Lyrik des Realismus - Prof. Dr. Christian Begemann

Internationale Tagung
Lyrik des Realismus
1.-3.10.2015, IBZ der LMU München
Veranstalter: Prof. Dr. Christian Begemann (München); Dr. Simon Bunke (Paderborn)
Zielsetzung
Ziel der Tagung ist eine umfassende Neubewertung der Lyrik des deutschsprachigen Realismus. Während die Prosa des Realismus intensiv erforscht wurde, hat die realistische Lyrik bislang zu Unrecht
nur vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden; wird die Lyrik anderer Epochen (etwa Aufklärung, Klassik oder Romantik) schon längst gleichrangig mit den anderen Gattungen diskutiert, so ist
dies bislang für die realistische Lyrik nur sehr eingeschränkt der Fall.
Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die literaturwissenschaftliche Forschung lange Zeit die
eher negativen Valorisierungen der realistischen Programmatiker tendenziell fortgeschrieben hat:
Diesen galt die Prosa als die literarische Form, die in geschichtsphilosophischer Sicht der faktischen
Prosa der Verhältnisse am besten angemessen sei (Hegel), zumal die Lyrik im Gefolge lyriktheoretischer Konzepte seit der Goethezeit nicht selten unter Subjektivitätsverdacht stand. Ihrer eigenen
lyrischen Produktion haben die realistischen Autoren daher häufig einen eher untergeordneten Stellenwert eingeräumt.
Dieser doppelten Marginalisierung der realistischen Lyrik möchte die geplante Tagung entgegentreten, indem sie die Lyrik von Keller, Storm, Meyer, Fontane, Raabe und anderen als einen wesentlichen Verhandlungsraum des realistischen Schreibens begreift. Indem die Tagung sowohl ausgewiesene Expert/innen als auch exzellente Nachwuchswissenschaftler/innen der Realismusforschung
versammelt, möchte sie aus textanalytischer, poetologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive ein komplexeres Bild der realistischen Lyrik entwerfen. Im Mittelpunkt der Tagung wird daher
besonders die Frage nach dem ‚Realistischen‘ der Lyrik des Realismus stehen: Inwiefern etablieren
sich im späten 19. Jahrhundert Arten lyrischen Sprechens, die eine neue Form des Realitätsbezugs
etablieren, die man an entsprechende Entwicklungen der Prosa anbinden kann und durch die auch
die Prosatexte des Realismus neu perspektiviert werden können?
Um das spezifisch ‚Realistische‘ dieser Lyrik herauszuarbeiten, rückt die Tagung folgende Aspekte in
den Mittelpunkt: das komplexe Verhältnis zu tradierten Konzepten der Lyrik seit der Goethezeit;
poetologische bzw. selbstreflexive Dimensionen realistischer Lyrik; die neue Konstellierung des ‚Realen‘ im Zusammenhang mit neuen Wahrnehmungstheorien, in Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften und mit der Erosion einer metaphysischen Welt; den spezifischen Ort des Lyrischen
in diesen Konstellationen im Vergleich mit der Erzählprosa; sowie die je spezifischen Ausprägungen
des ‚Realistischen‘ bei den verschiedenen Autoren. Am Beginn der Tagung steht in der ersten Sektion
die Frage nach den Grundlagen und Voraussetzungen realistischer Lyrik: Zunächst müssen jene Traditionsbezüge geklärt werden, vor deren Hintergrund sich die realistische Lyrik in der Mitte des
19. Jahrhunderts formiert (Perraudin). Daran schließen sich dann Analysen zur Poetologie an: zum
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einen der realistischen Lyrik allgemein (Brandstetter), zum anderen mit Blick auf Storm (Petersen),
C.F. Meyer (Lukas) und die zentrale Gattung der Ballade (Osterwalder).
Die zweite Sektion der Tagung stellt die Frage nach den Diskursen des Realen in der Lyrik, wobei zunächst der Stellenwert von Wahrnehmung und Subjektivität in der realistischen Lyrik in den Mittelpunkt rückt: Welche Bedeutung kommt dem „subjektiven Sehen“ und damit der Wahrnehmung generell in diesen Texten zu (Frank)? Dabei wird zu zeigen sein, dass sich im Realismus eine Destabilisierung tradierter Wahrnehmungsmuster vollzieht (Selbmann); dies berührt bereits die Rolle von Subjektivität für realistische Lyrik (Bunke), wobei zugleich das Verhältnis zwischen Subjekt und Raum
eine Neubestimmung erfährt (White). Diese Überlegungen werden beschlossen von Überlegungen,
welchen Stellenwert naturwissenschaftliche Diskurse für die Formierung des Realistischen in der
Lyrik besitzen (Horn) und wie angesichts dieser Durchsetzung positiver Wissenschaften der Verlust
der Metaphysik in der Lyrik der Zeit reflektiert wird (Begemann).
In der dritten Sektion schließlich fokussiert die Tagung die je spezifischen Ausformulierungen realistisch-lyrischer Schreibweisen bei Meyer, Fontane, Keller und Raabe. So wird Kellers Konzept einer
„entlyrisierten Lyrik“ (Swales) den schon über den Realismus hinausweisenden Tendenzen bei Meyer
(Neumann) und Raabe (Schneider) gegenübergestellt wird, während sich die Frage nach dem Realismus bei Fontane vor allem als diejenige nach dem Verhältnis von Prosa und Lyrik stellt (MülderBach).
Tagungsprogramm
Do., 1. Oktober 2015
Bis 13:30
Anreise
13:30-14:00
Begrüßung und Einführung
SEKTION I
POETOLOGIEN REALISTISCHER LYRIK
14:00-14:45
Michael Perraudin (Sheffield)
Frührealistische Lyrik in Vormärz und Biedermeier
14:45-15:30
Gabriele Brandstetter (Berlin)
Zur Relation von Form und Realismus
15:30-16:00
Pause
16:00-16:45
Anne Petersen (Göttingen)
Storms Poetik realistischer Lyrik (Hausbuch aus deutschen Dichtern
seit Claudius)
16:45-17:30
Sonja Osterwalder (Zürich)
Die Ballade als Verhandlungsraum realistischer Lyrik
17:30-17:45
Pause
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17:45-18:30
Wolfgang Lukas (Wuppertal)
C.F. Meyer und die sukzessive ‚Herstellung‘ einer realistischen lyrischen Schreibweise
Ab 19:30
Abendessen
Fr., 2. Oktober 2015
SEKTION II
DISKURSE DES REALEN: WAHRNEHMUNG, RAUM, WISSENSCHAFT
09:00-09:45
Gustav Frank (LMU)
Unter dem Regime des subjektiven Sehens. Funktionen der Lyrik im
Realismus
09:45-10:30
Rolf Selbmann (LMU)
Verunsicherte Wahrnehmung. Drei realistische Gedichte und ihre Epoche
10:30-11:00
Pause
11:00-11:45
Simon Bunke (Paderborn)
Fontanes Balladen als Reflexionsraum von Subjektivität
11:45-12:30
Michael White (St. Andrews):
Raum und lyrisches Ich (Eichendorff – Keller – Hofmannsthal)
12:30-14:00
Mittagspause
14:00-14:45
Eva Horn (Wien)
Naturwissenschaft und Naturlyrik
14:45-15:30
Christian Begemann (LMU)
Tod, Erinnerung und Gespenst. Storms lyrische Reaktion auf den Verlust der Metaphysik
15:30-16:00
Pause
SEKTION III
SCHREIBWEISEN DES REALEN
16:00-16:45
Martin Swales (London)
Gottfried Keller. Verlust und Gewinn der 'ent-lyrisierten' Lyrik
16:45-17:30
Inka Mülder-Bach (LMU)
Lyrik in Fontanes Romanen – zum Verhältnis von Lyrik und Prosa
Ab 18:30Uhr
Abendessen
Sa., 3. Oktober 2015
9:00-9:45
Gerhard Neumann (Berlin)
Schrift und Schreibszenen in C.F. Meyers Lyrik
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09:45-10:30
Sabine Schneider (Zürich)
Gebrochene Idyllen. Zur Lyrik in Raabes "Pfisters Mühle".
10:30-11:00
Pause
11:00-12:30
Abschlussdiskussion
Ab 12:30
Abreise
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Liste der Referentinnen und Referenten
1. Prof. Dr. Christian Begemann (München): Tod, Erinnerung und Gespenst. Storms lyrische Reaktion auf den Verlust der Metaphysik
2. Prof. Dr. Gabriele Brandstetter (Berlin): Zur Relation von Form und Realismus
3. Dr. Simon Bunke (Paderborn): Fontanes Balladen als Reflexionsraum von Subjektivität
4. PD Dr. Gustav Frank (München): Unter dem Regime des subjektiven Sehens. Funktionen der Lyrik im Realismus
5. Prof. Dr. Eva Horn (Wien): Naturwissenschaft und Naturlyrik
6. Prof. Dr. Wolfgang Lukas (Wuppertal): C.F. Meyer und die sukzessive ‚Herstellung‘ einer realistischen lyrischen Schreibweise
7. Prof Dr. Inka Mülder-Bach (München): Lyrik in Fontanes Romanen – zum Verhältnis von Lyrik
und Prosa
8. Prof. Dr. Gerhard Neumann (Berlin): Schrift und Schreibszenen in C.F. Meyers Lyrik
9. Dr. Sonja Osterwalder (Zürich): Die Ballade als Verhandlungsraum realistischer Lyrik
10. Prof. Dr. Michael Perraudin (Sheffield): Frührealistische Lyrik in Vormärz und Biedermeier
11. Dr. des. Anne Petersen (Göttingen): Storms Poetik realistischer Lyrik (Hausbuch aus deutschen
Dichtern seit Claudius)
12. Prof. Dr. Rolf Selbmann (München): Verunsicherte Wahrnehmung. Drei realistische Gedichte
und ihre Epoche
13. Prof. Dr. Sabine Schneider (Zürich): Gebrochene Idyllen. Zur Lyrik in Raabes „Pfisters Mühle“
14. Prof. Dr. Martin Swales (London): Gottfried Keller. Verlust und Gewinn der 'ent-lyrisierten' Lyrik
15. Dr. Michael White (St. Andrews/GB): Raum und lyrisches Ich (Eichendorff – Keller – Hofmannsthal)
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