DER AUSTAUSCH THEMA: NEUE WEGE DIE ZEITSCHRIFT VON INTERTEAM NR 1/16 FÜR DIE GENERATION VON MORGEN 1_16.idd.indd 1 04.03.2016 15:53:35 EDITORIAL / INHALT COCHABAMBA, BOLIVIEN INHALT EDITORIAL / INHALT 2 EIN MONTAG IN . . . KOLUMBIEN 3 STANDPUNKT «JETZT KÖNNEN WIR MEHR AUSRICHTEN» 4 TANSANIA HILFE FÜR KINDER MIT BEHINDERUNGEN 8 Liebe Leserin, lieber Leser Letzten Herbst hat die Staatengemeinschaft beschlossen, dass bis 2030 die Armut beseitigt werden PORTRAIT VOM UNRUHESTIFTER ZUM VORBILD 12 MV, 21. MAI 2016 MITGLIEDERVERSAMMLUNG 14 KULTURTIPP VON FREUNDSCHAFT UND UMBRUCH 15 INTERTEAM POLITISCH STRATEGIE NACHHALTIGE ENTWICKLUNG 16 INTERTEAM INTERN ZURÜCKGEKEHRT 18 soll. Auch wenn es berechtigte Zweifel am Gelingen gibt und die Schweiz mit dem aktuellen Sparprogramm bei der Entwicklungszusammenarbeit den schönen Worten kaum Taten folgen lässt, so bedeuten die SDG (Nachhaltige Entwicklungsziele) doch auch eine einmalige Chance, dass sich die dringend nötige Weltinnenpolitik langfristig durchsetzen wird. Es gibt nur diese eine Welt und unser Boot endet nicht an der Schweizer Grenze. Damit unsere Vision eines Lebens in Würde für alle möglich wird, setzt sich INTERTEAM nun noch stärker für die nächsten Generationen in Afrika und Lateinamerika ein. Neben unserem bewährten Ansatz, qualifizierte Fachleute zu entsenden, werden wir auch gezielt Projekte finanzieren. Denn Kinder und Jugendliche im globalen Süden sollen ihre Potenziale entfalten und sich als Hoffnungsträger ihrer Gesellschaft einbringen können. Erik Keller, Geschäftsleiter INTERTEAM INTERN AUSGEREIST / AUF WIEDERSEHEN, MARLIS NOTTER 19 INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 2 1_16.idd.indd 2 04.03.2016 15:53:36 EIN MONTAG IN . . . KOLUMBIEN «DANK INTERTEAM WERDEN UNSERE WÜNSCHE WAHR» jeden Morgen um 6 Uhr auf und mache mich auf den Aufgezeichnet von Mark Untersander, INTERTEAM-Fachperson, Kolumbien partement Atlántico bin ich mir nun aber bewusst, dass Weg zur Arbeit, motiviert durch die vielen Projekte, welche wir hier realisieren wollen. Ich wollte schon immer mit jungen Menschen zusammenarbeiten und kenne die vielen Schicksale und Lebensträume im Dorf. In meiner Funktion als Beauftragte der Jugendbewegung im Deviele Erwartungen an mich gerichtet sind. So sind mei- Spricht man von einem Ort mit fantastischen Geschich- ne Tage stets voll mit Aufgaben, Herausforderungen und ten, kulturellem Reichtum und edler Handwerkskunst, Abenteuern, welche ich bestmöglich bewältigen möchte. dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es sich dabei *** um Usiacuri handelt – ein kleines Dorf in den sanften Hügeln der kolumbianischen Küstenregion Atlántico, das Ich arbeite in Departementsprogrammen, wo ich zum auch als «Hort» des Friedens bekannt ist. Denn seit 12 Beispiel Teenager in der Prävention von Jugendschwan- Jahren gab es im Dorf keinen gewaltsamen Mord mehr. gerschaften betreue. Im Rahmen der regionalen Jugend- *** plattformen koordinieren wir die Agenden für junge Bürger zwischen den Gemeinden. Gleichzeitig studiere ich Dort wohne ich mit meinen Eltern und trage in mir den Psychologie an der Universität in der nächstgelegenen Wunsch, meine Vision einer toleranten Gesellschaft mit Stadt, wo ich zudem Kurse in Menschenführung, in der Kreativität und Einsatz zu verwirklichen. So stehe ich Formulierung von öffentlichen Projekten und in Erwachsenenbildung besuche. Was mich besonders motiviert, ist unser Verein «Summer Club», bei dem ich seit sechs Jahren Mitglied bin. Ursprünglich trafen wir uns jeweils zur Erholung, mittlerweile entwickelten sich unsere Aktivitäten vermehrt hin zu sozialen und kulturellen Unternehmungen. «Summer Club» bedeutet für uns, Trägheit zu überwinden und nach den Sternen zu greifen. *** Während meiner Aktivitäten als Jugendbeauftragte lernte ich die hiesige NGO Corporación Desarrollo y Paz und die Fachleute ihres Partners INTERTEAM kennen. Mit der Unterstützung dieser Organisationen treten wir nun koordiniert auf und unsere Bemühungen erhalten mehr Gewicht. Die NGOs gaben uns eine neue Perspektive, ermöglichten uns Weiterbildungskurse und halfen uns, als öffentliche Akteure aufzutreten und unsere Hoffnungen zu visualisieren. Unser Weg in Kolumbien ist anspruchsvoll, aber mithilfe von Organisationen wie INTERTEAM und lokalen Partnern können wir unsere Jugendlichkeit ausleben und unsere Wünsche wirksam ausdrücken. Tania Tatis Herrera, 21 Bild: Mark Untersander INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 3 1_16.idd.indd 3 04.03.2016 15:53:36 STANDPUNKT «JETZT KÖNNEN WIR MEHR AUSRICHTEN» Sarah Hadorn, Redaktorin DER AUSTAUSCH INTERTEAM geht neue Wege. So setzt die Organisation nun auch auf Projektfinanzierung. Zudem rücken Kinder und Jugendliche immer stärker in den Fokus. Geschäftsleiter Erik Keller erklärt, warum. Erik, seit über 50 Jahren setzt INTERTEAM darauf, durch Wissenstransfer Armut zu lindern. Neu betreibt ihr nun allerdings auch Projektfinanzierung. Warum dieser Paradigmenwechsel? Erik Keller: Bis anhin waren wir wie ein Handwerker, der als Instrument nur einen Hammer hat. Die Vermittslung von Wissen durch Schweizer Berufsleute ist ein guter Ansatz, aber nicht der einzige. Unsere Fachleute in Afrika und Zentralamerika befanden sich über die Jahre immer wieder in demselben Dilemma: Es wäre noch so viel Potential vorhanden gewesen, doch fehlte es an Geld. Indem wir nun auch finanzielle Mittel für Projekte bereitstellen, können wir mehr ausrichten. sen wir die richtigen Voraussetzungen bei der Generation von morgen schaffen. Ebenfalls neu ist euer Fokus auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche. . . Und wie schafft INTERTEAM diese Voraussetzungen? Erik: Neu ist dieser Fokus nicht, wir haben ihn aber ge- Erik: Bildung gilt allgemein als Schlüssel bei der Ar- schärft. 2015 haben wir intensiv Strategiearbeit geleistet mutsbekämpfung. Aber auch Probleme bei der Gesund- und an unserer Positionierung gefeilt. Dies als Vorberei- heitsversorgung sowie Mangel- oder Fehlernährung und tung für das nächste Vierjahresprogramm mit der Direk- Gewalt müssen angepackt werden. Letztendlich geht es tion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, die uns auch darum, dass Jugendliche Chancen auf einen Be- abhängig von anspruchsvollen Kriterien mit Programm- rufseinstieg haben. Hier setzen wir mit unserer Perso- beiträgen unterstützt. Aber schon bisher lag unser Fokus nellen Entwicklungszusammenarbeit an und haben pro zu mindestens zwei Dritteln auf benachteiligten Kindern Einsatzland entsprechende Themenschwerpunkte (Clu- und Jugendlichen. Bei ihnen wollen wir mehr Wirkung ster) festgelegt. Dies funktioniert sehr gut. Doch waren erzielen. Denn wenn wir Armut eliminieren wollen, müs- uns immer auch Grenzen gesetzt. Beim Projekt zur Malariaprävention in Tansania ging INTERTEAM erstmals neue Wege: Wir unterstützten das Projekt nicht nur mit Fachwissen, sondern auch mit der Vermittlung von Geldern. Im Bild: Fachperson Annatina Jäckle betreibt Aufklärung in einem Schulzimmer. Bild: INTERTEAM INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 4 1_16.idd.indd 4 04.03.2016 15:53:37 STANDPUNKT Wer sind die Geldgeber? Erik: Das können Stiftungen sein, Kantone, Gemeinden, aber auch Privatpersonen. Arbeiten Letztere mit INTERTEAM zusammen, können sie sichergehen, dass ihr Engagement professionell und nachhaltig begleitet wird. Schliesslich kann INTERTEAM auf jahrelange Erfahrung bauen. So haben wir mit einer Gruppe von Privatleuten letztes Jahr 30 000 Franken für die Bildung von Jugendlichen in Tansania gesammelt. Doch auch Stiftungen und Firmen profitieren von der einzigartigen Ausrichtung INTERTEAMS. Was macht die Ausrichtung denn so einzigartig? Erik: Indem wir Fachleute in unsere Einsatzländer entsenden, sind wir nahe bei den lokalen Partnern und an der Zielgruppe. Wir sehen, wo wir mit wenig Geld viel erreichen oder Innovationen fördern können. Wir können insgesamt relativ gut beurteilen, ob unsere Massnahmen greifen. Und wir sehen auch, ob das Geld wirklich ankommt. Würde ein angekündigtes Projekt zum Beispiel einfach nicht durchgeführt und doch abgerechnet, merkten wir das. Im Unterschied zu vielen anderen Organisationen, die nicht selber vor Ort und beim lokalen Partner präsent sind – denn die Korruption in den Zielländern ist tatsächlich gross. Skeptiker der Spendenhilfe monieren, es versande Weil es eben am Geld fehlte. auch zu viel Geld bei den NGOs selber. . . Erik: Oft, ja. Dies haben wir der DEZA unterbreitet und Erik: Dies wird oft kritisiert. Aber gute und verantwor- diese schliesslich überzeugt. So darf INTERTEAM seit tungsbewusste Arbeit darf auch etwas kosten, solange sie 2015 die gesprochenen Programmbeiträge des Bundes in einem vernünftigen Verhältnis steht. INTERTEAM ist nicht nur für Personaleinsätze, sondern auch komple- seit 1995 ZEWO-zertifiziert und wurde erst vor wenigen mentär für Projektfinanzierung verwenden. Wochen vom ZEWO-Gütesiegel erneut sehr gut beurteilt; dabei haben wir in allen Belangen besser abgeschnitten Heisst das, INTERTEAM fährt nun mit den Personal- als vergleichbare Organisationen. INTERTEAM arbeitet einsätzen zurück? also sehr kostengünstig. Erik: Nein. Die Einsätze von Schweizer Berufsleuten bei Apropos kostengünstig: Die Spende an INTERTEAM lokalen Partnerorganisationen bleibt unsere Kernstrate- wird mit DEZA-Geldern sozusagen verdoppelt – der gie, und zwar zu mindestens 80 Prozent. Die restlichen Wirkungsgrad wird also grösser, bei gleichem «Ein- 20 Prozent bildet die Finanzierung von Partnerprojekten. satz». Wie funktioniert das genau? INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 5 1_16.idd.indd 5 04.03.2016 15:53:37 STANDPUNKT INTERTEAM wird in Zukunft gezielt Projekte finanziell unterstützen, die dazu beitragen, Innovationen zu fördern. Der Zweck: Für die Zielgruppe eine noch grössere Wirkung zu erreichen, zusammen mit dem lokalen Partner. Unsere Koordinationsbüros vor Ort evaluieren sorgfältig die unterstützenswerten Projekte und stellen sicher, dass diese zweckbestimmt umgesetzt werden. Grafik: Sylvie Rapold, MINZ INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 6 1_16.idd.indd 6 04.03.2016 15:53:37 STANDPUNKT Erik: Da wir wie erwähnt einen Teil der Beiträge der sozialen «Investment» interessiert wären (siehe Kasten). DEZA nun auch für die Projektfinanzierung einsetzen Natürlich müssen sich die neuen Projekte aber den je- dürfen, haben wir die Möglichkeit, die Spendengelder weiligen Strategien der Landesprogramme unterordnen. mit diesen finanziellen Mitteln anzureichern und jeden Spendenfranken sozusagen zu verdoppeln. Dies ist na- Bringt der Miteinbezug der Projektfinanzierung auch türlich ein positiver Anreiz für Geldgeber. in der INTERTEAM-Geschäftsstelle in Luzern Veränderungen mit sich? Letztere waren in der Vergangenheit eher zaghaft, die Programme von INTERTEAM finanziell zu unterstüt- Erik: Ja. Wir müssen das Know-how aufbauen und die zen. . . internen Abläufe definieren. Zudem wird eine neue Stelle für Projektfinanzierung geschaffen. Wir haben schon Erik: Wir haben eine grosse Zahl von Geldgebern, die un- einiges erreicht und werden die nächsten Schritte in die- sere Arbeit schätzen, und die uns seit Jahren finanziell sem Jahr anpacken. unterstützen. Es gibt jedoch auch viele, die direkte Hilfe bei den Zielgruppen wünschen. Denn INTERTEAM war WAS FÜR PROJEKTE FINANZIERT eben nicht direkt an der Finanzierung von Projekten be- INTERTEAM KÜNFTIG? ZWEI BEISPIELE. . . teiligt, sondern lediglich über die lokalen Partnerorganisationen vor Ort. Für diese Geldgeber können wir nun et- Bessere Berufschancen für junge Mütter: In Tan- was Konkretes anbieten, denn Projekte haben den Vorteil, sania werden Mädchen und junge Frauen oftmals dass die Wirkung direkter und besser messbar ist. Dabei wegen einer Schwangerschaft von der Schule aus- bleibt es aber nicht. gegrenzt. Ohne Abschluss haben sie aber kaum Aussichten auf einen Berufseinstieg. Daher werden die «Wir können insgesamt relativ gut beurteilen, ob unsere Massnahmen greifen. Und wir sehen auch, ob das Geld wirklich ankommt.» Kinder neu betreut und die jungen Frauen auf die Abschlussprüfung der Sekundarschule vorbereitet. Gleichzeitig erhalten sie Berufsbildung, um ihre Einstiegschancen in den Arbeitsmarkt zu erhöhen. Das auf zwei Jahre begrenzte Projekt wird von einer Was kommt hinzu? erfahrenen Fachperson begleitet und soll mit rund 100 000 Franken finanziert werden. Der Projektstart Erik: Auch unsere lokalen Partnerorganisationen profi- ist auf Frühjahr 2016 geplant. tieren davon, dass INTERTEAM nun einen Teil der Pro- Rechtsberatung für Gewaltopfer: In Bolivien un- jekte direkt finanziert – die Planungssicherheit ist viel terstützt INTERTEAM seit 25 Jahren gewaltbetrof- besser gewährleistet. Ging vor Ort das Geld aus oder ein fene Kinder, Jugendliche und Frauen. Doch die Aus- Geldgeber zog sich überraschend und kurzfristig zurück, gangslage ist schwierig. Denn trotz verbesserten so war bisher Ende Feuer. Davon profitieren natürlich Gesetzen können sich Opfer kaum juristisch weh- auch unsere Fachleute. Wobei ich betonen möchte: Nicht ren, da es ihnen an den nötigen Mitteln fehlt. Ein die Fachleute finanzieren die Projekte, sondern INTER- nationales Netzwerk von Juristen und Juristinnen TEAM als Organisation. bietet daher kostenlose Beratung und Begleitung in rechtlichen Auseinandersetzungen an. Zudem wer- Welche Unterschiede zu vorher gibt es noch? den an Universitäten Studierende ausgebildet und Fälle in Fachzeitschriften publiziert. Für dieses Erik: INTERTEAM kann nun gezielt interessante Pro- Projekt konnte bereits ein Teil der benötigten Mittel jekte vor Ort angehen, die wir als sinnvoll und nach- für 2016 gefunden werden. haltig erachten, und wo potentielle Geldgeber an einem INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 7 1_16.idd.indd 7 04.03.2016 15:53:38 TANSANIA «KINDER MERKEN, WENN MAN AN SIE GLAUBT» darum, ärztliche Versorgung zu vermitteln, die Kinder zu Sarah Hadorn, Redaktorin DER AUSTAUSCH einem: Geld. So beschloss INTERTEAM denn auch, dies- fördern, zu integrieren und die Eltern aufzuklären – bei rechtzeitiger Behandlung könnten nämlich zahlreiche Schäden vermieden werden. «Viele Eltern waren mit ihren Kindern noch nie im Krankenhaus», sagt Barbara. Denn neben Information und Zuversicht fehlt es vor allem an mal nicht «nur» eine Fachperson zu entsenden, sondern Das Projekt zugunsten von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Tansania ist ein besonderes: Erstmals hat INTERTEAM bei der Finanzierung mitgewirkt. Und damit das Leben des kleinen Mnawalus nachhaltig verändert. auch zum ersten Mal ein Projekt mitzufinanzieren und dieses gemeinsam mit der Anglikanischen Kirche in den Dörfern der Region Muleba umzusetzen. ZEIT UND AUSDAUER ALS THERAPIE Mit dem Geld konnte man etwa bei Mnawalu die Hernie operieren, die zu seinen Behinderungen noch dazu kam. Eine Traube von Erwachsenen hat sich um den Jungen «Ich war froh, dass wir wenigstens etwas für den Jun- versammelt und feuert ihn an. Feuert ihn an, während er gen tun konnten», sagt Barbara Engel, die ihren Einsatz versucht, mit seinen steifen Hän- zu hieven – seine Geduld scheint «Heute ist Mnawalu integriert und wird von seinen Geschwistern wahrgenommen.» grenzenlos, sein Wille eisern. Barbara Engel, Heilpädagogin den eine Muschel auf die Ladefläche eines Spielzeuglastwagens mittlerweile beendet, ihre Arbeit in Tansania übergeben hat und zurück in der Schweiz ist. «Für alles andere kamen nur Zeit Noch vor ein paar Monaten hätte und Ausdauer als The- sich niemand vorstellen können, rapie in Frage», sagt die dass Mnawalu (heute sechs Jahre alt) eine Muschel grei- Heilpädagogin. So zeigte sie Mnawalu und dessen Mutter fen und damit spielen kann. Vor allem nicht inmitten von zum Beispiel Übungen, die den Jungen davor bewahren Erwachsenen, die ihn beachten, ihn sogar ermuntern. sollten, dass sich seine Wirbelsäule weiter verkrümmt. Denn Mnawalu hat eine Behinderung, was im Norden Zu diesem Zweck hatten Barbara und ihre Mitarbeiter Tansanias leider immer noch häufig als Hexerei angese- Mnawalu auch einen speziellen Stuhl aus Holz gefertigt. hen wird – behinderte Kinder werden zuhause versteckt. Vor allem aber schenkte sie ihm Aufmerksamkeit und Zuspruch. «Kinder merken, wenn man an sie glaubt.» WICHTIG: RECHTZEITIGE BEHANDLUNG Von Geburt an hat Mnawalu multiple Missbildungen wie DIE VÄTER EINBEZIEHEN steife Ellenbogen und Handgelenke, wodurch er seine Etwas, das sich die Kleinen in Tansania von Erwachse- Hände kaum bewegen kann. Zudem ist seine linke Hüf- nen nicht gewohnt sind. Denn in der tansanischen Kul- te nicht richtig ausgebildet und der Oberschenkel ein- tur geben die Eltern ihre Kinder an deren Geschwister geschnürt. Mnawalu wird nie gehen können. «Als seine ab, sobald sie selbständig laufen und essen können. «In Mutter ihn nach anfänglichem Zögern zu uns in die Kli- unserem Projekt lehren wir die Eltern deshalb, wie gut nik brachte, stand da eine traurige, resignierte Frau, die es ihren Kindern tut, wenn sie ihnen Nähe schenken uns ihr bewegungsloses Kind quasi darreichte», erinnert und mit ihnen spielen», sagt Barbara Engel. Vor allem sich INTERTEAM-Fachperson Barbara Engel an den An- der Einbezug der Väter sei wichtig. Denn oftmals seien fang des Projektes «Hoffnung für Muleba». Dieses rich- es gerade sie, die ein behindertes Kind ablehnten und tet sich an Kinder und Jugendliche mit körperlichen und die «Schuld» auf die Mutter schöben. Neben Aufklärung geistigen Behinderungen und an deren Eltern. Es geht braucht es laut Barbara seitens der INTERTEAM-FachINTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 8 1_16.idd.indd 8 04.03.2016 15:53:38 TANSANIA Haben den Draht zueinander sichtlich gefunden: Die ehemalige INTERTEAMFachperson Barbara Engel und der tansanische Junge Mnawalu. Bild: INTERTEAM leute aber auch Unterstützung bei der Versorgung: «Die Doch sie hat noch mehr in petto: «Mnawalu geht sogar Eltern verbringen den Löwenanteil ihrer Zeit mit Arbei- zur Schule.» Etwas, das man sich vor dem INTERTEAM- ten und haben keine Zeit, zum Beispiel ihr Kind so zu Projekt nicht hätte vorstellen können; behinderte Kinder betreuen, dass es seinen Gips nicht beschädigt.» Mna- und Jugendliche in Tansania sehen für gewöhnlich nur walus Vater etwa verkauft Fische aus dem Viktoriasee in selten eine Schule von innen. Kigoma, das eine Tagesreise von Mnawalus Heimatdorf Runasi entfernt liegt. PERSÖNLICHES ABSCHIEDSGESCHENK Dank des Projekts von INTERTEAM hat sich Mnawalus Mnawalu glaubt heute an sich selber. Und auch die Mut- Leben zum Besseren gewendet. Heute kann er selbstän- ter glaubt an ihn. «Ich habe durch eure Arbeit Hoffnung dig essen, sich in einer eigenen Taktik seitlich vorwärts geschöpft, dass mein Kind etwas lernen kann und eine bewegen und fliessend sprechen – und zwar Kisuahe- Zukunft hat, auch wenn es nie gehen und selbständig le- li und seinen Dialekt Kihaya. «Der Junge ist integriert, ben kann», sagte sie zum Abschied zu der tief berührten spielt mit seinen Geschwistern und wird von ihnen auch Barbara Engel. Und schenkte ihr eine Mkeka, eine hand- wahrgenommen», resümiert Barbara Engel zufrieden. gemachte Sitzmatte. INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 9 1_16.idd.indd 9 04.03.2016 15:53:39 TANSANIA Links: Mnawalu und seine Mutter. Rechts: Mnawalu in seinem Spezialstuhl, der seine Wirbelsäule stützt. Bilder: INTERTEAM ES IST HILFREICH, WENN DIE PARTNER WISSEN, DASS DIE FACHLEUTE DEN GELDGEBERN NAHE SIND Christine Salvisberg, Sozialpädagogin, ehemalige Fachperson, Tansania, HIV-Prävention Personelle Entwicklungszusammenarbeit – das Zauberwort, das mich 2007 zu INTERTEAM hingezogen hat und mich noch heute überzeugt: Nicht Geld steht im Zentrum, sondern die Menschen! Als Fachperson in Tansania waren für mich in der Entwicklung die Komponenten Begegnung und Austausch zentral. Und ich war sicher, dass ich nur dann einen sinnvollen Beitrag würde leisten können, wenn klar wäre, dass mein Einsatz nicht mit Projektfinanzierung in Verbindung gebracht werden könnte. Im Laufe meines vierjährigen Einsatzes – zwei Jahre im Norden, zwei im Süden des Landes – wurde meine Sichtweise jedoch differenzierter. Ich fand es schwer, den partnerschaftlichen Ansatz umzusetzen. Irritiert stellte ich immer wieder fest, dass ich in eine über- oder untergeordnete Rolle gedrängt wurde: Entweder bestimmst du – oder ich! EINE FREMDE INSTANZ WIRD GESCHÄTZT Die Überzeugung, dass Beziehungen – insbesondere Arbeitsbeziehungen – hierarchisch geordnet sein müssen, ist in Tansania noch tief verankert. Ebenbürtigen und offenen Austausch habe ich nur selten erlebt. Ich stellte fest, dass es hilfreich sein kann, wenn die Partnerorganisation um die Nähe zwischen Geldgebern und Fachperson weiss. Dank dieser Verbindung und der damit einhergehenden «Kontrolle» wurden die Anregungen der Fachperson in Betracht gezogen – und die Fachperson in ihrer Rolle als Beraterin oft überhaupt erst ernst genommen. Was wir in der Schweiz «Korruption» nennen, ist in Tansania so stark mit dem sozialen Gefüge und der gesellschaftlichen Wirklichkeit verbunden, dass sich bis heute keine einheimische Person vollkommen darüber hinwegsetzen kann. Eine fremde – aber vor Ort anwesende – Kontrollinstanz wird deshalb oft auch von den Einheimischen als hilfreich empfunden und begrüsst. Was bleibt: Die grosse Herausforderung, nicht in den alten Paternalismus zu fallen, die Kontrollfunktion möglichst partnerschaftlich und in enger Verbindung mit Einheimischen auszuüben. Und die Frage, was wir überhaupt in Afrika tun, wo doch unsere Handelsbeziehungen mit dem globalen Süden zutiefst ungerecht sind. Ebenso dringend sollten wir vor unserer eigenen Tür wischen! Und dennoch: Wir sind weltweit miteinander verbunden und müssen Probleme gemeinsam lösen. INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 10 1_16.idd.indd 10 04.03.2016 15:53:39 TANSANIA DIE ARBEIT ZUGUNSTEN KINDER UND JUGENDLICHEN MIT BEHINDERUNGEN GEHT WEITER Das Projekt «Neue Hoffnung für Muleba» konnte nur dank finanzieller Unterstützung der Stiftung Symphasis, dem katholischen Konfessionsteil des Kantons St. Gallen und der Solidaritätsgruppe Lommiswil lanciert werden. Die Nachhaltigkeit der Initiative war von Beginn an ein grosses Anliegen von INTERTEAM. So stellte sich letztes Jahr bei Einsatz-Ende der Fachperson Barbara Engel die Frage: Wie geht es weiter? Ergebnis war auf Initiative von INTERTEAM die Gründung des Netzwerks «Tanzania Disability Rehabilitation Consortium (TDRC)». Damit besteht nun eine Plattform von mittlerweile 27 tansanischen Organisationen, die sich im Norden des Landes für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einsetzen. SIE KÖNNEN FÜR MNAWALU SPENDEN! So soll es gelingen, die Angebote qualitativ zu verbessern und quantitativ auszubauen. Das Netzwerk wird aber auch das Lobbying verstärken, so dass Behörden ihre Verantwortung wahrnehmen, Schulen zugänglich werden für Kinder mit Behinderungen oder die Versorgung mit dringend benötigten Medikamenten oder medizinischen Eingriffen gewährleistet ist. In diesem Rahmen wird auch das Projekt «Neue Hoffnung für Muleba» finanziell unterstützt und professionell begleitet. Somit kann die Pionierarbeit Barbara Engels weiter Früchte tragen, sowohl direkt in den Dörfern – etwa bei Mnawalu – aber auch in der gesamten Region um den Viktoriasee. Für die Arbeit zugunsten der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen in Tansania hat INTERTEAM einen Fonds eingerichtet und ist auf zusätzliche Mittel angewiesen. Spenden können mit dem Vermerk «CBR Tansania» direkt auf das PC-Konto PC 60-22054-2 getätigt werden. Herzlichen Dank – Asante Sana! Aufmerksamkeit und Zuwendung – dies schenkte die ehemalige INTERTEAMFachperson Barbara Engel Mnawalu. Etwas, das sich die tansanischen Kinder nicht gewohnt sind. Bild: INTERTEAM INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 11 1_16.idd.indd 11 04.03.2016 15:53:41 PORTRAIT «ICH WOLLTE DOCH NUR AUFMERKSAMKEIT» Mani Sokoll, INTERTEAM-Fachperson, Nicaragua Früher war er ein Aufmüpfiger, der auf dem Pausenhof Streit anzettelte. Heute studiert Luis Fernando Chavez Casco (19) Kommunikation. Und damit nicht genug: Als Volontär arbeitet er jetzt in derjenigen Schule, aus der er fast einmal geflogen wäre. Sein Lächeln und sein Charme sind unwiderstehlich, seine präzise und intelligente Ausdrucksweise faszinierend. Mit 19 Jahren steht Luis Fernando Chavez Casco mit einer Reife und beeindruckenden Weisheiten im Leben wie kaum einer in seinem Alter. Doch das war nicht immer so. Als erstgeborener, einziger Sohn mit vier Schwestern kam er im sehr ländlichen Lechecuagos bei León westlich der Hauptstadt Managua zur Welt. Seine Eltern hatten keine gute Schuldbildung und arbeiteten hart, um über die Runden zu kommen. Leider sorgte der übermässige Alkoholkonsum des Vaters für Probleme. Der junge, blitzgescheite Fernando wusste darauf nur eine Antwort: ständig auf dem Schulhof Streit anzuzetteln. «Ich wollte einfach, dass man mich bemerkt und hört, was ich zu sagen habe», erinnert er sich heute. «Mir war nie bewusst, dass ich mir damit schade. Ich wollte doch nur Aufmerk- deln nur noch so aus ihm heraus: «Ich wusste plötzlich, samkeit.» dass ich Kommunikation studieren will. Aber nicht einfach nur als TV-Star arbeiten, obwohl ich das auch total «NICHT EINFACH ALS TV-STAR ARBEITEN» cool fände. Sondern meine Fähigkeiten und meine Aus- Nach mehreren Abmahnungen des Schuldirektors stand bildung dazu nutzen, soziale Veränderungen und Ver- Fernando kurz vor dem Rausschmiss aus der Schule von besserungen für mein Umfeld zu erreichen.» Luis Fernando Chavez Casco freut sich, von der INTERTEAM-Fachperson Mani Sokoll alles übers Radiomachen zu erfahren. Bild: Mani Sokoll Fe y Alegría, der lokalen Partnerin von INTERTEAM in Managua (siehe Kasten). «Doch dann kam die Lehrerin AUCH SOZIALE BILDUNG Dionisia und das war meine Rettung», schmunzelt der Von jenem Moment an lernte Fernando gern, wurde 19-Jährige und führt aus, dass die resolute und enga- schliesslich in das «Red de Comunicadores» aufgenom- gierte Frau das Potential in ihm sah. «Das war wie eine men und war bald einer der Führungsfiguren. Das «Red» Initialzündung. Sie brachte mir Selbstverantwortung bei ist ein Netz von Schülerinnen und Schülern aller Fe y und löste ein Rieseninteresse an einer anderen Form von Alegría-Schulen, das ins Leben gerufen wurde, um den Leben in mir aus.» Fernando strahlt und die Worte spru- Jugendlichen mehr als reine Schulbildung zu bieten. INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 12 1_16.idd.indd 12 04.03.2016 15:53:44 PORTRAIT INTERTEAM MACHT SICH STARK FÜR BILDUNG Mani Sokoll unterstützt als Kommunikationsfachfrau für INTERTEAM die lokale Partnerorganisation Fe y Alegría in Managua, der Hauptstadt Nicaraguas. Die Organisation setzt sich in 17 lateinamerikanischen Ländern für die Bildung der Ärmsten ein. In Nicaragua betreibt sie 22 Schulen. Mani Sokoll entwickelt für die Organisation eine langfristige Strategie für die interne und externe Kommunikation. In der Schweiz hat Mani unter anderem jahrelang für Radio und Fernsehen gearbeitet, zum Beispiel für Radio Argovia und Tele M1. auch in seiner Tätigkeit bei Fe y Alegría ein. Der bisheNämlich eine «educación de calidad», sprich Bildung rige Werdegang seines Zöglings hat Direktor Silvio Gu- auch bezüglich sozialer Aspekte wie Umgang mit Ge- tierrez so beeindruckt, dass er Fernando kurzerhand als walt, Drogen, Beziehung und Familie. Fernando hat in Volontär in die Kommunikationsabteilung holte. den letzten drei Jahren bereits in Spanien, Guatemala und in der Dominikanischen Republik im Rahmen von DAS LICHT ZURÜCKBRINGEN Fe y Alegría-Foren sprechen dürfen. Auf die Frage, was Zum Schluss frage ich Fernando nach seinem Traum. Er ihm denn persönlich am meisten gebracht habe, sagt überlegt nur kurz und sagt dann: «Kennst du das Höh- Fernando ohne zu zögern: «Ich profitiere von allem. lengleichnis von Plato? So wie derjenige, der rausging, Aber der Fotografie-Workshop, den ich mit deiner IN- draussen das Licht (und die Wahrheit) sah und zurück TERTEAM-Vorgängerin Diana gemacht habe, war schon in die Höhle bringen wollte, will ich es tun. Ich will im ganz grosse Klasse. Und nun freue ich mich darauf, von Ausland weiterlernen und mich ausbilden und dann da- dir alles rund ums Radiomachen zu erfahren.» mit in meinem Land triumphieren», sagt er mit leucht- Mit demselben Enthusiasmus, mit welchem er aktuell enden Augen und fester Stimme. Ich glaube ihm aufs sein Studium in Kommunikation bewältigt, setzt er sich Wort. INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 13 1_16.idd.indd 13 04.03.2016 15:53:49 MV, 21. MAI 2016 MITGLIEDERVERSAMMLUNG 2016 KOSTEN Die Geschäftsstelle von INTERTEAM freut sich, zur dies- ANMELDUNG Das Mittagessen wird von INTERTEAM offeriert. Getränkekosten gehen zu Lasten der Teilnehmenden. jährigen Mitgliederversammlung am Samstag, 21. Mai 2016, in die Stiftung Rodtegg in Luzern einzuladen. Wir bitten um Anmeldung bis am 30. April unter www.interteam.ch/mv oder via Telefon (041 360 67 22) PROGRAMM direkt auf der Geschäftsstelle anzumelden. Wir freuen uns sehr auf zahlreiches Erscheinen. 09.30 Begrüssung mit Kaffee & Gipfeli 10.30 51. ordentliche Mitgliederversammlung (Ver- abschiedung und Wahl neuer Vorstände/Er- nennung von fünf Ehrenmitgliedern) 12.15 Gemeinsames Mittagessen Nachmittagsprogramm 13.45 Reflexion zur Zukunft des Vereins INTER- TEAM (die kommenden Jahre sind entschei dend. Der Vorstand erläutert die zukünftige Positionierung und diskutiert mit den Mit- gliedern, welche Rolle der Verein INTERTEAM im Alleingang oder zusammen mit einem anderen Hilfswerk in Zukunft spielen kann und soll. Die vertiefte Reflexion wird direkt in die anstehende Überarbeitung des Leitbilds einfliessen.) 16.15 Ausklang/offizieller Schluss KINDERBETREUUNG Für die Kinderbetreuung ist gesorgt. ORT Stiftung Rodtegg, Rodteggstr. 3, 6005 Luzern Mit ÖV: Ab Bahnhof Luzern mit dem Bus, Linie Nr. 7, Richtung Biregghof bis Haltestelle Rodtegg. (Für Autofahrer sind Parkplätze in beschränkter Anzahl vorhanden). INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 14 1_16.idd.indd 14 04.03.2016 15:53:53 KULTURTIPP «LAMB»: EINE WUNDERVOLLE FREUNDSCHAFT Atemberaubende Natur und eine berührende Geschichte: Nach dem Tod der Mutter schickt Ephraims Vater diesen aufs Land zu einem Onkel. Auf dem abgelegenen Hof plagt Ephraim (9) schreckliches Heimweh und er versucht, sich Geld für eine Fahrkarte in die Freiheit zusammenzusparen. Stets an Ephraims Seite: Sein Lamm und bester Freund Chuni. Aber seit neustem auch die rebellische Tsion, die auch nur eines möchte: fort von hier. BILDGEWALTIG Dem äthiopischen Filmemacher Yared Zeleke ist mit seinem Erstling ein Film gelungen, der Verlorenheit und Geborgenheit gleichermassen auszudrücken vermag – und das bildgewaltig. So wurde der Film letztes Jahr auch am Filmfestival Cannes ausgezeichnet. Zu sehen im Online-Kino auf www.trigon-film.org Bilder: trigon-film «ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT IM UMBRUCH» zur Jahrtausendwende von den Vereinten Nationen beschlossen wurden. GUTER EINSTIEG Friedbert Ottacher und Thomas Vogel haben Nach 65 Jahren Entwicklungszusammenarbeit stellt sich kritisch mit Sinn sich die Frage: Was hat die Schweiz damit erreicht? Und: und Nutzen der Entwick- Wie geht es weiter? Antworten finden sich im Buch «Ent- lungszusammenarbeit wicklungszusammenarbeit im Umbruch». beschäftigt. Dass dieses Thema gerade jetzt so unter den Nägeln kommen ist dieser her- brennt, ist kein Wunder – schliesslich hatte die Europä- vorragende ische Kommission das vergangene Jahr 2015 zum «Jahr HerausgeÜberblick, der Interessierten einen der Entwicklung» ausgerufen. Gleichzeitig endete letztes guten Einstieg in ein komplexes Thema bietet. Jahr die Ära der Millenniums-Entwicklungsziele, welche (Brandes + Apsel Verlag, ISBN: 978-3-95558-111-4). INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 15 1_16.idd.indd 15 04.03.2016 15:53:55 INTERTEAM POLITISCH «ES GEHT NUR UM EIGENE SPARZIELE, UM KLEINLICHSTE INNENPOLITIK» Ursprungsland in Steueroasen verschoben worden sind. Max Elmiger, Präsident INTERTEAM, zur Strategie Nachhaltige Entwicklung Als Rohstoffhandelsplatz ist die Schweiz zur weltweiten Die Schweizer Banken sind bei den Offshore-Geldern immer noch sehr gut vertreten: Sie belegen 7 der ersten 20 Plätze im entsprechenden Ranking. Den Entwicklungsund Schwellenländern gingen 2012 durch diese Oasen weltweit mindestens 280 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen verloren – doppelt so viel, wie die OECD an Entwicklungshilfegeldern ausgab. Grossmacht aufgestiegen. Im Jahr 2014 ging das Center Die Schweiz spart weiter bei der Entwicklungszusammenarbeit. Und bereichert sich somit an den ärmsten Ländern der Welt: Sie enthält ihnen ihre Solidarität vor. Und nicht nur das. Die Schweiz ist zudem wortbrüchig geworden. for Global Development in einer Studie über «illegitime Kapitalflüsse» mit dem unscheinbaren Giganten hart ins Gericht. Es kam zum Schluss, dass die Entwicklungsländer jährlich mindestens 8 Milliarden Dollar verlieren, weil die Schweiz den internationalen Rohstoffkonzernen als Steuerfluchthafen dient – wie hoch war die Schweizer Entwicklungshilfe nochmals? Ach ja: 2 Milliarden Fran- Der Nationalrat hat im Budget 2016 massive Kürzungen ken! bei der Entwicklungszusammenarbeit akzeptiert. Für 2017 bis 2019 sind weitere Abstriche geplant. «Es gibt WELTINNENPOLITIK viele Wege, sich zu bereichern. Einer der besten ist die Diese Ungerechtigkeiten verpflichten, noch Jahrzehnte. Sparsamkeit», sagte der Philosoph Sir Francis Bacon. Als Wenn also die Schweiz in der Entwicklungszusammen- Staatsmann wusste er, wovon er sprach. In unserem Zu- arbeit spart, dann bereichert sie sich noch mehr auf sammenhang klingt es mehr als sarkastisch. Kosten der ärmsten Länder. Unsere politische Debatte geht von einer Nabelschau sondergleichen aus. Es geht NICHT GANZ FREIWILLIG nur um eigene Sparziele, um kleinlichste Innenpolitik. Die Schweiz bereichert sich, indem sie den ärmsten Län- Es gibt für nichts und niemanden so grosse Freiheit wie dern die geschuldete Solidarität vorenthält. Mit Recht für die Geldflüsse. Wenn es also um globale Geldflüsse verurteilte Alliance Sud den Entscheid als «kurzsichtig geht, dann kann man diese nur unter der Perspektive ei- und unsolidarisch». Aber zuerst doch das Positive: Die ner Weltinnenpolitik betrachten, wie es seit Jahren die Schweiz zählt unterdessen zu den aktiveren Ländern im Caritas propagiert. Kampf gegen Geldwäscherei und in der Rückgabe von Potentaten-Geldern. Endlich. Und sicher nicht nur ganz freiwillig. Für noch bessere Spiesse im Kampf gegen Geldwäscherei sollte die Prävention verstärkt werden. Die Finanzmarktaufsicht Finma könnte mit den Banken durchaus strenger sein. Strafen in der Grössenordnung von rund 60 000 Franken, die Credit Suisse und UBS beispielsweise im Falle der Mubarak-Gelder zahlen mussten, tun niemandem weh. KLEINE SCHWEIZ ALS GIGANT Trotzdem ist davon auszugehen, dass weiterhin sehr viele Gelder in der Schweiz lagern. Gelder, die aus ihrem Max Elmiger, Präsident INTERTEAM INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 16 1_16.idd.indd 16 04.03.2016 15:53:56 INTERTEAM POLITISCH Die Schweizer Politik hat es verpasst, dem Raubbau bei haltige Entwicklung als «historische Übereinkunft». Mit den Entwicklungsgeldern einen Riegel zu schieben. Noch der Annahme der Agenda 2030 bekräftigte die Schweiz schlimmer: Die Einsparungen sollen zu 20 bis 25 Prozent auch ihr Versprechen, 0.7 Prozent des Bruttonationalein- auf Kosten der internationalen Zusammenarbeit gehen. kommens für Entwicklungszusammenarbeit bereitzu- Damit verabschiedet sich der Bundesrat nicht zuletzt stellen. Wir bereichern uns also nicht nur, wir sind auch auch vom Ziel des Parlaments, jährlich 0.5 Prozent des noch wortbrüchig geworden gegenüber der Staatenge- Bruttonationaleinkommens für einzusetzen. «Es gibt für nichts und niemanden so grosse Freiheit wie für die Geldflüsse.» EINE FRAGE DER MORAL Max Elmiger, Präsident, INTERTEAM Entwicklungszusammenarbeit Ende September 2015 feierte meinschaft. Der Kern des Problems ist in erster Linie ein moralischer. In verschiedenen politischen Konfliktherden haben wir wichtige Vermittlerdienste geleistet. Bundespräsidentin Sommaruga in der Uno-Vollversamm- Diese Dienste wären noch viel glaubwürdiger, wenn wir lung die Verabschiedung der Agenda 2030 für die nach- unseren Verpflichtungen nachkommen würden. Die Schweiz betreibt Raubbau bei den Entwicklungsgeldern. Illustration: Lea Maestrini INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 17 1_16.idd.indd 17 04.03.2016 15:54:00 INTERTEAM INTERN ZURÜCKGEKEHRT Der erfahrene Agronom Johannes Brunner setzte sich JOHANNES BRUNNER, während der letzten drei Jahre in Bolivien dafür ein, COCHABAMBA, BOLIVIEN die Nahrungssicherheit für Kleinbauern zu erhöhen. Er unterstützte das Netzwerk ECOSAF, das sich für die Förderung der Agroforstwirtschaft in ganz Bolivien engagiert, und fungierte als Berater in Sachen Ausbildung und Projektmanagement. Die Marketing- und Kommunikationsfachfrau Katha- KATHARINA KOCHERHANS, rina Kocherhans hat die bolivianische Organisation COCHABAMBA, BOLIVIEN AGRECOL Andes in den letzten fünf Jahren dabei unterstützt, das Einkommen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu steigern. Dies, indem sie mithalf, den Absatz von nachhaltig produzierten Lebensmitteln zu fördern und die Konsumenten zu sensibilisieren. Diana Haag hat ein Studium in Kommunikation und in- DIANA HAAG, MANAGUA, ternationalen Beziehungen abgeschlossen. In den letz- NICARAGUA ten drei Jahren unterstützte sie die Schulen der Organisation Fe y Alegría in Nicaragua in Kommunikation und Netzwerkarbeit. Damit setzte sich die Churerin für eine bessere Bildung von Jugendlichen aus ärmeren Gegenden des Landes ein. Von 2013 bis Anfang 2016 hat der Pädagoge Egon Küng EGON KÜNG, RUNDU, in einer der ärmsten Regionen Namibias Lehrpersonen NAMIBIA in fachlicher, methodisch-didaktischer und organisatorischer Hinsicht aus- und weitergebildet. Der Aargauer verbesserte somit die Schulbildung von Kindern und Jugendlichen und so auch deren Zukunftschancen. INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 18 1_16.idd.indd 18 04.03.2016 15:54:03 INTERTEAM INTERN AUSGEREIST V.r.n.l.: Stefan Kunz Büchi, Landschaftsarchitekt, Nicaragua Debora Büchi, Primarlehrerin / Landschaftsarchitektin, Nicaragua Edgar Dubach, Physiotherapeut, Tansania Marcel Schneider, Dipl. Ing. HLKS, Tansania Denise Notter, Soziologin/Ethnologin, Bolivien Charlotte Sidler, Umweltwissenschaftlerin, Bolivien Sebastian Zeiter, Betriebsökonom/Wirtschaftsinformatiker, Tansania Efi Albisser Zeiter, BackofficeManagerin, Tansania (Andreas Furrer, INTERTEAM) AUF WIEDERSEHEN, MARLIS NOTTER! Erik Keller, Geschäftsleiter INTERTEAM ist kaum zu glauben, dass Marlis nun per Für viele Fachleute der letzten 14 Jahre war Marlis Not- Ende ter eine wichtige Bezugsperson bei INTERTEAM: Ihr schon herzhaftes Lachen, das umsichtige Organisationstalent wird. und der feinfühlige Umgang bildeten vom Informations- Wir wünschen dir, abend über das Assessment bis zum Ausreisekurs eine Marlis, von Herzen professionelle und doch familiäre Konstante. alles Gute zum neu- März 2016 pensioniert en Lebensabschnitt EIN HERZLICHES DANKESCHÖN! und Marlis leitete seit 2002 die Abteilung für Rekrutierung dir die zahlreichen und Vorbereitung, zuletzt mit Andreas Furrer. Dabei hat schönen Erlebnisse sie einige Veränderungen miterlebt und diese stets mit- und Anekdoten aus gestaltet. Geblieben ist dabei immer die Freude, mit mo- beinahe 30 Ausreisekursen noch lange positiv in Erin- tivierten Berufsleuten zu arbeiten. Dies ermöglichte viele nerung bleiben. Wir werden dich auf der Geschäftsstel- schöne Momente und Begegnungen. Und wir alle profi- le vermissen und freuen uns, dich bei Bedarf noch als tierten von Marlis‘ langjähriger Erfahrung und ihren kompetente und erfahrene Fachfrau beratend beiziehen vielseitigen Talenten. Dafür ein grosses Dankeschön! Es zu dürfen. hoffen, dass INTERTEAM – AUSTAUSCH NR 1/16 19 1_16.idd.indd 19 04.03.2016 15:54:07 «Dank der Unterstützung von INTERTEAM und der heilpädagogischen Schule PREEFA wird der kleine Gabriel entsprechend seiner Möglichkeiten ganzheitlich gefördert.» In der PREEFA, welche durch die INTERTEAMFachperson Thomas Ittmann in Bolivien unterstützt wird, erhält Gabriel die notwendige schulischtherapeutische Unterstützung; so kann er trotz seiner Behinderung möglichst selbständig leben und die alleinerziehende Mutter wird entlastet. AGENDA INFORMATIONSVERANSTALTUNGEN Die Informationsabende für einen Einsatz mit INTERTEAM finden jeweils von 18.30 bis 21.00 im Zentrum Barfüesser an der Winkelriedstrasse 5 in Luzern statt. Nächste Daten: Donnerstag, 17. März 2016 Donnerstag, 19. Mai 2016 Donnerstag, 7. Juli 2016 Anmeldung erforderlich unter: www.interteam.ch/info Herausgeber: INTERTEAM Redaktion und Gestaltung: Sarah Hadorn Gestaltungskonzept: meierkolb, Luzern Druck: Brunner AG, Kriens Wo nicht anders vermerkt: Bilder: INTERTEAM Titelbilder: Oben links/rechts: Künftig legt INTERTEAM seinen Fokus noch klarer auf Kinder und Jugendliche, um deren Lebensqualität in Afrika und Lateinamerika zu verbessern. Unten: Die Heilpädagogin Barbara Engel in ihrem Einsatz in Tansania. INTERTEAM Unter-Geissenstein 10/12 CH 6005 Luzern 1_16.idd.indd 20 T +41 41 360 67 22 F +41 41 361 05 80 [email protected] DER AUSTAUSCH, die Zeitschrift von INTERTEAM, erscheint zweimal jährlich. Auflage: 1800 Ex. INTERTEAM ist eine Schweizer Organisation der Personellen Entwicklungszusammenarbeit. INTERTEAM Redaktion Austausch Unter-Geissenstein 10/12 CH 6005 Luzern T +41 41 360 67 22 F +41 41 361 05 80 [email protected] www.interteam.ch www.facebook.com/interteam www.youtube.com/interteamluzern PC 60-22054-2 Der AUSTAUSCH ist auf umweltfreundlichem Papier hergestellt. www.interteam.ch 04.03.2016 15:54:08
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