Klinische Linguistik: Gebärdensprache

Klinische Linguistik:
Gebärdensprache
Das mentale Lexikon: Bedeutung
und Form
Klinische Linguistik:
Gebärdensprache
Vier Evidenzklassen für die Zweiteilung des
mentalen Lexikons (Bedeutung: LemmaLexikon; Form: Lexemlexikon)
1. Wortfindung (Bedeutung bekannt, Form nicht
oder teilweise zugänglich)
2. Frequenz
3. Fehlleistungen
4. Tip-of-the-Tongue/Finger-Zustand
Klinische Linguistik:
Gebärdensprache
Jescheniak, J. (1999): Accessing words in
speaking: Models, simulations, and data. In:
Klabunde,R. & von Stutterheim, C. (Hrsg.):
Representations and processes in language
production. Wiesbaden: Deutscher
Universitätsverlag, 237-257
Das Modell
Levelt, W.J.M. (1989): Speaking. From intention
to articulation. Cambridge (Mass.). MIT Press
Satzplanung
Was will ich mitteilen?
Situation, Dialogpartner
Monitor
Wie soll ich`s formulieren?
Grammatische Kodierung
Form der Rede
Lexikon
Sprachverstehen
Sprachverstehen
Bedeutung
Lautliche Kodierung
Form
Phonetischer Plan (innere Sprache)
Umsetzung durch die
Artikulationsorgane
innere Lautierung
Hören
Wahrnehmbare Äußerung
Satzplanung
Korrektur des Levelt-Modells
1. Phonetischer Plan
phoneticher Plan
(Laut- und Gebärdensprache)
2. Hören
Hören/Sehen
3. Innere Lautierung
innere Artikulation
Klinische Linguistik:The Tip of
the Finger Phenomenon
Thompson, R., Emmorey, K. &
Gollan,T. (2005): „Tip of the Fingers“
Experiences by Deaf Signers.
Psychological Science 16, 856-860
Klinische Linguistik: Tip of the Fingers
• Basics
Fingeralphabet
Lexikalische Gebärden
• Fragen
• Die Untersuchung
• Ergebnisse
• Interpretation
Klinische Linguistk: Tip of the Fingers
Funktion des Fingeralphabets in ASL
(American Sign Language):
1. Buchstabieren von Namen
2. Basis für Sprachwandelprozesse
3. Buchstabieren von einigen
Funktionswörtern (IF)
Klinische Linguistik: Tip of the Fingers
Lexikalische Gebärden für Namen
1. Angehörige der
Gehörlosengemeinschaft
2. Berühmte Personen
3. Länder- und Städtenamen
Klinische Linguistik: Tip of the Fingers
• Helen (Leuninger)
• Lexikalische Gebärde:
• V-Handform mit Drehung: Bedeutung
„Veränderung“
Tip of the Fingers (ToFs)
Fragen
1. ToFs auch bei ASL Signern?
2. Vergleichbarkeit von ToFs mit ToTs?
3. Welche Informationen der Zielitems
(gefingert bzw. Gebärden) werden
aufgefunden?
Klinische Linguistik: Tip of the Fingers
(ToFs)
Existenz von ToFs für lexikalische Gebärden
1. Evidenz gegen eine „semantische
Phonologie“
2. Evidenz für ein zweigeteiltes
Gebärdenlexikon (Bedeutung vs. Form)
Klinische Linguistik: ToFs
Semantische Phonologie
Form der Gebärde kopiert Eigenschaften
des bezeichneten Referenten
Stokoe, W. (1960): Sign language structure: An
outline of the visual communication system of
the American deaf. Studies in Linguistics,
Occasional Papers 8. Silver Spring. Linstok
Press
Klinische Linguistik: ToFs
Die Untersuchung
1. Probanden
33 gehörlose Signer (18: native
signers, 8 früher signer -Durchschnitt
Erwerbsalter 4;7, 7 late signer Durchschnitt Erwerbsalter 10;5)
Klinische Lingustik: ToFs
2.
Testmaterial: Namen
a. Buchstabiert
b. Lexikalische Gebärden
Klinische Linguistik: ToFs
3.
Testaufgabe
a. Buchstabieren von Namen
berühmter
Persönlichkeiten
(Audrey Hepburn, Michael
Gorbatschow)
b. Übersetzen von englischen Wörtern
in Gebärden (Eigennamen wie Korea,
Schweiz und niedrigfrequente Wörter
wie orbit)
Klinische Linguistik: ToFs
4.
Instruktion
a. Beschreibung von ToF
b. Proband berichtet u.U. von einem
ToF, dann Angabe einer Eigenschaft
des „gedachten“ Items
Klinische Linguistik: ToFs
5.
Ergebnisse
a. 79 ToFs, davon 55 für buchstabierte und
24 für lexikalische Gebärden,davon 22 für
Namen
b. Erinnerung bei buchstabierten Namen:
erster Buchstabe des Namens: 56%
c. Erinnerung bei lexikalischen Gebärden:
phonologische Eigenschaften des
Zielitems: 79%
Klinische Linguistik: ToFs
5. Ergebnisse
Phonologische Merkmale bei lexikalischen
Gebärden: drei phonologische Merkmale
gleichzeitig 53%!
Handform > Ausführungsstelle >
Handorientierung > Bewegung
Klinische Linguistik: ToFs
STROM
HARMLOS
Klinische Linguistik: ToFs
Simultane Phonologie
Vier phonologische Merkmalsklassen
– Handform
– Ausführungsstelle
– Handorientierung
– Bewegung
Klinische Linguistik: ToFs
Elemente der vier Merkmalsklassen werden
bei der Ausführung einer Gebärde oft
gleichzeitig realisiert:
Bei HARMLOS: B-Handform,
Ausführungsstelle: Kinn,
Handorientierung: Handfläche nach
außen, Bewegung: zum Kinn hin
Klinische Linguistik: ToFs
Interpretation
Fragen
1. ToFs auch bei ASL Signern?
2. Vergleichbarkeit von ToFs mit ToTs?
3. Welche Informationen der Zielitems
(gefingert bzw. Gebärden) werden
aufgefunden?
Klinische Linguistik: ToFs
1.
ToFs auch bei ASL Signern?
Ja
Klinische Linguistik: ToFs
2. Vergleichbarkeit von ToFs mit Tip of the
Tongue-Zuständen (ToTs)?
Wie in ToTs ist Bedeutung bekannt, jedoch
die Wortform nur teilweise
Wie in ToTs die meisten ToFs bei
Eigennamen
Wie in ToTs: bei buchstabierten Namen der
erste Buchstabe
Klinische Linguistik: ToFs
„Semantische Phonologie“?
Ikonizität (Bildhaftigkeit): interessanter
Testfall
Ikonische Gebärden verhalten sich genauso
wie nicht ikonische Gebärden
SCHWEIZ: Sascha hier Bild
Daher ToFs: Evidenz gegen semantische
Phonologie
Klinische Linguistik: ToFs
3. Welche Informationen der Zielitems
(gefingert bzw. Gebärden) werden
aufgefunden?
Lexikalische Gebärden: erste phonologische
Informationen auch zuerst zugänglich
(Handform, Handorientierung,
Ausführungsstelle), danach erst
Bewegung
Klinische Linguistik: ToFs
Unterschiede zwischen Laut-und
Gebärdensprache
ToT: meist steht nur eine phonologische
Information zur Verfügung
ToF: meist drei phonologischen
Informationen gleichzeitig
simultane
Phonologie
Klinische Linguistik: ToFs
• Daraus folgt:
• Wie für Lautsprachen belegt: mentales
Lexikon ist zweigeteilt: Bedeutung und
Form --> zweistufiger lexikalischer Zugriff
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Slips of the hand: erstes Corpus zu ASL
Klima,E. & Bellugi, U. (1979): The signs of language.
Cambridge (Mass.). Harvard University Press
Newkirk,D., Klima,E., Pedersen,C. & Bellugi,U. (1980):
Linguistic evidence from slips of the hand. In: Fromkin,V.
(Hrsg.): Errors in linguistic performance: Slips of the
tongue, ear, pen, and hand. New York. Academic Press,
165-198
Keller,J. & Leuninger,H. (2009): Grammatische Strukturen
– Kognitive Prozesse. Kap. 7. Tübingen: Narr Verlag
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Das Frankfurter Vergebärdler-Corpus
Leuninger, H. (2003): Sprachproduktion im
Vergleich: Deutsche Lautsprache und
Deutsche Gebärdensprache. In: Rickeit,
G., Herrmann,G. & Deutsch,W. (Hrsg.):
Psycholinguistik. Ein internationales
Handbuch. Berlin: de Gruyter, 707-729
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Das Frankfurter Vergebärdler-Corpus
Leuninger, H., Hohenberger,A. & Menges,E.
(2005): Zur Verarbeitung morphologischer
Informationen in der Deutschen
Gebärdensprache. In: Leuninger,H. &
Happ,D.(Hrsg.): Gebärdensprachen.
Sonderheft Linguistische
Berichte.Hamburg.Buske, 325-358
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Das Frankfurter Vergebärdler-Corpus
Leuninger, H., Hohenberger,A. &
Waleschkowski, E. (2007): Sign Languae:
Typology vs. modality. In: Schütze,C. &
Ferreira,V.(Hrsg.): The state of the art in
speech error research. MIT Working
Papers in Linguistics, Cambridge (Mass.):
MIT Press, 317-345
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Das Frankfurter Vergebärdler-Corpus
Leuninger, H. (2007): Sign languages:
Representation, processing, and interface
conditions. In: Lleó, C.(Hrsg.): Interfaces in
multilingualism. Amsterdam. Benjamins,
231-261
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Form: Nachbarschaft in der geplanten
Äußerung (syntagmatisch) oder Nachbarschaft im
Formlexikon (paradigmatisch), syntaktische
Kategorienzugehörigkeit nicht relevant
Bedeutung: keine formale Ähnlichkeit der
betroffenen Einheiten, syntaktische
Kategorienzugehörigkeit relevant,
„Nachbarschaft“ im mentalen Lexikon
(„Wortfelder“)
Klinische Linguistik: Versprecher
Form
(1) Nachbarschaft im Formlexikon
Angora pectoris
Angina pectoris
(2) Nachbarschaft in der Äußerung
Aus den Lippen reiern
Rippen leiern
(FrankfurterVersprechercorpus; ist online)
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Nur Form
Antizipation der Y-Handform: SEINE ELTERN
Error
SEINE
ELTERN
Fehler korrekt: SEINE ELTERN
Vergleichbar mit
Belamtenbeleidigung
Beamtenbeleidigung (F-C)
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Bedeutung alleine: G-Handform von „Mutter“ zu
B-Handform von Vater/ semantische Substitution
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Bedeutung alleine: semantische Substitution (Suche im
„Wortfeld“, Handformen und Ausführungsstelle
verschieden)
„Vater“
„Sohn“
„Junge“
(B-Handf.)
(F-Handf.)
(gekrümmtB)
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Keine formale (phonologische)
Ähnlichkeit
VATER: B-Handform, Ausführungsstelle:
von der Stirn zum Kinn; Handorientierung:
Handrücken nach außen; Bewegung:
leichter Kreis von der Stirn zum Kinn
Klinische Linguistik: Vergebärdler
TOCHTER(SOHN): F-Handform,
Ausführungsstelle: 2 Punkte im neutralen
Gebärdenraum (vor dem Oberkörper),
Handorientierung: Handrücken seitlich nach
außen, Bewegung: gerade Abwärts
Bewegung
Klinische Linguistik: Vergebärdler
JUNGE: gekrümmte B-Handform,
Ausführungsstelle: Taillenhöhe leicht
rechts im neutralen Gebärdenraum,
Handorientierung: Handrücken nach
rechts außen; Bewegung: zweimal kleine
kreisförmige Bewegung
Klinische Linguistik: Vergebärdler
Vergebärdler vergleichbar mit
Gib mir mal die Dingstücher, Handtücher,
Servietten
Klinische Linguistik: Gebärdensprache
Vergebärdler und Tip-of-the-FingerZustände
baseline für die Einschätzung von
gebärdensprachlichen Äußerungen
neurologisch geschädigter Signer
Evidenz für eine Zweiteilung des mentalen
Lexikons
Klinische Linguistik: DANKE