Repression gegen die Proteste nimmt zu. Schrittmacher einer

Frankreich: Umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“: Teil 10
Repression gegen die Proteste nimmt zu. Schrittmacher einer
Radikalisierung – oder des Versuchs einer Isolierung ihres
entschlossensten Flügels?
Artikel von Bernard Schmid vom 30. März 2016
Die Auseinandersetzung um die Pläne der französischen Regierung, das Arbeitsrecht des Landes in
für die abhängig Beschäftigten deutlich rückschrittlichem Sinne zu „reformieren“, hält an. Einen
nächsten Höhepunkt wird sie mit den, aller Wahrscheinlichkeit nach größer ausfallenden,
Demonstrationen und Streiks am morgigen 31. März 2016 finden.
Ihm kommt eine entscheidende Bedeutung zu, denn nur wenn an diesem Donnerstag eine
Ausweitung der Proteste gelingt und wenn der Konflikt zugleich mancherorts – über dieses Datum
hinaus – den Charakter von Streikbewegungen annimmt, könnte ein Rückzug der geplanten
„Reform“ erzwungen werden. Am Donnerstag, den 24. März hatte es eine relativ kleine
Zwischenmobilisierung mit, laut Angaben des Innenministeriums, frankreichweit 43.000
Demonstrierenden gegeben; abweichende Zahlen sind dem Verf. derzeit nicht bekannt. // Vgl.
http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vie-professionnelle/droit-du-travail/directla-loi-sur-la-reforme-du-travail-presentee-en-conseil-des-ministres_1373443.html#xtor=EPR-51[direct-la-loi-sur-la-reforme-du-travail-presentee-en-conseil-des-ministres_1373443]-20160324[bouton] // Aber dieser Mobilisierung vom Gründonnerstag war weitgehend durch die
Jugendvereinigungen und Studierenden allein getragen worden, während die Gewerkschaften sich
von vornherein überwiegend auf den 31. März vorbereiteten. Dieses Mal wird unter anderem auch
der Bahngesellschaft SNCF // vgl. http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vieprofessionnelle/droit-du-travail/greve-contre-la-loi-travail-la-sncf-prevoit-un-train-sur-deux-pourles-ter-et-les-transilien-trafic-quasi-normal-pour-les-tgv_1381081.html und
http://nanterrereseau.blogspot.fr/2016/03/greve-la-sncf-jeudi-des-preavis-sud-cgt.html // und bei
den Pariser Verkehrsbetrieben RATP zum Streik am 31.03.16 aufgerufen. // Vgl.
http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/03/nouvelle-greve-a-la-ratp-le-31mars.html?utm_source=_ob_email&utm_medium=_ob_notification&utm_campaign=_ob_pushm
ail //
Unterdessen verändert sich der Charakter der Auseinandersetzung durch eine Serie von
Meldungen über Polizeigewalt am Rande der jüngsten Proteste, die zu einer Radikalisierung von
Teilen der Sozialprotest- und Jugendbewegung beitragen dürften. Eine Petition der Fondation
Copernic, eines linken ,Think-Tanks’, wurde unterdessen über das verlängerte Osterwochenende
bereits von über 10.000 Menschen unterschrieben; davon unterzeichneten die ersten 7.000
innerhalb von nur zwei Tagen. // Vgl. https://www.change.org/p/manuel-valls-premier-ministrejeune-manifestant-passé-à-tabac-par-des-crs-stop-aux-violences-policières ///
Am Donnerstag vor dem Osterwochenende (24. März) gingen Bilder in Umlauf, die Beamte der
französischen Bereitschaftspolizei CRS dabei zeigen, wie sie einen Oberschüler misshandeln. // Vgl.
http://www.huffingtonpost.fr/2016/03/24/video-lycee-henri-bergson_n_9540582.html // Die
Szene, die vor der Oberstufenschule Henri-Bergson im 19. Pariser Bezirk photographiert und
gefilmt wurde, zeigt den Heranwachsenden, der zunächst am Boden liegt. Daraufhin fordert ein
Bereitschaftspolizist ihn zum Aufstehen auf, um ihm sofort darauf einen starken Faustschlag zu
versetzen. Elternvertreter der Schule protestierten heftig dagegen. // Vgl.
http://www.huffingtonpost.fr/edwige-millery/temoignage-parents-deleves-lyceebergson_b_9545300.html und http://www.revolutionpermanente.fr/Parents-d-eleves-du-lyceeBergson-denoncent-la-brutalitepoliciere?utm_content=bufferc67f7&utm_medium=social&utm_source=facebook.com&utm_cam
paign=buffer ° Siehe dazu auch eine Erklärung des Ortsverbands der französischen KP:
http://paris19.pcf.fr/85408 // Inzwischen tauchte neues, für die Polizei belastendes Videomaterial
auf. Demnach handelt es sich bei dem Gewaltausbruch gegen den Schüler keineswegs um einen
Einzelfall. // Vgl. http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/03/28/01016-20160328ARTFIG00163lycee-parisien-henri-bergson-de-nouvelles-videos-de-violences-policieres.php // Und hier äußert
sich der zunächst hauptbetroffene Oberschüler, Adnan, in einem Interview:
http://www.lesinrocks.com/2016/03/news/adnan-lyceen-tabasse-crs-lors-dune-manifestationsexprime/
Auch Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem zeigte sich in einer Twitter-Meldung über diese
Bilder empört, und Innenminister Bernard Cazeneuve ordnete eine Untersuchung durch die
Polizeiinspektion IGPN an. // Vgl. http://www.lemonde.fr/policejustice/article/2016/03/25/doublon-matinale-manifestations-contre-la-loi-el-khomri-un-lyceenviolemment-frappe-par-la-police-l-igpn-saisie_4889849_1653578.html //
Am Karfreitag, in Frankreich kein gesetzlicher Feiertag, protestierten Jugendliche dagegen und
bewarfen zwei Polizeiwachen in Paris mit Gegenständen. // Vgl.
http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vie-professionnelle/droit-du-travail/lyceenfrappe-par-un-policier-des-jeunes-manifestants-jettent-des-projectiles-sur-deux-commissariatsparisiens_1375251.html#xtor=EPR-51-[lyceen-frappe-par-un-policier-des-jeunes-manifestantsjettent-des-projectiles-sur-deux-commissariats-parisiens_1375251]-20160325-[bouton] sowie
http://www.lemonde.fr/campus/article/2016/03/25/debordements-apres-un-rassemblement-desoutien-a-un-lyceen-parisien-frappe-par-un-policier_4890181_4401467.html //
Auch anderorts in Frankreich war es am Gründonnerstag (24. März) zu teilweise gewaltsamen
Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, und wurde daraufhin zu neuen
Protestversammlungen oder -aktionen am Freitag aufgerufen, wie etwa // vgl.
https://www.facebook.com/dijoncontrelaloitravail/ // in Djion. // Vgl.
http://www.bienpublic.com/edition-dijon-ville/2016/03/25/rassemblement-a-dijon-pour-protestercontre-les-violences-policieres // Die CGT, mit Abstand stärkster Gewerkschaftsdachverband in
Frankreich, forderte in einer Presseaussendung „den Stop von polizeilichen Provokationen und
Polizeigewalt“. Ihr Bezirkssekretär im Département Doubs (französischer Jura) war am Vortag
festgenommen worden. // Vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/03/la-cgt-stopaux-provocations-et-violencespolicieres.html?utm_source=_ob_email&utm_medium=_ob_notification&utm_campaign=_ob_pu
shmail //
Im westfranzösischen Nantes wurde infolge von Reibereien mit den „Ordnungs“kräften am Rande
der Demonstrant ein neunzehnjähriger Demonstrant zu zwei Monaten Haft ohne (!) Bewährung
verurteilt, und bereits im Anschluss an eine Eilverhandlung (einen Sofortprozess im Verfahren für
in-flagranti-Delikate) weggesperrt. // Vgl. http://www.ouest-france.fr/pays-de-la-loire/nantes44000/un-manifestant-contre-la-loi-travail-ecroue-nantes-4120706/ und
http://www.revolutionpermanente.fr/Nantes-Un-jeune-travailleur-condamne-a-deux-mois-fermeen-comparution-immediate-apres-la-manif-de // Auch in Nantes war es zu Ausschreitungen der
Polizei und polizeilicher Gewalt gekommen, zu denen nun die Dienstinspektion IGPN offiziell
ermittelt. // Vgl. http://ladeviation.com/agiter/repression-nantes-video-igpn/ //
Bereits in der Vorwoche war es zu Versuchen gekommen, die Proteste rund um den 17. März
administrativ oder gar mit repressiven Mitteln zu verhindern. Stellen im französischen
Bildungsministerium sandten etwa mancherorts über die Schulverwaltung Formbriefe an
Lehrkräfte, in denen sie sich auf die „Terrorgefahr“ beriefen. Ein guter Grund aus ihrer Sicht, um
darauf hinzuweisen, dass man deswegen leider, leider jegliche Teilnahme von Oberschülerinnen
und -schülern an diesen grässlichen, lauten und unschönen..., pardon: dass man ihre Teilnahme an
Demonstrationen verbieten müsse. Vor diesem Hintergrund sei jegliche unentschuldigte
Abwesenheit von Schülerinnen oder Schülern während der Demonstrations-, pardon,
Unterrichtszeit rücksichtslos zu sanktionieren. //
Vgl.https://www.facebook.com/jacques.ricau/posts/10154031106739839 //
An der Hochschule Lyon-II lud sich die Polizei – die leider keine schriftliche Einladung erhalten
hatte – selbst zu einer studentischen Vollversammlung ein, begleitet von universitätseigenem
Wachpersonel. Ein Studierender wurde während der laufenden VV festgenommen, unter dem
Vorwurf, er habe angeblich in den Hochschultoiletten ein Graffity hinterlassen und dadurch diesen
so schönen und ästhetisch gehaltenen Ort verschandelt. // Vgl. http://rebellyon.info/Des-flicsdebarquent-a-Lyon-2-et-arretent-15958?fb_ref=Default&fb_source=group und die Stellungnahme
der Vollversammlung dazu: https://rebellyon.info/Communique-de-l-assemblee-generale-de15959 //
In Asnières-sur-Seine, einem nordwestlichen Vorort von Paris, luden sich die Uniformträger
wiederum zu einer gewerkschaftlichen Informationsveranstaltung für das Personal bei der Post ein.
Bei ihr ging es darum, die Beschäftigten über die Mobilisierung der Studierenden an der nahen
Universität von Nanterre – aktuell eine Hochburg der Proteste – gegen die geplante „Reform“ im
Arbeitsrecht zu informieren. Sechs Polizeibeamte mit als „Flash-ball“ bezeichneten
Gummigeschosswummen nahmen als Zaungäste bei der Versammlung Aufstellung. // Vgl.
http://www.liberation.fr/france/2016/03/16/a-asnieres-sur-seine-la-police-s-invite-a-une-prise-deparole-syndicale-a-la-poste_1439738 //
In der südfranzösischen Metropole Marseille kam es zu polizeilichem Gewalteinsatz gegen einen
Protestzug von Oberschülern. Gegen ihn richtet sich eine Protestnote der Schülerinnen und Schüler
an der Victor-Hugo-Oberschule, welche auch durch die CGT weiterverbreitet wird . Zwei mal kam
es zu Tränengaseinsatz. Und ein sechszehnjähriger Schüler wurde – als angeblicher „Gewalttäter“ –
durch sechs, natürlich völlig gewaltlose Beamte zu Boden gedrückt und auf die Polizeiwache
verbracht. // Vgl. http://ulcgtcentremarseille.reference-syndicale.fr/2016/03/communique-suiteaux-violences-policieres-a-lencontre-du-cortege-lyceens-le-17-mars-a-marseille/ //
Und im ostfranzösischen Strasbourg wurden fünf Menschen, darunter zwei Oberschülerinnen (eine
von ihnen mit einer blutenden Kopfwunde), bei den Demonstrationen am 17. März verletzt. Dies
geschah insbesondere bei dem Versuch, die Universtitätstreppen vorübergehend zu besetzen, um
Räume in der Hochschule für eine Protestversammlung zu erhalten. // Vgl.
http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/03/mobilisation-contre-la-loi-el-khomri-et-
repression-a-strasbourg.html // Die örtliche Linkspartei reagierte mit einer scharfen Erklärung,
wonach „François Hollande und Manuel Valls politisch mit dem Rücken zur Wand stehen“ und
sich dafür an der Jugend gewalttätig abreagieren. // Vgl. http://fdgpierrebe.overblog.com/2016/03/accules-valls-et-hollande-choisissent-la-violence-contre-lesjeunes.html?utm_source=_ob_share&utm_medium=_ob_facebook&utm_campaign=_ob_share_a
uto //
In Paris kam es, zum ersten Mal seit dem Konflikt um die damals geplante Aushebelung des
Kündigungssschutzes im Frühjahr 2006 – und zum zweiten Mal seit dem Mai 1968 – zur
präventiven Schließung der Sorbonne. // Vgl. http://www.revolutionpermanente.fr/La-Sorbonnefermee-par-le-gouvernement-Folle-journee-pour-les-etudiants-et-lyceens-au-Quartier // Versuche
von Studierenden, sich dennoch zu einer Vollversammlung im sozialwissenschaftlichen Zentrum
der Universität in der rue Tolbiac zu treffen, wurden mit rigorosen Mitteln polizeilich unterbunden.
// Vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/03/repression-a-tolbiac-voila-commentce-gouvernement-traite-notre-jeunesse.html //
Am Gründonnerstag wurde unterdessen der heftig umstrittene Gesetzentwurf im französischen
Kabinett vorgestellt und angenommen. Er umfasst 52 Paragraphen und 130 Seiten, die das
Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) in arbeitgeberfreundlichem Sinne umschreiben sollen.// Vgl.
hier den Wortlaut im Original: http://www.actuel-rh.fr/sites/default/files/articlefiles/pjl_nouvelles_libertes_et_n_ouvelles_protections_pour_les_entreprises_et_les_actifs_2e_sai
sine_rectificative.pdf //
Am selben Tag besetzte die CGT in Paris vorübergehend die Bezirksrathäuser im 13. und im 18.
Arrondissement. Ein erster Auftakt für handfestere Proteste, die sich dringend verstärken müssten?