GGP Berlin-Brandenburg 2015: Berliner Zeitung

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Berliner Zeitung · Nummer 86 · Dienstag, 14. April 2015
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BerlinBerlin
„Bei mir soll was auf die Teller kommen“
0 UHR 30
Spitzenküche aus Schmargendorf: Sonja Frühsammer ist Berlins erste Sterne-Köchin. Nun steht sie beim Großen Gourmetpreis am Herd
N
Carmen Böker geht bei
Baustellen der Nase nach.
Ein Hauch
von Mörtel
K
arl Lagerfeld dürfte berufsbedingt ständig von den Wohlgerüchen der Modewelt umgeben
sein, aber aus einem Dokumentarfilm über den Designer wissen wir,
dass ihn etwas anderes viel glücklicher macht als der Duft von Chanel
No. 5 oder Egoïste. „Ich liebe den
Geruch von Baustellen“, sagt er in
„Lagerfeld Confidential“ und wirkt
dabei überraschend versonnen.
Und es stimmt ja auch, dass in
diesem gewissen Hauch von Baustelle etwas verführerisch Fantasieanregendes liegt. Man möchte
jetzt assoziativ vielleicht nicht
gleich so weltumspannend loslegen
wie der Schriftsteller Marcel Proust
nach dem Genuss einer Bärentatze
– aber der noch leicht feuchte Mörtel hat doch einen ganz anderen
Tiefgang als das betäubend banale
Bouquet, das die Filialen von Parfümerieketten kennzeichnet.
Wo Mörtel ist (nein, nicht der
vom Wiener Opernball) und frische
Farbe, da duftet es säuberlich und
ein bisschen modrig zugleich, also
gleichzeitig nach der Vergangenheit
und der Zukunft eines Hauses. Und
flüchtig wie ein Parfüm ist diese
Komposition außerdem, AbgasMuff draußen und Zigarettenrauch
drinnen werden sie bald verdecken.
Dennoch ist es ein typisches Odeur
für die Dauerbaustelle Berlin, die
sich vermutlich auf ewig im Zwischenstadium von Verfall und Erneuerung befindet.
Irgendwie an all das (aber auch
an einen Wodka-Soda) muss ich
denken, als ich am Wochenende einige Stufen in eine Kreuzberger Kellerbar hinunterstolpere, die an diesem Abend auch weit nach Mitternacht noch ihre Eröffnung feiert. Ich
habe mich einigen Freunden aufgedrängt, die dazu eingeladen sind,
weil sie den Barchef kennen oder
mit seiner Frau zur Schule gegangen
sind oder umgekehrt – aber eigentlich ist das auch völlig egal, weil es
manchmal reicht, eingeladen auszusehen und sich einfach mit reinzudrängen, dort, wo es seit Stunden
schon kein Eis mehr gibt, aber immerhin noch handwarme Getränke.
Im Souterrain riecht es reinlich
nach frisch verputzten Wänden –
und ein bisschen kellermuffig, als
seien hier vor kurzem noch Äpfel
und Kohlen eingelagert gewesen.
Ich finde das ganz wunderbar heimelig, Retro läuft bei mir über die
Nase, die ironisch abgespielten
Klassiker der frühen Neunziger hingegen lassen mich völlig kalt.
Ach! Das wahre Leben ist eine
Baustelle.
a endlich, jubelte die sonst so
neiderfüllte Gastroszene, als
Sonja Frühsammer Ende 2014 als
erste Berliner Küchenchefin den Michelin-Stern bekam. Längst überfällig sei das gewesen, befanden Experten, Stammgäste und ihr Mann Peter,
mit dem sie das Restaurant Frühsammers am Flinsberger Platz in
Schmargendorf betreibt – in der Villa
des Grunewalder Tennisclubs. Nun
wird die 46-Jährige, die ihre Lehre bei
Siemens in Moabit absolvierte, erstmals bei der Gala des Großen Gourmetpreises am Herd stehen.
Frau Frühsammer, was kochen Sie
denn beim Großen Gourmetpreis?
Ich bin für den Teller vor dem
Hauptgang zuständig. Es gibt Heilbutt mit Pak Choi und Erdnüssen.
Ich kenne diese Veranstaltung bisher
nur als Gast. Jetzt am Herd stehen zu
dürfen, ist eine Ehre für mich. Ein
Kochen unter den Großen.
Sie sind ja jetzt auch eine Große. Wie
war das, als Sie erfuhren, dass Sie
Berlins erste Sterne-Köchin sind?
Unglaublich toll. Drei Jahre lang
hatten wir schon 17 Punkte im Gault
Millau, das entspricht ja eigentlich
dem Sterne-Niveau. Doch bei Michelin passierte gar nichts. Man
nickt das dann irgendwann einfach
weg. Schließlich kann man sich nicht
jedes Jahr ärgern. Als es dann doch so
weit war, hatte ich richtig weiche
Knie. Diese Auszeichnung ist großartig. Ich bin sehr stolz darauf.
AKUD/LARS REIMANN (2)
Sonja Frühsammer pflegt eine Küche der leisen Töne und veranstaltet um ihre Kreationen kein großes Getue. Was sie sehr sympathisch macht.
Hat sich der Stern im Alltagsgeschäft
schon bemerkbar gemacht?
Ja, wir sind auf jeden Fall besser
gebucht. Wir können schöner einkaufen, mehr Leute einstellen, bekommen bessere Bewerbungen.
Ändert sich das Publikum auch?
Wir haben sehr viele Stammkunden aus Charlottenburg, Wilmersdorf, Zehlendorf. Die kommen nach
wie vor. Mit dem Stern haben wir vor
allem mehr internationale Gäste bekommen. Es gibt Touristen, die die
Sterne-Restaurants
abklappern,
wenn sie in einer anderen Stadt
sind. Die kommen jetzt auch zu uns.
Finden Sie das schade, dass Sie nicht
näher dran sind an der hippen Mitte,
am Zentrum, wo ja auch die meisten
Sterne-Lokale zu finden sind?
Eigentlich nicht. Ich mag es ein
bisschen grün, ein bisschen ruhiger.
Dieser Ort hier passt zu uns. Diese
Szene, das sind wir nicht.
Hat sich mit dem Stern Ihr Kochstil
verändert?
Nein. Mein Ziel ist es, etwas Gutes auf den Teller zu bringen, damit
die Gäste glücklich sind. So koche
ich nun mal. Hochwertige Produkte
haben wir schon immer eingesetzt.
Alle reden derzeit von regionaler Küche. Sie auch?
Nicht so dogmatisch. Wir versuchen auch, regionale Produkte einzusetzen. Aber ich möchte auch mal
Steinbutt essen und ich mag die
Taube aus Frankreich, weil sie einfach besser ist als die aus der Lausitz.
Aktuell kommt im Frühsammers auch französische Taube auf die Teller.
F R E I K A R T E N
F Ü R
Der Preis: Der Große Gourmetpreis wird
seit 1999 verliehen. In sechs Bundesländern und auf Mallorca werden die jeweils
besten Köche gekürt. Grundlage für die
Rangliste sind die Bewertungen in den
wichtigsten Restaurantführern (wie Michelin, Gault Millau, Gusto, Schlemmer Atlas,
Varta-Führer und Der Feinschmecker), die
zu einer Gesamtpunktzahl zusammengezogen werden.
D I E
L E S E R
Am Herd: Kochen werden Hendrik Otto
aus dem Adlon, Michael Kempf aus dem
Facil, Christian Lohse aus dem Fischers
Fritz, Roel Lintermans vom Waldorf Astoria
und Berlins einzige Sterneköchin Sonja
Frühsammer sowie Alexander Dressel aus
dem Bayrischen Haus Potsdam. Hinzu
kommt als Gastkoch Lutz Niemann vom
Maritim Timmendorfer Strand.
Ein Koch, ein Gang: In Berlin werden in diesem Jahr zum fünften Mal die besten Köche der Stadt geehrt. Auf einer öffentlichen Gala-Veranstaltung bereiten die prämierten Küchenchefs gemeinsam ein
Menü zu, jeder Koch ist für einen Gang verantwortlich.
Die Tickets: Karten für die Gala kosten
198 Euro. Darin enthalten sind ein Champagner-Empfang, das Sieben-Gang-Menü
der Köche, begleitende Weine und ein
Showprogramm mit den Rockhouse
Brothers aus England. Tickets sind erhältlich unter Telefon 20 65 14 35 und per EMail: [email protected]
Die Gala: Der Große Gourmetpreis BerlinBrandenburg findet in diesem Jahr am
Sonntag, dem 26. April, um 17 Uhr im Maritim Hotel, Stauffenbergstraße 26 in Tiergarten statt.
Verlosung: Leser der Berliner Zeitung können mit etwas Glück gratis teilnehmen.
Wir verlosen 2x2 Freikarten. Die Gewinnhotline ist heute um 11 Uhr unter der Nummer 23 27 70 22 geschaltet. Viel Glück!
Die Zauberformel für das Einzigartige
Oft heißt es, Sterne-Küche sei kaum
wirtschaftlich zu betreiben, wenn
man nicht ein großes Hotel im Rücken hat. Wie ist das bei Ihnen?
Das hat sich ja lange entwickelt.
Als wir hier vor zehn Jahren anfingen,
sah es aus wie in einer Jugendherberge. Wir haben keinen großen Kredit aufgenommen, keinen Designer
engagiert, sondern einfach erstmal
angefangen zu kochen. Mittlerweile
haben wir eine gute Mischkalkulation gefunden. Mittags bieten wir einen günstigen Lunch an. Die Tennisclubmitglieder können hier vergünstigt essen, darüber beziehen wir natürlich auch viel Klientel und zahlen
keine horrende Miete. Wir machen
zweimal im Monat große Veranstaltungen, ohne die würden wir nicht
zurechtkommen. Dann kommt natürlich dazu, dass mein Mann und
ich voll mitarbeiten.
Ist man nach dem ersten Stern nun
gleich auf den zweiten orientiert?
Nein. Mir reicht der eine Stern,
und ich denke, mehr sind wir auch
nicht. Die Zwei-Sterne-Restaurants
in der Stadt spielen in einer anderen
Liga. Dort kocht man viel kleinteiliger. Bei mir soll schon auch was auf
die Teller kommen. Es gibt nichts
Schlimmeres, als dass die Gäste mit
Hunger das Restaurant verlassen.
Und ich möchte auch nicht nur noch
mit Anrichten beschäftigt sein.
Viele Köche drängt es in die Öffentlichkeit. Sie wirken zurückhaltender.
Ob ich ins Fernsehen gehe, das
hinge sehr vom Format ab. Und im
Restaurant sorgt mein Mann schon
dafür, dass ich auch mit den Gästen
rede. Nach dem Hauptgang schickt
er mich immer an die Tische. Das ist
auch in Ordnung. Aber grundsätz-
lich bin ich froh, dass er draußen im
Service ist und sich darum kümmert,
dass es den Gästen gut geht.
Ihr Lebenslauf liest sich ungewöhnlich. Sie haben nicht den üblichen
Spitzenküchen-Marathon absolviert.
Komisch ist es, dass bei anderen
lange Listen stehen und bei mir nur
drei Stationen. Aber es hat ja trotzdem geklappt. In der Kantine, in der
ich lernte, gab es auch ein Casino, in
dem hochwertiger gekocht wurde.
Danach war ich im Alt-Luxemburg,
und dann habe ich zwei Kinder bekommen und eine Pause eingelegt.
Als ich meinen jetzigen Mann kennenlernte, hatte der gerade einen
Cateringbetrieb, und ich fing bei
ihm an. Von ihm habe ich viel gelernt, schließlich hat er jahrelang
selbst ein Sterne-Lokal betrieben.
Zehn Jahre lang haben Sie beide zusammen gekocht. Wie schwer war es,
Ihren Mann zu überzeugen, dass Sie
jetzt die Küchenchefin sind?
Das war o. k. für ihn. Er ist ja mental immer noch in der Küche und
probiert alles. Aber er nimmt sich zurück. Er kocht einfach anders als ich,
traditioneller und deftiger. Er hat mal
gesagt, er sei der Handwerker, ich der
Star. Ich würde das so nicht sagen,
aber ich koche sicher mutiger als er.
Wie groß ist der Druck, den erlangten
Stern nicht wieder zu verlieren?
Druck hat man immer, weil man
ja will, dass die Gäste wiederkommen. Drill herrscht bei uns in der
Küche aber nicht. Mein Mann kriegt
manchmal die Krise, der findet es zu
nett. Dann haut er mal dazwischen.
Wir ergänzen uns da ganz gut.
Interview: Anne Vorbringer
EvEnt
TickeT-HoTline
030 – 479 974 77
08.10. – 11.10.2015
Berlin
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