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März/April 2015
RaumPlanung
Fachzeitschrift für räumliche Planung und Forschung
2 „The people upstairs handed us this one, and we’ve got to come
through. We have got to find a way to make this fit in the hole for
this, using nothing but that.“
Titelfoto: © ?
3 „We
have an
unusual
procedere
for you
here.“
4 „One
sock.“
5 „Houston, the CO2-level has dropped to nine and it is still falling.“
Stadtentwicklung und Informalität
Weitere Themen:
Stadtraumtypologie als Werkzeug
zur Analyse von Energieeffizienz
in der Stadt
Regionale Grünzüge
K 5158
RaumPlanung 178 / 02-2015
Stadtentwicklung und Informalität
1 „I suggest
you gentlemen invent
a way to put
a square peg
in a round
hole.
Rapidly.“
178 / 02-2015
Stadtentwicklung und Informalität
Schwerpunkt
6 Doris Gstach, Alexandra Hill:
Stadtentwicklung und Informalität
8 Rainer Danielzyk:
Informelle Planung
12 Stephan Willinger:
Informeller Urbanismus
18 Manuel Lutz:
Informelles Wohnen in
Deutschland und den USA
Weitere Themen
48 Gerd Kiesel, Dirk Daube,
Stefan Knetsch:
Stadtraumtypologie als Werkzeug
zur Analyse von Energieeffizienz
in der Stadt
56 Christian Diller, Antonia Gerlich,
Markus Thom:
Regionale Grünzüge – eine Erfolgsgeschichte der Raumordnung?
Rubriken
3 Editorial
62 Notizen
65 Campus
Erste Arbeitsgruppe des Jungen
Forums der ARL:
Neue Wege für die integrierte
Entwicklung des Wohnens in
städtischen Räumen
24 Tatjana Fischer, Verena Peer:
Informelle Planungsprozesse und
deren Mehrwert für die evidenzbasierte Raumentwicklung
67 Rezensionen
30 Friedrich von Borries, Moritz
Ahlert, Benjamin Kasten:
Situative Planungsstrategien
70 Impressum
36 Stefan Höffken, Bernd Streich:
Subversive Stadtplanung
42 Antje Havemann, Margit Schild:
„Das machen wir erst einmal so!“
4
RaumPlanung 178 / 2-2015
68 IfR Intern
69 Kalender
12
24
42
Hinweis: Aus Gründen der Lesegewohnheit und der sprachlichen Vereinfachung wird bei Personen die männliche
Substantivform verwendet, wenn keine geschlechtsneutrale Formulierung möglich ist. Gemeint sind immer beide Geschlechter.
RaumPlanung 178 / 2-2015 5
Stadtentwicklung und
Informalität
W
ährend formellen Planungsinstrumenten per definitionem eine gewisse Kontinuität innewohnt, erfinden sich informelle Ansätze immer wieder neu. Es
lohnt sich daher, den Stand der Dinge in gewissen Zeitabständen in Augenschein zu nehmen.
Der Stellenwert informeller Planungsansätze ist heute unumstrittener denn je. Durch ihren rechtlich nicht bindenden
Charakter und nicht festgeschriebene Inhalte, Vorgehensweisen und Akteursrollen versprechen sie maximale Flexibilität.
Maßgeschneiderte, auf die Eigenheiten des Ortes und der lokalen Akteurskonstellationen zugeschnittene Herangehensweisen und Lösungen scheinen damit überhaupt erst möglich.
Zudem scheint ein fruchtbarer Dialog zwischen Stadtverantwortlichen und Bürgerschaft mit weit größerer Wahrscheinlichkeit in einem informellen Rahmen zu entstehen. Viele der
informellen Verfahren machen deutlich, dass derartige Ansätze in der Professionalität ihrer Durchführung formalisierten
Verfahren nicht nachstehen müssen. Möglicherweise fehlendes fachliches Know-how wird kompensiert durch Kreativität
und nicht zuletzt durch Ausdauer der Hauptprotagonisten in
bürgerschaftlich initiierten Planungsprojektent.
Wie starr wirken demgegenüber formelle Instrumente, wie
sie etwa im BauGB definiert werden. Das Gefühl, im Zuge von
formalen Beteiligungsprozessen nicht angemessen mitreden
zu können, hat den ‚Wutbürger’ hervorgebracht. Tatsächlich
gibt es aber trotz Vollzugsdefiziten der Beteiligungspraxis
letztlich kaum demokratisch besser abgesicherte Strukturen
als die rechtsverbindliche, also formelle Planung.
Wurden informelle Aktivitäten und die formelle Stadtplanung
ehemals häufig als Gegensätze verstanden, die im besten
Fall ungestört nebeneinander laufen, so hat sich der Diskurs
längst zu einem Kontinuum verschoben, in dem sich zwischen den beiden Extremen zahlreiche Mischformen finden,
die zudem teilweise eng miteinander verzahnt sind. Bei in-
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formellen Planungsinstrumenten zeigt sich mitunter auch so
etwas wie ein ‚Reifungsprozess’ hin zum Formellen, und zwar
offensichtlich insbesondere dann, wenn sie an verschiedenen
Orten über längere Zeit erfolgreich erprobt wurden. Betrachten wir etwa aktuelle Stadtentwicklungskonzepte, so ähneln
sich diese in Struktur und Inhalt inzwischen auf frappierende Weise. Einzelne Bundesländer haben eigene Leitfäden zu
Inhalt und Erstellungsprozedere erstellt. Um in angestrebten
Förderanträgen erfolgreich zu sein, orientieren sich Antragsteller stark an den im Leitfaden gegebenen ‚Vorschlägen’.
Es verwundert daher nicht, dass die Vielfalt der Formen und
Aussagen dieses informellen Stadtentwicklungsinstrumentes
vor Jahrzehnten noch weit größer war. Vom viel gepriesenen Potenzial informeller Ansätze für individuelle Lösungen
scheint zumindest bei solchen Konzepten kaum mehr Gebrauch gemacht zu werden. Am anderen Ende der Skala finden wir Projekte, die sich durch formelle Planung nie hätten
entwickeln können und deren Entstehungsprozess auch nicht
‚standardisiert’ werden kann. Sie werden genährt von einer
ganz spezifischen Konstellation aus Akteuren, die mit kreativen Ideen zur ‚richtigen’ Zeit am ‚richtigen’ Ort sind und die
Spielräume formeller Rahmenbedingungen nutzen, um Orte
mit neuen Qualitäten entstehen zu lassen. Der häufig zitierte
Prinzessinnengarten in Berlin ist ein Beispiel dafür, was bewegt werden kann, wenn diese Aspekte zusammenspielen.
Mit dem Themenschwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der
RaumPlanung gehen wir der Frage nach, was informelle Ansätze heute vermögen, wo wir vielleicht trotz diverser gerechtfertigter Kritik an formellen Instrumenten auch deren
Notwendigkeit erkennen müssen. Dabei wird eines deutlich:
Es gibt zahllose Spielarten des Informellen und viele Stadtentwicklungsprozesse werden heute maßgeblich durch diese
geprägt. Am Ende von mitunter lang andauernden Prozessen
münden aber Aspekte eines Lösungsansatzes häufig in formelle Regelungen. Für die Raumplanung wird es in Zukunft
vor allem darum gehen, formelle und informelle Ansätze so
Facheditorial
miteinander zu verschränken, dass sie ein insgesamt tragfähiges und zeitgemäßes Instrumentarium ergeben.
Die dem Schwerpunkt gewidmeten Beiträge geben einen
Einblick in die aktuelle Diskussion um informelle (planerische) Aktivitäten, einige demonstrieren anhand ausgewählter Fallbeispiele – mit ganz unterschiedlicher Positionierung
im Spektrum zwischen informell und formell – die Vielfalt
der möglichen Inhalte und Ansätze.
Der einleitende Beitrag von Rainer Danielzyk stellt konzeptionelle Überlegungen zur Vielfalt aktueller informeller Planungsansätze vor. Dabei fokussiert der Autor auf die regionale Ebene und stellt ausgewählte Beispiele der regionalen
Planungspraxis vor, ehe abschließend Vor- und Nachteile der
informellen Planung bilanziert werden.
Der Artikel von Stephan Willinger befasst sich mit informellem Urbanismus und betrachtet das Informelle als allgegenwärtigen Bestandteil städtischen Lebens. Er diskutiert
die Bedeutung des Informellen für die Stadtentwicklung(spolitik) und für die Rolle von Planern in solchen Prozessen,
in denen Stadt als Ergebnis der Eigeninitiative von zivilgesellschaftlichen Akteuren entsteht (wir empfehlen das von
Willinger mitherausgegebene Heft 2.2014 der Informationen
zur Raumentwicklung (IzR) mit dem Titel „Informeller Urbanismus“ gerne als ergänzende Lektüre).
Manuel Lutz beschäftigt sich mit verschiedenen Spielarten
informellen Wohnens. Er zeigt anhand empirischer Forschungen zu Wagenburgen und Zeltlagern Obdachloser auf, dass
informelles Wohnen auch in Deutschland und den USA ein
bedeutsames und vielfältiges Phänomen darstellt, das allerdings aus der Not geboren oft die Grenze zur Illegalität
überschreitet. Diskutiert wird, wie in Ermangelung grundlegender Verbesserungsmöglichkeiten durch lokal entwickelte
Ausnahmeregelungen zumindest offiziell ‘tolerierbare‘ Zustände geschaffen werden.
wenig sichtbare oder nicht bekannte Nutzungen und Raumaneignungen (z. B. Raumpioniere und Zwischennutzer) in der
Stadt entdecken und für Planungsprozesse nutzbar machen.
Der Beitrag von Stefan Höffken und Bernd Streich setzt sich
mit Akteuren und Gruppen auseinander, die bewusst abseits
des Mainstreams agieren. Unter dem Schlagwort der subversiven Stadtplanung entwickeln diese Akteure neue Formen
urbanen Handelns und berühren dabei in vielfältiger Weise
Handlungsfelder der Stadtplanung. Die vorgestellten Beispiele zeigen insbesondere Ansätze auf, die unter Nutzung
neuer Techniken und Medien innovative Formen der Selbstorganisation und kollektive Aktionen erproben (von der
Erfassung stadtplanerisch relevanter Daten bis zur Finanzierung von Projekten im öffentlichen Bereich).
Der den Themenschwerpunkt abschließende Artikel von Antje Havemann und Margit Schild zeigt am Beispiel von Provisorien auf, wie unter schwierigen Rahmenbedingungen überraschend Neues entsteht. Bei komplexen und ungewohnten
Problemstellungen tritt an die Stelle des formal Richtigen
und Gewohnten die informelle Lösung, die sich vorrangig an
Notwendigkeiten, Machbarkeit und Funktionalität orientiert.
So werden statt nur vorübergehender Antworten auch mögliche Alternativen zum bisher Geläufigen aufgezeigt. Provisorien können damit ein Instrument zum Aufspüren der ‚richtigen’ Lösung unter unübersichtlichen Bedingungen sein.
Anhand von zwei Filmbeispielen wird das Provisorische als
Handlungsprinzip extrahiert und dann im Zusammenhang
mit Stadtentwicklung näher beleuchtet.
Einen Blick in das europäische Ausland ermöglicht der Beitrag
von Tatjana Fischer und Verena Peer, die am Beispiel des Stadtentwicklungsplans (STEP) 2025 für Wien die Rolle informeller
Planungsprozesse analysieren. Stadtpolitik und -verwaltung
zielen mit dem gewählten Prozess auf eine stärkere Berücksichtigung der Sorgen und Wünsche der Wiener Bevölkerung
bei der Stadtentwicklung ab und bauen dabei auf im Rahmen
von Agenda 21-Prozessen entwickelte Strukturen und Kompetenzen bürgerschaftlicher Teilhabe auf.
Doris Gstach, 1968, IfR, Prof. Dr.-Ing.,
Fachgebiet Freiraumplanung – Landschaftsplanung, Fakultät Architektur und
Stadtplanung, Fachhochschule Erfurt
Friedrich von Borries, Moritz Ahlert und Benjamin Kasten befassen sich mit sogenannten situativen Planungsansätzen. Am
Beispiel der Erarbeitung von Leitlinien für die Weiterentwicklung des GrünGürtels in Frankfurt am Main zeigen die Autoren
auf, inwiefern situative Ansätze, die konventionelle planerische Herangehensweisen und sozialwissenschaftliche Methoden in kreativer Weise mit künstlerischen Annäherungen verknüpfen, neue Raumwahrnehmungen erschließen und auch
Alexandra Hill, 1977, IfR, Dr.-Ing., Dipl.Ing. Raumplanung, Forschungskoordinatorin am InWIS – Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und
Regionalentwicklung,
EBZ Business School, Bochum
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