10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Leistungen im Alter (Schwerpunkt: Rentenalter) Prof. Dr. iur Thomas Gächter, vertreten druch MLaw Michael E. Meier Seite 1 Rechtswissenschaftliches Institut Zur Person • Abschluss Studium an der Universität Zürich 2014 • 2010–2014: RUEDLINGER & PARTNER, Lenzburg • Seit Oktober 2014 Assistent am LS Prof. Gächter • Schwerpunkt: Sozialversicherungsrecht & Verwaltungsrecht • [email protected] • LS Tel.: 044 634 31 04 Seite 2 1 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Übersicht I. II. III. IV. V. VI. Soziales Risiko «Alter» und Rentenalter Herausforderungen und Entwicklungen Anpassung des Rentenalters: Rechtsprobleme Flexibilisierung als Lösung? Die Vision von «Vorsorge 2020» Ausblick Seite 3 Rechtswissenschaftliches Institut Fragestellungen Warum besteht Diskussionsbedarf zum Rentenalter? Welche Rechtsprobleme bringen Veränderungen beim Rentenalter mit sich? Wäre eine vollständige Flexibilisierung die richtige Lösung? Wohin steuert das Reformvorhaben «Vorsorge 2020»? Seite 4 2 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut I. Soziales Risiko «Alter» und Rentenalter 1.9.2011 Seite 5 Rechtswissenschaftliches Institut Definition des sozialen Risikos «Alter» IAO-Konvention Nr. 102 (1952), 1977 von der Schweiz ratifiziert Teil V. Leistungen bei Alter Artikel 25 Jedes Mitglied, für das dieser Teil des Übereinkommens gilt, hat den geschützten Personen Leistungen bei Alter nach den Bestimmungen der folgenden Artikel dieses Teils zu gewährleisten. Artikel 26 1. Der gedeckte Fall hat im Überschreiten eines vorgeschriebenen Alters zu bestehen. 2. Das vorgeschriebene Alter darf 65 Jahre nicht übersteigen, jedoch kann von der zuständigen Stelle ein höheres Alter unter Berücksichtigung der Arbeitsfähigkeit betagter Personen in dem betreffenden Land festgesetzt werden. Seite 6 3 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Altersbild des AHV-Gesetzgebers Expertenkommission AHVG, 1945: „In vielen Fällen hört die Erwerbstätigkeit nicht von einem Tag auf den anderen auf, sondern nimmt während einer vielleicht Jahre dauernden Übergangsperiode entsprechend der Verminderung der Arbeitsfähigkeit langsam ab. Dies ist der Fall bei der grossen Masse der Arbeiter, bei denen die Arbeitsfähigkeit schon im 60. Altersjahr langsam abzubröckeln beginnt, bis sie in einem Beruf im 65. Altersjahr, in anderen Berufen später ganz aufhört.“ Alter = altersbedingte Arbeitsunfähigkeit Seite 7 Rechtswissenschaftliches Institut Rechtliche Bedeutung des Rentenalters Ordentlicher Anspruch auf Leistungen der Altersvorsorge (alle drei Säulen) Z.T. Beendigung von Arbeitsverhältnissen (v.a. im öff. Personalrecht) aufgrund des Erreichens der Altersschwelle. Umwandlung der IV-Renten in Altersrenten (1. und 2. Säule). Ende der Beitragspflicht/Leistungsberechtigung in der ALV. Seite 8 4 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut II. Herausforderungen und Entwicklungen 1.9.2011 Seite 9 Rechtswissenschaftliches Institut Zentrale Herausforderungen und Entwicklungen Steigende Lebenserwartung Verschlechterung des demografischen Verhältnisses Wandel des Verständnisses von «Ruhestand» («Dritte Lebensphase») Herausforderung Alterspflegebedürftigkeit («Vierte Lebensphase») Seite 10 5 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Anstieg der Rentenbezugsdauer (I) Quelle: BSV, AHV-Statistik 2012 Seite 11 Rechtswissenschaftliches Institut Anstieg der Rentenbezugsdauer (II) Durchschnittliche Lebenserwartung mit 65 Frauen: ca. 14 J. (1950), heute ca. 22 J. (+ 8 Jahre) Männer: ca. 12.5 J. (1950), heute ca. 18.5 J. (+ 6 Jahre) Seite 12 6 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut «Demografisches Verhältnis» Quelle: BSV, AHV-Statistik 2012 Seite 13 Rechtswissenschaftliches Institut Wandel der dritten Lebensphase Plakat des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) für die Einführung der AHV (1947) Rentnerin mit GA, 2014 Seite 14 7 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Rückwirkungen auf das Rentenalter? Stillschweigender Wandel des Risikos «Alter» zum versicherten «Ruhestand» Wandel von «Sie haben es nötig!» zu «Sie haben es verdient!» Solidarische Finanzierung arbeitsfähiger Menschen über 65: Langfristige Akzeptanz der Transferzahlungen bei knapper werdenden Mitteln? Kaum mehr Tendenzen zur Senkung des Rentenalters (Faktische) Erhöhung des Rentenalters oder Flexibilisierung? Seite 15 Rechtswissenschaftliches Institut Herausforderung «vierte Lebensphase» Gegenwärtig haben 65-Jährige mit 2-3 (Männer) bzw. 5-6 (Frauen) Lebensjahren mit Behinderung zu rechnen (Höpflinger e.a., 2010). Die altersbedingten Einschränkungen haben sich ins höhere Alter verschoben. Behandlungs- und Unterstützungskosten werden im Wesentlichen von der Krankenversicherung, der AHV (Hilflosenentschädigung), den Ergänzungsleistungen (v.a. bei Heimpflege) sowie von den Betroffenen getragen. Kumulation der Transferzahlungen zulasten der erwerbstätigen Bevölkerung. Seite 16 8 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut III. Anpassung des Rentenalters: Rechtsprobleme 1.9.2011 Seite 17 Rechtswissenschaftliches Institut Seite 18 9 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Seite 19 Rechtswissenschaftliches Institut Umlagefinanzierung der «Ersten Säule» Seite 20 10 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Juristische Argumente für die Anhebung des Rentenalters Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit der Beitragszahlenden. Transferleistungen ohne effektives Schutzziel (z.B. zugunsten leistungsfähiger älterer Menschen) könnten u.U. unverhältnismässig sein. Finanzpolitische Pflicht für ein ausgeglichenes Budget. Kein sicherer Anwartschaftsschutz bei zu hoher Beitragsbelastung (faktisch kein „return“ auf den Beiträgen). Seite 21 Rechtswissenschaftliches Institut Juristische Argumente gegen die Anhebung des Rentenalters in der AHV (I) Faktische Leistungskürzung (mehr Beitragsjahre für gleiche Leistung) „Richtwert“ 65 der IAO-Konventionen (+) Eigentumsgarantie? (+/-) Rückschrittsverbot gem. UNO-Pakt I (+) Seite 22 11 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Juristische Argumente gegen die Anhebung des Rentenalters in der AHV (II) Schutz wohlerworbener Rechte (-) Vertrauensschutz (-) Rechtssicherheit (+/-) Rechtsgleichheit / Diskriminierungsverbot (+/-) Verhältnismässigkeit (+/-) Fazit: Nur schwacher rechtlicher Schutz der Anwartschaften. Seite 23 Rechtswissenschaftliches Institut Kapitalgedeckte Altersfinanzierung («Zweite Säule») Seite 24 12 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Juristische Argumente in der «Zweiten Säule» Erhöhung des Rentenalters kann «neutral» eingeführt werden (v.a. bei Beitragsprimat). Hauptproblem: Anpassungen des Umwandlungssatzes. Schutz der Anwartschaft i.S. des Schutzes des individuellen Deckungskapitals. Aber: Nur sehr schwacher Schutz der reglementarisch geweckten Erwartungen. Seite 25 Rechtswissenschaftliches Institut Rahmenbedingungen für die Anhebung des Rentenalters Anwartschaftsschutz und genereller Dispositionsschutz für Versicherte (d.h. keine raschen Veränderungen). Hohes Interesse an Systemkontinuität (Akzeptanz bei Transferzahlern). Wahrung von Rechtsgleichheit, Diskriminierungsverbot und Verhältnismässigkeit. Auf der Grundlage eines überzeugenden und langfristig finanzierbaren Konzepts müssen einschneidende Neuerungen über Jahrzehnte hinweg eingeführt werden. Seite 26 13 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut IV. Flexibilisierung als Lösung? 1.9.2011 Seite 27 Rechtswissenschaftliches Institut Flexibilisierungsmöglichkeiten de lege lata 1. Säule Vorbezug ab 62 bzw. 63: 6.8% Kürzung pro vorbezogenes Jahr Aufschub bis 69 bzw. 70: Max. 31.5 % Zuschlag bei 5 Jahren 2. Säule Vorbezug ab 58: Tieferer Umwandlungssatz gemäss Reglement Aufschub bis 70: Höherer Umwandlungssatz, ev. höheres Kapital 3. Säule Vorbezug ab 59 bzw. 60 Aufschub bis 69 bzw. 70 Seite 28 14 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Sozialpolitische Problematik Vorbezug ist nur für Gutverdienende wirklich attraktiv. Bei weniger Bemittelten: Ausgleich der Vorbezugskürzung durch EL, d.h. noch stärkeres Abrücken vom Versicherungsgedanken. Weiterarbeit nach Rentenalter in der AHV beitragspflichtig, aber nicht rentenbildend. Gefahr des schleichenden Leistungsabbaus; mit Hinweis auf Weiterarbeitsmöglichkeit. Seite 29 Rechtswissenschaftliches Institut V. Die Vision von «Vorsorge 2020» 1.9.2011 Seite 30 15 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut Eckpunkte der Revision (mit Bezug auf das Rentenalter) Neu «Referenzalter» statt Rentenalter Rentenalter 65 für beide Geschlechter Verbesserungen für Teilzeitarbeitende in 2. Säule Frühpensionierung in der BV erst ab 62 Gleitende Pensionierung in flexiblen Schritten (62–70) Weiterarbeit nach Referenzalter mit rentenwirksamen Beiträgen (nicht nur Zuschläge) Abfederung bei Frühpensionierungen mit langer Erwerbsdauer und tiefem Einkommen (SR sagte Nein) Seite 31 Rechtswissenschaftliches Institut Würdigung Konstanten: Leistungsziele und Referenzalter. Ziel: Anhebung des faktischen Pensionierungsalters. Stärkere Belastung der Erwerbseinkommen (v.a. 2. Säule). Substantielle Zusatzfinanzierung durch 1% MWSt (0.3 % IV Finanzierung + 0.7% effektive Erhöhung). Politisch realistisch: Aber klarer Verzicht auf Anhebung des Rentenalters Seite 32 16 10.03.2016 Rechtswissenschaftliches Institut VI. Ausblick 1.9.2011 Seite 33 Rechtswissenschaftliches Institut Ausblick Flexibilisierung löst subjektive Probleme, nicht Systemprobleme. Zusatzfinanzierungen durch Steuern ändern den Charakter des Versicherungssystems. Vorsorge 2020: keine Lösung für die Ewigkeit. Bewusster Entscheid, dass Beibehaltung des Rentenalters eine schleichende Ausweitung der Rentenbezugsdauer bedeutet. Seite 34 17
© Copyright 2025 ExpyDoc