Wer bezahlt die Kosten einer Rettung?

Donnerstag, 17. März 2016 / Nr. 64
Zentralschweiz
Neue Zuger Zeitung
25
Lawinen: Nicht alle Geretteten zahlen
ENGELBERG Wer bezahlt die
Rettungskosten bei Lawinenniedergängen? Das Inkassorisiko liegt bei der Rega. Sie hat
bei Ausländern zunehmend
Mühe, das Geld einzutreiben.
CHRISTOPH RIEBLI
[email protected]
Wer weiss, was ein «Schweden-Taxi»
ist? Der Gag ist ein alter, schon vor
Jahren wurden die skandinavischen
Freerider damit an der Brunnifasnacht
gehänselt. Gemeint sind die oft ortsunkundigen oder aber besonders risikofreudigen Tiefschneefahrer, die Schneebretter und Lawinen auslösen und damit
unweigerlich verbunden auch Rettungsflüge, um wieder sicher ins Tal zu
kommen. Diese touristische Klientel
prägte den fasnächtlichen Begriff.
Besonders aktuell ist die Thematik
mit dem Neuschnee der letzten Wochen, der «erheblichen» Lawinengefahr:
Am Laub in Engelberg war es jüngst
ein Norweger, der eine Lawine auslöste und die Rettungskette auf Trab
hielt. Im Einsatz standen vier Helikopter, 20 Helfer der Alpinen Rettung
Schweiz (ARS) sowie drei Lawinenhundeteams. Nur einige Tage zuvor war
es ein Schwede, der bei Trüebsee/
Schlächtismatt von einer Lawine verschüttet wurde. Im Einsatz standen drei
Helikopter, ein Dutzend ARS-Retter
sowie Lawinenhunde. Die Begleiter
haben den Leichtverletzten in Windeseile ausgegraben, einer der beiden
Skandinavier konnte sich gar selbst aus
den Schneemassen befreien. Die offiziellen Retter suchten danach die Lawinenkegel mehrere Stunden ab, um
weitere Verschüttete ausschliessen zu
können.
Heli kostet 89 Franken pro Minute
«Das gibt eine teure Rechnung», sagt
Marco Niederberger, Leiter der Verkehrsund Sicherheitspolizei Obwalden, zum
Laub-Einsatz. Gemeint ist nicht die
Polizei-Rechnung für die Tatbestandsaufnahme der Spezialisten der alpinen
Einsatzgruppe. Einige hundert Franken
würden dafür verrechnet, schätzt Niederberger über den Daumen.
Teurer sind die Rettungskosten. Genau
beziffern kann die Rettungsflugwacht
diese nicht. «Eine Helikopter-Flugminute kostet 89 Franken. Dazu kommen die
Kosten für die alpinen Retter sowie für
allenfalls zusätzlich aufgebotene kommerzielle Helikopter, die für den Trans-
Ein Lawinensuchhund sucht zusammen mit dem Hundeführer nach Verschütteten.
Getty
port der Retter und Material benötigt
werden», erklärt Rega-Sprecher Philipp
Keller auf Anfrage. Das «Inkassorisiko»
liege dabei ganz bei der Rega.
Zurück zum Laub-Einsatz: Rechnet
man schon nur die Flugminuten der vier
Helikopter mit An- und Rückflügen hoch,
dürften es somit mindestens 10 000 Franken sein, wohl aber eher das Doppelte
oder noch mehr als Gesamtpaket.
Erste Minuten entscheidend
Ist das Aufgebot mit vier Helikoptern
nicht etwas übertrieben? «Bei einem
Lawineneinsatz zählt jede Minute, da
die Überlebenschancen von Verschütteten bereits nach kurzer Zeit rapide
sinken», sagt Philipp Keller. Darum
biete die Rega in jedem Fall sofort die
notwendigen Mittel auf.
Laut Statistik der Rega verzeichnete
sie in den letzten 15 Jahren zwischen
16 (2014) und 77 (2010) Lawinenunfälle pro Jahr. «Im Verhältnis zu den
jährlich 10 000 Helikopter-Einsätzen der
Rega also ein verschwindend kleiner
Anteil», relativiert Keller.
Die Kosten bleiben aber. Wer bezahlt
die? «Grundsätzlich bezahlen diejenigen
Personen, respektive deren Versicherungen, die effektiv gerettet wurden», führt
Philipp Keller aus.
Doch: «Ging die Lawine über eine
Skipiste, bezahlt oft der Betreiber der
Bahnen. Bei verschütteten Strassen die
betroffene Gemeinde oder der Kanton.
In vielen anderen Fällen bezahlt niemand und die Rega muss diese Kosten
abschreiben.»
Wie hoch diese Abschreibungen jährlich sind, weist die Rega nicht aus. Auf
Nachfrage sagt Keller: «In den letzten
Jahren haben die Schwierigkeiten mit
zahlungsunwilligen ausländischen Patienten tendenziell zugenommen.» Im
Ausland arbeite die Rega deshalb mit
«spezialisierten Dienstleistungsunternehmen» zusammen. Und wie hoch ist
der Anteil dieser säumigen Zahler? Auf
wiederholte schriftliche Nachfrage heisst
es nur: «Die Rega kann diese Zahl nicht
ausweisen.»
Retter, nicht Richter
Wie sehen es die alpinen Retter
selbst? Sie müssen schliesslich den
eigenen Skitag bei besten Verhältnissen
abbrechen, um Freerider zu retten, die
das Risiko neben der Piste oftmals
bewusst suchen? Retter seien keine
Richter, sagt Hans von Rotz, der als
ARS-Rettungschef in Engelberg an sämtlichen Einsätzen beteiligt war. «Meinen
Rettern geht es ums Helfen.» Zudem
sei das Engagement bei der ARS freiwillig, mit einer «kleinen» Entschädigung kompensiert. «Wenn meine Leute
in der Nähe sind, kommen sie auch. Es
kommt oft vor, dass wir alles Stehen
und Liegen lassen müssen.» Über solche
Einsätze beschwert, habe sich bei ihm
noch niemand.
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Unfall neben der Piste:
Das sind die Konsequenzen
LAWINEN cri. Rund 150 000 Menschen
sind gemäss der Suva jährlich abseits
der gesicherten Pisten unterwegs. Über
200 Personen sind in der Schweiz in
den vergangenen zehn Jahren von einer
Lawine erfasst worden. Pro Jahr gibt es
dabei im Schnitt 25 tödliche Unfälle,
schreibt der grösste Schweizer Unfallversicherer im Internet.
Fallbeispiel Steinberg
Glimpflich endete das Abenteuer
abseits der markierten Pisten Anfang
Februar für vier Schweizer. Sie lösten
am Steinberg im Titlis-Gebiet eine
Lawine aus. Einer von ihnen musste
daraufhin leicht verletzt ins Spital geflogen werden. Das sind die möglichen
weiteren Konsequenzen:
" Strafrecht: «Wer eine Lawine auslöst
und andere Personen gefährdet, wird
an die Staatsanwaltschaft verzeigt»,
erklärt Marco Niederberger, Leiter der
Verkehrs- und Sicherheitspolizei Obwalden. Diesen Sachverhalt abzuklären, sei Aufgabe der Polizei. Unterschieden wird dabei nach «Fremd- und
Selbstgefährdung», konkretisiert der
Nidwaldner Staatsanwalt Alexandre
Vonwil. Im konkreten Fall gehe man
von Selbstgefährdung aus, was strafrechtlich belanglos sei.
" Zivilrecht: Egal, ob der Verursacher
einer Lawine «nur» sich oder auch
andere gefährdet, zivilrechtliche Folgen sind in beiden Fällen möglich.
«Die ganze Suchaktion kann ihm in
Rechnung gestellt werden», sagt Marco Niederberger. Allenfalls kann es
auch um Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen Gefährdeter gehen.
Versicherer kürzen Leistungen
Doch wer bezahlt am Schluss die
Rettungskosten? «Gemäss Unfallversicherungsgesetz übernimmt der Versicherer diese Kosten», sagt Anwalt Beat
Frischkopf, Haftpflicht- und Versicherungsspezialist aus Sursee. Eine Unfallversicherung sei für jeden Berufstätigen
in der Schweiz obligatorisch. Doch
Vorsicht: Skifahren ausserhalb markierter Pisten gilt aus Sicht der Versicherungen als «Wagnis», so die Suva. Wer
eine Pistenabschrankung absichtlich
missachtet und verunfallt, müsse mit
gekürzten Versicherungsleistungen
rechnen. In besonders schweren Fällen
werden Leistungen gar verweigert. Davon ausgenommen seien Kosten für die
Rettung, Behandlung oder Transporte.
Und eine Hausfrau oder ein Student,
die nicht automatisch unfallversichert
sind? «Bei Unfällen in der Schweiz
übernehmen hier die Krankenversicherer 50 Prozent, höchstens aber
5000 Franken der Rettungskosten jährlich», erklärt Frischkopf. Optional gebe
es auch Zusatzversicherungen für
Such- und Rettungskosten. Und zur
Haftung für andere Verschüttete: «Bei
grober Fahrlässigkeit muss der Verursacher unter Umständen einen hohen Teil der Kosten selber tragen.»
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