H 4 HAMBURG Teures Pflaster Fast 40 Millionen Euro haben Grundbesitzer seit 2005 ins Verschönern des öffentlichen Raums gesteckt. Ein großartiges Geschäft für Hamburg. Doch gegen die Business Improvement Districts, kurz BIDs, regt sich Widerstand Schon edel! Prächtige Fassaden in der Straße Hohe Bleichen Das Geld liegt auf der Straße Privatleute zahlen für das Aufpolieren ihres Quartiers. Einige Anlieger wollen das jetzt nicht mehr VON CHARLOTTE PARNACK UND CHRISTOPH TWICKEL U Der Platz lädt zum Verweilen ein, um Einkaufstüten abzustellen, einen Kaffee zu trinken und dann weiterzugehen, ins nächste Geschäft. Vielleicht ja den Lebensbäumen hinterher, die sich bis in die Hohen Bleichen aufreihen. Bevor das BID kam, waren die Hohen Bleichen eine Art Parkhaus-Zufahrt. Heute sind sie zur teuren Einkaufsstraße mutiert. »BIDs sind ein Erfolgskonzept«, lobt die scheidende Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau. Ihr BIDExperte Büttner sagt: »Das BID hat aus einer Hinterhoflage eine 1-a-Lage gemacht.« Das ist nicht nur am Heuberg so. Seit im Jahr 2005 das bundesweit erste BID am Sachsentor in Bergedorf startete, gab es in der Stadt 18 BIDs, von denen neun noch laufen. Insgesamt sind dadurch fast 40 Millionen Euro STAND DER BIDS von privater Seite in die Aufwertung aktuell laufende BIDs des öffentlichen Raums geflossen. geplante BIDs »Die Wirkung für die Attraktivität HAMBURG der Stadt ist immens«, sagt Büttner. NORD »Wir versuchen verzweifelt, Kunden SCHLESWIG Tibarg I HOLSTEIN vom Onlinehandel auf dem Sofa in Tibarg II WANDSBEK die Einkaufsstraßen zu holen. Durch die BIDs kommen sie wieder gerne.« EIMSBÜTTEL Das klingt nach einem Gewinn für alle: Die Grundbesitzer steigern die Quartier Gänsemarkt* Opernboulevard Immobilienwerte. Die Stadt spart. Die Osterstraße SCHLESWIG Hamburger kommen runter vom ALTONA HOLSTEIN Hohe Bleichen/Heuberg Passagenviertel Sofa. Alle sind selig. Alle? Falsch. AusWaitzstraße Steindamm gerechnet in Deutschlands ältestem Reeperbahn Mönckebergstraße BID, Bergedorf, könnte ein Streit nun Nikolaiquartier Neuer Wall II das ganze Modell ins Wanken brinNeuer Wall III gen. Und hinter der spiegelblanken Fassade der BIDs mehren sich HerrHAMBURG schaftsgebaren und Konflikte um MITTE Geld und Transparenz. Alte Holstenstraße Ein Morgen in St. Georg, dort, wo HARBURG Sachsentor BERGEDORF die Fassade noch nicht spiegelblank ist: Am Steindamm bettelt eine verkrüpSand ZEIT- GRAFIK pelte Frau, gegenüber steht das Zelt Lüneburger Straße * im Verfahren 2 km obdachloser Lampedusa-Flüchtlinge. In den Hauseingängen warten Prosan diesem Ort: seine Makellosigkeit. »Der Heuberg tituierte. Vor den Läden stapeln sich alte Kisten. ist einer der schönsten Plätze Hamburgs«, sagt Was hier an einem gewöhnlichen Dienstag los ist, Frithjof Büttner. Jetzt geht die Makellosigkeit in dafür findet die IG Steindamm, ein Zusammendie Verlängerung. schluss von Gewerbetreibenden und GrundeigentüDenn dass ein Platz mitten in der Stadt strahlt mern, klare Worte: Auf der Meile am Hauptbahnhof wie ein frisch bezogenes Bett, kommt ja nicht von habe sich »primitivste Prostitution in ungekanntem allein. Der Grund dafür hat drei Buchstaben, BID, Maße« breitgemacht, heißt es auf der Website, mit oder drei Wörter, Business Improvement District. der die IG für ein BID am Steindamm wirbt. »BettVerkürzt bedeutet das, dass Grundeigentümer aus lergangs und eine ungeahnte Verschmutzung beeineigener Tasche das Aufpolieren ihrer Straße finanzie- trächtigen unsere unnachahmliche Einkaufsmeile in ren. So investierten Privatleute für die erste Laufzeit besonderer Weise«, so geht es weiter. Auch von des BID Hohe Bleichen/Heuberg seit 2009 zwei »Minderheiten, die ihr Leben bei uns ausleben und Millionen Euro. Für die Neuauflage werden in den damit der Gemeinschaft ihre Lebensstile oktroyienächsten fünf Jahren weitere 900 000 Euro fällig. ren« ist die Rede. Klingt nach AfD, doch QuartiersFrithjof Büttner, der BID-Beauftragte der Stadt- manager Wolfgang Schüler meint das anders, sagt er. entwicklungsbehörde, sagt, man müsse sich nur mal »Wir wollen den Steindamm nicht vergolden«, auf eine der Bänke am Heuberg setzen, um zu ver- sagt der 71-Jährige, der früher ein Luxushotel in stehen, warum alle das gut fänden. Winterhude betrieben hat. Bald werde die IG den nter den hohen, kegelförmigen Lebensbäumen liegen Bänke, die aussehen wie Grabplatten. Das ist noch nicht das Seltsamste an diesem Ort. Mittags werfen die Bäume mächtige Schatten über das weiße Pflaster, die Bänke saugen sich mit Wärme voll, und von überall strömen Menschen auf den Platz mit dem Namen Heuberg. Früher war der Heuberg, wo sich Hohe und Große Bleichen treffen, ein mülliger Parkplatz. Heute ist er ein parkartiger Platz. Auf dem Boden klebt kein Möwenschiss, kein Kaugummi, kein Dreck. Das ist das wirklich Seltsame BID kurz für Business Improvement District, beschreibt den Zusammenschluss aller Grundeigentümer in einem fest definierten Gebiet. Jeder zahlt eine Abgabe, von der die Aufwertung des öffentlichen Raums finanziert wird, durch Bauoder Marketingmaßnahmen. Hamburg ist die Stadt mit den bundesweit meisten BIDs. Das erste entstand 2005 in Bergedorf. Seitdem gab es 18 BIDs, neun davon laufen noch, neun weitere sind geplant. Insgesamt sind auf diese Weise gut 40 Millionen Euro von privater Seite in die Aufwertung der Stadt geflossen, zum Beispiel in Pflanzen und Sitzbänke oder auch in Sicherheitspersonal. Antrag auf Einrichtung eines BID bei der Behörde einreichen, dabei gehe es um einen gemeinsamen Marketingauftritt. Und um mehr Sauberkeit. »Wir wollen diese Verschmutzung nicht«, sagt Schüler. Wir? Wer ist das für die BIDs überhaupt? Diese Frage liegt im Zentrum aller Probleme, vor denen das Konzept gerade steht. Der Steindamm zeigt den einen Grund: Dort richtet sich das »wir« gegen jene, die diese Straße beleben – und nun weg sollen. Im Plan für das BID Reeperbahn hieß es 2014 noch etwas eleganter: »Aus Besuchern sollen Kunden gemacht werden.« Die Stadt als Einkaufscenter. Tatsächlich meint »wir« laut Gesetz ausschließlich die Grundeigentümer. Von ihnen reichen 15 Prozent aus, um ein BID anzustoßen. Hier liegt das zweite Problem, denn umgekehrt müssen mehr als doppelt so viele widersprechen, 33 Prozent, um das Programm zu verhindern. »Ein massives Ungleichgewicht«, sagt Rechtsanwalt Dirk Trieglaff aus der Kanzlei Weiland & Partner, einer der ältesten der Stadt. Er vertritt eine Gruppe von Klägern, denen der Zwang zum Wir auf die Nerven ging. 2014 haben sie Nein zum BID Sachsentor III gesagt, der dritten Verschönerungsrunde der Bergedorfer Einkaufsstraße – weil ihnen die Kosten zu hoch und zu intransparent waren. Zusammen stellen die Rebellen 24 Prozent der Grundeigentümer – zu wenig, um das BID zu stoppen. Aber zu viel, um über sie hinwegzugehen. Die Folge ist ein Streit, der bis zum Bundesverwaltungsgericht führen könnte. Es ist noch früh am Tag, aber am Sachsentor regt sich bereits Leben. Aus den Bäckereien duftet es, aus den Geschäften rumort es, in den Straßencafés frühstücken Gäste vor beschaulicher Kulisse: Bergedorfs Einkaufsstraße säumen Fachwerkhäuser und Stadtvillen, im Hintergrund liegt das Schloss. Marc Wilken schlendert vorbei, macht eine ausladende Geste: »Wir wollen nicht wie die Mönckebergstraße sein«, sagt er, aber die Vorzüge Bergedorfs seien erheblich: die historischen Gebäude, die familiäre Atmosphäre, die Gemütlichkeit. »Das müssen wir sichern«, sagt Wilken, der als Geschäftsführer des Vereins für Wirtschaft und Stadtmarketing für die Region Bergedorf auch für das BID Sachsentor zuständig ist. Eigentlich entspricht der Fall Bergedorf der Ursprungsidee der BIDs: Das Konzept stammt aus Kanada, wo sich Händler in Randlage gegen die Übermacht der Shoppingmalls zu verteidigen suchten. Das hat früher auch in Bergedorf funktioniert. »Es ist wichtig für uns, dass die Straße etwas hermacht«, sagt Martina Willhoeft vom Herrenausstatter Willhoeft. »Das BID hat in Bergedorf gezeigt, dass das Prinzip ›Hilf dir selbst, dann hilft dir der Markt‹ funktioniert«, sagt Karl-Dieter Broks, Investor des Neuen Mohnhofs am Ende des Sachsentors. In ihrem Lob schwingt Dank mit – denn am Sachsentor lief es nicht immer so gut. Anfang des Jahr- tausends machten zwei Kaufhäuser dicht, ein Einkaufszentrum eröffnete. Der Einzelhandel litt. »Durch das BID konnten wir das Marketing verbessern«, sagt Wilken. Eine Quartiersmanagerin wurde engagiert, dazu Sicherheitsleute, alles wurde schöner, belebter. »So was gab es damals nicht«, sagt Wilken und zeigt auf ein Graffito an der Karstadt-Wand. Was aber kann, bei so viel Sinn und Schönheit, ein vernünftiger Mensch gegen das BID haben? »Da müssen Sie schon die Gegner fragen«, sagt Wilken. Ein paar Meter weiter sitzt einer. Wido Schüttfort vom Schuhhaus Schüttfort, ganz altes Bergedorf, sein Geschäft führt er in dritter Generation. »Das BID ist wie ein Spielautomat«, sagt er. »Ich stecke Geld rein, und es kommt nichts raus. Und wenn doch was kommt, versteht keiner die Summe.« Als Schüttfort 2014 dem BID Sachsentor III zustimmen sollte, ohne dass konkrete Zahlen für Sachsentor II vorlagen, wurde er stutzig. Als er endlich Einsicht bekam, wuchs sein Widerstand noch, so hoch waren die Verwaltungs- und Managementkosten. »Es heißt immer, das BID sei eine tolle Eigeninitiative«, sagt Schüttfort. »Es ist aber nicht meine Eigeninitiative, sondern die einer Minderheit von 15 Prozent, die mich zwingt, in Maßnahmen zu investieren, die nach meiner Überzeugung keinen betriebswirtschaftlichen Ertrag bringen.« Der Zwang. Das erpresste Wir. Das ist die Schwachstelle des Erfolgskonzepts BID, von Anfang an: Wonach soll sich die Höhe des Beitrags richten, mit dem Privatleute den Staat entlasten? Nach den Mieten? Der Gewerbefläche? In Deutschland hat man sich für den »Einheitswert« einer Immobilie entschieden, an dem sich auch die Grundsteuer bemisst. Aber die Einheitswerte wurden zuletzt in den sechziger Jahren festgelegt. Sie sind, sagen die Kritiker, veraltet, willkürlich, ungerecht. Wie es jetzt weitergeht? Wido Schüttfort ruft vom Büro aus Elke Kurkowski an. Ihr gehören am Sachsentor zwei Häuser, sie hat den Protest vorangetrieben. Aktuell, sagt Kurkowski, liege vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen den Einheitswert. »Die kann alles ändern.« Und wenn nicht? In Bergedorf sind die Fronten so verhärtet, dass ein Mediator eingeschaltet wurde, Stefan Orth, Ex-Präsident des FC St. Pauli. »Am Freitag treffen wir uns wieder«, sagt Elke Kurkowski, »aber ich glaube nicht, dass der unseren Forderungen zustimmt.« Die Rebellen prüfen jedenfalls schon mal, ob sie das Geld für eine Sammelklage zusammenbekommen. »Notfalls würden wir bis zum Bundes verwaltungs gericht gehen«, sagt Elke Kurkowski. In der Stadtentwicklungsbehörde hört sich Frithjof Büttner das interessiert an. »Es ist ein langer Gesprächsprozess«, sagt er. Das BID werde aber ein Gewinn für alle Seiten sein.
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