Data: 15/03/2016 | Fonte: Die Neue Südtiroler Tageszeitung | Pagina: 18 | Autore: Interview: Silke Hinterwaldner | Categoria: EURAC „Lawinenwarnstufen neu definieren“ Hermann Brugger, Leiter des Institutes für alpine Notfallmedizin an der Eurac, über gefährlichen Schnee und die Crux mit den Lawinenwarnstufen. Tageszeitung: Herr Brugger, gut ausgerüstete, gut trainierte Sportler sterben unter der Lawine. Was haben sie falsch gemacht? Hermann Brugger: Es ist schwer auf eine solche Frage eine eindeutige Antwort zu geben. Hier spielen immer viele Faktoren zusammen. Fest steht: Seit in Südtirol Lawinen dokumentiert werden, also seit dem Jahr 1984, hat es kein derart schweres Unglück mit so vielen Toten gegeben. Diese Lawine hatte ein gewaltiges Ausmaß, die Schwachstelle lag tief in der Schneedecke. Die Gefahr rechtzeitig zu erkennen, ist in diesem Fall sehr schwer. Kann man eine sichere Skitour planen? Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Aber man geht von verschiedenen Bewertungskriterien aus, wobei man den Lawinenlagebericht stets als Grundlage hernimmt. In diesem Fall war dieser Bericht absolut präzise. Auch der Ablauf des Rettungseinsatzes hat am Samstag vorbildlich funktioniert. Warum geht eine derart gefährliche Lawine bei Warnstufe 2 ab? Beim Lawinenwarnbericht geht es immer um die Wahrscheinlichkeit einer Lawine. Bei Warnstufe 2 braucht es eine große Zusatzbelastung, um eine Lawine auszulösen. Das heißt: Es müssen sich beispielsweise zahlreiche Menschen im Hang aufhalten. Die Konsequenzen einer solchen Lawine sind weit schwerwiegender als jene einer Spontanlawine bei höherer Warnstufe. Die Crux ist: Viele Menschen lösen eine Lawine aus und werden gleichzeitig verschüttet. Was könnte man besser machen? Nur die Ziffer der Lawinenwarnung anzuschauen, kann unter umständen gefährlich sein. Man muss die Mitteilung als Ganzes sehr genau lesen. Deshalb lautet unsere Forderung: Wir brauchen eine neue Definition der Lawinenwarn- Documento generato da EURAC press il 15/03/2016 alle 09:16:35 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) stufen. Die Idee dazu hatte mein Kollege Rudi Mair aus Innsbruck. Jetzt müssen die Kommissionen dazu befragt werden. Was sollte verändert werden? Das muss man sich genau überlegen. Die Lawinenwarnstufen 2 und 3 sind derzeit zu verführerisch. Die Wahrscheinlichkeit einer Lawine steigt zwar mit der Skala. Was aber derzeit nicht berücksichtigt wird, sind die Folgen für den Tourengeher bei einer geringeren Warnstufe, die im Falle einer Lawine gravierende Auswirkungen haben kann. Wie geht man mit der großen Masse an Skitourengeher um? Jeder Mensch hat die Freiheit in die Berge zu gehen. Tourengehen ist ein gesunder Sport, aber die Hermann Brugger: „Immer steiler und höher“ Gefahr einer tödlichen Verletzung ist gegeben. Was sicherlich zutrifft: Nur wenige Tage nach einem Schneefall sind sehr viele Menschen unterwegs, die mitunter hohe Touren gehen. Der Trend geht in die Richtung: immer steiler und höher. Die Leute sind gut trainiert, auch durch das Pistengehen. Die durchschnittliche Anzahl der Opfer ist in den vergangenen Jahren aber nicht gestiegen. Man muss vorsichtig sein: Viele Tourengeher ist nicht mit vielen Lawinentoten gleichzusetzen. Interview: Silke Hinterwaldner Pagina 1/1
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