SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, gab heute, 09.03.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: Griechische Flüchtlingslager. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marion Theis. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 09.03.2016 Ärzte ohne Grenzen: „Behörden in Griechenland sind oft nicht willens, zu helfen“ Baden-Baden: Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ wirft den griechischen Behörden vor, Flüchtlinge schlecht zu behandeln. In vielen Fällen seien die Behörden nicht willens, zu helfen, sagte der Geschäftsführer der deutschen Sektion, Florian Westphal, im SWR (Südwestrundfunk). Westphal gestand ein, dass es für Griechenland schwierig sei, die vielen Menschen zu versorgen. Deshalb müsse es weitere Unterstützung aus der EU geben. Der Geschäftsführer von „Ärzte ohne Grenzen“ beklagte, dass im Flüchtlingslager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze immer mehr Menschen krank würden. Obwohl seine Organisation viele Zelte herbeigeschafft habe, müssten immer noch hunderte Flüchtlinge in der Kälte schlafen. Westphal erinnerte die Verantwortlichen in den EU-Staaten daran, dass sie sich verpflichtet haben, internationales Flüchtlingsrecht anzuwenden. Dazu gehöre auch die Möglichkeit, dass Menschen in der EU Schutz suchen und Asyl beantragen könnten. Jetzt müssten legale und sichere Wege eröffnet werden, die das ermöglichen, forderte der Geschäftsführer. Westphal kritisierte den von der EU geplanten „Verschiebe-Deal“ von Flüchtlingen mit der Türkei. Da sei „eine ordentliche Portion Zynismus“ mit im Spiel. Diejenigen Politiker, die behaupteten, dass die Flüchtlinge in Griechenland aus materialistischen Motiven ihren Weg nach Europa machen würden, sollten sich einmal anschauen, wie sie zur Zeit in Griechenland lebten und anhören, was sie zu berichten hätten, verlangte Westphal. Wortlaut des Live-Gesprächs: Theis: Die Situation in Idomeni ist untragbar, sagen Ihre Mitarbeiter. Eine humanitäre Katastrophe. Können Sie beschreiben, wie es dort zugeht? Westphal: Also, die meisten Menschen in Idomeni, die etwa 14-tausend, die dort sind, warten ja nach wie vor. Sie hoffen natürlich darauf, irgendwie trotzdem noch über die Grenze zu kommen, obwohl das ja zunehmend unwahrscheinlich scheint. Wir konnten in den letzten Tagen dort zusätzliche Zelte aufstellen, damit die Menschen zumindest ein bisschen ein Dach über dem Kopf haben, aber trotzdem ist das noch nicht genug. Es schlafen immer noch hunderte Menschen in der Kälte, da die aktuelle Kapazität einfach nicht reicht. Wir sehen jetzt die unmittelbaren Folgen davon. Es werden immer mehr Menschen krank aufgrund der Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) hygienischen Bedingungen natürlich und dem sehr kalten Wetter. Da kommt es dann zu Atemwegsinfektionen und Magen-Darm-Grippen und ähnlichem. Theis: Die griechische Regierung will die Flüchtlinge an der Grenze dazu kriegen, dass sie in Unterkünfte in der Nähe ziehen, die ja vorhanden sind. Lassen die Menschen sich darauf ein? Westphal: Auf uns hat es nach wie vor den Anschein, dass die meisten natürlich darauf hoffen, dass es irgendwie weiter geht über die Grenze und durch Mazedonien durch. Da muss man schauen, wie sich das über die nächsten Tage entwickelt. Aber es wird sicherlich nicht leicht sein, auch für die griechischen Behörden, das Vertrauen dieser Menschen zu erlangen, denn bis jetzt sind sie ja auf ihrem Weg durch Griechenland oft auch nicht gerade besonders gut behandelt worden. Insofern würde da sicherlich eine ganze Menge Überzeugungsarbeit geleistet sein. Theis: Inwiefern sind sie nicht gut behandelt worden? Westphal: Auf einigen der griechischen Inseln war es ja schon so, dass so gut wie keine Vorkehrungen getroffen wurden, um überhaupt, auch zum Beispiel ganz grundlegende medizinische Versorgung sicher stellen zu können. Oder auch, dass Leute dazu gezwungen wurden, oft tagelang in irgendwelchen Registrierungsprozessen in Schlangen zu stehen, ohne überhaupt einmal zum Beispiel einen Schluck Wasser zu bekommen. Das war teilweise geschuldet natürlich der Tatsache, dass es in Griechenland ja selbst nicht besonders gut läuft, aber in vielen Fällen auch ein ganz klares Verhalten der Behörden, das bewusst darauf abzielte, dass eben verschiedene Hilfen nicht geleistet konnten. Theis: Also, die griechischen Behörden haben die Lage nicht im Griff, würden Sie sagen? Westphal: Ich glaube, das ist, wie gesagt, einerseits unheimlich schwierig für die griechischen Behörden, und ich glaube, das kann man den griechischen Behörden als Verantwortung auch nicht alleine überlassen. Da ist die EU mit allen Mitgliedsstaaten gefragt, aber in anderen Fällen, jetzt spezifisch auch auf einigen der griechischen Inseln, haben wir auch gesehen, dass die Behörden dort offensichtlich gar nicht willens waren, besonders zu helfen. Theis: Die Situation in Griechenland, in Idomeni, jetzt, die sei nicht vergleichbar mit der in Ungarn im Spätsommer, als Deutschland viele Flüchtlinge von dort aufgenommen hat. Das sagt SPD-Generalsekretärin Barley. Sehen Sie das auch so? Westphal: Ich habe auch das Gefühl, dass die Situation jetzt in Idomeni nochmal um einiges schlimmer ist. Es ist ja einfach die Tatsache auch, dass es viel kälter ist. Es ist, glaube ich, auch die Tatsache, die ganz wichtig ist, dass wir viel mehr Frauen und Kinder jetzt sehen, die in Griechenland ankommen. Also, in Idomeni sehen wir immer mehr Säuglinge, hochschwangere Frauen, auch Menschen mit körperlichen Behinderungen, chronisch Erkrankte. Das ist, glaube ich, auch anders als die Situation damals in Budapest. Natürlich ist es auch so, dass die Menschen ja zunehmend mitbekommen, dass ihre Zukunft immer ungewisser wird. Das trifft auf Menschen, die natürlich schon ihre eigenen Kriegserfahrungen mitbringen, die ja auch oft durch das, was sie bei sich zuhause gesehen haben, durchaus traumatisiert sind. Theis: Was würden Sie vorschlagen, was mit den Menschen passieren soll? Es will sie ja keiner haben. Westphal: Erst einmal ist es ja so, dass Europa und die Mitgliedsstaaten der EU ja sich selbst dazu verpflichtet haben, gängiges internationales Recht zu Flüchtlingen anzuwenden. Und dazu gehört auch die Möglichkeit, dass Menschen in der EU Schutz suchen können und dort auch Asyl beantragen können. Und das Wichtigste, was jetzt passieren muss, ist, dass endlich legale und sichere Wege eröffnet werden, die das ermöglichen. Leider sehen wir aber im Moment genau das Gegenteil. Europa geht es viel eher darum, die Grenzen zu schließen, den Zugang unmöglich zu machen, als um das eigentliche Wohlergehen dieser Menschen. Diese Menschen Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) sind aber eben Menschen und nicht irgendwelche Zahlen, die man auf eine Art Verschiebedeal zwischen der EU und Türkei hin und her schieben kann. Da ist schon eine gehörige Portion Zynismus mit am Werk. Theis: Der Zynismus ist da, aber was lässt sich dagegen tun? Die EU will mit der Türkei eine Vereinbarung treffen, Flüchtlinge, die über‘s Mittelmeer nach Griechenland kommen, werden zurückgeschickt, dafür dürfen andere aus türkischen Flüchtlingslagern kommen. Macht denn so ein Tauschhandel für Sie Sinn? Westphal: Erst einmal muss man natürlich sehen, wie das aussieht, aber auf den ersten Blick hat man den Anschein, dass es da natürlich überhaupt nicht um das eigentliche Schutzbedürfnis der Flüchtlinge, der Betroffenen geht. Die Flüchtlinge sind ja nur auf Schlepper angewiesen, weil es gar keine legale Art und Weise gibt, um in der EU Asyl zu beantragen. Und dafür wird man sie jetzt bestrafen, indem man sie zurückschickt - egal welchen Anspruch auf Schutz sie eigentlich haben sollten, egal wo sie herkommen - in die Türkei und dann im Gegenzug irgendwelche anderen Leute, die nach Europa umgesiedelt werden sollen. Die EU hat sich in den letzten Jahren, gerade, was die Umsiedlung von Syrien-Flüchtlingen zum Beispiel aus der Türkei angeht, wirklich nicht gerade hervorgetan und besonders angestrengt. Also, da gibt es eine Menge Fragezeichen und auch, ehrlich gesagt, eine Menge Zweifel, was diese Vereinbarung angeht. Theis: Sie und Ihre Leute, Sie arbeiten an der Front, Sie sitzen nicht trocken und satt im Büro. Welche Politiker würden Sie gerne einmal einladen, sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen? Westphal: Ich glaube, all die Politiker, die behaupten, dass diese Menschen aus irgendwelchen zynischen, rein materialistischen Motiven ihren Weg nach Europa machen würden, das wäre gut, wenn die sich mal anschauen, wie diese Menschen gezwungen werden, momentan zu leben und warum sie das tun und dann mit ihnen zu sprechen, um zu hören von den KonfliktErfahrungen, die sie eben aus Afghanistan, aus Syrien weggezwungen haben, auf diesen langen beschwerlichen Weg nach Europa. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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