Hot Topics Arbeitsrecht Deutschland Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung: Folgen für den Einsatz von externen Mitarbeitern März 2016 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unternimmt nach scharfer Kritik am ersten Gesetzesentwurf einen weiteren Anlauf zur Neuregelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). In § 611a BGB wird eine Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs aufgenommen. Die wesentlichen Neuerungen sind: Unsere Expertise Arbeitsrecht • Die maximale Überlassungsdauer beträgt 18 Monate mit möglicher Verlängerung durch einen in der Einsatzbranche geltenden Tarifvertrag. Aufgrund tariflicher Öffnungsklauseln ist auch eine Verlängerung durch Betriebsvereinbarung möglich - allerdings beschränkt auf 24 Monate. • Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung (sog. "Scheinwerkverträge") wird schärfer sanktioniert, indem sie mit verbotener Arbeitnehmerüberlassung gleichgestellt wird. Die Absicherung von Werkvertragsverhältnissen mittels vorsorglicher Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis wird unmöglich. • Der im ersten Reformentwurf enthaltene Kriterienkatalog zur Abgrenzung von Arbeits- und Werkverträgen wird verworfen. Stattdessen enthält der neu eingeführte § 611a BGB eine Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs. • Der Gleichstellungsgrundsatz (Equal Pay) gilt grundsätzlich ab dem ersten Tag. Besteht beim Verleiher ein Tarifvertrag, gilt Equal Pay nach neun Monaten. Sieht dieser Tarifvertrag eine stufenweise Angleichung an Equal Pay vor, greift der Gleichstellungsgrundsatz erst nach 15 Monaten. • Leiharbeitnehmer werden für Schwellenwerte in Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung berücksichtigt. Höchstdauer - mit Drehtür? Ein Leiharbeiter darf höchstens 18 Monate an dasselbe Unternehmen überlassen werden und muss danach mindestens sechs Monate pausieren. Andernfalls wird ab dem ersten Tag ein Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzunternehmen fingiert. Der Leiharbeitnehmer kann an seinem Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher festhalten, wenn er innerhalb eines Monats ab Überschreiten der zulässigen Überlassungsdauer von einem neu eingeführten Widerspruchsrecht Gebrauch macht. Hot Topics Ist der Entleiher tarifgebunden oder übernimmt ein nicht tarifgebundener Entleiher inhaltsgleich die Regelung des im Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung, ist auch eine längere Überlassung zulässig - sogar ohne gesetzlich vorgegebene Höchstgrenze. Sofern der Tarifvertrag nur eine Öffnungsklausel enthält, kann die Überlassungshöchstdauer im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages auch in nicht tarifgebundenen Unternehmen durch eine zwischen den Betriebspartnern ausgehandelte (nicht mit dem Tarifvertrag inhaltsgleiche) Betriebsvereinbarung geregelt werden. In solchen Betriebsvereinbarungen kann die Verleihdauer jedoch nur auf bis zu 24 Monate verlängert werden. Die Begrenzung der Einsatzdauer ist personenbezogen, nicht arbeitsplatzbezogen. In der Praxis bedeutet das, dass der Arbeitsplatz nach jeweils 18 bzw. 24 Monaten mit einem neuen Leiharbeiter besetzt werden kann. Liegt ein entsprechender Tarifvertrag vor, kommt sogar ein zeitlich unbegrenzter Einsatz in Frage. Es bleibt also möglich, dauerhaften Beschäftigungsbedarf mit Leiharbeit zu decken. Nicht ausdrücklich verboten ist die Nutzung des "Drehtür-Effekts" im Rahmen der konzerninternen Personalgestellung, in der derselbe Leiharbeiter ohne Unterbrechung an verschiedene Gesellschaften im Konzern entliehen wird. Nachdem diese Fallkonstellation allgemein bekannt ist, muss unterstellt werden, dass der Entwurf dazu bewusst schweigt und ein solches Vorgehen zulassen will. Die Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat verliert ihre Wirkung Künftig ist es nicht mehr möglich, der Unsicherheit, ob ein Werkvertragsverhältnis oder eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, mit Hilfe einer vorsorglich eingeholten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu begegnen. Die Arbeitnehmerüberlassung muss künftig vertraglich ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Andernfalls wird ein Arbeitsverhältnis mit dem faktischen Entleiher fingiert. Der betroffene Leiharbeitnehmer kann die Begründung eines solchen Arbeitsverhältnisses mittels Widerspruch verhindern. Diesen muss er innerhalb eines Monats nach dem zwischen Ver- und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt ausüben. Ob dieses Widerspruchsrecht erst im konkreten Einzelfall ausgeübt werden kann oder der faktische Leiharbeitnehmer bereits im Rahmen seines Vertragsverhältnisses mit dem Auftragnehmer pauschal auf das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses beim Auftraggeber verzichten kann, ist im Entwurf nicht geregelt. Zu erwarten ist, dass die Rechtsprechung einem pauschalen Verzicht eine Absage erteilen wird. In der Praxis werden die verschärften Sanktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Unternehmen in Zweifelsfällen auf Werkverträge verzichten und stattdessen unter Inkaufnahme des Equal Pay-Grundsatzes sicherheitshalber auf Arbeitnehmerüberlassungsverträge umsteigen werden. Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs Anders als der erste Gesetzesentwurf unternimmt der aktuelle Entwurf nicht mehr den Versuch einer gesetzlichen Abgrenzung von Arbeits- und Werkvertrag. Während der erste Text aus November 2015 noch einen Acht-Punkte-Katalog von Abgrenzungskriterien als neuen § 611a BGB vorsah, enthält der neue Entwurf ebenfalls als § 611a BGB - lediglich eine allgemein gehaltene Definition des Arbeitnehmerbegriffs, die die Praxis aus der Rechtsprechung kennt. Auch bei 2 Hot Topics neuen und künftigen Arbeitsmethoden (Crowdworking, Scrum etc.) wird es daher für die Abgrenzung von Arbeits- und Werkvertrag weiterhin auf das "Gesamtbild" und den Einzelfall ankommen. Gleichstellungsgrundsatz (Equal Pay) ab dem ersten Tag Der neue Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Equal Pay-Grundsatz vom ersten Tag an gilt. Beschränkt werden die bislang zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, hiervon mittels Tarifvertrag abzuweichen. Während nach der bisherigen Rechtslage ein Tarifvertrag beim Verleiher den Equal Pay-Grundsatz dauerhaft außer Kraft setzen konnte, wird diese Möglichkeit nun auf neun Monate beschränkt. Wenn der beim Verleiher geltende Tarifvertrag eine stufenweise Angleichung an das Vergütungsniveau beim Entleiher vorsieht und diese Angleichung spätestens nach sechs Wochen beginnt, wird der Gleichstellungsgrundsatz erst nach 15 Monaten wirksam. Etwaige Vorbeschäftigungen werden allerdings angerechnet, auch wenn diese bei anderen Konzerngesellschaften erfolgten. Die den Tarifparteien bisher zur Verfügung stehenden Öffnungsmöglichkeiten werden durch die Neureglung insgesamt erheblich beschnitten. Außerdem: Arbeitskampf und Mitbestimmung Der neue Gesetzesentwurf schließt den Einsatz von Leiharbeitnehmern während der Dauer eines Streiks aus. Andernfalls drohen Bußgelder von bis zu EUR 500.000. Ein ähnliches Verbot war bereits in vielen Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche enthalten, sodass diese Gesetzesänderung keine allzu große praktische Relevanz entfalten dürfte. Die Rechtsprechung gewährt Betriebsräten bereits heute umfassende Informations- und Unterrichtungsrechte, unter anderem bezüglich Arbeitszeiten und Arbeitsaufgaben sowie der Dauer und des Einsatzortes von Leiharbeitern und Personen, die auf Basis von Werkverträgen im Unternehmen tätig sind. Diese Ansprüche werden nun kodifiziert und finden sich im neuen Gesetzesentwurf. Deutlich über den Koalitionsvertrag hinaus geht der Entwurf bezüglich der Berücksichtigung von Leiharbeitern bei Schwellenwerten. Statt sich auf Schwellenwerte des Betriebsverfassungsrechts (z.B. Größe des zu wählenden Betriebsrats oder Relevanzschwelle für Betriebsänderungen) zu beschränken, sollen Leiharbeiter in Zukunft auch bei den Schwellenwerten für die Unternehmensmitbestimmung berücksichtigt werden. So hilft der Einsatz von Leiharbeitern künftig nicht mehr, die Mitbestimmung im Aufsichtsrat nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (mehr als 500 Arbeitnehmer) oder dem Mitbestimmungsgesetz (mehr als 2.000 Arbeitnehmer) zu umgehen. Fazit Der eingebrachte Vorschlag positioniert sich etwas praxisfreundlicher als der erste Text. Die (weitere) Beschneidung der Tarifautonomie, die Verschärfung der Risiken von Werkvertragsverhältnissen und die restriktive zeitliche Beschränkung der Überlassungsdauer sind für die Praxis "Kröten", die sie schlucken muss. Positiv zu bewerten ist, dass es bei der Bemessung der Höchstdauer der zulässigen Überlassung bei einer personenbezogenen Betrachtung bleibt und die vielfach geforderte arbeitsplatzbezogene Regelung keine Berücksichtigung fand. 3 Hot Topics Nach der Planung des Arbeitsministeriums soll das Gesetz noch in diesem Monat im Bundeskabinett beraten werden. Ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2017 wäre damit zeitlich noch umsetzbar. Die Übergangsregelung sieht jedoch vor, dass Überlassungszeiten erst ab dem Inkrafttreten berücksichtigt werden. Dies dürfte vor allem für die Berechnung der Höchstüberlassungsdauer für Erleichterung sorgen. Die gesetzliche Höchstgrenze von 18 Monaten kann damit frühestens am 1. Juli 2018 überschritten werden. Dabei sollte aber nicht aus dem Blick geraten, dass auch nach derzeitiger Rechtslage nur eine "vorübergehende" Überlassung zulässig ist und bereits heute die Praxis die kritische - wenngleich sanktionslose überschreitbare - Höchstdauer im Regelfall bei ca. 18 Monaten sieht. Der Entwurf dürfte diese Auslegungsvariante weiter stärken. Für weitere Fragen stehen Ihnen unsere Spezialisten zur Verfügung: Dr. Steffen Scheuer E-Mail: [email protected] Katja Giese, LL.M, E-Mail: [email protected] Baker & McKenzie - Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mbB Berlin Friedrichstraße 88 / Unter den Linden 10117 Berlin Tel.: +49 (0) 30 2 20 02 81 0 Fax: +49 (0) 30 2 20 02 81 199 Frankfurt/Main Bethmannstraße 50-54 60311 Frankfurt/Main Tel.: +49 (0) 69 2 99 08 0 Fax: +49 (0) 69 2 99 08 108 Düsseldorf Neuer Zollhof 2 40221 Düsseldorf Tel.: +49 (0) 211 3 11 16 0 Fax: +49 (0) 211 3 11 16 199 München Theatinerstraße 23 80333 München Tel.: +49 (0) 89 5 52 38 0 Fax: +49 (0) 89 5 52 38 199 www.bakermckenzie.com Get Connected: Dieses Mandantenrundschreiben dient ausschließlich der Information. Sein Inhalt sollte daher nicht als Entscheidungsgrundlage im Einzelfall oder als Ersatz für einen einzelfallbezogenen Rechtsrat genutzt werden. 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