Prüfungsbedarf bei grenzüberschreitender Entsendung

24
25
RECHT+STEUERN – RECHT + BELASTINGEN – DROIT+FISCALITÉ
BELGIEN
Prüfungsbedarf bei
grenzüberschreitender Entsendung
von Jeroen Vandenbossche und Olivier Vanneste, KPMG
Wenn deutsche Gesellschaften internationaler Unternehmensgruppen die grenzüberschreitende Entsendung einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters organisieren, kommt es häufig
zum Abschluss eines Arbeitsvertrags (mit beschränkter Dauer) zwischen dem Entsandten und der Gruppengesellschaft
im Gastland. Typischerweise wird der ursprüngliche Arbeitsvertrag des Entsandten mit der deutschen Gesellschaft dann
– zwar nur vorübergehend, aber doch in vollem Umfang – suspendiert (ruhend gestellt).
In der dargestellten Situation sind Entsandte nicht mehr
(ausschließlich) Mitarbeiter der Gesellschaft im Heimatland,
weshalb nach Auffassung der belgischen Sozialversicherungsbehörden die Voraussetzungen für eine Entsendung
gemäß Artikel 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (und
Durchführungsverordnungen) nicht erfüllt sind. Kürzlich
haben die belgischen Sozialversicherungsbehörden im Rahmen einer solchen Struktur ihre Zustimmung zu einigen
beantragten A1-Dokumenten verweigert und die Leistung
belgischer Sozialversicherungsbeiträge eingefordert.
Erfordernis einer organischen Verbindung
mit dem deutschen Arbeitgeber
Für derartige Fälle begründen die belgischen Sozialversicherungsbehörden ihre Ablehnung mit der Tatsache, dass
der deutsche Arbeitsvertrag für die Dauer der Beschäftigung in Belgien ruhend gestellt und ein lokaler belgischer
Arbeitsvertrag mit dem belgischen Arbeitgeber geschlossen wird. Hierdurch sei grundsätzlich die Arbeitgeber-Weisungsbefugnis vom deutschen auf den belgischen Arbeitgeber übergegangen.
Nach Einschätzung der belgischen Sozialversicherungsbehörden haben die aus dem deutschen Arbeitsvertrag fließenden Rechte und Pflichten während der Beschäftigung
in Belgien keine konkrete Wirkung mehr, und zwar selbst
dann wenn im Übrigen noch ausreichende Bindungen des
Entsandten zum deutschen Arbeitgeber im Heimatland
bestehen. Diese können z. B. Berichtspflichten sein oder
weiterlaufende Teilnahme an einem betrieblichen Altersvorsorgeprogramm bzw. Bonus-Programm des deutschen
Arbeitgebers sowie eine Klausel im belgischen Arbeitsvertrag zur (frühzeitigen) Rückkehr.
Im Rahmen einer Entsendung (mit Beibehaltung der
Sozialversicherung des Heimatlandes) kann die Ausgestaltung mit lokalem Arbeitsvertrag in der Tat problematisch
erscheinen, da eine solche Entsendung u.a. voraussetzt,
dass während der Beschäftigung in Belgien eine organische
Verbindung (direkte Beziehung) zwischen Entsandtem und
deutschem Arbeitgeber besteht (vgl. Artikel 12 der vorgenannten EG-Verordnung).
Ablehnung des A1-Dokuments
Verweigern die belgischen Behörden das A1-Dokument - sei es schon zu Beginn der Entsendung, sei es später im Rahmen einer Betriebsprüfung der Inspektionsbehörden - wird der Entsandte mit Wirkung ab Beginn der
Beschäftigung in Belgien der belgischen Sozialversicherungsgesetzgebung unterworfen. Dadurch sind belgische
Sozialversicherungsbeiträge zu leisten, das heißt seitens
des Arbeitgebers derzeit rund 35 % des Bruttogehalts (ohne
Deckelung), seitens des Arbeitnehmers 13,07 % des Bruttogehalts (ohne Deckelung).
Entsprechend entstehen in Belgien Ansprüche auf Sozialleistungen, z. B. Ansprüche auf staatliche Rente und
Krankenversorgung.
Vorgeschlagene Abhilfemaßnahme
Es gilt zu prüfen, ob die Entsendung nicht ohne Unterzeichnung eines lokalen (belgischen) Arbeitsvertrages
ausgestaltet werden kann. Es ist möglich, einen Entsendevertrag als Anhang zum deutschen Arbeitsvertrag zu
schließen, der die Dauer der Entsendung, Arbeitnehmeransprüche im Zusammenhang mit der Entsendung etc. regelt.
In diesem Fall bliebe der deutsche Arbeitsvertrag weiterhin
anwendbar, wenngleich die Modifizierungen im Entsendevertrag während der Beschäftigung in Belgien den „normalen“ Vertragsbestimmungen vorgehen.
Um hierbei dem Risiko einer Einstufung als verbotener „Arbeitnehmerverleih“ der deutschen Gesellschaft
(entsendender Arbeitgeber) an die belgische Gesellschaft
(Nutzer) entgegenzuwirken, empfiehlt sich der Abschluss
eines sog. Service-Level-Agreement. Ein solches ServiceLevel-Agreement regelt u. a. die Weisungsrechte, die der
belgischen Gesellschaft gegenüber dem Entsandten während der Beschäftigung in Belgien zustehen. Zu beachten
ist indes, dass ein Service-Level-Agreement keinesfalls die
Arbeitgeber-Weisungsbefugnis aushöhlen darf.
Schließlich gilt es, im Falle des Abschlusses eines Entsendevertrages (anstelle eines lokalen Arbeitsvertrages),
die einkommensteuerlichen Konsequenzen zu prüfen.
Beispielsweise könnte Belgien bei einer Arbeitnehmerin,
die weiterhin in Deutschland steuerlich ansässig bleibt,
aufgrund des belgisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommens unter Umständen nicht zur Besteuerung des
„deutschen“ Gehalts berechtigt sein (sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, u. a. 183-Tage-Regelung, Fehlen
einer Kostenweiterbelastung nach Belgien). In diesem Fall
würde die betroffene Mitarbeiterin in vollem Umfang der
Einkommensbesteuerung in Deutschland unterworfen bleiben.
Kontakt: KPMG Tax and Legal Advisers, Belgien,
[email protected], [email protected]
debelux magazine #01 Februar - Februari - Février 2016
debelux magazine #01 Februar - Februari - Février 2016