152 BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT Niestedt/Krause, Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? CB-BEITRAG Marian Niestedt, M. E.S., RA, und Dipl.-Finw. (Zoll) Axel Krause, RA Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? Sicherheitspolitischen Herausforderungen begegnet die EU zunehmend mit den Mitteln des Sanktions- und Exportkontrollrechts. Damit die Sanktionen gegenüber den sanktionierten Parteien auch wie gewünscht wirken, sind sie mit einem entsprechenden Instrumentarium gegenüber den Personen und Behörden ausgestattet, die die Sanktionen zu befolgen sowie deren Einhaltung sicherzustellen und zu überwachen haben. Betroffene Unternehmen in Deutschland müssen dieses Instrumentarium und seine Anwendung in der Praxis kennen und mit den erforderlichen organisatorischen Maßnahmen für sich umsetzen können. Anhand der aktuellen Sanktionen gegen Russland zeigt dieser Beitrag für betroffene Unternehmen rechtliche Hintergründe zu den Verantwortlichkeiten, dem Geltungsbereich sowie den strafrechtlichen und sonstigen Folgen auf und gibt praktische Empfehlungen zur Organisation der Compliance-Funktion. I. Wissen um die Verantwortlichkeiten In dem Maße, in dem die EU restriktive Maßnahmen, ob länder-, personen- oder güterbezogen, verstärkt als außenpolitisches Mittel einsetzt, wirken sich diese Maßnahmen zunehmend auf die Wirtschaft aus. Besonders zeigen sich die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen restriktiver Maßnahmen der EU im Fall der gegen Russland erlassenen Sanktionen, von denen auch viele – gerade kleine und mittlere – Unternehmen betroffen sind, die sich bislang mit den Themen Sanktionen und Exportkontrolle nicht oder kaum befassen mussten. Nicht zuletzt wegen der mit etwaigen Verstößen verbundenen Konsequenzen und einem in der Praxis gleichzeitig feststellbaren hohen Verfolgungsrisiko müssen sich die Unternehmen auf die Sanktionen, die sich zudem laufend ändern, einstellen. Ein wichtiger Berater bei allen notwendigen Planungen der Reaktion auf die Ukraine-Krise und die in dem Zusammenhang von der EU erlassenen Sanktionen ist die jeweilige Compliance-Organisation im eigenen Unternehmen. Diese muss die Grundlage aller Planungen und Entscheidungen liefern. Geschäftsentscheidungen auf unsicherer rechtlicher Basis und in möglicher Verkennung der einzelnen Verbots- und Genehmigungstatbestände sowie ihres umfassenden Geltungsbereichs können zu Compliance-Verstößen mit erheblichen Folgen für alle Beteiligten und auch für das Unternehmen als solches führen. Im umgekehrten Fall kann aber auch eine „Übererfüllung“ in Verkennung der gesetzlichen Vorgaben Geschäftschancen vernichten und Wettbewerber bevorteilen. Verantwortlich für die Organisation und Kontrolle eines ComplianceManagements sind der Vorstand bzw. die Geschäftsführung von Unternehmen nach § 93 AktG1 bzw. § 43 GmbHG. Vorstände und Geschäftsführer sollten sich daher schon im Eigeninteresse über die Compliance-Berater | 5/2015 | 5.5.2015 Reich- und Tragweite der EU-Sanktionen im Allgemeinen und insbesondere der möglichen außenwirtschafts-, zoll-, straf-, bußgeld- und zivilrechtlichen Rechtsfolgen für sich selbst, für Mitarbeiter und für das Unternehmen insgesamt im Klaren sein. Das Institut der Wirtschaftsprüfer bezeichnet in dem von ihm entwickelten Prüfungsstandard (IDW PS 980) für Compliance-Management-Systeme (CMS) den richtigen „Tone at the Top“ als Basis für eine gelebte Compliance Kultur in Unternehmen. Um den richtigen „Ton“ in Bezug auf EU-Sanktionen und Exportkontrolle zunächst zu kennen und dann auch treffen zu können, bedarf es insbesondere der Kenntnis und Berücksichtigung der nachfolgenden und für alle EU-Sanktionen grundsätzlich geltenden vier Themen: 1. der weite Geltungsbereich von EU-Sanktionen; 2. die Erfassung von unmittelbaren als auch mittelbaren Handlungen; 3. die straf- und bußgeldrechtlichen Folgen von EU-Sanktionsverstößen und ihr Haftungsmaßstab; 4. die Handlungsmöglichkeiten zur Prävention von Verstößen und bei erkannten Verstößen. Die vorgenannten Punkte sollen nachfolgend beispielhaft anhand der Russland-Sanktionen der EU näher erläutert werden. 1 BGH, 10.7.2012 – VI ZR 341/10, NZG 2012, 992, 994 m. w. N.; vgl. auch LG München I, 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, Siemens – „schwarze Kassen“, BB 2014, 850 Ls m. BB-Komm. Grützner. Niestedt/Krause, Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? II. Inhalt der EU-Sanktionen BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 153 Die EU-Sanktionen gegenüber Russland und zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine stehen auf drei Säulen:2 – Die erste Säule beinhaltet Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen, deren Vermögen eingefroren wurde und denen keinerlei Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden dürfen.3 – Die zweite Säule sind Sanktionen gegenüber der Krim und Sewastopol, hinsichtlich deren Ursprungswaren Importbeschränkungen gelten. Umgekehrt sind auch der Export bestimmter Güter für die Krim und Sewastopol und Investitionen in bestimmte Infrastrukturbereiche4 in beiden Regionen beschränkt. – Die dritte Säule umfasst sektorale Sanktionen in Form von Verboten oder Genehmigungsvorbehalten. Für Rüstungsgüter gilt ein national umzusetzendes Waffenembargo. In Bezug auf DualUse-Güter und Technologien, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, besteht ebenfalls ein umfassendes Verbot in Bezug auf militärische Nutzungen durch Russland. Für bestimmte Technologien und Dienstleistungen im Roh- und Erdölsektor gelten Genehmigungsvorbehalte oder – in Fällen einer bestimmten Nutzung – Verbote. Daneben wurde der Zugang russischer Banken zu den Kapitalmärkten beschränkt.5 Daraus wird deutlich, dass die EU-Sanktionsvorschriften von einem weiten Geltungsbereich, insbesondere für EU-Staatsangehörige, ausgehen. So gelten danach z. B. bestimmte Sanktionen für bestimmte Güter und Technologien, unabhängig davon, ob es sich um EU-Ursprungswaren handelt,7 sowie für technische Hilfe, Vermittlungsleistungen unter bestimmten Voraussetzungen „in jedem anderen Land“ der Welt,8 sobald EU-Staatsangehörige – unabhängig von ihrem Aufenthaltsort – involviert sind. Ein besonderes Problem stellen Verhaltensweisen von Tochtergesellschaften in Drittländern, sowie – damit zusammenhängend – das Verbot der Umgehung bestimmter Verhaltensweisen9 dar. Im Grundsatz gilt zwar, dass nicht nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete oder eingetragene juristische Personen, d. h. Tochtergesellschaften im Drittland, nicht vom Anwendungsbereich der EUSanktionen erfasst sind. Gleichwohl ist immer zu prüfen, ob nicht bereits aufgrund einer Weisung oder eines sonstigen Verhaltens der Muttergesellschaft selbst der Anwendungsbereich der Sanktionsverordnungen für die Mutter eröffnet ist. Die Kontrolle einer Tochter durch die Mutter ist zwar für sich genommen noch kein hinreichender Anknüpfungspunkt, allerdings kann u. U. – je nach Struktur der Gesellschaften – z. B. eine Weisung möglicherweise schnell angenommen bzw. konstruiert werden, so dass deshalb der Anwendungsbereich der Sanktionsverordnung eröffnet ist. III. Der weite Geltungsbereich von EU-Sanktionen IV. Die Erfassung auch von mittelbaren Handlungen Nicht selten herrscht die Auffassung vor, dass z. B. Tochterunternehmen außerhalb der EU nur an das für sie vor Ort geltende nationale Recht gebunden wären und nicht auch an EU-Sanktionsvorgaben. Gleiches solle zudem auch für alle Angestellten, Aufsichtsräte und Anteilseigner solcher Tochterunternehmen in Ländern außerhalb der EU mit oder ohne EU-Staatsangehörigkeit gelten. Der Geltungsbereich der EU-Sanktionen für Unternehmen in Deutschland endet jedoch nicht an der deutschen Grenze, sondern ist globaler zu betrachten. Das deutsche Außenwirtschafts(straf)recht hat im Zusammenspiel mit dem EU-Sanktionsrecht neben der Staatsangehörigkeit weitere vielfältige (strafrechtliche) Anknüpfungspunkte an Handlungen im Ausland, derer man sich bewusst sein sollte, um zu einer richtigen Beurteilung der Rechtslage und damit der Risiken für das eigene Unternehmen, für die Mitarbeiter, Organe und Anteilseigner zu gelangen. Das deutsche StGB knüpft in erster Linie an das Territorialitätsprinzip an, das dessen Geltung auf im Inland begangene Taten beschränkt. Eine Erweiterung erfährt dieses Prinzip u. a. durch das Flaggen- und Staatsschutzprinzip, sowie das aktive Personalitätsprinzip (Staatsangehörigkeitsgrundsatz). Letzteres hat im StGB nur noch vereinzelt und in eingeschränkter Form Bedeutung.6 Anders verhält es sich damit im Nebenstrafrecht des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) im Zusammenspiel mit EU-Sanktionsvorschriften, wo das Staatsangehörigkeitsprinzip bzw. im Fall von Unternehmen das Staatszugehörigkeitsprinzip besondere Bedeutung erfährt. Denn die Russland-Embargo-Verordnung der EU bestimmt in Art. 13 zu ihrem Geltungsbereich, dass sie nicht nur im Gebiet der Union gilt, sondern auch „innerhalb und außerhalb des Gebiets der Union“ für Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats sowie für nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete oder eingetragene juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen. Schließlich gelten die Sanktionen auch für solche Geschäfte, die zumindest teilweise in der Union getätigt werden. Die restriktiven Maßnahmen der EU-Russland-Embargo-Verordnung erfassen darüber hinaus neben unmittelbaren teilweise auch mittelbare Tathandlungen. Dadurch erweitert sich der Anwendungsbereich der Ge-/Verbotsnormen sowohl inhaltlich als auch räumlich. Der Verordnungsgeber will so z. B. Konstruktionen über Mittelsmänner innerhalb und außerhalb der EU erfassen. Vor diesem Hintergrund ist auch das sog. „mittelbare Bereitstellungsverbot“ zu verstehen.10 Im Falle von EU-Sanktionen gegen gelistete natürliche und juristische Personen dürfen diesen weder unmittelbar noch mittelbar „Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen“ zur Verfügung gestellt werden. Auch die EU-Sanktionen gegen Russland und zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine beinhalten mit der ersten 2 Vgl. die Übersicht von Schwendinger/Trennt, AWPrax 2014, 261 ff., 293 ff., und AWPrax 2015, 43 ff. 3 VO (EU) Nr. 269/2014 vom 17.3.2014 ABl. L 78/6; zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) 2015/427 vom 13.3.2015 ABl. L 70/1. 4 VO (EU) Nr. 692/2014 vom 23.6.2014 ABl. L 183/9; zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 1351/2014 vom 18.12.2014 ABl. L 365/46, wie berichtigt am 13.2.2015 ABl. L 37/24. 5 VO (EU) Nr. 833/2014 vom 31.7.2014 ABl. L 229/1 („EU-Russland-EmbargoVerordnung“); zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 1290/2014 vom 4.12.2014 ABl. L 349/20. 6 Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, vor §§ 3–7, Rn. 3. 7 Art. 2 Abs. 1 VO (EU) Nr. 833/2014; für Anhang II Technologie und Ausrüstung Art. 3 Abs. 1 VO (EU) Nr. 833/2014. 8 Art. 4 Abs. 3 lit. a) VO (EU) Nr. 833/2014. 9 Ausführlich Niestedt, Die Geltung des EU-Sanktionsrechts für Tochtergesellschaften und Niederlassungen, in: Ehlers/Wolffgang, Das Recht der Exportkontrolle – Bestandsaufnahme und Perspektiven, 2015, S. 243 ff. 10 S. Schwendinger, Das sanktionsrechtliche mittelbare Bereitstellungsverbot – Eine kritische Bestandsaufnahme unter besonderer Berücksichtigung der Verwaltungspraxis des BAFA, in: Ehlers/Wolffgang, Das Recht der Exportkontrolle – Bestandsaufnahme und Perspektiven, 2015, S. 333 ff. Compliance-Berater | 5/2015 | 5.5.2015 154 BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT Säule solche länderunabhängigen Sanktionslisten von natürlichen und juristischen Personen u. a. aus dem Umfeld von Wladimir Putin. Das mittelbare Bereitstellungsverbot verbietet jedes indirekte ZurVerfügung-Stellen, also z. B. eine Zuwendung, die nicht direkt an die gelistete Person, sondern an eine dritte Person erfolgt, die gelistete Person aber mittelbar begünstigt. Ein mittelbares Bereitstellen liegt auch dann vor, wenn Ressourcen an nicht gelistete Dritte geliefert werden, die zur Weitergabe an gelistete Personen bereit sind11, oder wenn etwa eine dritte Person die Schulden, die die gelistete Person bei einem Geschäftspartner hat, bezahlt.12 Eine solche Erweiterung des Bereitstellungsverbots auf mittelbare Bereitstellung ist zumindest unter deutschen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsätzen problematisch.13 In der Rechtssache „Afrasiabi“14 hat der EuGH festgestellt, dass auch bei einer Lieferung an eine nicht gelistete Person eine mittelbare Bereitstellung an die gelistete Person vorliegen kann, wenn der Empfänger „im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung einer in den Anhängen der Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung handelt und beabsichtigt, (die wirtschaftliche Ressource) zugunsten der (gelisteten Person) zu nutzen“.15 Bei der Frage, ob eine mittelbare Bereitstellung vorliegt, ist nicht allein auf das formale Kriterium der gesellschaftsrechtlichen Kontrolle (beherrschender Einfluss) abzustellen. Der Rat der EU hat Sanktionsleitlinien als Hilfe für die Auslegung des mittelbaren Bereitstellungsverbots erlassen.16 Den Leitlinien kommt mangels Gesetzescharakter keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Sie sind jedoch als „Soft Law“ von Bedeutung, da sie Ausdruck des gesetzgeberischen Willens bezüglich der zugrunde liegenden Verordnung sind.17 Ziff. 1 Abs. 1 der Leitlinien legt fest, dass grundsätzlich am formalen Kriterium der Beherrschung, insbesondere durch eine mehr als 50 %-ige Eigentumsbeteiligung, festgehalten wird. Zusätzlich soll diese grundsätzliche Vermutung für eine mittelbare Bereitstellung jedoch durchbrochen werden, wenn eine Risikoanalyse im Einzelfall ergibt, dass die Ressourcen ausnahmsweise nicht von der gelisteten Person verwendet werden oder ihr zugute kommen. Dabei sind insbesondere folgende – nicht abschließende – Kriterien maßgeblich: der Zeitpunkt des Vertragsschlusses; die Art der vertraglichen Verbindung zwischen Tochter- und Mutterunternehmen; die Nähe der Tätigkeitsbereiche von gelisteter und nicht gelisteter Gesellschaft sowie die Eigenschaften der gelieferten Ressource. Die Kriterien sind im Wege einer Gesamtbetrachtung in jedem Einzelfall daraufhin zu überprüfen,18 ob und inwieweit sie besondere Rückschlüsse auf eine Weitergabemöglichkeit zulassen. Das Problem der Erfassung mittelbarer Handlungen erschöpft sich nicht im Bereitstellungsverbot, sondern wird auch in anderen Konstellationen relevant. So ist etwa die „mittelbare“ Lieferung von DualUse-Gütern an militärische Endnutzer verboten19 und bedarf z. B. die mittelbare Lieferung bestimmter Ausrüstung und Technologie an Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder für eine Nutzung in Russland einer Genehmigung.20 V. Straf- und bußgeldrechtliche Folgen von EU-Sanktionsverstößen und ihr Haftungsmaßstab Der weite Anwendungsbereich der Sanktionen und deren teilweise Unbestimmtheit sind insbesondere deshalb problematisch, weil Verstöße erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Die strafund bußgeldrechtlichen Folgen von Verstößen gegen EU-Sanktionen richten sich mangels einer Gesetzgebungskompetenz der EU für Compliance-Berater | 5/2015 | 5.5.2015 Niestedt/Krause, Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? diesen Bereich nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Seit der Novellierung der Vorschriften zum Außenwirtschaftsrecht zum 1.9.2013 finden sich die deutschen Straf- und Bußgeldvorschriften in den §§ 17 ff. AWG und §§ 80 ff. AWV.21 Die Straftatbestände gelten unabhängig vom Begehungsort der Straftat und vom Belegenheitsort der Ware, wenn der Täter Deutscher ist (§§ 17 Abs. 7, 18 Abs. 10 AWG). Umgekehrt heißt das, dass z. B. Unternehmensangehörige ohne deutschen Pass für Verstöße gegen EU-Sanktionen, die sie im Ausland begehen, dafür nach deutschem AWG nicht verfolgt werden können. Die Anwendung des § 9 StGB (Ubiquitätsgrundsatz) kann dennoch in solchen Fällen dazu führen, dass mehrere Tatorte – im Ausland als auch im Inland – vorliegen, wodurch eine Strafverfolgung im Inland nach dem AWG auch für Ausländer in solchen Fällen ermöglicht wird. Unabhängig davon können EU-Staatsangehörige, wenn sie gegen EU-Sanktionsrecht verstoßen, sich aber dadurch nicht in Deutschland strafbar gemacht haben, nach den Strafvorschriften im EU-Land ihrer Staatsangehörigkeit strafrechtlich verfolgt werden. Sobald eine natürliche Person unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit nach den vorstehenden Vorschriften „in Deutschland“ an Zuwiderhandlungen gegen EU-sanktionsspezifische Ge- oder Verbote als Täter oder Teilnehmer beteiligt ist, sind die strafrechtlich haftungsbegründenden „Blankett-Tatbestände“ der §§ 17 ff. AWG objektiv erfüllt. Dieses für Zwecke der Strafverfolgung eher leichtgängige Ineinandergreifen von Nebenstrafrecht im AWG und EU-Sanktionsrecht wirft aufgrund des Bestimmtheitsgebotes und der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken auf,22 auf die die Rechtsprechung bislang mit einer restriktiven Auslegung der Blankettnormen des alten AWG reagierte. Zur „subjektive[n] Komponente für eine – eventuell strafrechtliche Haftung im Fall eines Verstoßes gegen das in Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung23 aufgestellte Verbot …“ äußerte sich der EuGH in der Rechtssache C-72/1124 in einem Obiter Dictum. Er stellt fest, „dass nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 423/2007 Personen nicht – und damit auch nicht strafrechtlich – haftbar gemacht werden können, wenn ihnen nicht bekannt war oder sie keinen triftigen Grund zu der Annahme hatten, dass sie durch ihr Handeln gegen das in Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung aufgestellte Verbot des Zurverfügungstellens verstoßen“. Dem Art. 12 Abs. 2 der vorgenannten EG-Verordnung gleichlautende Bestimmungen finden sich in vielen 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 BGH, 23.4.2010 – AK 2/10, NJW 2010, 2370, 2372, Rn. 20. So auch Dahme, AW-Prax 2007, 451, 453. So Schöppner, Wirtschaftssanktionen, 2013, S. 206. EuGH, 21.12.2011 – C-72/11, Afrasiabi, Slg 2011, I-14285. EuGH, 21.12.2011 – C-72/11, Afrasiabi, Slg 2011, I-14285, Rn. 57. Ratsdokument Nr. 5993/13 vom 1.2.2013 und ergänzend Ratsdokument Nr. 9068/13 vom 30.4.2013; darüber hinaus hat der Rat „bewährte Praktiken der EU für die wirksame Umsetzung. restriktiver Maßnahmen“ veröffentlicht, Rat der Europäischen Union, 8666/1/08 REV 1. Schwendinger, AW-Prax 2013, 103, 104. So auch Harings/Scheel, RdTW 2013, 185, 189 f. Art. 2 Abs. 1 VO (EU) Nr. 833/2014. Art. 3 Abs. 1 VO (EU) Nr. 833/2014. Dazu Niestedt/Trennt, BB 2013, 2115 ff. BGH, 23.4.2010 – AK 2/10, NJW 2010, 2370, Rn. 30; ebenso Niestedt, Embargo- und Sanktionsmaßnahmen, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. 97, unter Hinweis auf BVerfG, 3.7.1962 – 2 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174, 185 m. w. N. VO (EG) Nr. 423/2007 vom 19.4.2007, ABl. L Nr. 103/1. EuGH, 21.12.2011 – C-72/11, Afrasiabi, Slg 2011, I-14285, Rn. 12 und 55. Niestedt/Krause, Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? EU-Sanktions-Verordnungen, wie auch der EU-Russland-EmbargoVerordnung.25 Das „neue“ AWG trennt schärfer als das alte zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässige Handlungen sind nur noch bußgeldbewehrt – mit Ausnahme des fahrlässigen Verstoßes gegen ein Waffenembargo, also z. B. die fahrlässige Lieferung von Rüstungsgütern nach Russland. Vorsätzliche Verstöße gegen EU-Sanktionen sind dagegen immer Straftaten. Der Strafrahmen bei Straftaten liegt zwischen Geldstrafen und Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren; der Versuch ist zudem strafbar. Zu beachten ist auch, dass häufig eine Qualifizierung insbesondere in Form der gewerbsmäßigen Begehung vorliegen kann. Ordnungswidrig nach § 19 Abs. 1 AWG handelt, wer eine in § 18 Abs. 1 bis 4 oder Abs. 5 AWG bezeichnete Handlung (z. B. einen Verstoß gegen EU-Sanktionsge-/verbote) fahrlässig begeht. Das Bußgeld kann bis zu 500 000 Euro für jede Zuwiderhandlung gegen Ge- oder Verbote der EU-Russland-Embargo-Verordnung betragen. In der Praxis werden in Fällen von Verstößen gegen EU-Sanktionen auch die §§ 130, 9 OWiG herangezogen, da regelmäßig eine fahrlässige oder vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzung des Vorstands/der Geschäftsführung angenommen wird, wenn aus dem Unternehmen heraus Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen wurden. Das Höchstmaß der Geldbuße beträgt für solche Fälle eine Million Euro. Daneben oder auch unabhängig davon, kann ein Bußgeld gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG verhängt werden. Das Höchstmaß der Geldbuße kann nach dieser Vorschrift bis zu zehn Millionen Euro für vorsätzliche und fünf Millionen Euro für fahrlässige Handlungen betragen. Das gesetzliche Höchstmaß einer Geldbuße kann überschritten werden, wenn es unter dem aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen Vorteil liegt.26 Weitere mögliche Nebenfolgen sind der Verfall des gesamten mit dem Geschäft erzielten Erlöses (§ 73 StGB) oder die vollständige oder teilweise Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 GewO. Neben bußgeldrechtlichen Konsequenzen sind regelmäßig schwerer wiegend der vollständige oder auch nur temporäre Entzug von Zoll-Vereinfachungen und -Bewilligungen, was mit Zeit und Kosten für die Supply Chain verbunden ist, so dass Kunden schlechter bedient werden können, wodurch wiederum Reputationsschäden drohen. Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten erfolgt in der Praxis der Ermittlungsbehörden entsprechend streng. Beim Auffinden von Hinweisen (z. B. im Rahmen einer Außenwirtschafts- oder Zollprüfung), die einen hinreichenden Tatverdacht auf EU-sanktionsrechtliche Verstöße stützen, werden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Einzelfall kann dafür z. B. bereits eine einzige missverständliche handschriftliche Notiz in Zusammenhang mit einem Export ausreichen. VI. Die Handlungsmöglichkeiten zur Prävention von Verstößen und bei erkannten Verstößen Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass die Compliance im EUSanktionsrecht und deutschen und europäischen Exportkontrollrecht in der Eigenverantwortung der Unternehmen liegt und nicht beim Zoll oder anderen Behörden. Daher ist es unumgänglich, dass sich betroffene Unternehmen selbst organisieren, um die Einhaltung der für sie geltenden Vorschriften sicherzustellen und sich gleichzeitig vor Verstößen und deren Folgen zu schützen. Die Basis für ein BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 155 notwendiges eigenverantwortliches Handeln von Unternehmen sind funktionierende interne Prozesse, daher ein entsprechendes CMS. Es gibt allerdings kein Muster für ein CMS, das alle Erfordernisse aus der Exportkontrolle und dem Sanktionsrecht für sämtliche betroffenen Unternehmen bis ins Detail abdeckt. Vielmehr sind die individuellen Erfordernisse anhand des Geschäfts und der Struktur des Unternehmens zu ermitteln.27 1. Handlungsmöglichkeiten zur Prävention von Verstößen Um ein vor möglichen Verstößen gegen EU-Sanktionsvorschriften im Speziellen und gegen Exportkontrollvorschriften im Allgemeinen schützendes unternehmensinternes CMS aufzubauen bzw. zu verbessern, ist zunächst eine Bestandsaufnahme über die jeweilige Betroffenheit des Unternehmens von den EU-Sanktionen mit ihren gegenwärtigen und ggf. auch zukünftig geplanten Geschäften vorzunehmen. Die Bestandsaufnahme liefert ein Risikoprofil, welches in der Diskussion mit allen Beteiligten im Unternehmen durch entsprechende, dafür zu verabschiedende Maßnahmen (z. B. Verantwortlichkeiten, Prozessbeschreibungen, Prozessinformations- und Genehmigungspflichten, Managementberichtspflichten etc.) eingegrenzt und minimiert werden muss. Alle Maßnahmen sind entsprechend zu dokumentieren, zu kommunizieren und zu kontrollieren. Hierfür können der Prüfungsstandard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW PS 980), die im Dezember 2014 veröffentlichte ISO 19600 Compliance Management Systems-Guidelines sowie das Merkblatt des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) „Internal Compliance Programmes – ICP“28 Hilfestellung geben. Ziel sollte es sein, ein möglichst selbständig handlungsfähiges, nachhaltiges und auf kontinuierliche Verbesserung eingestelltes CMS für den Bereich der EU-Sanktionen und der Exportkontrolle zu errichten. Nach IDW PS 980 gliedert sich ein CMS in sieben miteinander in Verbindung stehende Grundelemente: 1. Compliance-Kultur 2. Compliance-Ziele 3. Compliance-Risiken 4. Compliance-Programm 5. Compliance-Organisation 6. Compliance-Kommunikation 7. Compliance-Überwachung/Verbesserung. a) Compliance Kultur Die Compliance-Kultur ist nicht nur das Fundament, auf welchem das Gebäude des CMS errichtet und dauerhaft fest stehen sollte, sondern der alles umfassende Baustoff, der alle Teile des Gebäudes im Zweifel zusammen und miteinander verbunden hält. Zur ComplianceKultur gehört der richtige „Tone at the Top“, also das klare und deutliche Führungsverhalten der Geschäftsleitung. Der richtige Tone at the Top, wie auch das permanente Vorleben und Kommunizieren der so propagierten Werte, ist für eine Compliance-Kultur von enormem Wert. Fehlt dieses Fundament der Compliance-Kultur oder ist es nicht ausreichend ausgebildet, können alle anderen darauf aufsetzenden 25 Art. 10 VO (EU) Nr. 833/2014. 26 § 30 Abs. 3 i. V. m. § 17 Abs. 4 OWiG. 27 S. auch Niestedt, Die Organisation der innerbetrieblichen Exportkontrolle im Unternehmen, in: Jahrbuch Außenwirtschaft, 2012, S. 16 ff. 28 Stand Januar 2014, abrufbar unter www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/arbeitshilfen/merkblaetter/index.html (Abruf: 8.4.2015). Compliance-Berater | 5/2015 | 5.5.2015 156 BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT Gebäudeteile nicht entsprechend stabil aufgebaut werden. Bei Sanktionen und Exportkontrollen besteht das praktische Problem, dass die Geschäftsführung Inhalt, Reichweite und die mögliche Risiken aus diesen Bereichen eventuell mangels besserer Kenntnis unterschätzt und schon daher in einem solchen Fall nicht den erforderlichen Tone at the Top trifft. Umso bedeutender ist die Sensibilisierung der Geschäftsführung durch die Mitarbeiter, die mit derartigen Fragen regelmäßig konfrontiert sind. b) Compliance-Ziele Im Rahmen des „Tone at the Top“ sollten die Ziele eines CMS für das Sanktions- und Exportkontrollrecht von der Geschäftsführung ausgegeben werden. Hierzu ist es wiederum erforderlich, die Reichweite und die möglichen Risiken, die aus diesen Bereichen drohen, zu kennen und daraus die Ziele zu formulieren. Zu den Zielen gehört auch die Vermeidung von Reputationsschäden, die bereits durch die Einleitung von Ermittlungen durch die Behörden wegen vermuteter Zuwiderhandlungen entstehen können. Auch wenn es für die Geschäftsführung selbstverständlich sein mag, dass sich die Mitarbeiter/innen des Unternehmens an alle für sie geltenden Regeln halten, so helfen solche Zielvorgaben der Geschäftsführung bei der schwierigen Aufgabe der Umsetzung von Maßnahmen im Bereich der Sanktionen und der Exportkontrolle in der betrieblichen Praxis – also dort, wo Arbeitsfehler und Verstöße v. a. vorkommen können. Sinnvoll ist es daher, die wesentlichen anwendbaren und zu beachtenden Rechtsgrundlagen explizit z. B. in einem Rechtskataster zu benennen, für alle Mitarbeiter/innen transparent zu machen und diese damit für diese Themen zu sensibilisieren. c) Compliance-Risiken Die wesentlichen Compliance-Risiken des Unternehmens sollten aus Sicht des Sanktions- und Exportkontrollrechts identifiziert sein. Dabei sollte jedoch kein optimistischer best-case-Ansatz, sondern ein realistischer worst-case-Ansatz verfolgt werden, um ein die speziellen Risiken umfassendes Programm zur Prävention installieren zu können. d) Compliance-Programm Auf der Grundlage der Beurteilung der Compliance-Risiken sind Grundsätze und Maßnahmen einzuführen, die auf eine Begrenzung der Risiken und damit auf die Prävention von Compliance-Verstößen ausgerichtet sind. Empfehlenswert ist z. B. der Ansatz eines Projekts zum Aufbau oder zur Optimierung der Compliance-Funktion im Bereich des Sanktionsrechts und der Exportkontrolle mit allen für ein solches Projekt erforderlichen Vorgaben. Die aus dem Projekt festgestellten und verabschiedeten Aktionspunkte können anschließend in der Organisation umgesetzt und kontrolliert werden. Dazu kann auch etwa die regelmäßige Überwachung des Einbaus von gelieferten Waren vor Ort in Russland gehören, um eine Weitergabemöglichkeit an gelistete Personen möglichst auszuschließen, oder die Reorganisation von Entscheidungsprozessen, um z. B. einer im Drittland ansässigen Tochtergesellschaft eine größere Autonomie bei geschäftlichen Entscheidungen einzuräumen und damit eine Zurechnung von Verhaltensweisen zu vermeiden. e) Compliance-Organisation Dem Bild eines Compliance-Gebäudes folgend, welches auf dem Fundament der Compliance-Kultur steht, sind die Aufbau- und Ablauforganisation die tragenden Säulen in diesem Gebäude. Eine Compliance-Berater | 5/2015 | 5.5.2015 Niestedt/Krause, Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? entsprechend der Compliance-Kultur, den Compliance-Zielen und -Risiken optimal aufgestellte Aufbau- und Ablauforganisation zum Sanktionsrecht und der Exportkontrolle zu implementieren, zu optimieren und dauerhaft zu unterhalten, ist schon wegen der Komplexität und Schnelllebigkeit dieser Materie eine Herausforderung. Unternehmen, die genehmigungspflichtige Exportvorgänge tätigen, haben nach den Grundsätzen der Bundesregierung29 zwingend aus ihrer Geschäftsleitung eine Person als Ausfuhrverantwortliche(n) zu benennen, welche(r) besondere persönliche Pflichten zu erfüllen hat – nämlich die der Personalauswahl, Personalweiterbildung, Organisation und Überwachung. Unternehmen, die mangels genehmigungspflichtiger Ausfuhren keinen Ausfuhrverantwortlichen benötigen, aber dennoch vom Sanktions- und Exportkontrollrecht betroffen sind, treffen die gleichen Pflichten, die auch von der Geschäftsleitung – dann im Zweifel als Gesamtverantwortliche – zu erfüllen sind. Bei der Personalauswahl der für die Einhaltung des EU-Sanktionsund Exportkontrollrechts beauftragten Personen außerhalb von Vorstand und Geschäftsführung ist neben fachlicher Kompetenz und Integrität die Fähigkeit zur Kommunikation von besonderer Bedeutung. Die unter der Geschäftsleitung für diese Themen verantwortliche(n) Person(en) sollte(n) entsprechend ermächtigt sein, um notfalls auch kritische Transaktionen stoppen zu dürfen. Es ist sinnvoll, die besondere Stellung, Rechte und Pflichten der so ausgewählten Person(en) arbeitsvertraglich festzuhalten. Geboten ist es, dass der Geschäftsleitung regel- und unregelmäßig zur Praxis und zu Änderungen im Sanktions- und Exportkontrollrecht berichtet wird. Anderenfalls lässt sich im Falle von Verstößen schlecht nachweisen, dass die Geschäftsleitung ihren besonderen Verpflichtungen aus diesem Bereich auch nachgekommen ist. In Bezug auf die Ablauforganisation ist weiter sicherzustellen, dass die Anforderungen aus dem Sanktionsrecht und der Exportkontrolle an den richtigen Schnittstellen rechtzeitig beachtet werden können. Das dafür erforderliche Informationsmanagement kann mit Hilfe von IT-Lösungen unterstützt werden. Auch regelmäßige Besprechungen zwischen den betroffenen Abteilungen zur Umsetzung der Anforderungen des Sanktionsrechts und der Exportkontrolle verbessern die notwendige Sensibilität, Transparenz und Akzeptanz in Unternehmen. Abgerundet wird die Ablauforganisation durch eine transparente Dokumentation der Prozesse für alle Beteiligten, die stets auf dem aktuellen Stand zu halten ist. f) Compliance-Kommunikation Compliance erfordert auch im Bereich der Sanktionen und der Exportkontrolle nicht nur ein gutes Informationsmanagement, sondern auch eine gute Kommunikation sowohl mit allen Beteiligten im Unternehmen, zu den Kunden und Lieferanten als auch zu den Behörden. Sich häufig ändernde und teilweise komplexe Anforderungen erfordern kurze Wege zu deren Bewertung und Umsetzung im Unternehmen, wie auch eine hohe Bereitschaft aller Beteiligten daran mitzuwirken. Vertrieb, Marketing, Customer Service, Entwicklung, Finanzen sind u. a. Abteilungen, die in ihrer Rolle als „Augen und Ohren“ für die Compliance im Sanktionsrecht und in der Exportkontrolle unterstützen müssen. Ungewöhnliche Geschäftspartner, Anfragen, Aufträge, Lieferwege, Zahlungsmodalitäten etc. werden von diesen 29 Grundsätze der Bundesregierung zur Prüfung der Zuverlässigkeit von Exporteuren vom 25.7.2001 (BAnz S. 17 177). Niestedt/Krause, Sanktionsmaßnahmen der EU – globale oder nur lokale Compliance-Herausforderung für deutsche Unternehmen? Abteilungen oft zuerst bemerkt. Solche Beobachtungen, die als „Red Flags“ definiert werden sollten, können Hinweise auf mögliche unzulässige Beschaffungsversuche sein. Ändern sich interne Prozesse oder sind solche Änderungen in der Planung, ist durch eine rechtzeitige Einbindung der Exportkontrolle sicherzustellen, dass das vorhandene CMS dadurch nicht verschlechtert oder gar ausgehebelt wird und somit alle Bedingungen für ein erfolgreiches „Go Live“ von neuen Prozessen erfüllt sind. g) Compliance-Überwachung/Verbesserung Das Sanktionsrecht und die Bestimmungen zur Exportkontrolle sind komplex und können sich wegen der Nähe zu politischen Entwicklungen täglich ändern. Aufgrund der möglichen Konsequenzen von Verstößen ist mit Blick auf die eigene Risikobewertung eine diesen Anforderungen entsprechende Überwachung der Aufbau- und Ablauforganisation sicherzustellen. Sowohl die interne Revision als auch externe Prüfer kommen für wiederkehrende systematische Prüfungen und das Nachhalten von Verbesserungen in Betracht. Unabhängig davon kann durch das Einfordern von regelmäßigen Berichten zu Sanktions- und Exportkontrollaufgaben eine kontinuierliche Überwachung und Verbesserung unterstützt werden. Für bestimmte Vorgänge sollte das Vier-Augen-Prinzip vorgeschrieben und dessen Einhaltung jedenfalls stichprobenweise überwacht werden. Hilfreich sind auch regelmäßige Mitarbeiterbefragungen zur Wahrnehmung und Umsetzung der Compliance-Kultur. 2. Handlungsmöglichkeiten bei erkannten Verstößen Bei hinreichendem Verdacht von Verstößen gegen Sanktionsvorschriften ist der Sachverhalt, ggf. mit externer Unterstützung, zunächst weiter aufzuklären. Die Aufklärung ist zu dokumentieren. Die Ursache des Verstoßes ist zu ermitteln und gleichzeitig sind organisatorische Gegenmaßnahmen zu Vermeidung von wiederholten Verstößen in der Zukunft (a) zu entscheiden, (b) zu kommunizieren und (c) zu kontrollieren. Sodann sollte der Vorfall den Behörden gegenüber regelmäßig angezeigt werden – eine (indirekte) Verpflichtung hierzu besteht allerdings nur für Zugelassene Wirtschaftsbeteiligte. Bei strafbaren Handlungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) gibt es keine strafbefreiende Selbstanzeige, aber eine Selbstanzeige als Bestandteil eines grundsätzlich funktionsfähigen CMS räumt dem Berater/Verteidiger, den Ermittlungsbehörden und den Gerichten mehr Spielraum in den Verfahren zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten und ihren möglichen Nebenfolgen ein. Bei bestimmten und lediglich fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeiten hat eine „Selbstanzeige“ bzw. Offenlegung nach der Vorschrift des § 22 Abs. 4 AWG30 unter den vorgenannten Voraussetzungen eine strafbefreiende Wirkung. Dabei ist aber darauf zu achten, dass die Selbstanzeige vollständig ist. BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 157 für sich isoliert zu betrachten, um etwa auch mögliche mittelbare Verstöße gegen EU-Sanktionsver- und -gebote ausschließen zu können. Eine Best Practice für den Aufbau oder die Optimierung eines CMS im EU Sanktions- und Exportkontrollrecht sollte sich an dem „IDW Prüfungsstandard 980“ im Allgemeinen, den ISO 19600 Compliance Management Systems und an dem Merkblatt des BAFA zu „Internal Compliance Programmes“ im Speziellen orientieren. Darüber hinaus ist aber jeweils den Besonderheiten und Erfordernissen des Unternehmens Rechnung zu tragen. EU-Sanktionsverordnungen und ihre Änderungen treten mit ihrer Verkündung im Amtsblatt der EU stets unmittelbar in Kraft. Dadurch entfällt die Möglichkeit einer längeren vorherigen Auswertung der Vorschriften durch Unternehmen. Verschärft wird dies zum einen noch dadurch, dass die Gesetzgebung in dem Bereich schnell erfolgt – mit entsprechendem Fehlerrisiko bzw. Unklarheiten – und sich auch laufend ändert; zum anderen dadurch, dass transnational agierende Unternehmen nicht nur das EU-Recht, sondern insbesondere auch die Bestimmungen des US-Rechts zu beachten haben. Best Practice ist es, in einer Art „Taskforce“ alle dafür erforderlichen Bereiche des Unternehmens zusammenzuziehen, um kurzfristig – soweit Sanktionsmaßnahmen absehbar sind, ggf. auch präventiv – die Auswirkungen der Sanktionen und ihrer Änderungen für das Unternehmen zu bestimmen und Maßnahmen zu erarbeiten, die der Einhaltung der Compliance-Anforderungen und Information bzw. Entscheidungsvorlage der Geschäftsführung dienen. AUTOREN Marian Niestedt, RA, ist Partner bei der GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbH am Standort Hamburg im Bereich Zoll und Außenhandel. Ein Schwerpunkt ist die Beratung auf dem Gebiet der Sanktionen und der Exportkontrolle und hier speziell zu Fragen der Compliance. Dipl.-Finw. (Zoll) Axel Krause ist Rechtsanwalt bei GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbH am Standort Düsseldorf im Bereich Zoll und Außenhandel. Ein Schwerpunkt ist die Beratung auf dem Gebiet der Sanktionen und der Exportkontrolle und hier speziell zu Fragen der Compliance. VII. Fazit Der Geltungsbereich des EU-Sanktions- und Exportkontrollrechts ist für deutsche Unternehmen global zu betrachten. Dadurch ist die gesamte Supply Chain und das gesamte Unternehmen im In- und Ausland mit seinen Organen, Mitarbeitern und Gesellschaftern auf eine Betroffenheit zu überprüfen. Dies bedeutet, dass Vorkehrungen zur Vermeidung von Verstößen auch auf globaler Ebene entschieden, umgesetzt und kontrolliert werden müssen. Supply Chains sind nicht 30 Vgl. Krause, Novelle des AWG – Die neue Selbst(kontroll)anzeige, ExportManager 5/2013, 22; Niestedt, Klarstellung zur Selbstanzeige nach dem AWG, ExportManager 2/2014, 16. Compliance-Berater | 5/2015 | 5.5.2015
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