Neufassung von DIN 4108-3 zur rechnerischen

Bauphysik
2
37. Jahrgang
April 2015, S. 132–136
ISSN 0171-5445
A 1879
Wärme | Feuchte | Schall | Brand | Licht | Energie
Sonderdruck
Neufassung von DIN 4108-3
zur rechnerischen
Feuchteschutzbeurteilung
Hartwig M. Künzel
Klaus Peter Sedlbauer
U1-Sedlbauer.indd 1
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Projekt1
19.10.2007
08:32
Seite 1
Berichte
DOI: 10.1002/bapi.201420000DOI: 10.1002/bapi.201520015
Neufassung von DIN 4108-3 zur rechnerischen
Feuchteschutzbeurteilung
Hartwig M. Künzel
Klaus Peter Sedlbauer
Die Bauphysik, die heute die Grundlage für eine höhere Energieeffizienz
im Gebäudebereich darstellt, hat sich
im Wesentlichen aus experimentellen
Untersuchungen und empirischen Erfahrungen entwickelt. Während numerische Rechenverfahren auf den Gebieten der Tragwerksplanung und der
Energieoptimierung bereits seit langem
zum Standardrepertoire von Bauingenieuren gehören, setzen sich Simulationsverfahren zur Beurteilung des
feuchtetechnischen Verhaltens von
Baukonstruktionen nur langsam durch.
Gleichzeitig wird von vielen Planern
nach wie vor das in den 1950er Jahren
entwickelte Glaser-Verfahren [1] eingesetzt. Im Folgenden werden die Hintergründe beider Berechnungsmethoden
und die dazugehörenden Normen kurz
zusammengefasst.
1 Dampfdiffusionsberechnung
nach Glaser
Die derzeit gültige Norm für die Feuchteschutzbeurteilung von Außenbauteilen ist der Teil 3 der deutschen Norm
DIN 4103 [2]. Neben Hinweisen zum
Schlagregenschutz werden in dieser
Norm der Schutz von Bauteilen nicht
klimatisierter Wohnräume oder wohnähnlich genutzter Räume vor winterlichem Tauwasser behandelt. Dabei wird
davon ausgegangen, dass keine Rohbaufeuchte in der Konstruktion vorhanden ist. Ebenfalls nicht berücksichtigt
werden sog. sommerliche Umkehrdiffusionsprozesse, bei denen Wasserdampf
von außen in ein Bauteil eindringt und
kondensiert. Das vor allem in den skandinavischen Ländern und in Nordamerika gefürchtete Phänomen tritt auf,
wenn die Sonne auf ein regennasses
Bauteil scheint und dieses erwärmt.
Für den feuchtetechnischen Nachweis von Bauteilen bezieht sich
DIN 4108-3 nach wie vor auf das sog.
Glaser-Verfahren [1] wobei als Alternative auch der Nachweis mithilfe der
hygrothermischen Simulation gemäß
[3] zulässig ist. Das Verfahren betrachtet ausschließlich Dampfdiffusionsvorgänge unter winterlichen Bedingungen.
Es arbeitet mit stationären Randbedingungen und vernachlässigt alle wärmeund feuchtetechnischen Speicherphänomene sowie den Feuchtetransport
durch Kapillarleitung, die vor allem bei
mineralischen Baustoffen eine große
Rolle spielen. In der Fassung von November 2014 wurden gegenüber früher
neue Randbedingungen für die Tauund für die Verdunstungsperiode eingeführt.
Das neue Rechenverfahren nennt
sich Perioden-Bilanzverfahren. Es geht
davon aus, dass für die Tauwasserbildung und die anschließende Verdunstung in erster Linie die Winter- bzw.
Sommermonate eine Rolle spielen,
während die Übergangszeiten von untergeordneter Bedeutung sind. Deshalb
werden die Diffusionsberechnungen
nicht wie in DIN EN ISO 13788 [4]
auf der Basis von Monatsmittelwerten
durchgeführt. Stattdessen werden die
Wintermonate zu einer 90-tägigen Tauperiode und die Sommermonate zu
einer 90-tägigen Verdunstungsperiode
zusammengefasst. Dadurch gelingt es,
das neue Verfahren sehr ähnlich aussehen zu lassen, wie das alte. Allerdings
wurden jetzt die Randbedingungen an
die tatsächlich auftretenden Klimabedingungen angepasst. Für die Tauperiode gelten fortan die Randbedingungen gemäß Tabelle 1.
Der Vergleich mit den bisherigen
Blockrandbedingungen zeigt nur bei
der Außenlufttemperatur eine leichte
Anhebung von –10 °C auf –5 °C. Allerdings ist die Tauperiode bei den neuen
Randbedingungen um 50 % länger, sodass für manche Konstruktionen eine
etwas höhere Tauwassermenge zu verzeichnen sein wird.
Bei der Verdunstungsperiode
wird darauf verzichtet, die Temperaturen und relativen Luftfeuchten anzugeben. Hier werden nur noch die
Wasserdampfpartialdrücke als Randbedingungen definiert (Tabelle 2). Das
hat den Vorteil, dass es auf dem Papier nicht mehr zu einer Überschneidung von Dampfdruck und Sättigungsdampfdruck kommen kann.
Tabelle 1. Tauperiode: Klimabedingungen für den stationären Feuchteschutznachweis mit dem Perioden-Bilanzverfahren nach DIN 4108-3:2014-11 [2]
Tauperiode
Temperatur
[°C]
Relative Feuchte
[%]
Wasserdampfpartialdruck
[Pa]
Raumklima
Außenklima
20
50
1168
–5
80
321
Dauer
[h]
2160
Tabelle 2. Verdunstungsperiode: Klimabedingungen für den stationären Feuchteschutznachweis mit dem Perioden-Bilanzverfahren nach DIN 4108-3:2014-11 [2]
Verdunstungsperiode
Temperatur Relative Feuchte Wasserdampfpartialdruck
[°C]
[%]
[Pa]
Raumklima
–
–
1200
Außenklima
–
–
1200
TW-Ebene Wand
15,0
100
1700
TW-Ebene Dach
17,5
100
2000
Dauer
[h]
2160
(90 d)
© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 37 (2015), Heft 2, S. 132–136
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Die inneren und äußeren Wasserdampfpartialdrücke sind wie bisher
gleich groß. Sie wurden jedoch von
982 auf 1200 Pa angehoben, was beispielsweise bei einer Luftfeuchte von
70 % einer Temperatur ca. 15 °C entspricht. Ebenfalls angehoben wurden
die Partialdrücke in den Tauwasserebenen für Wände und Decken unter
nicht ausgebauten Dachräumen. Sie
betragen jetzt 1700 Pa (Sättigungsdampfdruck bei 15 °C) statt vorher
1403 Pa. Dafür wurde der Partialdruck
in der Tauwasserebene von Dächern
von 2340 auf 2000 Pa abgesenkt (Sättigungsdampfdruck bei 17,5 °C). Diese
Absenkung ist sicherlich ein Schritt in
die richtige Richtung, da der bisherige
„Dachbonus“ (Oberflächentemperatur
von 20 °C) in vielen Fällen (z. B. nordorientierte Dächer oder Flachdächer
mit hellen Dachbahnen) ungerechtfertigt war und damit die Gefahr bestand,
zu günstige Ergebnisse zu erhalten [5].
Vergleichsuntersuchungen mit
den alten und neuen Randbedingungen in [6] haben für verschiedene
Wand- und Dachkonstruktionen im
Großen und Ganzen ähnliche Beurteilungen ergeben. Allerdings gibt es auch
Beispiele für unterschiedliche Ergebnisse. Wenn beispielsweise in einer
Konstruktion erst bei Außentemperaturen unter –5 °C Tauwasser ausfällt,
dann sind die alten Randbedingungen
kritischer. Fällt Tauwasser über –5 °C
aus, dann können die neuen Randbedingungen kritischer sein, weil die
Tauperiode länger andauert. Hier wird
erst die langjährige Praxis zeigen, ob
diese Unterschiede im Einzelfall eine
wesentliche Rolle spielen. Die neuen
Randbedingungen der Verdunstungsperiode sind für Wände tendenziell
etwas günstiger als die alten.
Umgekehrt ist es bei Flachdächern; hier sind die neuen Randbedingungen wegen des reduzierten Wasserdampfpartialdrucks in der Tauwasserebene meist etwas ungünstiger als
die alten.
2 Hygrothermische Simulation
DIN 4108-3 [2] enthält ein dreistufiges Bemessungskonzept. Für nichtklimatisierte Wohnräume oder wohnähnlich genutzte Räume wird eine
Reihe von Konstruktionen aufgeführt,
die keines rechnerischen Tauwassernachweises bedürfen (nachweisfreie
Konstruktionen). Für diese Konstruk-
4
tionen sollte auch keine Glaserberechnung durchgeführt werden, denn
es besteht hier die Gefahr, dass sie
durchfallen obwohl sie sich in der
Praxis bewährt haben. Dies gilt insbesondere für Mauerwerkskonstruktionen mit ausgeprägten kapillarleitenden Eigenschaften, die bei der stationären Dampfdiffusionsberechnung
keine Berücksichtigung finden.
Konstruktionen, die nicht als
nachweisfrei aufgeführt sind und die
nicht unter die o. g. Ausschlusskriterien fallen, dürfen mithilfe des Periodenbilanzverfahrens (Glaser-Verfahren mit den Randbedingungen von
2014, siehe Tabellen 1 und 2) beurteilt
werden (2. Stufe). Sollten sie dabei
durchfallen, kann als 3. Stufe ein
Nachweis nach Anhang D der Norm
durchgeführt werden. Bauteile von
klimatisierten Räumen oder ausgeschlossene Sonderkonstruktionen, wie
z. B. Gründächer, können nur mithilfe der in Anhang D angesprochenen hygrothermischen Simulationsverfahren beurteilt werden.
Die Durchführung einer hygrothermischen Simulation ist allerdings
komplizierter als eine Glaser-Berechnung und erfordert mehr Eingangsdaten, die nicht immer alle vorhanden
sind. Außerdem sollte der Anwender
eine gewisse Erfahrung im Umgang mit
numerischen Berechnungsmethoden
mitbringen. Die Möglichkeiten und
Grenzen der hygrothermischen Simulation sowie ihre Anwendung zur Feuchteschutzbeurteilung sind Gegenstand
von DIN EN 15026 [3], deren Inhalt im
nächsten Abschnitt kurz zusammengefasst wird. Ausführliche Erläuterungen
zur Feuchteschutzbeurteilung mithilfe
der hygrothermischen Bauteilsimulation finden sich u. a. in [7].
DIN EN 15026, europäische Norm
zur hygrothermischen Bauteilsimulation
Die europäische Norm DIN EN 15026
„Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Bauteilen und Bauelementen – Bewertung der Feuchteübertragung durch numerische Simulation“
basiert auf den Inhalten des WTAMerkblatts 6-2 „Simulation wärmeund feuchtetechnischer Prozesse“ von
2001 [8], das auch ins Englische übertragen wurde. Die ursprüngliche Motivation der WTA (in den 1970er Jahren als internationaler Verein mit dem
Namen Wissenschaftlich-Technische
Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege gegründet) ein Merkblatt zur hygrothermischen Simulation zu erstellen, ergab
sich aus dem Problem, dass die genormten stationären Rechenmethoden keine Aussagen zur Trocknung
feuchter Mauern oder zu den Folgen
der Umnutzung alter Gebäude zuließen. Für eine solide Sanierungsplanung war deshalb der Einsatz hygrothermischer Simulationsverfahren der
einzige Ausweg. Zur Qualitätssicherung dieser Rechenverfahren und ihrer Nutzung wurden deshalb zwei
Merkblätter herausgegeben [8], [9], die
dem Praktiker bei der Auswahl und
Anwendung dieser Rechenverfahren
helfen sollten. Etwas später wurde
diese Reihe durch ein drittes Merkblatt [10] ergänzt, das eine Prognose
des Schimmelpilzwachstumsrisikos
auf der Basis der berechneten instationären Oberflächentemperatur- und
Feuchteverhältnisse ermöglicht.
Die DIN EN 15026 bildet die
Grundlage für die Auswahl eines hygrothermischen Simulationsverfahrens
und für dessen Anwendung in der Praxis. Im ersten Teil sind die Möglichkeiten und Grenzen der mathematischen
Ansätze und Modelle, die in der Norm
behandelt werden, zusammengefasst.
Um den Anforderungen gerecht zu
werden, muss ein Rechenmodell folgende Speicher- und Transportphänomene berücksichtigen:
– Wärmespeicherung des trockenen
Baustoffes und des absorbierten
Wassers;
– Wärmetransport durch feuchteabhängige Wärmeleitung;
– Wärmeübertragung durch Dampfdiffusion (mit Phasenwechsel, d. h.
Verdunstung und Kondensation);
– Feuchtespeicherung durch Wasserdampfsorption und Kapillarkräfte;
– Feuchtetransport durch Dampfdiffusion;
– Flüssigtransport durch Oberflächendiffusion und Kapillarleitung.
Nicht anwendbar sind die genormten
Ansätze für:
– Luftkonvektion durch Öffnungen
und Risse;
– Zweidimensionale Effekte (z. B.
aufsteigende Feuchte, Bedingungen
im Bereich von Wärmebrücken,
Wirkung von Gravitationskräften);
– hydraulische Drücke, Elektrophorese oder Osmose;
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– Dampftransportvorgänge bei längerfristig höheren Temperaturen
(> 50 °C).
Teil 4 der Norm beschreibt die physikalischen Grundlagen für die hygrothermischen Speicher- und Transportphänomene mit Angabe der entsprechenden Bilanz- und Transportgleichungen.
Außerdem werden die notwendigen
Materialparameter definiert und deren
funktionale Abhängigkeiten von den
Transportkenngrößen (Temperatur
und relative Feuchte bzw. Kapillardruck) erläutert.
Teil 5 befasst sich mit den Randund Anfangsbedingungen. Sollen die
Auswirkungen der natürlichen Bewitterung berechnet werden, sind die folgenden Außenklimaparameter in Form
von Stundenmittelwerten erforderlich:
– Außenlufttemperatur;
– Außenluftfeuchte;
– Solare Einstrahlung;
– Langwellige Abstrahlung;
– Niederschlag, Windgeschwindigkeit und -richtung.
Für die äußeren und inneren Randbedingungen gibt die Norm jeweils drei
verschiedene Qualitätsstufen an. Bei
den Außenklimabedingungen sind das:
1. Wahl
Messdaten aus mindestens 10 Jahren.
3. Wahl
Ermittlung der Raumluftbedingungen
aus festgelegten Feuchteproduktionsund Luftwechselraten.
Falls keine dieser Auswahlmöglichkeiten praktikabel ist, kann die Raumluftfeuchte auch gemäß Anhang C in
einfacher Weise aus der Außenlufttemperatur abgeleitet werden (Bild).
Zur Qualitätssicherung der Simulationsverfahren enthält die Norm
außerdem im normativen Anhang A
ein Validierungsbeispiel, für das eine
analytische Lösung existiert. Dazu
wird beschrieben, in welchen Bereichen sich die numerischen Rechenergebnisse bewegen dürfen, damit das
Simulationsverfahren den Anforderungen der Norm genügt.
Seit dem Erscheinen von DIN
EN 15026 ist die Akzeptanz und
praktische Anwendung von hygrothermischen Simulationsverfahren
zur Feuchteschutzbeurteilung von
Bauteilen stark angestiegen. In begründeten Fällen kann es weiterhin
ausreichend sein, nur eine Glaser-Berechnung durchzuführen, allerdings
müssen das beurteilte Bauteil und der
geplante Einsatz auch dafür geeignet
sein. Für unerfahrene Anwender ist es
sinnvoll, zu Anfang beide Beurteilungsmethoden einzusetzen, um die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
zu eruieren.
2. Wahl
Referenzjahr, das die schwerwiegendsten Probleme verursacht, die wahrscheinlich einmal in zehn Jahren auftreten. Das kann je nach Situation ein
besonders kaltes oder warmes Jahr
sein (winterliche oder sommerliche
Tauwasserbildung).
3. Wahl
Mittlerer Wetterdatensatz, mit dem
durch eine jährliche Temperaturverschiebung von ± 2 K ein extremes Jahr
simuliert wird.
Die Klassifizierung der einzusetzenden Raumklimabedingungen lautet:
1. Wahl
Messwerte für ein ähnliches Gebäude
in einem ähnlichen Klima oder durch
Klimaanlagen festgelegte Sollwerte.
2. Wahl
Ergebnisse aus hygrothermischen Gebäudesimulationsrechnungen.
Diagramm zur Bestimmung der Raumluftfeuchte Φi [% r.F.] in Abhängigkeit
von der Außenlufttemperatur θe [°C]
auf der Basis von Tagesmittelwerten
gemäß Anhang C von DIN EN 15026
[3];
A: normale Belegung,
B: hohe Belegung
3 Beurteilung der Ergebnisse
von Glaser-Berechnung und
hygrothermischer Simulation
Die Ergebnisbeurteilung der stationären Glaser-Berechnungen nach DIN
4108-3 [2] ist im Prinzip sehr einfach.
Es muss während der Verdunstungsperiode mehr Wasser verdunsten können als in der Tauperiode kondensiert
und die maximal anfallende Tauwassermenge darf 1000 g/m² nicht überschreiten. Ist die Materialschicht in
der Tauwasserebene nur gering kapillar wasseraufnahmefähig (w ≤ 0,5 kg/
—
(m²√h)), ist die maximal zulässige Tauwassermenge auf 500 g/m² begrenzt.
Für Holz- und Holzwerkstoffe gelten
andere Bedingungen, die eine noch
stärkere Begrenzung der Tauwassermenge zur Folge haben können.
Es ist nicht ganz klar, wie die
Werte für die zulässigen Tauwassermengen begründet sind. Im Fall von
nicht wasseraufnahmefähigen Schichten besteht die Gefahr, dass anfallendes Tauwasser abläuft und sich damit
an einer anderen Stelle eine entsprechend höhere Feuchtebelastung einstellt. Allerdings zeigen die Erfahrungen, dass das Ablaufen von Tauwasser
nicht erst bei einer Flächenmasse von
500 g/m² eintritt, sondern in der Regel
bereits bei etwa einem Drittel dieser
Menge. DIN EN ISO 13788 [4] merkt
deshalb an, dass das Risiko von ablaufendem Tauwasser bei Überschreiten
der Menge von 200 g/m² sehr hoch ist.
Die Beurteilung der Ergebnisse
von hygrothermischen Simulationsberechnungen bedeutet etwas mehr Aufwand und erfordert einschlägige Erfahrung. Ähnlich wie bei der Beurteilung nach Glaser kommt es darauf an,
dass sich in der Konstruktion langfristig kein Wasser ansammelt. Deshalb
wird zunächst der Verlauf des Gesamtwassergehalts analysiert. Anschließend werden die hygrothermischen
Verhältnisse in den einzelnen Materialschichten sowie an den Oberflächen und Materialgrenzen betrachtet.
An den raumseitigen Oberflächen sowie im Bereich von Luftschichten in
den wärmeren Bereichen eines Bauteils besteht die Gefahr von Schimmelpilzbildung, wenn bestimmte Temperatur- und Feuchtegrenzen überschritten werden [11].
Zur Beurteilung der Wassergehalte in den einzelnen Schichten ist
ein Vergleich mit den Grenzwasser-
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gehalten für die einzelnen Baustoffe –
falls vorhanden – zweckmäßig. Bei
Holz- oder Holzwerkstoffen wird meist
eine Grenze von 20 M.-% angenommen, die möglichst nicht längere Zeit
überschritten werden sollte. Für die
meisten mineralischen Baustoffe gibt
es eine solche Grenze i. a. nicht. Hier
müssen andere Überlegungen angestellt werden, wie z. B., dass das Wasser in potentiell frostempfindlichen
Materialien nicht gefrieren soll. Basierend auf solchen Überlegungen wurde
z. B. im WTA Merkblatt 6-4 zur Bemessung von Innendämmsystemen
auf Mauerwerk [12] eine Feuchtegrenze von 95 % r.F. für den Bereich
zwischen Dämmung und ursprünglicher Wand angegeben. Wird diese
Grenze nicht überschritten, gilt die
Innendämmung als sicher. Falls dieser
Grenzwert nicht eingehalten werden
kann, muss gemäß [13] eine genauere
Analyse der Feuchteauswirkungen
erfolgen, indem z. B. die erreichten
Wassergehalte mit materialspezifischen Feuchtegrenzwerten von Herstellern verglichen werden.
4 Ergebnisvergleich von stationärer
und instationärer Berechnung
Da das Glaser-Verfahren weder Speicher- noch Flüssigtransportphänomene berücksichtigt, wurde es ursprünglich in erster Linie für die Berechnung von Dampfdiffusionsströmen
in Leichtbauteilen eingesetzt, bei denen diese Phänomene tatsächlich von
untergeordneter Bedeutung sind. Ein
Vergleich mit Ergebnissen aus hygrothermischen Simulationsrechnungen
an diffusionsoffenen Steildachkonstruktionen in [14] zeigt dementsprechend auch eine gute Übereinstimmung der Ergebnisse beider Verfahren. D. h. eine Dachkonstruktion, die
nach Glaser zulässig war, zeigte auch
bei der Simulation keine kritische Auffeuchtung und eine vollständige sommerliche Austrocknung und umgekehrt. Ähnlich vergleichbare Ergebnisse hat auch die Beurteilung außen
dampfdichter Steildächer mit unterschiedlichen Dampfbremsen ergeben,
zumindest dann, wenn beim alten
Glaser-Verfahren (DIN 4108-3:2001)
für nordorientierte Dächer die Standardrandbedingungen anstelle der für
Dächer ansetzbaren erhöhten Oberflächentemperaturen verwendet wurden.
6
Zu ganz anderen Aussagen
kommt man jedoch bei der Beurteilung von kapillaraktiven Innendämmsystemen auf Mauerwerk mit höheren
Dämmschichtdicken. Wie in [15] demonstriert, fallen Innendämmungen
aus Kalziumsilikat bei der Glaserberechnung wegen zu großer Tauwassermengen durch, während die Ergebnisse der hygrothermischen Simulation
kein Auftreten von Tauwasser zeigen
und die Feuchte hinter der Dämmung
unter dem kritischen Grenzwert von
95 % r.F. bleibt. Gleichzeitig gibt das
Glaser-Verfahren alle Innendämmungen mit Dampfsperren oder sehr diffusionshemmenden Dämmstoffen frei,
die sich in der Realität bei Anwesenheit anderer Feuchtequellen wegen
des nicht vorhandenen Austrocknungspotentials nach innen oft als weniger
geeignet erweisen [16]. Deshalb wird
zur feuchtetechnischen Bemessung
einer Innendämmung auf Mauerwerk
in [12] und in [17] der Einsatz hygrothermischer Simulationsverfahren
empfohlen.
5 Weiterentwicklung der rechnerischen Feuchteschutzbeurteilung
Sowohl das Perioden-Bilanzverfahren
nach Glaser in [2] als auch die hygrothermische Simulation gemäß DIN
EN 15026 [3] haben einen gravierenden Schönheitsfehler. Sie setzen voraus, dass Außenbauteile ohne jegliche
Fehlstellen ausgeführt werden, d. h.
die Möglichkeit von Feuchteeinträgen
durch Luftkonvektion oder Schlagregenpenetration wird nicht betrachtet.
Das hat in der Vergangenheit häufig
dazu geführt, dass Bauteile mit sehr
diffusionshemmenden inneren und
äußeren Schichten geplant wurden.
Wenn dann doch eine gewisse Feuchte
während der Bauphase oder im Betrieb in die Konstruktion eindrang,
konnte dieses Wasser nur sehr langsam wieder austrocknen. Dadurch
waren zahlreiche Schäden, insbesondere bei Holzkonstruktionen, zu verzeichnen [18], [19]. Die Holzschutznorm DIN 68800-2 [20] hat bereits
darauf reagiert, indem sie basierend
auf Empfehlungen in [21] und [22] bei
der Dampfdiffusionsberechnung die
Berücksichtigung einer sog. Trocknungsreserve von 100 g/m² bei Wänden bzw. 250 g/m² bei Dächern fordert. Diese Trocknungsreserve wird
zur errechneten Tauwassermenge ad-
diert, bevor diese mit der Verdunstungsmenge verglichen wird. Allerdings bezieht sich diese Regelung auf
das Glaser-Verfahren mit den alten
Randbedingungen. Ob diese Vorgehensweise auch auf das neue Perioden-Bilanzverfahren 1 : 1 übertragbar
ist, muss noch geklärt werden.
Das Prinzip der Trocknungsreserve zur Berücksichtigung von
Konvektionseffekten ist auch auf die
hygrothermische Simulation übertragbar und wurde dort auch schon erfolgreich angewendet [23]. Es ist auch
in der Neufassung des WTA-Merkblatts 6-2 von Dezember 2014 [24] zur
hygrothermischen Simulation enthalten. Das neue Merkblatt zeigt auch
wie das Eindringen von Schlagregen
durch kleine Fehlstellen in der Konstruktion (z. B. bei Fensteranschlüssen gedämmter Fassaden) rechnerisch
behandelt werden kann, indem beispielsweise eine gewisse Menge des
auf die Fassade auftreffenden Schlagregens in die Konstruktion eingebracht wird [25]. Solche Prinzipien,
die kaum vermeidbare Fehlstellen in
der Konstruktion berücksichtigen,
werden in Zukunft eine wesentlich
größere Rolle spielen. Sie helfen bei
der Planung feuchtetoleranter Bauteile, die selbst bei Anwesenheit kleiner Fehlstellen schadensfrei bleiben.
Umgekehrt können auch solche Konstruktionen identifiziert werden, die
nur bei einer perfekten Ausführung
und regelmäßigen Wartung dauerhaft
funktionieren. Hier muss der ausführende Betrieb eine besondere Qualitätskontrolle vorsehen oder vom Architekten eine feuchtetechnische Verbesserung seiner Planung verlangen.
Literatur
[1] Glaser, H.: Vereinfachte Berechnung
der Dampfdiffusion durch geschichtete
Wände bei Ausscheidung von Wasser
und Eis. Kältetechnik 10 (1958), H. 11,
S. 358–364 und H. 12, S. 386–390.
[2] DIN 4108-3 Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Klimabedingter Feuchteschutz. November 2014.
[3] DIN EN 15026: Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Bauteilen
und Bauelementen – Bewertung der
Feuchteübertragung durch numerische
Simulation. Juli 2007.
[4] DIN EN ISO 13788: Wärme- und
feuchtetechnisches Verhalten von Bauteilen und Bauelementen – Raumseitige Oberflächentemperatur zur Vermeidung kritischer Oberflächenfeuchte
Sonderdruck aus: Bauphysik 37 (2015), Heft 2
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Fraunhofer-Institut für Bauphysik
(Leitung: Prof. Dr. Klaus Peter Sedlbauer)
Postfach 80 04 69 – 70504 Stuttgart • Nobelstraße 12 – 70569 Stuttgart
Institutsteil Holzkirchen
Postfach 11 52 – 83601 Holzkirchen • Fraunhoferstraße 10 – 83626 Valley
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