Juden in der Politik

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Das Forum
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 23, März 2016, 20.30 Uhr
Schalom, Genosse!
Juden in der Politik
Von Jens Rosbach
Redaktion: Claus Röck
Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22
30169 Hannover
Tel.: 0511/988-2391
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Atmo Hamburgische Bürgerschaft:
(Prien) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben naturgemäß in der Flüchtlingspolitik nicht in allen Fragen die gleiche Auffassung…
Autor:
Karin Prien, 50 Jahre alt, stellvertretende Fraktionschefin der CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft. Wenn sie an das Rednerpult im Parlament tritt, dann weiß die
norddeutsche Öffentlichkeit: Gleich wird eine angriffslustige Oppositionspolitikerin
die Landesregierung beherzt zur Rechenschaft ziehen – etwa für die Zustände in
den Asyl-Unterkünften der Hansestadt. Oder für den Reformstau bei der Lehrerausbildung. Die migrations- und bildungspolitische Fraktionssprecherin scheut nicht
das Rampenlicht. Was allerdings niemand weiß: Prien ist jüdischer Herkunft.
O-Ton Karin Prien:
Ich habe jetzt für mich entschieden, dass es an der Zeit ist, das in der gebotenen
Gelassenheit zu sagen, ohne es jetzt rauszuschreien. Das ist sicherlich bisher eher
schwieriger gewesen, weil eben die Ängste in den vergangenen Jahrzehnten einfach immer noch da waren. Die Angst vor Antisemitismus, die Angst davor, doch
irgendwie schräg angeguckt zu werden, die Angst vor Beklommenheit beim Gegenüber. Aber ich denke schon, dass es schon an der Zeit ist, dass wir … wir Juden –
jetzt sage ich es doch mal – damit so normal wie möglich auch umgehen.
Autor:
Karin Prien, von Beruf Anwältin, berichtet erstmals öffentlich von ihrer Familie, von
Verwandten, die während der Shoah verfolgt wurden.
O-Ton Karin Prien:
Also meine Mutter erzählt immer wieder die Geschichte davon, dass sie drei Jahre
alt war, als die Gestapo ihre Großmutter, also meine Urgroßmutter, abgeholt hat
und die dann eben nach Sobibor gekommen ist und dort umgekommen ist.
Autor:
Während Priens Urgroßmutter in einem Vernichtungslager in Ostpolen ermordet
wurde, konnte einer ihrer Großväter gerettet werden – weil er in einem Krankenhaus versteckt wurde.
O-Ton Karin Prien:
Also meine Mutter hat mir sehr früh nahe gelegt, über mein Jüdischsein oder meine
jüdische Abstammung nicht zu sprechen und hat auch schon zum Ausdruck gebracht, dass sie jedenfalls Angst hätte, das öffentlich zu sagen. Und dass es eben
noch immer sehr viele Menschen in Deutschland – wir reden jetzt über die 60er und
70er Jahre – gibt, die antisemitisch sind – ja, das waren intensive Gespräche, die wir
zu Hause geführt haben.
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Autor:
Für Karin Prien war das Familienschicksal eine Verpflichtung, wachsam zu sein –
und sich zu engagieren. Sie wurde Klassensprecherin und ging in die Junge Union.
O-Ton Karin Prien:
Wenn‘s um Minderheiten geht und wenn‘s um die Verletzung der Menschenwürde
geht, da empfinde ich aufgrund meiner persönlichen Geschichte eine besondere
Verantwortung, dagegen aufzustehen und dafür Sorge zu tragen, dass sich das
eben nicht breit macht.
Atmo Hamburgische Bürgerschaft:
(Applaus) (Prien)… Dass wir miteinander dafür einstehen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und zwar jedes einzelnen Menschen – egal ob Hamburger, ob
Flüchtling, Deutscher oder Ausländer, das spielt alles überhaupt keine Rolle!
Autor:
In der Hamburger CDU-Fraktion, wo nur wenige Kollegen von Priens jüdischer Herkunft wissen, eckt die Abgeordnete mitunter an – wegen ihres konsequenten Einsatzes für Randgruppen und Bedürftige.
O-Ton Karin Prien:
In dem Zusammenhang mit den Ereignissen in der Silvesternacht gibt es viele
Ängste, viele Verunsicherungen, aber es gibt eben auch Menschen, die daraus einen pauschalen Generalverdacht etwa gegen Menschen muslimischen Glaubens
äußern. Und das ist schon immer etwas, wo ich mich immer dagegen verwehre.
Autor:
Warum ist die Jüdin ausgerechnet in die Christlich Demokratische Union eingetreten? Ihr sei einfach wichtig, erläutert Prien, dass sich ihre Partei auf eine Religion
beziehe.
O-Ton Karin Prien:
Also der Gottesbezug ist mir wichtig, aber diese Festlegung auf eine Religionsgemeinschaft – auf das Jüdische oder das Protestantische oder Katholische – das hat
bei mir nie so richtig funktioniert. Am Ende ist es dann doch wohl der gleiche Gott.
Musik
Autor:
Was für die einen Juden ein Grund ist, in die CDU einzutreten – das ist für andere
Juden ein Grund, dies gerade nicht zu tun.
O-Ton Vered Zur-Panzer:
Die CDU ist eine christliche Partei. Und es gibt jüdische Werte, die ich vertrete, die
in der CDU nicht sind. Also die SPD steht für soziale Gerechtigkeit und für Toleranz.
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Die Armenfürsorge gibt’s auch im Judentum, die wird auch sehr hoch geschätzt.
Und dass die Bildung auch kostenlos ist.
Autor:
Vered Zur-Panzer, 44 Jahre alt, engagiert sich als Stadtverordnete in Bad Vilbel für
Barrierefreiheit, für Kindergärten, für Verkehrsfragen und für den Umweltschutz. Die
Sozialdemokratin kam ebenfalls über das Thema Holocaust in die Politik. Ihr Vater,
der einst in Rumänien die NS-Verfolgung überlebte, emigrierte erst nach Israel und
1979 nach Deutschland. Hier wurde er Vorsitzender der jüdischen Gemeinde – und
SPD-Politiker.
O-Ton Vered Zur-Panzer:
Also bei uns in Bad Vilbel, da gab‘s immer so eine Sache. Und zwar gab‘s immer so
ein Geschweige, wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht. Es gab viele Vilbeler Bürger, die im Zweiten Weltkrieg mit beteiligt waren und nie bestraft worden waren
und da wurde auch nie was veröffentlicht, dass es Juden in unserer Stadt gab. Es
gab eine Geschichte über Bad Vilbel, aber da wurden die Juden gar nicht erwähnt.
Und mein Vater hat sich dafür eingesetzt, dass die Geschichte noch mal in Bad Vilbel überarbeitet wird und dass es Juden auch wirklich in Bad Vilbel gab.
Autor:
Vered Zur-Panzer, von Beruf Immobilienverwalterin und Hotelbetreiberin, trat in die
Fußstapfen ihres Vaters; sie kämpft heute dafür, dass in der hessischen Kleinstadt
eine Gedenktafel an der ehemaligen Synagoge angebracht wird. Kein leichtes
Unterfangen, da es sich mittlerweile um ein Privathaus handelt und der Besitzer
sich sperrt. Die Lokalpatriotin und Genossin hat 2007 den bundesweiten
Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit ins Leben
gerufen, um an alte Traditionen anzuknüpfen – spielten doch einst bei der
Gründung der SPD Juden eine besondere Rolle – wie Arbeiterführer Ferdinand
Lassalle. Vered Zur-Panzer fühlt sich in ihrer Partei zu Hause. Allerdings: Ähnlich wie
die Hamburger CDU-Abgeordnete Karin Prien reibt sich auch die SPD-Politikerin –
als Jüdin – an bestimmten Parteimeinungen. Etwa, wenn es um die Israel-Kritik
geht, die besonders bei linken Sozialdemokraten populär ist.
O-Ton Vered Zur-Panzer:
Also ich hab da auch so mit der linken Seite der SPD meine Probleme. Israel kämpft
um sein Existenzrecht und es ist auch nicht in Ordnung, die Produkte aus Israel zu
boykottieren. Finde ich ganz falsch.
Musik
Autor:
Peter Feldmann, 57, Oberbürgermeister von Frankfurt am Main und ebenfalls in der
SPD, möchte kein Interview geben zu seinen jüdischen Wurzeln. Er wolle nicht
seinen Glauben in den Vordergrund stellen, das sei Privatsache – erklärt sein
Pressesprecher. Man habe die lokalen Medien dazu angehalten, nicht die For-
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mulierung „jüdischer Bürgermeister“ zu verwenden, weil es da keinen Zusammenhang gebe. Damit sei das Thema in Frankfurt erledigt.
Musik
Autor:
Gregor Gysi, 68 Jahre alt, Linkspartei, ehemaliger Vorsitzender seiner Bundestagsfraktion, heute Bundestagsabgeordneter. Ein Pressesprecher schreibt auf Anfrage,
Gysi stehe nicht für ein Interview zur Verfügung, Zitat, „wegen der Vielzahl anderweitiger Verpflichtungen“. Auf telefonische Nachfrage erklärt der Sprecher jedoch,
Gysi wolle nicht. Er habe nur eine jüdische Großmutter und einen jüdischen Urgroßvater, er fühle sich nicht als Jude. Sein politisches Handeln könne man nicht
aus seiner Herkunft ableiten.
Musik
Autor:
Berlin-Mitte, am Potsdamer Platz. Im sechsten Stock eines sandfarbenen Gebäudes,
vor einer schwer gesicherten Tür mit mehreren Kameras.
Atmo:
Klingeln, Gegensprechanlage
Autor:
Kein Türschild weist darauf hin, dass hier das American Jewish Committee sitzt –
eine jüdische Lobbyorganisation, die weltweit gegen Antisemitismus kämpft. Die
Berliner AJC-Chefin Deidre Berger pflegt Kontakte zu Ministerien und Parlamenten –
sie weiß, warum viele jüdische Politiker lieber nicht über ihre Herkunft sprechen:
aus Angst vor Hass-Attacken, vor allem im Internet. Aber es gibt noch einen anderen
Grund:
O-Ton Deidre Berger:
Man will natürlich nicht definiert sein als Politiker über die religiöse, ethnische Herkunft. Das ist verständlich. Es ist wichtig für Politiker, ihre Politik nach vorne zu
bringen und nicht befangen zu sein in Diskussionen über ihr Jüdischsein.
Autor:
Andere Juden gingen erst gar nicht in die Politik, erzählt Berger. Die meisten von
ihnen fühlten sich in Deutschland zwar zu Hause. Doch sei es noch etwas ganz anderes, ein Mandat zu übernehmen.
O-Ton Deidre Berger:
Das ist eine ganze andere Qualität, aktiv Deutschland zu vertreten auf der politischen Bühne – einem Land, das Juden vor nicht allzu langer Zeit verfolgt hat.
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Autor:
Dem AJC sind in der Kommunal-, Landes- oder Bundespolitik zehn bis zwanzig Juden bekannt – je nachdem, wie stark sich die Betreffenden als „jüdisch“ definieren.
Sie engagierten sich im gesamten politischen Spektrum. Mit den Unionsparteien
allerdings hätten viele Juden lange Zeit ein Problem gehabt – weil da ein C im
Namen sei.
O-Ton Deidre Berger:
Heute aber sehen sehr viele in der jüdischen Gemeinschaft das anders. Ich denke
auch, die Kanzlerin Angela Merkel hat sehr viel getan, um die CDU – aus jüdischer
Sicht – populär zu machen wegen ihrer großen Solidarität mit Israel und ihre ganz
evidente Engagement für deutsch-jüdische Themen.
Musik
Autor:
In der Münchner Fußgängerzone steht ein Mann mit Brille, Schiebermütze und
schwarzem Mantel – in der Hand ein Mikrofon. Marian Offman, 68 Jahre alt, CSUStadtrat in München.
Atmo Lautsprecher-Rede Offman:
Ich will allen hier Versammelten sagen, dass es eine Moschee ist, die auf dem
Boden unseres Grundgesetzes errichtet werden soll! (Buh-Rufe) Herr Stadtrat!, Herr
Stadtrat!...
Autor:
Offman engagiert sich als Jude – auf offener Straße – für ein muslimisches Gebetshaus. Auf einer Demonstration der rechtpopulistischen Partei „Die Freiheit“
kämpft er gegen islamfeindliche Propaganda. Ein bemerkenswerter Auftritt vor drei
Jahren. Heute tritt der CSU-Mann gegen Pegida und AfD an – und setzt sich außerdem für Flüchtlinge ein.
O-Ton Marian Offman:
Ja, es gibt in der CSU schon Kollegen, die mich als linksradikal bezeichnen. Ich
nehme das so hin, ohne dass ich jetzt sage: Du bist rechtsradikal (lacht). Aber natürlich, da gibt’s auch in der Fraktion oft Situationen, wo ich dann fast alleine da
stehe.
Autor:
Was hat Offman, der eine Hausverwaltung betreibt, in die Politik getrieben?
O-Ton Marian Offman:
Für mich war das eine ganz wichtige Entscheidung, die … ja… interessanterweise…
die in Auschwitz begonnen hat.
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Autor:
Auch bei ihm ging es um die deutsche Geschichte: 1995 nahm er, als Nachkomme
von Shoah-Überlebenden, an einer Gedenkfeier in Polen teil. Und neben ihm standen – zufällig – CSU-Politiker. Das gemeinsame Gedenken brachte ihm die Partei
nahe. Für Offman spielte auch der legendäre Franz-Josef Strauß eine Rolle, der ab
Mitte der 50er Jahre in der Bundesregierung saß und sich dort für das junge Israel
einsetzte.
O-Ton Marian Offman:
Man sagt, dass Strauß als Verteidigungsminister Waffenexporte nach Israel unterstützt hätte. Wenn dem so war, kann ich das nur befürworten, weil wenn Deutschland diese Waffen möglicherweise nicht geliefert hätte, hätten die Israelis die
Kriege nicht gewinnen können und dann gäbe es möglicherweise heute kein Israel
mehr.
Autor:
Allerdings schert Marian Offman heute manchmal aus den CSU-Reihen aus. Geht es
um Asylsuchende, erinnert der Kommunalpolitiker seine Parteikollegen immer wieder daran, dass Juden während der Shoah auch Flüchtlinge waren. Und als tausende Syrer am Münchner Bahnhof strandeten, hat Marian Offman sie Tag für Tag
willkommen geheißen – demonstrativ.
O-Ton Marian Offman:
Gleichwohl wissend, dass viele, die kommen, in einer Atmosphäre des Antisemitismus aufgewachsen sind und des Hasses gegen Israel, mit dem Ziel, Israel zu zerstören. Ähm … das ist natürlich eine etwas zwiespältige Situation. Aber ich glaube,
dass der humanitäre Aspekt da im Vordergrund steht. Das ist aber auch von vieler
Seite akzeptiert worden, und viele sagten auch, dass ich das Gesicht der CSU am
Hauptbahnhof gewesen wäre.
Autor:
Ein Jude als Gesicht der wertkonservativen Christlich Sozialen Union. Andere jüdische Politiker, wie die Hamburger CDU-Abgeordnete Karin Prien, schütteln darüber
den Kopf. Gerade in der Flüchtlingsdebatte verstehe sie nicht, wie man sich in der
CSU wohl fühlen könne – in einer Partei, die den Öffnungskurs der Bundeskanzlerin
boykottiere.
O-Ton Karin Prien:
Man muss eben insgesamt politisch sehr drauf achten, dass man nicht durch das
Befeuern von Ängsten und Ressentiments die Situation noch verstärkt und verschlimmert. Und das ist eben schon manchmal mein Eindruck, den ich von einigen
Kollegen aus der CSU habe. Ich würde mir da etwas mehr Besonnenheit und Zurückhaltung wünschen.
Musik
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Atmo:
Büro Politik Digital
Autor:
Eine ehemalige Altbauwohnung in der Berliner City. An den Wänden: metergroße
Fotos von Prominenten, die dazu aufrufen, an Wahlen teilzunehmen. Acht Bürotische mit Computern, Laptops und Wasserflaschen – das Büro der Kommunikationsplattform Politik-Digital. Hier koordiniert Marina Weisband ein Schulprojekt zur
Demokratieerziehung. Die 28-jährige Internet-Expertin und Autorin war einst
politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Ein Motiv für ihren Parteieintritt war
die Bildung.
O-Ton Marina Weisband:
Natürlich ist in der jüdischen Kultur das Thema Bildung ein sehr sehr zentrales. Und
die Piraten hatten es sich auch groß auf die Fahnen geschrieben – unter dem
Stichwort der fließenden Schullaufbahn hatten die Piraten in Nordrhein-Westfalen
ein ganz ausführliches Bildungsprogramm, das sich vor allem auf individuelle
Fähigkeiten von Schülern konzentrierte. Das ist etwas, das mir aus meiner Kultur
und Erziehung sehr nahe steht.
Autor:
2012 trat Weisband zwar von ihrem Ehrenamt in der Piratenpartei zurück, wegen
der Arbeitsbelastung. Doch ihre Stimme erhebt sie weiterhin. Und ähnlich wie Juden in anderen Parteien legt sich Weisband – wegen ihrer Herkunft – mitunter mit
ihren Mitstreitern an.
O-Ton Marina Weisband:
Die Beschneidungsdebatte war etwas, wo ich wirklich – ich glaube zum ersten Mal –
einen Konflikt hatte zwischen der Parteimeinung und meinem jüdischen Hintergrund. Ich habe versucht zu erklären, welchen Stellenwert das Ritual der Beschneidung im Judentum hat, wie wichtig es ist für jüdisches Leben überhaupt. Und gerade hier hat sich die Piratenpartei seltsamerweise auf die genau entgegengesetzte
Position gestellt und gesagt, dass man dieses Ritual verbieten muss. Ich habe dagegen gesprochen. Und ich habe mir damit sehr viel Feindschaft eingehandelt.
Autor:
Marina Weisband wurde in der Ukraine geboren und kam in den 90er Jahren mit
ihren Eltern nach Deutschland – als sogenannter Kontingentflüchtling. 2009 trat die
damalige Studentin in die Piratenpartei an. Heute resümiert sie: Wer als Jude in die
Politik gehe, der stehe oftmals zwischen allen Stühlen – auch innerjüdisch. So habe
sie Streit mit anderen russischsprachigen Juden, wenn es um die Furcht vor muslimischen Flüchtlingen ginge.
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O-Ton Marina Weisband:
Aus meiner Familie, aus dem Bekanntenkreis meiner Familie, die sagen: Pegida hat
im Prinzip recht. Und die, die jetzt kommen, die werden unsere Gesellschaft zerstören!
Autor:
Die junge Politikerin hält einen Schulterschluss mit den Rechtspopulisten für gefährlich; sie kritisiert auch den Zentralrat der Juden, der eine Obergrenze für
Kriegsflüchtlinge gefordert hat.
O-Ton Marina Weisband:
Dass dieses Thema hochgeschaukelt wird, dass jetzt lauter Antisemiten ins Land
kommen und dass es kein Leben mehr für uns Juden hier gibt – das ist ein Ausspielen der einen Minderheit gegen die andere. Wenn jetzt jüdische Menschen mit
Pegida mitmarschieren und glauben dadurch jetzt gute deutsche Bürger zu sein,
die ihre eigene Sicherheit gewährleisten, sehen sie nicht, dass morgen die Pegida
gegen sie marschieren wird.
Autor:
Innerparteilicher Ärger – in der Beschneidungsdebatte. Innerjüdische Diskussionen
– wegen der Flüchtlinge. Marina Weisband ist auch außenpolitisch zwischen die
Fronten geraten: 2013 fuhr sie nach Kiew, um über den Maidan-Aufstand zu
berichten – sowie über die Unterstützung des Aufstandes durch ukrainische Juden.
Damit erzürnte die prominente Deutsche den Moskauer Kreml.
O-Ton Marina Weisband:
Die russische Propaganda, die hat mich fertig gemacht. Mich hat es fertig gemacht,
als Nazi bezeichnet zu werden, weil es nichts gibt, wogegen ich mehr bin. Mich hat
es fertig gemacht, dass mir Kollaboration unterstellt wurde. Oder dass das hinterher zu einem Naziputsch gemalt wurde. Es hat mich fertig gemacht, dass meine
linken Freunde hier in Deutschland das geglaubt haben, ohne in Kiew gewesen zu
sein. Und ohne mir zu vertrauen! Ich bin hier auf jeder Antinazi-Demo, auf die ich
komme!
Autor:
Gegenwind verspürt Weisband auch, wenn sie sich zu Israel äußert. Denn die 28Jährige unterstützt die linksliberale, regierungskritische Friedensbewegung in
Jerusalem und Tel Aviv. Die Jüdin bilanziert, jedoch ohne Erbitterung:
O-Ton Marina Weisband:
Ich werde immer zwischen den Stühlen sitzen und dazu gehört es auch, dass man
angegriffen wird.
Musik
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Autor:
Juden in der deutschen Politik. Eine Ausnahme, eine Gratwanderung. Längst keine
Normalität. Deidre Berger vom American Jewish Committee hofft, dass künftig
mehr Vertreter der rund 200.000 Juden in Deutschland kandidieren, sich wählen
lassen, sich einbringen in die große Politik. Vor allem die jüngere Generation.
O-Ton Deidre Berger:
Es wäre gut in Deutschland, wenn Juden – aber auch andere Minderheiten, auch die
türkische Minderheit, auch Leute aus der muslimischen Minderheit – einfach mehr
aktiv werden im demokratischen Prozess. Ich glaube, diese Pluralität von Stimmen
wird für die deutsche Demokratie sehr positiv.
Musik