Bewegungstherapie in der Rehabilitation von Herzpatienten Herzlich willkommen! 24.03.2015 Wolfgang Klingebiel [email protected] Wolfgang Klingebiel Physiotherapeut/Manualtherapeut Hochschuldozent/wissenschaftlicher Mitarbeiter | Hochschule Fresenius Hamburg Studiengang Physiotherapie (Bachelor of science) Buchtipps Geplante Inhalte Praxisanregungen • Beispiel für eine Trainingsstunde in einer Herzgruppe Theoretische Grundlagen • • Rehabilition von Herzpatienten Bewegungstherapie mit Herzpatienten Koronare Herzerkrankung Angina Pectoris Herzinfarkt Multifaktoriell bedingte Verengung der Herzkranzgefäße Sauerstoffmangel bei Belastung/in Ruhe = Ischämie Reversible/kurzfristige Ischämie = Angina pectoris Ischämie mit Herzmuskelnekrose = Herzinfarkt (HI bzw. MI) Im EKG Differenzierung danach, ob eine ST-Streckenhebung vorliegt (STEMI) oder nicht (non-STEMI) Neue Bezeichnung für instabile AP, STEMI und non-STEMI: „akutes Koronarsyndrom“ (ACS) Risikofaktoren für das Entstehen einer koronaren Herzerkrankung Fettstoffwechselstörung Ernährungsgewohnheiten Stress Rauchen Bluthochdruck Bewegungsmangel Übergewicht Veranlagung Psychosoziale Faktoren Diabetes Rehabilitation von Herzpatienten: Wie alles begann ... 1772 HEBERDEN beschreibt AP-Beschwerden in der heute gültigen Form. Bedeutung von Schonung und Aktivität. „Sobald der Kranke stillestehe, vergehe die Beklemmung des Herzens augenblicklich, und es gelte, sämtliche Mehrarbeit vom Herzen fernzuhalten.“ Beschreibt auch einen Patienten „who set himself the task of sawing wood for half an hour everday and was nearly cured (after 6 months)“ 1887 HUFELAND: „Täglich mind. 1 Std. Bewegung im Freien“ (für ein langes Leben) STOKES: „Muskelbewegung und Bergsteigen“ (bei Schwäche des Herzens) OERTEL: „Terrain-Kur“ Untersuchung der Wirkung des Bergsteigens Wie alles begann ... 1. Weltkrieg Das „große Vergessen“ um 1960 Positive Erfahrungen mit Frühmobilisation nach Herzinfarkt sowie sportmedizinische Studiem (u.a. bringt GOTTHEIMER in Israel Infarktpatienten zum Langlauf) ab 1970 „Rehabilitation“ nach methodischen Konzepten in speziellen Kliniken: zunächst stationär, ab ca. 1990 auch ambulant. Indikationen für eine Rehabilitation (Rekonvaleszenz und chronisches Stadium) • Z.n. akutem Koronarsyndrom (ACS) mit/ohne PCI (Katheter) (STEMI, NSTEMI, instab. AP) • Z.n. Revaskularisierung (Bypass-OP) • stabile KHK • Z.n. dekompensierter Herzinsuffizienz • Z.n. Herzklappen-OP • Z.n. Herztransplantation (HTX) • Z.n. entzündlichen Herzerkrankungen (Myokarditis, Endokarditis) • Erkrankungen/OP der Aorta • Implantation eines Herzschrittmachers • Metabolisches Syndrom Die „Therapiestraße der „Herzinfarktversorgung I Krankenhaus Notfall oder geplante OP: Akutklinik (2-3 Tage … 2 Wochen) Veränderung der behandelten Erkrankungen in den Krankenhäusern 1900 85% akute Erkrankungen 1980 90% chronische Erkrankungen Machen alle Herzpatienten eine Reha ? • Nur 1 von 3 nach Herzinfarkt/Bypass-OP • Von diesen geht nur jeder 10. Patient in eine ambulante Herzgruppe Die „Therapiestraße der „Herzinfarktversorgung I Krankenhaus Notfall oder geplante OP: Akutklinik (2-3 Tage … 2 Wochen) Rehaklinik II Stationär oder ambulant:, 3-5 Wochen Evtl. Nachsorgekonzepte 2-12 Monate Beispielhafter Therapieplan eines Patienten in einer Rehabilitationsklinik - Vormittag - Beispielhafter Therapieplan eines Patienten in einer Rehabilitationsklinik - Nachmittag - Einteilung von ambulanten Herzgruppen in Übungsgruppe/Trainingsgruppe Der Patient schafft im Belastungs-EKG maximal (z.B. am Ende der Reha/beim Facharzt) weniger als 1 W pro kg Körpergewicht Auswurffraktion < 40% mehr als 1 W pro kg Körpergewicht Auswurffraktion > 40% HerzinsuffizienzTrainingsgruppe Übungsgruppe Trainingsgruppe Typische Trainingsempfehlung für einen Herzpatienten am Ende einer Rehabilitationsmaßnahme Patientenname: Hr. XXX Ihre Leistungsentwicklung im Ausdauerbereich: Bei Reha-Beginn: Bei Reha-Ende: 35 Watt über 19 Minuten 75 Watt über 21 Minuten Unsere Empfehlung für Ihre persönliche Herzfrequenz beim Ausdauertraining: • • • • für das Fahrradfahren/Schwimmen für das schnelle Gehen/Walking für das Joggen/Crosstrainer/Nordic Walking Herzgruppenempfehlung: 122/min 127/min 132/min Trainingsgruppe Die „Therapiestraße der „Herzinfarktversorgung Krankenhaus I Notfall oder geplante OP: Akutklinik (2-3 Tage … 2 Wochen) II III Nach Hause Rehaklinik Kontrolle durch HA/Facharzt Stationär oder ambulant:, 3-5 Wochen Evtl. stufenweise Wiedereingliederung Evtl. Nachsorgekonzepte 2-12 Monate Anderer Vereinsoder Gruppensport Ambulante Herzgruppe „eigenständiges“ Sporttreiben Nur Alltagsbelastungen No sports Phasenweises Sporttreiben Inseln der Erkenntnis … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir besonders … wichtig, weil … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir ein Krafttraining besonders wichtig, weil … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir ein Ausdauertraining besonders wichtig, weil … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir ein Koordinationstraining besonders wichtig, weil … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir ein Verbessern der Körperwahrnehmung besonders wichtig, weil … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir ein Bewegungsangebot in spielerischer Form besonders wichtig, weil … Bei der Bewegungstherapie mit Herzpatienten erscheint mir ein Beweglichkeitstraining besonders wichtig, weil … Ziele für die Bewegungstherapie in der Rehabilitation von Herzerkrankungen „Was will ich erreichen ?“ • Verbessern der Körperwahrnehmung • Trainieren des Belastungsempfindens und der Belastungsdosierung • (Wieder-) Entdecken, dass Bewegung Spaß machen kann • Training des Atemverhaltens • Verbessern der lokalen Kraftausdauer („peripheres Training“) • Verbessern der allgemeinen aeroben Ausdauer • Verbessern der Koordinationsfähigkeit • Kompetenz für die Ausübung von Sportarten erlangen Maßnahmen der Bewegungstherapie bei Herzerkrankungen „Was mache ich ?“ • „Gymnastik“ / Atemgymnastik • Ergometertraining • Walking / Nordic-Walking / Lauftraining • Bewegungsbad / Schwimmtraining • Medizinische Trainingstherapie • bei Bedarf: Einzel - Physiotherapie • Gesundheitstraining: Seminare & Beratungen Die Praxis der Bewegungstherapie in einer Rehaklinik „Szenen aus dem Alltag“ Einführung in das Nordic Walking (Terraintraining) Gruppengymnastik (spielerisches Koordinationstraining) Ausdauertraining (Ergometertraining) Ausdauertraining (Armkurbel-Ergometertraining) Gruppengymnastik (lokale Kraftausdauer, Koordination) Medizinische Trainingstherapie / Kraftausdauertraining Atemgymnastik Bewegungsbad Bewegungs-/Sporttherapie bei Herzerkrankungen Schnelligkeit 5 motorische Kraft Beweglichkeit Kondition Hauptbeanspruchungsformen Ausdauer Koordination Was macht allgemeines Ausdauertraining zu einem unschlagbar wertvollen „Medikament“ (nicht nur) für Herzpatienten? Pheidippides bricht tot zusammen, nachdem er die Nachricht über den Sieg von Marathon überbracht hat. Wirkungen des allgemeinen Ausdauertrainings Photo: Manuel Bauer Wirkungen körperlichen Ausdauertrainings am Herz Herzdurchblutung : Bildung von Kollateralen (?) Einsprießen neuer Gefäße Verlangsamung des kardialen Alterns: Elastizität linker Ventrikel : Herz arbeitet auch im Alter mit normalen Füllungsdrucken Erhalt der Herzfrequenzvariabilität (HRV) Verringern der Herzfrequenz in Ruhe Ausdauer | Wirkungen Herzschläge in Ruhe untrainiert trainiert pro Minute 70 60 pro Stunde 4200 3600 100800 86400 pro Tag Ersparnis = 14400 Herzschläge täglich (selbst nach Abzug der Herzfrequenzsteigerung durch ein einstündiges Ausdauertraining resultiert immer noch eine Ersparnis von ca. 8000 Schlägen für den Trainingstag) z.B. 70/mi Hauptzeit fürndie HerzSelbstdurchblutung z.B. 60/mi Hauptzeit fürndie HerzSelbstdurchblutung Wie trainiere ich die allgemeine Ausdauer ? Einsatz großer Muskelgruppen (1 Bein, 2 Arme …) Dynamische, sich wiederholende Bewegungsabläufe Mindestdauer (meist > 10 Minuten) Intensität so, dass das Herz-Kreislauf-System „anspringt“: die Herzfrequenz muss merklich steigen Physiologisches Herzfrequenzverhalten (95 Watt Konstantlast) Treffen sich 2 Herzpatienten … 2 Herzpatienten laufen 10 Minuten lang gemeinsam mit einer Geschwindigkeit von 9 km/h. • Für den gut ausdauertrainierten Teilnehmer bedeutet dies eine geringe Anstrengung • Der wenig leistungsfähige Teilnehmer ist bei diesem Tempo evtl. bereits „am Limit“ (anaerober Bereich…) Die Vorgabe derselben „äußeren“ Belastung (= Laufen mit 9 km/h) bedeutet für jeden eine individuell unterschiedliche Beanspruchung. Wir benötigen ein Instrument, das uns die „innere“ Beanspruchung anzeigt. Wie kann ein Teilnehmer die Intensität beim Ausdauertraining steuern? Das Herz funkt auf allen Frequenzen… Ruheherzfrequenz Maximale Herzfrequenz Belastungsherzfrequenz Trainingsherzfrequenz Physiologisches Herzfrequenzverhalten (pulsgesteuert, Trainingsherzfrequenz = 92min-1) Die Herzfrequenz Die KARVONEN-Formel zur Berechnung der Trainingsherzfrequenz THF = F x ( 220* - Alter - Ruhepuls ) + Ruhepuls Max. Herzfrequenz Herzfrequenzreserve * 220 bei Männern 226 bei Frauen 0,55 … 0,65 Reha-/Fettstoffwechselbereich 0,65 … 0,75 Grundlagenausdauerbereich Gesunde 0,75 … 0,85 Fitnessbereich > 0,85 Leistungsbereich Die Berechnung meiner optimale Herzfrequenz für ein effektives allgemeines Ausdauertraining mit der Zielsetzung „Grundlagenausdauer“ beträgt: /min) /min /min (mein Ruhepuls: Modul 3.1: Trainingswissenschaften/Leistungsdiagnostik 2011/2012 Wolfgang Klingebiel Patient mit absoluter Arrhythmie Ergometertraining mit 40 W Subjektiv keine Beschwerden Belastungssteuerung über die Herzfrequenz ist in diesem Fall nicht möglich Wie lässt sich die Intensität beim Ausdauertraining steuern? Bewegungskoordination Atmung schneller und tiefer statt keuchend/hechelnd/stoßweise zielgerichtet statt unkontrolliert Gesichtsfarbe Konzentration rosig durchblutet statt hochrot/blass Gedanken schweifen lassen statt bei der Anstrengung Gesichtsausdruck freudig-konzentriert statt verbissen-gequält Belastungsintensität erkennbar an … Gefühlte Anstrengung etwas anstrengend statt schwer…sehr schwer Schweiß ? kein Kriterium ! Motivation Lust auf mehr statt Wunsch nach Abbruch Puls Blutdruck 1. Wert <180 mmHg statt >180 mmHg im Bereich Trainingspuls statt knapp unter Maximalpuls Wie anstrengend empfinden Sie das Training ? 7 9 11 13 15 17 19 sehr sehr leicht sehr leicht leicht etwas anstrengend schwer sehr schwer sehr sehr schwer Skala des subjektiven Belastungsempfindens (RPE) nach BORG Effektiver Bereich für Herzpatienten Beschreibung der gewünschten Ausdauerbelastung bei Herzpatienten in Metaphern „Genußlauf“ „Gesund statt wund“ „Lächeln statt hecheln“ „Fit statt fertig“ „Strahlen statt prahlen“ „Einmal mehr statt Flasche leer“ Intensitätssteuerung beim Ausdauertraining über die Trainingsherzfrequenz und das subjektive Belastungsempfinden (RPE, z.B. BORG-Skala) evtl. auch Vorgaben des Arztes nach Ergebnis des Belastungs-EKGs. Achtung bei chronotroper Inkompetenz/ausgeprägten Rhythmusstörungen Zusammengefasst gilt: Ausdauertraining ist für Herzpatienten eine gesundheitlich äußerst wertvolle Trainingsmethode. Dies gilt vor allem, wenn mit mittlerer Intensität (= im Bereich des empfohlenen Trainingspulses) (= im aeroben Bereich) (= als „etwas anstrengend“ empfunden) trainiert wird. Funktionelle und orthopädische Aspekte der Gymnastik mit Herzpatienten Was können wir auf diesem Gebiet beobachten ? • Herzschutz-Schonhaltung • Nicht selten: Gelenkprobleme • Körperwahrnehmung • Typisch verringert: Kraft, Beweglichkeit, Koordinationsvermögen Krafttraining mit Herzpatienten Wie soll das Krafttraining aussehen ? Maximalkraft Intramuskuläres Training Muskelaufbautraining (= Maximalkraftausdauer) Kraftausdauer 1-3 Wiederholungen 6-12 Wiederholungen 15-25 Wiederholungen anaerob-alaktazid anaerob-alaktazid aerob-anaerob laktazid ca. 5 s 10-30 s 45-90 s Erschöpfung nach z.B. 2-4 x 1-5 Wiederholungen Erschöpfung nach z.B. 4-8 x 12 Wiederholungen Erschöpfung nach z.B. 2-3 x 25 Wiederholungen Steigerungsreihenfolge in Abhängigkeit vom Trainingszustand Intensitätssteuerung beim Ausdauertraining • über die Trainingsherzfrequenz • über das subjektive Belastungsempfinden (RPE, z.B. BORG-Skala) • evtl. auch Vorgaben des Arztes nach Ergebnis des BelastungsEKGs. Intensitätssteuerung beim Krafttraining Training der lokalen Kraftausdauer: 1-3x 15-25 Wiederholungen mit subjektivem Belastungsempfinden „etwas anstrengend“ Achtung bei Patienten mit Sternotomie (Rücksprache mit Arzt) Einige Aspekte für die Bewegungstherapie in Herzgruppen (I) ♥ Keine Übungen, bei denen der Kopf längere Zeit unter Herzniveau gehalten wird. ♥ Keine Übungen, bei denen beide Beine rasch über Herzniveau gehoben werden. ♥ Keine Übungen, die zur Pressatmung verleiten (z.B. statisches Anspannung großer Muskelgruppen; Beispiel: „Liegestütz am Boden“) ♥ Bei Teilnehmern mit Klappenersatz ist die Blutgerinnung herabgesetzt: Vorsicht bei Übungen/Spielformen mit erhöhter Verletzungsgefahr ♥ Beim Trainieren der allgemeinen aeroben Ausdauer sollte die Trainingsherzfrequenz erreicht werden (alternativ: subjektives Belastungsempfinden nach der BORG-Skala sollte „etwas anstrengend“ sein). Bei anderen Zielsetzungen soll der Puls deutlich (ca. 20 Schläge) unter der Trainingspulsfrequenz bleiben. ♥ Bei Bypass-/Schrittmacher-Teilnehmern besonders behutsam bei Dehnungen/ Mobilisationen im Brustbereich vorgehen (auch z.B. schwunghaftes Armheben beim Ballaufschlag). Bei Bypass-Teilnehmern Stützübungen vorsichtig dosieren (zunächst symmetrisch, ab 3. Monat nach OP auch asymmetrisch). ♥ Partnerübungen beim Dehnen oder Kräftigen erst bei guter eigener Körper- und Fremdwahrnehmung Einige Aspekte für die Bewegungstherapie in Herzgruppen (II) ♥ Übungen vermeiden, bei denen die TN längere Zeit ruhig am Ort stehen. ♥ Bewegungen so anleiten, dass die TN sie mit Kontrolle („Kraft“) ausführen. ♥ Ausgleich zur „Herzschutz-Haltung“ = aufrechte Körperhaltung ♥ Beim Krafttraining: Bewegung mit der Atmung verbinden ♥ In der Phase der Anstrengung ausatmen. ♥ Als Therapeut immer fördern, dass sich die TN in ihrem Körper wohlfühlen. ♥ Alternative zu gehaltenen Dehnungen: langsam dynamische Dehnformen. ♥ Zusätzliche Aufmerksamkeit bei TN mit Gelenkersatz (Hüfte/Knie).
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