Große und offene Geodaten Lars Behrens, Daniela Brandt, Albrecht Broemme, Dietmar Class, Johannes Föll, Manfred Gültlinger, Wolfgang Jörg, Berthold Klauser, Rene Löhrer, Jörn von Lucke, Henry Michels, David Oesch, Andreas Schleyer, Gunter Schramm, Andreas Stein, Erich Zielinski 108 Große und offene Geodaten Dokumentation der Internationalen Konferenz „One Stop Europe 2015 – Große und offene Geodaten“ 23. und 24. April 2015, Stuttgart Inhalt Impressum Stiftungsreihe 108 Redaktion Prof. Dr. Erich Zielinski Petra Bonnet M.A. Titelbild: Landeshauptstadt Stuttgart, Stadtmessungsamt Druck der Broschüre DCC Kästl GmbH & Co. KG Alle Rechte vorbehalten © 2015 Die Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikationsforschung ist eine nichtrechtsfähige Stiftung in der treuhänderischen Verwaltung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Angaben nach § 5 TMD/ § 55 RfStv Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. Barkhovenallee 1 45239 Essen Telefon: (02 01) 8401-0 Telefax: (02 01) 8401-301 E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Professor Dr. Andreas Schlüter (Generalsekretär) Grußworte Erich Zielinski 3 Große und offene Geodaten (Big and Open Geodata) Jörn von Lucke 5 Nationale Geoinformationsstrategie - Umsetzung in Baden-Württemberg Andreas Schleyer 8 Big and Open Geodata - Ein Motor für die Wirtschaft? Rene Löhrer, Lars Behrens 17 Erweiterung der Nutzungspotentiale durch Geodatendienste der Geodateninfrastrukturen / Smarte Geodatenstadt Johannes Föll 21 StoryMaps: mit Geodaten Geschichten erzählen David Oesch, Daniela Brandt 28 Smart City Cloud für Bürgerbeteiligung Andreas Stein 32 Baden-Württemberg vierdimensional Berthold Klauser, Manfred Gültlinger 37 Geovisualisierung in der Landespolizei Dietmar Class 47 Vorbereitung und Umsetzung von THW-Einsätzen national, grenzüberschreitend und international, bei Hochwasser sowie Schutz kritischer Infrastrukturen mit Basis von Geodaten Albrecht Broemme 56 Geobasiertes Leerstandsmanagement am Beispiel Bischofsheim a.d. Rhön Gunter Schramm 61 ISSN 0932-156x 1 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur am Beispiel einer Routing- und Navigationslösung für blinde und sehbehinderte Menschen in Berlin Henry Michels 68 basemap.at und weitere herausragende Entwicklungen im österreichischen Open GeoData-Umfeld Wolfgang Jörg 81 2 Grußworte Erich Zielinski In diesem Jahr lädt die Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikationsforschung in Kooperation mit der Zeppelin Universität Friedrichshafen, der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, dem Innenministerium Baden-Württemberg und dem Landesamt für Geoinformation und Landesentwicklung Baden Württemberg zur internationalen Konferenz „One Stop Europe 2015“ ein. Die Konferenzreihe „One Stop Europe“, die sich nunmehr zum neunten Male jährt, wurde als Forum für den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis über neue Entwicklungen des E-Government konzipiert und greift jedes Jahr ein aktuelles und relevantes Thema auf. Unter dem diesjährigen Konferenztitel „Große und offene Geodaten“ erörtern namhafte Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Wissenschaft den aktuellen Stand und Zukunftsperspektiven von Geoinformationen für die digitale Gesellschaft. Viele Entscheidungen in Politik und Verwaltungen werden unter Berücksichtigung eines geographischen Bezugs getroffen. Historisch betrachtet bildeten Karten oft die Grundlage staatlichen Handelns und führten zu neuen Entdeckungen. Carl Friedrich Gauß wurde durch die Landvermessung des Königreichs Hannover (1818 bis 1826) zu seinem Theorema egregium inspiriert und legte das mathematische Fundament für die Vermessung beispielsweise der Erdoberfläche. Mit der Digitalisierung ergibt sich nun ein feingranulares Netz von Geodaten, die mit anderen Objekten verknüpft und angereichert werden können. Gerade die Kombination von Informations- und Kommunikationstechnolo- gien, Geodateninfrastrukturen und Open Government eröffnet bisher kaum vorstellbare Möglichkeiten. Die Potentiale von großen und offenen Geodatenbeständen für Staat, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sind der Schwerpunkt der „One Stop Europe 2015“. Die beiden Keynote-Vorträge befassen sich mit dem aktuellen Stand und zeigen Perspektiven für die Zukunft auf. In der folgenden Sitzung wird die Umsetzung der nationalen Geoinformationsstrategie in BadenWürttemberg erörtert und der Fragestellung nachgegangen, inwiefern sich große und offene Geodaten als Motor für die Wirtschaft erweisen können. Der Fokus der ersten Sitzung am Nachmittag liegt auf einer Öffnung der Geodateninfrastrukturen im Hinblick auf eine Erweiterung der Nutzungspotentiale durch Geodatendienste (Stichwort „Smarte Geodatenstadt“) und der Rolle als Treiber für Innovation und Fortschritt. In der anschließenden Sitzung erfolgt eine Vertiefung an Hand von ausgesuchten Beispielen: Mehrwert von Geoinformationen für den Bürgen durch StoryMaps (mit Geodaten Geschichten erzählen), Einsatz von Smart City Clouds für Bürgerbeteiligung und der Weg hin zum Landschaftsmonitoring (Baden-Württemberg 4-dimensional). Zum Abschluss des ersten Konferenztages findet eine Podiumsdiskussion statt, auf der kritisch diskutiert wird, wohin uns große und offene Geodaten führen können. Am zweiten Konferenztag folgen Best Practice Beispiele zunächst auf Bundes- und Landesebene, gefolgt von Beispielen auf kommunaler Ebene. 3 Erich Zielinski Besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Programmkomitee für die Erstellung des umfassenden und zum Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis anregenden Konferenzprogramms. Ausdrücklich erwähnt werden sollen neben den beteiligten Universitäten und Hochschulen das Innenministerium Baden-Württemberg und das Landesamt für Geoinformation und Landesentwicklung Baden Württemberg. Ich wünsche uns allen an 4 SR 108 regende und spannende Vorträge, ergebnisreiche Diskussionen und neue Ideen im Verlauf der diesjährigen Tagung. Ich wünsche uns allen spannende Vorträge, ergebnisreiche Diskussionen und neue Ideen im Verlauf der diesjährigen Tagung. Prof. Dr. Erich Zielinski ist Programmbeauftragter der Alcatel-Lucent Stiftung Große und offene Geodaten (Big and Open Geodata) Jörn von Lucke Viele Entscheidungen in Politik und Verwaltungen werden unter Berücksichtigung eines geographischen Bezugs getroffen. Das ist uns vielfach gar nicht bewusst. Aber wenn wir diese Aussage ein wenig reflektieren, so stellen wir fest, das Geodaten und Geoinformationen in ganz unterschiedlichen Bereichen eine entscheidende Rolle spielen. Karten waren bereits für die Entdeckung, Erschließung und Eroberung der Welt nahezu unerlässlich. Zunächst nutzte man Kartenzeichnungen und Kartenskizzen, Notizen und Karteikarten. Vor Erfindung des Buchdrucks waren Karten das Ergebnis handgemalter Einzelkarten. Atlanten speicherten das Kartenwissen der Welt in verständlichen wie überschaubaren Buchund Kunstwerken. Ein frühes Meisterwerk ist sicherlich die Galleria delle Carte Geografiche, also die Galerie der Landkarten, im Palazzi Vaticani im Vatikanstaat. Entscheidend waren aber nicht nur die künstlerische Qualität, sondern die Genauigkeit der messtechnischen Erfassung von Punkten auf der Erdoberfläche und deren anschließender Verwendungszweck. Auf die besondere Bedeutung des Vermessungswesens für die Katasterverwaltung und das Militär möchte ich an dieser Stelle auch gar nicht mehr eingehen. Sie unterstreicht jedoch, dass unser Gemeinwesen auch in Zukunft auf das Studium der Geodäsie und eine staatliche Vermessungsverwaltung angewiesen ist. In unserer eigenen Jugend nutzen wir ganz selbstverständlich den Diercke Weltatlas im Erdkundeunterricht in der Schule, aber auch diverse Straßenkarten bei allen Urlaubsplanungen. Die Zeiten ändern sich. Rechner ziehen seit mehr als 50 Jahren erfolgreich in das Karten- und Vermessungswesen ein. Analoge Karten und Luftbilder werden zunehmend digitalisiert und damit digital, sogar der Diercke Weltatlas. Auf Knopfdruck können Kartenschichten ein- und ausgeblendet werden, Karten also auf meine persönlichen Bedürfnisse hin zugeschnitten werden. Die Kombination von Informations- und Kommunikationstechnologien, Geodateninfrastrukturen und Open Government eröffnet derzeit vollkommen neue und bisher kaum vorstellbare Möglichkeiten. Vermessungsverwaltungen bieten über das Internet zunehmend Geodaten, Geodienste und Geoapps an. Offene Geodateninfrastrukturen werden zur Grundlage innovativer Apps und neuer Ökosysteme. Die Potentiale von großen und offenen Geodatenbeständen (Big and Open Geodata) für Staat, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sind zwar bekannt, aber im Kontext des Internets der Daten, des Internets der Dinge und des Internets der Dienste kaum konsequent durchdacht. Für die gesellschaftliche Weichenstellung der Zukunft ist es aber wichtig, dass die politisch Verantwortlichen und die Führungskräfte wissen, welches Potential hier eigentlich noch schlummert und wie dieses zum Nutzen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gehoben werden kann. Die Open Street Map zeigt uns derzeit in sehr eindrucksvoller Weise, wie mit einem offenen und für jedermann frei zugänglichen Geodateneditor Geoinformationen für jedermann greifbar und ohne große Kosten nutzbar werden. Die weltweit verteilt sitzende Gemeinschaft der Crisismapper nutzte vor fünf Jahren die OSM nach dem verhee- 5 Jörn von Lucke renden Erdbeben in Haiti, um auf Basis von aktuellen Satellitenaufnehmen die Situation mit digitalen Geodaten festzuhalten und so nachhaltig zu verbessern. Dabei entwickelte Werkzeuge und Dienste stehen heute uns allen und auch bei künftigen Katastrophenfällen zur Verfügung. Kostengünstige Navigationsdienste auf Basis der Open Street Map stellen aber auch etablierte und politisch austarierte Geschäftsmodelle von Wirtschaft und Verwaltung in Frage. Wie aber können wir die Vorteile von Offenheit, Zusammenarbeit und rascher Verbreitung zur öffentlichen Aufgabenwahrnehmen weiter nutzen, ohne auf verlässliche und bewährte Strukturen verzichten zu müssen, deren Finanzierungsgrundlage insbesondere durch das Open-Data-Prinzip in Frage gestellt wird. Mit Verweis auf große Geodaten (Big Geo Data) stellen wir uns zugleich der Frage, wie die vorhandenen Datenbestände zeitnah in ihrer ganzen Vielfalt genutzt werden können. Schließlich sollen bei der Nutzung der Geodaten und Geodienste konstruktive Ergebnisse herauskommen! Niemand möchte in einer Geodatenflut ertrinken. Glücklicherweise erlauben leicht bedienbare Browser es heute Laien, sich in komplexen Geodatenbeständen zu Recht zu finden. Solche Ansätze gilt es zu vertiefen und auszubauen. Im Zeitalter des Internets der Dinge und der Dienste werden wir zunehmend auf intelligente Dinge setzen. Deren Sensoren lassen sich über geographische Informationssysteme im Minuten- oder gar im Sekundentakt leicht verständlich auswerten. Auch dieses Potential gilt es in den kommenden Jahren im Sinne der Bürger zu erschließen. Zudem stellt sich mit Blick auf das Schwerpunkthema „Offene gesellschaftliche Innovation“ der One Stop Europe 2014 die Frage, wie Staat und Verwaltung mit Geodaten ge- 6 SR 108 zielt konstruktive Innovationsimpulse generieren können. In Großbritannien betreibt die Vermessungsverwaltung seit 2009 den Geovation Challenge (http://www.geovation.org.uk). Dieser Ideen- und Startup-Wettbewerb widmet sich einer spezifischen Fragestellung mit gesellschaftlicher Bedeutung. Der Ordnance Survey stellt die dazugehörigen Geodaten bereit, führt Workshops durch und fordert Innovatoren auf, Lösungsvorschläge einzureichen, etwa rund um die Frage, wie das Transportwesen in Großbritannien verbessert werden kann. Die Preisträger erhalten zum Abschluss eine beachtliche Anschubfinanzierung zur Umsetzung ihrer Idee, idealtypisch verbunden mit einer weitergehenden Wirtschaftsförderung und Betreuung in den Anfangsphasen. So sollen Unternehmer, Entwickler, gesellschaftliche Gruppen und Innovatoren angesprochen werden, von denen sich Staat und Verwaltung wertvolle Impulse zur Weiterentwicklung versprechen. Das Programmkomitee freut sich, dass sich ganz im Sinne von offener Innovation auch Wissenschaftler und Praktiker mit eigenen Vorschlägen zum derzeitigen Potential und zu den künftigen Möglichkeiten der Erschließung und Nutzung von Geodaten in die diesjährige One Stop Europe eingebracht haben. Mit der One Stop Europe 2015 möchte das Hochschulkolleg E-Government der AlcatelLucent Stiftung für Kommunikationsforschung weitere Impulse setzen. Uns geht es dabei nicht nur um eine Reflektion der gegenwärtigen Situation, sondern auch um einen ermunternden wie motivierenden Blick in die Zukunft, um realistische wie pragmatische Leitbilder, Ziele und Strategien zu skizzieren. Dazu werden uns auch die vorbildhaften Umsetzungen auf kommunaler, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene helfen, die wir SR108 uns heute und morgen ansehen und gemeinsam mit den Referenten besprechen können. Im Namen des gesamten Programmkomitees und der Veranstalter wünsche ich der Veranstaltung einen erfolgreichen Verlauf und den Teilnehmern viele wertvolle Erkenntnisse für die eigene Arbeit. Große und offene Geodaten (Big and Open Geodata) Professor Dr. Jörn von Lucke ist Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik und Leiter des Open Government Institute (TOGI) an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. [email protected] 7 Nationale Geoinformationsstrategie - Umsetzung in Baden-Württemberg Andreas Schleyer Abstract Die derzeit unter Federführung des Lenkungsgremiums der Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE) entwickelte Nationale Geoinformationsstrategie (NGIS) definiert die gemeinsamen Ziele von Bund, Ländern und Kommunen im Bereich der grundsätzlich multipel nutzbaren Geoinformation, die im Dialog mit Wirtschaft und Wissenschaft ausgestaltet und im Zeithorizont bis 2025 umgesetzt werden sollen. Herzstück der NGIS sind die Geodateninfrastrukturen, die derzeit auf europäischer, nationaler und landesbezogener Ebene aufgebaut werden und mit denen Geodaten verschiedener Herkunft mittels Geodatendiensten fach- und organisationsübergreifend verfügbar gemacht werden. Wichtige Bestandteile der NGIS sind die Integration der Geodaten in Verwaltungsverfahren (E- Government) und die Unterstützung der mit Open Government bezweckten Transparenz, Partizipation und Kooperation für ein offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln. Sie konkretisiert daher die Nationale E-Government-Strategie (NEGS) des IT-Planungsrats im Bereich der Geoinformation. In Baden- Württemberg spielt die Geodateninfrastruktur Baden-Württemberg (GDIBW) als integraler Bestandteil der nationalen Geodateninfrastruktur im Sinne der NGIS eine elementare Rolle, nicht zuletzt bei den Digitalisierungsbestrebungen der Landesregierung und der von der derzeitigen Regierungskoalition propagierten Politik des Gehörtwerdens. 8 Eine notwendige Voraussetzung für die Umsetzung der NGIS ist eine flächendeckende Versorgung mit Hilfe einer standardisierten Geodatenbasis. Die Standards gewährleisten die fach- und stellenübergreifende Nutzbarkeit von Geodaten, vermeiden den bislang anfallenden Aufwand zur Datenintegration und schaffen so die Grundlage für medienbruchfreie Geschäftsprozesse mit Raumbezug in Verwaltung und Wirtschaft. Geodaten können nur in ihrer standardisierten Form einer übergreifenden Nutzung zugeführt und das den Geodaten innewohnende Informations- und Wertschöpfungspotenzial aktiviert werden. Neben fachlichen und technischen Aspekten kommt der Datenpolitik eine zentrale Bedeutung bei der Nutzung von Geodaten zu, die sich in einheitlichen und transparenten Lizenzen und zunehmend auf Open Data ausgerichtete Strategien ausdrückt. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz hat ein erstes Open-Data-Portfolio für die Geobasisdaten von Landesvermessung und Liegenschaftskataster geschnürt, das wegweisend für andere Fachbereiche sein kann und bedarfsgerecht fortentwickelt wird. 1 Potenzial von Geodaten und Einordnung der Nationalen Geoinformationsstrategie Das Informations- und Wertschöpfungspotenzial von multipel nutzbaren Geodaten für Staat und Gesellschaft ist enorm. Geodaten sind SR108 Nationale Geoinformationsstrategie - Umsetzung in Baden-Württemberg „Rohstoff“ für die Wirtschaft, bieten sie doch eine Grundlage für verschiedenste Geschäftsmodelle von Unternehmen, „Treibstoff“ für die Verwaltung, ohne die sich öffentliche Aufgaben nicht oder nur schwer erfüllen ließen, „Forschungsbasis“ für die Wissenschaft, durch Kombination von Geodaten in neuem Kontext kann neues Wissen entstehen, vor allem aber auch „Katalysatoren“, die eine demokratische Informations- und Wissensgesellschaft unterstützen, indem sie Regierungs- und Verwaltungshandeln mit Auswirkungen auf Grund und Boden transparent machen (Open Government). Werden Geodaten aufbereitet und in Zusammenhang dargestellt, entstehen aus Daten interpretierbare Informationen von großer Aussagekraft. Raumbezogene Sachverhalte werden anschaulich, Entscheidungen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft können besser getroffen und nachvollzogen werden – nicht zuletzt durch informierte Bürgerinnen und Bürger. Geoinformationen sind elementare Bausteine der digitalen Gesellschaft. Aktuelle Themen wie Energiewende, demographische Entwicklung, Flächenverbrauch, gerechte Bildung, bürgerschaftliche Partizipation und umfassende Digitalisierung der Lebensgrundlagen sind ohne Geodaten ohnehin nicht denkbar. Die zentrale Bedeutung der Geodaten ist der Grund, warum derzeit – angestoßen vom 3. Geofortschrittsbericht der Bundesregierung vom 7.11.2012 – eine Nationale Geoinformationsstrategie entwickelt wird, die die gemeinsamen Ziele von Bund, Ländern und Kommunen im Bereich des Geoinformationswesens definiert. Kern der NGIS sind die Geodateninfrastrukturen, die aktuell auf europäischer, nationaler und Landesebene aufgebaut werden und mit denen Geodaten verschiedener Herkunft mittels Geodatendiensten schrittweise einfach über Internettechnologie verfügbar gemacht werden sollen. Die Federführung bei der Entwicklung und Umsetzung der NGIS obliegt dem Lenkungsgremium GDI-DE als nationalem Steuerungsgremium für den Bereich Geoinformation. Die NGIS konkretisiert die Nationale E- Government-Strategie1 des ITPlanungsrats vom 24.09.2010 und ordnet sich ein in die definierten Handlungsfelder der Digitalen Agenda2 der Bundesregierung vom 20.08.2014. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz als für die Geodateninfrastruktur in Baden-Württemberg federführendes Ressort, das auch für die Bereitstellung der grundlegenden Geobasisdaten zuständig ist, kommt eine besondere Verantwortung für die Umsetzung der NGIS im Land zu. 2 Grundsätze der Nationalen Geoinformationsstrategie Deutschland zeichnet sich im Geoinformationsbereich aufgrund der föderalen und kommunalen Aufgabenverteilung durch heterogen gewachsene Strukturen, eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven und daraus resultierenden Zielkonflikten aus. Mit der NGIS soll 1 Siehe http://www.it-planungsrat.de/DE/Strategie/negs_node.html 2 Siehe http://www.bmwi.de/DE/Themen/Digitale-Welt/digitale-agenda.html 9 Andreas Schleyer SR 108 teressensgruppen können die Grundsätze in der Praxis umgesetzt werden. 3 Zielsystem der Nationalen Geoinformationsstrategie erstmals ein gemeinsames fach- und ebenenübergreifendes Grundverständnis über strategische Ziele erreicht werden, um das Informations- und Wertschöpfungspotenzial von Geodaten für den Standort Deutschland mit volkswirtschaftlichem Mehrwert zu aktivieren. Die NGIS adressiert die Stellen der öffentlichen Verwaltung, die Geoinformationen erheben, führen und bereitstellen (Anbieter) und bezieht hierbei auch die Wirtschaft und Wissenschaft als komplementäre Akteure ein. Die NGIS richtet sich aus an dem Bedarf aller gesellschaftlichen Gruppen, die Geoinformationen für ihre jeweiligen Zwecke nutzen (Nutzer). Dazu orientiert sich die NGIS an den die gesamtgesellschaftlichen Leitlinien in Deutschland abbildenden Grundsätzen der Geoinformation: 1) Grundversorgung mit Geoinformationen sichern, 2) Mehrfachnutzung von Geoinformationen erleichtern, 3) mit Geoinformationen Innovationen fördern. Nur durch ein partnerschaftlich integratives Zusammenwirken aller beteiligen Akteure von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen In- 10 Auf Basis der Grundsätze sieht die NGIS insgesamt 15 Ziele in 6 Zielbereichen vor, die den langfristig angestrebten Zustand im Bereich der Geoinformation in Deutschland in den Grundzügen beschreiben: A Nutzen für Bürger, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung B Wirtschaftlichkeit und Effizienz C Transparenz und gesellschaftliche Teilhabe D Datenschutz und Datensicherheit E Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit F Leistungsfähige IT-Unterstützung Die Zielbereiche der NGIS orientieren sich an den Zielbereichen der Nationalen E-Government-Strategie (NEGS). Die vom IT-Planungsrat über alle Verwaltungsebenen koordinierten Entwicklungen in der Informationstechnologie der öffentlichen Verwaltung und des E-Governments sind für eine erfolgreiche Umsetzung der NGIS unabdingbar – die Besonderheiten der Geoinformation beeinflussen wiederum das auf Basis der MainstreamIT aufgebaute E-Government in Deutschland. Die 15 Ziele im Einzelnen: Zielbereich A: Nutzen für Bürger, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung Geoinformationen sind für alle zugänglich und einfach nutzbar SR108 Nationale Geoinformationsstrategie - Umsetzung in Baden-Württemberg Qualität und Vielfalt der Geoinformationen richten sich nach Nutzerbedürfnissen Zielbereich B: Wirtschaftlichkeit und Effizienz Geoinformationen werden wirtschaftlich erhoben, geführt und bereitgestellt Anwendungsfreundliche Regelungen und Mechanismen fördern die Weiterverwendung von Geoinformationen Prozesse durch Integration von Geoinformationen optimieren Zielbereich C: Transparenz und gesellschaftliche Teilhabe Verständnis und Mehrwert von Geoinformationen sind bekannt Geoinformationen werden transparent dokumentiert und veröffentlicht Beteiligungsprozesse nutzen verstärkt Geoinformationen Nutzer werden an der Weiterentwicklung der Geoinformationen kooperativ beteiligt Zielbereich D: Datenschutz und Datensicherheit Einhaltung des Datenschutzes bei Geoinformationen Datensicherheit von Geoinformationen wird gewährleistet Zielbereich E: Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit Geoinformationen leisten einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Staates Zielbereich stützung F: Leistungsfähige Geoinformationen werden auf Basis allgemein anerkannter Regeln interoperabel bereitgestellt Nationale Komponenten sichern die zentrale Erschließung von Geoinformationen 4 Eckpunkte zur Umsetzung der Nationalen Geoinformationsstrategie Um die weitreichenden Ziele der NGIS in die Praxis umzusetzen, bedarf es eines komplexen Bündels von aufeinander abgestimmten rechtlichen, fachlichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen im Bereich der Geoinformation in Deutschland. Bund, Länder und Kommunen schaffen in ihren Rollen als Normengeber, Koordinatoren, Innovatoren und Betreiber infrastruktureller Komponenten die übergeordneten Rahmenbedingungen für die Umsetzung der NGIS im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wirtschaft, Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Interessengruppen nehmen unverzichtbare komplementäre Funktionen ein. Um ein arbeitsteiliges Zusammenwirken aller Beteiligten zu ermöglichen bedarf es eines akzeptierten Rollenverständnisses, das themenbezogen im gegenseitig vertrauensvollen Dialog nach dem Leitsatz „Wer ist geeignet? – statt: Wer ist zuständig?“ auszugestalten ist. IT-Unter- Geoinformationen werden über leistungsfähige IT-Infrastrukturen bereitgestellt und genutzt 11 Andreas Schleyer SR 108 Grundlegendes Rollenverständnis bei der Umsetzung der NGIS Bund Der Bund übernimmt eine führende Rolle bei internationalen Aktivitäten und richtet zur Bereitstellung von Geoinformationen leistungsfähige Zentren (Bundesknoten) ein. Geoinformationen des Bundes werden im Rahmen des öffentlichen Auftrags dauerhaft und barrierefrei bereitgestellt. Länder Die Länder koordinieren die Erfassung, Führung und Bereitstellung von Geoinformationen einschließlich der kommunalen Ebene und richten für die Bereitstellung leistungsfähige Zentren (Landesknoten) ein. Geoinformationen der Länder werden im Rahmen des öffentlichen Auftrags dauerhaft und barrierefrei bereitgestellt. Kommunen Die Kommunen bewältigen die Erfassung, Führung und Bereitstellung von Geoinformationen in eigener Verantwortung, über private / öffentliche Dienstleister in den Ländern. Geoinformationen der Kommunen werden im Rahmen des öffentlichen Auftrags dauerhaft und barrierefrei bereitgestellt. Wirtschaft Unternehmen bieten Dienstleistungen rund um Geoinformationen für andere Unternehmen, die öffentliche Verwaltung oder Forschungseinrichtungen an. Geoinformationen der Wirtschaft mitsamt konfektionierter Dienstleistungen werden nach Marktlage bereitgestellt. Wertschöpfung wird vielfach auf Grundlage der Geoinformationen der Verwaltung generiert, die Angebote werden auf konkrete Nutzer gegen Entgelt zugeschnitten. Wissenschaft Wissenschaftliche Einrichtungen schaffen im Zuge ihrer Forschungsaufgaben vielfach Geodaten zu speziellen wissenschaftlichen Fragestellungen, die ein hohes Informationspotenzial für Politik, Unternehmen und den gesellschaftlichen Diskurs haben. Geoinformationen der Wissenschaft werden zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse barriere- und geldleistungsfrei bereitgestellt. Interessengruppen Zivilgesellschaftliche Interessengruppen erfassen zunehmend durch eigenes Engagement und mobile Devices Geodaten zu unterschiedlichsten Themen (Topographie, Freizeit, Umwelt). Geoinformationen zivilgesellschaftlicher Interessengruppen werden aus eigener Motivation heraus barriere- und geldleistungsfrei bereitgestellt. 12 SR108 Nationale Geoinformationsstrategie - Umsetzung in Baden-Württemberg temberg (GDI-BW) als integraler Bestandteil der nationalen Geodateninfrastruktur (GDI-DE) auf den Weg gebracht. Weitere Maßnahmen mit mittelbarem oder unmittelbarem Bezug zur NGIS wurden in einzelnen Fachbereichen durchgeführt. Grundlegende Maßnahmen zur Umsetzung der NGIS sind unter Federführung des Lenkungsgremiums GDI-DE zu definieren und schrittweise im Zeithorizont bis 2025 zu realisieren. Hier werden bestehende Maßnahmenpläne unter Angabe der zuständigen Akteure und des Zeitrahmens gezielt fortgeschrieben und nach Bedarf zusätzliche Maßnahmenpläne entwickelt. Spezifischen Maßnahmen fachlicher, technischer und organisatorischer Art kommt eine besondere Bedeutung bei der Umsetzung der NGIS zu. Planung und Durchführung obliegen den einzelnen Akteuren in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich, bei Bedarf können sie über das Netzwerk der GDI-DE und subsidiär mit den länderbezogenen Geodateninfrastrukturen abgestimmt werden. 5 Umsetzung in Baden-Württemberg Die Umsetzung der NGIS mit dem vorgesehenen Zeithorizont stellt auf nationaler Ebene wie auch in Baden-Württemberg eine Herausforderung dar. Einige Maßnahmen wurden bereits im Rahmen des Land-Kommunen-Vorhabens der Geodateninfrastruktur Baden-Würt- Die Rechtsgrundlagen liegen mit dem Landesgeodatenzugangsgesetz vom 17.12.2009 (LGeoZG) in Umsetzung der INSPIRE-Richtlinie und mit verschiedenen Fachgesetzen vor. Ihre bedarfsgerechte Weiterentwicklung, z. B. durch Vorgabe einheitlicher Zugangs- und Nutzungsbedingungen zu Geoinformationen, ist zu prüfen. Die organisatorischen Strukturen mit dem Begleitausschuss GDI-BW (Ausschuss nach § 9 LGeoZG) und der GDIKontaktstelle sind seit 01.04.2008 geschaffen. Diese gilt es weiter auszubauen, indem das Netzwerk auf die operative Ebene ausgedehnt und Verantwortliche aller geodatenhaltenden Stellen einbezogen werden. Zielsetzung und Rahmen bildet die Gesamtkonzeption GDI-BW vom 11.02.2010 im Zusammenspiel mit dem aktuellen Architekturkonzept der GDI-DE, die in Aufgabenverteilung und Konkretisierung bedarfsgerecht in mittelfristigem Zeithorizont fortzuschreiben ist. Diese Maßnahmen gilt es mit der erweiterten Zielstellung der NGIS abzugleichen und künftig konsequent auf die geforderte Aktivierung des Informations- und Wertschöpfungspotenzials der Geoinformationen zur Grundversorgung, Mehrfachnutzung und Innovation nutzerorientiert auszurichten. Nachfolgend wenige ausgewählte Maßnahmen aus Baden-Württemberg, die den Ziel- 13 Andreas Schleyer bereichen der NGIS zugeordnet werden können und deren Fortentwicklung für eine erfolgreiche NGIS-Umsetzung notwendig ist: Zielbereich A: Nutzen für Bürger, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung Als fachübergreifender Zugang zu allen Geoinformationen mit Relevanz für BadenWürttemberg erlaubt das im Geschäftsbereich des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz aufgebaute Geoportal Baden-Württemberg (www.geoportal-bw.de) komplementär zum Geoportal Deutschland (www.geoportal.de) die Suche, Darstellung und den Bezug der Geoinformationen an zentraler Stelle, damit die Nutzer diese für ihre jeweiligen Zwecke verwenden können. SR 108 dienst Webatlas.de und den Prozessierungsdienst zur Geokodierung von geographischen Namen, Adressen und Flurstücken. Subsidiär wird die Bereitstellung der Geobasis- und Geofachdaten fachbereichsweise in Landesknoten gebündelt, um die einzelnen geodatenhaltenden Stellen zu entlasten: Geodaten von Vermessung, Flurneuordnung, Landwirtschaft, Forst, Ernährung und Verbraucherschutz werden landesweit einheitlich vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung, die Geodaten der Fachbereiche Wasserwirtschaft, Abfall, Altlasten, Boden, Lärm und Naturschutz werden von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz effizient bereitgestellt. Mit dem Instrument der Geodatenbasis Baden-Württemberg als Bestandteil der künftigen Nationalen Geodatenbasis (NGDB) werden für die Grundversorgung von Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft sowie Bürgerinnen und Bürger die nach den Nutzerbedürfnissen nötigen Geodaten dokumentiert und nach abgestimmten Standards und Qualitätssicherung zugänglich gemacht. Verwaltungsprozesse mit Raumbezug werden durch konsequenten Einsatz von Geoinformationen zunehmend optimiert. Beispielsweise werden seit der Antragssaison 2015 nur noch landwirtschaftliche Förderanträge entgegengenommen, die mit Hilfe des webbasierten Geoinformationssystems FIONA erfasst und bei den Landwirtschaftsbehörden zur Weiterverarbeitung in medienbruchfreien und damit hocheffizienten Geschäftsprozessen eingereicht werden. Zielbereich B: Wirtschaftlichkeit und Effizienz Zielbereich C: Transparenz und gesellschaftliche Teilhabe Die zentralen Vertriebsstellen der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder (AdV) bieten bundesweit einheitliche Geobasisdaten des amtlichen Vermessungs- und Geoinformationswesens an und bauen ressourcenschonend die zugehörigen Dienste auf (Bundesknoten), z. B. den Darstellungs- Über das Beteiligungsportal des Staatsministeriums, den im Rahmen von servicebw vom Innenministerium vorangetriebenen Planungsregister sowie über das von Ministerium für Verkehr und Infrastruktur gemeinsam mit den Regionalverbänden verantwortete Raumordnungsportal 14 SR108 Nationale Geoinformationsstrategie - Umsetzung in Baden-Württemberg wird Transparenz über raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen geschaffen, um auf Augenhöhe mit den Bürgerinnen und Bürgern nachvollziehbare raumrelevante Entscheidung zu treffen. Über das Open-Data-Portal des Innenministeriums werden Daten, Dokumente und Anwendungen – mit und ohne Raumbezug – zur Nachnutzung unter dem Blickwinkel von offenen Lizenzen schrittweise erschlossen und mit nutzergerechten Werkzeugen für jedermann auswertbar gemacht. Baden-Württemberg hat als erstes Flächenland im Zuge einer zukunftsgerichteten Open-Data-Strategie mit Wirkung vom 17.01.2013 ein weitgehendes Open-DataPortfolio attraktiver Geobasisdaten zur kostenfreien Nutzung durch jedermann verfügbar gemacht. Vor allem mittels mobiler Anwendungen von Landesverwaltung und Kommunen werden zivilgesellschaftliche Interessengruppen bis hin zu den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern in die Erfassung und Bereitstellung von Geoinformationen einbezogen. Beispiele sind: App „BW-Mapmobile“, mit der dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung topographische Veränderungen mit Auswirkungen auf die Geobasisdaten in geokodierter Form mitgeteilt werden können. App „Meine Umwelt“, mit dem Umweltphänomene geokodiert dem Landesamt für Umwelt, Messungen und Naturschutz übermittelt werden. Apps zur Schadensmeldung werden von einigen Kommunen zur geokodierten Meldung (Schlaglöcher, defekte Straßenbeleuchtung etc.) eingesetzt. Zielbereich D: Datenschutz und Datensicherheit Mit der Einrichtung der Zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) im Landeskriminalamt und des CERT BWL (Computer Emergency Response Team) im Informatikzentrum der Landesverwaltung (IZLBW) wurden grundlegende Sicherheitseinheiten geschaffen. Durch Aufbau einer Geo-IT-Infrastruktur im künftigen Landesrechenzentrum BITBW, die derzeit mit hohen finanziellen und personellen Ressourcen vom Geodatenzentrum des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung im Auftrag des MLR vorangetrieben wird, entsteht eine ausfallsichere, den Datenschutz und Datensicherheit gewährleistende Infrastruktur. Zielbereich E: Nachhaltigkeit Zukunftsfähigkeit und Mit der landesweiten Spezifikation der Bauleitpläne in der GDI-BW auf Basis der vom IT-Planungsrat auf seine Standardisierungsagenda gesetzten Entwicklung von XPlanung wird eine zukunftsfähige Nutzung der von Kommunen in bislang heterogener Vielfalt erfasster Geodaten geschaffen. Durch eine konsequente Zugrundelegung der Geobasisdaten bei der Erfassung von Geofachdaten nach dem Landesgeodatenzugangsgesetz entsteht eine homogene Datenbasis, die eine gemeinsame Analyse und Präsentation von Geobasis- und Geofachdaten ermöglichen und somit die Nutzung der Geodaten vor allem in Verwaltung und Wirtschaft unterstützen. 15 Andreas Schleyer SR 108 Zielbereich F: Leistungsfähige ITUnterstützung Maßnahmen in konsequenter Ausrichtung auf die Ziele der NGIS auf den Weg zu bringen. Das Land betreibt zur Erledigung seiner Verwaltungsaufgaben ein abgesichertes, leistungsfähiges Landesverwaltungsnetz (LVN), das mit dem Kommunalen Verwaltungsnetz (KVN) verbunden ist. Dieses gilt es für die enorme Bandbreite der Geodaten auszubauen. Dabei geht es insbesondere darum, die Fachbereiche der öffentlichen Verwaltung, in denen Geoinformationen zur Eigennutzung entstehen, verstärkt in die Geodateninfrastruktur einzubinden, ihre Geoinformationen für die fach- und organisationsübergreifende Mehrfachnutzung bereitzustellen und sie in das E- und Open Government barrierefrei zu integrieren. Der Breitbandausbau wird unter Federführung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz vorangetrieben. Mit der Breitbandinitiative II investiert BW in eine flächendeckende Breitbandversorgung, die eine Mindestübertragungsrate von 50 MBit/s sicherstellen und damit auch den hohen Anforderungen der Geodateninfrastruktur genügen wird. Die informationstechnischen Strukturen zum Betrieb und Entwicklung von Fachverfahren werden ab 01.07.2015 im Landesbetrieb BITBW wirtschaftlich gebündelt und über einen CIO (Chief Information Officer) zentral gesteuert, so dass Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der für die Bereitstellung von Geodaten notwendigen Landesknoten langfristig gesichert ist. Ein zeitgemäßer Datenschutz und eine zunehmend offene Datenpolitik sind zur Verwirklichung der genannten Ziele elementare Voraussetzungen. 6 Ausblick Nach Beschlussfassung der NGIS im Lenkungsgremium GDI-DE und Bestätigung durch den IT-Planungsrat sind bestehende Maßnahmen fortzuentwickeln und neue 16 Dabei geht es aber auch darum, den Datenschatz der Unternehmen und Forschungseinrichtungen im partnerschaftlichen Miteinander mit der Verwaltung zu erschließen, um den hiesigen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort im globalen Wettbewerb fortzuentwickeln. Die Leitfragen bei der Umsetzung der NGIS in Baden-Württemberg dürfen daher nicht sein: „Bin ich zuständig?“ und „Was bringt es mir?“ – sondern: „Wer kann´s am besten?“ und „Was kann ich für Baden-Württemberg tun?“ Alle Akteure in Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Interessengruppen sind aufgefordert, mit eigenen Maßnahmen und im partnerschaftlichen Dialog zur volkswirtschaftlich sinnvollen Umsetzung der Ziele der Nationalen Geoinformations-Strategie beizutragen. Es erfordert hierbei den Willen von Politik und allen Akteuren, die Zusammenarbeit im Bereich der Geoinformation über alle Fach- und Organisationsgrenzen hinweg zu verstärken und den damit einhergehenden Kulturwandel positiv zu gestalten. Andreas Schleyer, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz BadenWürttemberg, [email protected] Big and Open Geodata - Ein Motor für die Wirtschaft? Rene Löhrer, Lars Behrens Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gründete die Kommission für Geoinformationswirtschaft (GIW-Kommission) 2004. Die Kommission setzt sich aus Vertretern von über 20 Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zusammen. Die Kommission tritt als Mittler zwischen Wirtschaft und Verwaltung auf und unterstützt die handelnden Akteure dabei, die Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Lizenzen und Datenschutzbestimmungen für staatliche Geodaten transparent, nachvollziehbar und deutschlandweit einheitlich zu gestalten. Geodaten sind Daten mit einem Raumbezug. Das können zum Beispiel Daten zur Infrastruktur einer Gemeinde oder zur Gesundheitsentwicklung der Bevölkerung sein. Die Kommission bietet Dienstleistungen wie Moderation, Mediation und Projektmanagement an und entwickelt Service-Angebote. Sie setzt Impulse für die Wirtschaft, um den Geodatenmarkt in Deutschland zu aktivieren. Die GIW-Kommission und Ihre Geschäftsstelle ist Teil der Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE) und arbeitet in den verschiedensten Gremien und Geo-Netzwerken aktiv mit. Denn unser Ziel ist es praktische Lösungen zu entwickeln, die von allen Akteuren mitgetragen werden. Geodaten können in der Produktion und Verwertung von Massendaten bestehende Geschäftsprozesse optimieren und neue Geschäftsmodelle entstehen lassen. Die Verarbeitung von Big Data bietet der deutschen Wirtschaft somit Wettbewerbsvorteile. So kann sie durch die Analyse von Massendaten u.a. Mehrwerte und Einsparungspotentiale generieren und neue Geschäftsfelder für sich erschließen. Dafür sind Unternehmen aber darauf angewiesen unkompliziert auf hochqualitative staatliche Geoinformationen zugreifen zu können. Geodaten sind eine wichtige Grundlage für Geschäftsmodelle mit Raumbezug. Die Datenangebote des Staates werden zunehmend über standardisierte Verfahren und zentrale Portale und zum Teil auch als OpenData abgegeben. Diese spiegelt sich in der Umsetzung der INSPIRE Richtlinie wieder. Standardisierte OGC konforme WebGIS Dienste bieten eine Vielzahl interdisziplinärer Daten über Portale wie das Geoportal.de oder das Open Data Portal des Bundes Govdata.de an. Ein Standard, damit die Daten einfach und verlässlich genutzt werden können, ist allerdings bislang noch nicht umgesetzt. Die rechtlichen Grundlagen, die aus der INSPIRE Richtlinie und der nationalen Umsetzung für Deutschland im Rahmen des Geodatenzugangsgesetzes des Bundes (GeoZG) und entsprechender Gesetze der Länder bestehen, regeln nur die allgemeine Möglichkeit der Festlegung von Lizenzen und Kosten durch die entsprechenden Behörden. Machen aber keine verbindlichen Vorgaben wie diese einheitlich und praktisch umgesetzt werden können. Open Data ist hier nur bedingt eine Lösung. Um die Daten nutzen zu können, brauchen Unternehmen eine über Open Data hinausgehende Verlässlichkeit bezügliche der Verfügbarkeit und der Nutzungsdauer. Diese ist bei den üblichen OpenData-Angeboten nicht vorgesehen, da die Daten offen und unverbindlich jedermann zur Verfügung gestellt werden. Wobei auch OpenData-Angeboten unterschiedliche Nutzungsbedingungen bei- 17 Rene Löhrer, Lars Behrens SR 108 Abb. 1: Webanwendung GeoLizenz.org gegeben werden können. Auch können nicht alle Daten frei zugänglich gemacht werden. Bei manchen Daten gilt es, Vereinbarungen zu treffen, sei aus Gründen des Datenschutzes, aus Sicherheitsaspekten oder wenn Nutzungseinschränkungen bestehen. Auch diese Daten können einen Mehrwert in der Wirtschaft entfalten. Für die betreffenden Bereiche gilt es, Lösungen zu entwickeln. Die Kommission für Geoinformationswirtschaft (GIW-Kommission) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) erarbeitet systematisch Empfehlungen für einheitliche und einfache Rahmenbedingungen zur Bereitstellung und Nutzung staatlicher Geoinformationen für die Wirtschaft. Die Produkte und Angebote werden gemeinsam mit den Geodateninfrastrukturen (GDI) des Bundes, der Länder und der Kommunen entwickelt. Mit fachspezifischen Studien, an die 18 deutsche Rechtssystematik angepassten Rechtstexten, sowie internetgestützten Anwendungen legt die Kommission Lösungen vor, um in Deutschland – trotz föderaler Strukturen – eine einfache, einheitliche und marktorientierte Nutzung staatlicher Geoinformationen zu ermöglichen. So bietet die GIW-Kommission mit dem kostenlosen Service GeoLizenz.org eine einheitliche Lösung zur Lizenzierung an. Geodatenprodukte aller Verwaltungsebenen können einfach, schnell und sicher lizenziert und von Unternehmen ebenso bezogen werden. Der Datenanbieter kann eine Lizenz per Internet-Klickanwendung (s. Abb. 1) nach dem Baukastenprinzip für verschiedene Nutzungsrechte und Nutzergruppen zusammenstellen. Als Nutzungsrechte sind die kommerzielle bzw. nichtkommerzielle Nutzung, das Recht SR108 Offene gesellschaftliche Innovation Abb. 2: Datenschutzoptionen in GeoLizenz.org oder die Einschränkung der Weiterverarbeitung sowie die Bereitstellung in öffentlichen Netzwerken oder die Beschränkung auf interne Nutzung vorgesehen. Als Nutzergruppen kann zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Interessensgemeinschaft oder Privatpersonen kombiniert werden. Darüber hinaus findet der Datenschutz (s. Abb. 2) durch die Abfrage des berechtigten Interesses Beachtung. Über die eingebaute E- Payment Funktion kann der Datenanbieter auch kostenpflichtige Datenprodukte anbieten. Der Datennutzer kann abschließend das Produkt einfach über das Portal des Anbieters finden über unserer Service GeoLizenz.org eine Nutzungslizenz im PDF Format beziehen (s. Abb. 3). 19 Rene Löhrer, Lars Behrens SR 108 Abb. 3: Lizenztext und Nutzungsarten bzw. -gruppen Darüber hinaus werden von Datenanbietern auch Geodaten angeboten, bei denen das Thema Personenbezug eine Rolle spielt. Die Bereitstellung bzw. Nutzung dieser Daten unterliegt den jeweiligen Datenschutzgesetzen. Bei der Produktion und Analyse von Massendaten kann auch eine Datenschutzrelevanz entstehen. Beispielsweise kann durch die Kombination von personenbezogen medizinischen Daten mit Geobasisdaten der Personenbezug auf den kombinierten Datensatz übertragen werden. einfache Webseite Akkreditierungen von Geschäftsprozessen die sensible Daten nutzen wollen, möglich sein sollen. Die Selbstverpflichtungserklärung enthält Maßnahmen, welche die Darlegung des „Berechtigten Interesses“ und weiterer technisch-organisatorischer nach §38a Bundesdatenschutzgesetzt enthält. Der CoC trägt somit zu einer sicheren, verlässlichen und einheitlichen Berücksichtigung des Datenschutzes bei der Bereitstellung und Nutzung staatlicher Geodaten bei. Gemeinsamen mit den Datenschutzaufsichtsbehörden hat die GIW-Kommission Verhaltensregeln für den Datenschutz für die Wirtschaft entwickelt. Der GeoBusiness Code of Conduct (CoC) stellt als Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem zukünftig über eine Dr. Rene Löhrer und Lars Behrens, Kommission für Geoinformationswirtschaft (GIW) an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, [email protected] 20 Erweiterung der Nutzungspotentiale durch Geodatendienste der Geodateninfrastrukturen / Smarte Geodatenstadt Johannes Föll 1 Einleitung Der Aufbau von Geodateninfrastrukturen stellt derzeit eine große Herausforderung für die Verwaltung dar. Insbesondere die Umsetzung der INSPIRE-Richtlinie ist im Bereich der Geoinformatik für die Verwaltung, aber auch für Wirtschaft, Wissenschaft und Bürger von großer Bedeutung. Der Fokus hierbei liegt auf der Bereitstellung der in der Verwaltung vorliegenden Geodaten für andere Nutzer. Zu den Prinzipien von INSPIRE zählt das Ziel, dass Geodaten möglichst nur auf einer Verwaltungsebene erfasst und bereitgestellt werden, aber auf allen Verwaltungsebenen genutzt werden können [De Groof 2013, S. 3]. Die Zieldefinition der Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE) greift dieses Prinzip auf. Ergänzt wird sie um den Zusatz, die verteilt vorliegenden Geodaten für Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit über Geodatendienste bereitzustellen [Arbeitskreis Architektur 2014a, S. 12]. Um diese übergreifende Nutzung erreichen zu können ist es notwendig, die Geodaten in standardisierter Form bereitzustellen. Im Rahmen der INSPIRE-Richtlinie und der GDIDE werden Geodatendienste eingesetzt, um die Geodaten interoperabel zur Verfügung zu stellen. Hierbei wird das Publish-Find-BindPrinzip verwendet. Die Geodaten werden über Geodatendienste veröffentlicht und mit Metadaten beschrieben (Publish), so dass ein Nutzer über eine Suche in den Metadaten (Find) die Geodatendienste auffinden und in seinen eigenen Systemen verwenden kann (Bind) [Arbeitskreis Architektur 2014b, S. 14f]. Zur Erreichung des Ziels der GDI-DE sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Diese sollen dabei entsprechende fachliche und architektonische Grundsätze verfolgen. Bei den fachlichen Grundsätzen steht dabei die Nutzerorientierung an zentraler Stelle [Arbeitskreis Architektur 2014a, S. 13ff]. 2 Geodatendienste Die INSPIRE-Richtlinie und zugehörige nationale Gesetzgebungen definieren Geodatendienste in einer abstrakten Form. Laut Geodatenzugangsgesetz handelt es sich bei diesen Netzdiensten um „vernetzbare Anwendungen, die Geodaten und Metadaten in strukturierter Form zugänglich machen“ [GeoZG 2009, § 3 (3)]. Diese unterteilen sich in Suchdienste, Darstellungsdienste, Downloaddienste und Transformationsdienste. Zur konkreten Umsetzung dieser Geodatendienste werden im Rahmen von INSPIRE sogenannte technische Umsetzungsanleitungen herausgegeben. Diese greifen die rechtlich verbindlichen Vorgaben auf und bringen diese in Einklang mit existierenden Standards, wie z. B. des Open Geospatial Consortiums (OGC) [Hogrebe 2011, S. 5ff]. Aus technischer Sicht funktionieren alle Geodatendienste nach dem gleichen Schema. Durch die Verwendung des Client-ServerPrinzips ist es möglich, dass ein Nutzer eine Anfrage über einen Client stellt. Diese Anfra- 21 Johannes Föll ge wird von einer speziellen Serversoftware bearbeitet und eine Antwort an den Nutzer ausgeliefert. Als Kommunikationsschnittstelle dient dabei das Hypertext Transfer Protocol (http). Die Abfrage lässt sich mittels http GET und http POST stellen, wobei letztere insbesondere bei komplexen Filter-Anfragen hilfreich ist. An den Geodatendienst werden Befehle in Form von Operationen gesendet, die durch weitere Parameter gesteuert werden können. Durch diese standardisierte Funktionsweise wird die Interoperabilität bei der Nutzung der Geodatendienste gewährleistet [Geschäftsstelle Geodateninfrastruktur Bayern 2014, S. 6f]. Durch die strengen Anforderungen an die Leistungsparameter (Verfügbarkeit, Kapazität und Performanz) der Geodatendienste durch die INSPIRE-Richtlinie und die zugehörigen Durchführungsbestimmungen ist es möglich, die Geodatendienste in verschiedenen Anwendungen zu verwenden, auch wenn diese entsprechend hohe Leistungsanforderungen stellen. Deshalb werden derzeit in der Verwaltung die entsprechenden IT-Infrastrukturen angepasst, um diese Anforderungen zu erfüllen und eine diensteorientierte Geodatenbereitstellung auch für kritische Anwendungen, z. B. im Katastrophenschutz, zu ermöglichen [MLR 2014, S. 19]. Die Geodatendienste lassen sich als Netzdienste in die folgenden Kategorien einordnen: Suchdienste, bei INSPIRE auch Discovery Services genannt, stellen Metadaten als XML-Dokumente an andere Metadatenkataloge bereit und ermöglichen dadurch eine organisationsübergreifende Recherche nach Geodaten und Geodatendiensten. Als OGC-Standard wird hierfür der Catalog Service for Web (CSW) verwendet. 22 SR 108 Darstellungsdienste, bei INSPIRE auch View Services genannt, dienen der Visualisierung von Geodaten in Form von Kartenpräsentationen. Hierfür werden die OGC-Standards Web Map Service (WMS) und Web Map Tile Service (WMTS) eingesetzt. Der WMTS unterscheidet sich zum WMS durch die Bereitstellung von vorprozessierten Kartenkacheln. Downloaddienste, bei INSPIRE auch Download Services genannt, stellen die bei anderen Organisationen vorliegenden Geodaten so bereit, dass diese entweder on-the-fly genutzt werden oder so heruntergeladen werden können, dass diese als direkte, persistente Kopie beim Nutzer weiterverwendet werden können. Als Standards werden hier im Umfeld von Geodateninfrastrukturen der Web Feature Service (WFS) und der Web Coverage Service (WCS) des OGC sowie das Atom Syndication Format (ASF) der Internet Engineering Task Force (IETF) zur Bereitstellung von Atom-Feeds genutzt. Mit Atom-Feeds lassen sich vorprozessierte Datenpakete herunterladen. WFS wird für die Bereitstellung von Vektordaten, WCS zur Bereitstellung von Rasterdaten und Coverages verwendet [Weichand 2013]. Transformationsdienste, bei INSPIRE auch Transformation Services genannt, dienen dem Ziel, die Geodaten so zu transformieren, dass die Interoperabilität dieser Geodaten erhöht werden kann, z. B. durch eine Koordinatentransformation. Für die Bereitstellung von Transformationsdiensten gibt es derzeit keinen Standard. Neben den aufgeführten Netzdiensten existieren im Kontext von INSPIRE weitere Geodatendienste, die Spatial Data Services ge- SR108 Erweiterung der Nutzungspotentiale durch Geodatendienste der Geodateninfrastrukturen nannt werden. Für aufrufbare Geodatendienste und solche Geodatendienste, die auf interoperablen Geodaten von INSPIRE arbeiten, gelten zusätzlich weitergehende Anforderungen. Zur Umsetzung dieser Dienste können Webservices, die z. B. auf Basis der Web Services Description Language (WSDL) des W3C arbeiten, verwendet werden [Network Services Drafting Team 2014, S. 50ff]. Eine weitere Möglichkeit zur Verarbeitung von Geodaten innerhalb Geodateninfrastrukturen stellt der Web Processing Service (WPS) als Standard des OGC dar. Mit diesem Standard ist es möglich, Rechenprozesse, die in Geoinformationssystemen üblich sind, so bereitzustellen, dass die Analysen auch in verteilten Umgebungen möglich sind [Kiehle und Padberg 2009, S. 129f]. 3 Nutzungspotentiale durch Geodatendienste Die Umsetzung von Client-Server-Architekturen wird durch die Verwendung von Geodatendiensten stark vereinfacht. Durch die konsequente Einhaltung von Standards entstehen deutliche Vorteile bei der Nutzung von Geodatendiensten. Die Verwendung aktueller Geodatenbestände ist durch Geodatendienste für den Nutzer jederzeit einfach möglich. Aufwändige Konvertierungsarbeiten entfallen und die Integration von Geodaten in eigene Systeme kann effizienter und mit höherer Qualität erfolgen [Geschäftsstelle Geodateninfrastruktur Bayern 2014, S. 5]. Mit Geodateninfrastrukturen können auch die Anforderungen der Open Data-Idee erfüllt werden. Der Verein für Interdisziplinäre Studien zu Politik, Recht, Administration und Technologie e.V. (ISPRAT) hat die Kriterien wie folgt definiert: Vollständigkeit, Verfügbarkeit der Primärdatenquelle, Zeitnähe, Zugänglichkeit, Maschinenlesbarkeit, Nicht diskriminierende Bereitstellung, Nicht proprietäre Bereitstellung, Dauerhaftigkeit, Lizenzfreiheit, Nutzungskosten. Bei der Lizenzfreiheit und bei den Nutzungskosten ergeben sich politische und rechtliche Handlungsfelder [Baier 2013, S. 23ff]. Durch die Einbindung von Suchdiensten ist es möglich, die innerhalb der Geodateninfrastrukturen bereitgestellten Geodaten und Geodatendienste zu recherchieren und in die bestehenden Systeme zu übernehmen. Innerhalb der GDI-DE sind durch die vernetzte Architektur der Suchdienste inzwischen 29 Metadatenkataloge an den Geodatenkatalog.DE angebunden und mehr als 80 000 Metadatensätze zu Geodaten und Geodatendiensten recherchierbar [BKG 2015]. Die Bereitstellung von Geobasisdaten über Darstellungsdienste stellt ein Nutzungspotential für verschiedene webbasierte und mobile Geoanwendungen dar. Durch die fachneutrale Ausprägung der Geodaten ist insbesondere eine Verwendung als Hintergrundkarte möglich. So wird für den Nutzer eine Navigation und Orientierung innerhalb der Geoanwendung vereinfacht. Insbesondere der WebAtlasDE stellt als bundesweit abgestimmte, einheitliche Kartendarstellung mit verschiedenen Zoomstufen ein ideales Produkt für eine solche Nutzung dar. Von einer groben Übersichtsdarstellung bis zur detaillierten Darstellung von Gebäuden mit Hausnummern ist eine bundeseinheitliche Darstellung auf Basis der amtlichen Geobasisdaten defi- 23 Johannes Föll niert. Eine Nutzung für Privatpersonen und die Bereiche Bildung und Forschung ist zudem kostenfrei möglich [BKG 2013, S. 2]. In Baden-Württemberg sind mit der Open Data-Strategie für Geobasisdaten einige Geodaten im Rahmen der Geodateninfrastruktur Baden-Württemberg (GDI-BW) frei zugänglich [Baier 2013]. Über Downloaddienste können Geodatenbestände, wie z. B. das Amtliche Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS), bezogen werden, um damit in vorhandenen Geoanwendungen GIS-Funktionalitäten, zu nutzen. Inzwischen wird die Nutzung von WFS und Atom-Feeds auch in verschiedenen GISSystemen unterstützt. Zur Aktualisierung von lokalen Geodatenbeständen eignen sich INSPIRE-Downloaddienste, da insbesondere über die Verwendung von vordefinierten Abfragen eines WFS 2.0 sich ein entsprechend definierter Datenbestand einfach herunterladen lässt. Durch die Verwendung von entsprechenden Bibliotheken zur Umwandlung der Geodaten, beispielsweise der OGR-Bibliothek, und der Automatisierung über Skripte, die als entsprechender Job täglich durchgeführt werden, kann ein tagesaktueller Abgleich der Geodaten erfolgen [Weichand 2014, S. 142ff]. Der Web Processing Service wird derzeit hauptsächlich in wissenschaftlichen Anwendungen eingesetzt, wobei eine freie Verfügbarkeit von einzelnen Prozessen oder einzelnen WPS-Diensten kaum umgesetzt ist. Bereits im Jahr 2010 wurden durch die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) verschiedene WPS aufgesetzt, mit denen Berechnungen zum Thema Wasser auf Basis amtlicher Geobasisdaten möglich sind. So lässt sich beispielsweise auf Basis des digita- 24 SR 108 len Geländemodells für die Eingabe einer Linie ein entsprechendes Geländeprofil berechnen [Ellmenreich et al. 2010, S. 5ff]. 4 Smarte Geodatenstadt Ziel der smarten Stadtentwicklung ist es, eine nachhaltige Entwicklung der Stadt zu ermöglichen und die Verbindung zwischen Mensch und Stadt auf technischer Ebene zu schaffen. Hierzu bieten Geodateninfrastrukturen und die Bereitstellung von Geodaten der Verwaltung über Geodatendienste eine grundlegende Basis. Durch die INSPIRE-Richtlinie sind vielfältige Themengebiete adressiert, die im Kontext der nachhaltigen Stadtentwicklung von Bedeutung sind [Winkemann 2014]. In verschiedenen Projekten auf europäischer Ebene werden derzeit Forschungsansätze und Praxisbeispiele aus den Bereichen Geodaten und Smart Cities in einen Kontext gebracht, um die gemeinsamen Vorteile aufzeigen zu können. Nicht alle Städte verfügen derzeit über Geodatendienste, dennoch gibt es bereits praktikable Beispiele, die im Smart Cities Projekt am Beispiel von Edinburgh in Schottland und Kristiansand in Norwegen dargestellt werden können. In Edinburgh werden Geodaten, die einzelne Parkplätze darstellen, über ein Geoportal bereitgestellt. Sofern Echtzeitdaten zur Anzahl der verfügbaren Parkplätze vorhanden sind, wird das Parkplatzsymbol entsprechend eingefärbt. Hierdurch kann ein Nutzer frühzeitig erkennen, ob er eine entsprechende Parkmöglichkeit an seinem Ziel findet oder er nicht doch auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigt. Das Ziel einer nachhaltigen Mobilität kann dadurch unterstützt werden. In Kristiansand wird ein Zugang zu den kommunalen Geodaten über ein Geoportal geschaffen. Die Geodatendienste aus Kristiansand gehören SR108 Erweiterung der Nutzungspotentiale durch Geodatendienste der Geodateninfrastrukturen zum Programm „Digital Norway“, das neben dem Aufbau eines E-Governments auch die Umsetzung der INSPIRE-Richtlinie berücksichtigt. Die Bereitstellung von Darstellungsund Downloaddiensten unterstützt zudem verschiedene Handlungsfelder einer smarten Stadt, wie z. B. einer smarten Mobilität, Stadtentwicklung und Lebensgestaltung. So wird aus einer smarten Stadt eine smarte Geodatenstadt [Adams 2011, S. 27ff]. tenanbietern zu treten. So kann möglicherweise im Dialog eine Reihenfolge beim Aufbau der Geodatendienste eingehalten und entsprechende Angebote in Form von weiteren Geodatendiensten bereitgestellt werden. Die genannte Umfrage ergab, dass für die Zielgruppe Katastrophenschutz insbesondere die INSPIRE-Themen Adressen, Verkehrsnetze und Gewässernetz von sehr hohem Interesse für eine Nutzung sind [Föll 2013, S. 104]. 5 Eine Übertragung ähnlicher Untersuchungen ist für die Bereiche Big and Open Geodata notwendig. Hierzu ist es hilfreich, über entsprechende Gremien Nutzeranforderungen gebündelt in die Gremien der Geodateninfrastrukturen einzubringen. Nur so ist es möglich, die Anforderungen schrittweise zu berücksichtigen und das Ziel einer smarten Geodatenstadt zu erreichen. Ausblick Durch die verpflichtende Bereitstellung von Geodaten über Geodatendienste entsteht eine Vielzahl an Nutzungsmöglichkeiten im Kontext des E-Governments. Dennoch sind noch längst nicht alle Geodaten über Geodatendienste verfügbar. So wurden im Jahr 2013 nur 66 % der von der INSPIRERichtlinie betroffenen Geodaten über Geodatendienste bereitgestellt. Insbesondere im Bereich kommunaler Geodaten müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um die noch fehlenden Geodaten verfügbar zu machen [Koordinierungsstelle GDI-DE 2014]. Neben den noch fehlenden Geodatendiensten ist es notwendig, die potentiellen Nutzer der Geodatendienste über die Vorteile, die durch den Aufbau der Geodateninfrastrukturen entstehen, anzusprechen. Eine Umfrage innerhalb der Zielgruppe Katastrophenschutz aus dem Jahr 2013 zeigt, dass weniger als die Hälfte der Teilnehmer die INSPIRERichtlinie kennt. [Föll 2013, S. 80f]. Um zur rechtlichen Umsetzung beim Aufbau der Geodateninfrastrukturen auch entsprechende Nutzeranforderungen berücksichtigen zu können, ist es notwendig in eine Interaktion zwischen Geodatennutzern und Geoda- Literatur [Adams 2011] Adams, Alexander C.: SmartCities – Using Geographic Information Systems to provide better e-services – A guide for municipalities form Smart Cities, 27.10.2011, http://de.slideshare.net/smartcities/using-gisfor-better-eservices-smart-cities. [Arbeitskreis Architektur 2014a] Arbeitskreis Architektur: Architektur der GDI-DE – Ziele und Grundlagen, Version 3.1.0, 26.11.2014, http://www.geoportal.de/SharedDocs/Downlo ads/DE/GDIDE/Architektur3_Ziele_und_Grundlagen_v3_ 1.pdf?__blob=publicationFile. [Arbeitskreis Architektur 2014b] Arbeitskreis Architektur: Architektur der GDI-DE – Technik, Version 3.1.0, 26.11.2014, http://www.geoportal.de/SharedDocs/Downlo 25 Johannes Föll SR 108 ads/DE/GDI-DE/GDIDE_Architektur_Version_3_1_Technik.pdf?_ _blob=publicationFile. Geodaten mittels Web Portrayal Services für die Zielgruppe Katastrophenschutz, Masterarbeit, Hochschule Anhalt, 10.2013. [Baier 2013]: Baier, Christian: Open Data und Geodaten, in: DVW-Landesverein BadenWürttemberg - Vorstand - (Hrsg.): Mitteilungen und Veröffentlichungen zum Vermessungswesen aus den Themenbereichen Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement, Heft 1/2013, 60. Jahrgang, Stuttgart, 2013, S. 22 - 35. [GeoZG 2009] Gesetz über den Zugang zu digitalen Geodaten (Geodatenzugangsgesetz - GeoZG), 10.02.2009, http://www.gesetzeim-internet.de/geozg/BJNR027800009.html. [BKG 2013] Bundesamt für Kartographie und Geodäsie: WebAtlasDE – Deutschlandweiter Internet-Kartendienst, 05.2013, http://www.geodatenzentrum.de/auftrag/img/g dz/diskett2.gif. [BKG 2015] Bundesamt für Kartographie und Geodäsie: Geodatenkatalog.de, 2015, http://www.geoportal.de/DE/GDIDE/Komponenten/GeodatenkatalogDE/geodatenkatalog-de.html?lang=de. [De Groof 2013] De Groof, Hugo: INSPIRE and the EU Environmental Policy Agenda, 25.06.2013, http://inspire.ec.europa.eu/events/conference s/inspire_2013/pdfs/25-062013_AUDITORIUM_11.00%20%2012.00_5-Hugo%20De%20Groof_HugoDe-Groof.pdf. [Ellmenreich et al. 2010] Ellmenreich Bastian; Müller, Manfred; Schillinger, Wolfgang: Praktische Beispiele für WPS-Dienste der LUBW, WPS-Workshop, 30.09.2010, https://www.lubw.badenwuerttemberg.de/servlet/is/69649/2010-0930_Dienste_Workshop_7.pps?command=do wnloadContent&filename=2010-0930_Dienste_Workshop_7.pps. [Föll 2013] Föll, Johannes: Fachliche Visualisierungen von INSPIRE-konformen 26 [Geschäftsstelle Geodateninfrastruktur Bayern 2014] Geschäftsstelle Geodateninfrastruktur Bayern: Leitfaden – Nutzung von Geodatendiensten, Version 1.0, 21.10.2014, http://www.gdi.bayern.de/file/pdf/978/20141021_Leitfaden_Nutzung_Geodatendienste.pdf. [Hogrebe 2011] Hogrebe, Daniela: Status INSPIRE und Umsetzung in Deutschland, 12.10.2011 / 20.11.2011, http://www.geoportal.de/SharedDocs/Downlo ads/DE/GDIDE/Vortraege/Infoveranstaltung_INSPIRE_20 11/Vortrag_Hogrebe_Status_INSPIRE.pdf?_ _blob=publicationFile. [Kiehle und Padberg 2009] Kiehle, Christian und Padberg, Alexander: Geodateninfrastrukturen & Grid-Computing: Aktuelle Herausforderungen und Anwendungsbeispiele, in: Reinhardt, Wolfgang; Krüger, Antonio; Ehlers, Manfred (Hrsg.): Geoinformatik 2009, Konferenzband, 31.03. – 02.04.2009, Osnabrück, ifgiprints 35, Institut für Geoinformatik, Universität Münster, 2009, S. 129 - 137. [Koordinierungsstelle GDI-DE 2014] Koordinierungsstelle GDI-DE: INSPIRE MonitoringDE, 01.05.2014, http://www.geoportal.de/monitoring2013/DE_ gdi-de.html. [MLR 2014] Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg: Geschäftsbericht 2013 - Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg, SR108 Erweiterung der Nutzungspotentiale durch Geodatendienste der Geodateninfrastrukturen 02.2014, https://mlr.badenwuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/mmlr/intern/dateien/publikationen/Geschaeftsb ericht_2013_Geoinfo.pdf. [Network Services Drafting Team 2014] Network Services Drafting Team: Technical Guidance for INSPIRE Spatial Data Services and services allowing spatial data services to be invoked, Version 3.1, 03.03.2014, http://inspire.ec.europa.eu/documents/Spatial _Data_Services/TG_for_INSPIRE_SDS_3_1. pdf. [Weichand 2013] Weichand, Jürgen: Entwicklung und Anwendung von Downloaddiensten im Kontext der europäischen Geodateninfrastruktur INSPIRE, Masterarbeit, Hochschule Anhalt, 01.2013, http://www.weichand.de/masterarbeit/Master arbeit_Weichand.pdf. [Weichand 2014] Weichand, Jürgen: Moderne Geodatenbereitstellung im Kontext der europäischen Geodateninfrastruktur INSPIRE, in: FOSSGIS e.V. (Hrsg.): FOSSGIS 2014 Anwenderkonferenz für Freie und Open Source Software für Geoinformationssysteme, Berlin, 19. 21.03.2014, http://mapmedia.de/downloads/finish/3fossgis-tagungsband/49-2014-fossgistagungsband, S. 140 - 145. [Winkemann 2014] Winkemann, Philipp: INSPIRE-basierte Indikatoren zur Bewertung von SmartCities, 30.06.2014, http://agitposter.blogspot.de/2014/06/72inspire-basierte-indikatoren-zur.html. M.Eng Johannes Föll, Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung BadenWürttemberg, Stuttgart; [email protected] 27 StoryMaps: mit Geodaten Geschichten erzählen David Oesch, Daniela Brandt Aufbereitet als sogenannte StoryMaps werden die Geodaten des Bundes auf www.geo.admin.ch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht – beispielsweise Schülerinnen und Schülern oder einem interessierten Laienpublikum. StoryMaps gelten als eine der attraktivsten und effektivsten Formen von Wissensvermittlung. Sie verknüpfen Wissen mit Bedeutung, präsentieren es visuell und lassen den Betrachter auch selbst tätig werden, was das Verständnis für eGovern-ment Prozesse erhöht. Das Geoportal des Bundes, geo.admin.ch bündelt geolokalisierte Daten der Bundesverwaltung und macht diese über Webdienste öffentlich zugänglich (zum Beispiel über den Kartenviewer map.geo.admin.ch). Es wird vom Bundesamt für Landestopografie swisstopo im Auftrag des Koordinationsorgans für Geoinformation des Bundes zur Umsetzung des Geoinformationsgesetzes (GeoIG) betrieben. Mehr als 370 Fachgeodatensätze können aktuell betrachtet werden. 60 bis 80 Prozent aller politischen und wirtschaftlichen Entscheide haben einen räumlichen Bezug1. Es ist daher wichtig, dass nicht nur Fachleute, sondern auch möglichst viele Bürgerinnen und Bürger Zugang zu geografischen Informationen haben und Raumbezüge herstellen können. Die Herausforderung, diese Kompetenzen dem Nutzer und der Nutzerin zu vermitteln, wird mit Hilfe von 1 28 Coopers/Lybrand,1996, http://catalogue.nla.gov.au/Record/97620 StoryMaps angegangen, wie storymaps.geo.admin.ch abrufbar. unter Je mehr Daten und Informationen produziert werden, desto schwieriger wird es, sich zurechtzufinden, ganz besonders für den Laien. Beim Betrieb des Geoportal stellen wir als Betreiber fest, dass manch ein Endnutzer gar nicht mehr weiß, was er mit all den Daten anfangen soll. Er kann zwischen Relevantem und weniger Relevantem schwer unterscheiden, verfällt schliesslich in die „Paralyse der Auswahl“ und kapituliert. Ein Paradigmenwechsel ist gefragt: Behördenstellen, die wollen, dass die von ihnen produzierten Daten bestmöglich genutzt werden, müssen ihre Informationen so aufbereiten, dass der Betrachter ihre Relevanz erkennt und selbstständig Verknüpfungen zu anderen Daten sowie zu bereits vorhandenem Wissen herstellen kann. Das gelingt am besten, wenn Daten so präsentiert werden, dass sich daraus eine Geschichte ableiten lässt, die der Nutzer interpretieren kann, indem er sie sich gewissermaßen selbst erzählt. Oder anders gesagt: Er generiert Wissen aus dem, was er sieht. Die Rede ist von Storytelling, einer auch im Journalismus heute verbreiteten Erzählmethode, bei der das Publikum in die erzählte Geschichte eingebunden wird. Dies führt dazu, dass Leser, Zuhörer oder Nutzer den Gehalt der Geschichte besser verstehen und auch selbstständig mitdenken. Storytelling strukturiert das Chaos der Information; es holt die Aufmerksamkeit des Publikums und hält es sozusagen bei der Stange. Auch der Datenjournalismus zielt darauf ab, mit Daten Geschichten zu erzählen. Informationen werden gesammelt, aufbereitet, verar- SR108 beitet und publiziert, zum Beispiel als eine Selektion ausgewählter Daten für ein ausgewähltes Publikum. Adrian Holovaty, ein amerikanischer Webentwickler und Journalist, gilt als Wegbereiter dieser Idee, denn er forderte insbesondere für das Medium Internet eine andere Art von Journalismus, die „wichtige, konzentrierte Information, die für das Leben der Menschen nützlich ist und ihnen hilft, die Welt zu verstehen“ liefern müsse. Es geht also darum, Wissen mit Bedeutung zu verknüpfen, relevante Informationen hervorzuheben und Zusammenhänge aufzuzeigen. StoryMaps sind eine Kombination von Datenjournalismus und „Storytelling“, nämlich intelligente, interaktive Webkarten zu bestimmten Themen, zum Beispiel im Bereich der Geoinformation. Grundlage dafür ist das Geoportal des Bundes, geo.admin.ch. Der Bereich KOGIS (Koordination, Geoinformation und Services) des Bundesamts für Landestopografie swisstopo hat 2012 begonnen, ver- StoryMaps: mit Geodaten Geschichten erzählen schiedene publizierte Geodatensätze der Bundesämter in möglichst einfach verständlicher Weise miteinander zu kombinieren beispielsweise historisches Kartenmaterial mit aktuellen Karten, wodurch die Entwicklung eines Gebiets oder eines Ortes im Verlaufe der Zeit sichtbar gemacht werden kann. Den Betrachtenden werden verschiedene Möglichkeiten geboten, Zusatzinformationen zu beziehen und interaktiv Aktionen auszuführen, die ihnen ein detaillierteres Bild über die Geodaten vermitteln. Sie sind also nicht nur im rezeptiven Modus tätig, indem sie Informationen konsumieren, sondern werden selbst aktiv, indem sie auswählen, was sie zusätzlich sehen oder wissen wollen. Ein Beispiel ist der sogenannte „SwissGuesser“ (siehe auch Abb. 1), bei welchem die geographische Lage von Kartenelementen spielerisch geschätzt wird: Kulturgüterobjekte, Seilbahnen oder historische Luftbilder sind thematische Varianten dieses „Geographie- Abb.1: SwissGuesser – Finden Sie den Luftbildperimeter auf der Landeskarte? 29 David Oesch, Daniela Brandt Spiels“. Ein weiterer Zweck von StoryMaps ist das Bewerben von Fachanwendungen wie der Luftbildsammlung von swisstopo, map.lubis.admin.ch und www.luftbildindex.ch, oder einzelner Geodatensätze wie dem „schweizerischen Inventar der Kulturgüter von nationaler (und regionaler) Bedeutung“ auf dem Kartenviewer map.geo.admin.ch. Eine StoryMap aus dem Hause swisstopo (Abb. 2) ist beispielsweise nach dem Bergsturz von Randa benannt, bei welcher auf die Datensätze „schweizerische Geotope“ und „topografischer Atlas der Schweiz (Siegfriedkarte)“ verwiesen wird. Bei der StoryMap zum Morteratschgletscher wird der Gletscherrückgang der vergangenen Jahrzehnte zum zentralen Thema. Die StoryMap „Neue Landeskarten für die Schweiz“ stellt die Produktun- SR 108 terschiede zwischen der alten und neuen Landeskarte, über einen direkten visuellen Vergleich in den Vordergrund. Insgesamt haben StoryMaps für die Bundesverwaltung das Ziel, über die vielfältigen Geodaten und Aufgaben zu informieren und diese prominent in das Bewusstsein der Nutzer / Bürger zu bringen. Fazit: Das Potenzial der StoryMaps ist groß– für alle, die ihren Zielgruppen komplexe Inhalte zugänglich und Wissen in gut verständlicher Form vermitteln möchten. Dass StoryMaps sich dafür besonders gut eignen, liegt daran, dass sie nicht nur Information transportieren, sondern auch Geschichten erzählen. Denn, um es mit dem Hirnforscher Manfred Spitzer zu sagen: „Was den Men- Abb. 2: StoryMaps von swisstopo: Morteratschgletscher: Ein Eisriese verschwindet; Ein Vergleich der Siegfriedkarte mit dem heutigen Luftbild (o. links); Vergleich der alten und neuen Landeskarte (o. rechts) und der LUBIS-SwissGuesser von swisstopo (u. links), bzw. der Bergsturz von Randa von swisstopo (u. rechts) 30 SR108 StoryMaps: mit Geodaten Geschichten erzählen schen umtreibt sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle, Geschichten und vor allem andere Menschen.“ Dr. David Oesch & Dr. Daniela Brandt, Projektkoordination Geoportale, Bundesamt für Landestopografie swisstopo; [email protected] Weiterführende Informationen StoryMaps des Geoportal des http://storymaps.geo.admin.ch Bundes: Portal: www.geo.admin.ch Kartenviewer: map.geo.admin.ch Email: [email protected], Tel. +41 58 469 03 15, Twitter: @swiss_geoportal 31 Smart City Cloud für Bürgerbeteiligung Andreas Stein Während der letzten Jahrzehnte bedeutete urbanes Wachstum überall auf der Welt vor allem Ausweitung des Stadtgebietes und steigende Einwohnerzahlen. Die damit verbundenen negativen Auswirkungen wie die Umweltverschmutzung wirken heute längst über die Stadtgrenzen hinaus. Eine Studie des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) deutet auf eine rasante Entwicklung der Smart-City-Technologien hin. Laut der erhobenen Studie lebten im Jahre 2007 weltweit erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Jahr 2030 knapp 60 Prozent aller Menschen in Städten leben werden1. Auslösende Faktoren sind oft bessere Arbeitsbedingungen, besserer Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur. Die Idee von Smart Cities ist daher die Verbesserung der Lebensqualität und die Minimierung der Umweltbelastung zu vertretbaren Kosten durch integrierte Planung und Realisierung unter Nutzung technischer Möglichkeiten. Die Städte sind in den vergangenen Jahrzehnten in die Höhe gewachsen, wobei natürliche Grenzen das Wachstum einschränken. Daher werden Städte in Zukunft auch in die Tiefe wachsen. Die Nutzung des urbanen Untergrunds begann bereits vor vielen Jahrzehnten hat sich demnach historisch entwickelt. Daraus ent- standen sind heterogene und schwer zu erweiternde Konstrukte. Als Beispiel dient hier die Stadt New York (Abbildung 1): Die U-Bahn wurde 1904 in Betrieb genommen, mit dem Bau des städtischen Dampfheizungsnetzes war schon zuvor begonnen worden. Der Startschuss für das Mammutprojekt „City Water Tunnel No. 3“, eine dritte Leitung zur Sicherung der Wasserversorgung des „Big Apple“ mit fast 100 Kilometern Länge, fiel 1970. In Betrieb gehen wird der Tunnel vermutlich 2018, aber die alten Wassertunnel von 1917 und 1935 können erst gewartet werden, wenn Nummer 3 in Betrieb ist. Gerade weil die Komplexität des Untergrunds von New York nicht außergewöhnlich ist (Beispiele sind London, Berlin oder Köln mit dem Einsturz des Stadtarchivs 20092), sind Probleme bei Projekten zur Nutzung dieses Raums vorprogrammiert. Geoinformationen des Untergrunds müssen mit Plandaten kombiniert, Visualisierungen der über- und unterirdischen Stadt zudem für die Beteiligten verständlich aufbereitet werden. Der Untergrund bietet aber auch die vier zentralen Ressourcen: Raum, Wasser, geothermale Energie und Geomaterial. Dieser Raum kann für Tunnel und städtische Infrastruktur dienen, während geothermische Energie die Beheizung von Gebäuden und die Verminderung von CO2-Emissionen ermöglicht. 1 https://www.vde.com/de/verband/pressecenter/ pressemappen/documents/thesen_smartcities _web.pdf 32 2 http://www.stadt-koeln.de/politik-undverwaltung/presse/von-der-bergung-zurursachenforschung-und-beweissicherung SR108 Smart City Cloud für Bürgerbeteiligung Forschung und Wissenschaft erarbeiten eine Methodik, die es Stadtplanern erlaubt, das Potenzial des urbanen Untergrundes für die Stadtentwicklung zu nutzen. Da die Art und Weise, wie der Untergrund der jeweiligen Stadt genutzt wird, variiert, muss die Forschung interdisziplinär sein und sowohl physikalische wie sozialwissenschaftliche Ansätze einschließen. Die Bauplanung des Untergrunds ist demnach ein zentrales Thema der „Smart City“Forschung und muss ebenfalls in Bürgerbeteiligungen diskutiert werden. Arbeiten und Einkaufen unter der Stadt Die Stadt unter der Stadt bietet eine Möglichkeit, „verstopfte urbane Zentren“ zu entlasten. Huanqing Li (Schweizer Technische Hochschule Lausanne (EPFL)) verweist in seinem CORP-Beitrag auf eine Modellrechnung, die am Beispiel Paris einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und unterirdisch verbautem Raumvolumen aufzeigt. Je mehr Menschen sich im urbanen Lebensraum drängen, desto mehr Infrastruktur - vom Parkraum bis zu Geschäftsflächen verschwindet unter der Erde. Modellbeispiele für Städte unter der Stadt sind etwa das „RESO“ bzw. „Ville interieure“ und der „PATH“ in den kanadischen Metropolen Montreal und Toronto. Bei beiden handelt es sich um Systeme von kilometerlangen Tunneln, die Geschäfts- und Freizeitflächen miteinander bzw. mit dem öffentlichen Verkehrsnetz über Gehwege verbinden. Mit dem Bau der „Ville interieure“ („Inneren Stadt“) wurde bereits 1962 begonnen. Die Bezeichnung „RESO“ lehnt sich phonetisch an das französische Wort „reseau“ („Netz“) an. Das Tunnelsystem hat eine Gesamtlänge von insgesamt rund 30 Kilometern. In Abb. 1: New Yorks Untergrund 33 Andreas Stein SR 108 Abb. 2: Einkaufspassage in der „Ville interieure“ in Montreal Toronto sind durch die Untergrundstadt „PATH“ (engl. für „Weg“) gut 50 Gebäude miteinander verbunden. Auf über 370.000 Quadratmetern finden sich rund 1.200 Geschäfte und Dienstleister, knapp 5.000 Menschen arbeiten im unterirdischen Toronto. Die ersten Tunnel wurden in Toronto bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts gegraben. Die Idee dahinter war laut Stadtverwaltung ein „sicherer Hafen gegen die Kälte im Winter und die Hitze im Sommer“. Abb. 3: Die aufgelassene Mine - der Ort des künftigen Luxushotels / Zukunftsvision steckt laut Plan knapp über 550 Mio. Dollar (über 420 Mio. Euro) in das Projekt. Wohnen unter der Stadt Neben diesen Wartungs- und Infrastrukturprojekten soll auch Arbeits- und Wohnraum unter der Erde Platz finden. Bauen in die Tiefe ist zwar technisch aufwendig und deshalb teuer, trotzdem reizt das Thema offensichtlich auch Architekten und Designer sehr. In der Nähe von Schanghai erfolgte erst vor kurzem der Spatenstich für ein Luxushotel in einer offengelassenen Bergwerksgrube. Das Fünfsternehotel „Intercontinental Shimao Shanghai Wonderland“ mit 380 Zimmern wird nach Entwürfen des britischen Designunternehmens Atkins mit 16 Etagen in die Tiefe gebaut. Der Eigentümer, die chinesische Shimao Property Group, 34 Ein solches Bauprojekt ist schon ehrgeizig wenn man es auf der „grünen Wiese“ realisiert. Muss dieses Projekt dann aber in eine bestehende Stadt integriert werden, sind verständliche Visualisierungen und Bürgerbeteiligungen unumgänglich. Nutzungskonflikte Der urbane Untergrund wird bereits heute von vielen Interessensgruppen beansprucht. Neben Infrastruktur, Wasser- und Stromversorgung sowie Ressourcengewinnung sind Bauprojekte wie die unterirdische Transportalternative von CargoCap Anwärter für unterirdischen Raum. SR108 Smart City Cloud für Bürgerbeteiligung Idee der Bürgerbeteiligung. Es sind demnach viele Vorbereitungen zu treffen, um die Entwicklung einer Stadt und deren unterirdischer Projekte auch zukünftig verfolgen zu können. Ein 3D-Stadtmodell muss mit bestehenden Untergrundinformationen angereichert werden um bessere Entscheidungen für zukünftige Projekte zu ermöglichen. Abb. 4: CargoCap - Gütertransport im Ballungsraum Während parallel dazu einige Gebäude ohne Bedarf an Tageslicht, wie zum Beispiel Kino und Theater, lediglich mit höheren Kosten im Untergrund gebaut werden können, gibt es andere Projekte, die sich unterirdisch nur sehr schwer oder gar nicht realisieren lassen. Kommt an dieser Stelle noch die potentielle Nutzung für unterirdischen Wohnraum ins Spiel, wird der Untergrund einer Stadt sehr schnell unübersichtlich. Smart City Cloud für Bürgerbeteiligung und Optimierung der Nutzung des Untergrunds Durch dieses „Wachsen in die Tiefe“ werden auch neue Technologien, wie die Smart City Cloud beeinflusst. Smart City Cloud ist eine Möglichkeit das Internet of Things mit vorhandenen Cloud Technologien und Smart Cities zu verbinden. Diese Kombination erleichtert die Planung von Bauprojekten durch Minimierung des Konfliktpotentials und verspricht daher Bürgerbeteiligungen mit höherer Akzeptanz durchzuführen. Bislang ist es allerdings bereits eine Herausforderung dem Bürger, die dreidimensionale Welt anschaulich und verständlich darzustellen. Hierzu kommen noch Informationen und Plandaten für Projekte im Untergrund und die Bereitstellung einer Beteiligungsplattform zur Ausschöpfung aller möglichen Informationsquellen, um die Stadt intelligenter zu machen und dadurch die Beteiligten bereits vor Beginn des Planungsprozess in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Diese Plattform ermöglicht einen direkten Austausch von Bürgern, Dienstleistern und Projektverantwortlichen. Eine klare Regelung und Gesetzgebung im Rahmen der landesweiten Vorgaben, um Raum für unterirdische Projekte zu schaffen. Eine Smart City Cloud konzentriert sich dabei vor allem auf den zweiten Punkt indem Sie folgende Dinge bereitstellt: I. Eine Smart City-Infrastruktur mit der Möglichkeit viele Informationen aus Millionen von Geräten und Menschen zu verarbeiten. Speicherkapazität und Rechenleistung müssen eine Analyse in Echtzeit ermöglichen. II. eine Reihe von Werkzeugen auf Plattformebene zur Erleichterung von Analysen und Controlling-Vorgängen. III. den sicheren Datenzugriff auf die anonymisierten Daten und verschiedene Verarbeitungsmechanismen, die große Datenmengen aus heterogenen Quellen in Echtzeit verarbeiten kann. IV. Innovative Anwendungen für Feldversuche mit anschließender Auswertung. 35 Andreas Stein Durch die Bereitstellung dieser Systeme und Technologien innerhalb der Cloud werden auch die Vorteile einer Cloud genutzt. Die Leistung der Cloud steht auf Abruf bereit, was bedeutet, dass im Zeitraum einer Bürgerbeteiligung die Leistung bereitsteht, und außerhalb dieses Zeitraums die Kosten eingespart werden. Die stark heterogene Beanspruchung des Untergrundes für verschiedene Vorhaben und den daraus resultierenden, meist irreversiblen Auswirkungen werden künftig vermehrt zu Nutzungskonflikten und finanziellem Mehraufwand führen. Das langfristige Ziel einer Smart City Cloud ist daher die direkte und 36 SR 108 indirekte Einbindung aller Beteiligten (zum Beispiel in Form von Bürgerbeteiligungen) umso eine ganzheitliche Koordination aller Ansprüche an den Untergrund aufzunehmen und auszuwerten und dadurch Projekte zielgerichteter und mit geringerem finanziellen Aufwand durchzuführen. Andreas Stein, M.Sc., ist Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt; [email protected] Baden-Württemberg vierdimensional Berthold Klauser, Manfred Gültlinger Das Erheben und Bereitstellen aktueller und qualitätsgesicherter Geobasisinformationen sind nach dem Vermessungsgesetz für Baden-Württemberg die wesentlichen Aufgaben der staatlichen Vermessungsverwaltung. Seit rund 200 Jahren werden durch amtliche Vermessungen kontinuierlich die Flurstückseinteilung und die tatsächlichen Verhältnisse am Grund und Boden im Liegenschaftskataster sowie die Erscheinungsformen der Landschaft nach Gestalt und Nutzung und deren Veränderungen durch die Topographie und Kartographie in einheitlichen Bezugssystemen dokumentiert. Seit Beginn der elektronischen Datenverarbeitung werden diese sogenannten Geobasisinformationen in maschinenverarbeitbaren, digitalen Modellen geführt und den Nutzern zur Verfügung gestellt. Diese Daten gilt es einerseits laufend zu aktualisieren und bedarfsorientiert weiter zu entwickeln. Andererseits gewinnt die Nutzung „historischer“, d.h. nicht nur aktueller Geobasisdaten zunehmend an Bedeutung, um darauf – in Kombination mit unterschiedlichen Fachinformationen – Monitoringverfahren aufzubauen. Die Entwicklung und performante Bereitstellung von Geobasisdaten in Zeitreihen sowie die automatisierte Detektion der Landschaftsobjekte und Landschaftsveränderungen (change detection) sind Zukunftsaufgaben und stellen eine große Herausforderung nicht nur für das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL) sondern auch für die Soft- und Hardwareentwicklung dar. Im Folgenden wird – ausgehend von den aktuell im Amtlichen Topographisch-Kartographischen Informationssystem (ATKIS®) geführten topographischen Modellen – das Entwicklungs- und Nutzungspotential der landschaftsbeschreibenden Geobasisinformationen aufgezeigt. 1 Zweidimensionale Landschaftsmodelle Digitale Landschaftsmodelle (DLM) beschreiben die Landnutzung sowie die Erscheinungsformen und Sachverhalte der Erdoberfläche durch topographische Grundrissobjekte in zweidimensionalen Situationsmodellen. Die objektstrukturierten Vektordaten beinhalten punktförmige Elemente (z.B. Türme), linienförmige Landschaftsstrukturen (z.B. Verkehrswege) sowie flächenförmige Landschaftselemente (z.B. Siedlungsgebiete, Vegetations- oder Wasserflächen). Die Eigenschaften der Objekte werden durch Attribute (z.B. Straßenklassifizierung, Art der Vegetation), Namen und Relationen noch detaillierter beschrieben. Die Objektarten und deren Eigenschaften sind bundeseinheitlich im ATKIS®-Objektartenkatalog (ATKIS®-OK) festgelegt. Die amtlichen digitalen Landschaftsmodelle werden in unterschiedlichen Detaillierungsgraden geführt. Den höchsten Detaillierungsgrad besitzt das ATKIS®-Basis-DLM. Mit automatischen Verfahren, bei denen semantische und geometrische Generalisierungen durchgeführt werden, werden aus dem fein strukturierten ATKIS®-Basis-DLM das gröber 37 Berthold Klauser, Manfred Gültlinger SR 108 strukturierte ATKIS®-DLM50 sowie weitere DLM abgeleitet. gen Objekts hinreichend präsentieren (DIN 18709-1). Die Lagegenauigkeit der DLM beträgt für die wesentlichen linearen Objekte (Straßenachsen, Fahrbahnachsen, Bahnstrecken und Gewässerachsen) ± 3m. Bei digitalen Geländemodellen sind dies in der Regel Gitterstrukturen, die eng genug sind, um das Gelände ausreichend genau zu beschreiben. Das ATKIS®-Basis-DLM steht in BadenWürttemberg seit 1997 landesweit zur Verfügung und wird seither ständig aktualisiert und inhaltlich erweitert. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird meist der Begriff 3D-Modelle verwendet, obwohl die Landschaftsformen nur in einer 2,5 D-Datenstruktur abgebildet werden, d.h. jeder Lagekoordinate wird nur ein Höhenwert zugeordnet. Die DLM bilden die Grundlage für Geoinformationssysteme (GIS), für weitere raumbezogene Fachinformationssysteme sowie für die Fertigung analoger und digitaler topographischer Karten (DTK), die zusätzlich das Relief aus dem Digitalen Geländemodell (DGM) in Form von Höhenlinien und singulären Höhenpunkten enthalten. Digitale Geländemodelle (DGM) modellieren die reine Erdoberfläche ohne Bauwerke und Vegetation. Künstliche Objekte sind nur dann Bestandteil des DGM wenn sie landschaftsprägend sind und die ursprüngliche Geländeform ersetzen (z.B. Dämme, erdbedeckte Wasserbehälter oder militärische Anlagen). Digitale Oberflächenmodelle (DOM) modellieren die Landschaft einschließlich Vegetation, Bauwerke und sonstiger Objekte. Beide Höhenmodelle werden entsprechend der jeweiligen konkreten Aufgabenstellung eingesetzt, das DGM z.B. in der Wasserwirtschaft, beim Verkehrswegebau und für unterschiedlichste Planungsvorhaben, das DOM beispielsweise für Simulationen von Emissionen/Immissionen (z.B. Lärm, Funkausstrahlung) oder der Nutzung regenerativer Energien (Windkraft, Solarenergie, Biomasse u.a.). Abb. 1: ATKIS®-Basis-DLM, Innenstadt Karlsruhe 2 Dreidimensionale Höhenmodelle Unter digitalen Höhenmodellen versteht man die Menge der digital gespeicherten Höhen von regelmäßig oder unregelmäßig verteilten Punkten, die die Höhenstruktur eines beliebi- 38 2.1 Digitales Höhenmodell 1989 Mit dem digitalen Höhenmodell (DHM BW) des damaligen Landesvermessungsamts stand in Baden-Württemberg ab 1989 der erste digitale Datenbestand zur Beschreibung der Geländeform in einer Gitterweite von 50 SR108 m zur Verfügung. Als Datengrundlage dienten Höhenprofile, die aus stereoskopischen Luftbildern der Jahre 1972 bis 1981 ermittelt wurden. Teilweise ist in dichten Waldgebieten die Vegetationsoberfläche modelliert. Die Höhengenauigkeit des DHM liegt in stetigem Gelände bei ca. 2 – 3 m. In topographisch schwierigem Gelände sind größere Abweichungen möglich. Eine Fortführung des DHM erfolgte nicht. Baden-Württemberg vierdimensional Die Daten der first-pulse-Aufzeichnung bildeten die Grundlage zur Ableitung eines DOM mit einer Gitterweite von 5 m. Diese Punktwolke wurde nur automatisch klassifiziert und nicht manuell nachbearbeitet. Das landesweite DOM steht seit 2009 zur Verfügung. 2.2 Digitales Geländemodell 2008, Digitales Oberflächenmodell 2009 Die qualitativen Mängel des DHM BW führten im Jahr 1999 zu dem Beschluss, für die gesamte Landesfläche von Baden-Württemberg ein neues DGM einzurichten. Als erstes Bundesland der Bundesrepublik Deutschland entschied sich Baden-Württemberg für die Datenerfassung der ca. 36.000 km² mit dem Verfahren des Airborne Laserscanning. Die Befliegungen fanden in den Wintermonaten der Jahre 2000 – 2005 statt. Die Datenerfassung erfolgte in einer Punktdichte von ca. einem Punkt pro m² und der Aufzeichnung der ersten und letzten Reflexion (first-pulse, lastpulse). Durch die automatische und interaktive Klassifizierung der Aufnahmepunktwolke, d.h. die Unterscheidung der Punkte, welche die Geländeoberfläche repräsentieren (Bodenpunkte), von den übrigen Punkten (NichtBodenpunkte), wurde eine „bereinigte Bodenpunktwolke“ erzeugt und daraus das endgültige DGM-Gitter mit einer Gitterweite von 1m interpoliert. Die Höhengenauigkeit liegt im Durchschnitt bei 0,1 bis 0,2 m in Gebieten mit ausreichender Abdeckung durch Bodenpunkte. Die Einrichtung des landesweiten Laserscan-DGM wurde 2008 abgeschlossen. Abb.2: Laserscanbefliegung, DGM, DOM 3 Aktualisierung der topographischen Modelle Das Basis-DLM und die daraus abgeleiteten weiteren DLM werden kontinuierlich aktualisiert. Als Datengrundlagen dienen – neben Änderungsinformationen der Veränderungsverursacher (z.B. Kommunen, Straßenbau) 39 Berthold Klauser, Manfred Gültlinger und Vor-Ort-Erhebungen zur spitzenaktuellen Fortführung – vor allem die Digitalen Orthophotos (DOP, maßstäbliche, georeferenzierte Luftbilder), derzeit mit einer Bodenauflösung von 20 cm x 20 cm. Bereits seit dem Jahr 1968 führte das damalige Landesvermessungsamt flächendeckend für Baden-Württemberg Bildflüge im Sommer im 5-JahresTurnus durch. Das LGL setzte diese Befliegungen seit dem Jahr 2009 im 3-JahresTurnus fort. Durch die Weiterentwicklung der digitalen Bildverarbeitungsverfahren erfuhr die Nutzung stereoskopischer Luftbilder zur Ableitung von 3D-Informationen eine Renaissance. Die Datengrundlage zur Aktualisierung des Laser-DGM bilden deshalb überwiegend stereoskopische Luftbilder aus flächendeckenden (unbelaubten) Frühjahrsbefliegungen der Jahre 2011 – 2014 in einer Bodenauflösung von 10 cm. Ab 2015 finden 10cm-Frühjahrsbildflüge lokal und bedarfsorientiert statt. Als weitere Datenerfassungsmethoden werden lokal Airborne-Laserscanbefliegungen, Bildflüge mit Unmanned Aerial Systems (UAS) und das terrestrische Laserscanverfahren (TLS) eingesetzt. Statt einer lokalen Aktualisierung des LaserDOM plant das LGL, als neues Produkt ein bildbasiertes DOM einzuführen, das aus den dreijährigen zyklischen Sommerbildflügen (s.o.) abgeleitet wird. Die Aktualisierung erfolgt dann großflächig durch Neuberechnung für den gesamten Block einer Jahresbefliegung. 4 Objektstrukturierte 3D-Modelle Die existierenden 3D-Modelle DGM und DOM modellieren die Landschaft nur undifferenziert mittels Rasterpunkte. Für eine reali- 40 SR 108 tätsnahe Darstellung der Landschaft und für eine automationsgestützte Weiterverarbeitung der dreidimensionalen Informationen ist jedoch eine strukturierte, differenzierte und klassifizierte Modellierung der Landschaftsobjekte erforderlich. Die Entwicklung automatisierter Verfahren der Objekterkennung aus Geobasisinformationen unterschiedlicher Formate (Raster-, Vektordaten) und die Überführung in neue semantische, attributierte Vektordaten ist in Ansätzen bereits realisiert, stellt aber eine große Herausforderung an künftige Softwareentwicklungen dar. 4.1 3D-Gebäudemodelle Mit der Einrichtung landesweiter dreidimensionaler Gebäudemodelle begann das LGL mit dem Aufbau der objektstrukturierten dreidimensionalen Landschaftsmodellierung. Die 3D-Gebäudemodelle beschreiben jedes einzelne Gebäude eindeutig nach Lage und Form und können bedarfsgerecht durch weitere fachliche Attribute ergänzt werden. Die Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) haben sich darauf verständigt, möglichst ab dem Jahr 2013 bundesweit einheitlich 3DGebäudemodelle im Detaillierungsgrad LoD1 (Level of Detail, Klötzchenmodell) bereitzustellen. Die Einrichtung dreidimensionaler Gebäudemodelle im Detaillierungsgrad LoD2 (Standarddachformen) ist mittelfristig vorgesehen. Das LGL hat sich aufgrund der flächendeckend vorliegenden dreidimensionalen Basisinformationen primär die Erzeugung von LoD2-Gebäudemodellen zum Ziel gesetzt. Gebäudemodelle im Standard LoD1 können daraus bei Bedarf abgeleitet werden. SR108 Als Datengrundlage dienen die Gebäudegrundrisse des Liegenschaftskatasters, die 3D-Punktwolken der landesweiten Laserscanbefliegung und der stereoskopischen 10 cm-Luftbilder für die Ableitung der Gebäudeformen und das (aktualisierte) DGM als Geländebezug. Defizite im Gebäudebestand des Liegenschaftskatasters sollen durch automatisierte Verfahren der Veränderungsdetektion erkannt und durch zeitnahe Gebäudeaufnahmen für das Liegenschaftskataster beseitigt werden. Baden-Württemberg vierdimensional Seit Ende 2013 stehen automatisch produzierte, „vorläufige“ 3D-Gebäudemodelle mit noch reduzierter Aktualität und Qualität zur Verfügung. Daraus können landesweit LoD1Gebäudemodelle abgeleitet und die Forderungen der AdV erfüllt werden. Seit 2014 wird, ebenfalls durch automatisierte Verfahren, die Aktualität und Qualität deutlich verbessert. Die abschließende interaktive Nachbearbeitung, mit dem Ziel eines endgültigen, vollständigen LoD2-Datenbestands, erfolgt sukzessive nach Bedarf. Bereits existierende, kommunale 3DGebäudedaten sollen, soweit sie die erforderlichen Standards erfüllen, in den Datenbestand des LGL integriert werden, um so den Nutzern flächendeckend einen einheitlichen, aktuellen und qualitativ hochwertigen 3DGebäudedatenbestand bereitstellen zu können. 3D-Gebäudemodelle bilden die Grundlage für eine Vielzahl von Anwendungen, von denen hier nur einige exemplarisch erwähnt werden sollen: 3D-Visualisierung, Sichtbarkeitsanalysen Anschauliche, realitätsnahe Grundlage für Bürgerpartizipation und politische Entscheidungen Stadt- und Bauleitplanung Baugenehmigungsverfahren (digitaler Bauantrag in 3D) Abb. 3: 3D-Gebäudemodelle LoD1, LoD2 Energiepotenzial- und Energiebedarfsanalysen Die Produktion landesweiter 3D-Gebäudemodelle LoD2 für ca. 6 Millionen Gebäude erfolgt nach einem dreigliedrigen Stufenplan, wobei sukzessive die Qualität und Aktualität gesteigert wird. Ausbreitungsanalysen für Schadstoffe, Lärm, Funkwellen Sozioökonomische Untersuchungen Versicherungs-, Immobilien-, und Finanzwesen 41 Berthold Klauser, Manfred Gültlinger Innere Sicherheit, Risikovorsorge, Katastrophenmanagement Tourismus Ein großer Vorteil der Gebäudemodelldaten besteht in der Flexibilität für den Anwender, der die Daten des LGL als „Grundgerüst“ nutzen und z.B. durch die Erweiterung mit eigenen fachlichen Attributen auf seine speziellen Nutzung anpassen kann. 4.2 3D-Landschaftsmodelle Die dreidimensionale Klassifizierung der Landschaft in ähnlicher Weise wie die zweidimensionale Objektstrukturierung der Landnutzung in den DLM und eine weitgehende Integration der derzeit getrennt geführten zweidimensionalen und dreidimensionalen Modelle stellen die Zukunft der Landschaftsmodellierung und -präsentation dar. Mit der Einrichtung der 3D-Gebäudemodelle begann das LGL mit der objektstrukturierten dreidimensionalen Modellierung der Landschaft. Als weitere Landschaftselemente sollen beispielsweise die Vegetation in unterschiedli- 42Abb. 4: Dreidimensionale Objektklassifizierung SR 108 chen Höhenstufen und Vegetationsarten, Bauwerke wie Brücken oder wasserwirtschaftlich relevante Objekte aber auch Infrastruktureinrichtungen der Energiewirtschaft dreidimensional modelliert werden. Darüber hinaus bedarf auch die reine Geländeoberfläche einer Differenzierung durch dreidimensionale Strukturelemente wie Kanten, Rücken- oder Muldenlinien zur Modellierung von Böschungen, Dämmen, Bachläufen u.a. Objektstrukturierte 3D-Landschaftsmodelle finden als Basisdatenbestand zunehmend Interesse in der Forst- und Landwirtschaft, z.B. für die Ermittlung von Biomasse, bei der Wertermittlung in Flurneuordnungsverfahren, bei landwirtschaftlichen Subventionskontrollen, für Streuobstkartierungen, aber auch für Sichtbarkeitsanalysen, Verschattungssimulationen, Freiraumüberwachung oberirdischer Stromleitungen, Analysen unterschiedlicher Emissionen und Immissionen, im Tourismus u.v.m. Ergänzt durch eigene Fachinformationen der Anwender entstehen damit Datengrundlagen für völlig neue Methoden der Analyse, Simulation, Planung und Durchführung sowie der Visualisierung von Projekten mit der notwendigen Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerbeteiligung und Präsentation in politi- SR108 Baden-Württemberg vierdimensional schen Gremien. Entwicklung des ländlichen Raums Die Kompatibilität bzw. Integration der zweiund dreidimensionalen Geobasisdaten ist anzustreben. Aufgrund unterschiedlicher Modellierungsansätze wird kurzfristig eine vollständige Zusammenführung der Datenbestände nicht möglich sein (linien- und punktförmige Objekte im DLM versus Volumenkörper in den 3D-Modellen). Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur 5 Vierdimensionale Modelle Naturschutz „Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt sie, zu wiederholen“. Dieses Zitat des spanischen Philosophen George Santayana (1863 – 1952) macht im übertragenen Sinne deutlich, dass für zukunftsweisende Planungen und Vorhaben die Kenntnis der historischen Entwicklung unverzichtbar ist. Dies gilt in besonderem Maße auch für sämtliche Veränderungen in der Landschaft und Natur durch anthropogene Einflüsse und natürliche Ereignisse. Tourismus Zur Dokumentation von Veränderungen der Landschaft im Zusammenhang mit natürlichen, ökonomischen, ökologischen und soziologischen Veränderungen ist deshalb die Entwicklung und Bereitstellung multitemporaler Geobasisinformationen in Zeitreihen notwendig. Darauf aufbauend sind künftige Entwicklungen zielorientiert, nachhaltig und umweltschonend zu planen und zu realisieren. Auch hier lässt sich eine Fülle potentieller Anwendungen skizzieren: Natürliche Landschaftsveränderungen durch Erosion, Wasserlaufveränderungen, Vegetationswandel, Klimaveränderungen Veränderungen in der Land- und Forstwirtschaft Monitoring von Flurneuordnungsverfahren insbesondere bezüglich Erhaltung des ökologischen Mehrwerts Energiewirtschaft, Nutzung alternativer Energien Dorf- und Stadtentwicklung unter Berücksichtigung der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung und des demographischen Wandels, Stadt- bzw. Landflucht Forschung und Wissenschaft Rechtsgutachten, Wertermittlung, Finanzund Immobilienwirtschaft Deformationsanalysen Kampfmittelbeseitigung, Katastrophenschutz u.v.m. 5.1 Zeitreihen, Veränderungsdetektion, Monitoring Geoinformationen in Zeitreihen existieren derzeit überwiegend in Form analoger historischer Kartenwerke und Luftbilder. Digitale Karten und Luftbilder in Zeitreihen werden nur vereinzelt lokal, auch über Web-Anwendungen (z.B. in sog. „BürgerGIS“), präsentiert. Entwicklung von Ballungszentren mit Auswirkungen auf die Siedlungsstrukturen 43 Berthold Klauser, Manfred Gültlinger SR 108 Abb. 5: Schwarzwald bei Baden-Baden, 1995, 2000 (nach Sturm „Lothar“), 2014 Dreidimensionale Landschaftsveränderungen werden fast nur in konkreten Einzelfällen dokumentiert, z.B. bei Baumaßnahmen, Erdmassenberechnungen in Flurneuordnungsverfahren oder Volumenberechungen für Deponieanlagen. Die Einrichtung von Zeitreihen darf jedoch nicht lokal beschränkt bleiben sondern muss auch für großräumige und langfristige Entwicklungen nutzbar sein. Die zwei- und dreidimensionalen Geobasisinformationen – in Form von Rasterdaten (z.B. DOP, DTK), Gitterstrukturen (z.B. DGM, DOM) und objektstrukturierten Vektordaten (z.B. DLM, 3DGebäudemodelle) – ergänzt durch Metadaten – sind so aufzubereiten und bereitzustellen, dass daraus mit automatisierten Verfahren Veränderungen detektiert werden können (change detection). Diese Veränderungsdetektion ist wiederum Voraussetzung für die Entwicklung mittel- und langfristiger Monitoringverfahren. Für den konkreten Fall der Erkennung von Defiziten im Gebäudebestand des Liegenschaftskatasters zur Produktion der 3D-Gebäudemodelle sind kurzfristig automatisierte Verfahren zur Veränderungsdetektion einzurichten. 44 Letztlich sind aber sämtliche Entwicklungen am Bedarf der Nutzer zu orientieren. Geobasisinformationen in Zeitreihen und die Ergebnisse der Veränderungsdetektion eröffnen den Nutzern die Möglichkeit, sich die für den konkreten Bedarf notwendigen Daten individuell selbst zusammenzustellen, frei nach dem Motto: 4DoD = 4D-Modelle on demand. Als einige wenige Beispiele für bereits existierende Anwendungen seien hier die Dorfund Stadtentwicklung, der Nachweis der landwirtschaftlichen Nutzung, die Abgrenzung sogenannter Hebungsglocken nach Geothermiebohrungen, die Überwachung von Geländeveränderungen bei Baumaßnahmen, die Entwicklung des landschaftsprägenden Streuobstbestands, die Kampfmittelbeseitigung oder der Aufbau eines Monitoringverfahrens für den Nationalpark Schwarzwald genannt. 5.2 Ressourcen, Infrastruktur Die Einrichtung von Zeitreihen, Veränderungsdetektionen und Monitoringverfahren erfordert die Nutzung aller vorhandenen Ressourcen, die Erschließung weiterer Datenquellen und den Aufbau einer performanten Infrastruktur. Dazu sind intelligente Verfahren SR108 Baden-Württemberg vierdimensional Abb. 6: Relief der Schnellbahnstrecke „Rheintal“, vor Ausbau, nach Ausbau, Veränderung für das gesamte Datenmanagement (Datenerhebung, Produktion, Datenhaltung und bereitstellung) zu entwickeln. Als Datengrundlage sind alle existierenden digitalen Geobasisinformationen zu nutzen, sowohl rasterbasierte Bilddaten als auch gitterstrukturierte 3D-Modelle und semantische Vektordaten. Die Methoden der Datenerfassung werden beim LGL nach technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten laufend weiterentwickelt. Etablierte Verfahren wie großflächige Bild- und Laserscanbefliegungen werden durch weitere Erfassungsmethoden wie terrestrisches Laserscanning und UASBefliegungen für kleinräumige Gebiete ergänzt. Die Nutzung unterschiedlicher Satellitensysteme, sowohl optische als auch Radarsysteme, werden an Bedeutung deutlich zunehmen. Die Daten des Copernicussystems werden u.a. für die Detektion von Veränderungen eine wesentliche Rolle spielen. Hochaufgelöste, multispektrale und multitemporale Satellitenbilddaten werden sich langfristig in den Vermessungsverwaltungen etablieren. In seiner Rolle als Kompetenzzentrum für Fernerkundung und für photogrammetrische Dienstleistungen erhebt und bündelt das LGL den Bedarf an Fernerkundungs- und Photogrammetrieprodukten für den öffentlichen Bereich in Baden-Württemberg. Dazu zählt auch das Bemühen um die Übernahme vorhandener, qualitätsgesicherter Daten öffentlicher Institutionen in den Datenbestand des LGL. Dadurch werden kostenintensive Mehrfachbefliegungen und -auswertungen reduziert. Zusätzlich zu der kontinuierlichen Erfassung aktueller, digitaler Daten wird auch die Digitalisierung historischer, analoger Vorlagen wie z.B. der Luftbilder zur Kampfmittelbeseitigung notwendig werden. In der Datenverarbeitung sind die existierenden Prozessketten zur Erzeugung der Standardprodukte um Module zur automatisierten Objekterkennung, Modellierung und Veränderungsdetektion zu erweitern. Zur Steigerung der Effektivität ist der Automationsanteil in der Datenverarbeitung zu erhöhen. Dazu sind die einzelnen Produktionsschritte neu zu strukturieren und in steuerbare, weitgehend automatisiert ablaufende Prozessketten zu integrieren. Die Datenhaltung ist für die Histo- 45 Berthold Klauser, Manfred Gültlinger rienverwaltung in Zeitreihen weiter zu entwickeln. Neben der Software ist auch die Hardware den neuen Anforderungen anzupassen. In der Produktionsumgebung des LGL werden, durch das auf ministerieller Ebene angelegte Projekt „GeoIT BW“, noch in 2015 die notwendigen Speicher- und Rechnerkapazitäten geschaffen. Eine weitere Herausforderung stellt die Bereitstellung der Produkte für die Nutzer dar. Die neuen Produkte sind in die Vertriebswege zu integrieren und die Bereitstellung der Daten über web-Anwendungen und die performante Visualisierung und Präsentation der dreidimensionalen Daten und Veränderungen in entsprechenden online-Viewern zu realisieren. Zukunftsaufgaben erfordern nicht nur eine optimale Datengrundlage und eine performante Produktionsinfrastruktur sondern auch hochqualifiziertes und engagiertes Personal. Hier ist die Politik gefordert, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und einen zukunftsfähigen Altersaufbau des Personals im LGL zu gewährleisten. 6 Fazit und Ausblick Der Bedarf an objektstrukturierten dreidimensionalen Landschaftsmodellen, an der Detek- 46 SR 108 tion von Landschaftsveränderungen und an Geobasisinformationen in Zeitreihen als Grundlage für vielfältige Monitoringverfahren wird bereits kurzfristig deutlich zunehmen. Dies ist nur durch die Nutzung sämtlicher Methoden der Datenerfassung, durch die Erhöhung des Automationsanteils und die Neustrukturierung der Prozessketten in der Produktion sowie durch eine performante Haltung, Bereitstellung und Präsentation der Produkte erreichbar. Dazu sind weitere Investitionen in die Produktionsinfrastruktur und die Entwicklung intelligenter Verfahren für die Datenprozessierung und das gesamte Datenmanagement erforderlich. Das LGL wird als moderner öffentlicher Dienstleister diese Herausforderungen annehmen und die amtlichen Geobasisinformationen entsprechend dem Bedarf der Nutzer und der Gesellschaft weiter entwickeln, stets mit dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit im gesamten öffentlichen Bereich des Landes BadenWürttemberg zu steigern. Berthold Klauser und Manfred Gültlinger, Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg, Karlsruhe; [email protected] [email protected] Geovisualisierung in der Landespolizei Dietmar Class 1 Wie alles begann Fachliche Anforderungen 2011 und in den Jahren davor stand die Polizei Baden-Württemberg vor der Herausforderung, ein kostenfreies Geoinformationssystem zu beschaffen. Dies scheint zunächst in sich ein Widerspruch zu sein oder wenigstens kein leichtes Unterfangen, aber – wie sich inzwischen gezeigt hat – war es nicht unmöglich. Spezielle Fachanforderungen bestimmte bis 2011 die Umsetzung von technischen Vorhaben. Im Fall des Geoinformationssystems ging es um ein allgemeines Angebot – für alle in der Polizei Baden-Württemberg Beschäftigten. Es sollte sich um eine Anwendung handeln, mit der die Karten und Luftbilder des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung (LGL) von jeder Polizeidienststelle aus abgerufen werden können. Die Karten und Luftbilder bezog die Polizei bereits seit Jahren über die Generalvereinbarung Geo- 47 Dietmar Class basisdaten. Mit dem Abruf der Karten und Luftbilder über eine Adresssuche sollte es den Kolleginnen und Kollegen ermöglicht werden, die Karten und Luftbilder aufzurufen, einzusehen, auszuschneiden und mit dem Copyright-Vermerk für ihre polizeilichen Berichte zu exportieren. Rahmenbedingungen Die bisherigen Versuche, eine solche zentrale technische Lösung für eine Anwenderzahl zu finden, die sich im 5-stelligen Bereich bewegt, scheiterten an den Lizenzkosten oder an den gesetzten Rahmenbedingungen der (netz-)technischen Infrastruktur. Hinzu kam der Anspruch, dass das Geoinformationssystem im gesicherten Intranet der Polizei lauffähig sein sollte. Es sollte keine Abhängigkeit zu Dritten bestehen, damit die Polizei unmittelbaren Zugriff auf die Server hat und den Einfluss auf die Verfügbarkeit der angebotenen Services behält. 2 Eingesetzte Technik / Architektur Architektur Der Geo-Karten-Viewer.web verwendet auf der Clientseite das Silverlight-Plugin. Für die Kartenabfragen wird ein seitens des PTLS Pol programmierter Web-Map-Service (WMS)-Dienst eingesetzt. Die Datenbankabfragen werden von einem Microsoft SQLServer beantwortet. Die Hauptlast einer zentralen Geoanwendung liegt natürlich immer auf der Komponente, die die Kartenanfragen beantwortet, dem WMS. 48 SR 108 Das Silverlight-Plugin Eine richtig tolle Erfindung von Microsoft ist das Silverlight-Browser-Plugin. Während bei einer normalen Webanwendung durch die Userinteraktionen die Last durch die zahlreichen GET- und POST-Anfragen auf dem Webserver liegt, wird bei einer SilverlightAnwendung die Last auf die Clients verteilt. Nach dem Download einer – im Falle des Geo-Karten-Viewers.web ca. 600 KB großen xap-Datei – läuft die weitere Ausführung der Anwendung vollständig im Client ab. Externe Daten werden dem Plugin dabei über den WMS-Dienst (für die Karten-) und über den WFS-Dienst (für die Datenbankabfragen) zugeführt. Die Usability ist für den Anwender dabei vergleichbar mit einer Windows-Anwendung, weil Funktionen ohne Postbacks erlebt werden. Das Silverlight-Plugin ist sehr leistungsfähig, was GUI-Aktionen betrifft. Bei einer normalen Webanwendung muss wesentlich mehr Know-how in die clientseitig vom Browser nativ unterstützten Techniken investiert werden, und die Lauffähigkeit hängt dann zusätzlich noch von der Browser-Version ab. Im Falle einer Silverlight-Anwendung muss hingegen – egal bei welcher Browserversion – „nur“ das Silverlight-Plugin installiert sein. Und das Gute am Silverlight-Plugin ist auch: Die Netzlast wird nach dem Laden der xap-Datei nur noch durch die Karten- und Datenbankabfragen bestimmt. Es werden wieder keine Layoutinformationen transportiert. Silverlight eignet sich hervorragend für den Einsatz in einer kontrollierten Umgebung. Mit dem Intranet der Polizei besteht eine solche kontrollierte Umgebung, in der Software nur gemäß einer vorgegebenen Landeskonfiguration eingesetzt werden darf. Im Gegensatz zu den Lösungsansätzen anderer Softwarehersteller, bei denen teilweise vor jeder Usersession Anwendungskomponenten von SR108 Geovisualisierung in der Landespolizei einem Server heruntergeladen und auf dem Client (ggf. aufwendig) installiert werden müssen, muss bei einer Silverlight-Anwendung nur (einmalig) und für alle Nutzer des Clients, das Silverlight-Plugin installiert werden. Später beim Download der xap-Datei für die konkrete Usersession muss keine Installation erfolgen. Das verringert zum einen das Warten des Anwenders bis er mit der Anwendung arbeiten kann, zum anderen wird damit aus hiesiger Sicht den Ansprüchen einer IT-Sicherheit besser Rechnung getragen. Der Geo-Karten-Viewer.web verwendet das Silverlight-Plugin in der letzten Version 5. Die Applikation wurde mit Visual Studio 2012/2013 erstellt. Bild nach ca. einer Sekunde neu auf. Der WMS liefert in stufenloser Einstellung alle (Realitäts)-Ausschnitte in jeder angeforderten Kartenbreite und -höhe. Es wird dabei (immer) die Bildkomprimierung .jpeg eingesetzt um Netzbandbreite zu sparen. Die Geokoordinaten des Bildausschnitts der Ecke unten links und oben rechts erfolgen (immer) in dem Koordinatensystem, das dem Kartenwerk zugrunde liegt. Damit kann ohne Koordinatentransformation der angeforderte Kartenausschnitt sofort erstellt werden. Der Web-Map-Service wurde durch das PTLS Pol programmiert und setzt auf ASP.NET und dem .NET-Framework 4.5.1 auf. Er wurde mit Visual Studio 2013 erstellt und orientiert sich dabei an den OGCStandards, ist jedoch darüber hinaus auf Performance und die Anfragen aus dem Plugin getrimmt, weil die Last der Applikation fast ausschließlich auf dieser Komponente liegt. Als WMS-Server wird ein Windows-Server 2012-R2 (Datacenter-Edition) mit 4 CPU und 8 GB Arbeitsspeicher eingesetzt. Zusätzlich zur Basisinstallation wurden ausschließlich die Internet-Information-Services (IIS) installiert. Web-Feature-Service (WFS) Asynchrone Dateizugriffe mit .NET-Framework 4.5.1 und „wait“ sowie „async“ sorgen dafür, dass die Kacheln parallel bzw. gleichzeitig und nicht nacheinander geladen werden. Dies verkürzt die Ladezeiten und die vom Anwender angeforderte Karte kann so schneller an den Client zurückgegeben werden. Wird durch den Anwender die Karte im Plugin mit Drag und Drop verschoben, baut sich das Die Laufwerke mit den Kartenkacheln sind direkt in das Dateisystem gemountet. Alle (Sach-)Daten, die vom Plugin abgerufen werden, sind auf einem Microsoft SQL-Server (Standard-Edition) gespeichert. Es wird aktuell noch Microsoft SQL-Server 2008R2 eingesetzt. Es könnte aber auch problemlos die Migration auf eine höhere SQL-Server-Version erfolgen. Der Datenbankserver ist ein Microsoft Windows-Server in der Version 2008R2 mit 4 CPU und 8 GB Arbeitsspeicher. Alle Datenbankabfragen werden über XML an das Plugin zurückgegeben. Der IISWebserver holt vom Datenbankserver die Daten, packt sie in eine xml-Datei und gibt die xml-Datei an das Plugin zurück. Koordinatentransformationen Es wird die GeoDLL von Killetsoft eingesetzt (64-bit-Version). Die GeoDLL ist in einer ASP.NET-WebForm eingebunden. Beim Aufruf der WebForm werden die übergebenen Koordinaten transformiert und das Ergebnis wird als xml-Datei an den Client zurückgegeben. Eine Koordinatentransformation erfolgt 49 Dietmar Class beim Wechsel des Kartenwerks (z. B. Luftbild zu OpenStreetMap). Skalierung Der WMS-Dienst, die Webserverkomponente für den WFS-Dienst und die Komponente zur Transformation von Geokoordinaten werden aktuell auf einem Server betrieben. Um die Anwendung weiter zu skalieren, könnten diese Komponenten getrennt werden. Eine zusätzliche Skalierung wäre darüber hinaus möglich, wenn zwei WMS-Dienste eingesetzt werden und z. B. programmseitig vom Plugin aus die WMS-Dienste abwechseln abgefragt werden. In der Applikation kann über eine Auswahl festgelegt werden, wie groß das Kartenfenster sein soll und wie viel Netztraffic damit erzeugt wird. SR 108 Datenbestand. OpenStreetMap liefert ein grenzüberschreitendes einheitliches Kartenlayout in allen Maßstäben. Deutschland wird bis zum Maßstab 1:4 000 angeboten und alle an Deutschland angrenzenden Länder bis zum Maßstab 1:8 000. Alkis-Testdaten Seit einem halben Jahr ist auch ein Testbestand an Flurstücksgrenzen und -nummern abrufbar. Der Testbestand umfasst mit ca. 400 GB und 50 Millionen Dateien den Bereich von Baden-Württemberg. Die Kacheln sind für verschiedene Zoomstufen vorgerendert. Die Daten wurden vom LGL bezogen. 4 Funktionsumfang Alle von einem gängigen Geoinformationssystem erwarteten Funktionen wurden umgesetzt. 3 Verfügbare Kartenwerke Karten und Luftbilder des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung (LGL) Es werden ca. 180 GB an Karten und Luftbildern des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung vorgehalten. Der Datenbestand umfasst hierbei Baden-Württemberg. Die Luftbilder liegen im Format .jpg vor und haben eine Bodenauflösung von 20 cm. Der gesamte Luftbildbestand umfasst ca. 150 GB. Es werden die Maßstäbe 1:10 000, 1:25 000, 1:100 000 und 1:100 000 als Straßennetzknotenkarte angeboten. OpenStreetMap Weitere ca. 150 GB OpenStreetMap-Karten (über 20 Millionen Kacheln) ergänzen den 50 Kartenhandling / Navigation Die Karte kann mit gedrückter linker Maustaste (Drag und Drop) verschoben werden. Die angeklickte Position wird mit Doppelklick vergrößert. Mit Klick auf die rechte Maustaste wird rausgezoomt. Ein stufenloses Zoomen ist möglich. Der Wechsel des Kartenwerkes erfolgt über ein DropDown. SR108 Geovisualisierung in der Landespolizei Geokoordinaten in WGS 84 geodezimal und Gauß-Krüger 120.000 Point Of Interest sind in der Karte einblendbar. Eigene Layer Es kann so direkt von einem Luftbild in die OpenStreetMap-Karte gewechselt werden. Dabei wird automatisch die aktuelle Position in das andere Koordinatensystem transformiert. Die Flurstücksgrenzen und -nummern sind mit und ohne Luftbild einsehbar. Suche / Adressen Es können alle Adressen Württemberg gesucht werden. in Eigene Layer können erstellt werden, indem Positionsangaben auf der Karte mit Punkt und Textinformationen gespeichert werden. Die so gespeicherten Informationen können aus einer Datei zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingelesen werden. Linien, Pfeile und Textinformationen können in einer eigenen Funktion auf der Karte aufgebracht und ebenfalls in einer Datei gespeichert werden. Baden- Folgende weitere Suchen sind möglich: Straßen und einige Hausnummern von Straßen aus anderen Bundesländern in Deutschland Kommunen in Deutschland 51 Dietmar Class Weiterverarbeitung / Export Auf der Karte kann mit gedrückter linker Maustaste ein Rechteck aufgezogen und der so markierte Bereich ausgeschnitten werden. Alle ausgeschnittenen Kartenbereiche enthalten das jeweilige Copyright. Alle Karten und (-ausschnitte) können mit ihren Layerinformationen als jpg-Datei gespeichert werden. Für die Weiterverarbeitung wird die angeklickte Position in einem Textfeld angezeigt und kann von Anwendern mit Copy und Paste entnommen werden. Die aktuelle Position bzw. Karte wird als Link angezeigt und kann von Anwendern mit Copy und Paste z. B. in eine E-Mail eingefügt werden. Der Empfän- 52 SR 108 ger der E-Mail klickt auf den Link, der GeoKarten-Viewer.web wird geladen und zeigt die entsprechende Karte bzw. Position an. Auch die Streckenmessung ist möglich. SR108 Kreise BW Die Grenzverläufe aller Kreise von BadenWürttemberg und Polizeipräsidien können mit und ohne Kartenhintergrund angezeigt werden. Geovisualisierung in der Landespolizei Insgesamt wirkt der Geo-Karten-Viewer.web aufgeräumt, nicht überfrachtet und versteckt keine Funktionen in auf- oder zuklappbaren Navbars. Alle Hauptfunktionen sind mit einem Klick erreichbar. Hilfe Durch Anklicken der Hilfefragezeichen an der jeweiligen Funktion öffnet sich eine benutzerfreundliche Hilfe. 53 Dietmar Class 5 Offline-Version Der Geo-Karten-Viewer wird auch als OfflineVersion angeboten. Es handelt sich dabei um eine Wpf-Anwendung, die mit dem .NET-Framework 4.0 und Visual Studio 2010/2012/2013 programmiert wurde. Es wird die GeoDLL von Killetsoft als 32bit-Version eingesetzt. Alle Adressen von Baden-Württemberg und Straßen von Deutschland werden in einer ca. 230 MB großen Access-Datenbank vorgehalten. Die Kartenwerke des LGL und OpenStreetMap (ohne Flurstücksgrenzen und -nummern) werden in TrueCrypt-Containern verschiedener Größen und Kartenbestand/Volumen gespeichert. Durch die TrueCryptContainer kann die Vielzahl der kleinen Einzeldateien als Container-Gesamtdatei schnel- 54 SR 108 ler kopiert werden. Die Container werden automatisch beim Start der Anwendung eingebunden. Zusätzliche Funktionen Die Offline-Version umfasst weitere Funktionen wie z. B. den Export großflächiger Kartenbereiche, die auch mehrere 100 MB groß sein können, für den späteren Ausdruck mit einem Plotter. Die GeoDLL gestattet es zur Laufzeit, Transformationen ohne erkennbare Performanceeinbußen durchzuführen. Ebenfalls sind zur Laufzeit eine schwarz-weißUmschaltung und Dimmung für die Kartenanzeige möglich. Zwei Kartenwerke können nebeneinander in einer sogenannten Dualansicht betrachtet werden. Dabei besteht die Möglichkeit beide Ansichten gekoppelt und SR108 synchronisiert oder ohne Koppelung anzuzeigen. Die Nutzung eines GPS-Empfängers ist möglich. Geovisualisierung in der Landespolizei Dietmar Class, Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei (PTLS-Pol), Stuttgart; ‚ E-Mail: [email protected] 55 Vorbereitung und Umsetzung von THW-Einsätzen national, grenzüberschreitend und international, bei Hochwasser sowie Schutz kritischer Infrastrukturen auf Basis von Geodaten Albrecht Broemme Das THW Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) ist die Einsatzorganisation der Bundesrepublik Deutschland im Bevölkerungsschutz. Sie gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern und besteht aus bundesweit rund 80.000 ehrenamtlichen Angehörigen sowie 800 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Anteil der freiwillig Engagierten liegt bei 99 Prozent. Die ehrenamtlichen Kräfte leisten bei Not- und Unglücksfällen technische Hilfe und sind deutschlandweit in 668 Ortsverbänden organisiert. Mit technischem Fachwissen und Spezialgerät ist das THW ein kompetenter Partner für Feuerwehr, Polizei und andere Hilfsorganisationen in Deutschland, Europa und weltweit. Darüber hinaus ist das THW Teil des deutschen Beitrags im Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union und leistet im internationalen Bereich technisch-humanitäre Hilfe. In den vergangenen sechs Jahrzehnten war das THW weltweit in mehr als 130 Ländern bei humanitärer Soforthilfe und Hilfsprojekten im Einsatz. Gesetzlicher Auftrag des THW ist der Zivilschutz und die Katastrophenhilfe. Im Ausland leistet das THW technische Hilfe im Auftrag der Bundesregierung. Im Inland leistet das THW technische Hilfe bei Katastrophen, öffentlichen Notständen und größeren Unglücksfällen auf Anforderung der zuständigen Stellen. Insbesondere bei Hochwassern oder bei Schäden an kritischer Infrastruktur arbeitet das THW eng mit den Ländern als Träger des Katastrophenschutzes sowie mit den 56 Kreisen und kreisfreien Städten als Träger ihrer Feuerwehren zusammen. Einsatzoptionen Das THW bietet eine Vielzahl von komplexen Einsatzoptionen in den Bereichen Fachberatung, Bergung, Ortung, Aufbau von Infrastruktur, Elektroversorgung, Logistik, Brückenbau, Führung und Kommunikation, Pumpen, Wassergefahren, Sprengen, Beleuchtung und Trinkwasseraufbereitung. Für den weltweiten Einsatz hält das THW Einsatzmodule vor. Diese sind auf den kurzfristigen und autarken Einsatz ausgerichtet. Insbesondere in den Bereichen Bergung (Schnell-Einsatz-Einheit-Bergung-Ausland, SEEBA), Schnell-Einsatz-Einheit-Wasser Ausland, SEEWA), Pumpen (High Capacity Pumping, HCP), Bereitstellung von Unterkünften (Emergency Temporary shelter, ETS), Führungsunterstützung (Technical Assistance Support Team, TAST) und Fachberatung (Experten). Zusammenarbeit Zur Sicherstellung der Versorgung mit aktuellen, sicheren und verlässlichen Geodaten kooperiert das THW mit verschiedenen anderen Behörden und Organisationen in Deutschland. So stellt das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) dem THW alle Geodaten kostenlos zur Verfügung. Das Amt für Militärisches Geowesen stellt dem THW ebenfalls Geodaten zur Verfügung. Für den SR108 Bezug von aktuellen Geodaten, insbesondere von Satellitenbildern, greift das THW auf das Zentrum für Kriseninformation (ZKI) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zurück. Hier werden auch die entsprechenden Aufnahmen ausgewertet und für das THW aufbereitet. In internationalen Krisensituationen werden Satellitenbilder durch das COPERNICUS Emergency Management Service der EU KOM bereitgestellt. Unterscheidung „tägliche“ und „komplexe“ Einsatzlage Beim täglichen Einsatzgeschehen handelt es sich zumeist um ein örtliches konkretes Schadenereignis, dessen Vorhersage in der Regel schwer bis gar nicht möglich war. Dieses örtliche Schadenereignis ist meist einfach zu erfassen und die daraus resultierende Be- Vorbereitung und Umsetzung von THW auf Basis von Geodaten drohung für Leib, Leben oder Sachwerte entsprechend. Für diese Art der Herausforderung ist zur Lagebeurteilung und -bewältigung meist keine Bereitstellung von Geodaten notwendig. Die augenscheinliche Bewertung der Einsatzleitung vor Ort, ggf. durch Unterstützung anderer Techniken (Wärmebild, Ortungstechnik), reicht zumeist aus. Bei komplexer Lage, bei der der Einsatz meist immer eine gewisse Vorlaufzeit hat, treten Kombinationen von Bedrohungen auf. Ein Unwetter führt zu Sturmschäden in der Folge zu Hochwasser und ggf. zu kaskadierenden Störungen in Infrastrukturen (Strom, Verkehr, usw.). Hier sind schon bei der Entstehung der Gesamtsituation Geodaten zur Vorhersage und zur Einsatzvorbereitung von extrem hoher Bedeutung. Bei der direkten Schadenbekämpfung sind aufgrund der komplexen Einsatzlage und aufgrund der Vielzahl von betroffenen Schutzgüter Geodaten eben- 57 Albrecht Broemme falls unerlässlich. Bei der nachfolgenden Schadenbewältigung sind Geodaten zur Identifizierung der Betroffenheit, insbesondere von kritischer Infrastruktur und urbaner Strukturen, sehr hilfreich für den richtigen und zielgerichteten Einsatz von Hilfeleistungspotenzialen. In der Folge des Erdbebens in Haiti konnten z.B. durch die Auswertung von alten und neuen Satellitenbildern definiert werden, welche Strukturen wie stark von Zerstörung betroffen waren. Die Lage ist durch die Einsatzleitung in diesen Situationen vor Ort nicht mehr erfassbar und muss strukturiert zusammengeführt werden. Nutzung von Geodaten im THW Die tägliche Nutzung von Geodaten findet im THW durch die Arbeit mit topografischen Karten und ggf. von Ortophotos statt. Auf diesen Karten wird die Einsatzlage mit Hilfe von taktischen Zeichen dargestellt. Diese Form der 58 SR 108 Abbildung ist jedoch eine abstrakte Abbildung der Wirklichkeit und entspricht nicht einer Echtzeitdarstellung. Sie ist jedoch vielfach geübt, bewährt und einfach verständlich. Diese Form kann durch Ortophotos oder andere Geodaten oder Zusatzinformationen ergänzt werden. In einem zweiten Schritt können mit Hilfe von vergleichenden Aufnahmen Änderungen z.B. auf Satellitenbildern erkannt werden. In einem letzten Schritt kann diese Kartendarstellung mit Detailaufnahmen oder großflächigen Bildern von Erdbeobachtungssystemen, die aufgrund von speziellen Anforderungen aufbereitet wurden, ergänzt werden. Hierbei sind z.B. die Markierung von überfluteten Flächen oder die Markierung von entsprechender Infrastruktur hilfreich. SR108 Vorbereitung und Umsetzung von THW auf Basis von Geodaten Das THW hat diese Möglichkeit der gezielten Auswertung von Satellitenbildern schon mehrfach genutzt. So wurden von Seiten des ZKI Bilder der Flüchtlingscamps in Jordanien aufgenommen und die überfluteten Bereiche markiert. Zudem erfolgt die Planung der jeweils erforderlichen Exit-Strategie aufgrund von Satellitenbildern. Beispiel GDACS 251400Mar15 Durch die automatische Georeferenzierung der Informationen entsteht so eine Übersichtskarte mit allen aktuellen Naturkatastrophen auf der Welt. Auch erfolgt hier eine automatische Klassifizierung der Katastrophen. Beispiel ZKI Überflutung Camp in Jordanien Bei internationalen Hilfeersuchen bedarf es erst einmal der Information, dass es zu einem Schadensereignis gekommen ist. Hierfür nutzt das THW das „Global Disaster Alert und Coordination System“ (GDACS: http://www.gdacs.org). Es ist eine Kooperationsplattform der Vereinten Nationen, der EU-Kommission als auch der Bevölkerungsschutzbehörden und -einrichtungen weltweit. Hier werden insbesondere die zu Beginn eines Einsatzes notwendigen Rahmendaten zwischen den verschiedenen internationalen Partnern ausgetauscht. Neben der öffentlich verfügbaren Karte gibt es mit dem „Virtual On-Site Operations Command Center“ (VOSOCC: https://vosocc.unocha.org) noch einen geschützten Bereich in dem weitere Informationen zwischen den im Bevölkerungsschutz und der Katastrophenhilfe tätigen Behörden und Organisationen ausgetauscht werden können. Darüber hinaus werden öffentliche verfügbarer Kartendienste genutzt, um sich einen weiteren Überblick über die betroffene Region zu verschaffen. Die in diesen Diensten integrierte Funktion, eigene Karten zu erstellen, wird für die Aufbereitung allgemeiner Lageinformationen genutzt. Durch die Nutzung von öffentlich zugänglichen Systemen besteht die Möglichkeit, Informationen auch über die eigene Behörde hinweg mit anderen Stellen – vor allem auch international – auszutauschen. 59 Albrecht Broemme SR 108 Beispiel: Flugzeugabsturz 4U9525 Durch das entsprechende Rechtesystem können nicht nur Informationen in der THWLeitung, sondern auch durch die Einsatzkräfte vor Ort oder durch unsere Partner einfach integriert werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Auswertung verschiedener Geodaten und deren Kombination hilft, eine komplexe Lage möglichst umfassend zu beurteilen. 60 Geodaten welche eine frühzeitige und möglichst konkrete Beobachtung des Wetters zulassen in Kombination mit weiteren Geodaten (z.B. Kartenmaterial/Satellitenbilder) ermöglichen eine bessere Prävention, als auch eine bessere lageangepasste und unmittelbare Einsatzvorbereitung. Albrecht Broemme ist Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk THW, Bonn. Geobasiertes Leerstandsmanagement am Beispiel Bischofsheim a.d. Rhön Gunter Schramm 1 Leerstandsmanagement als Instrument zur Potentialaktivierung1 Sämtliche Arten der Flächennutzungen, Infrastrukturen und Gebäude im Siedlungsbereich unterliegen Nutzungszyklen. Deren Persistenz sowie die Abfolge von In-WertSetzung, Bestand, Entwertung, Auflassung und Wiedernutzung hängen von zahlreichen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren ab. Zu nennen sind hier beispielsweise die Standortqualität, das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage sowie Vorbelastungen. Den unterschiedlichen Bedingungen entsprechend differieren diese Zyklen in regionaler, lokaler und bisweilen sogar kleinräumiger Perspektive – beispielsweise einzelner Städte. Resultat ist ein Mosaik von in zeitlicher Perspektive unterschiedlich marktgängiger Flächennutzungen, die sowohl ein Potential als auch ein Hemmnis der Stadtentwicklung darstellen können. Ist die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme in den peripheren Gebieten zu Gunsten der Innenentwicklung Ziel von Politik und Planung, bedarf es eines systematischen und zielgerichteten Leerstandsmanagements. Der Vielfalt unterschiedlicher Flächennutzungen entsprechend umfasst der Begriff Leerstand unterschiedliche Dimensionen. Dieser lässt sich von ungenutzten oder nicht vermieteten Gebäuden oder Flächen in privatem oder öffentlichem Eigentum, leerstehende 1 Vgl. Nachhaltiges Flächenmanagement – Ein Handbuch für die Praxis. Ergebnisse aus der REFINA-Forschung, Stephanie Bock, Ajo Hinzen und Jens Libbe (Hrsg.), Difu, Berlin 2011. Gebäuden, über teilbewohnten – oder – genutzten Gebäuden, bis hin zu Baulücken und Althofstellen differenzieren. 2 Zielsetzungen Grundsätzliches Ziel des Projektes Flächenmanagements ist es, auf der Grundlage einer ausführlichen Bestandserhebung Bauinteressierte in und außerhalb der Region in die Ortskerne und bestehenden Baugebiete zu lenken, den Leerständen in den Innenorten zu begegnen und ein investitionsfreundliches Klima für Sanierungs- und Baumaßnahmen zu schaffen. Voraussetzung zur Zielerreichung und erste Aufgabe stellt die Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für die Thematik „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ dar. Einwohner, Gewerbetreibende, Eigentümer und die städtische Verwaltung gleichermaßen sind die Akteure, deren Wahrnehmung und Bewertung der Situation vor Ort entscheidend für die Durchführung eines solchen Projektes sind. Dabei gilt es, von der Aktivierung um der Aktivierung willen Abstand zu nehmen. Sachorientierte Entscheidungen sollten die Basis der Entwicklung darstellen und können durchaus gestalterische und innovative Ansätze bis hin zur Aufgabe einer bestimmten Nutzung zu Gunsten einer anderen umfassen. Gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und dessen Auswirkungen auf das Anforderungsprofil sämtlicher Nutzungen sind die angedachten Aktivierungen 61 Gunter Schramm bzw. Veränderungen in einen großräumigeren Gesamtzusammenhang einzubetten. So kann oftmals eine effektivere Nutzung der kommunalen Infrastruktur erreicht werden. Dennoch darf die individuelle Betrachtung eines jeden Potentials im Lichte der der spezifischen Gegebenheiten vor Ort keinesfalls vernachlässigt werden. 3 Vorgehensweise Leerstandsmanagement Die konkrete Durchführung der Aufgabe Flächenmanagement muss sich nach den jeweiligen Gegebenheiten richten. Verschiedene Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in Regionen, Städten und Gemeinden erfordern darauf abgestimmte Herangehensweisen. Unter anderem haben die personelle Ausstattung, technische Möglichkeiten, Organisations- und Zuständigkeitsregelungen sowie bestimmte Abläufe Einfluss auf die jeweilige Vorgehensweise. Einige Bausteine haben sich jedoch basierend auf zahlreichen Projekterfahrungen als notwendig und zielführend erwiesen. 3.1 Erhebung der Grunddaten Grundvoraussetzung für ein effizientes Flächenmanagement ist die Kenntnis über die im räumlichen Bezugsrahmen vorhandenen Flächenpotentiale. Dieser Bezugsrahmen differiert je nach Problemstellung und Zielsetzung und kann beispielsweise nur den Hauptort, die Kernbereiche aber auch alle Ortsteile einer Kommune umfassen. Die vorhandenen Potentiale reichen von den im Bestand vorhandenen Potentialen für die Innenentwicklung bis zu den vorhandenen bzw. planerisch ausgewiesenen Erweiterungspotentialen. Dies umfasst Baulücken, Brachflächen, mindergenutzte Grundstücke 62 SR 108 (bspw. geringfügig bebaute Flurstücke) sowie auch in absehbarer Zeit freiwerdende Flächen. Als sehr hilfreich hat sich die Erfassung mittels eines DV-gestützten geographischen Informationssystem erwiesen, welches verschiedenen Dienststellen – von der Planung bis zur Wirtschaftsförderung – und den politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung stehen sollte. Dabei untergliedert sich die Erhebung der Grunddaten in mehrere Einzelschritte. Zunächst wurde auf rein EDV-technischer Basis die Erfassung von Baulücken, Leerständen und Leerstandsrisiken mit den hierfür zur Verfügung stehenden Softwarelösungen durch die bearbeitenden Büros vorgenommen und in die jeweiligen Systeme der Kommunen eingepflegt. Die Erfassung der Baulücken erfolgte durch die Analyse der Luftbilder in Verbindung mit der des Flächennutzungsplans, während anhand der Auswertung der Bevölkerungsdaten Leerstände und Leerstandsgefährdungen identifiziert wurden (keine gemeldeten Einwohner = Leerstand; nur ältere Einwohner > 75 Jahre = Leerstandsgefährdung). Diese Daten wurden kartographisch dergestalt umgesetzt, dass eine Visualisierung der FlächenmanagementDaten auf der Ebene der einzelnen Ortsteile machbar war. Diese kartographische Darstellung ermöglicht im Bedarfsfall eine mehrfache Spiegelung und Diskussion der Ergebnisse zwischen Verwaltung, Politik und den bearbeitenden Planungsbüros (siehe unten). 3.2 Überprüfung, Spezifizierung und Visualisierung der erhobenen Daten Die Überprüfung und Spezifizierung der Daten wurde mittels eines zweistufigen Verfahrens vollzogen. Zum einen erfolgte diese durch Ortskundige, in der Regel handelte es sich dabei um Mitglieder der kommunalen SR108 Geobasiertes Leerstandsmanagement am Beispiel Bischofsheim a.d. Rhön Verwaltung. Die praktische Erfahrung zeigt, dass bei diesem Arbeitsschritt je nach Umfang der Ortskenntnis auf eine Begehung der Objekte größtenteils verzichten werden und die Arbeit am PC oder Schreibtisch durchgeführt werden kann. Zum anderen wurde jedes als Entwicklungspotential eingestufte Flurstück durch die bearbeitenden Büros im Rahmen einer Ortsbegehung überprüft, bewertet und fotodokumentiert. Beide Schritte sind für die Qualität der erhobenen Daten als unverzichtbar einzustufen, da sie Unterschiedliches leisten können und jedes Potential aus verschiedener Perspektive beleuchtet wird. Jedoch gilt es in diesem Kontext vor diversen Fallstricken gefeit zu sein. So haben die Ortskundigen Einfluss auf Umfang und Detailschärfe der Daten, weshalb vorher umfassend über Sinn und Zweck des Flächenmanagements informiert und eine fachliche Schulung durchgeführt werden sollte (Stichwort „Sensibilisierung“). Bei kommunalen Allianzen lassen sich Unterschiede in der Bewertung der einzelnen Potentiale durch die verschiedenen Mitarbeiter nicht vermeiden, jedoch sollten diese so gering wie möglich gehalten werden. Grundsätzlich wird in den gängigen Flächenmanagementdatenbanken nach den Kategorien Baulücke, Wohngebäuden, Hofstellen, Infrastruktureinrichtungen, Wirtschaftsgebäuden am Ortsrand leerstehend und Gewerbeflächen unterschieden. Hierauf aufbauend erfolgt die weitere Spezifizierung der einzelnen Potentiale nach folgenden Kategorien: Baulücke klassisch Geringfügig bebautes Grundstück Gewerbebrache Gewerbebrache mit Restnutzung Hofstelle leerstehend Hofstelle mit Restnutzung Hofstelle ohne Hofnachfolger Infrastruktureinrichtung leerstehend Konversionsfläche Wirtschaftsgebäude am Ortsrand leerstehend Wohngebäude leerstehend Wohngebäude mit Leerstandsrisiko Anhand dieser Aufstellung wird deutlich, warum ein möglichst gleichlautendes Verständnis der einzelnen Mitarbeiter und Ortskundigen in den Kommunen im Interesse der Datenqualität gesichert werden sollte. Mittels der Visualisierung der erhobenen Potentiale kann auf einem einfachen Wege ein Überblick über die erhobenen Potentiale gegeben werden. Die Überprüfung der Daten, die thematische Sensibilisierung und die Analyse der Situation werden so ermöglicht: 3.3 Durchführung der schriftlichen Eigentümerbefragung Nach der Erhebung der Grunddaten und der im Anschluss stattfindenden Überprüfung und Spezifizierung stellt die Befragung der Eigentümer den nächsten Schritt im Rahmen des Leerstandsmanagements dar. Differenziert nach den drei übergeordneten Zielkategorien Baulücke, Leerstand und Leerstandsrisiko wurden die Eigentümer angeschrieben und bezüglich verschiedener Aspekte befragt. Von besonderem Interesse bezüglich einer möglichen Aktivierung sind hier Informationen über die Verkaufsbereitschaft sowie über den vorhandenen Beratungsbedarf. Die entsprechenden Rückläufe wurden in die jeweiligen Datenbanken der Kommunen eingearbeitet und in der weiteren Bearbeitung berücksichtigt. 63 Gunter Schramm 64 SR 108 SR108 Geobasiertes Leerstandsmanagement am Beispiel Bischofsheim a.d. Rhön Selbstverständlich nehmen vor allem die Eigentümer vor Ort eine wichtige Rolle ein, will man die Aktivierung vorhandener Potentiale befördern. Um Verständnis und Sensibilität zu wecken, bietet sich die gezielte Information über Sinn und Zweck eines Flächenmanagements mittels eines flankierenden Flyers an. Auch besteht die Möglichkeit zur allge- meinen Öffentlichkeitsarbeit, sollte aber im Interesser der Wahrnehmung nicht überbordende Ausmaße annehmen. Zielführend ist weiterhin die begleitende Unterstützung der Eigentümerbefragung durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit in der örtlichen Presse und dem Amtsblatt sowie die Nennung eines Ansprechpartners in der Kommu- 65 Gunter Schramm ne oder dem Landkreis, der bei aufkommenden Fragen rund um die Befragung kompetent Auskunft erteilen kann. Als Ergebnis der nun abgeschlossenen Datenerhebung erfolgt die Auswertung der erhobenen Daten, wie nachfolgend am Beispiel der Stadt Bischofsheim ersichtlich wird (s. vorhergehende Seite) SR 108 3.5 Zeitplan Der zeitliche Ablauf zur Etablierung einer Flächenmanagementdatenbank erfordert in der Regel in folgenden Rahmen: Voraussetzung für eine solche zeitliche Umsetzung ist allerdings die stringente Zuarbeit durch die Kommune sowie eine kontinuierlich abgestimmte Kooperation hinsichtlich Datenübermittlung und Schulung. 3.4 Maßnahmen- und Projektentwicklung Aus diesen Arbeiten resultierend läutet die Entwicklung von in einer Gesamtstrategie eingebetteten Maßnahmen und Projekten die Umsetzungsphase des Leerstandsmanagements ein. Die nach Prioritäten eingeordneten Projekte werden den Kommunen zur Bearbeitung und Diskussion vorgelegt und stellen auf der Basis enger Kooperation und Abstimmung die Arbeitsgrundlage weiterführender Schritte dar (Maßnahmenplanbeispiele sowie Einzelfallbeispiel siehe vorhergehende Seite). 66 3.6 Zum Umgang mit den Kommunen Interesse der Verstetigung des Leerstandsmanagements und der Datenqualität spielt die Zusammenarbeit mit den Kommunen eine fundamentale Rolle. In der Praxis wurde die Betreuung daher in mehrfacher Weise gewährleistet. Zum einen erfolgte eine Erstschulung der zuständigen Bearbeiter bei der Erstaufnahme bzw. Anlage der notwendigen Stammdaten der innerörtlichen Bereiche, Brachflächen und Baulücken. Je nach gewählter Flächenmanagementdatenbank unterscheiden sich Komplexität und Anwendungsbreite und damit auch die Dauer der Einarbeitungszeit. SR108 Geobasiertes Leerstandsmanagement am Beispiel Bischofsheim a.d. Rhön Zum anderen erfolgten je nach Arbeitsschritt weitere Schulungseinheiten und Beratung der Mitarbeiter in den kommunalen Verwaltungen. Erhebung, Datenbankaufbau und Eigentümerbefragung stellen teils spezifische Anforderungen und müssen in enger Kooperation mit den Kommunen erfolgen. Nur so kann die Qualität der Daten gewährleistet werden und ist daher als unbedingte Handlungsvorgabe zu verstehen. Als zielführend und in der Praxis wertvoll hat sich dabei die Schulung von zwei Verwaltungsmitarbeitern in der Flächenmanagementdatenbank erwiesen, um die Kontinuität der Bearbeitung in jedem Fall sicher zu stellen. 4 Verstetigung, Umsetzung und Monitoring2 Die Umsetzung und Realisierung der entwickelten Maßnahmen und Projekte sowie die Verstetigung stellt im Anschluss an die Einrichtung des Leerstandsmanagements den nächsten und entscheidenden Schritt dar. Aufgabe der Kommune bzw. der zuständigen Stelle ist die kontinuierliche Aktualisierung der Datenbank und Verwertung der erhobenen Daten. Hierfür ist aus der Praxiserfahrung die Schaffung klarer Zuständigkeiten eine unbedingte Voraussetzung. Mit Blick auf die verfolgten quantitativen und qualitativen flächenpolitischen Ziele lässt sich der Zielerreichungsgrad anhand der erfolgten Flächenmobilisierung feststellen und überprüfen. Mittels Monitoring und nachfolgender Berichterstattung in periodischer Form wird zum einen der Entwicklungsstand erfasst, zum 2 anderen sind so Transparenz und Beteiligung der Akteure gewährleistet. Finden sich Abweichungen in Bezug auf die gesetzten Ziele, sind mögliche Ursachen, Rahmenbedingungen und Auswirkungen sorgfältig zu reflektieren und analysieren. Die sich für das Leerstandsmanagement ergebenden Schlussfolgerungen sind wiederum in den politischen Raum zu kommunizieren. Die unterschiedlichen Phasen der Nutzungszyklen bestimmter Flächen laufen dabei gleichzeitig ab. Während beispielsweise erfolgreich vermarktete Flächen wieder in den nächsten Nutzungszyklus eintreten, befinden sich andere noch in der Phase der In-WertSetzung, der Zwischennutzung oder Renaturierung. Andererseits kommen neu aufgelassene Flächen und Gebäude infolge fortschreitenden strukturellen und demographischem Wandels dem Flächenpool wiederum hinzu. Angesichts der wahrscheinlich veränderten Angebotsseite (Zusammensetzung des kommunalen Flächenpools) und der veränderten Nachfrageseite (veränderte Marktbedingungen, Preise) beziehungsweise anderer sonstiger Rahmenbedingungen (neue Instrumente und/oder Akteure) und flächenpolitischer Zielvorgaben müssen Flächenmanagementstrategie und Maßnahmen kritisch geprüft werden. Gegebenenfalls muss eine Anpassung erfolgen, allerdings bedürfen substantielle Änderungen freilich der politischen Beschlussfassung und Kommunikation in der Öffentlichkeit. Überhaupt sollte der gesamte Prozess des Flächenmanagements durch Kommunikationsprozesse unterstützt und begleitet werden. Gunter Schramm M.A., Büro PLANWERK Stadtentwicklung | Stadtmarketing | Verkehr, Nürnberg, [email protected] Vgl. Nachhaltiges Flächenmanagement – Ein Handbuch für die Praxis. Ergebnisse aus der REFINA-Forschung, Stephanie Bock, Ajo Hinzen und Jens Libbe (Hrsg.), Difu, Berlin 2011. 67 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur am Beispiel einer Routing- und Navigationslösung für blinde und sehbehinderte Menschen in Berlin Henry Michels 1 Einleitung Das Angebot an offenen Geodaten hat sich im letzten Jahrzehnt rasant entwickelt. Projekte wie OpenStreetMap (OSM) oder die ortsabhängigen Artikel von Wikipedia haben im Rahmen des Web 2.0 einen großen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet. Aber auch der öffentliche Sektor hat mit der Einführung und Umsetzung des Geodatenzugangsgesetzes1 vom 10. Februar 2009 einen Anteil an dem großen Pool von freien Geodaten, die heute für eine Weiterverwendung zur Verfügung stehen. So werden in Projekten mit räumlichen Fragestellungen die Basis- und Fachdaten der Kommunen und Länder über, den Standards des Open Geospatial Consortiums (OGC) entsprechende, Web-Dienste (Doyle & Reed, 2001) als Planungsgrundlage oder als Hintergrundkarte für räumliche Analysen eingesetzt. Daten zur aktuellen Verkehrslage, insbesondere Verkehrsbehinderungen, lassen sich standardisiert, in Rohform oder schon verarbeitet, über das MDM-Portal2 beziehen und können meist kostenfrei für die Verkehrsplanung und -lenkung eingesetzt werden. Im Sinne dieser Entwicklung setzt das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderte Forschungsprojekt 1 2 68 http://www.gesetze-im-internet.de/geozg/ (9. April 2015) http://www.mdm-portal.de m4guide3 auf die Nutzung großer und freier Geodaten. Das Projekt befasst sich mit der Entwicklung und praktischen Erprobung eines Tür-zu-Tür Reiseinformationssystems für blinde und sehbehinderte Menschen. Pilotgebiete sind Berlin Mitte sowie der Stadt- und Landkreis Soest. Das Projekt ist in vier Arbeitsbereiche eingeteilt, deren Ergebnisse ineinander greifen und in Synergie ein integriertes Kommunikations- und Navigationssystem für Jedermann ergeben. Um dieses Ziel zu erreichen, muss im ersten Schritt eine Datenbasis für die Kontexte Indoor, Outdoor und Öffentlicher Verkehr (ÖV) geschaffen werden. Eine multimodale Routing-Anwendung errechnet auf Basis dieser Daten und unter Einsatz von individuellen Routing-Diensten für die genannten Kontexte eine Gesamtverbindung von Tür zu Tür. Das final vom Nutzer verwendete Reiseassistenzsystem bedient sich dieser Route inklusive aller Wegedetails, um mithilfe hochgenauer Ortungsverfahren realitätsnah Wegeanweisungen zu generieren, die den Nutzer sicher an sein Ziel führen (m4guide Projektkonsortium, 2012). Dieser Beitrag konzentriert sich ausschließlich auf die Outdoor-Lösungen im Bereich Routing und Navigation für Fußgänger im Raum Berlin. Die beiden folgenden Kapitel führen allgemein in das Thema blinden- und sehbehindertengerechte Reiseassistenz ein 3 Weitere Informationen unter http://www.m4guide.de SR108 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur und geben einen Überblick über die konkreten Anforderungen, die daraus entwickelten Ziele und die Ausgangssituation als Grundlage für die ab Kapitel vier vorgestellte Lösung. Im ersten Teil der Lösungsbeschreibung gehen wir auf die Konsumierung der unverschnittenen Originaldaten ein. Wir erläutern wie daraus ein einheitliches Modell für eine Routing- und Navigations-Anwendung generiert werden kann. Weiterführend wird anhand unseres Anwendungsbeispiels gezeigt, wie asynchrone Prozesse und intelligente Datenanfragen den Austausch und die Verarbeitung von offenen und großen Geodaten effizient und ressourcenschonend gestalten. Im zweiten Teil wird berichtet, wie eine große Menge an heterogenen kommunalen Daten genutzt werden kann, um ein höchst individuelles Routing für blinde und sehbehinderte Menschen sowie eine auf persönliche Bedürfnisse angepasste Fußgängernavigation bereitzustellen. Da sich das m4guide-Projekt derzeit noch in der Umsetzungsphase befindet, schließt die Arbeit mit einer Zwischenbilanz. Wir betrachten die Nutzung kommunaler Daten und evaluieren Hand in Hand die entsprechenden Lösungen der IVU. Unter Verwendung von Beispielen und Szenarien aus dem Projekt wird erläutert, wie viel Mehrwert eine aufwendige und komplexe Datenaufbereitung für eine Anwendung haben kann. 2 Blinden- und sehbehindertengerechte Reiseassistenz Für blinde und sehbehinderte Menschen ist es Tag für Tag eine besondere Herausforderung, sich in unbekannten öffentlichen Räumen zurechtzufinden. Dabei spielt insbesondere der Aspekt der Sicherheit eine große Rolle. Gängige Reiseauskunftssysteme und Routenplaner helfen hier bedingt bis gar nicht weiter, denn entgegen der Eindeutigkeit einer kürzesten Route, ist die sichere Route stark abhängig vom persönlichen Sicherheitsempfinden des Nutzers und daher höchst individuell. Allgemein wird Sicherheit als ein „Zustand des Sicherseins, Geschütztseins vor Gefahr oder Schaden; höchstmögliches Freisein von Gefährdungen“ (Duden, 2015) definiert. Das hat maßgebliche Auswirkungen auf die Konzeption und Umsetzung eines blinden- und sehbehindertengerechten Fußwege-Routings. Berechnete Routen sollen zwar weiterhin kurz und/oder zeitsparend sein, müssen aber auch sicherheits- und mobilitätsrelevante Anforderungen eines Nutzers berücksichtigen. Neben der Wegeplanung gehört auch eine Echtzeit-Anweisungseinheit zu einem Reiseassistenzsystem. Die Herausforderung besteht darin, Blinde und Sehbehinderte mit relevanten Informationen über den zu absolvierenden Weg inklusive aller Gefahrenstellen zu versorgen. Dies erfordert auf der Datenseite eine möglichst vollständige und realitätsnahe Abbildung der Umgebung des Reisenden. Technisch gesehen müssen Methoden zum Einsatz kommen, die entscheiden, welche der Informationen zu welchem Zeitpunkt relevant sind, und diese dann ohne Zuhilfenahme eines visuellen Mediums, wie der Karte, dem Nutzer vermitteln. Eines der grundlegenden Ziele in m4guide ist daher eine tragfähige und nachhaltige Datengrundlage als Basis für die Routing- und Navigationsanwendung bereitzustellen. Dies umfasst die Entwicklung eines Datenmodells und eine auf dieses Modell abgestimmte Datenerfassung. Der Erfassungsprozess hat den Anspruch, durch Wiederverwendung von 69 Henry Michels SR 108 Abbildung 5 – Blick auf die Kreuzung Rosa-Luxemburg-Straße/Memhardstraße; Image capture: Jul 2008, © 2015 Google Standards keine Insellösung zu sein. Die Verwendung der erfassten Daten in anderen Verwaltungsbereichen wie dem Tiefbauamt oder dem Straßenverkehrsamt Berlin ist eine Mindestanforderung an das Datenmodell. 3 Ohne Daten keine Dienste Um die speziellen Anforderungen an ein blinden- und sehbehindertengerechtes Routing sowie eine barrierefreie Navigation erfüllen zu können, musste eine tragfähige und nachhaltige Datengrundlage geschaffen werden. Ausgangspunkt war das zu diesem Zeitpunkt bestehende Detailnetz der Stadt Berlin. Dabei handelt es sich um ein routing-fähiges Knoten-Kanten-Modell, welches das gesamte Straßennetz von Berlin samt Fachinformationen zum Straßenraum widerspiegelt (Jaunich & m4guide, 2013). Für die in m4guide gesteckten Ziele sind die Daten jedoch unzureichend. Bürgersteige mit all ihren Eigenschaften, Querungen von Straßen oder Parkwege fehlen in den auf den motorisierten Individualverkehr (mIV) zugeschnitten Daten. Aufgrund der hohen Anforderungen an die Datengrundlage wurde im Rahmen von m4guide das bestehende Straßennetz um ein 70 vollständiges Fußwegenetz für Berlin Mitte erweitert. Anschließend wurden beide Detailnetze miteinander verknüpft (m4guide Projektkonsortium, 2012). Im ersten Schritt der Datenerfassung entwickelte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt4 (SenStadtUm) einen Objektabbildungskatalog. Die Objekte und Attribute orientieren sich sowohl an den bereits existierenden Daten als auch an den Auskunftsansprüchen blinder und sehbehinderter Menschen. In den Katalog wurden Verkehrsflächen (Fußgängerzone, Gehweg, Grünfläche etc.), Straßenmöblierung (Poller, Geländer, Haltestellenmast, Fahrradständer etc.), Sondernutzungen (Ladesäulen für Elektroautos, Säulen/Werbefläche, Telefonzellen etc.) sowie Verkehrszeichen und Ampeln aufgenommen. Auf Basis dieses Katalogs hat das Unternehmen eagle eye technologies5 (eet) mittels Stereobildbefahrung6 die Datener4 5 6 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/ http://ee-t.de/ Weitere Informationen zu diesem Aufnahmeverfahren sind unter http://www.eet.de/fileadmin/user_upload/Newsletter/2009/str eet_info_02-09.pdf zu finden. SR108 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur Abbildung 6 – Darstellung der Kreuzung Rosa-Luxemburg-Straße/Memhardstraße auf Basis der eet-Daten unter Zuhilfenahme des Geoinformationssystems IVU.locate fassung für den Bezirk Berlin Mitte durchgeführt. Erfasst wurde der gesamte Straßenraum entlang 400 km innerstädtischer Straßen inklusive aller Nebenanlagen. Abbildung 5 zeigt exemplarisch eine typische Situation des Straßenraums in Berlin Mitte. Die aus dem Verfahren resultierenden Daten setzen sich aus den im Objektkatalog definierten Elementen zusammen. Diese können, je nach Ausprägung in der Realität, die Gestalt von Punkten, Linien oder Flächen annehmen. Im Nachgang der Datenerfassung wurde ein Knoten-Kanten-Modell, welches das Fußwegenetz widerspiegelt, auf Basis aller erfassten Objekte und Verkehrsflächen erstellt (Paede & m4guide Projektkonsortium, 2014). Das Ergebnis ist mithilfe des Geoinformati- onssystems (GIS) IVU.locate7 in Abbildung 6 visualisiert. Es handelt sich hierbei um eine noch nicht vollständige, digitale Repräsentation des in Abbildung 5 vorgestellten Ausschnitts eines Straßenraums in Berlin Mitte. Die schwarze Markierung am unteren Bildrand kennzeichnet die Position des Betrachters. Die hellgrünen Flächen symbolisieren Gehwegflächen, meistens unterteilt in Gehbahn, Unterstreifen und Oberstreifen. Diese sind oft durch Ein- und Ausfahrten unterbrochen, welche in dieser Darstellung gelbgrün hervorgehoben sind. Die Fahrbahn ist grau markiert und wird von türkisenen Überque- 7 Weitere Informationen zu IVU.locate sind unter http://www.ivu.de/produkteloesungen/ivulocate.html erhältlich. 71 Henry Michels rungsstellen überlagert. Das Knoten-KantenModel, auf welchem die Routen berechnet werden, ist rot hinterlegt. Die Daten wurden mittels einer Erweiterung der bestehenden Systemlandschaft der Senatsverwaltung bereitgestellt. Zu dieser gehört unter anderem das Verkehrsinformationssystem Straße (VISS), welches Komponenten zur Datenpflege und zum Datenaustausch beinhalltet. Die neu erfassten Daten zum Straßenraum sowie das Detailnetz zu den Fußwegen wurden in diesem System hinterlegt und mit den schon bestehenden Daten und Modulen verknüpft. Über ein fachübergreifendes Informationssystem, den FIS-Broker8, können die Daten des VISS veröffentlicht werden. Neben der Publikation als Web-Browser-fähigen Kartendienst werden die Geodaten über OGC-konforme Dienste bereitgestellt und sind somit Teil der Geodateninfrastruktur Berlins. Die Bereitstellung der im Rahmen von m4guide erfassten Daten erfolgt via Web Feature Service (WFS) (Open Geospatial Consortium, 2014). Das gewährleistet zum einen die nahtlose Integration der neuen Datenangebote in die bestehende Datenlandschaft der Senatsverwaltung sowie den Zugriff über das Berliner Geoportal9. Zum anderen sichert die Senatsverwaltung damit in Zukunft den standardisierten Zugriff auf ihre räumlichen Daten durch Dritte. 8 9 72 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/geoinformation/fis-broker/ (9. April 2015) http://www.stadtentwicklung.berlin.de/geoinformation/ (9. April 2015) SR 108 4 Anwendungsorientierte Datenverarbeitung Bevor die im Kapitel 3 beschriebenen Daten aus dem m4guide-Projekt der RoutingAnwendung zur Verfügung stehen, müssen sie entsprechend der technischen Anforderungen des Dienstes sowie der fachlichen Anforderungen der Zielsetzung aufbereitet werden. Die Herausforderung bei der Nutzung offener Daten liegt in der Vielzahl unterschiedlicher Datenmodelle und -formate. Im Rohformat eignen sie sich nur bedingt für den Einsatz in Routing- und Navigations-Lösungen. Zunächst müssen die Daten syntaktisch in das vom Routing-Dienst vorgeschriebene Format konvertiert werden. Dieser Schritt ist aus zwei Gründen notwendig. Zum einen arbeitet der in m4guide eingesetzte RoutingDienst aus Gründen der Effizienz mit einem proprietärem Datenmodell. Zum anderen soll er Daten aus unterschiedlichen Quellen in verschiedenen Formaten verarbeiten können. Dies gelingt nur, wenn eine Möglichkeit zur eindeutigen Interpretation der Daten gegeben ist, sprich: ein harmonisiertes Datenmodell vorliegt. Um die Daten interpretierbar zu machen und sinnvolle, anwendungsspezifische Ergebnisse zu produzieren, ist darüber hinaus eine semantische Transformation notwendig. Nur gemeinsam ermöglichen diese Maßnahmen eine Migration vieler heterogener Informationen in ein homogenes, routingund navigationsfähiges Modell und ebnen somit den Weg für ein effizientes und stabiles blinden- und sehbehindertengerechtes Reiseassistenzsystem auf Basis der Daten der Senatsverwaltung. SR108 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur Abbildung 7 – Visualisierung des finalen Fußwegenetzes inklusive annotierten Straßenklassen und -typen; © OpenStreetMap-Mitwirkende (openstreetmap.org) Neben den technischen muss das zu entwickelnde Zieldatenmodell auch fachliche Anforderungen erfüllen. Dazu zählt insbesondere das in m4guide aufgestellte Ziel, das Routing im Sinne der Design4All Initiative10 zu konzipieren. Hierbei sind speziell blindenund sehbehindertenrelevante Parameter zu berücksichtigen. Um dem gerecht zu werden, wurde in Zusammenarbeit mit Blinden- und Sehbehindertenvereinen ein Sicherheitsprofil entwickelt, das aus sicherheitsrelevanten Routing-Attributen besteht. Gleichzeitig dürfen aber nicht die Interessen anderer Nutzer- gruppen wie z.B. mobilitätseingeschränkter Personen vergessen werden. Deren Anforderungen sowie Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt namo11 fließen daher ebenfalls in das Modell mit ein. Das Zielmodell, auf welchem die Routen berechnet werden, ist ein Knoten-Kanten-Modell, wobei die Kanten mehrere „Blöcke“ von Eigenschaften besitzen. Diese setzen sich aus Basiseigenschaften, nicht routing-relevanten Eigenschaften, Straßenklassen und Straßentypen zusammen. Folgend konzentrieren wir uns auf die Straßenklassen und Straßentypen. 10 11 http://en.wikipedia.org/wiki/Design_for_All_(in_ICT) (9. April 2015) Weitere Informationen zu namo unter http://www.nahtlosmobil.eu/ 73 Henry Michels Straßenklassen sind einzigartige, sich ausschließende Eigenschaften. Dementsprechend ist jede Kante durch genau eine Straßenklasse beschrieben. Kanten, die keine Straßenklasse besitzen, können vom Routing nicht berücksichtigt werden. Straßentypen hingegen sind Mehrfacheigenschaften, dabei kann eine Kante beliebig viele Straßentypen besitzen. Abbildung 7 greift abermals die in Kapitel 3 vorgestellte Straßenraumsituation auf und stellt beispielhaft das finale KnotenKanten-Modell dar. Alle aufgeführten Straßentypen sind über topologische und geometrische Operationen aus den Geoobjekten ermittelt worden, die den Straßenraum abbilden. Auf diese Art werden unter anderem den Querungen Ampeln zugeordnet, die Gehwegbreite ermittelt, angrenzende Radwege identifiziert und Hindernisse erkannt. Insgesamt besteht das Zielmodell aus acht Straßenklassen und 45 Straßentypen. In den Profilen sowie in jeder Routing-Anfrage können Straßenklassen und -typen unterschiedlich gewichtet werden, um letztlich spezifische Routenempfehlungen unter Berücksichtigung der objektiven Verkehrssicherheitsaspekte, der subjektiven Einschätzungen und der sozialen Sicherheit zu erhalten. Auf Basis dieser Routen und weiterer Einstellungsoptionen kann sich der Nutzer individuell nach seinen Wünschen navigieren lassen. Warnungen vor Hindernissen oder vor für den Nutzer gefährlichen Situationen erleichtern die Bewältigung eines Weges erheblich. Wie diese Informationen aus den Rohdaten extrahiert, zielgerecht verarbeitet und in einem auf dem Zielmodell basierenden Graphen abgebildet werden, ist nachfolgend beschrieben. SR 108 Der Aufbereitungsprozess (illustriert in Abbildung 8), um aus den Rohdaten einen Routing-Graphen zu generieren, erfolgt unabhängig von Routing-Anfragen sobald sich Änderungen im Ausgangsdatenbestand im Netzgraph widerspiegeln sollen. Quelldaten durchlaufen insgesamt drei Schritte bis zur Generierung des Binärgraphen, der die Grundlage für den Routing-Dienst bildet. In Schritt 1 wird eine Auswahl der Daten anhand ihrer Thematik vorgenommen. Für die Berücksichtigung der aktuellsten Ausgangsdaten wurde ein Client entwickelt, der die von der Senatsverwaltung vorgegebenen Schnittstellen (WFS) implementiert. Er ruft die Daten standardkonform ab, und schreibt sie anschließend unverändert in eine interne Datenbank, die Rohdatenbank. Sie kann in ihren Funktionen mit einem Produktionslager12, bekannt aus der Logistikbranche, verglichen werden und ermöglicht es, die extrem aufwendigen Prozesse der Datenaufbereitung möglichst effizient zu gestalten. Im weiteren Sinne dient sie auch dazu, das Datenaustauschvolumen zwischen den Systemen der Senatsverwaltung und der IVU zu reduzieren, da viele der Daten in mehreren Prozessen der Datenaufbereitung Verwendung finden und somit zu jederzeit verfügbar sein müssen. Schritt 2, die Datenaufbereitung, beinhaltet notwendige Korrekturen und das Extrahieren von Informationen mithilfe von geometrischen und topologischen Operationen. So müssen etwa Kanten entsprechend der darunter liegenden Flächen geteilt werden oder Hindernisse auf Gehwegen sich in der Breite des Gehweges widerspiegeln. Die Ergebnisse werden in die Zieldatenbank geschrieben, die ähnlich wie die Rohdatenbank 12 74 http://www.wikilogistics.ch/begriffe_az_1de.php?begriff_url=Produktionslager (9. April 2015) SR108 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur Abbildung 8 - Schritte und Zwischenergebnisse der Datenaufbereitung. Die drei Prozesse Datenaktualisierung, Datenaufbereitung und Graphaufbereitung sind voneinander gekapselt und können asynchron verwendet werden. (Icons designed bei icons8.com) 75 Henry Michels als Zwischen- und Produktionslager dient und den Ausganspunkt für die Graphaufbereitung in Schritt 3 bildet. 5 IVU.Navigation – Eine personalisierbare Routing- und Navigationslösung Ausgangsbasis für die Bereitstellung eines Routings, das die Anforderungen von Sehbehinderten und Blinden berücksichtigt, war die Software IVU.routing der IVU, die an die Anforderungen von m4guide angepasst wurde, insbesondere die Abbildung der unterschiedlichen Barrieregruppen, welche in differenzierten Routen resultieren (siehe Abbildung 9), sowie eine bessere Abbildung fußgängerspezifischer Anforderungen (z.B. Wartezeiten an Ampeln). Die Berechnung von individuell sicheren Routen stellt verschiedene Anforderungen an einen Routing-Dienst. Einige der Sicherheits- SR 108 faktoren beschreiben messbare Risiken wie das Queren von stark befahrenen Straßen oder physische Barrieren und sind dadurch im Routing abbildbar. Komplizierter gestaltet sich die Integration subjektiver Sicherheitsaspekte. Sie sind nicht messbar und müssen daher aus räumlichen Gegebenheiten abgeleitet werden. In mehreren Arbeitstreffen mit Vertretern des Deutschen sowie Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins bzw. verbands (DBSV und ABSV) wurden Straßenraumsituationen identifiziert und anhand des Gefährdungspotentials und ihrer Schwierigkeit bzw. unterstützenden Funktion bewertet. Wichtig sind z.B. taktile Begrenzungen, damit sichergestellt ist, dass eine blinde Person nicht vom Gehweg abweicht. Radwege neben Gehwegen sind wiederum als schwierig einzustufen, gerade wenn es keine taktile Begrenzung gibt. Kombinierte Wege (Radund Gehweg) sind als sehr schwierig einzustufen und sollten vermieden werden. Andere Merkmale wie etwa die Breite des Gehwegs variieren indes in Ihrer Bewertung unter den Abbildung 9 - Individuelle Routenermittlung für verschiedene Nutzergruppen mit IVU.routing 76 SR108 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur Abbildung 10 - Zwei unterschiedliche Routen mit demselben Start- und Zielpunkt. Die Ausgansdaten stammen von OpenStreetMap. Das Zielmodell entspricht exakt dem in m4guide eingesetzten Modell; © OpenStreetMap-Mitwirkende (openstreetmap.org) Blinden und Sehbehinderten. Ist eine Person mit einem Blindenhund unterwegs, sind schmale Gehwege nur schwer passierbar, einem Alleinreisenden mit Blindenstock bereitet dies weniger Schwierigkeiten. Um die Individualität in der Routenberechnung sicherzustellen aber gleichzeitig die Komplexität in der Endanwendung für den Nutzer gering zu halten, können die in der Datenaufbereitung ermittelten Wegeeigenschaften für den Nutzer folgende Ausprägungen annehmen: • deutlich/spürbar bevorzugen • bevorzugen • neutral • meiden • deutlich/spürbar meiden • ausschließen Der Wert „ausschließen“ ist ein „hartes“ Kriterium und führt zum Ausschluss bestimmter Wege oder Wegabschnitte. „Bevorzugen“, „meiden“ und deren Superlative werden als „weiche“ Kriterien bezeichnet. Sie bewirken, dass der Routing-Dienst nicht mehr die kürzeste/schnellste Route berechnet, sondern ganz individuelle, den Kriterien entsprechende Routen. Hinter diesen Ausprägungen verbergen sich numerische Gewichtungsfaktoren, die Einfluss auf das Kantengewicht nehmen. Abbildung 10 zeigt exemplarisch zwei von IVU.routing berechnete Routen auf Basis unterschiedlicher Gewichtungen der Gehwegeigenschaften. Die Herausforderung in der Integration weicher Kriterien liegt in der richtigen Balance, da eine individuell sichere Route nicht übermäßig länger sein darf als die kürzeste oder schnellste Route. Bekommt beispielsweise das Attribut „Angrenzender Radweg“ den Gewichtungsfaktor 2 zugeordnet, werden Wege mit dieser Eigenschaft umgangen, solange der Alternativweg maximal doppelt so lang ist Um eine sinnvolle Gewichtung mit weichen Kriterien zu erreichen, bedarf es daher eines erhöhten Aufwands in der fachlichen und technischen Entwicklung der Gewichtungsfunktion durch stetiges Kalibrieren. Die Ergebnisse können als Profile zusammengefasst und im RoutingDienst gespeichert werden. 77 Henry Michels Ist erst einmal eine Route berechnet, hat der Nutzer des m4guide Reiseassistenzsystems die Möglichkeit, sich entlang des ermittelten Weges navigieren zu lassen. Im Unterschied zu Standardnavigationsanwendungen für Sehende benötigen blinde und sehbehinderte Menschen sehr viel mehr Detailinformation während der Navigation. Für die Distribution der Mehrinformationen stehen jedoch weniger Übertragungskanäle zur Verfügung (Weckmann, 2008). Das Ziel ist also, die richtige Dosis an Informationen zu bestimmen, um den Nutzer weder alleine zu lassen noch zu überfordern. Dabei geht es längst nicht nur um aktuelle Navigationshinweise, sondern um eine sinnvolle Beschreibung der Umgebung und des noch zu gehenden Weges (Steyvers & Kooijman, 2008). Aus diesem Grund steht dem Nutzer schon vor Antritt seiner Reise eine ausführliche Vorschau zu seinem Weg zur Verfügung. Bei Auswahl der entsprechenden Funktion werden die Informationen für die einzelnen Abschnitte des Weges akustisch wiedergegeben. Hier werden sämtliche Informationen angeboten, die auch während der Zielführung zur Verfügung stehen. Dazu gehören Abbiegehinweise, Eigenschaften der Strecke, Gefahrenhinweise oder Warnungen vor Wegeabschnitten, die vom Routing eigentlich vermieden werden sollten. Generiert werden die Texte auf Basis der in der Route enthaltenen Informationen, die entsprechend auch während der Navigation verwendet werden, um den Nutzer bedarfsorientiert und rechtzeitig über seine Umgebung und seinen Weg zu informieren. Neben Standardfunktionen wie der räumlichen Abweichungserkennung inklusive Re-Routing oder der kontinuierlichen Berechnung der Ankunftszeit wurden in m4guide weitere Funktionen implementiert, die es blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen, die 78 SR 108 in einer Navigationsanwendung produzierten Informationen zu nutzen. Das System teilt ihnen beispielweise regelmäßig sprachlich, akustisch oder haptisch mit, in welche Richtung sie sich bewegen sollten, was gerade auf freien Flächen oder sehr breiten Bürgersteigen hilfreich ist. Über besondere Wegeeigenschaften bzw. das Wechseln von Wegeeigenschaften wird der Nutzer genauso informiert wie über bevorstehende physikalische Hindernisse oder schwierig zu bewältigende Wegpassagen. Und wenn dann doch einmal die Orientierung verloren geht, hilft die sogenannte „Wo bin ich“-Funktion diese wiederzuerlangen. Die Auskunft über Straßenname, Hausnummer, die nächsten Querstraßen sowie in der Nähe befindliche Points of Interest (POI) relativ zur Blickrichtung sollen ihnen helfen, sich jederzeit, auch außerhalb einer aktiven Navigation, barrierefrei zu orientieren. 6 Zwischenbilanz Die Datenaufbereitung befindet sich derzeit noch in der Entwicklung. So müssen beispielsweise Hindernisse identifiziert und den Kanten zugeordnet werden, damit der Nutzer während der Navigation den Hinweis erhält, dass in 10 Metern auf der rechten Seite, einen Meter entfernt vom Fußweg, ein Stromkasten steht. Abgeschlossen hingegen sind die Erweiterungen an der Routing Anwendung. Alle neuen Funktionalitäten wurden unter Nutzung von OSM Daten erfolgreich evaluiert. Das Zielmodell in diesen Tests entsprach exakt dem Modell, welches in m4guide eingesetzt wird. Ebenfalls noch in der Entwicklung befindet sich die Navigationslösung. Diese wird als reine Programmbibliothek ohne eigene Oberfläche für das m4guide-Projekt zur Verfügung gestellt, um SR108 Nutzung offener kommunaler Geodaten innerhalb einer Geodateninfrastruktur in das Gesamtsystem integriert werden zu können. Die Testphase für das Gesamtsystem beginnt im Mai und endet im Oktober dieses Jahres. Erste Tests zeigen jedoch jetzt schon, dass die Routenberechnung eine ungeahnte Flexibilität bietet und für jeden Nutzer individuelle Wege, ganz nach den persönlichen Belangen und Erfahrungen, vorgeschlagen werden. Mit derzeit acht Straßenklassen und 45 Straßentypen ist eine Detailtiefe entstanden, die im Sinne des Design4All unterschiedlichsten Nutzergruppen perfekt auf die Bedürfnisse zugeschnittene Routenlösungen bietet, jedoch noch längst nicht erschöpft ist. Die Fülle und Vielseitigkeit der erfassten Daten bietet Raum für das Extrahieren weiterer Informationen, die im Kontext des blinden- und sehbehindertengerechten Routings nicht in Erwägung gezogen wurden. So lassen sich z.B. touristisch attraktive Routen, die mit dem Fahrrad oder Segway zurückgelegt werden sollen, mit diesen Daten ermitteln. Die dafür benötigten Straßenklassen und Straßentypen können in diesem Szenario ohne Anpassungen am Routing-Dienst berücksichtigt werden. Dass die Daten nicht nur die Routing-Anwendung bereichern, beweisen erste interne Tests der Navigation. Die Vorschaufunktion bietet in ihrer Wegbeschreibung mehr Details, als man in einer Karte darstellen könnte, ohne sie zu überladen. Aber auch die tatsächliche Navigation reagiert sowohl auf schwer passierbare Wegpassagen als auch auf Hindernisse, die im Prozess der Datenaufbereitung als solche identifiziert werden. Wie nützlich die ermittelten Routen und die Navigation tatsächlich sind, wird sich endgültig erst in der Testphase des Projektes zeigen. Dabei sind wir insbesondere gespannt, ob die errechneten Routen dem persönlichen Sicherheitsempfinden der Nutzer wirklich entsprechen und die Navigationsanweisungen für die Blinden und Sehbehinderten einen Mehrwert bei der Bewältigung ihres Fußweges generieren und damit dazu beitragen, dass sich das allgemeine Sicherheitsempfinden während der Reise erhöht. Mit Bestimmtheit lässt sich jetzt schon sagen, dass die Nachhaltigkeit der Projektergebnisse gegeben ist. Dies gilt für die Daten, das Routing und die Navigation. Die beiden zuletzt genannten werden Bestandteil der existierenden FahrInfo-Informationssysteme13 des Verkehrsverbundes Berlin – Brandenburg14 (VBB) und der Berliner Verkehrsbetriebe15 (BVG), die es sowohl als browserbasierte Weblösung als auch als mobile Lösung für das Smartphone gibt. Die Daten wurden in die bestehende Systemlandschaft der Senatsverwaltung integriert und werden dort auch nach Projektende gepflegt und aktualisiert. Des Weiteren führt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt eine berlinweite vermessungstechnische Straßenbefahrung durch. "Ziel der Vermessung ist, einen einheitlichen und aktuellen Datenbestand des Berliner Straßenlandes aufzubauen... Des Weiteren wird auf Grundlage der erfassten Daten das routingfähige Fußgängernetz (Knoten-Kanten-Modell) berlinweit erweitert.“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, 2014). Die neu erfassten Daten können anschließend nahtlos übernommen und für das Routing aufbereitet werden. Allerdings beschränkt sich aufgrund zu hoher Komplexität und derzeit noch fehlender Anfrage-Optionen das halbautomati13 14 15 http://fahrinfo.bvg.de/Fahrinfo/ und http://fahrinfo.vbb.de/bin (9. April 2015) http://www.vbb.de/de/index.html http://www.bvg.de/de/ 79 Henry Michels sche Aktualisieren der Daten auf einen einfachen Ersetzungs-Prozess. Die Daten werden in diesem Fall komplett aus der Rohdatenbank gelöscht und durch einen vollständig neuen Datensatz ersetzt. Mithilfe intelligent gesteuerter Anfragen, die einen Zeitstempel enthalten, soll in Zukunft aber auch diese Hürde überwunden werden. 7 Anerkennung Diese Arbeit wurde durch das BMWi Forschungsprojekt m4guide gefördert. 8 Literaturverzeichnis Doyle, A., & Reed, C. (2001). Introduction to OGC Web Services. White Paper, Open Geospatial Consortium. Duden. (2015). (B. I. GmbH, Hrsg.) Jaunich, P., & m. P. (2013). m4guide – IstStand der Technik. Projektbericht. m4guide Projektkonsortium. (2012). m4guide - mobile multi-modal mobility guide. Vorhabensbeschreibung. Open Geospatial Consortium. (2014). OGC® Web Feature Service 2.0 Interface Standard – With Corrigendum. OpenGIS® 09-025r2. Paede, J., & m4guide Projektkonsortium. (Juli 2014). m4guide-mobile multi-modal mobility guide. Smartphone – Navigation für Blinde 80 SR 108 und Sehbehinderte Menschen. (M. d., & S. f., Hrsg.) Geoinformationen verbinden, S. 69-72. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. (08. 09 2014). Berlinweite vermessungstechnische Straßenbefahrung startet im September. Abgerufen am 09. 04 2015 von http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/ pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1409/n achricht5349.html Steyvers, F., & Kooijman, A. (2008). sing Route and Survey Information to Generate Cognitive Maps: Differences Between Normally Sighted and Visually Impaired Individuals. (W. InterScience, Hrsg.) Applied Cognititive Psychology. Weckmann, S. (2008). Maps and Geographic Information for Visually Impaired People. Helsinki University of Technology, Laboratory of Geoinformation and Positioning Technology, Department of Surveying, Faculty of Engineering and Architecture. Dipl.-Geoinf. Henry Michels, IVU Traffic Technologies AG, Berlin; [email protected] basemap.at und weitere herausragende Entwicklungen im österreichischen Open GeoData-Umfeld Wolfgang Jörg Einleitung Mit der Veröffentlichung des Open Government Data Portals der Stadt Wien (data.wien.gv.at) im Mai 2011 startete die praktische Umsetzung von Open Government Data (OGD) in Österreich, weitere Landeshauptstädte, wie beispielsweise Linz und Graz folgten kurz darauf und auch das bundesweite OGD-Portal (data.gv.at) wurde zeitnah online gestellt. Im Juli 2011 wurde die Cooperation OGD Österreich gegründet, welche sich den koordinierten Ausbau von Open Government Data in Österreich zum Ziel setzte. Die Cooperation OGD Österreich ist der Zusammenschluss der Stakeholder von OGD in Österreich, stark getragen von der Mitarbeit der Länder und Städte, sowie unter Einbeziehung u.a. des Open Knowledge Forums Österreich, des AGEO und Universitäten. Bis zum Jahr 2015 hat die Stadt Wien ca. 250 OGD Datensätze publiziert, davon ca. 200 Geodatensätze, die vorrangig über OGC konforme Webservices (WMS, WFS, WMTS) angesprochen werden können. Aber nicht nur Wien, sondern auch die übrigen Landeshauptstädte und vor allem die weiteren Länder haben mittlerweile – teilweise auch über Websevices – einen beachtlichen Anteil ihrer Geodaten unter OGD gestellt. Einen Überblick und zugleich zentralen Einstiegspunkt liefert das bundesweite OGD Portal data.gv.at. OGD Portale Seit Mai 2011 publiziert die Stadt Wien kontinuierlich jedes Quartal neue OGD-Datensätze und -services. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang folgende beiden Aspekte: der Anteil an publizierten Geodaten ist überdurchschnittlich hoch und die Bereitstellung dieser Geodaten erfolgt zum überwiegenden Teil auf Basis von Webservices und nicht fix vorgenerierten (predefined) Datensätzen. Die Gründe darin liegen in einer schon lange vor OGD bei der Stadt Wien implementierten Geodaten- bzw. GeoserviceInfrastruktur und darauf aufbauenden Erfahrungen, auch im Umgang mit Zugriffszahlen und externen Anforderungen. Vorreiterrolle Stadt Wien Abgesehen von speziellen Geodatensätzen (siehe weiter unten) sieht die OGD Geodateninfrastruktur der Stadt Wien einen Direktzugriff auf die originär intern gespeicherten Daten vor, technisch gelöst mit DatenbankViews, die für Web Map Services (WMS) und Web Feature Services (WFS) freigegeben sind. Dadurch wird eine redundante Datenhaltung vermieden und andererseits der Direktzugriff auf die bei der Stadt Wien vorlie- 81 Wolfgang Jörg genden, aktuellen Geodaten ermöglicht. Für den hoch performanten Zugriff auf Grundkarten ist zusätzlich ein Web Map Tile Service (WMTS) für ausgewählte Datensätze implementiert. Beispiele für WMS und WFS Bereitstellung sind sämtliche statistischen Gebietseinheiten von Wien, Realnutzungskartierung, Franziszeische Kataster, Straßennetz, Wahlsprengeleinteilungen, Infrastrukturobjekte wie Schulen, Universitäten, Kindergärten, u.s.w. OGD Meilenstein der Stadt Wien Im März 2015 wurden nun sogar die topografischen Geobasisdaten der Wiener Stadtvermessung, in Form von predefined datasets, 82 SR 108 publiziert, welche bisher einer Gebührenverordnung unterzogen waren. Dies darf durchaus als Meilenstein gewertet werden, zumal die Freigabe dieser Vermessungsdaten in dieser Genauigkeitsstufe erstmalig und einmalig in Österreich ist. 10 Meter Höhenmodelle online Ein Blick in das OGD Portal lohnt sich. Beispielsweise haben die Länder ihre Höhenmodelle mit einer Auflösung von 10 Metern unter OGD publiziert und ermöglichen damit die Erstellung von Oberflächenmodellierungen am freien Markt von bisher nie da gewesener Qualität. SR108 basemap.at und weitere herausragende Entwicklungen im österreichischen Open GeoData-Umfeld die Basis für die Verkehrsauskunft Österreich (verkehrsauskunft.at) ist. basemap.at Die Länder haben sich auch dazu bekannt, all jene Geodaten, die unter die INSPIREVerpflichtung fallen, im Rahmen von OGD zu publizieren und damit nicht nur den Darstellungsdienst, sondern auch den Downloaddienst frei zugänglich zu machen. Weitere spannende Publikationen werden (noch im Jahr 2015) folgen, wie beispielsweise die Freigabe der Graphenintegrationsplattform (GIP), welche das multimodale Verkehrsnetz von Österreich darstellt und u.a. Das derzeit prominenteste Open GEO Government Data Beispiel von Österreich ist zweifelsfrei basemap.at. Hierbei wurde innerhalb einer Projektlaufzeit von 3 Jahren auf Basis der Geodaten österreichischer Verwaltungen die erste österreichische Verwaltungsgrundkarte von Österreich geschaffen. basemap.at ist eine Grundkarte, die im Abstand von zwei Monaten auf Basis der aktuell vorliegenden Geodaten vollautomatisch vollständig aktualisiert wird und bis zu einem Maßstab von ca. 1:1000 vergrößert werden kann. Publiziert wird basemap.at als Web Map Tile Service (WMTS), betriebsgeführt in der Hochverfügbarkeitsumgebung des Rechenzentrums der Stadt Wien, ausgelegt auf mehrere Millionen Zugriffe pro Tag. basemap.at ist mittlerweile 83 Wolfgang Jörg in mehreren Produktausprägungen verfügbar. Neben dem Standard-Produkt existiert eine hochauflösende Version (HIDPI), ideal für Displays von Smartphones und Tablets, eine stark farbreduzierte Version (GRAU), sowie eine transparente Version mit Straßenaufdruck und Beschriftung (OVERLAY), welche für eine gemeinsame Darstellung mit dem basemap.at Orthofoto, welches nun als fünftes basemap.at Produkt seit März 2015 online ist, optimiert ist. basemap.at ist schon derzeit die Kartengrundlage namhafter Portale, sowohl im Behördenumfeld als auch außerhalb der Verwaltung, wie beispielsweise verkehrsaukunft.at, Pendlerrechner, Firmen A-Z. Nutzungsbedingungen von OGD in Österreich Für Open Government Data in Österreich gibt es EINE Lizenz, derzeit CC-BY 3.0 AT, in naher Zukunft CC-BY 4.0. Die Festlegung auf diese eine Lizenz, die jegliche Art der Nutzung zulässt, ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren von OGD Österreich, nicht nur, weil es damit seitens der Datenbereitsteller klare und einfache Spielregeln gibt, sondern auch für die AnwenderInnen von OGD, denen die Lizenz ermöglicht, jeden OGD-Datensatz von Österreich miteinander kombinieren zu können, ohne sich über allfällige LizenzInkompatibilitäten Gedanken machen zu müssen. INSPIRE versus OGD Der derzeit größte Unterschied zwischen OGD und INSPIRE liegt in der zwingenden Harmonisierung der Datenmodelle bei INSPIRE. Lizenztechnisch lässt INSPIRE unterschiedliche Lizenzen bei Downloaddiensten zu, obgleich sich die österreichischen 84 SR 108 Länder (gilt daher nicht für alle österreichischen Verwaltungen) dazu bekannt haben, deren INSPIRE Datensätze auch unter OGD zu publizieren und damit für jegliche Art der Nutzung zu öffnen. PSI Umsetzung Auch die praktische Umsetzung der novellierten Public Sector Information (PSI) Richtlinie ist - zumindest bei der Stadt Wien - angedacht, mit OGD durchzuführen. Letztendlich stellt sich die Frage, wie viele unterschiedliche Zugangsportale (INSPIRE, OGD, PSI, IFG, UIG, etc.) möchte bzw. kann sich die Verwaltung leisten und was davon nutzt letztendlich den Kundinnen und Kunden? OGD Nutzung Die Stadt Wien hat das beste Verhältnis zwischen Anzahl veröffentlichter Datensätze (ca. 250) zu Anzahl damit erstellter Anwendungen (ca. 160). Das liegt zum einen daran, dass die Stadt Wien von Anbeginn an die Anwenderinnen und Anwender von OGD stark einbezogen hat, zum anderen sicherlich auch daran, dass Wien mit einem potenziellen Nutzerkreis von 2 Mio. Menschen eine kritische Masse erreicht, welche die Erstellung derartiger Anwendungen sinnvoll erscheinen lässt. Andererseits ist aus zahlreichen Feedbacks bekannt, dass gerade die OGD Geodaten nicht nur im klassischen App-Umfeld, sondern auch intensiv von GIS-ExpertInnen bzw. -AnwenderInnen in Kombination mit Geoinformationssystemen genutzt werden. Speziell im Forschungs- und Universitätsumfeld spielen die OGD Geodaten österreichischer Verwaltungen mittlerweile eine zentrale Rolle und sind fixer Bestandteil von Vorlesungen und Praktika. Aber auch kommerzielle Pro- SR108 basemap.at und weitere herausragende Entwicklungen im österreichischen Open GeoData-Umfeld dukte, beispielsweise aus dem Immobiliensektor oder GIS-Lösungen kommerzieller GIS-Lösungsanbieter haben bereits OGD Geodaten bzw. -services in ihre kostenpflichtigen Produkte erfolgreich integriert. Status quo In den letzten drei Jahren ist ein beachtlicher Anteil an Geodaten und -services von österreichischen Verwaltungen im Rahmen von OGD publiziert worden. Es gibt hierbei aber durchaus starke Schwankungen, die in den nächsten Jahren definitiv ausgeglichen werden, so die Einschätzung des Autors. Die Stadt Wien führt die Liste der publizierten Geodaten an. Dass dieses Angebot angenommen wird, zeigen die Zugriffszahlen: ca. bis zu 30.000 WMS und WFS Zugriffe pro Tag auf die originären Geodaten und ca. bis zu 10. Mio. Zugriffe auf beispielsweise die vorgenierten basemap.at Kartenkacheln. Weitere Geodaten, speziell auch von anderen österreichischen Verwaltungen werden als predefined datasets angeboten und unterliegen somit, so wie die WMTS Kacheln lediglich der Einschränkung der angebotenen Netzbandbreite. Herausforderungen Dem Wiener Beispiel folgend gibt es zahlreiches Feedback, dass auch andere Verwaltungen verstärkt ihre Geodaten über Webservice Infrastrukturen anbieten, sei es derzeit mittels WMS und WFS, sofern nur maximal einige hunderttausend Zugriffe pro Tag erfolgen, sei es als WMTS bei Millionen täglicher Zugriffe. Derzeit nicht gelöst bzw. in Österreich implementiert sind Services, die einen dynamischen Massenzugriff auf Vektorbestände im Giga- bzw. Terrabyte-Bereich ermöglichen. Hierfür ist die Bereitstellung von predefined datasets derzeit noch immer die vorherrschende Methode. Ebenso wenig sind Services implementiert, die ein inkrementelles Update erlauben, in der Form, dass das Service weiß, welche Daten seit dem letzten Download beim Endkunden am Server geändert wurden und nur diese Änderungsdatensätze zum Kunden überträgt. Letztendlich sind hierbei aber die Service-Standardisierungsstellen gefordert, da die Verwaltungen selbst keine neuen Standards erfinden, sondern bestenfalls deren Entwicklung vorantreiben können. Ein gutes Beispiel dazu ist die Stadt Wien die als erste Stelle in Österreich die WMTS Spezifikation des Open Geospatial Consortiums (OGC) implementiert und im Rahmen von OGD mit der Stadtkarte und dem Orthofoto von Wien publiziert hat. Bei der Umsetzung von basemap.at hat die Stadt Wien die HiDPI Version des basemap.at Kachelcaches „erfunden“, wofür es derzeit aber noch keine Unterstützung gibt und daher individuell bzw. proprietär in Zielsystemen implementiert werden muss. Paradigmenwechsel Seit die Verwaltungen Geodaten produzieren und diese Geodaten über Schnittstellen, zumindest mit Geoinformationssystemen verarbeitet werden können, das ist seit ca. 25 Jahren der Fall, wurden und werden Geodaten der Verwaltungen weitergegeben, teilw. kostenpflichtig, teilw. kostenlos. Auch die Stadt Wien blickt auf eine einschlägige Erfahrung im Umgang mit Geodatenweitergaben bzw. verkäufen der letzten 25 Jahre zurück. Um es auf den Punkt zu bringen: den unzähligen Nachteilen für Kunden beim Erwerb von kostenpflichtigen Geodaten steht den Verwaltungen der einzige Vorteil gegenüber, dass mit den erzielten Einnahmen im Regelfall 1 bis 10% der Geodatenwartungskosten finanziell 85 Wolfgang Jörg abgegolten werden können. Dies aber für einen hohen „Preis“, nämlich 99% der potenziellen Kundschaft nur aufgrund des Preises bzw. restriktiver Lizenzen von vorn herein auszuschließen. Die Verwaltungen sind daher gut beraten, ihre Geodaten kostenlos im Rahmen von OGD bereitzustellen und zugleich die Finanzierung dieser 1 – 10% der Kosten verwaltungsintern oder im Rahmen von verwaltungsübergreifenden Kooperationen finanziell abzusichern. Faktum ist, dass sich die Verwaltungen von dem Gedanken verabschieden müssen, dass sie selbst darüber bestimmen, wer diese Daten für welche Zwecke nutzen darf und dass diese Geodaten „Eigentum“ der Verwaltung sind. Wofür welche Geodaten geeignet oder nicht geeignet sind (z.B. weil diese in einem Erfassungsmaßstab von 1:50.000 digitalisiert wurden, oder andererseits parzellenscharf erhoben wurden), muss aus den mit den Geodaten publizierten Metadaten hervorgehen. Was AnwenderInnen aber letztendlich mit den Geodaten öffentlicher Verwaltungen 86 SR 108 machen, liegt in deren Verantwortung. Dies ist auch ein Grundprinzip, deren Einhaltung Voraussetzung für Innovation und Schaffung konkurrenzfähiger, neuer Produkt ist. Hingegen kann sich die Verwaltung andererseits auf die Pflege und Distribution der Geodaten konzentrieren und mit der Freigabe neuer Geodaten Impulse und Anreize für potenzielle Zukunftsmärkte schaffen. Quellen basemap.at data.gv.at https://www.data.gv.at/2015/01/07/viennagisverschenkt-seine-geodaten-koennen-wir-unsdas-leisten/ data.wien.gv.at Mag. Wolfgang Jörg, Magistrat der Stadt Wien, ViennaGIS; [email protected] Alcatel-Lucent Stiftung Die Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikationsforschung ist eine gemeinnützige Förderstiftung für Wissenschaft insbesondere auf allen Themengebieten einer „Informationsgesellschaft“, neben allen Aspekten der neuen breitbandigen Medien speziell der Mensch-Technik-Interaktion, des E-Government, dem Medien- und Informationsrecht, dem Datenschutz, der Datensicherheit, der Sicherheitskommunikation sowie der Mobilitätskommunikation. Alle mitwirkenden Disziplinen sind angesprochen, von Naturwissenschaft und Technik über die Ökonomie bis hin zur Technikphilosophie. Die Stiftung vergibt jährlich den interdisziplinären „Forschungspreis Technische Kommunikation“, Dissertationsauszeichnungen für WirtschaftswissenschaftlerInnen sowie Sonderauszeichnungen für herausragende wissenschaftliche Leistungen. Die 1979 eingerichtete gemeinnützige Stiftung unterstützt mit Veranstaltungen, Publikationen und Expertisen ein eng mit der Praxis verbundenes pluridisziplinäres wissenschaftliches Netzwerk, in dem wichtige Fragestellungen der Informations- und Wissensgesellschaft frühzeitig aufgenommen und behandelt werden. www.stiftungaktuell.de Kontakt Alcatel-Lucent Stiftung Lorenzstraße 10, 70435 Stuttgart Telefon 0711-821-45002 Telefax 0711-821-42253 E-Mail [email protected] URL: http://www.stiftungaktuell.de
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