SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben VOM VERFALL EINER JÜDISCHEN GEMEINDE 20 JAHRE NACH DEM TERRORANSCHLAG IN BUENOS AIRES VON GABY WEBER SENDUNG 28.02.2016 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Seit 22 Jahren fordern die Hinterbliebenen „Wahrheit und Gerechtigkeit“ – in den ersten Jahren lautstark vor dem Justizpalast, mit Megaphon und Transparenten. Dann verlagerten sich die Proteste von der Straße in die sozialen Medien – nicht zuletzt, weil die Justiz die Attentäter ausgemacht haben wollte, einen Autoschieber und acht argentinische Polizisten. Doch der Prozess gegen sie endete 2004 mit einem Freispruch. Die Beweise, so hieß es im Urteil, seien gekauft und gefälscht worden. Die angeklagten Polizisten wurden nach über acht Jahren Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt und ein Verfahren wegen Vertuschung eingeleitet. Aber es dauerte noch einmal zehn Jahre, bis dieser Prozess endlich terminiert wurde, so Deborah. Take: „Muchos jueces se excusaron ... juicio amia deborah 3 – 17´´ Übersetzerin: Viele Richter haben es abgelehnt über andere Richter zu urteilen. Und klar: Hier urteilt die Rechtssprechung über die Rechtssprechung. Auch ein ehemaliger Staatspräsident und ein Geheimdienstchef stehen unter 2 Anklage - das sind Leute mit sehr viel Macht, über die man hier urteilen muss. Erzählerin: Vor zehn Jahren hatte die Regierung von Néstor Kirchner eine Sondereinheit der Staatsanwaltschaft unter der Leitung von Alberto Nisman eingerichtet. Nisman, ebenfalls jüdischer Herkunft, lenkte den ursprünglichen Verdacht gegen die syrischen Auftraggeber auf die iranische Regierung und wollte sogar gegen die amtierende Präsidentin Cristina Kirchner Anklage erheben. Handfeste Ergebnisse lieferte er nicht. Anfang 2015 wurde Nisman in seiner Wohnung erschossen – einen Tag vor seiner Aussage im Parlament. Auch dieser Mord ist bislang nicht aufgeklärt. Für Deborah hatte Nisman wenig Neues ermittelt. Aber: Take: „Posiblemente si Nisman ... juicio deborah 4 – 18´´ Übersetzerin: Vielleicht, wenn Nisman nicht gestorben wäre, wäre es nie zu diesem Prozess wegen Vertuschung gekommen. Davor wurden diese Ermittlungen systematisch behindert. Dass diese Leute jetzt doch vor Gericht stehen, ist wohl auf seinen Tod zurückzuführen - ich glaube, das hängt wirklich zusammen, ja! Take: Atmo juicio amia ohne sprache – 15´´ Erzählerin: Heute sagt der Angeklagte Rubén Beraja aus, damals Chef der jüdischen Dachorganisation DAIA. Er hat Freunde mitgebracht, DAIA-Funktionäre wie er, die sich ins Publikum, hinter die Trennscheibe, setzen. Das sei eine „unzumutbare Provokation“, rufen die empörten Hinterbliebenen. Die DAIA habe die Hinterbliebenen in ihrem Kampf um die Wahrheit nie unterstützt, und nun stärken sie einem der Angeklagten den Rücken! Ein Gerichtsdiener schlichtet den Streit und platziert die Funktionäre auf der Empore, darunter José Hercmann. Take: Sé lo concurrio ... hercman 1 – 13´´ 3 Übersetzer: Ich weiss, was damals gelaufen ist, weil ich an allem teilgenommen habe. Hier sind die falschen Leute am falschen Ort. Das ist absurd. Es werden die Opfer zu Schuldigen gemacht. Erzählerin: Vier Stunden lang liest Beraja eine Erklärung vor, erzählt von seinen Treffen mit den Geheimdiensten und wirft der Menem-Regierung vor, wichtige Spuren – die in den Iran geführt hätten – nicht verfolgt zu haben. Laut Anklageschrift hat der damalige Ermittlungsrichter 400.000 Dollar aus dem Geheimdiensttopf einem Autoschieber für seine Falschaussage gegen die Polizisten gezahlt. Der Zeuge selbst sowie ehemalige Justizmitarbeiter haben später bestätigt, dass auch Beraja davon ge wusst und damit einverstanden gewesen sei. Hercman: Take: „Lamentablemente, ese es un error ... hercman 2 – 34´´ Übersetzer: Vieles ist falsch dargestellt worden. Schauen Sie sich genau an, was ihm vorgeworfen wird: Psychologische Mithilfe für den ermittelnden Richter. Das ist alles. Aber die Medien berichten nicht korrekt, obwohl alles eigentlich klar in den Akten steht. Die Journalisten verwirren die Leute, die dann bei der jüdischen Gemeinde anrufen und fragen, warum Beraja das Attentat vertuscht habe. Erzählerin: Für die jüdische Gemeinde Argentiniens war der Anschlag von 1994 eine Katastrophe, nicht nur, weil dabei 85 Menschen, die sich vor und in dem Gemeindehaus befunden hatten, ihr Leben verloren haben. Viele ihrer Mitglieder wandten sich von ihr ab, weil ihre Anführer wenig für die Aufklärung des Verbrechens unternahmen. In Argentinien gab es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Einwanderung vor allem russischer Juden, weshalb bis heute viele Juden „rusos“ genannt werden. Ab Mitte der dreißiger Jahre kamen die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland dazu, und am Ende des Zweiten Weltkrieges lebten in dem südamerikanischen Land etwa 4 eine halbe Million Menschen jüdischer Herkunft. Die meisten von ihnen waren eher weltlich eingestellt und pflegten ihr Judentum als eine Tradition und eine Kultur. Auch dem Ruf des 1948 gegründeten Staates Israel folgten nur relativ Wenige. Erst mit den Diktaturen und Wirtschaftskrisen der siebziger und achtziger Jahre setzte ein Exodus ein, vor allem in die USA. Heute leben in Argentinien nur noch 200.000 Menschen jüdischer Herkunft, und die meisten haben ihren Institutionen den Rücken gekehrt. So hatten sich die Gemeinden während der Militärdiktatur der siebziger Jahre praktisch gar nicht um verschleppte Juden gekümmert, die wegen ihrer Abstammung in den Folterzentren besonders brutalen Verhörmethoden ausgesetzt waren. Nur ein einziger Rabbiner hat sich um diese Leute gekümmert. Und dann passierte 1994 das Attentat auf das Gemeindehaus AMIA. Und wieder fühlten sich die Hinterbliebenen von allen verlassen, nicht nur von der argentinischen Justiz und der Politik, sondern auch von ihren jüdischen Anführern, an erster Stelle, von dem damaligen DAIA-Chef Beraja, der heute unter Anklage steht. Auch der ultra-orthodoxe Rabbiner Samuel Lewin verteidigt ihn. Take: „Yo no creo, no creo .... rabbino lewin 4 – 37´´ Übersetzer: Ich glaube nicht, dass Beraja irgendetwas vertuscht hat. Ich habe darüber lange in meinem Büro mit Staatsanwalt Nisman diskutiert. Beraja ist dazu gar nicht im Stande. Ich kenne ihn gut. Seine Banco de Mayo half der jüdischen Gemeinde immer. Das hat sie immer getan. Sie ist ja gegründet worden, um jüdische Einrichtungen zu fördern und unseren Armen zu helfen. Erzählerin: Hercman weiß, dass heute immer mehr Menschen jüdischer Herkunft der Gemeinde fernbleiben. Sie erscheinen auch nicht zu den Gottesdiensten und schicken ihre Kinder lieber auf katholische oder gewinnorientierte Privatschulen. Gemischte Ehen sind die Regel, nicht die Ausnahme. Hängt das damit zusammen, weil sich 5 die Interessen der religiösen und kulturellen Institutionen mit den politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Funktionäre vermischen? Hercman winkt ab. Take: „La Amia tiene que ver ... hercman 5 – 19´´ Übersetzer: Die AMIA ist das Gemeindehaus, und in dieser Gemeinde gibt es Gläubige, streng Gläubige, ein bisschen-Gläubige und NichtGläubige. Die AMIA ist sozusagen unser Sozialwerk, und die DAIA ist unser politischer Dachverband. Erzählerin: Juden streiten sich immer, meint er. Take: „La historia del judaismo .... hercman 6 – 19´´ Übersetzer: Die Geschichte des Judentums ist über Jahrtausende voller interner Konflikte. Es heißt ja auch, wo zwei Juden sind, gibt es drei Parteien. Aber das normal. Deshalb diskutieren wir ja und tauschen Meinungen aus. Aber wir bringen uns nicht gegenseitig um. Erzählerin: In den Augen Hercmans war es ein „interner Konflikt“, dass während die Hinterbliebenen die Menem-Regierung wegen ihrer mangelnden Ermittlungen kritisierten - ihre Funktionäre mit derselbe Regierung enge Kontakte pflegten und sich sogar für die Angriffe der Opferorganisationen entschuldigten. Der Journalist Horacio Lutzky, hat mehrere Bücher über das AMIA-Attentat veröffentlicht. Er vermutet, dass diese Haltung mit der damaligen Wirtschaftspolitik von Präsident Menem zu tun hatte. Alle Staatsbetriebe wurden privatisiert und da konnten Banker, Notare, Anwälte und Wirtschaftsprüfer glänzende Geschäfte machen. Hercman hatte sogar, hatte der Journalist herausgefunden, beste geschäftliche Kontakte zur iranischen Botschaft. Das sei richtig, aber … Take: „Yo alquilé un departamento ... hercman 4 – 35´´ 6 Übersetzer: Ich hatte bis 1992 eine Wohnung an einen Iraner vermietet, also vor dem Attentat auf die AMIA. Der Mieter wurde nicht von der Polizei gesucht und zog dann in eine andere Wohnung. Lutzky schrieb aber, dass ich „mit dem Feind geschlafen“ habe. Er macht es sich einfach, die DAIA anzugreifen, weil wir nicht auf alles antworten können. Erzählerin: Horacio Lutzky ist Autor des Buches „Prosit auf den Trümmern“. Darin schreibt er, dass Hercmans Mieter als Bürgen im Mietvertrag die iranische Botschaft angegeben hatte. Zum Zeitpunkt des Attentats war Lutzky ein erfolgreicher Journalist, langjähriger Chefredakteur der an die israelische Kibbuzbewegung angelehnten Wochenzeitung „Nueva Sion“, Hochschullehrer über Kommunikation und Redakteur eines lokalen jüdischen Fernsehkanals in Buenos Aires. Schon immer ein kritischer Geist, irgendwie links eingestellt ohne dogmatisch oder parteiisch zu sein. Seit 22 Jahren liest er meterweise Ermittlungsakten, lässt keinen Prozesstag aus und berät parlamentarische Ausschüsse. Inzwischen hat er seine Karriere an den Nagel gehängt beziehungsweise hängen müssen, nicht zuletzt weil auch aus der jüdischen Gemeinde Druck auf ihn und die Anzeigenkunden ausgeübt worden war. Er hatte wohl zu viel herausgefunden. Heute unterhält er ein kleines Anwaltsbüro. Er wirkt müde, so als frage er sich, was sein jahrelanger Einsatz für die Wahrheit eigentlich gebracht hat? Take: „Al ano del atentado de la Amia ... lutzky 11 – 55´´ Übersetzer: Ein Jahr nach dem Attentat strahlten wir unsere ersten Rechercheergebnisse aus, und die betrafen vor allem die sogenannte „syrische Spur“. Wir berichteten von der Straflosigkeit, von den Geheimdienstlern, die die Ermittlungen behinderten und von dem syrisch-stämmigen Präsidenten Menem und seinen syrischen Geschäftspartnern. Dadurch geriet der DAIA-Chef Beraja in die Klemme. Er, selbst syrischer Herkunft, war Präsident der jüdischen Mayo-Bank und finanzierte eine ganze Reihe religiöser Einrichtungen. Dadurch geriet die Mayo-Bank in 7 Zahlungsschwierigkeiten und bat die Menem-Regierung um Überbrückungskredite. Also dieselbe Regierung, die das Attentat vertuschte. Am Ende erhielt seine Bank astronomische Summen, und diese Zahlungen erklären, warum die DAIA niemals die Regierung kritisierte. Erzählerin: Die Zentralbank Argentiniens hatte auf das Konto der Mayo-Bank ohne Betreff den stolzen Betrag von 298 Millionen US-Dollar überwiesen, Geld, das kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch der Bank in dunklen Kanälen verschwand. Seine Recherchen wurden veröffentlicht, änderten aber nicht viel an der Haltung der jüdischen Institutionen. Noch am Ende der Militärdiktatur gingen Hunderttausende für die Forderung nach „Wahrheit und Gerechtigkeit“ auf die Straße, aber für die Wahrheit interessieren sich heute nicht einmal mehr die Staatsanwälte, meint Lutzky verbittert. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Telex vom 22. März 2008, das Wikileaks veröffentlicht hatte. Beamte der US-amerikanischen Botschaft hatten dem Sonderstaatsanwalt Nisman „geraten“, sich auf die Suche nach den Attentätern und nicht auf die Vertuscher zu konzentrieren. Welche Rolle haben die jüdischen Funktionäre der DAIA in der Sache gespielt? Lutzky atmet tief durch, will ruhig bleiben. Von Anfang an habe die DAIA die Hinterbliebenen diszipliniert und Kritik an der Menem-Regierung unterdrückt. Das war so offensichtlich, dass viele Argentinier die Israelis hinter dem Anschlag vermuteten, sogar ein Richter des Obersten Gerichtshofes wollte ein „autoatentado“ – ein Attentat jüdischer Kreise auf die eigene Einrichtung nicht ausschließen. Das sei blanker Unsinn, so Lutzky, aber für die einfachen Mitglieder der jüdischen Gemeinde seien die Zusammenhänge am Ende nicht mehr durchschaubar gewesen. 8 Übrig geblieben ist nur noch das Gefühl der Hilflosigkeit und die Gewissheit, dass alle vor den Mächtigen kuschen, auch die politischen und religiösen Vertreter des Judentums. Für die Wahrheit hat niemand einen Finger gerührt, von den paar Aktivisten der Opfergruppen und einer Handvoll Journalisten abgesehen. Samuel Lewin ist Rabbiner, geistiges Oberhaupt der Orthodoxen, die die Wahlen innerhalb der AMIA gewonnen haben. Seitdem herrschen in allen Einrichtungen der Gemeinde auf strenge religiöse Regeln festlegen. Seitdem müssen jüdische Sportvereine und Ferienhäuser ihre Küchenregeln auf koscheres Essen ausrichten, Ausnahmen werden nicht geduldet. Auf den Friedhöfen werden nur noch „reine“ Juden beerdigt, nicht mehr ihre Ehepartner. Und Lewin leitet auch die Rabbinats-Seminare. Vielen liberalen Gemeindemitgliedern gefällt das nicht, sie ziehen sich aus den Institutionen zurück. Warum das Attentat auf die AMIA bis heute nicht aufgeklärt ist? Take: „Vivimos en un pais politico ... rabbino lewin 2 – 23´´ Übersetzer: Wir leben eben in einem politischen Land, das Beziehungen zu Ländern unterhält, die etwas mit dem Attentat zu tun haben. Argentinien ist sehr besorgt, seine wirtschaftlichen Interessen nicht zu verletzen oder Märkte für Geschäfte zu verlieren. Das ist hier wichtiger als die Wahrheit. Erzählerin: Die Hinterbliebenen des Attentats werfen Lewin vor: die von ihm geleiteten Institutionen hätten sie im Kampf um die Wahrheit alleine gelassen. Lewin habe stets die DAIA und ihren Chef, Rubén Beraja, verteidigt. Der Rabbiner runzelt die Stirn. Take: „Escúcheme, los familiares ... rabbino lewin 5 – 39´´ Übersetzer: Hören Sie mir mal zu: Die Familienangehörigen tragen einen Teil der Verantwortung für das Scheitern der Ermittlungen. Sie haben ihre Sache zum Spielball der Politik werden lassen, und das geht immer 9 nach hinten los. Einige von ihnen arbeiteten mit der Regierung zusammen, andere waren total gegen sie, und alle haben irgendwie ihre eigenen Interessen vertreten. Sie haben diese Sache benutzt, um in der Politik etwas zu erreichen, je nach Interessenlage. Aber ich glaube nicht, dass es ihnen dabei um die Wahrheit ging. Take: Atmo llamamiento stimmen 2 – 24´´ Erzählerin: Viele Jahre blieben die Gläubigen ihren Institutionen einfach fern, erschienen allenfalls noch zur Hochzeit oder zum Begräbnis. Jetzt hat sich die Gemeinde sogar gespalten. Im vergangenen Jahr wurde in Buenos Aires Llamamiento ins Leben gerufen, der Aufruf, angeführt von Jorge Elbaum, einem früheren Geschäftsführer der DAIA. Take: „Estamos construyendo un judaismo ... jorge elbaum llam 2 – 23´´ Übersetzer: Lange Zeit waren unsere Institutionen sehr konservativ und ließen die Teile unserer Gemeinde, die sich als progressiv oder links bezeichnen, außen vor. Wir wollen jetzt mit der Gründung des „Aufrufs“ eine neue Kraft des Judentums aufbauen, eine Alternative zu den Konservativen. Take: Atmo Llamamiento stimmen1 – 30´´ Erzählerin: Llamamiento will an die fortschrittlichen, jüdischen Traditionen anknüpfen und ein Ort für diejenigen sein, die sich als Argentinier fühlen. Es ist eine weltliche Organisation, Elbaum selbst bezeichnet sich als nicht-gläubig. Dass die DAIA gegen den Antisemitismus kämpft und die religiösen und kulturellen Einrichtungen fördert – sei natürlich korrekt, nicht aber die oft bedingungslose Unterstützung der jeweiligen israelischen Regierungspartei. Man werde sich eine kritische Haltung zur Nahost-Politik Jerusalems erlauben, heißt es bei der Gründungsversammlung. 10 Take: „Es la constitución .... Llamamiento Atmo Rednerin – 1´04 kürzen Übersetzerin: Unsere neue Bewegung entstand, weil das einfach notwendig war – in vielerlei Hinsicht. Zum Beispiel, weil wir uns von Positionen und Stellungnahmen unterscheiden wollen, die für sich einen Führungsanspruch innerhalb der jüdischen Gemeinde reklamieren und damit auch in unserem Namen sprechen wollen. Damit sind wir nicht einverstanden. Wir vertreten progressive Ideen. Wir treten ein für unser Land, für Argentinien und für die breite Bevölkerung. Wir vertreten ein sehr viel breiteres und sozial engagierteres Spektrum als die DAIA. Wir wollen ein solidarisches und freundschaftliches Verhältnis zu unseren argentinischen Mitbürgern, zu unseren lateinamerikanischen Brüdern und Schwestern und zu allen Bürgern dieser Welt. Erzählerin: Zurück zum Landgericht Buenos Aires. Den Prozess wegen Vertuschung haben die DAIA-Funktionäre mit Nichtachtung gestraft, schimpft Monica von Memoria Activa. Take „Los dirigentes comunitarios ... amia juicio memoria act monica 1 – 44´´ Übersetzerin: Die Gemeindevorsitzenden haben nicht ein einziges Mal Druck gemacht, dass das Verfahren überhaupt eröffnet wird. Sie sind auch nie zur Verhandlung gekommen – das ist schon aufschlussreich! Sie haben sich immer hinter Beraja gestellt, ohne den Ausgang der Ermittlungen abzuwarten. Wir fühlen uns von denen überhaupt nicht repräsentiert! Für die DAIA war das Wort des Ermittlungsrichters, also von dem, der heute vor Gericht steht, das heilige Wort. Über zwanzig Jahre hat sie nur vertuscht. Und heute klagen wir den ehemals höchsten Funktionär der DAIA an. 11 Erzählerin: Wie Monica, müssen alle Zuschauer den Gerichtssaal verlassen, weil gerade ein Beamter des Geheimdienstes aussagt. Die Nebenkläger dürfen im Raum bleiben und morgen wird alles auf der Homepage von Memoria Activa nachzulesen sein. Neben Monica sitzt Marcela, Ehefrau eines der damals beschuldigten Polizisten. Ihre Einheit gilt in der Bevölkerung als brutal und korrupt, und die Argentinier trauten ihnen so ziemlich alles zu, auch einen Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus. Vermutlich deshalb haben sie, im Gegensatz zu den Hinterbliebenen des AMIAAttentats, niemals öffentliche Solidarität, erinnert sich Marcela: Take: „Hoy estamos con Memoria activa .... amia juicio marcela 2 – 28´´ Übersetzerin: Heute sitzen wir im und vor dem Gerichtssaal neben den jüdischen Frauen von Memoria Activa. Das hätten wir uns damals nicht vorstellen können. Was hätten wir jemandem, der einen geliebten Menschen verloren hat, sagen sollen? Sie hielten uns für schuldig, schließlich hatten ein Bundesrichter und mehrere Staatsanwälte unsere Ehemänner wegen Mordes angeklagt. Erzählerin: Acht Jahre und zwei Monate waren die Polizisten inhaftiert. Erst in dem öffentlichen Gerichtsverfahren brach die Anklage zusammen. Und weitere elf Jahre vergingen, bis das Verfahren wegen Vertuschung eröffnet wurde. Die Polizisten wurden zwar auf freien Fuß gesetzt, aber auch ihnen schuldet die argentinische Gesellschaft bis heute die Wahrheit: wer es war, der ihnen die Schuld in die Schuhe schieben wollte und warum? . Die Mörder und ihre Hintermänner sind bis heute nicht ermittelt. Der frühere Präsident Menem lehnt es aus „gesundheitlichen Gründen“ ab, vor Gericht zu erscheinen. Über seinen Anwalt ließ er erklären, dass er sein Wissen über das Attentat leider nicht preisgeben könne, da dies „Staatsgeheimnisse“ seien. Die großen jüdischen Institutionen wie die DAIA und die AMIA haben dagegen nicht protestiert. 12 Der blutige Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus wird wohl nie aufgeklärt werden. Wieder einmal bleibt die Wahrheit auf der Strecke, jenes hohe Gut aller Weltreligionen, die die Lüge verdammen und die Bestrafung von Verbrechen gebieten. Das weiss auch der Rabbiner Lewin: Take: „Seguro que les voy a decir ... rabbino lewin 3 – 17´´ Übersetzer: Natürlich spreche ich den Gläubigen Mut zu und sage ihnen, dass sie weiter nach der Wahrheit suchen sollen. Aber die Realität ist leider eine andere. Die Welt funktioniert so nicht. Wir wollen alle, dass die Wahrheit herauskommt und dass die Schuldigen verurteilt werden. Aber die Welt ist so nicht. 13
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