Selbstverbrennungen und Solo-Proteste Kyichu

Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft
7. März 2016
Selbstverbrennungen und Solo-Proteste
Sowohl in Tibet wie auch im indischen Exil kam es zu einer Selbstverbrennung. Beide
Tibeter starben an ihren Verletzungen.
Am 29. Februar zündete sich vor einem Altersheim in Herbertpur in Nordindien der erst
15-jährige Dorjee Tsering an und starb einige Tage später im Spital. Er wurde unter
grosser Anteilnahme der Tibeter beigesetzt. Dorjee Tsering war Schüler an einer
tibetischen Schule in Mussoorie. In einer auf Video aufgezeichneten Stellungnahme
sagte er kurz nach Erreichen des Spitals: „Der Grund, warum ich mich wie eine
Butterlampe entzündete ist die Besetzung Tibets seit 1959, und ich dachte immer, ich
müsse etwas für Tibet machen. Gestern kam ich zum Entschluss, dass die
Selbstverbrennung die einzige Wahl ist, die ich hatte.“
In der Präfektur Kardze in Osttibet zündete sich ebenfalls am 29. Februar der 18-jährige
Mönch Kalsang Wangdu in der Nähe seines Klosters Retsokha Aryaling an, rief Parolen
für die tibetische Unabhängigkeit, und starb während des Transports in das Spital. Mit
ihm steigt die Zahl der Selbstverbrennungen in Tibet auf 145.
Direkt nach seinem Tod begannen die Behörden, seine Familienangehörigen zu
isolieren. Weder Bekannte noch Verwandte erhielten Zugang zur Familie, der
mittlerweile die sterblichen Überreste ausgehändigt wurden. Die Angehörigen wurden
unter Druck gesetzt, den Akt als Unfall zu deklarieren: sie sollten erzählen, er sei bei
einem Brand in seiner Unterkunft umgekommen.
Ebenfalls wurden zwei weitere Solo-Proteste bekannt, die in den letzten Monaten
zunehmend als Protestform anstelle der Serie der Selbstverbrennungen traten [vergl.
Tibet-Information vom 9. und 18. September 2015; UM].
Am 26. Februar lief der 41-jährige Jamyang Dorje entlang der Strasse zur
Bezirksverwaltung in Kardze und rief Parolen für die Rückkehr des Dalai Lama und
Freiheit in Tibet. Kurz darauf wurde er an einer Strassenkreuzung verhaftet. Bis jetzt
wissen seine Angehörigen nicht, wo er sich befindet. Direkt nach der Festnahme
blockierten die Behörden alle Mobiltelefone von seinen Verwandten, damit sich die
Nachricht seiner Verhaftung nicht verbreitete.
Am 3. März wurde die 33-jährige Tibeterin Bhumo Manga nach einem kurzen SoloProtest verhaftet. Sie ging zur Mittagszeit in der Stadt Meruma in der Region Ngaba
über die Hauptstrasse, ein Portrait des Dalai Lama in die Luft haltend. Dabei rief sie
Parolen gegen die Besetzung Tibets. Bereits vor 8 Jahren war sie 8 Monate in Haft, weil
sie sich geweigert hatte, die chinesische Flagge auf ihrem Hausdach zu hissen.
Während der Haft sei sie schwer gefoltert worden, sagten Angehörige.
Radio Free Asia, 26. Februar 2016, Phayul, 2., 3. und 4. März 2016
Kyichu-Fluss bei Lhasa wird aufgestaut: Seen für Touristen
Laut dem 2013 verabschiedeten Lhasa River Project (LRP) wird der Kyichu-Fluss am
Stadtrand von Lhasa aufgestaut, um Seen für Touristen zu schaffen. Insgesamt sechs
Dämme werden derzeit auf einer Strecke von 20 km errichtet. Abgesehen von der
Schaffung touristischer Attraktionen sollen die Dämme laut Regierungsangaben auch
Sandstürme abhalten, die Wasserqualität verbessern und eine „grüne Umwelt“ schaffen.
Das Gegenteil werde passieren, mahnt hingegen ein prominenter chinesischer Geologe,
Professor Fan Xiao von der Sichuan Geological Society. Er wies darauf hin, dass ein
Damm die Fliessgeschwindigkeit herabsetzt und damit zu mehr verschmutztem Wasser
führt. Die Sedimentierung könnte zunehmen, auch seien die Stadt und die umliegenden
landwirtschaftlichen Betriebe stärker von Überflutungen bedroht. Lhasa habe gar keine
künstlichen Touristenattraktionen nötig, sondern die Kultur und Landschaft seien
attraktiv genug. Staudämme könnten in einer ohnehin fragilen Umgebung das
Erdbebenrisiko vergrössern. In ungewöhnlicher Offenheit sagte Professor Fan, dass bei
Aussicht auf eine Steigerung des Bruttosozialprodukts und höhere Steuereinnahmen
nun einmal ökologische Bedenken seitens der Behörden hintenangestellt würden.
Die Ökologie des Kyichu-Flusses hat sich ohnehin schon seit der Konstruktion von zwei
grossen Wasserkraftwerken im Nordosten von Lhasa massiv verändert. Die Kraftwerke,
die mit einem Investitionsvolumen von umgerechnet $ 1 Mrd. als die grössten einzelnen
Industrieprojekte in Tibet überhaupt gelten, sollen laut Bericht des staatlichen
Fernsehens vor zwei Jahren flussabwärts zu einer Senkung des Wasserspiegels und
einem Fischsterben geführt haben.
Beobachter vermuten als Antreiber hinter den aggressiven Tourismusplänen den lokalen
Parteisekretär von Lhasa, Che Drahla. Dieser hatte seine politische Karriere erfolgreich
damit gestartet, dass er die Ortschaft Gyalthan in der Provinz Yunnan in „Shangri-La“
umbenannte und zu einem Retorten-Touristenort machte. Die von Tibetern sogenannte
„Dracheninsel“ im Kyichu-Fluss, ein beliebter Ausflugs- und Picknickort in Lhasa, wurde
in „Sonneninsel“ umbenannt und laut Einwohnern zu einem tibetischen „Las Vegas“
entwickelt. Neben Spielkasinos blüht heute dort auch die Prostitution.
Voice of Asia, Tibetan Service, 22. Februar 2016
Dr. Uwe Meya
Rheintalweg 22
CH-4125 Riehen
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