Abstract - Institut Alter

Gerontologie- Symposium Schweiz 2015
Die Geschichte der Stiftung «Für das Alter» im entstehenden Sozialstaat (19171967)
Dr. des. Matthias Ruoss, Historisches Institut, Universität Bern
[email protected]
Abstract
Obwohl die Schweiz von den Wirren des Ersten Weltkrieges weitgehend verschont blieb,
nahmen auch hierzulande die sozialen Probleme aufgrund der Teuerung und der steigenden
Nahrungsmittelpreise gewaltig zu. So konnten weite Kreise der Bevölkerung ihren
Lebensunterhalt nicht mehr selber bestreiten, sondern waren auf private Fürsorge oder
öffentliche Hilfe angewiesen. Besonders hart traf es die alten Menschen. In dieser
gesellschaftlichen Krisensituation gründeten zehn religiös-philanthropisch motivierte
Männer 1917 in Winterthur die Stiftung «Für das Alter». Die Stiftung ist damit die älteste
gemeinnützige Altershilfeorganisation in der Schweiz, die sich noch heute für die Anliegen
alter Menschen einsetzt. Während sie als professionalisierte Fach- und
Dienstleistungsorganisation gegenwärtig ein breites Sortiment an sozialen Diensten
anbietet, war es ihr ursprüngliches Ziel, sich als «Fürsprecherin des Alters»
propagandistisch für die Schaffung einer gesamtschweizerischen Altersversicherung
einzusetzen.
Die Studie erzählt die Geschichte dieser Stiftung. Dabei handelt es sich nicht um eine
Institutionengeschichte, sondern um eine breit angelegte Geschichte der sozialen
Wohlfahrt, die der Frage nachgeht, welche Rolle die Stiftung beim Aufbau des Sozialstaates
spielte und wie dieser ihre private Fürsorgearbeit prägte. Im Zentrum der Untersuchung
stehen sowohl die finanziellen, personellen und kognitiven Austausch- und
Kooperationsbeziehungen zwischen der Stiftung und dem Bund als auch die produktiven
Dynamiken, die sich aus der Konkurrenz der beiden Akteure ergaben. Die Studie fokussiert
dazu die Frühphase der Sozialstaatsentwicklung, die sich vom Ersten Weltkrieg über die
Einführung der AHV 1948 bis zu deren Ausbau in den 1960er-Jahren erstreckt.
In einem ersten Schritt werden die Profilschärfung und der institutionelle Aufbau der
Stiftung in der sozialpolitischen Umbruchphase nach dem Ersten Weltkrieg nachgezeichnet.
Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie die Stiftung ihre gemeinnützigen Ziele definierte
und mit welchen Mitteln sie diese zu erreichen versuchte. Besonderes Interesse gilt dem
sozialpolitischen Entscheid, die private Fürsorge als Übergangslösung bis zur Einführung
der AHV zu betreiben. Weiter wird gezeigt, wie die Stiftung seit Mitte der 1920er-Jahre von
Sozialpolitikern und Fürsorgeexperten immer mehr als sozialpolitische Akteurin
wahrgenommen wurde, die es finanziell zu fördern galt. Indem sich der Bund 1929
entschied, die Stiftung zu subventionieren, forcierte er die Sozialstaatsentwicklung «von
unten». Gleichzeitig institutionalisierte er mit diesem Entscheid eine Zusammenarbeit, die
noch heute ein Kernelement des staatlichen Altersvorsorgesystems ist. Schliesslich wird
dargelegt, wie sich die Stiftung nach der Einführung der AHV mithilfe der Gerontologie neu
orientierte und ihr Dienstleistungsangebot sukzessive ausbaute. Zu dieser Neuorientierung
gehörte auch, dass sie zu einer gefragten Expertin für Altersfragen avancierte, die
zunehmend politische Beratungsfunktionen übernahm.