Im Kampf für den Genossen Öcalan Sie stammen aus Deutschland und ziehen nach Syrien oder in den Irak – in die Reihen der kurdischen Arbeiterpartei. Eine Recherche unter Antiterrorkriegern Reportage SEITE 8, 9 AUSGABE BERLIN | NR. 10967 | 10. WOCHE | 38. JAHRGANG SONNABEND/SONNTAG, 12./13. MÄRZ 2016 | WWW.TAZ.DE € 3,50 AUSLAND | € 3,20 DEUTSCHLAND HO N DU RAS I don’t like Sundays POLITIK Die Wahlen am Sonntag werden eine große Abstimmung über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Wird sie der Angst in der Bevölkerung nachgeben? Es ist ein bestimmter Kompass, der Angela Merkel das verbietet Der Tod einer Umweltschützerin Die Hinweise verdichten sich: Es war Auftragsmord. Berta Cáceres war die berühmteste UmweltAktivistin von Honduras. Den Kampf ihrer Bewegung gegen einen Megastaudamm hält ihr Tod nicht auf SEITE 3 GESELLSCHAFT SEITE 17–20 APRIL 2016 oder TAZ. 2.Fremde L AB 2. Freunde oder A PR I L 2016 Die Lust nz ferean if D r e d n a t s u L ie D der Differenz Die Sendung Shababtalk erreicht Millionen arabische Jugendliche. Moderator Jaafar Abdul Karim lebt in Berlin. Ein Treffen SEITE 32 taz.berlin INTERVIEW Jakob Schoen ist 19. Deshalb kauft er ein Schiff und rettet Flüchtlinge SEITE 46, 47 ANZEIGE Flüchtlinge in Idomeni Verfluchtes Europa! Wo bleibt Europa? Brennholz, Strom, Hilfe im Handgemenge. Stichwort: Migration www.medico.de/ Spenden Fotos: Stefan Boness/Ipon; laif (oben) 60610 4 190254 803208 TAZ MUSS SEIN Die tageszeitung wird ermöglicht durch 15.701 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. 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Im Kurdengebiet werden sie gefeiert Seite 8, 9 Argumente Leitartikel So gering die Begeisterung über den Merkel-Deal mit der Türkei ist: Gerade die Linke sollte sich nicht in Fundamentalopposition ergehen Seite 10 Kultur Interview Schorsch Kamerun über Schuld und Selbstentgrenzung. Ein Gespräch Seite 12 Buch Herbert Marcuse, die Frankfurter Schule und der amerikanische Geheimdienst Seite 15 Gesellschaft Titel Was treibt die Kanzlerin an? Angela Merkel regiert für die Deutschland AG Seite 17–20 Musik Drei Syrer flüchten nach Berlin. Auf ihrem Weg spielen sie groß auf. Und planen die Rückwärtstour Seite 22, 23 Drogen Marek war abhängig von Crystal Meth. Seine Entwicklung hat er fotografiert Seite 24, 25 Sachkunde Nachschlagen Universallexika sind am Aussterben. Dafür drängen Nischen-Enzyklopädien auf den Markt Seite 28,29 Medien Superhelden „Daredevil“ oder „Jessica Jones“: Marvel entdeckt die Erwachsenen Seite 33 Reise Mongolei Plastik in der Taiga. Wie Tourismus und Klimawandel das Land verändern Seite 34, 35 Leibesübungen Tennis Melbourne war der erste Streich. Kann Angelique Kerber in Indian Wells an den Erfolg anknüpfen? Seite 38 LESERBRIEFE SEITE 27 TAZ.LAB SEITE 30 AUS DER TAZ SEITE 31 TV-PROGRAMM SEITE 32 DIE WAHRHEIT SEITE 40 Polsterhüte zum 5. Jahrestag LEKTIONEN 5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben 1. Nordkorea fährt Mercedes Mit den ganzen Sanktionen gegen Atom-Diktator Kim Jong Un hat die UN-Verwaltung einen Bericht produziert zur Wirksamkeit der Sanktionen. Fazit: Die werden umgangen, etwa über chinesische Banken in Singapur. Nebenfazit: Vier Mercedes-Limousinen S 600 wurden an Nordkorea geliefert, über die USA. Dort wurden sie gepanzert wie eine Präsidentenlimousine. Dann übernahm eine chinesische Spedition. China blockiert E s wärmt Hillary Clinton sicher das Herz, dass die Demokraten in Texas sie gut finden. Und die in Alabama. Und die in Mississippi. Das Problem besteht darin, dass all diese Sympathien ihr bei den US-Präsidentschaftswahlen wenig nützen werden. Erfolge feiert die Favoritin der Demokratischen Partei derzeit vor allem in Staaten, die wegen des Mehrheitswahlrechts sowieso an die rivalisierenden Republikaner gehen werden. In den traditionell demokratischen Staaten ist ihr Konkurrent Bernie Sanders überraschend erfolgreich, und in den besonders wichtigen „Swing States“, in denen mal die Demokraten und mal die Republikaner gewinnen, ist das Rennen zwischen Clinton und Sanders ziemlich offen. Soll heißen: Ja, nach wie vor ist Sanders ein Außenseiter. Aber chancenlos ist er nicht. Das politische US-Magazin Current Affairs vertritt sogar die These: „Wenn die Demokraten sich nicht für Sanders entscheiden, wird eine Trump-Nominierung auch eine Trump-Präsidentschaft bedeuten.“ Die Kinder dieser Grundschule in Tokio üben für den Ernstfall. Am 11. März räumen sie ihre Schule für den jährlichen Katastrophendrill, die Köpfe mit Polstermützen gegen eventuell herabfallende Trümmer geschützt. Genau fünf Jahre vorher hatte das Tohoku-Seebeben einen Tsunami von maximal 38 Meter Höhe ausgelöst, über 18.000 Menschen starben. Drei AKWs in Fukushima Daiichi explodierten. Foto: Issei Kato/reuters die Veröffentlichung des Reports, die USA haben darin die Panzerungsfirmen geschwärzt, meldet die russische Website Sputnik. Das ist Globalisierung. 2. Die Deutsche Bahn zahlt obenrum anständig Die Rheinische Post konnte schon mal den kommenden Geschäftsbericht der bundes eigenen Deutsche Bahn AG einsehen. Da gibt es im Vorstand einen prominenten Neuzu gang, Ex-CDU-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (Das ist der mit „NSU-Spionageaffäre vom Tisch“). Er ist Vorstand für Recht und Regulierung, künftig auch für Sicherheit. Laut Geschäftsbericht liegt sein Jahresgehalt bei 679.000 Euro, dazu kommen noch etwa 100.000 Euro Boni und Rentenrückstellungen. Als Bundesminister lag das Grundgehalt bei knapp 170.000 Euro. 3. Der deutsche Atommüll kommt untenrum weg Die Endlager-Kommission stellt ab dem 21. März unter www.endlagerbericht.de ihren Abschlussbericht zur Diskussion. Dann ist Bürgerbeteiligung angesagt, im Juli kommt die Endfassung. Klar ist schon: Der Müll kommt in ein Bergwerk, die Lagerung überirdisch, im Meer oder im Eis wird verworfen. 4. Verhütet wird wie nie zuvor 2015 haben 64 Prozent der verheirateten oder liierten Frauen weltweit Verhütungsmittel benutzt. 1970 lag diese Rate bei 36 Prozent, so ein Bericht der Undesa, der UN-Abteilung für Wirtschaft und Soziales. Aber immer noch wünschen 225 Millionen Frauen Zugang zu Familienplanung, haben aber keinen. Ein Kind pro Familie weniger bedeute im Jahr 2030 eine Mil liarde Menschen weniger. 5. Die Verteidigungsministerin bleibt – auch Frau Doktor Ursula von der Leyen behält ihren Doktortitel und damit ihr Ministeramt. Die Medizinische Hochschule Hannover hatte am Mittwoch nach monatelanger Prüfung zwar 32 Plagiate in der 62-seitigen Dissertation festgestellt, geht aber nicht von einer Täuschungsabsicht aus. Die Website VroniPlag Wiki hingegen hält den Fall für schwerwiegender als den der zurückgetretenen Bildungsministerin Annette Schavan. REINER METZGER Das Zitat „Die Zinsen werden für eine sehr lange Zeit niedrig bleiben“ MARIO DRAGHI, 68, PRÄSIDENT DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK, ALS ER AM DONNERSTAG DEN HISTORISCHEN EURO-TIEFSTZINS VON NULL PROZENT VERKÜNDETE Foto: dpa MACHT Golden Boy? DER WAH LKAMPF I N DEN USA BLEI BT SPAN N EN D. UN D BERN I E SAN DERS IST KEI N ESWEGS CHANCEN LOS Umfragen bestätigen das. Fast überall, wo es überhaupt darauf ankommt, werden Sanders bessere Chancen gegen Donald Trump eingeräumt als Clinton. Im Artikel von Current Affairs heißt es: „Die Entscheidung, Clinton gegen Trump antreten zu lassen, ist von einem ausschließlich pragmatischen Standpunkt aus verheerend und selbstmörderisch.“ Warum? Weil die Schwächen von Hillary Clinton ihrem Gegner Donald Trump in die Hände spielten. Trump werde gern persönlich, und Clinton biete im Hinblick auf Hinblick auf Filz, Heuchelei und Glaubwürdigkeitsproblemen breite Angriffsflächen. Im Unterschied zu Sanders. Mag sein, dass diese Analyse zu kurz greift. Noch immer spricht ja vieles dafür, dass Hillary Clinton die nächste Präsidentschaftskandidatin der USDemokraten wird. Der bisherige Vorwahlkampf hat aber auch BETTINA GAUS IST POLITISCHE KORRESPONDENTIN DER TAZ deutlich gemacht: Begeisterung löst Clinton nur selten aus. Sie erweckt keine Neugierde mehr, allzu lange hat man sie schon in allzu vielen Rollen gesehen. Sie gehört nicht zum Establishment – sie ist das Establishment. Für Bernard Sanders gilt das nicht. Der 74-Jährige kann jahrzehntelange Erfahrung in kommunalen Ämtern und als Mitglied des US-Kongresses vorweisen. Aber er hat konsequent so viele unpopuläre Positio- nen vertreten – die in Europa zum unspektakulären, mittleren Spektrum der Sozialdemokratie gehören würden, aber die USA sind nun einmal nicht Europa –, dass er nie an den Tisch der wirklich Mächtigen gebeten wurde. Auch und gerade wegen dieser Standfestigkeit mag, nein: liebt ihn ein großer Teil der jüngeren Generation. Wäre das in Deutschland vorstellbar? Schwerlich. Sein Alter allein wäre Grund genug, ihn nicht als Hoffnungsträger sehen zu können. Es ist einer der größten kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland – und einer der am seltensten erwähnten: Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, die den Jugendwahn erfunden zu haben scheinen, gibt es im Hinblick auf politische Ämter und Mandate keine Altersdiskriminierung. Das hat sich schon während des Wahlkampfs zwischen Barack Obama und dem damals 72-jährigen John McCain gezeigt. Was auch immer gegen den republikanischen Kandidaten vorgebracht wurde: Sein Alter spielte schlicht keine Rolle. Dasselbe gilt jetzt für Bernie Sanders. Vielleicht liegt es daran, dass die Alten in den Vereinigten Staaten viel besser in die Gesamtgesellschaft integriert sind als bei uns – übrigens nicht immer aus erfreulichen Gründen. Viel mehr Rentner sind dort gezwungen, bis ins hohe Alter einen Job auszuüben, wenn sie nicht unter der Brücke landen wollen. Andere, die Glücklicheren, sind mobiler als „unsere“ Alten: Sie reisen häufiger, ziehen öfter um, erleben mehr. Rentner, die nur noch sehnsüchtig auf Besuch warten, um dem dann endlich von besseren, von vergangenen Zeiten und den eigenen Krankheiten zu erzählen, scheint es in den USA seltener zu geben als bei uns. Gut für Bernie Sanders. Er ist noch nicht abgeschrieben – in keiner Hinsicht. Es bleibt spannend. Die Drei SON NABEN D/SON NTAG, 12. / 13. MÄRZ 2016 TAZ.AM WOCH EN EN DE 03 „Immer lebendig“, sprüht eine Frau in Tegucigalpa, der Hauptstadt Honduras‘, unter das Bild von Berta Cáceres Foto: Fernando Antonio/ap Die Mörder waren gut informiert VON RALF LEONHARD D ie Beerdigung von Berta Cáceres war wie eine Demonstration. Tausende folgten vergangene Woche im honduranischen Städtchen La Esperanza ihrem weißen Sarg. Es war Mittag und drückend heiß unter den Wolken. Angehörige der Volksgruppe Garífuna tanzten zu Rasseln und Trommeln. Immer wieder rief die Menge im Chor: „Gerechtigkeit!” Während die USA ihren Botschafter und die Europäische Union einen Repräsentanten schickte, blieben honduranische Regierungsvertreter dem Ereignis fern. Berta Cáceres war eine Ikone der Umweltbewegung in Honduras, sie hat Proteste gegen ein Staudammprojekt organisiert. Vergangene Woche wurde sie ermordet. Ihre Tochter macht nun die zuständige Baufirma für den Mord verantwortlich. Sie glaubt, der Konzern habe Auftragskiller losgeschickt, um ihre Mutter zu töten. Wer auch immer es war – es ist unwahrscheinlich, dass man Cáceres’ Mörder finden wird. Die Menschenrechtsorganisation Global Witness hat in einer Studie erhoben, wie viele Umweltaktivisten zwischen 2002 und 2014 weltweit ermordet wurden. In Honduras zählen sie allein zwischen 2010 und 2014 101 getötete Aktivisten. Inzwischen sind noch einige dazugekommen. Gemessen an der Einwohnerzahl ist das die höchste Rate weltweit. Keiner dieser Morde wurde bisher aufgeklärt. Inzwischen wurde mehr über die Hintergründe der Tat bekannt: Die Mörder waren offenbar gut informiert. Kurz bevor sie in den frühen Morgenstunden des 3. März in das Haus von Berta Cáceres eindrangen, waren deren Kinder abgereist. Olivia, Bertha, Laura und Salvador Cáceres studieren in Mexiko und Argentinien. Sie hatten die Berta Cáceres hat in Honduras gegen ein Staudammprojekt gekämpft und wurde ermordet. Dass die Täter gefasst werden, ist unwahrscheinlich AKTIVISTIN Siemens und der Staudamm ■■Die Lage: Am Staudamm Agua Zarca sind auch deutsche Firmen beteiligt. Voith Hydro, ein Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und Voith, liefert dem honduranischen Energiekonzern Desa für den Staudamm drei Turbinen, Generatoren, Schutzventile und Schaltanlagen. Die Unternehmen sind an der Montage beteiligt und stellen nach Informationen des Fachmagazins Hydro Review Supervisoren. ■■Die Kritik: Der Dachverband „Kritische Aktionäre“ wies Siemens schon 2014 darauf hin, dass bei dem Staudammprojekt Menschenrechte missachtet werden. Im Januar machten Nichtregierungsorganisationen Siemens erneut darauf aufmerksam, dass Gegner*innen des Projekts bedroht und angegriffen werden. In einer Stellungnahme gegenüber der Organisation Oxfam zeigte sich Siemens jetzt „bestürzt über den Tod“ von Cáceres. (ifa) Semesterferien bei ihrer Mutter verbracht. Die Mörder wussten offenbar auch, dass die Polizisten, die der Staat auf Anordnung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zum Schutz der Aktivistin abstellen musste, nicht vor Ort waren. Sie seien nicht über den Aufenthalt ihrer Schutzbefohlenen informiert worden, gab der Innenminister am nächsten Tag bekannt. Was die Täter vermutlich nicht wussten, war, dass Berta Cáceres in der Nacht nicht allein war. Der mexikanische Umweltaktivist Gustavo Castro Soto hatte an einem Forum gegen Kraftwerksbauten teilgenommen. Die beiden hatten bei Cáceres’ Mutter zu Abend gegessen und sich anschließend in Cáceres’ Haus schlafen gelegt. Über ihn, den Gast, seien die beiden Täter überrascht gewesen, erzählte Gustavo Castro Soto später. Ein Schuss verletzte ihn am Kopf. Da die Wunde stark blutete, vermutet er, dass die Männer ihn für tot gehalten haben. Die Polizei handelte rasch: Binnen weniger Stunden nahm sie Aureliano Molina Villanueva fest, ein Führungsmitglied der indigenen Organisation Copinh. Die Organisation gibt an, dass sich Villanueva zur Tatzeit in San Francisco de Lempira befunden habe, einem Ort, der zwei Stunden entfernt liegt. Die Behörden glauben, dass der Mord an der Aktivistin eine interne Abrechnung war. Die Organisation Copinh vermutet dagegen, dass der honduranische Energiekonzern Desa die Aktivistin aus dem Weg schaffen wollte. Am Morgen vor dem Mord haben Anwohner in La Esperanza ein Fahrzeug mit bewaffnetem Sicherheitspersonal des Energiekonzerns beobachtet. Diese Männer haben Berta Cáceres immer wieder bedroht. Die Polizei soll gesagt haben, dass sie nicht für ihre Sicherheit ga- rantieren könne. So steht es in einer Pressemitteilung der Organisation Copinh. Der mexikanische Aktivist Gustavo Castro Soto, der in der Mordnacht bei Berta Cáceres war, berichtet, dass ihm die Polizisten während der stundenlangen Befragung immer wieder Fotos gezeigt haben, auf denen Demonstranten von Copinh zu sehen waren. Er sollte die Mörder identifizieren. Er sei wie ein Verdächtiger und nicht wie ein Zeuge behandelt worden, sagte Castro Soto. Die Hüter der Flüsse Berta Cáceres war trotz der auf ihr lastenden Drohungen immer fröhlich. Man sah ihr die 43 Jahre und die vier erwachsenen Kinder nicht an. Sie wirkte zart, fast wie ein Mädchen. Die Aktivistin vom indigenen Volk der Lenca war 1993 an der Gründung von Copinh beteiligt. In diesem Dachverband sind die wichtigsten Indigenenvertretungen organisiert. International bekannt wurde Berta Cáceres durch ihr Engagement für die Umwelt. Projekte großer Konzerne zerstören den Lebensraum der Indigenen oft. Der Staudamm Agua Zarca, der am Río Gualcarque entstehen soll, bedroht die Lenca-Gemeinde La Tejera, die in unmittelbarer Nähe zur Baustelle liegt. Die Felder, auf denen Bananen, Maniok und Gemüse angebaut werden, liegen am Flussufer. Der Fluss dient zur Bewässerung, zum Fischfang und zum Baden. Außerdem hat er für die Lenca spirituelle Bedeutung. Für den Staudamm des Energiekonzerns Desa wurde der Río Gualcarque und seine Nebenflüsse für die Dauer von zwanzig Jahren privatisiert. „In unseren Weltanschauungen sind wir Wesen, die aus der Erde, dem Wasser und dem Mais entstanden sind“, sagte Berta Cáceres, als sie am 20. Ap- ril 2015 in San Francisco den renommierten Goldman-Preis für ihr Engagement gegen Umweltzerstörung entgegennahm. „Als Lenca sind wir seit Generationen Hüter der Flüsse.“ Die indianische Kultur, das ist die Maya-Ruinenstadt Copán. So lernte es Berta Cáceres noch in der Schule. „Es hieß, die Indigenen heute hätten keine Kultur, keine Spiritualität. Einem Indio darf man nicht über den Weg trauen“, sagte sie bei einem Treffen vor vier Jahren, als sie Wien besuchte. Die traditionelle Medizin und die Bepflanzung der Felder, die die Lenca über Generationen gepflegt hatten, seien verdrängt worden, erzählt sie. Zeremonien und der Gebrauch der Sprache waren lange Zeit verboten. Deshalb hat sie sich dafür eingesetzt, dass die Indigenen sich organisieren. „Die Spiritualität ist wieder da“, sagte Berta Cáceres damals. Der Kampf für die Rechte der Indigenen hat Berta Cáceres immer wieder Ärger mit der honduranischen Regierung eingebracht. 2013 blockierte die Or ga nisation Copinh die Zufahrtsstraße zur Baustelle von Agua Zarca. Berta Cáceres und zwei weitere Aktivisten, Tomás García und Aureliano Molina Villanueva, wurden festgenommen und des illegalen Waffenbesitzes beschuldigt. Der Konzern Desa wollte die drei außerdem für Schäden in Höhe von 2,4 Millionen Euro verantwortlich machen, die durch die Blockade entstanden sein sollen. Schließlich musste die Staatsanwaltschaft mangels Beweisen das Verfahren einstellen. Tomás García wurde wenig später vom Militär aus nächster Nähe erschossen, als er eine Demonstration gegen den Staudamm anführte. Die Justiz hakte das Verbrechen schnell als Fall von Notwehr ab. Seit dem Putsch von 2009 steht die Umweltbewegung in Honduras unter verstärktem Druck. Der linksliberale Präsident Manuel Zelaya war damals von Militärs nach Costa Rica verfrachtet worden. Die Macht übernahm die alteingesessene Oligarchie. Zu den ersten Taten der Putschisten zählte die Genehmigung von 47 Projekten, die auf Eis lagen, darunter der Staudamm Agua Zarca. Formal ist Honduras inzwischen zur Demokratie zurückgekehrt. Doch der 2013 gewählte Präsident Juan Orlando Hernández setzt die Politik der Putschisten fort. Staat und Privatwirtschaft sind in Honduras eng verflochten. Der Chef des Energiekonzerns Desa, David Castillo, war drei Jahre lang Assistent des honduranischen Militärgeheimdienstes, bevor er zum technischen Direktor der staatlichen Energieagentur Enee ernannt wurde. 2010 wechselte er zu Desa. Nachdem der Aktivist Tomás García erschossen worden war, zog sich der chinesische Investor Sinohydro aus dem Staudammprojekt zurück. Der Konzern Desa musste den Bau auch wegen der anhaltenden Straßenblockade unterbrechen. Im Oktober 2015 wurden die Arbeiten einige Kilometer entfernt wiederaufgenommen. Ein Großgrundbesitzer ermöglicht dort den Zugang zum Fluss. Der Staudamm soll nicht mehr auf dem Gebiet der indi genen Gemeinde entstehen, aber die Umleitung des Flusses würde das Leben dort genauso unmöglich machen. Copinh appelliert deshalb an mehrere transnationale Konzerne – darunter Siemens –, ihre Beteiligung am Projekt einzustellen. Auch Berta Cáceres hatte sich das immer wieder gewünscht. ■■Ralf Leonhard, 61, war von 1985 bis 1996 Korrespondent der taz in Zentralamerika. Seit 1996 ist er Korrespondent in Österreich
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