Studie der Brendan-Schmittmann-Stiftung - NAV-Virchow

(Herausgeber)
Gesa Kröger, MPH
Historische Entwicklung
und epochenspezifische Funktionalität
der Gebührenordnung für Ärzte
Vorwort des Herausgebers
Die Brendan-Schmittmann-Stiftung befasst sich seit
1974 wissenschaftlich mit der ärztlichen Versorgung und
der damit verbundenen Berufsausübung. Daher haben
wir gerne den Auftrag des NAV-Virchow-Bundes
entgegengenommen, die ärztliche Gebührenordnung
erstmals wissenschaftlich über einen Zeitraum von der
beginnenden Christianisierung über das Mittelalter bis in
die Neuzeit zu untersuchen. In jeder dieser Epochen
hatte eine ärztliche Gebührenordnung ihren Zweck,
nämlich das Leistungsgeschehen zwischen Arzt und
Patient zu regeln und den Patienten vor Überforderung
und der Wissensungleichheit zu schützen.
Und in allen Zeiten haben Ärzte ihren Freien Beruf mit
der stets implizierten Verantwortung gegenüber dem
Gemeinwesen verbunden. Im Ergebnis entstand mit
dieser Studie erstmals ein umfassender historischer
Bogen der ärztlichen Gebührenordnung und deren
Einordnung in die jeweilige Zeit. „Der heutige Tag ist das
Resultat des gestrigen“, schrieb Heinrich Heine. Und um
morgen richtig zu entscheiden, müssen wir das Gestern
kennen.
Ich hoffe, diese Studie hilft allen politischen
Entscheidungsträgern und den ärztlichen Vertretern bei
der Aufklärung und der Findung der richtigen
Entscheidungen. Meinen Kolleginnen und Kollegen
wünsche ich das Bewusstsein für die Historie der
ärztlichen Gebührenordnung und deren Wert für
morgen.
Dr. med. Veit Wambach,
Vorsitzender des Vorstandes
der Brendan-Schmittmann-Stiftung
Vorwort
2
Der NAV-Virchow-Bund vertritt als Verband der
niedergelassenen Ärzte alle Fachgruppen in freier Praxis.
Seit seiner Gründung im Jahre 1949 spielen
Vergütungsfragen eine zentrale Rolle in der
Interessenvertretung der Praxisärzte.
Die Protagonisten haben in der Regel nur die letzten
Gesundheitsreformen und damit nur sehr begrenzter
Zeiträume im Blick. Dabei lohnt der Blick zurück, wenn
aktuelle Situationen oder Entwicklungen bewertet
werden müssen. Die ärztliche Gebührenordnung bietet
dafür ein gutes Beispiel.
Seit Beginn von ärztlicher Tätigkeit sind das
vertrauensvolle Patienten-Arzt-Verhältnis, die freie
unabhängige Berufsausübung und die Vergütungsfrage
Bestandteil der Arzttätigkeit. In Zeiten der Budgetierung,
in denen eine Kassenarzt-Gebührenordnung die
Funktion einer Honorar-Verteilung von begrenzten
Mitteln erfüllt, tritt die Gebührenordnung für den
Autorin:
Gesa Kröger,
wissenschaftliche Mitarbeiterin im NAV-Virchow-Bund,
Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V.
Korrespondenzadresse: Chausseestraße 119b, 10115 Berlin
E-Mail: [email protected]
„Freien Beruf Arzt“ oftmals in den Hintergrund. Mit der
Folge, dass viele Kolleginnen und Kollegen einen EBM
für den Standard der Gebührenordnung halten.
Der NAV-Virchow-Bund hat daher die BrendanSchmittmann-Stiftung beauftragt, einen historischen
Abriss über die Vergütung ärztlicher Leistungen bis hin
zu Gebührenordnungen in unserer heutigen Form zu
untersuchen.
Dabei ist entscheidend, welche Funktionalität eine
Gebührenordnung in ihrer jeweiligen Zeit entwickelt und
welche Ausprägung daraus folgt. Denn dies ist
entscheidend für die Weiterentwicklung und die
grundsätzliche Bewertung der Gebührenordnung eines
freien Berufes. Denn damit steht und fällt der
Freiheitsgrad der gesamten Berufsgruppe.
Dr. med. Dirk Heinrich,
Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes
Historische Entwicklung und epochenspezifische Funktionalität der
Gebührenordnung für Ärzte
Inhaltsverzeichnis
1 Frühphase des Christentums bis hin ins Mittelalter .................................. 4
2 Kaiserreich und Bismarck’sche Sozialgesetzgebung .................................. 7
3 Weimarer Republik ............................................................................... 13
4 Drittes Reich.......................................................................................... 17
5 Nachkriegszeit ....................................................................................... 18
6 Siebziger Jahre und das Kostendämpfungsgesetz ................................... 23
7 Entwicklung bis hin in die Gegenwart .................................................... 27
8 Fazit ...................................................................................................... 34
9 Literaturverzeichnis ............................................................................... 34
3
1 Frühphase des Christentums bis hin ins Mittelalter
In dieser Epoche waren tragende Institutionen der Krankenversorgung primär kirchliche Hospitäler.
Häuser im Schatten der Kathedralen beim Sitz des Bischofs, weltliche Orden (z.B. Johanniterorden)
und Armenhäuser (Hospitale Pauperum) oder Pflegeabteilungen (Infirmarium), die zur üblichen
Klosterausstattung gezählt wurden, übernahmen dann im Mittelalter entsprechende Funktionen. Die
christlichen Hospitäler waren primär Armenpflegehäuser und beinhalteten Unterkunft, Verpflegung
sowie die seelische Betreuung kranker Menschen. Bis Ende des Mittelalters war die Gewährung
geistlichen Bestands bei Gesundheit und Krankheit vordergründig, da diese hauptsächlich als
außerhalb des menschlichen Verfügungsbereichs angesehenen wurden (Simon 2010).
Die Krankenversorgung war speziell für Arme, Kranke und Pilger ausgerichtet. Allerdings gab es auch
ein Haus für reiche Reisende, z.B. Fürsten und kirchliche Würdenträger (Domos Hospitum). Reiche
Nicht- Reisende ließen sich von Ärzten zu Hause versorgen. Bis Mitte des 15. Jahrhunderts fußte die
Krankenversorgung auf kirchlichen Fürsorgeaktivitäten. Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und
der Reformation änderte sich dies allerdings zusehends, wodurch die städtische
Versorgungsinstitution langsam aber sicher diese Funktion übernahm. Die primäre Trägerschaft von
entsprechenden Einrichtungen, damals wie heute, waren Kirchen und Wohlfahrtsverbände
(=freigemeinnützige Verbände) sowie öffentliche Träger (Simon 2010).
4
Gegen Ende des Mittelalters, der Blütezeit des Absolutismus, wurde die Regulierung der sozialen
Sicherung im Krankheitsfall zusehends mehr von Landesherren wahrgenommen, was zur
Einschränkung der Autonomie und letzten Endes zum Zerfall der Zünfte führte. Ebenfalls wurden die
Vorschriften für Leistungen im Krankheitsfall durch die Landesherren erlassen. Es entstanden
zunehmend, sich zu gewerkschaftlichen Kampfverbänden entwickelnde Gesellenbruderschaften,
deren Hauptanliegen die Durchsetzung von Lohnforderungen und tarifverträgliche
Kollektivvereinbarungen waren (Simon 2010).
Die Einrichtung der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung hat ihre Wurzeln in
mittelalterlichen Zünften und Gesellenverbände (zunächst Bruderschaften und später
Gesellenschaften) bzw. (Gesellen)Bruderschaften1. Diese ‚Lebensformen‘ bezeichneten
Zusammenschlüsse von Kaufleuten und selbstständigen Handwerkern in Städten, die eine politische
Interessenvertretung, Eindämmung der Konkurrenz, Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und
Qualitätskontrollen anstrebten. Sie erhielten einen rechtlichen Status der mit den gegenwärtigen
Körperschaften des öffentlichen Rechts vergleichbar war (Tauchnitz 2004, Simon 2010).
Die für Zünfte charakteristische Pflichtmitgliedschaft in einer Institution der sozialen
Sicherung prägt auch heute noch das deutsche Gesundheitswesen, da zentrale Institutionen nach
dem Modell der Handwerkerzunft organisiert sind. Als analoges Beispiel wären hier KVen zu nennen,
die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, mittelbare Staatsverwaltung sowie zugleich
berufsständischer Interessenverband sind (Simon 2010). Aus dem allgemeinen Zunftvermögen
erfolgte die entsprechende Finanzierung von Unterstützungsleistungen, u.a. auch die
Familienversicherung (Tauchnitz 2004, Simon 2010). Die zunehmende Bedeutsamkeit der sozialen
1
Der Ausbau des Spitalwesens hatte zur Folge, dass Zünfte und Gesellenverbände Belegrechte für bestimmte Bettenanzahl
in Hospitälern hatten. Dieser Sachverhalt lief erst im 19. Jahrhundert nach Einführung der GKV aus (Simon 2010).
Absicherung im Krankheitsfall nach und nach dazu, dass die Finanzierung der
Unterstützungsleistungen nicht länger aus der allgemeinen Zunftkasse zu erfolgen hatte:
Selbstständige „Laden“ oder „Kassen“ entstanden, die durch eine entsprechende konsequente
Weiterentwicklung in zunfteigene Hilfskassen2 mündeten. Alle Meister waren verpflichtet in der
Zunft Mitglied zu sein; freiwillig war an diesem Zeitpunkt hingegen jedoch der Beitritt zu einer
eigenständigen Hilfskasse (Tauchnitz 2004).
Gesellenverbände bzw. -bruderschaften waren eine vom Meister unabhängige soziale
Sicherung: Die Gesellen zahlten alle in eine gemeinsame Kasse ein und erhielten im Falle von
Krankheit oder Pflegebedürftigkeit finanzielle Unterstützung, unmittelbare Hilfestellung sowie
Lohnfortzahlung (Simon 2010). Ausschlaggebend für die Entstehung eigenständiger, berufsständisch
geschlossener Gesellenverbände war die Ausbildung erster Lohnverhältnisse, die dazu führte, dass
„die bis dahin gegebene Garantie der Reproduktion der abhängigen Arbeitskraft bei Krankheit und
Not in der Sozialform des ‚ganzen Hauses‘ als organisatorische Einheit von Produktion, Konsumtion
und generativer Reproduktion“ (Rodenstein 1978:115, zit.n. Tauchnitz 2004:67) langsam aber sicher
entfiel. Zugleich wurde die Anzahl der Handwerksgesellen im Vergleich zu den Meistern
überproportional hoch. Die Zünfte erschwerten nun den Zugang zu den begrenzten Meisterstellen,
woraufhin schwere soziale Konflikte zwischen Gesellen und Meistern entstanden. Gesellenverbände
erhoben im Gegensatz zu den Zünften gleich zu Beginn regelmäßige Zwangsbeiträge. Die Höhe war
oftmals an den Lohn als Bemessungsgrundlage geknüpft (Tauchnitz 2004). Nach und nach wurden die
Gesellenverbände verboten, dessen ungeachtet ihre Unterstützungskassen jedoch an vielen Orten
weiter existierten. Daraufhin wurde die Mitgliederanzahl und folglich die Höhe der
Kassenbeitragseinnahmen
stark
geschwächt
und
die
möglichen
materiellen
Unterstützungsleistungen reduziert. Die Kassenverwaltung wurde nun polizeilich beaufsichtigt, was
das Unterstützungswesen der Gesellen in den grundlegendsten Zügen jedoch nicht beeinträchtigte
und so später in die GKV überging (Tauchnitz 2004). Schließlich existierten lediglich noch
„organisatorisch selbständige, berufsständisch weiterhin hochgradig exklusive, lokal begrenzte,
staatlich streng reglementierte und beaufsichtigte gewerbliche Unterstützungs- und
Knappschaftskassen, die auf das reine Unterstützungswesen bei Krankheit-, Unfall oder Tod reduziert
waren“ (Tauchnitz 2004:78). Kommunalbehörden oder Bürger und Adlige mit besonders hohem
sozialen Status (Honoratiore) riefen neu hinzukommende Kassen oder ‚Krankeninstitute‘, die
bestimmten Berufsgruppen (insbesondere Dienstboten, Gesellen, Hausgesinde) oder armer Kranker
dienlich waren, ins Leben. Die Finanzierung dieser Kassen und Institute erfolgte durch Pflichtbeiträge
der Mitglieder, Beiträge der Dienstherren und Arbeitgeber oder durch Spenden reicher Bürger. Neue
Kassen waren fortan primär das Ergebnis einer staatlichen oder bürgerlichen (Fremd-)Organisierung
und nicht mehr wie davor durch die betroffenen Personen-/Berufsgruppen selbst gegründet
(Tauchnitz 2004).
Im Bergbau war in dieser Epoche bereits eine freie Arbeiterschaft entstanden, die in einem
Zusammenschluss einer sog. Knappschaft resultierte. Die zur sozialen Sicherung in den
Knappschaften enthaltenen Kassen wurden durch die Beiträge der Knappen (Bergleute) und der
Bergwerkseigentümer finanziert und z.T. ebenfalls gemeinsam verwaltet. Im 17. Jahrhundert gab es
2
Hilfskassen bezeichneten freiwillige Zusammenschlüsse von Personen, zumeist Arbeitnehmer, die im Falle von Krankheit,
Invalidität, Tod oder Arbeitslosigkeit Hilfe gewähren. Nach 1911 wurden diese für die gesetzlichen Krankenkassen
zugelassen und zu Ersatzkassen umbenannt (Wissen.de 2015, www.).
5
für die Knappen und Grubenbesitzer im Bergbau schließlich sogar eigene Krankenkassen
(Revierkrankenkassen) (Simon 2010).
Die dargestellten Vergemeinschaftungsformen waren kollektiv ausgerichtet. Dabei war die
Ressourcenzusammenlegung zur „kollektiven Regelung gemeinsamer Belange, zu denen
entsprechend der den ganzen Menschen umfassenden Ausrichtung unter anderem eben auch die
gegenseitige Unterstützung im Krankheitsfall gehörte“ (Tauchnitz 2004:73) das Ziel jeder
Korporation.
6
1794 erfolgte das preußische Landrecht zur Regelung des Handwerkwesens und der
Manufakturarbeit. Ihm kam eine besondere Relevanz zu, da weitgehende Vorschriften über die
Gewährung sozialer Leistungen und zudem eine grundsätzliche Anerkennung der staatlichen
Verantwortung für die Versorgung Bedürftiger enthalten waren. Eine Analogie dieses Grundsatzes
liegt im Sozialstaatsgebot der bundesrepublikanischen Verfassung und der dominierenden
Rechtsauffassung, dass der Staat zur Daseinsvorsorge für seine Bürger verpflichtet ist; insbesondere
auch im Krankheitsfall. Nach dem Recht waren Meister, Zünfte und Fabrikherren im Krankheitsfall
ihrer Gesellen und Arbeiter grundsätzlich für deren Fürsorge zuständig. Dies beinhaltete bei
Handwerksgesellen die Gewährung von Kur und Verpflegung, für deren Kosten „Gesellenlade oder
Gewerkekasse“ (Simon 2010:21) aufkamen. Sofern dies nicht möglich war, wurden die Kosten von
der Kommune übernommen. Durch die Entwicklung fabrikmäßiger Produktionsweisen entstanden
neue Schichten von Lohnabhängigen (den Manufakturarbeitern), die außerhalb der Zunftsordnung
standen und folglich nicht durch deren Sozialleistungen abgesichert waren (Simon 2010).
Handwerksgesellenkassen durften nur noch „unter der Aufsicht der Gewerksältesten“ (Tauchnitz
2004:79) errichtet werden, was dazu führte, dass die Selbstverwaltung der Kassen nahezu aufgelöst
wurde.
Im Hinblick auf die sich verändernden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände gegen Ende
des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der sozialpolitische Fokus auf das
Arbeitsschutzgesetz insbesondere bzgl. der Arbeiter, Dienstboten und den verschiedenen
Handwerksgesellen verschärft. Die eingeführten Zwangshilfskassen waren offen für Gesellen,
Berufsgruppen und selbstständige kleinere Gewerbebetreibende. Sie waren Vorläufer der heute
noch existierenden und größeren Kassenart, der allgemeinen Ortskrankenkasse3. Auch hinsichtlich
der GKV-Gliederung wirkt mittelalterliches Zunftswesen nach (Simon 2010).
Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Unterstützungskassen, die seit dem späten 18.
Jahrhundert vorherrschten, in Folge von diversen Konflikten immer mehr zu Verwaltungs-, Kontroll-,
Subsumtion- und Sozialdisziplinierungsintrumenten ihrer Mitglieder, wodurch erstere ihren
multifunktionalen Charakter verloren (Tauchnitz 2004). In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
entstanden die ersten Betriebskrankenkassen dann neben den berufsgruppenbezogenen und
kommunalen Unterstützungs- und Hilfskassen (Simon 2010). Speziell bei den berufsständisch
organisierten Unterstützungskassen wurde die Selbstverwaltung durch ihre Mitglieder geleitet, da
nur sie letzten Endes die Beiträge finanzierten. Bei den betrieblichen Kassen, in denen auch der
Fabrikherr Beitragszahlungen entrichtete, beteiligte sich ebenfalls der Arbeitgeber an der
3
Die Ortskrankenkassen waren bis 1996 die einzige zugängliche Kassenart für alle Berufsgruppen. Bis vor einiger Zeit waren
sie auch die Primärkasse (Orts- Innungs- und Betriebskrankenkassen sowie knappschaftliche Krankenversicherung und SeeKrankenkasse) bei der unversicherte Sozialhilfeempfänger durch die Kommunen versichert wurden. Mit Ausnahme der allg.
Ortskrankenkassen waren die übrigen Kassen bis 1996 sozusagen zunftsmäßig organisiert und standen lediglich für
bestimmte Wirtschaftszweigen (z.B. Knappschaft, Seekrankenkassen), bestimmte Unternehmen oder Arbeitsnehmer offen
(Betriebskrankenkassen) (Simon 2010).
Selbstverwaltung, was ebenfalls noch immer die GKV prägt. Als ein Beispiel ist z.B. die Firma Krupp
(1836) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu nennen, bei der die Arbeiter zum Beitritt
verpflichtet wurden und Krupp 50% der Beitragszahlung übernahm. Die Beitragsunterstützung durch
den Arbeitgeber war jedoch nicht neu sondern ist bereits aus mittelalterlichen Zeiten bekannt. Die
Hilfskassen wurden wie die Vorläufer im Mittelalter überwiegend in Selbstverwaltung geleitet
(Simon 2010).
Insgesamt brachte die soziale Sicherung der Bergleute des 19. Jahrhunderts äußerst relevante
Regelungen für die Grundzüge der späteren GKV. Zu nennen wären bei dem preußischen
Knappschaftsgesetz (1854) diesbezüglich beispielsweise eine existierende Selbstverwaltung,
Versicherungspflicht für alle Bergleute, Beitragspflicht für Arbeitgeber und –nehmer, freie
Krankenbehandlung und Zuzahlung eines Krankenlohns im Krankheitsfall mit in der sozialen
Absicherung. Nach wie vor besteht in der sozialen Sicherung von Bergleuten im heutigen GKV-System
eine Sonderstellung. Deutlich wird dieser Aspekt im Hinblick auf die Tatsache, dass sie bis in die
1980er durch den Bund einen gesonderten Zuschuss zur Subventionierung der Beiträge erhielten und
die Knappschaft noch immer eigene Versorgungseinheiten (z.B. Krankenhäuser) betreibt. Zudem
wurde sie ab dem Zeitpunkt der Öffnung der Mehrzahl der Krankenkassen (1996) für alle abhängig
Beschäftigten zunächst ausdrücklich davon ausgenommen (Simon 2010).
Als Ursprung der heutigen sozialen Krankenversicherung in Deutschland können
zusammenfassend folgende, sich im Mittelalter manifestierende Merkmale genannt wurden:
-
Gesellenbrüderschaften
Anbindung der sozialen Sicherung für den Krankheitsfall auf Basis an ein
Arbeitsverhältnis
Versicherungspflicht durch Zunftszwang
Beitragsfinanzierung
Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken (Beträge richteten sich nach dem
Einkommen)
Familienversicherung
Selbstverwaltung (selbstständige Regelung der Angelegenheiten der Zünfte und
Gesellenbruderschaften, insbesondere die Ausgestaltung ihres Leistungskataloges &
die Höhe der Beiträge) (Simon 2010).
2 Kaiserreich und Bismarck’sche Sozialgesetzgebung
1863 führten die sich bereits seit längerer Zeit verschärfenden sozialen Gegensätze sowie die
sozialpolitischen Spannungen zum Erstarken der politischen Arbeiterbewegung und bedingten
letzten Endes die Gründung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins (Simon 2010).
1869 folgten die Bildung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei sowie der Erlass der
Gewerbeordnung (GewO) des Norddeutschen Bundes. Entscheidende Punkte der GewO waren u.a.
die Einführung der Niederlassungsfreiheit, die Abschaffung des ‚Kurierzwangs‘ (Tauchnitz 2004:171)
sowie die freie Honorarverhandelbarkeit bzw. die Verwirklichung der totalen Gewerbefreiheit. Die
7
GewO ermächtigte nun die zuständige Behörde, eine Taxe4 bzw. die Honorarsätze „als Norm für
strittige Fälle im Mangel einer Vereinbarung“ (Funke 1988:8), also mit gesetzlicher Grundlage, zu
erlassen. Die geschaffene Gebührenordnung bzw. Taxe fand somit folglich nur dann Anwendung,
wenn keine Vereinbarung über das ärztliche Honorar erfolgt war (Funke 1988, Simon 2010). Für die
Berechnung der Arzthonorare blieb die freie Vergütungsvereinbarung Grundsatz, d.h. fortan war die
ärztliche Tätigkeit an eine Approbation gebunden und als „freies Gewerbe“ bundesweit zugelassen.
Nach wie vor gilt es mit inhaltlichen Änderungen noch heute (Simon 2010, Tauchnitz 2004).
1871 wurde das deutsche Kaiserreich gegründet. Vordergründig war hier das Vorbeugen einer
potenziellen Umsturzgefahr bzw. die erstarkte politische Arbeiterbewegung zu unterdrücken.
Darüber hinaus sollten Sozialreformen die Arbeiterschaft an das Kaiserreich binden (Simon 2010).
1874 mittels sozialpolitischer Interventionen waren von ca. 8 Mio. Arbeitern bislang lediglich rund ¼
in einer der circa 10.000 in Hilfskassen versichert (Simon 2010).
1876 das in diesem Jahr erlassene Gesetz der Hilfskassen bewirkte für die am Ort beschäftigten
Gehilfen und Gesellen eine Art Krankenversicherungspflicht. Dadurch wurde eine einheitliche
Regelung für das gesamte deutsche Reich erzielt (info-krankenversicherung.net 2014, www.)
1878 wurde aufgrund von zwei (missglückten) Attentaten auf den Kaiser das sog. Sozialistengesetz,
auch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ genannt,
eingeführt. Fortan sollten alle sozialdemokratischen und kommunistischen Vorgehensweisen, wie
z.B. Vereine, Versammlungen und Zeitungen, verboten werden (Simon 2010).
8
1881 verkündete auf Anraten Reichskanzlers Otto v. Bismarck, Wilhelm I in einer kaiserlichen
Botschaft ein Gesetz zur Absicherung bei Betriebsunfällen, eines bzgl. des Krankenkassenwesens
und eines zur Absicherung bei Invalidität und im Alter. Die erfolgte Gesetzgebung, die eine formale
Gründung der GKV als Körperschaft mit sich brachte, bewirkte nicht nur einen Versicherungsschutz
sondern verbesserte aufgrund der Einnahmen ebenfalls das Gesundheitswesen, was sich z.B. im
Hinblick auf eine bessere Krankenhausversorgung zeigte. Ziel der Bismarckschen Sozialpolitik war die
Sicherung des inneren Friedens sowie die Erhaltung der Monarchie.
Diese Sozialgesetzgebung bewirkte eine weitere Verbesserung der sozialen Situation der
Arbeiterschaft und wurde eine Basis für das noch heute bestehende System der sozialen Sicherung in
Deutschland. Darüber hinaus dient es als Orientierungsmodell für diverse Staaten (Simon 2010).
1883 wurde mit der Gründung des Krankenversicherungsgesetzes bzw. der Krankenversicherung für
Arbeiter (KVG) eine allgemeine Versicherungspflicht für alle, insbesondere einkommensschwache
Arbeiter (Arbeiterklasse; rd. 10% der Gesamtbevölkerung) eingeführt (Simon 2010, Tauchnitz 2004).
In Folge der KGV sollten besser gestellte und verdienende Berufe selbst für ihre soziale Absicherung
sorgen. Dieser Zeitpunkt mit seinem zentralen Anliegen ist sozusagen als Geburtsstunde der PKV zu
verstehen (info-krankenversicherung.net 2014, www.). Die Tatsache, dass besser Verdienende für
ihre soziale Absicherung selbst verantwortlich waren, wird jedoch bereits im Mittelalter ersichtlich.
Zusammen mit dem Aspekt der Freiberuflichkeit und einer entsprechenden Honorierung der Ärzte
4
Eine Taxe entspricht einer gesetzlichen oder aufgrund gesetzlicher Grundlagen behördlich angeordneten
Gebührenregelung. Nach ihrem Inhalt sind sie unverbindlich. Sie sollen lediglich im Falle einer nicht feststellbaren,
„ausdrücklichen“ oder „stillschweigenden Parteivereinbarung“ (Funke 1988:35) Anwendung finden. Vom Taxenbegriff des §
612 Abs. 2 BGB sind subsidiäre und primär-dispositive, nicht aber zwingende Vergütungsregelungen erfasst (Funke 1988).
wird verdeutlicht, dass die Ursprünge der privaten Krankenversicherung bereits vor dem der GKV
gelegt worden sind.
Bei dem KGV gab es keine Versicherungspflichtgrenze, bis zu der sich die abhängig Beschäftigten
verpflichten mussten sondern nur eine Grenze für die „Versicherungsberechtigung“. Dadurch
konnten sich nur jene, die die Einkommensgrenze nicht überschritten in den Primärkassen (s.
Fußnote 3)5 versichern. In Abhängigkeit des Arbeitsplatzes wurden die Arbeiter den entsprechenden
Kassen zugewiesen. Die Ortskassen fungierten als „Auffangkasse“ (Simon 2010:27) für die
Angestellten, für deren Tätigkeit es keine entsprechende Kasse gab. Die Angestelltengruppen, die
nicht der Versicherungspflicht unterlagen, konnten sich in den weiter bestehenden freiwilligen
Hilfskassen mit dem Ersatzkassenstatus versichern, mussten jedoch allein für den kompletten
Beitragssatz aufkommen.
Die Vorteile des KVGs für die Ärzteschaft bestanden insbesondere in dem „exklusiven Zugriff auf ein
beständig anwachsendes (pflichtversichertes) Patientenpotenzial“ (Tauchnitz 2004:183) allerdings
resultierten genau daraus auch negative Aspekte: Die Krankenkassen strebten „ein festes
beamtenähnliches Verhältnis“ (Tauchnitz 2004:184) zu den Ärzte an um ihre eigenen Interessen bzw.
ihren eigenen Gewinn sichern zu können. Es erfolgte eine zunehmende Abhängigkeit der Ärzte von
den Krankenkassen sowie eine auf Ausgabenbegrenzung ausgerichtete Leistungspolitik, die u.a. eine
sparsame Arzneimittelverordnung sowie eine restriktive Krankschreibungspraxis beinhaltete. Die
„Quasi-Anstellung beziehungsweise Verbeamtung der Ärzte durch die Kassen“ (Tauchnitz 2004:184)
bedrohte den erst kürzlich erlangten Status des freien Arztberufs ggf. in ein lohnarbeiterähnliches
Arbeitsverhältnis zu degradieren. Diese negativen Entwicklungen bedeuteten für die Kassenärzte
einen sehr eingeschränkten Handlungsspielraum. Darüber hinaus waren die Ärzte an die durch die
Krankenkassen festgelegten und zusehends immer schlechter werdenden Honorarsätze (Taxen)
gebunden.
Durch das KVG wurde zudem ebenfalls das Kostenerstattungs- bzw. Geldleistungsprinzip durch das
Sachleistungsprinzip ersetzt (Tauchnitz 2004). Das Sachleistungsprinzip bildete die Grundlage für die
in diesem Jahr gegründete erste gesetzliche Krankenkasse (Finnet 2015, www.). Die
Leistungsempfänger erhielten fortan medizinische Leistungen, ohne selbst in Vorleistung treten zu
müssen, wobei die Leistungsdauer auf 13 Wochen begrenzt war, allerdings mit möglicher Option auf
Verlängerung. Die gesamten Kosten wurden den Leistungserbringern auf direktem Wege durch die
Kassen erstattet6. Überwiegend ohne zusätzliche Beiträge erfolgte zur Jahrhundertwende die
Einführung der Familienversicherung; im Rahmen eines Solidarausgleichs wurden Mehrkosten von
allen Mitgliedern getragen. Verschiedenste Formen der Pauschalvergütung7 traten als primäre
Honorierungsformen für die Vertragsärzte in Erscheinung. Allerdings bestand ebenfalls die
Einzelleistungsvergütung7 nach der amtlichen Gebührenordnung. Der Erlass des KVG legte in vielerlei
Hinsicht die institutionellen Grundlagen für den ambulanten Sektor im Gesundheitswesen und war
nicht nur die Geburtsstunde der PKV sondern auch die der gesetzlichen Krankenversicherung
(Simon 2010, Tauchnitz 2004, Funke 1988).
5
2
1
Beitragsfinanzierung der Primärkassen: /3 zahlten die versicherten Mitglieder und /3 die Arbeitgeber. Dem jeweiligen
Beitragssatz entsprechend waren in der Selbstverwaltung der Ortskassen auch beide Gruppen vertreten.
6
Zu den wichtigsten Leistungen, die von der GKV übernommen wurden, gehörten die freie ärztliche Behandlung,
Arzneimittelversorgung, Krankenhausbehandlung, Zahlung des Krankengeldes ab dem 4. Tag des der Arbeitsunfähigkeit in
Höhe von 50% des Arbeitsentgeltes, Wöchnerinnenunterstützung und ein gesetzlich festgelegtes Sterbegeld (Simon 2010).
7
Unter einem Pauschalhonorar ist ein festgelegter jährlicher Geldbetrag zu verstehen, mit dem jegliche ärztliche
Leistungen beglichen werden. Die Einzelleistungsvergütung bezeichnet die Vergütung einzelner Behandlungsleistungen, die
nach der amtlichen Gebührenordnung erfolgen (Tauchnitz 2004).
9
Auch das Patientenklientel der Ärzte verlagerte sich in Folge des eingeführten KVGs immens: Vor der
Einführung des KVG wurden zunächst die Kassenpatienten primär neben den Privatpatienten
behandelt, was ein klares Indiz dafür ist, dass das privatärztliche Vergütungssystem als
Ausgangspunkt der Gebührenordnung zu verstehen ist. Mit Einführung des KVG hingegen verlor die
Privatpraxis ihre Bedeutsamkeit am ärztlichen Gesamteinkommensanteil. Die Krankenkassen
vereinbarten mit den Ärzten keine individuellen privatrechtlichen Verträge mehr, sondern es wurden
fortan nur Kollektivverträge mit dem ärztlichen Lokalverein abgeschlossen. Zwischen dem Arzt und
der Kasse blieben Einzelverträge zwar bestehen, allerdings wurden letztere „durch die Inhalte des
übergeordneten Kollektivvertrags vor allem in Honorarfragen (Art und Höhe) überlagert“ (Tauchnitz
2004:338). Diese Tatsache bewirkte eine weitestgehende Normierung und Standardisierung der
Einzelverträge auf Basis der Kollektivverträge. Die Ärztevereine übernahmen oftmals auch die
Funktion der Verteilung des vereinbarten ärztlichen Gesamthonorars unter den Mitgliedern, so dass
die Kassenärzte kaum noch durch die Kassenvorstände kontrolliert werden konnten. Je nachdem mit
welcher Krankenkasse der Kassenarzt in einem Arbeitsverhältnis stand, fiel nun auch die
entsprechende Vergütung aus: Ärzte in Betriebskrankenkassen waren tendenziell besser gestellt, da
hier überwiegend ein Pauschalhonorar vereinbart und die Betreuung der Kassenpatienten zumeist
überschaubar waren. Für die Versorgung der Privatpatienten blieb in der Regel daneben noch
genügend Zeit, so dass insgesamt eine durchaus gesicherte Einkommenssituation bei den
Kassenärzten der Betriebskrankenkassen zu verzeichnen war. Bei den Orts- und Gemeindekassen
hingegen waren die Ärzte mit den Kassenpatienten voll ausgelastet, so dass die bisherige Privatpraxis
komplett wegbrach. Diese negativen Faktoren bedeuteten einen sehr eingeschränkten
Handlungsspielraum für die Kassenärzte (Tauchnitz 2004).
10
In diesem Jahr erfolgte ein „rasanter Wandel der bestehenden ärztlichen Standesvereine zu
wirtschaftlichen ‚Kampforganisationen‘“ (Tauchnitz 2004:5), was einen Schub an
Organisationsgründungen zur Folge hatte. Organisationen bildeten sich auf Ärzte- und Kassenseite.
Nach und nach schlossen sich die lokalen Krankenkassen zu überregionalen oder landesweiten
Dachorganisationen zusammen. Darüber hinaus entstanden zentralisierte Ärzteorganisationen, z.B.
der 1900 gegründete reichsweite Hartmannbund, sowie die KVen (1931) als kollektiv (regionale)
Kassen-Verhandlungspartner. Aus dieser Zeit ist ein Netzwerk korporativer Akteure mit mehr oder
weniger gegensätzlichen Interessen hervorgegangen. Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung
wurde nun primär durch Verbände und Vereinigungen und nicht durch staatliche oder kommunale
Einrichtungen organisiert. Die oftmals unterschiedlich ausgehenden Organisationskämpfe stellten
nicht nur das Ausmaß interorganisatorischer Konflikte dar sondern ebenfalls die Unsicherheit der
zeitlich befristeten kollektiven Vereinbarungen. Ohne entsprechende solide Rahmenbedingungen,
wie z.B. einer allgemeinen Akzeptanz kollektiver Vereinbarungen und gesetzlicher Regelungen bzgl.
des Kollektivvertragswesens, konnte langfristig auch keine gute Entwicklung der kassenärztlichen
Honorierung gesichert werden (Tauchnitz 2004).
1884 wurde die Unfallversicherung bzw. das Unfallschutzgesetz erlassen, das 1885 in Kraft trat.
1886 gab es nach recht kurzer Zeit diverse unterschiedliche Vergütungsformen bei den
Vertragsärzten zu verzeichnen: Pauschalhonorar, Einzelleistungsvergütung (siehe jeweils vorige
Seite), Kopfpauschale und Fallpauschale8. Die am weitesten verbreitete Honorierungsform bildete
um die Jahrhundertwende die Kopfpauschale (Tauchnitz 2004).
1889 wurde die gesetzliche Rentenversicherung (Invaliditäts- und Alterssicherung) beschlossen, die
1891 in Kraft trat (Simon 2010).
1892 erfolgte im ambulanten Bereich ein tief greifender Konflikt, dessen Ausgang die gegenwärtige
Struktur des deutschen Gesundheitswesens nachhaltig prägt: die Krankenkassen erhielten das Recht,
in ihrer Satzung die Zahl der erforderlichen Ärzte für definierte Versorgungsbereiche festzulegen und
mit diesen Ärzten Einzeldienstverträge über die Versorgung ihrer Versicherten abzuschließen. Die
Krankenkassen sicherten im Gegenzug für die Behandlung der Versicherten die Vergütung der
erbrachten Leistungen zu, was eine verbesserte Einnahmesituation und einen Niederlassungsanstieg
der Ärzte zur Folge hatte (von knapp 16000 im Jahr 1885 auf ca. 32000 im Jahr 1909). Die ärztliche
Honorierung variierte jedoch nach wie vor von Kasse zu Kasse und die ärztliche Arbeitsverteilung fiel
ebenfalls sehr unterschiedlich aus (Simon 2010).
1896/1897 war die GewO-Ermächtigung (1869) die Grundlage für den Erlass einer erstmalig
amtlichen Gebührenordnung, der sogenannten ‚Preugo‘. Sie war eine ‚subsidiäre Taxe‘, da die
beruflichen Leistungen „mangels einer Vereinbarung“ (Funke 1988:8) gemäß den entsprechenden
Vorschriften zu vergüten seien. Subsidiäre Taxen sind, wie bereits erwähnt, Entgeltregelungen, die
inhaltlich gesehen unverbindlich sind und nur erfolgen, wenn Parteivereinbarungen weder
ausdrücklich und stillschweigend erfolgt sind (Funke 1988). Im Streitfall sollte die Preugo somit die
Festlegung der Vergütungshöhe für ärztliche Leistung garantieren (Tauchnitz 2004). Letztere enthielt
etwa zweihundert ärztliche Positionen und legte die Mindest- und Höchstsätze für alle ärztlichen
Verrichtungen fest (Funke 1988). Die nicht unmittelbar geltenden Mindestsätze waren gegenüber
Sozialversicherungsträgern, öffentlichen Kassen und Unbemittelten anzuwenden und durften nur für
den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zugrundegelegt werden. Die Mindestsätze stellten
dar, was die Kassen den Ärzten für die entsprechenden Leistungen mindestens zu zahlen hatten (Zeitonline.de 1964, www.). Ausgangspunkte waren Bestimmungen, die bereits Elemente beinhalteten,
die z.T. noch in der Gebührenordnung von 1982 (z.B. Gebührenbemessungskriterien) zu finden
waren. Hinzu kam noch ein Gebührenverzeichnis, das den entsprechenden Gebührenrahmen für die
ärztlichen Leistungen wiedergab.
Die Höchstsätze hingegen bezeichneten damals wie heute einen Spielraum und reichten im
Allgemeinen von einem Einfachsatz bis zum Zehnfachsatz. Im Laufe der Zeit wurde der Spielraum
jedoch stark reduziert (Hermanns 2011).
1900 wurden im Verlauf der Zeit aufgrund der geringer werdenden Nachfrage der Kassen im
Verhältnis zu der Zahl der niedergelassenen Ärzte, zunehmend mehr Ärzte von der Versorgung der
GKV-Patienten ausgeschlossen. Entsprechende Auseinandersetzungen führten zur Gründung des
ersten gewerkschaftlichen Kampfverbandes von Ärzten, dem damaligen „Verband der Ärzte
Deutschlands“, (heutiger Hartmannbund) in dem sich die Ärzteschaft gegen die Vorgehensweise der
Krankenkasse erhob. Gefordert wurde insbesondere die Zulassung aller Ärzte für die Behandlung von
GKV-Versicherten sowie die Ersetzung des Systems der Einzeldienstverträge durch ein System von
8
Bei der Kopfpauschale wird ein fixer jährlicher Betrag unabhängig von der entsprechend durchgeführten ärztlichen
Leistung pro Kassenmitglied bezahlt. Sofern ein fixer Betrag je dem ärztlichen Behandlungsfall gezahlt wird, spricht man von
einer Fallpauschale (Tauchnitz 2004).
11
Kollektivverträgen zwischen der organisierten Ärzteschaft und den Krankenkassen. Darüber hinaus
wurde eine freie Arztwahl für die Patienten verlangt (Simon 2010, KVH 2009, PDF).
1911 wurde die Reichsversicherungsordnung (RVO) mit ihren 1805 Paragraphen eingeführt. Das
Recht der Arbeiterkrankenversicherung, das Unfallversicherungsrecht sowie das Invaliditäts- und
Altersversicherungsrecht wurden hier zu einem Regelwerk zusammengeführt. Eine weitere
Ausdehnung der Versicherungspflicht auf andere Berufe bzw. andere Wirtschaftszweige bewirkte,
dass theoretisch ein immer größerer Prozentsatz versichert war. Dennoch waren 1911 trotz
ansteigender Versicherungspflicht lediglich 18% der Bevölkerung in den ca. 2000 Krankenkassen
versichert. Der GKV-Versicherten-Anteil wurde im Verhältnis zu den privat Versicherten jedoch
zusehends größer. Wohlhabende Bürger/Berufsgruppen (Lehrer, Beamte, Geistliche) mussten
entsprechende Leistungen, nach wie vor aus eigener Tasche finanzieren oder sich anders versichern.
Letzteres bewirkte erste privatwirtschaftliche Versicherungsunternehmen, für die die
Selbsthilfegruppen9 des Mittelalters als Modell dienten. Die private und gesetzliche Absicherung
verlief somit letzten Endes fast zeitgleich (Daisyo 2010, PDF).
12
1913 stieg aufgrund schärfer werdender Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und Krankenkassen,
letzten Endes sogar auf nationaler Ebene, sowie der Ausweitung der Versicherungspflicht, die
Krankenkassen-Mitgliederzahl innerhalb weniger Jahre von knapp 700 (in 1901) bis auf über 25000
(ein Viertel der Bevölkerung im Jahr 1913) an (Simon 2010).
Unter der Schirmherrschaft der Regierung wurde das ‚Berliner Abkommen‘ vollzogen: Die
Ärzteschaft erreichte, dass Kassen nicht mehr allein über die Zulassung von Ärzten für die
Behandlung von GKV-Versicherten entscheiden konnten. Die Auswahl hatte fortan unter
gleichberechtigter Mitwirkung der Kassenärzte zu erfolgen, wodurch eine gemeinsame Verhältniszahl
für die Zulassung von Ärzten festgelegt wurde (1 Arzt je 1350 Versicherte). Bei einem Abschluss von
Einzelverträgen musste nun die Zustimmung eines paritätisch, von Vertretern der örtlichen
Krankenkassen und Kassenärztevereinigungen, besetzten Vertragsausschusses vorliegen (Simon
2010, KBV 2013 a, www., KVH 2009, PDF). Es erfolgte letzten Endes nicht die Abschaffung der
Einzelverträge sondern deren Einbettung in ein „immer dichteres System von Kollektivverträgen“
(Tauchnitz 2004: 338). Die den Kollektivverträgen zugrunde liegenden Rahmenbedingungen sollten
fortan zwischen den beteiligten Spitzenorganisationen als Orientierungshilfe für die Entscheidungen
von Netzwerkorganen in einem Mantelvertrag festgelegt werden. Damit eine kontinuierliche
ärztliche Versorgung der Versicherten gewährleistet werden konnte, konnten die neuen
Kassenarztverträge erst mit dem Ablauf bisheriger Verträge in Kraft treten. Entsprechend der
vertraglichen Vereinbarungen der jeweiligen Kassen wurde die kassenärztliche Vergütung an die
Vertragsärzte gezahlt. Nach wie vor konnte die Vergütungsform in Einzelverträgen festgelegt werden,
wodurch sie der freien Vereinbarung zwischen dem einzelnen Arzt und der Krankenkasse unterlag.
Zudem wurde bereits die Option angedacht, für alle Vertragsärzte eine durch die Krankenkassen zur
Verfügung gestellte Gesamthonorarsumme über eine lokale Kassenärzteorganisation an die
angeschlossenen Ärzte zu verteilen. Daraufhin schlossen diverse Kassen mit den örtlichen
kassenärztlichen Organisationen, oftmals Unterorganisationen der Hartmannbundes, hinsichtlich
ärztlicher Gesamtvergütung kollektive Verträge ab. Das ‚Berliner Abkommen‘ sorgte damit
9
Infolge der sich ausweitenden Versicherungspflicht auch für andere Berufsgruppen, die sich zu früheren Zeiten selbst
versichern mussten, wurden bisherige Selbsthilfeeinrichtungen (Basis: freiwillige Mitgliedschaft) zusehends überflüssig
(Daisyo 2010, PDF).
kurzzeitig für Frieden zwischen der Ärzteschaft und den Kassen und lieferte wichtige Grundlagen
für das System der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland, die auch heute noch Gültigkeit
haben. In diesem Kontext sind z.B. die Verhältniszahlen für die Bedarfsplanung sowie die
gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen zu nennen (Simon 2010, KBV 2013 a,
www., KVH 2009, PDF). Als eine der wesentlichen Ursachen für die Entwicklung und Entstehung „des
heutigen Netzwerks und der Institution der ‚Gemeinsamen Selbstverwaltung‘“ (Tauchnitz 2004:334)
können die auftretenden Konflikte in den direkten interorganisationalen Honorarverhandlung 334)
gesehen werden (Tauchnitz 2004).
1914 setzte der Hartmannbund bei Verhandlungen mit den Kassenverbänden eine 23%ige Anhebung
der Ärztehonorare durch. In Folge der Reichsversicherungsordnung war der Versichertenumfang
sprunghaft um 26,5% angestiegen, wodurch die Kassen die bessere Honorierung der Ärzte
ermöglichen konnten (Tauchnitz 2004).
3 Weimarer Republik
1918 gab es noch immer keine gesetzliche Verankerung von Kollektivverträgen. Im Laufe der
Weimarer Republik wurde der Kollektivvertrag „als legitimes Instrument der selbstständigen
Regulierung von materiellen Beziehungen zwischen organisierten gesellschaftlichen
Interessengruppen“ (Tauchnitz 2004:341) allgemein anerkannt. Durch den Übergang von den
Einzelverträgen zu den Kollektivverträgen eigneten sich die beteiligten Organisationen
(Krankenkassen und Ärzteschaft) zunehmend mehr „Kompetenzen zur vertraglichen Gestaltung der
kassenärztlichen Honorierung (...) und zur inhaltlichen (normativen) Vereinheitlichung der ärztlichen
Vertrags- und Vergütungsbedingungen (…)“ (Tauchnitz 2004:341) an. Letzten Endes verloren jedoch
sowohl die Ärzteschaft als auch die einzelnen Krankenkassen die Option auf die Gestaltung der
Kassenarztverträge und den entsprechenden kassenärztlichen Honoraren, wodurch die
Vertragsautonomie beider Organisationen verloren ging. Die organisationsbasierte
Ressourcenmonopolisierungstendenz war hingegen mehr oder weniger abgeschlossen (Tauchnitz
2004). Um einen weiteren Anstieg der ärztlichen Honorare zu vermeiden bzw. entsprechende
Begrenzungen vornehmen zu können, wurde der sogenannte „Bauer-Erlass“ eingeführt (Deneke
2000).
1923 versuchte die Ärzteschaft durch Kampfaktionen mehr Rechte zu erhalten, da sie nach wie vor
weiter in Abhängigkeit der Krankenkassen gerieten. Infolge von Ärztestreiks wurde der kurzweilige
Frieden zerstört. Das Berliner Abkommen lief daraufhin in diesem Jahr aus, woraufhin der Staat
erstmals in das bis dato privatrechtliche Verhältnis zwischen Ärzten und Kassen eingriff und in einer
Notverordnung wesentliche Regelungen des Abkommens bzgl. der Ärzteschaft und den
Krankenkassen übernahm. Infolgedessen wurde für einen weiteren Ausbau der gemeinsamen
Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, der Reichsausschuss für Ärzte und Krankenkassen
gegründet. Dieser war mit einer Rechtssetzungsbefugnis ausgestattet und hatte vor allem die
Aufgabe, Richtlinien für die Ärzteverträge und die Zulassung von Ärzten zu erarbeiten. Für
Streitigkeitsschlichtungen waren paritätisch besetzte Schiedsämter zuständig. Diese Richtlinie über
die Zulassung zur Kassenarztpraxis kann sozusagen als Geburtsstunde des heutigen
Zulassungsausschusses angesehen werden. Insgesamt sind hiermit zwei weitere charakteristische
Merkmale des deutschen Gesundheitssystems entstanden: Erstens entstand aus dem
13
Reichsausschuss der Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen10. Zweitens lebt die Institution
des Schiedsamtes in den an zahlreichen Stellen des deutschen Gesundheitswesens arbeitenden
Schiedsstellen weiter. Sie dient als zentrales Instrument der Konfliktregulierung und des
Interessenausgleichs (Simon 2010, KBV 2013 a, www., KVH 2009, PDF).
Ebenfalls in diesem Jahr erfolgte die Einführung des sogenannten Regelbetrags bei der
Arzneimittelverordnung, was der Vorläufer für das 1990 eingeführte Arzneimittelbudget war
(Tauchnitz 2004).
1924 war die preußische Gebührenordnung für approbierte Ärzte und Zahnärzte (Preugo) die
wichtigste der staatlichen Gebührenordnungen für die Honorierung der ärztlichen Leistungen11 und
wurde in diesem Jahr von den meisten Ländern im deutschen Reich zum allgemein gültigen Maßstab
für die Behandlung Mittelloser. Allerdings waren diverse neuere ärztliche Leistungen nicht mehr
verzeichnet und mussten analog abgerechnet werden, was oftmals zu gravierenden
Honoarstreitigkeiten führte (Funke 1988, Deneke 2000, Tauchnitz 2004).
Ebenfalls wurde in diesem Jahr eine Vertragsrichtlinie erlassen, die die Option des
Arztvertragsabschlusses als Einzel- oder Kollektivvertrag vorsah, wodurch „(…) die bisherige
Trennung zwischen Einzelvertrag und übergeordnetem Kollektivvertrag erstmals partiell
durchbrochen“ (Tauchnitz 2004:342 f.) wurde.
1927 wurde die privatärztliche Verrechnungsstellen (PVS) gegründet (Deneke 2000).
14
1928 diente die Preugo nach wie vor als alleinige Grundlage für die Honorierung der Ärzte bzw. der
entsprechenden Rechnungsstellungen. In Erkenntnis der Mängel der Preugo wurde die Allgemeine
Deutsche Gebührenordnung (Adgo) vom Hartmannbund als Richtlinie für die Honorierung der
ärztlichen Tätigkeit bzw. als Grundlage für die von der Preugo abweichenden Honorarvereinbarungen
geschaffen. Im Gegensatz zur Preugo war die Adgo nicht von einer staatlichen Stelle erlassen und
somit keine amtliche Gebührenordnung bzw. keine Taxe (Funke 1988). Darüber hinaus wurde sie
stets dem medizinisch-technischen Fortschritt angeglichen. Infolgedessen war die Adgo und nicht die
Preugo die Grundlage für die 1963 erhobene GÖA (Tauchnitz 2004). Die aus der Adgo
weiterentwickelte ‚Privat-Adgo‘ (P-Adgo) mit ihren Mindest- und Höchstsätzen fand im
privatärztlichen Bereich Anwendung. Nach der P-Adgo konnte nur abgerechnet werden, „wenn der
Arzt mit dem Patienten oder den Stellen, die sich zur Zahlung des ärztlichen Honorars verpflichteten,
die Sätze dieser Gebührenordnung als maßgebend vereinbart hatte“ (Funke 1988:10) bzw. nur, wenn
Arzt und Patient dies ausdrücklich privatrechtlich vereinbart hatten. Sie war wesentlich
differenzierter als die Preugo, da sie mitunter bis zu doppelt so hohe Mindestsätze und etwa 670
Positionen enthielt (Funke 1988).
Die Vertragsrichtlinien von 1924 und 1928 ermöglichten den Krankenkassen nach wie vor
Wahlmöglichkeiten zwischen Einzelleistungs- und Pauschalhonorierung. Entweder wurden die
Pauschalen nach Krankheitsfällen oder nach Versichertenanzahl (Kopfpauschale) berechnet. Aus
Angst vor unkontrolliert ansteigenden Arztleistungen im Falle von Einzelleistungshonorierung, war
die Pauschalhonorierung immer noch die dominierende Honorierungsform der Krankenkassen. Die
10
Dieser wurde seit 2004 durch die Einbeziehung weiterer Leistungserbringer in einen G-BA (zentrale Stelle im GKV-System)
umgewandelt.
11
Neben der Preugo gab es bis 1924 rund 18 verschiedene Gebührenordnungen im damaligen deutschen Reich (Funke
1988)
soziale Differenzierung in Kassen- und Privatpatienten hatte ihre historischen Wurzeln in den
unterschiedlichen Honorarhöhen: Aufgrund unterschiedlicher Honorierungsformen (Pauschal- versus
Einzelleistungsvergütung) waren Privatpatienten für den Arzt stets rentabler (Tauchnitz 2004:337).
1929 vereinbarte der Hartmannbund mit den Verbänden der Ersatzkassen die Adgo in der
Ersatzkassenpraxis als Abrechnungsgrundlage zu verwenden. Daraus resultierte die „Allgemeine
Deutsche Gebührenordnung der Ersatzkassen“, auch „Ersatzkassen Adgo“ (E-Adgo) genannt, die
ständig weiterentwickelt wurde und bis 1965 galt. Im Gegensatz zur Privat-Adgo enthielt die E-Adgo
keine Gebührenspanne mehr sondern Einheitssätze, die den Mindestsätzen der Privat-Adgo
entsprachen. Zudem diente das Leistungsverzeichnis der „E-Adgo“ später als Grundlage für die
amtliche Gebührenordnung von 1965 (Funke 1988).
1930 konnten aufgrund der wirtschaftlichen Rezession, die neuen Rechtsverordnungen die Situation
zwischen den Krankenkassen und den Ärzten nicht verbessern. Erneut wurde Mitte dieses Jahres
eine Notverordnung veranlasst, die die Krankenkassen berechtigte Einzelverträge mit den Ärzten
ihrer Wahl zu treffen (KBV 2013 a, www.).
Wie bereits angesprochen wurden bei der E-Adgo die Vergütung der ärztlichen Tätigkeiten anhand
von Einzelleistungen bemessen und vorgenommen. Die Ersatzkassen nahmen dadurch in
leistungsrechtlicher sowie in honorarpolitischer Hinsicht eine besondere Position ein. Diese
Vorgehensweise war nur möglich, da die Ersatzkassen, im Gegensatz zu den RVO-Kassen, im Verlauf
dieses Jahres von der im Krankheitsfall zu erfolgenden Lohnfortzahlung in den ersten sechs Wochen
freigestellt wurden (Tauchnitz 2004).
Der Hartmannbund ermöglichte, dass die Honorare der Ärzte „bei stabilen Beitragseinnahmen im
Rahmen der netzwerkinternen Verhandlungen zwischen 1924 und 1929 auch ohne größere
Streitaktionen überproportional anstiegen und somit trotz der Zunahme der Kassenarztstellen keine
Einkommensverluste für den einzelnen niedergelassenen Arzt entstanden“ (Tauchnitz 2004:447)12.
Der Grund dafür war, dass die organisierten Kassenärzte in diesen Zeiten ein sich reduzierendes
Ärztehonorar gegenüber einer schwindenden Grundlohnsumme abschwächen konnten. Die
Ärzteschaft musste sich fortan mehr und mehr für ihre ansteigenden Honorare rechtfertigen.
(Tauchnitz 2004).
Wie schon 1925 waren auch in diesem Jahr erneut hohe Leistungsausgaben zu verzeichnen
(Tauchnitz 2004). Im Laufe der Zeit wurden die ärztlichen Pauschalhonorare, die für die
Krankenkassen eine „außerordentliche Erleichterung ihrer Finanzgebaren“ (Sauerborn 1953:12, zit.n.
Tauchnitz 2004:336) darstellten, für die Ärzteschaft nicht mehr tragbar, da letztere der Auffassung
waren, dass die medizinische Versorgung von den Patienten unnötig stark in Anspruch genommen
wurde. Die Kassenpatienten hatten bei den Kassenärzten somit einen schlechten Stand, was eine
reduzierte Versorgungsleistung durch die Ärzte mit sich brachte. Schlussendlich bewirkte diese
Situation, dass die Ärzte in ihrem eigenen wirtschaftlichem Interesse nur noch die medizinisch
notwendigsten Maßnahmen durchführten, die Patienten zu gesundheitsförderlichen
Verhaltensweisen sowie zu weniger Arztbesuchen ambitionierten. Allerdings blieben diese
Maßnahmen für das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht ohne Auswirkungen; vielmehr bewirkte es ein
„gegen den Kranken gerichteten Misstrauens-, Kontroll- und Disziplinierungsverhältnis“ (Tauchnitz
2004:337).
12
Fast in jeder Wirtschaftskrise waren bei den Kassenärzten im Schnitt weniger Einkommensbußen zu verzeichnen als bei
dem überwiegenden Teil der lohnarbeitenden Bevölkerung (Tauchnitz 2004).
15
1931 wurde zur Schlichtung der Arbeitskämpfe zwischen Ärzten und Krankenkassen mittels einer
weiteren Notverordnung auf Landesebene durch den Reichspräsidenten die Institution der zu
bildenden kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) eingeführt. Verhandlungspartner der
Krankenkassen waren nun nicht mehr der Hartmannbund sondern einzig und alleine die KVen13
(Tauchnitz 2004, Simon 2010).
16
Zudem wurde nun das bisherige System der Einzeldienstverträge im Zuge der Notverordnungspolitik
der Brüning-Regierung durch das Kollektivvertragssystem ersetzt, was die Grundlage für das heutige
System der ambulanten ärztlichen Versorgung darstellte. Die kassenärztlichen Kollektivverträge
erhielten in diesem Jahr fortan einen offiziellen Rechtscharakter und ähnelten somit Tarifverträgen
zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Entsprechende Mantelverträge, die die Einheitlichkeit
der kassenärztlichen Versorgung sicherstellen sollten, wurden in den Gesamtverträgen auf örtlicher
Ebene der KVen und den Krankenkassen ausgehandelt. Die wesentlichen Kontexte wurden ohne die
Mitwirkung der lokalen Akteure (Kasse, Arzt) konzipiert.
Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation erfolgte zwischen den Spitzenverbänden in
diesem Jahre ein Honorarabkommen, das finanzielle Abschläge für die Ärzte mit sich brachte. Die
Krankenkassen verzichteten im Gegenzug auf die Kündigung der Arztverträge (Tauchnitz 2004).
Im Hinblick auf die kassenärztliche Vergütung wurde von den Krankenkassen eine kollektivvertraglich
vereinbarte Gesamtvergütung an die KVen gezahlt. Mit der Honorarverteilung sowie allen übrigen
Pflichten gegenüber den Kassenärzten wurden unter Erstere gegenüber den Kassenärzten
entbunden. Je nachdem wie der durchschnittliche „Jahresbedarf an kassenärztlichen Leistungen pro
Versicherten“ (Tauchnitz 2004:345) und nicht pro Patient war (Kopfpauschale), fiel die Höhe der
jeweiligen Gesamtvergütung aus. In einem Gesamtvertrag wurde dann die für jede einzelne
Krankenkasse ermittelte Kopfpauschale vereinbart. Neben allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen
wurden ebenfalls die wirtschaftliche Situation sowie die Grundlohnentwicklung der Krankenkassen
bei der entsprechenden Festlegung der Vergütung berücksichtigt. Die ärztliche Behandlungsleistung
war lediglich für die Kasse pauschaliert.
Die KVen erhielten gleichzeitig den Sicherstellungsauftrag für die ambulante ärztliche ambulante
Versorgung der Kassenpatienten. Seitdem tragen sie den Kassen gegenüber Gewähr für eine
adäquate wirtschaftliche Verwendung der Mittel. Zudem wurden ebenfalls das Recht und die
Regelung der Zulassung von Kassenärzten auf sie übertragen und die Versicherten erhielten die freie
Arztwahl unter allen zugelassenen Ärzten (Simon 2010).
In Form von Einzelleistungen und nicht in pauschalierter Form erfolgte jedoch die Honorarverteilung
durch die Kassenärzteorganisationen. Die von den KVen als unnötig erbrachten ärztlichen Leistungen
wurden aus der Vergütung ausgenommen. Für die praktizierten Leistungen wurde ein sog.
Punktwert14 festgesetzt (= Punktsumme dividiert durch Gesamtvergütung der Kasse). In diesem Jahr
wurden bis zum noch heute gültigen System der kassenärztlichen Honorierung alle strukturellen
13
Die KVen vertraten bereits damals die Interessen der Ärzte gegenüber den Krankenkassen. Zudem agierten sie nach innen
in die Ärzteschaften hinein, bis hin zu der gegenwärtig relevanten Fragestellung, welcher Anteil jeder Facharztgruppe an der
„Gesamtvergütung und damit um die Sicherung von exklusiven Zugriffsrechten auf die Organisationsressourcen durch
einzelnen Gruppen“ (Tauchnitz 2004:346) zustehen würde. Darüber hinaus übernahmen sie bereits damals, wie auch noch
heute, staatliche Aufsichtsfunktionen (Simon 2010).
14
Der Punktwert ist entscheidend für die Vergütungshöhe ärztlicher Leistungen und ist ein inzwischen in Cent bemessener
Wert. Eine entsprechende Bewertungszahl liegt jeder vertragsärztlich erbrachten Leistung zugrunde, die mittels Punkten
das Leistungswertverhältnis untereinander darstellt. Der Wert wird mit den Punkten ärztlicher Leistungen des EBM
multipliziert, wodurch sich die reale Vergütungshöhe der Leistung errechnet ( Einheitlicher Bewertungsmaßstab, EBM)
(Ortwein 1992, ArztWiki 2013 b, www.).
und institutionellen Fundamente der kassenärztlichen Honorierung gelegt (Tauchnitz 2004, Simon
2010, Tauchnitz 2004, Wikipedia 2014 e, www.).
4 Drittes Reich
"Viele deutsche Ärzte haben sich im Ersten Weltkrieg bereits an energisches ,Durchgreifen' und
Missachtung der Patientenrechte gewöhnt, schon lange vor 1933 den späteren
nationalsozialistischen Herrschern bereitwillig, ja begeistert angedient" (Bastian, T. zit. n. Hauenstein
2011, www.).
Januar 1933 erfolgte die Machtergreifung der Nationalsozialisten (Simon 2010).
März 1933 wurden die Krankenkassen der Aufsicht des Reichsarbeitsministers unterstellt und er
setzte von ihm auserwählte Staatskommissare als Leiter ein. Diverse Krankenkassen-Angestellte
wurden wegen ihrer SPD, KPD-Gesinnung oder Gewerkschaftsangehörigkeit entlassen und durch
NSDAP-Angehörige ersetzt.
Ebenfalls in diesem Jahr erfolgte die Schließung kasseneigener Einrichtungen, darunter
Selbstabgabestellen für Heilmittel, Ambulatorien, Krankenhäuser und Zahnkliniken, was vor allem
den Interessen der Industrie und Ärzteschaft entgegenkam (Simon 2010).
April 1933 wurde das Zulassungsrecht für Ärzte verordnet, mittels dessen ein Ausschluss
kommunistisch tätiger und nichtarischer Ärzte erfolgte. Ende 1933 betraf das etwa 2.800 bzw. 8%
aller Kassenärzte (Forum Gesundheitspolitik 2015, www.).
August 1933 wurde durch die erfolgte Machtergreifung die Selbstverwaltung in der gesamten
Sozialversicherung beseitigt bzw. die gerade erst gegründeten regionalen Organisationen in der
Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD) gleichgeschaltet. Die KVen verloren somit ihre
Aufgaben und die stattdessen gegründete zentrale kassenärztliche Vereinigung Deutschlands (KVD)
mit einem Reichsärzteführer an der Spitze, wurde als Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet.
Letztere sollte fortan die ärztliche Versorgung, die Zulassung und die eigene Berufsgerichtsbarkeit
regeln. Die in diesem Kontext durch die Nationalsozialisten eingeleiteten Maßnahmen, wurden
durchgeführt, um eine Ausschaltung der politischen Gegner, die Gleichschaltung der Gesellschaft15
sowie den Ausschluss jüdischer Ärzte aus dem kassenärztlichen System zu bewirken. Die
kassenärztlichen Strukturen wurden infolgedessen zum Werkzeug der nationalsozialistischen
„Rassenpolitik“ (Gerhardt 2013:18, Simon 2010, Deneke 2000, Wikipedia 2014 e, www.).
Nach 1933 traten 45% aller Ärzte in die NSDAP ein. Gleichzeitig gingen sowohl der Hartmannbund als
auch der Deutsche Ärztebund, die beiden größten ärztlichen Standesorganisationen, mit dem
Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB) ein Bündnis ein (Hauenstein 2011, www.).
1934 wurde die bereits 1933 erfolgte Abschaffung der Selbstverwaltung durch den Aufbau der
Sozialversicherung gesetzlich abgesichert (Simon 2010). Dieses Gesetz bewirkte, dass die
Ersatzkassen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts und zu Trägern der GKV wurden. Speziell
zwischen Angestellten- und Arbeiterersatzkassen wurde separiert und sozialversicherungsfremde
15
Versichertenvertreter in der Selbstverwaltung waren mehrheitlich den Gewerkschaften und der SPD angehörig (Simon
2010)
17
Mitglieder mussten aus ihnen ausscheiden. Die privaten Gesellschaften waren nun zuständig für die
aus
den
Ersatzkassen
ausgeschiedenen
Krankenversicherungsmitgliedern
(infokrankenversicherung.net 2014, www.). Das GKV-Leistungsrecht blieb während des
Nationalsozialismus in seinen Grundzügen erhalten, wurde allerdings in einigen Bereichen weiter
ausgebaut (Simon 2010).
1935 erfolgte die Reichsärzteordnung, die die Übertragung der Ermächtigung der Gewerbeordnung
auf den Reichsinnenminister beinhaltete, der jedoch keinen Gebrauch von der Option einer Erlassung
der Gebührenordnung machte. Die Preugo blieb somit weiterhin bestehen (Funke 1988). Aus der
Reichsärzteordnung folgte die Festlegung der lang geforderten, einheitlichen Ausbildung und
Approbation. Darüber hinaus wurde in der Ermächtigungsgrundlage ebenfalls eine
„Gebührenordnung für Ärzte mit primärer Geltung“ vorgesehen, mit der Ausnahme „(…), dass eine
Vereinbarung über die Vergütung der Leistungen des Arztes schriftlich getroffen ist“ (Krause
a.a.O.:82, zit.n. Funke 1988:42). Diese Aussage verdeutlicht einen Wandel in dem Verständnis des
Freiraumes ärztlicher Honorargestaltung (Funke 1988).
Infolge der eingeführten Reichsärzteordnung wurden der Ärzteverbund und der Hartmannbund
offiziell aufgelöst (Deneke 2000).
1936 wurde die Reichsärztekammer gegründet und alle freiverbandlichen Zusammenschlüsse
wurden vollends aufgelöst (Deneke 2000).
18
1939 sollten hinsichtlich der Kriegsbedingungen die KVen durch eine Anpassung der ärztlichen
Vergütung entlastet werden. Darüber hinaus sollte vermieden werden, dass die „praktizierenden
Ärzte ihr Einkommen auf Kosten der eingezogenen Ärzte übermäßig steigerten“ (Tauchnitz 2004:
347). Während der Kriegszeit konnten Punktberechnung und Honorarverteilung nicht mehr nach
Einzelleistung vorgenommen werden. Fortan wurde nicht mehr nach Einzelleistungen vergütet
sondern nach der Zahl der Krankenscheine, der sog. Krankenscheinpauschale. Dieses
Krankenscheinsystem war derzeit durchaus tragbar, da höchst wahrscheinlich keine unnötigen
Leistungen erbracht wurden und die Ärzte aufgrund ihrer starken Frequentierung entsprechend gut
honoriert werden konnten. Diese Krankenscheinpauschale wurde auch noch in der Nachkriegszeit
beibehalten. „Das führte zum Anstieg der ärztlichen Einzelleistungen, was bei einer fixen
Gesamtvergütung sinkende Punktwerte und Einkommensbußen bei den Ärzten mit kleinem
Patientenstamm zur Folge hatte“ (Sauerborn 1953:214, zit.n. Tauchnitz 2004:347).
1940 wurden privatärztliche Verrechnungsstellen mit in die Reichsärztekammer eingegliedert
(Deneke 2000).
1941 wurden die Rentner mit in die Krankenversicherung aufgenommen, wodurch sie automatisch
krankenversichert waren. Finanziert werden konnte dieser Tatbestand mittels der
Beitragsüberweisungen der Rentenversicherungsträger an die Krankenkassen (Simon 2010).
Mai 1945 organisierten die KVen erneut die medizinische Versorgung (Gerhardt 2013).
5 Nachkriegszeit
1945 erfolgte nach dem Ende des 2. Weltkrieges der Zusammenbruch der PKV, die infolgedessen
wieder bei null anfangen musste. Jegliche PKV-Tätigkeit wurde durch die sowjetische
Besatzungsmacht verboten, woraufhin eine Vielzahl von Versicherungsunternehmen in die
Bundesrepublik übersiedelte (info-krankenversicherung.net 2014, www.)
1948 wurde mit der Währungsreform in den drei Besatzungszonen in Deutschland zwar die
Preisbindung allgemein aufgehoben, nicht jedoch die Preugo (Arztwiki 2013 a, www.).
1949 erfolgte die Wiederbegründung des Hartmannbundes. Zudem schlossen sich in Hannover die
jungen Landesverbände zum „Verband der niedergelassenen Nicht-Kassenärzte Deutschlands (NKV)“
zusammen (Ortwein 1992, NAV 2010, www.).
Der in 1947 gegründete Verband der privaten Krankenversicherung in der britischen Zone mit Sitz in
Köln, breitete sich nun auf das gesamte Gebiet der BRD aus (info-krankenversicherung.net 2014,
www.).
1950 wurde der NKV in „Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V. (NAV)“ umbenannt
(NAV 2010, www.).
1951 erfolgte die Einführung des Selbstverwaltungsgesetzes, das der Wiederherstellung von
Strukturen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung diente. Die Verbände hatten im Vergleich
zu 1933 nun einen wesentlich stärkeren Einfluss (Simon 2010).
Exkurs in die DDR:
Das Gesundheitswesen der DDR wurde in den Grundprinzipien durch die sowjetische
Besatzungsmacht beeinflusst, bei dem es sich um ein zentralstaatliches System mit zentralstaatlicher
Planung und staatlicher Leistungserbringung handelte. Das 1951 gegründete Ministerium für Arbeit
und Gesundheit übernahm hierbei die zentrale Verwaltungsfunktion; die Leistungserbringung
erfolgte in staatlichen Einrichtungen und die staatliche Aufsicht lag in den zuständigen Abteilungen
der 14 Bezirke. Krankenhäuser, Polikliniken und Ambulatorien waren nach SED-Vorstellung die
entsprechenden Anbieter für die ambulante medizinische Versorgung zuständig. Einzelpraxen für
niedergelassene Ärzte waren im Gegensatz zum Westen selten und nahmen im Verlauf der DDRGeschichte ab, so dass viele Ärzte vor der Mauererrichtung in den Westen abwanderten. Den
volkseigenen Betrieben (VEB) und dem Betriebsgesundheitswesen (BGW), die ihre Schwerpunkte in
der Primärprävention, der Unfallverhütung, in der ersten Hilfe und der ambulanten medizinischen
Versorgung durch arztsanitätsstellen, Betriebsambulatorien und Betriebspolikliniken hatten, kamen
im Bereich der medizinischen Versorgung eine bedeutende Rolle zu. Die DDR setzte im Vergleich zur
BRD bereits sehr auf Prävention, Prophylaxe, die einen wesentlichen Beitrag zur Entfaltung der
Volkswirtschaft leisten könnte sowie auf die Gesundheitserziehung der gesamten Bevölkerung.
Darüber hinaus gab es 1951 eine einheitlich zusammengefasste und zentral gelenkte
Sozialversicherung, über die der Staat die Aufsicht hatte, deren Leitung jedoch zunächst noch von
Versichertenvertretern gewählt wurde (Simon 2010)16. Für die gesamte DDR gab es lange Zeit nur
eine Verrechnungsstelle in Potsdam. Bezahlt wurde nach der persönlich ermittelten Fallpauschale
(ArztWiki 2013 a, www.).
1952 forderten Ärzte aufgrund des in diesem Jahr gestiegenen Lohn-Preis-Gefüges, eine Angleichung
der Gebührensätze. Die bundeseinheitliche „Preußische Gebührenordnung für approbierte Ärzte und
Zahnärzte“ wurde in das Preisrecht als bundesrechtliche Regelung übernommen. Die Ermächtigung
16
Bereits ab 1950 wurden die Sozialversicherungsbeiträge zusammen mit der Einkommens- und Lohnsteuer über das
Finanzamt eingezogen (Simon 2010).
19
im Preisgesetz führte letzten Endes zu einer bundeseinheitlichen Regelung für die ärztlichen
Honorare (Funke 1988).
1953 wurden die Mindestsätze der Preugo erhöht und zur „amtlichen ärztlichen Gebührenordnung
für die Bundesrepublik Deutschland“ ernannt. Allerdings erfolgte noch immer keine entsprechende
Aktualisierung (Funke 1988).
1954 standen infolge der in den 50ern und 60ern stark unterfinanzierten Krankenhausversorgung bis
hin zur Pflegesatzverordnung nur ein geringes medizinisches Personal und medizinische Versorgung
zur Verfügung. Um die finanzgeschwächte GKV zu schonen, sollte den Krankenhäusern die Deckung
ihrer Selbstkosten durch die in diesem Jahr erfolgte Pflegesatzverordnung verweigert werden (Simon
2010).
20
1955 wurde mittels der Einführung des Kassenarztrechtes, das im Grundsatz die Regelungen von
1931 wieder herstellte, das System der KVen als Bestandteil der Reichsversicherungsordnung (RVO)
bestätigt. Die Institution der KV wurde in das Recht der BRD übernommen und die KVen erhielten die
zentrale Funktion im Gesundheitswesen (Körperschaften des öffentlichen Rechts,
Sicherstellungsauftrag, Gewährleistungsauftrag17, Vertragsverhandlungsregelungen sowie andere
Regularien18) (KVH 2009, PDF). Die Gesamtvergütung konnte nun im Vergleich zu 1931 sogar
wahlweise berechnet werden (Kopfpauschale, Fallpauschale oder Einzelleistung) (Tauchnitz 2004).
Der in dem Kassenarztrecht enthaltene Sicherstellungsauftrag gab den niedergelassenen Ärzten das
Monopol auf die ambulante Versorgung. Dafür mussten sie allerdings auf ihr Streikrecht verzichten
(Deneke 2000).
Die KVen konnten in den Gesamtvertragsverhandlungen mit den Krankenkassen, wie gesagt, sogar
Einzelleistungsvergütungen bewirken. Fortan sollte sich die Gesamtvergütung bei der Anwendung
der Kopfpauschale an dem tatsächlichen Versicherten-Versorgungsbedarf, also „der Summe der von
der Ärzteschaft im Untersuchungszeitraum erbrachten Leistungen“ (Tauchnitz 2004:348)
orientieren19. Die bisherige Kopfpauschale wurde somit zu einer „Pauschalvergütung mit
Einzelleistungscharakter“ (Kortmann 1968:43, zit.n. Tauchnitz 2004:348). Dieses Gesetz erbrachte
einen honorarpolitischen Wechsel, durch den die in den Kollektivverhandlungen bislang nicht
erlangte Einzelleistungsvergütung ermöglicht wurde. Die KVen mussten die entsprechende
Honorarverteilung ebenfalls nach Einzelleistungen und nicht mehr nach Kopfpauschale vornehmen.
Diese neuen Zustände in der Honorarpolitik hatten zur Folge, dass das Leistungsvolumen pro
Versicherten und folglich auch die Vertragsverhandlungen zwischen Kassen und KVen enorm
anstiegen. Die Organisationen der Kassenärzte forderten, dass abgesehen von der innerärztlichen
Honorarverteilung ebenfalls auch die Gesamthonorarberechnung nach dem Prinzip der
Einzelleistungsvergütung erfolgen sollte, was bis Mitte der 60er Jahre auch von den meisten
Krankenkassen akzeptiert wurde. Die Beziehungen zwischen Krankenkassem und den Ärzten wurden
somit neu geregelt (Tauchnitz 2004).
In diesem Jahr wurde ebenfalls die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Rechtsnachfolgerin
der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands gegründet (Wikipedia 2014 e, www.). Aufgrund der
Tatsache, dass die Preugo schon lange nicht mehr alle neue medizinischen Leistungen beinhaltete
17
Vertragsärztliche Tätigkeiten gegenüber Krankenkassen und ihren Verbänden adäquat durchzuführen. Qualität der
Leistungen und Vertragskonformität (ordnungsgemäße Abrechnung) wird durch die KVen überprüft (KVH 2009, PDF).
18
Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung (Krankenkassen und KVen) handeln Vergütung und andere Regularien (z.B.
Impfvereinbarungen) aus. Kommt es zu einer Nichteinigung erfolgt eine Schiedslösung (KVH 2009, PDF).
19
Bislang erfolgten derartige Berechnungen an den „Pro-Kopf-Ausgaben der Krankenkassen“ (Tauchnitz 2004:348)
und die Kassenärzte darunter starke finanzielle Nachteile erlitten, wurde eine analoge
Bewertungsliste, die allgemein Anerkennung fand, zur Preugo durch die KBV „für die Anwendung in
der kassenärztlichen Versorgung“ (Funke 1988:11) herausgebracht.
Zwei wichtige Veränderungen Ende der 60er hinsichtlich der sozialen Absicherung:
1956 erfolgte mittels der Krankenversicherung der Rentner in diesem Jahr deren vollständige
Einbeziehung in die GKV sowie eine Absicherung im Krankheitsfall, was letzten Endes zur originären
Aufgabe der GKV wurde. Die Beitragsüberweisungen der Rentenversicherung an die
Krankenversicherungen ermöglichte die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner (KVdR)
(Simon 2010).
In diesem Jahr erfolgte in der DDR die Neuordnung der Sozialversicherung, deren Leitung, Kontrolle
und Verwaltung in die Hände des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) übergeben wurde.
Dies‘ führte letzten Endes dazu, dass die Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch ihre
Mitglieder abgeschafft wurde. Nun unterlagen alle der Versicherungspflicht; unabhängig davon, wie
das Einkommen aussah. Inzwischen waren fast 100% der Wohnbevölkerung versichert, da die
Sozialversicherung eine beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen leistete. Ansonsten
ähnelte das System dem der GKV im Westen, bis auf die Tatsache, dass es in der DDR keine
Zuzahlungen, Eigenbeteiligungen oder Rezeptgebühren gab und der Leistungskatalogausbau früher
als im Westen begann. Alle Versicherten hatten grundsätzlich Anspruch auf eine freie Arztwahl und
kostenlose Heilbehandlung, die insbesondere ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Zahnersatz,
Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, Krankenhausbehandlung und häusliche Krankenpflege beinhaltete.
Mittels einer Neuordnung wurde die Sozialversicherung in eine der Arbeiter und der Angestellten
(SVAA) und eine Sozialversicherung für Nicht-Mitglieder des FDGB (Bauern, Handwerker,
Selbstständige und freiberuflich Tätige) geteilt (Simon 2010).
1957 wurde ein neues Kassenarztrecht im Bundestag verabschiedet (Gerhardt 2013). Die
Mindestsätze der Preugo wurden letztmalig erneut erhöht und darüber hinaus wurde ein
Lohnfortzahlungsgesetz20 eingeführt, das eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten mit sich
brachte. Letzteres bewirkte eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bislang erhielten Angestellte für
maximal sechs Wochen Gehaltfortzahlungen; Arbeiter hingegen bekamen lediglich 50% des
Grundlohns von ihrer Krankenkasse. Die Neuregelung verpflichtete die Unternehmen der GKV
Zuschüsse zu leisten, so dass die Versicherten im Krankheitsfall insgesamt 90% des
Nettoarbeitsentgeltes erreichten (Funke 1988:11, Simon 2010).
Darüber hinaus erfolgte die groß angelegte Rentenreform, die das Rentenniveau anhob. Die jährliche
Anbindung an die Entwicklung der Löhne und Gehälter sollte sicherstellen, dass die Teilhabe der
Rentner an der Einkommensentwicklung der abhängig Beschäftigten ermöglicht werden konnte
(Simon 2010).
Ende der 50er nahm die Zahl der Medizinstudenten und der niederlassungswilligen Ärzte zu,
allerdings konnten letztere aufgrund der bestehenden Beschränkung nicht alle eine Zulassung als
niedergelassene Ärzte erhalten (Simon 2010).
1961
wurden
die
Zulassungsbeschränkungen
aufgehoben
und
eine
allgemeine
Niederlassungsfreiheit bewirkt, die mit dem im Grundgesetz enthaltenen Artikel über die Freiheit
20
Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle.
21
der Berufswahl begründet wurde. Letzteres war die Grundlage für einen deutlichen Anstieg der
Arztzahlen; insbesondere in den 70er und 80er Jahren (Simon 2010).
Zudem wurde in diesem Jahr die Bundesärzteordnung (BÄrzteO)21 erlassen, welche die
Subsidiaritätsklausel für die Gebührenordnung „als Norm für strittige Fälle im Mangel einer
Vereinbarung“ (Funke 1988:12) im Gegensatz GewO nicht mehr beinhaltete.
1964 erarbeitete Gesundheitsministerin Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) aufgrund der Tatsache, dass
die privatärztliche Honorierung nach wie vor auf der bereits 70 Jahre alten Preußischen
Gebührenordnung basierte eine Bundes-Gebührenordnung (Bugo) für Ärzte und Zahnärzte (BUGOZ). Die Sätze der Preugo wurden zwar 1957 letztmalig erhöht, aber die Listen ärztlicher Leistungen
waren komplett veraltet. Schwarzhaupt schlug hier eine Gebührenerhöhung um durchschnittlich 30
Prozent vor; die Ärzte wollten jedoch 40 Prozent (Arztwiki 2013 a, www.).
22
1965 stimmten nach langen Verhandlungen der Bundestag und Bundesrat der neuen
Gebührenordnung zu und es erfolgte die Einführung der Bundesgebührenordnung für Ärzte und
Zahnärzte (BUGO(-Z)) in der Bundesrepublik (Arztwiki 2013 a, www. , Scholber 2014, PDF). Letztere
enthielt keine Vorschriften über die Gestaltung der ärztlichen Rechnungen. Steigerungssätze waren
nicht nachvollziehbar. Hier handelt es sich um eine primär geltende, aber dispositive
Gebührenregelung22. Ihre Funktion war insbesondere die Regelung der Fragen für welche
Leistungen, in welcher Höhe die Ärzte von Privatpatienten Honorare fordern können und in welcher
Form diese Rechnungen zu stellen sind (Funke 1988:6). Ein zentraler Eckpunkt für die Entwicklung
der ambulanten ärztlichen Versorgung war die dadurch in diesem Jahr einhergehende Umstellung
von Kopfpauschalen- auf Einzelleistungsvergütung (Simon 2010:33). Für Kassenpatienten wurden
Verträge ausgehandelt, die sich ungefähr an der Bugo orientierten (Arztwiki 2013 a, www.). Aufgrund
der Tatsache, dass die E-ADGO die Vergütung von Einzelleistungen und die Tendenz zur Begrenzung
der Leistungsexpansion „(…) durch Überwachung der vertragsärztlichen Tätigkeit und eine von den
Ärzteorganisationen durchzuführende Prüfung der Arztrechnungen (…)“ anstrebte, „(...) war sie und
nicht die Preugo die Grundlage für die neue Gebührenordnung“ (Tauchnitz 2004:345). Die BUGO
enthielt etwa 1000 Gebührenordnungspositionen; die Preugo hingegen hatte ursprünglich nur etwa
200 vorzuweisen. Zudem wurde in der neuen Verordnung der Spielraum zwischen Mindest- und
Höchstsatz vom 1-10fachen auf das 1-6fache verringert. Darüber hinaus wurde das Gebührenniveau
ebenfalls um 28% angehoben (Funke 1988). Die neue Gebührenverordnung konnte ohne Einhaltung
einer bestimmten Form voll ‚abbedungen23 werden‘ (Funke 1988:38). Auch wenn das Prinzip der
vollen Abdingbarkeiten24 bestehen blieb, so konnte seit der RVO in 1935 durchaus ein Wandel des
Verständnisses vom Freiraum ärztlicher Honorargestaltung festgestellt werden: Die Tendenz bei der
BUGO zum Subsidiaritätsprinzip von der aus dem vorherigen Jahrhundert stammenden
21
Hintergrund des BÄrzteO war, dass mittels der Approbation der Arzt ein Pflichtmitglied der Ärztekammer seines Wohnund Berufsortes wurde. Zudem sind fortan die ärztlichen Honorare nicht in beliebiger Höhe festsetzbar, sondern an Gesetze
einer staatlichen Gebührenordnung gebunden. Die ärztliche Tätigkeit war nun ein öffentlich-rechtlich gebundener Beruf
und kein Gewerbe mehr; eine auf den Erwerb ausgerichtete Tätigkeit. Die Ausübung des Berufes fiel nun unter ‚Anwendung
des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb‘ (UWG). Frei praktizierende Ärzte waren fortan im Sinne des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWG) als Unternehmer anzusehen und unterlagen somit auch den Vorschriften
dieses Gesetzes. Durch die Freiberuflichkeit erfolgte keine Einschränkung der Sozialbindung mehr (Funke 1988).
22
Primär-dispositive Taxen greifen grundsätzlich immer ein und können abgedungen werden (s. folgende Fußnote)
23
„Durch Vereinbarung kann eine von dieser Verordnung abweichende Regelung getroffen werden.“ (§ 1 Satz 2 GOÄ 1965
in Funke 1988:38)
24
Abdingbarkeit oder auch Dispositivität (dispositives Recht) beschreibt die Möglichkeit, durch eine vertragliche
Vereinbarung rechtliche Regelungen zu ändern oder aufzuheben. „Eine Abdingung ist nur erforderlich, wenn etwas primär –
also nicht schon von vornherein nur hilfsweise – gilt“ (Funke 1988:36).
Gewerbeordnung sowie aus der Preugo entfiel zusehends (Funke 1988:42).
Die Ärzte kritisierten bei der BUGO eine existierende Anlehnung an die
Krankenkassengebührenordnung, der E-Adgo, und befürchteten, dass die neue Verordnung nur eine
Übergangslösung, die sogenannte ÜGO, wäre (Funke 1988). Dieser Übergang belief sich somit auf 17
Jahre bis zur neuen GOÄ in 1982 (Arztwiki 2013 a, www.).
1969 strengt der NAV eine Verfassungsklage aufgrund der Tatsache an, dass die freie
Kassenzulassung die Voraussetzung für die freie Berufsausübung ist (NAV 2010, www.).
6 Siebziger Jahre und das Kostendämpfungsgesetz
1971 entschlossen sich die KBV und Bundesverbände der Krankenkassen zur Einführung einer
verbindlichen bundeseinheitlichen Rechnungsgrundlage für die Kassenärzte. Dem zugrunde liegend
wurde der auf der Gebührenverordnung von 196525 aufgebaute Bewertungsmaßstab-Ärzte (BMÄ)
eingeführt. Der BMÄ galt für den Bereich der RVO-Kassen (Funke 1988:13).
Mitte der 70er-Jahre setzte ein grundlegender Wandel in der Gesundheitspolitik ein, infolge dessen
der Kapazitätenausbau und die Verbesserung der Bedarfsdeckung hintergründig und die Begrenzung
der Ausgabenentwicklung in der GKV vordergründig behandelt wurden. Die Ausgabensteigerungen
zu Beginn der 70er führten zu einer bedrohlichen Kostenentwicklung (Simon 2010). Bis dahin und
dem folgenden Kostendämpfungsgesetz in 1977 konnten Kassenärzte von dem wirtschaftlichen
Konjunkturaufschwung und den damit einhergehenden Wohlstand profitieren (Gerhardt 2013).
1977 wurde das sogenannte Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) erlassen, um
die Ausgabenentwicklung zu dämpfen und strukturelle Verbesserungen in der GKV bewirken zu
können. Es beinhaltete das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG), das Rentenanpassungs- und
Sozialversicherungsgesetz (RAÄG) sowie das Haushaltsbegleitgesetz. Politische Hauptansatzpunkte
in der alten BRD waren hierbei Veränderungen an den Vergütungssystemen der ambulanten
ärztlichen Versorgung und Krankenhausversorgung und zudem eine Ausweitung und Erhöhung von
Zuzahlungen der Versicherten. Das KVKG bewirkte, dass eine Anbindung der kassenärztlichen
Vergütungen an die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenkassenmitglieder
(Grundlohnsumme) zu erfolgen hatte (Simon 2010).
Die Zuständigkeit für das ärztliche Gebührenrecht ging durch den Organisationserlass des
Bundeskanzlers vom Bundesgesundheits- auf das Bundesarbeitsministerium über (Funke 1988:16).
Zunächst wurde eine Vereinheitlichung der RVO- und Ersatzkassenabrechnung angestrebt. Folglich
sollten die Spitzenverbände der Kassenärzte und Krankenkassen einen einheitlichen
Bewertungsmaßstab (EBM) zur Abrechnung für die ärztlichen Leistungen bei gesetzlich Versicherten
schaffen. Der EBM wird nach wie vor fortlaufend durch den Bewertungsausschuss weiterentwickelt.
Die Kosten im Gesundheitswesen zu dämpfen und somit die Belastung der Beitragszahler und der
Wirtschaft zu begrenzen waren ebenfalls zentrale Gesichtspunkte. Darüber hinaus sollte unter
Beachtung der Freiberuflichkeit der Kassenärzte, Vertragsfreiheit, Selbstverwaltung der
25
Bis jetzt lagen daneben für die privat- und kassenärztliche Abrechnung drei weitere Gebührenordnungen vor: P-Adgo;
BMÄ; E-Adgo. Die beiden letzteren wurden bis 1978 laufend fortentwickelt (Funke 1988).
23
Krankenkassen sowie die Stärkung der Ärzte und Krankenhäuser im Fokus stehen. Entsprechende
Maßnahmen wurden bereits in der RVO verankert (Simon 2010, KBV 2013 a, www., Funke 1988). Ab
diesem Jahr folgte ein Gesetz dem anderen, an denen die KVen mehr beteiligt waren als gewollt. Die
sog. ‚Plausibilitätsprüfung‘ wurde eingeführt, als diverse Vertragsärzte dem Abrechnungsbetrug
bezichtigt wurden. Seitdem übernehmen die KVen die Arbeit des Staatsanwaltes, müssen ihn aber
bei bestimmten Tatbeständen jedoch einschalten (Gerhardt 2013).
1978 hatten einzelne Kassenarten (AOK, BKK, Ersatzkassen etc.) in der GKV verschieden konstruierte
Gebührenordnungen mit der KBV und den KVen vereinbart, was aus Sicht des Gesetzgebers die
damals gewollte stärkere Ausgabenbegrenzung erschwerte. Aufgrund dessen regelte letzterer, dass
ab diesem Jahr der bereits entwickelte EBM für alle Krankenkassen Anwendung finden müsse („BMÄ
78“).26 Die Ersatzkassen erhielten eine eigene Gebührenordnung, die sogenannten ErsatzkassenGebührenordnung (E-GO) (Wirtschaftslexikon.co 2013, www.).
1979 wurde ein Eckdatenpapier durch die ärztlichen Spitzenorganisationen und Vertretern der zur
der Gebühren Verpflichteten erstellt, das bereits die wesentlichsten Zielvorstellungen des
Ministeriums beinhaltete: „Anhebung des Einfachsatzes unter Orientierung an den Vergütungen im
Bereich der sozialen Krankenversicherung, Neugestaltung des Gebührenrahmens, Erhöhung der
Transparenz bei Rechnungen, bessere Ausgewogenheit der Bewertung von persönlichen ärztlichen
im Verhältnis zum medizinisch-technischen Leistungen, Übernahme des Einheitlichen
Bewertungsmaßstabs (EBM) aus dem Kassenarztbereich für das Leistungsverzeichnis, Erhaltung des
allg. ärztlichen Vergütungsniveaus („Kostenneutralität“)“ (Funke 1988:16)
24
In den 80ern blieben die Gesundheitsstrukturen im Wesentlichen unverändert; allerdings wurden die
Vergütungssysteme
reformiert:
Als
Alternative
zu
dem
KrankenversicherungsKostendämpfungsgesetz (1977) stand nun die Anbindung an die Inflationsrate zur Disposition. Die
Ärzteschaft entschloss sich jedoch für die Grundlohnbindung, was sich letzen Endes nachhaltig als
sehr negative Entscheidung für sie herauskristallisierte, da die ärztliche Forderung im Nachhinein in
einer leistungsorientierten Vergütung bestand. Es wurde eine Vereinbarung zwischen den
Landesverbänden und der entsprechenden KV eine Gesamtvergütung für die Honorierung
sämtlicher ambulanter ärztlicher Leistungen abgeschlossen, deren Erhöhung sich an der
Grundlohnsummenentwicklung orientieren muss. Die ärztliche Forderung bestand im Nachhinein
jedoch in einer leistungsorientierten Vergütung (Simon 2010).
1982 erfolgte durch das Bundeskabinett ein Verordnungsentwurf einer Gebührenordnung für Ärzte
nachdem die Bundesärztekammer die geplante Novellierung stark kritisiert hatte. Der ursprünglich
einplanten Einschränkung der Abdingbarkeit, bei der eine von der Gebührenordnung abweichende
Vereinbarung nur noch im Hinblick auf die Vergütung möglich sein sollte, wurde nicht zugestimmt,
woraufhin wieder eine freie Abdingbarkeit in die Verordnung aufgenommen wurde (Funke 1988).
Anfang 1983 wurde die seit 1965 in der Bundesrepublik geltende Gebührenordnung nun durch ein
neues Punktesystem in der novellierten GOÄ abgelöst, infolge dessen Punktwerte anstelle von DMBeiträgen verwendet wurden (Funke 1988): Helmut Schmidt hatte die erste BUGO mit einem neuen
Punktesystem reformiert. Fortan erbrachte jeder Leistungspunkt dem Arzt 10 Pfennig. Ein
Patientengespräch brachte so beispielsweise bereits 80 Punkte. Diese Sätze sind wurden bis heute
kaum erhöht. Seitdem haben die Ärzte allerdings die Möglichkeit, die Grundgebühren zu
26
Einheitlicher Bewertungsmaßstab für Zahnärzte: „Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen“ (BEMA)
überschreiten, was allerdings nicht unproblematisch ist. Eine Reform wäre daher unbedingt
erforderlich (WDR 2005, www.)
Zuständig für GOÄ-Aktualisierung ist das BMG (Funke 1988). Entsprechend den amtlichen Daten von
1982 erfolgten etwa 14% des Einkommens der niedergelassenen Ärzte durch private Liquidation;
85% auf kassenärztlicher und etwa 1% auf sonstigen Tätigkeiten (vor allem Gutachtertätigkeit). In der
Bevölkerung waren zu dem Zeitpunkt etwa 8,4 Mio. (13,6% von der Bevölkerung) von der GOÄ
‚betroffen‘; 4,6 Mio. Privatversicherte und 3,7 Mio., die in der GKV waren, aber zusätzlich mit den
Privaten Verträge abgeschlossen hatten. Lediglich 0,14 Mio. Personen waren nicht freiwillig
versichert, sondern Selbstzahler und somit ebenfalls GOÄ-gebunden (Funke 1988).
Seit 1965 beibehaltene Regelungen
Seit 1965 erfolgte Neuerungen
(insbesondere bzgl. Leistungen, Gebührenspanne, Begründungspflicht, Bemessungskriterien,
Abdingung, Wirtschaftsgesichtspunkten, Rechnungstransparenz)
Als Verordnungsanlage erfolgte eine Aufteilung
Inzwischen gab es nicht mehr nur noch ca. 1000
in Verordnungstext und Gebührenverzeichnis
sondern etwa 2400 Positionen.
Abdingungszulässigkeit; inzwischen ist diese
Weitgehende Übernahme des EBM in 1978
jedoch stark eingeschränkt
bewirkte eine neue Gebührenstruktur, wodurch
es zu einer Aufwertung der persönlichen
ärztlichen Leistungen (gegenüber den primär
medizinisch-technischen Leistungen) kam.
Ärztliche Vergütungen wurden eingeteilt in
Für die einzelnen Leistungen wurden die
Gebühren, Entschädigungen und Auslagen
Einfachsätze27 um durchschnittlich 45% auf das
Niveau der GKV-Vergütungen angehoben.
Orientiert wurde sich nun an dem EBM. Dadurch
wurde eine neuartige Gebührenstruktur
geschaffen, die an Aufwertung der persönlich
ärztlichen Leistungen gegenüber den primär
medizinisch-technischen Leistungen gekoppelt
war (Funke 1988).
Praxiskostenabgeltung (Personal- und
Von nun an gab es nicht mehr den 1 bis 6fachen
Sachkosten) mit Gebühren
Steigerungssatz sondern nur noch den 13,5fachen Satz bei ärztlichen und 1-2,5fachen
bei überwiegend medizinisch-technischen
Leistungen. Die Bemessung der Gebührenhöhe
ist fortan abhängig von dem Schwierigkeitsgrad28
bei der Ausführung der jeweiligen einzelnen
Leistungen. Dabei geht es um die jeweilige
konkrete Leistung bei den einzelnen Patienten,
die jedoch nicht nach subjektivem Ermessen
bewertet wird. Auch bei den medizinischtechnischen Leistungen ist die durch die Art des
Krankheitsfalles bedingte Schwierigkeit von
Diagnostik und Therapie ausschlaggebend.
Zwischen Mindest- und Höchstsätzen bestand
Einführung eines Schwellenwertes (=Höchstsatz
ein Vergütungsspielraum, „der durch
der Regelspanne), bis zu dem die Gebührenhöhe
Anwendung bestimmter Bemessungskriterien
zu bemessen ist. Nun erfolgt für persönliche
27
Der Einfachsatz entspricht dem Gebührensatz (Funke 1988).
Bei der Festsetzung des Einfachsatzes wurde bereits der unterschiedliche Schwierigkeitsgrad der verschiedenen
ärztlichen Leistungen berücksichtigt (Funke 1988).
28
25
durch den Arzt auszufüllen ist“ (Funke 1988:18)
Analoge Bewertungsmöglichkeiten durch den
Arzt von ärztlichen Leistungen, die nicht im
Gebührenverzeichnis enthalten sind
26
29
Leistungen des Arztes der 2,3fache Gebührensatz; für medizinisch-technische der 1,8 Satz. Nur
in besonderen Fällen darf überschritten werden;
allerdings muss der Arzt dies auch extra
schriftlich begründen (Funke 1988, Simon 2010).
Ebenfalls neuartig waren auch die „Umstände
bei der Ausführung“ (Funke 1988:50) bzw. der
Aufwand bei der Art und Weise der
Leistungsausführung, der beim Überschreiten
vergleichbarer Fälle, z.B. bei besonderen
Wünschen des Patienten, den Arzt zu einer
höheren Honorarbemessung berechtigt. Die
Vermögens- und Einkommens-verhältnisse der
Zahlungspflichtigen waren daher nicht mehr
relevant.
Fortan „(…) steht nun nicht mehr die gesamte
Gebührenordnung, sondern lediglich die Höhe
der Vergütung zur Disposition des Arztes und
des Zahlungspflichtigen (…)“ (Funke 1988: 38).
Dafür wurde ein Formerfordernis aufgestellt. Die
Abdingungsmöglichkeit beschränkt sich auf die
Höhe der Vergütung und muss zudem das
Leistungsverzeichnis der GOÄ die
Honorarbemessungsgrundlage sein, wodurch
keine Geltung eines anderen
Gebührenverzeichnisses vereinbart werden
kann. Vor der Leistungserbringung muss von
dem behandelnden Arzt eine schriftliche
Vereinbarung mit dem Patienten erfolgen
(Transparenz für den Patienten).
Aufgrund der eingeschränkten Abdingungsmöglichkeit handelt es sich um eine primärteildispositive Gebührenordnung.
Neue GOÄ ist aufgrund der eingeschränkten
Abdingungsmöglichkeit nur noch primärteildispositiv29 , somit nicht mehr subsidiär- oder
primär dispositiv. Auch handelt es sich nicht um
ein zwingendes Recht, da die Gebührenbemessung im Hinblick „auf die Höhe durch
Honorarvereinbarungen abweichend“ (S.39)
geregelt werden kann.
Einführung des ‚Kriteriums der örtlichen
Verhältnisse für die Honorarabmessung‘. Fortan
werden die jeweiligen Bundesländern und die
entsprechenden Lebensumständen (z.B.
Lebenshaltungskosten) berücksichtigt, in denen
der Arzt praktiziert und aus denen der Patient
gleichermaßen stammt.
Ziel der GOÄ als teildispositive Gebührenordnung ist eine erhöhte Transparenz bei der ärztlichen Honorargestaltung für
den Zahlungspflichtigen. Das Grundrecht der Berufsfreiheit der Ärzte wird damit nicht verletzt (Funke 1988).
Zwei zentrale Zielkomplexe in der neuen GOÄ-Verordnung:
1. Regelungen über die Vergütung privatärztlicher Leistungen wurden an die inzwischen
erfolgten technischen, medizinischen und wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst
2. Der Schutz des Zahlungspflichtigen wurde verbessert (z.B. durch die eingetretene Transparenz
in den Abrechnungen)
Kritikpunkte der neuen GOÄ (Funke 1988:21):
- Einschränkung der Abdingbarkeit
- Übernahme des EBM
- Einschränkung des Gebührenrahmens
- Trennung in persönliche ärztliche und primär rechnerischen Leistungen
- Begründungspflicht bei Überschreitung des Regelhöchstsatzes
- Heftigste Kritik an dem § 2 der GOÄ, der primär deren Rechtscharakter bestimmt
1987 wurde als Ersatz zur BUGO-Z die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) erlassen, nachdem nun
auch die Gebührenordnung für die Zahnärzte nicht mehr den entsprechenden zahnärztlichen
Fortschritten gerecht werden konnte (Wikipedia 2014 c,www.).
1988 erfolgte durch die Einführung des SGB V die Neugestaltung des Kassenarztrechtes, wodurch
die bisherigen Bestimmungen der RVO abgelöst wurden. Zu den zentralsten Bestimmungen
gehörten:
-
Einführung des Begriffs der Beitragssatzstabilität
die Erweiterung Wirtschaftlichkeitsprüfung
Einbeziehung der Ersatzkassen in die gesetzlichen Regelungen (KVH 2009, PDF)
Darüber hinaus trat eine 10%ige Punktwertanhebung von 0,10 DM auf 0,11 DM mit der 3.
Änderungsverordnung zur amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in Kraft (Hess 1993).
1989 trat das Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) in Kraft, wodurch das Krankenversicherungsrecht
aus der seit 1911 existierenden RVO in das SGB V übernommen und um weitere Maßnahmen ergänzt
wurde (Ortwein 1992). Darunter fielen insbesondere Leistungen zur Prävention, Kostenerstattung bei
kieferorthopädischen Behandlungen sowie bei Schwerpflegebedürftigkeit (Wikipedia 2013 d, www.).
Insbesondere wurden Probleme der GKV moniert, wie z. B. die Finanzierung der Krankenversicherung
der Rentner, ansteigende Kosten im Krankenhaus und die Tatsache, dass zur Lösung dieser Probleme
speziell die Ärzteschaft und die Versicherten aufkommen mussten (KBV 2013 a, www.).
7 Entwicklung bis hin in die Gegenwart
1990 mussten sich die ehemalige DDR bzw. die neuen Bundesländer in Folge der Rechtsgleichung
dem westlichen Gesundheitswesen anpassen, weshalb insbesondere das Krankenhauswesen der
DDR modernisiert werden musste. Speziell das Prinzip der Kostendämpfung sollte nach wie vor im
vereinten Deutschland weiter bestehen bleiben (Simon 2010:53).
Der „Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V. (NAV)“ wurde nach der Fusion mit dem
gleichnamigen Ostdeutschen Verband in „NAV Virchow-Bund“ umbenannt (Deneke 2000).
27
In diesem Jahr erfolgte ebenfalls die Einführung des Arzneimittelbudgets (s. 1923). Mittels
Androhung von Regressforderungen wurde versucht die Ärzteschaft zu einem sparsameren Umgang
im Hinblick auf die Arzneimittelverordnung zu bewegen. Letzten Endes wurden die Einsparungen in
einigen Versorgungsbereichen (Arzneimittel, Krankengeld) jedoch durch die ansteigenden
Arzthonorare überkompensiert, wodurch entsprechend auch keine Entlastung der Kassenhaushalte
erzielt werden konnte (Tauchnitz 2004:446).
1993 trat das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) zur Sicherung und Strukturverbesserung der GKV in
Kraft. Die Gesamtvergütungen für ambulante vertragsärztliche Versorgung unterlagen fortan einer
strikten Anbindung an die Entwicklung beitragspflichtiger Einnahmen der Krankenkassenmitglieder
bzw. an die Grundlohnentwicklung. Die zwei grundlegenden Komponenten waren die freie
Kassenwahl für die Versicherten (gleichzeitig bestand ein Kontrahierungszwang für die
Krankenkassen) sowie die Einführung des Risikostrukturausgleichs (RSA) (Simon 2010, Rosenbrock,
Gerlinger 2009).
Entsprechende Maßnahmen bzw. Regelungen waren:
-
28
-
-
-
30
Sektorale Budgetierung: Durch ein Einsparvolumen von zunächst 11,4 Mrd. DM (8,2 von den
Leistungserbringern; 3,2 Mrd. von den Krankenversicherten) sollte weiteren Kassendefiziten
entgegengewirkt werden. Die Erhöhung der Gesamtvergütung wurde gesetzlich begrenzt.
Mit der erfolgten Grundlohnanbindung ging die Budgetierung der Ausgaben für
Krankenhausleistungen, ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung, Arzneimittel30,
stationäre Kuren und für die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen einher (Simon 2010,
KBV 2013 a, www.).
Steuerung bzw. Begrenzung der Zahl der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden
Ärzte sowie Ausgaben im ambulanten Bereich. Diese Maßnahmen sollten primär mittels der
eines neuartigen Honorarbudgets, einer Altersgrenze für Vertragsärzte, einer Bedarfsplanung
für Vertragsärzte, einer Neuordnung der Laborleistungen, einer Hausarztpauschale sowie
einer Neuregelung der haus- und fachärztlichen Versorgung erfolgen (Ortwein 1992:85).
Für die Versicherten erfolgte eine erweiterte Zuzahlungsregelung.
Reform der KH-Finanzierung: Das Krankenhaus-Entgeltsystem bestand primär aus Basis- und
Abteilungspflegesätzen, Sonderentgelten und Fallpauschalen (Simon 2010). Im Fokus stand
nun ebenfalls die Überprüfung der bisherigen Beitragsfinanzierung der Krankenkassen sowie
eine teilweise einzuführende Kostenerstattung anstelle des bisherigen Sachleistungsprinzips.
Darüber hinaus wurde eine Modifizierung des Solidarprinzips angegangen (Ortwein 1992).
Reform der GKV: Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der GKVen sowie um
mehr Wahlfreiheit für die Versicherten zu erzielen, wurde die für mehrere Kassen erfolgte
Beschränkung auf bestimmte Versicherungsgruppen, zum 1.1.1996 komplett abgeschafft.
Seitdem sind sämtliche Ersatzkassen gesetzlich für alle Versicherten geöffnet. Darüber hinaus
wurde bei allen Kassen der Risikostrukturausgleich eingeführt um finanzielle
Ungleichgewichte durch den Wechsel von Versicherten zu verhindern (Simon 2010).
Die Senkung der Arzneimittelkosten sollte durch die Einführung eines Arznei- und Heilmittelbudgets, eines
Preismoratoriums, der Einführung und Ausgestaltung von Richtgrößen sowie der Erarbeitung einer Positivliste (für
verordnungsfähige Arzneimittel wurde eine Liste erstellt) erfolgen (Ortwein 1992, KBV 2013 a, www.).
1995 wurde durch das Pflegeversicherungs-Gesetz die Pflegeversicherung als fünfte Säule der
Sozialversicherung im Sozialgesetzbuch XI etabliert. Fortan besteht die Pflicht für eine gesetzliche
oder private Pflegeversicherung (Simon 2010).
1996 erfolgte die vierte Teilnovelle der GOÄ (Wikipedia 2013 a, www.). Des Weiteren erfolgte die
Umstellung zur Krankenhausfinanzierungsreform von 1993 (Simon 2010).
1997 traten zunehmend immer größere Finanzierungsprobleme bei der GKV auf, denen die
bisherigen Maßnahmen, GRG und GSG, nicht mehr gerecht werden konnten. Infolge dessen wurde
ein GKV-Neuordnungsgesetz und Beitragsentlastungsgesetz erlassen, um die GKV-Selbstverwaltung
in den Vordergrund zu stellen (KBV 2013 a, www.).
1998 trat das Psychotherapeutengesetz (PsychThG) in Kraft, in dem nichtärztliche
Psychotherapeuten in das KV-System aufgenommen wurden. Voraussetzung war eine Approbation
nach §12 des Psychotherapeutengesetzes, ein entsprechender Fachkundenachweis
(Richtlinienpsychotherapie) sowie ein Eintrag ins Arztregister (KBV 2013 a, www.).
1999 sorgte das in diesem Jahr erlassene GKV-Solidaritätsgesetz (GKV-SoldG) für unbefristete
Arznei- und Heilmittelbudgets sowie für unbefristete Budgetierung der Gesamtvergütung (KBV
2013 a, www.).
2000: In dem ‚GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000‘ erfolgte insbesondere eine Festlegung der
Einzelbudgets für die Ärzte. Darüber hinaus wurden speziell Regelungen wie
Präventionsleistungsausbau der Krankenkassen (€5,- pro Mitglied), Bonusprogramme bei
Hausarztmodellen, die Einführung der integrierten Versorgung, eine bessere Ausschöpfung der
Wirtschaftlichkeitsreserven in den Krankenhäusern Arzneimittelversorgungsregelung, eine Reform
der Krankenhaus Finanzierung (DRG-System) sowie das Einbringen eines leistungsorientierten
Vergütungssystems eingeführt (KVH 2009, PDF, Simon 2010, AOK 2012 b, www.) Zur Stärkung der
hausärztlichen Versorgung sah das Gesetz für die ambulante ärztliche Versorgung mehrere
Maßnahmen vor. Insbesondere sollten die Hausärzte mit zentralen Funktionen hinsichtlich der
Lenkung der Patientenströme innerhalb des Gesundheitswesens beauftragt werden („Hausarzt als
Lotse im System“) (Simon 2010:56).
Mittels der Reform sollte ein sektorübergreifendes Globalbudget die starren sektoralen
Budgetgrenzen zwischen dem ambulanten und stationären Bereich auflösen. Dieses Vorhaben
scheiterte jedoch bereits im Gesetzgebungsprozess. Die primäre Neuerung innerhalb der Reform war
die Einführung der integrierten Versorgungsformen, die für mehr Wettbewerb im
Gesundheitssystem sorgen sollte, letzten Endes auch in das Gesetz aufgenommen, aber im
Nachhinein kaum in die Praxis umgesetzt wurden (Simon 2010). Ebenfalls sollte durch das GKVGesundheitsreformgesetz 2000 schlussendlich ein weiteres Ansteigen der Krankenkassenbeiträge
verhindert werden. Es folgten insbesondere 2001 und 2002 entsprechend weitere Gesetze31. Einige
der aufgekommenen Reformen führten regelrecht zu einer ‚Durchlöcherung‘ des
Sicherstellungsauftrags der KVen. Der Gesetzgeber strebte mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen
an, jedoch war keine Wettbewerbsordnung wie in anderen Berufen festgelegt (KBV 2013 a, www.,
31
2001: Gesetz zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte; Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der GKV;
Zehntes Gesetz zur Änderung der V.SGB (KBV 2013 a, www.).
2002: Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz; Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz; Gesetz zur Einführung der DRG für
Krankenhäuser; Rechtsverordnung zu den DMPs für Diabetes- und Brustkrebspatienten (KBV 2013 a, www.).
29
KVH 2009, PDF). Ebenfalls in diesem Jahr wurde die Gebührenordnung für Psychologische
Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (GOP) eingeführt (Wikipedia
2015 b, www.).
2004 wurde das GKV-Modernisierungsgesetz eingeführt, dessen Maßnahmen nicht nur die GKVen
finanziell entlasteten sondern darüber hinaus ebenfalls eine erweiterte Vertragskompetenz erzielten:
Wie es bereits schon die KVen taten, übernahmen nun teilweise auch die Krankenkassen „die Arbeit
des Staatsanwalts“ (Gerhard 2013) , der fortan nur noch bei bestimmten Tatbeständen eingeschaltet
werden muss (KBV 2013 a, www.)
Seit 1982 bis 2005 konnte lediglich ein Anstieg von 14% bei der GOÄ (GOÄ-Punktwertanhebung)
verzeichnet werden (GOÄ Arzt Wiki). Die Bundesärztekammer kommentierte diesen Tatbestand auf
dem deutschen Ärztetag 2005 folgendermaßen:
„Die geltende GOÄ datiert in wesentlichen Teilen immer noch aus dem Jahre 1982, der letztmaligen
umfassenden Reform; wobei das damals neu gefasste Gebührenverzeichnis auf der ErsatzkassenGebührenordnung – E-Adgo – von 1978 basiert. Dies bedeutet, dass von den insgesamt 37 Abschnitten des
Leistungsverzeichnisses der geltenden GOÄ seit 1982 bzw. 1978 26 Kapitel nicht mehr grundlegend aktualisiert
worden sind; sie sind 27 Jahre alt. Die restlichen 11 Kapitel des Verzeichnisses sind mit der vierten
Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1995 neu gefasst worden: sie sind inzwischen mehr als 10 Jahre alt.
Der Fortschritt der Medizin der letzten 3 Jahrzehnte ist somit nicht systematisch in die GOÄ einbezogen
worden.“ (Pressemitteilung der Bundesärztekammer zum Ärztetag 2005, zit.n. Wikipedia 2013 a, www.)
Seit 2006 wird im Rahmen von acht Teilprojekten laufend eine Umsetzung des GOÄReformkonzeptes vorgenommen (GOÄ-Arzt Wiki).
30
2007 erfolgte das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz und reformierte den EBM in den Jahren 2008
bis 2009 grundlegend in zwei Stufen (s. 2008) (AOK 2012 a, www.). Darüber hinaus wurden an den
KVen vorbei organisierte Einzelvertragsformen durch dieses Gesetz weiter gestärkt (KVH 2009, PDF).
2008 trat der „EBM 2008“ in Kraft. Er beruhte weitgehend auf Leistungspauschalen und der
inzwischen bestehenden Gliederung in haus- und fachärztliche Bereiche. Vergütet werden die
hausärztlichen Leistungen mit Versichertenpauschalen. Fachärzte hingegen erhielten für hoch
spezialisierte Leistungen spezifische Vergütungen sowie arztgruppenspezifische Grund- und
Zusatzpauschalen (AOK 2012 a, www.). Bis Ende 2008 galt im ambulanten Bereich bzw. bei der
vertragsärztlichen Versorgung die Budgetierung. Für die Ärzte war es bislang üblich, dass sie erst
nach Ablauf des Quartals bzw. Jahres wussten, wie hoch die tatsächliche Vergütung für die
erbrachten Leistungen war: Die Höhe des Punktwertes war dabei abhängig von der Menge der in der
betreffenden KV und der in der Arztgruppe insgesamt erbrachten Leistungen (Simon 2010:55).
2009 wurde das 1993 eingeführte GSG gelockert. Die Krankenkassen zahlen seit diesem Jahr eine
Gesamtvergütung an die KVen: Einen Teil vergüten sie pauschal, den anderen bezahlen sie ohne
Budgetierung als Einzelleistung (z.B. besonders förderungswürdige Leistungen, wie Hausbesuche).
Der größere, von der Höhe her begrenzte Teil, bildet die sogenannte (vorhersehbare)
morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV), die ebenfalls in diesem Jahr eingeführt wurde (Simon
2010). Für Fach- und Hausärzte gelten hierbei unterschiedliche Kriterien, die im Hinblick auf die hausund fachärztliche Versorgung berücksichtigt werden (AOK 2012 a, www.). Es bestehen keine echten
Fachgruppentöpfe mehr sondern lediglich „imaginäre Arztgruppentöpfe“, die die Basisfallwerte der
Regelleistungsvolumina (RLV32) und die Basisfallwerte der qualitätsgebundenen Leistungen (QZV;
wurde erst 2010 eingeführt; s.u.) ermitteln. Das nach Abzug der verbleibenden Vorweg-Abzüge im
haus- bzw. fachärztlichen Versorgungsbereich zur Verfügung stehende Honorar des jeweiligen
Quartals wird mit dem entsprechenden Leistungsbedarfsanteil der Arztgruppe multipliziert. Das
Ergebnis bzw. die Leistungsbewertung wird nun nicht mehr nur über Punkte sondern in Euros
ausgedrückt (Leistungspunktwert x Orientierungspunktwert (2009: 3,5001 Cent)) (KV Niedersachsen
2013, Simon 2010). Basis für die „imaginären Arztgruppentöpfe“ sind die in abgerechneten Punkten
ausgedrückten Leistungsbedarfe der Quartale des vergangenen Jahres (KV Niedersachsen 2013).
Besonders bedeutsam für die Vertragsärzte war hierbei die Abschaffung „floatender“ bzw. sich
ständig wechselnde Punkte und die Einführung fester Punktwerte. Letztere gelten für jegliche
vertragsärztliche Leistungen, die der Arzt innerhalb des Regelleistungsvolumens erbringt (Simon
2010). Durch die entfallenden, starren Fachgruppentöpfe kann im Falle überdurchschnittlich
ansteigender Leistungsmengen (z.B. durch viele Neuzulassungen) bei den Arztgruppen von dieser
Neuregelung profitiert werden: Die in den jeweiligen ersten 4 Quartalen zusätzlich erbrachten
Leistungen können fortan ebenfalls abgerechnet werden. Die zusätzlichen, von den Ärzte
abgerechneten Leistungen wirken sich durch den Rückgriff auf die (gestiegene) Vorjahresfallzahl im
Rahmen von dann sinkenden RLV-/QZV-Fallwerten33 aus (KV Niedersachsen 2013).
Seit 2010 werden für die Qualifikationsgebundenen Zusatzvolumen (QZV) zusätzlich Honorarvolumen
aus Morbi-GV bereit gestellt. Die Folge der QZVen ist, dass nur wenige vertragsärztliche Leistungen
binnen der antizipierbaren, morbiditätsbedingten Gesamtvergütung ohne Begrenzung und ohne
Abstaffelung nach Anforderung mit dem Preis des Euro-EBM vergütet werden. Vor der Trennung der
MorbiGV sind diese Leistungen insbesondere jene des organisierten Bereitschaftsdienstes sowie
Laborleistungen bzw. –kosten. Nach Trennung der MorbiGV in die spezifischen Versorgungsbereiche
der Haus- und Fachärzte werden speziell Haus- und Heimbesuche, sonstige Hilfen, einige
pathologische Leistungen bei Probeneinsendungen, einige Kostenpauschalen vorab vergütet. Dabei
gilt nach wie vor, dass eine erfolgte Leistungsmenge ‚heute‘ steigt, die RLV des betreffenden
Versorgungsbereichs in Folgequartalen sinken und ebenfalls umgekehrt (KVBW 2014, www., KV
Niedersachsen 2013).
2011 trat das GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG) zur Sicherstellung der GKV in Kraft, in dem
insbesondere die Erhöhung des Beitragssatzes (Arbeitnehmer: 8,2%; Arbeitgeber: 7,3%), die Option
der Einführung von Zusatzbeträgen durch die Krankenkassen, vereinfachter Wechsel in die PKV, ein
einmaliger Gesundheitszuschuss (2 Milliarden Euro), Begrenzung bzw. Einfrieren der
Verwaltungskosten der Krankenkassen bis 31.12.2012 (dürfen die Gegenwärtigen nicht
32
RLV ist ein Instrument zur Mengensteuerung in der vertragsärztlichen Versorgung. Definiert wird die
Leistungsmengenobergrenze, die an Leistungen von einem Vertragsarzt erbracht und abgerechnet werden können. Sofern
mehr Leistungen durchgeführt werden als es das Regelleistungsvolumen vorgibt, erfolgt eine abgestaffelte Preisvergütung
für die darüber hinausgehenden Leistungen. Sollte eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Anzahl der behandelten
Versicherten vorliegen, kann hiervon abgewichen werden (AOK 2012 c, www.).
33
„Die Berechnung der zum 01.07.2010 neu eingeführten Qualifikationsgebundenen Zusatzvolumen (QZV) erfolgt analog
dem RLV. Dabei wird das Honorarvolumen für die Leistungen eines QZV pro Arztgruppe durch sämtliche RLV-relevanten
Fälle der zur Abrechnung berechtigten Ärzte dividiert. Das Resultat ergibt den arztgruppenspezifischen QZV-Fallwert. Die
Höhe des Qualifikationsgebundenen Zusatzvolumens eines Arztes errechnet sich schließlich aus diesem Fallwert und seiner
RLV-relevanten Fallzahl im Vorjahresquartal. Anspruch auf ein QZV hat ein Arzt, wenn er die zutreffende Gebiets- oder
Schwerpunktbezeichnung führt oder die erforderliche Genehmigung der KV zur Erbringung und Abrechnung der
spezifischen Leistung eines QZV besitzt. Ab 01. Juli 2010 werden dem Arzt nun RLV und QZV gleichzeitig und in einer Summe
zugewiesen. RLV und QZV sind dabei gegenseitig verrechnungsfähig. Das Honorarvolumen bildet also eine Obergrenze, bis
zu der alle RLV- und QZV-Leistungen mit den festen Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Wird
das Honorarvolumen überschritten, wird es nach den bekannten Regeln abgestaffelt.“ (KVBW 2014, www.).
31
überschreiten) und die Begrenzung der Ausgabenzuwächse im stationären und ambulanten Sektor
angegangen wurden (KBV 2013 a, www.).
Nachdem der NAV-Virchow-Bund 2007 die Gründung der Agentur deutscher Arztnetze e.V. (ADA)
initiierte, wurde diese 2011 auch in die Tat umgesetzt (ADA 2015, PDF).
32
2012 erfolgte das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), auch das Landärztegesetz genannt,
mit dem Ziel insbesondere dem Ärztemangel in ländlichen Regionen entgegenzuwirken. Speziell der
drohende Mangel an Psychotherapeuten und Ärzten in Deutschland sowie die Distanzierung von der
reinen Kostendämpfung wurde dabei anvisiert. Fortan sollte besonders die Rolle der ärztlichen
Selbstverwaltung gestärkt werden und eigenverantwortliche Lösungen für Probleme wurden
erwartet (KBV 2013 a, www.). Mittels dieser Gesetzgebung wird den KVen wieder eine
eigenständige Honorarverteilung ermöglicht, um eine flächendeckende medizinische Versicherung
gewährleisten zu können. Eine bedarfsgerechte Verteilung der Vergütung soll zudem eine
schrittweise Weiterentwicklung des EBM ermöglichen, damit dem spezifischen Versorgungsbedarf
der Patienten sowie dem Leistungsspektrum der niedergelassenen Ärzte angemessen Beachtung
zuteil kommen kann. Neben der Regionalisierung34 der Vergütung werden zudem feste Preise für
extrabudgetäre Leistungen, wie z.B ambulante Operationen, festgelegt. Die durch das GKVFinanzierungsgesetz eingeführte Deckelung wird also wieder aufgehoben.
Hinsichtlich der Weiterentwicklung des EBM sollen Ärzte fortan ihre erbrachten Leistungen nicht
mehr nach Pauschalen sondern primär einzeln vergütet bekommen.
Zudem wurde eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung in einer vertragsärztlichen Praxis
oder ambulant in einer Klinik für seltene und schwere Erkrankungen mit entsprechenden
Verlaufsformen vorgesehen (KBV 2012 b, PDF.). Vereinbart wird die Leistungsvergütung auf der Basis
des EBM zwischen der KBV, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft
(AOK 2012 a, www.). Die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung wird zunächst um alle
spezialärztlichen Leistungen herum bereinigt, damit letztere ohne Mengensteuerung bzw. zu festen
Preisen vergütet werden kann. Bei einer ansteigenden Leistungsmenge müssen fortan die
Krankenkassen zusätzliche Finanzmittel bereitstellen (KBV 2012 b, PDF).
Mit Hilfe der VStG 2012 wurden zudem die Praxisnetze das erste Mal in der Geschichte im
Sozialgesetzbuch explizit erwähnt. Seitdem können professionelle Netze laut § 87b SGB V im Kontext
von Kollektivverträgen anerkannt und gefördert werden. Sofern die Richtlinien der KBV erfüllt sind,
kann eine entsprechende, regionsspezifische Förderung durch die KV erfolgen. Dadurch können
Netze nicht nur mit Selektivverträgen sondern auch im Kollektivvertragssystem innovativ tätig
werden (ADA 2015, pdf).
Ebenfalls in diesem Jahr trat die neue Gebührenordnung für Zahnärzte in Kraft, die an die
medizinisch-technischen Entwicklungen der vergangenen Jahre angepasst wurde (Arztwiki 2013 a,
www.).
Die GOÄ-Reform wurde von der Bundesregierung hinter die GOZ-Novellierung gestellt, da zunächst
auf eine Einigung zwischen der BÄK und dem Verband der PKV gewartet wurde. Bis Ende Januar
2012 blieben jedoch jegliche Einigungsversuche erfolglos. Daraufhin erklärte die BÄK, dass bis zum
Ende der Legislaturperiode eine neue GOÄ nicht mehr möglich wäre (BÄK 2013, www.).
34
Durch Anreizmechanismen in der Euro-Gebührenordnung sowie durch die RLV, die für die mengen- und praxisbezogenen
Preisstaffelungen verantwortlich sind, erfolgt auf regionaler Ebene die Mengensteuerung (AOK 2012 a, www.). Die
Honorarverteilung geht also von Bundes- auf Landesebene über, wobei die KVen die Honorarverteilungsmaßstäbe nicht mit
den Krankenkassen vereinbaren müssen (KBV 2012 b, www.).
2013 legte die BÄK einen eigenen GOÄ-Reformentwurf vor, um insbesondere die ärztliche
Abrechnung zu erleichtern. Präzise Leistungsbeschreibungen ermöglichen eine konkrete
Beschreibung des Leistungsverzeichnis und einzelner Gebührenpositionen, was mehr
Rechtssicherheit bei der Abrechnung ermöglicht. Der Reformentwurf beinhaltete u.a. Neuerungen
hinsichtlich der Leistungen: Aufgeführt wurden u.a. neue Behandlungs- und Operationsmethoden,
technologische Innovationen sowie Neuerungen hinsichtlich des Versorgungsbedarfs. Bezüglich des
Versorgungsbedarfs sollten bessere Abbildungen und Höherbewertungen von persönlich erbrachten
zuwendungsorientierten ärztlichen Leistungen, wie z.B. der Gesprächsleistungen und Hausbesuchen,
erfolgen. Auch hinsichtlich der Vergütung wurden Novellierungen angedacht: Die spezifischen
Besonderheiten bei der Betreuung chronisch Kranker wurden durch neue sektorübergreifende und
bedarfsgerechte Vergütungskomplexe bedacht. Zudem wurden für interdisziplinäre und
multiprofessionelle Konferenzen und Konzile aufgenommen, um in besonderen Fällen innerärztliche
und interprofessionelle Kommunikation und Kooperation fördern zu können. Darüber hinaus wurden
noch weitere wichtige, die ärztlichen Tätigkeiten unterstützenden Maßnahmen formuliert, wie z.B.
Leistungen zur Planung und Koordination, Behandlungspläne, Sichtung und Bewertung von
Vorbefunden.
Mit dem Anstoß für eine GOÄ-Reform versuchte die BÄK insbesondere die Eigenständigkeit der GOÄ
als Taxe zu erhalten, wodurch angemessene Preise für ärztliche Leistungen gesichert werden. Die
GOÄ bleibt nach wie vor eines der Hauptmerkmale des freien Arztberufs und soll die Ärzteschaft vor
unlauteren Wettbewerben schützen. Zudem soll sie Anwendung finden, wenn der Patient nicht in
den GKV-Vergütungsregelungen enthaltene Leistungen verlangt. Wie bereits zuvor erwähnt, spricht
man in dem letzteren Fall von einer Subsidiarität, die die Taxe mitsamt ihrem umfassenden ärztlichen
Leistungskatalog unentbehrlich macht. Zudem soll der Patienten durch eine detaillierte bzw.
transbarente Leistungsdarstellung vor einer finanziellen Überforderung verschont bleiben (Rochell et
al. 2013).
Unter den geplanten Maßnahmen der schwarz-roten Regierung sind folgende zu nennen:
-
Öffnung von Krankenhäusern in unterversorgten Gebieten für eine ambulante Versorgung
Aufkauf von Arztsitzen
Im psychotherapeutischen Bereich sollen die Wartezeiten für Kurzzeittherapien verringert
werden
Keine weiteren Budgetschmälerung seitens der Haus- und Fachärzte für entsprechende
Leistungen
Spaltung der Vertreterversammlungen
Zulassung arztgruppenidentischer MVZs
Hinsichtlich Arzneimittel-Wirtschaftlichkeitsprüfungen sollen regionale Vereinbarungen
gelten
Koordination des Krankenhausmanagements durch die Krankenkassen
Substitution ärztlicher Leistungen
Fokus nun auf Selektiv- und weniger auf Kollektivverträge
Hausarztverträge müssen weiterhin von Kassen angeboten werden
Sanktionen bei Bestechlichkeit im Gesundheitswesen
Bei der ambulanten Notfallversorgung bessere und mehr Kooperation (KV-Berlin 2014).
Wartezeit auf einen Arzttermin (Fachärzte) verringern (Schnack 2014).
33
Laut dem Bundessozialgericht ist die Gebührenordnung bzw. die ärztliche Honorierung
nichtwirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Ihr Zweck besteht in dem Erhalt der Gesundheit der
Bevölkerung sowie in der Funktionserhaltung des Gesundheitssystems. Eine GOÄ-Anpassung an
wirtschaftliche Notwendigkeiten, wie z. B. dem Inflationsausgleich, ist seit Jahrzehnten
ausgeblieben. Seit der letzten GOÄ-Aktualisierung in 1982 sind nur Teilnovellierungen erfolgt
(Wikipedia 2013 a, www.). Eine nicht aktuelle GOÄ ist problematisch, da ggf. Anwendungsprobleme
verursacht und Fehlinterpretationen begünstigt werden können. Die moderne Medizin mit ihren
sich stets verbessernden, diagnostischen sowie therapeutischen Verfahren sollte in der GOÄ stets
berücksichtigt werden, damit insbesondere eine angemessene Honorierung erfolgen kann (Funke
1988).
8 Fazit
34
Das Gebührenverzeichnis der vor gut 30 Jahren (1982) aus der Bugo hervorgegangenen GOÄ spiegelt
längst nicht mehr das aktuelle medizinische Leistungsspektrum wider. Abrechnungsprobleme,
Diskussionen über eine angemessene Vergütung der ärztlichen Leistungen sowie intransparente
Abrechnungen sind die Folge. Die Vergütungssätze der Gebührenordnungen der Rechtsanwälte,
Notare und Zahnärzte wurden inzwischen mehrfach angehoben, nicht aber die der Ärzte. Die
Gebührenordnung beziehungsweise die ärztliche Honorierung ist gemäß Bundessozialgericht
nichtwirtschaftlichen Zwängen unterworfen: Die übergeordnete Notwendigkeit besteht primär darin,
der Volksgesundheit und der Funktionserhaltung des Gesundheitssystems zu dienen. Einer GOÄAnpassung an wirtschaftliche Notwendigkeiten, zum Beispiel dem seit Jahrzehnten ausgebliebenen
Inflationsausgleich, sollte folglich nichts mehr im Wege stehen. Freiberuflichkeit wird durch
Vorschriften und Bürokratie zusehends erschwert. Ärzte, ob angestellt oder nicht, sollten unbelastet
freiberuflich tätig sein können. Die Dualität der Versicherungszweige (PKV und GKV) spielt neben der
Wettbewerbsentwicklung eine entscheidende Rolle im Hinblick auf das Verhindern der Rationierung
von medizinischen Leistungen. Nur eine novellierte GOÄ ermöglicht echte Therapiefreiheit, was
Voraussetzung für das Leben der Freiberuflichkeit ist und dafür, dass den Patienten tatsächlich alle
Behandlungsoptionen offenstehen; nur so ist ärztliche Versorgung komplett. Der EBM ist eine
Rabattgebührenordnung, die eine neutral entwickelte GOÄ benötigt, um Fehlentwicklungen des
EBM erkennen und korrigieren zu können.
9 Literaturverzeichnis
(1) Deneke, J. F. V. (2000): 100 Jahre Hartmannbund. Partner des Fortschritts. Ärzte-Wirtschafts- und
Verlagsgesellschaft mbH, Bonn.
(2) Funke, A. (1988): Privatärztliches Gebührenrecht. Springer-Verlag Berlin Heidelberg.
(3) Gerhardt, G. (2013): Die KV ist tot! Es lebe die KV! In: Medical Tribune, 48. Jahrgang, Heft Nr.46, Seite 18.
(4) Hermanns, P.M. (2011): Gebührenordnung für Ärzte. Hüthig Jehle Rehm Verlag
(5) Hess, R. (1993): GOÄ-Punktwertanhebung: Opfer des Solidarpakts? Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 10.
(6) KV-Blatt Berlin (2014): 01.2014:13-14
(7) KV Niedersachsen (2013): Haus- und fachärztlicher Versorgungsbereich mit jeweils 2,6 Prozent
Honorarsteigerung. Ergebnisse der Honorarabrechnung 2 /2013. In: Niedersächsisches Ärzteblatt, Heft 11, 4351.
(8) Ortwein, I. (1992): Kleines Lexikon der deutschen Gesundheitswesens. Piper Verlag, München
(9) Rosenbrock, R.; Gerlinger T. (2009): Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung. Huber Verlag, 1.
Nachdruck, Bern.
(10) Rochell, B. et al. (2013): Bundesärztekammer setzt klare Maßstäbe für die Novellierung. In: Deutsches
Ärzteblatt 110, Heft 35-36, S. A 1596-1597
(11) Schnack, D. (2014): Mit A- und B-Überweisung schneller zum Facharzt. Ärztezeitung online.
(12) Simon, M. (2010): Das Gesundheitssystem in Deutschland. Huber Verlag, 3. Auflage, Bern.
(13) Tauchnitz, T. (2004): Die organisierte Gesundheit. Entstehung und Funktionsweise des Netzwerks aus
Krankenkassen und Ärzteorganisationen im ambulanten Sektor. Deutscher Universitäts-Verlag/GWV
Fachverlage GmbH, Wiesbaden.
Online-Literatur:
(14) ADA (2015): Portrait. Agentur Deutscher Arztnetze.
http://www.deutsche-aerztenetze.de/uploads/files/portrt_ada_lang_20150324_pdf-optimiert.pdf
(15) AOK (2012 a): Einheitlicher Bewertungsmaßstab.
Letzter Zugriff: 3.1.2014
www.aok-bv.de/lexikon/e/index_00304.html
(16) AOK (2012 b): 2000: GKV-Gesundheitsreform 2000 und Gesetz zur Rechtsangleichung in der gesetzlichen
Krankenversicherung
Letzter Zugriff: 3.1.2014
http://www.aok-bv.de/politik/reformaktuell/geschichte/index_00591.html
(17) AOK (2012 c): Regelleistungsvolumina, arzt- und praxisbezogen.
Letzter Zugriff: 5.9.2013
http://www.aok-bv.de/lexikon/r/index_00130.html
(18) ArztWiki (2013 a): GOÄ.
Letzter Zugriff: 25.09.2013
www.arztwiki.de/wiki/GO%C3%84
(19) ArztWiki (2013 b): Punktwert.
Letzter Zugriff: 18.12.2013
www.arztwiki.de/wiki/Punktwert
(20) BÄK - Rochell, B., Montgomery, U.,Windhorst, T. (2013): Gebührenordnung für Ärzte.
Bundesärztekammer setzt klare Maßstäbe für die Novellierung.
Letzter Zugriff: 3.1.2014
www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.108.11644.11645
(21) DAISYO (2010): Ewiges Ringen um zeitgemäße Vergütung – Honorierungssysteme im Kontext ihrer
Geschichte.
www.daisy.de/webEdition_data/unternehmen/jahrbuch/Premium_Jahrbuch_2010.pdf
35
(22) Finnet (2015): Geschichte der GKV / Historie.
Letzter Zugriff: 7.1.2015
www.finnet.de/versicherungen/gesetzliche-krankenversicherung-historie.php
(23) Forum Gesundheitspolitik (2015): Zeitepoche 1933 – 1945.
Letzter Zugriff: 7.4.2015
www.forum-gesundheitspolitik.de/meilensteine/meilensteine.pl?content=1933-1945
(24) Hauenstein, E. (2011): Ärzte im dritten Reich 2011.
Letzter Zugriff: 7.4.2015
www.thieme.de/viamedici/arzt-im-beruf-aerztliches-handeln-1561/a/aerzte-im-dritten-reich4456.htm
(25) Info-Krankenversicherung.net (2014): Die Geschichte der privaten Krankenversicherung.
Letzter Zugriff: 10.12.2013
www.info-krankenversicherung.net/a-005-weiteres-zur-pkv/geschichte-pkv.php
(26) KBV (2013 a): Historie. Geschichte der Vertragsärzte und der gesetzlichen Krankenversicherung.
Letzter Zugriff: 10.12.2013
www.kbv.de/print/40167.html
(27) KBV (2012 b): Das Versorgungsstrukturgesetz.
Letzter Zugriff: 3.1.2014
https://www.kvberlin.de/20praxis/70themen/gkv_vsg/praxiswissen_vsg.pdf
36
(28) KVBW (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg) (2014): QZV.
Letzter Zugriff: 6.1.2015
http://www.kvbawue.de/index.php?id=611
(29) KVH (KV-Hamburg) (2009): Die Rolle der KVen im Blick der Zeit. Wie entstand das heutige
Gesundheitssystem?
www.kvhh.net/media/public/db/media/1/2009/10/86/kvgeschichte_flyer_01.pdf
(30) NAV (2010): Rückblick.
Letzter Zugriff: 8.1.2015
http://www.nav-virchowbund.de/der_verband/berufspolitik/rueckblick.php
(31) Scholber (2014): GOÄ-Novelle: Was kommt auf die Ärzte zu? (PDF)
Kongress Freier Ärzte, Berlin, 29.03.2014
(32) WDR (2005): Vor 40 Jahren: Neue Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte: Bugo statt Preugo
Letzter Zugriff: 18.6.2014
http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag1126.html
(33) Wissen.de (2015): Hilfskassen
Letzter Zugriff: 8.1.2015
http://www.wissen.de/lexikon/hilfskassen-ersatzkassen
(34) Wikipedia (2013 a): Gebührenordnung für Ärzte.
Letzter Zugriff 23.09.2013
http://de.wikipedia.org/wiki/Geb%C3%BChrenordnung_f%C3%BCr_%C3%84rzte
(35) Wikipedia (2015 b): Gebührenordnung für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten
Letzter Zugriff: 8.1.2015
http://de.wikipedia.org/wiki/Geb%C3%BChrenordnung_f%C3%BCr_Psychologische_Psychotherapeuten_und_K
inder-_und_Jugendlichenpsychotherapeuten
(36) Wikipedia (2014 c): Gebührenordnung für Zahnärzte
Letzter Zugriff: 8.1.2015 http://de.wikipedia.org/wiki/Geb%C3%BChrenordnung_f%C3%BCr_Zahn%C3%A4rzte
(37) Wikipedia (2013 d): Geschichte der Sozialversicherung in Deutschland.
Letzter Zugriff: 28.11.2013 http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Sozialversicherung_in_Deutschland
(38) Wikipedia (2014 e): Kassenärztliche Bundesvereinigung
Letzter Zugriff: 8.1.2015
http://de.wikipedia.org/wiki/Kassen%C3%A4rztliche_Bundesvereinigung
(39) Wirtschaftslexikon (2013): Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM)
Letzter Zugriff: 4.8.2014
http://www.wirtschaftslexikon.co/d/einheitlicher-bewertungsmassstab-ebm/einheitlicherbewertungsmassstab-ebm.htm
(40) Zeit-online (1964): Streit um die Preugo. Ausgabe 14.
Letzter Zugriff:23.6.2014
www.zeit.de/1964/14/streit-um-preugo
37