
November kaum erhalten wird, so dass die-
Der politische Symbolgehalt Kubas in der
ses Thema erst ab 2017 wieder auf die US-
internationalen Politik dürfte trotz großer
amerikanische Agenda kommen dürfte.
Erwartungen kaum in einem realistischen
Verhältnis stehen zu den wirtschaftlichen
Bruder Fidel tritt nach
Möglichkeiten, die der 11 Millionen Einwohner zählende kleine Inselstaat bietet. Hier
Kaum war Obama abgereist, griff Fidel Cast-
könnte in manchen Bereichen ein bitteres
ro zur Feder und veröffentlichte in „Gran-
Erwachen so mancher Investorenhoffnung
ma“ seinen Kommentar zu diesem Besuch.
folgen.
Kuba habe keine Geschenke des Imperiums
nötig und könne selbst seine materiellen
„Stunde Null“ oder Transition?
Bedürfnisse befriedigen.
Das Castro-Regime versucht in Partei, Staat
Nun sind Spekulationen Tür und Tor geöff-
und Wirtschaft Strukturen zu schaffen, mit
net. Handelt es sich bei diesem öffentlichen
denen das Regime auch in der bevorstehen-
Nachkarten um eine abgesprochene brüder-
den Post-Castro-Periode überleben können
liche Aufgabenteilung in „good and bad
soll. Es ist durchaus denkbar, dass dies
cop“?
nach dem Rücktritt Raul Castros oder dem
Ableben der Castro-Brüder sogar eine Zeit-
Vertritt da einer, der nicht mehr direkt an
lang gelingt.
der Macht beteiligt ist, noch immer die reine
Lehre und verbringt seinen Ruhestand in
Dennoch: Diese Revolution, von Beginn an
der Vervollkommnung seiner Revolutions-
mit
rhetorik, deren Veröffentlichung „Granma“
überhöht, wird von den von ihr selbst ge-
verschiedenen
Zutaten
symbolisch
ihm nicht verwehren kann? Oder bestehen
schaffenen Realitäten, Mängeln und Miss-
innerhalb der kubanischen Führung Diver-
ständen eingeholt. Andere Realitäten grei-
genzen über diesen Annäherungsprozess
fen Platz. Die Geschichte, um ein berühmtes
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Zitat von Fidel Castro abzuwandeln, hat ihr
fikant mehr politischen Spielraum geschaf-
Urteil über dieses Regime bereits gespro-
fen zu haben.
chen. 1
Dies kann im Kontext der internationalen
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Das Castro Regime kann die interne Repres-
Herausforderungen und Bedrohungen große
sion nicht mehr länger glaubhaft mit der
Bedeutung weit über die Beziehung USA-
US-amerikanischen Aggression begründen.
Kuba-Lateinamerika hinaus gewinnen.
Die Rolling Stones mit ihrem Konzert vor
rund 400 000 Zuhörern werden mehr Energie und Wünsche freisetzen als „Granma“
ideologisch einfangen kann, sofern sie gelesen wird.
Angesichts
geschickter
Absicherungsmaß-
nahmen des Regimes erscheint aktuell eine
„Stunde Null“ wie bei der Implosion der
DDR oder osteuropäischer Staaten eher unwahrscheinlich. Aber auch die ausgefeilteste
Triumph-
und
Revolutionsrhetorik
wird
nichts daran ändern, dass sich Kuba von
innen heraus wandeln wird. Das Regime im
karibischen Macondo 2 ist angezählt.
Wie eine Transition aussehen könnte, ist
aktuell reine Spekulation, zu viele Unbekannte sind mit im Spiel. Aber Akteure für
diese Zeit formieren sich bereits.
Was bleibt?
Vom Besuch des Präsidenten Coolidge im
Jahre 1928 ist nur in Erinnerung geblieben,
dass er mit einem Kriegsschiff anreiste und
einen angebotenen Daiquiri nicht trinken
wollte. Obama wird andere Spuren hinterlassen.
Auch wenn sich Obama in seiner achtjährigen Amtszeit nicht allzu intensiv um Lateinamerika gekümmert hat, eines seiner historischen Legate könnte darin bestehen, seinen Nachfolgern in diesem Kontinent signi-
1
Fidel Castros oft zitierte Aussage „Verurteilt
mich; das hat nichts zu bedeuten; die Geschichte
wird
mich
freisprechen."
stammt
aus
dem
Schlusswort des Moncada-Prozesses im Oktober
1953.
2
Der imaginäre Ort Macondo ist Schauplatz des
weltberühmten Romans „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez.