Au s der Geschichte des Brünner Schulwesens

Aus der Geschichte des Brünner Schulwesens
Unsere liebe Vaterstadt Brünn hatte im alten Österreich den ehrenden Beinamen: Brünn,
die Stadt der Kindergärten und Schulen. Und fürwahr, Brünn hat diesen Ehrennamen mit
Fug und Recht verdient. In der sprunghaften wirtschaftlichen Entwicklung unter
Bürgermeister Gustav Winterholler (1880—1894) und Dr. Aug. Ritter von Wieser (1894—
1916) nahm auch das Schulwesen, gefördert von den beiden obgenannten überaus
schulfreundlichen Bürgermeistern eine überaus steilen Aufstieg, bis er knapp vor dem I.
Weltkriege seinen Höhepunkt erreichte. Im Jahre 1913 weist der Gemeindevoranschlag
mit 12,660.000 K Ausgaben für das städtische Schulwesen in der Höhe von 2,054.000 K
und für die Kindergarten der Stadt 285.000 K aus, das sind zusammen nahezu 18% der
gesamten Ausgaben des Rechnungsjahres 1913. Während der Amtszeit des
Bürgermeisters Dr. Wieser, der 34 Jahre lang in der Gemeindevertretung tätig war und
durch 22 Jahre die Geschicke der Stadt leitete, hatte sich die Zahl der Volksschulen von
24 auf 43, die der Bürgerschulen von 6 auf 13 und die Zahl der Kindergärten von 19 auf
44 erhöht (Stand 1913). In der Schulverwaltung standen dem Bürgermeister Wieser die
Stadtschulinspektoren Dr. Heinr. Sonneck, Johann Kaulich und Robert Neumann helfend
und beratend zur Seite, das Städt. Schulamt wies äußerst tüchtige Beamte auf:
Amtsdirektor Nemetz, die leitenden Beamten Dr. Rowner und vor allem Dr. Alois Beran,
dem Aug. Dembicky zur Seite stand.
Nebst den der Allgemeinbildung dienenden Schulen hatte Brünn 1913 eine Technische
Hochschule, 3 Realschulen, 2 Gymnasien, 1 Lyzeum (Mädchen), 2 Höhere staatliche
Gewerbeschulen, 1 Handelsakademie, 2 Lehrerbildungsstätten, 2 Handelsschulen, 1
Musikschule, die Schulen des Brünner Frauenvereines. 8 Berufsschulen sorgten für eine
theoretisch-praktische Ausbildung der Lehrlinge. Zwei Städt. Waisenhäuser (Brünn und
Gurein) nahmen elternlose Kinder auf, verwahrloste Kinder fanden im Pestalozzi-Heim
liebevolle Betreuung. Den nicht vollsinnigen Kindern vermittelte eine Taubstummenanstalt und ein Blindeninstitut einen entsprechenden Unterricht, für anomale Kinder
sorgten je eine Schule für schwer erziehbare und schwachsinnige Kinder.
Die Eltern hatten die Möglichkeit, ohne besonderen Kostenaufwand ihren Kindern jene
Wissensbildung zu geben, die deren Begabung entsprach. Viele unserer lieben
Landsleute sind in weitentlegene Orte verschlagen worden; diese Eltern empfinden es
besonders schmerzlich, ihren Kindern keine entsprechende Ausbildung bieten zu können,
bei andern wieder stehen die wirtschaftlichen schwierigen Verhältnisse diesem Bestreben
hindernd entgegen. Und doch wollen — nach Goethe — die Eltern das Ideal, dem sie
nachstrebten, das sie aber nicht erreichen konnten, in ihren Kindern verwirklicht sehen.
Zwar greift die Flüchtlingsfürsorge helfend ein, aber trotzdem ergeben sich oft
unübersteigbare Schranken der Erziehung und Ausbildung.
Die Geschichte des Brünner Schulwesens läßt sich bis ins 13. Jahrhundert
zurückverfolgen. Eine Urkunde aus dem Jahre 1234 erwähnt einen scholasticus
(Schulmeister) Raschardus. Wahrscheinlich bestanden damals bereits bei St. Peter
(Dom) und St. Jakob Schulen. 50 Jahre später wird eine weitere Klosterschule bei den
Minoriten und Dominikanern erwähnt. Ein langer Schulstreit zwischen den beiden
erstgenannten Schulen um das Vorrecht des Unterrichtes im Psalter und Gesang wurde
von kirchlicher Obrigkeit geschlichtet. Das „unartige Männlein" auf der Südseite der
Kirche von St. Jakob ist ein sichtbares Zeichen der Unstimmigkeiten zwischen den beiden
Kirchen. Diese Kirchen (Kloster-)schulen waren zumeist nur für die Kinder der
vornehmen Stände bestimmt; es wurde das sogenannte Trivium: Grammatik, Rhetorik
und Dialektik unterrichtet. Die Studenten der Minoriten und Dominikaner scheinen nicht
gerade ein beschauliches Leben geführt zu haben. Der Chronist meldet von häufigen
Ruhestörungen nach durchzechter Nacht.
Die religiösen und politischen Wirren des 15. und 16. Jahrhunderts waren für die
Entwicklung des Schulwesens nicht günstig. Die Bemühungen des Bürgertums im Jahre
1465, die seinerzeit bei St. Jakob bestandene Schule wieder aufzurichten, hatten einen
vollen Erfolg. Papst Paulus II. gestattete, daß nebst der Schule bei St. Peter wieder bei
der Jakobskirche eine Pfarrschule zu errichten sei „zum Unterrichte im göttlichen
Glauben, im Kirchengesange und in den kirchlichen Bräuchen für Kinder und Jünglinge".
1447 erhielt diese Schule ein eigenes Schulhaus, bisher wurde zumeist in der Pfarrei
oder Kirche unterrichtet.
Einen großen Schritt nach vorwärts bedeutete für das Schulwesen die Reformation. Die
evangelischen Prediger und Pfarrer waren zumeist auch Schulmeister und brachten aus
der Heimat eine Verbesserung der Organisation der Schulen und des Unterrichtes mit.
Was diese Lehrer begonnen, setzten in der Gegenreformation die Jesuiten fort. Diese
hatten nur zu bald den Einfluß der Schule auf das politische Leben erkannt, gründeten an
allen größeren .Orten, auch in Brünn, Lehranstalten, und verstanden es, durch die Söhne
der Adeligen und Stände Einfluß auf die öffentliche Verwaltung zu gewinnen. In Brünn
gründete 1578 der Jesuit Alexander Heller eine Lateinschule, aus der später das I.
Deutsche Gymnasium hervorging. In der Schwedenbelagerung standen die Studenten
des Jesuitenkollegiums an der Spitze der Verteidiger der Stadt und schlugen unter
Vorantragung ihrer Schulfahne den letzten Angriff der Schweden am 15. August 1645
zurück. Der Unterricht dieser Schulen war lateinisch, die Muttersprache wurde gänzlich
vernachlässigt. Für die Schüler des gewöhnlichen Volkes bestanden keinerlei
Bildungsanstalten, die Jugend wuchs zumeist ohne jeden Unterricht auf.
Eine wesentliche Wende zum Besseren trat mit der Regierung der Kaiserin Maria
Theresia ein. Ihre „Studien-Einrichtung" vom Jahre 1747 verfügte u. a., daß neben dem
Lateinunterrichte auch die Muttersprache zu lehren sei. Allerdings war ein erschwerender
Umstand, daß keine entsprechenden Lehrer vorhanden waren. Wir besitzen eine
Urkunde über eine Art „Lehrerprüfung", zu welcher sich für eine „vakante
Schulgehilfenstelle" 3 Bewerber eingefunden hatten: ein invalider Korporal der großen
Kaiserin, ein Schneider und ein verbummelter Student. Die Prüfung fand vor dem
Pfarrer, dem Schulmeister und einem „gelehrten" Stadtvogte statt und bezog sich auf
Katechismus, Evangelium, Diktandoschreiben, Lesen, Rechnen und Kirchengesang. Als
Sieger ging der Schneider hervor, „der in der Bibel gar wohl bewandert war und eine
Stimme gleich einer Nachtigall hatte". Es wurde ihm erlaubt, das ehrsame
Schneidergewerbe weiterhin auszuüben. Auf Grund einer Stiftungsurkunde hatte dieser
Schulgehilfe vor der neuen Mariensäule auf dem Altbrünner Marktplatze jeden Samstag
mit den Schulkindern den Rosenkranz und die Litanei zu beten. Der Schulmeister der
Neustiftschule hatte nach einem Berichte von Wildometz (Brünner Heimatbote 1. 2.
1952) die Gebetsglocke zu betreuen und war Vorbeter bei dem allwöchentlich am Freitag
um 3 Uhr beim Hl. Kreuze stattgefundenen Rosenkranzbeten und war Vorbeter und
Vorsänger bei der alljährlich nach Turas geführten Prozession und „hatte auf dem Chor
die Orgel zu schlagen".
Brünn zählte zur Zeit Maria Theresias rund 15 000 Einwohner. Man nimmt ungefähr 10%
der Bevölkerung als schulpflichtig an, das ergäbe für Brünn für die damalige Zeit 1500
Schulkinder; tatsächlich besuchten aber nur 600 die Schulen, d. s. 40%; 60% blieben
Analphabeten.
Zur gleichen Zeit hatte in Preußen Friedrich der Große nach Beendigung der Kriege
gegen die Kaiserin ein großes Reformwerk auf allen Gebieten der staatlichen Verwaltung
begonnen und in dessen Rahmen durch Abt Felbiger aus Sagan eine Schulreform
durchgeführt, die sich vor allem durch eine Erfassung aller Kinder und eine bessere
Unterrichtsgestaltung auszeichnete. Die großen Gegner auf dem Gebiete der Politik
reichten sich auf kulturellem Gebiet die Hand, und so gestattete Friedrich, daß Felbiger
nach Wien in den Dienst der Kaiserin trat. Das Jahr 1774 ist das Geburtsjahr der
österreichischen allgemeinen Volksschule. Die „Neue Schulordnung" begründete die
verbindliche 6jährige Schulpflicht, verordnete, daß jedes Dorf eine sogenannte
Trivialschule zu erhalten hatte, in der das Trivium: Rechnen, Lesen und Schreiben zu
lehren war. In jeder Stadt sollte außerdem eine höherorganisierte Schule, eine
sogenannte Hauptschule errichtet werden und in der Hauptstadt eines jeden Landes
sollte eine Normalschule eine erhöhte Bildung vermitteln. Bereits 1775 wurde in Brünn
die k. k. Normal-Hauptschule errichtet. Ignaz Mehofer. der in Wien von Felbiger
unterwiesen worden war, übernahm die Leitung der Schule und verband damit den
Unterricht für geistliche und weltliche Lehrpersonen. Aus dieser Präparandenanstalt ging
die Lehrerbildungsanstalt hervor, die zunächst in einem Teil des Minoritenklosters
untergebracht war. In kurzer Zeit hatte Brünn mehrere Hauptschulen: Neustiftgasse,
Altbrünn, Obrowitz, Kröna und Zeile, Neugasse und St. Jakob. Ende des Jahrhunderts
waren es derer 10. Die Zahl der Schulkinder war von 600 (i. J. 1750) auf etwa 2000 (i.
J. 1790) gestiegen.
Was Maria Theresia begonnen, führte Josef II. weiter. Durch das Toleranz-Edikt erhielten
auch die Protestanten die Möglichkeit, eine protestantische Gemeinde zu gründen
(1782). Der erste protestantische Seelsorger, der Tübinger Theologe Viktor Heinrich
Rieke unterrichtete die protestantischen Kinder zunächst privat, bis dann die 1795
errichtete Evang. Schule diese Aufgabe übernahm. Deren erster Lehrer war Karl Trost
aus Urach (Württ.), der die in Eßlingen bereits bestehende Lehrerbildungs-Anstalt
besucht hatte. Die Schule war vorbildlich in ihren Leistungen, sie mußte bald erweitert
werden. An der Schule wirkte auch der Tübinger Magister Karl Zeller, der die erste Lehrlingsschule in Brünn eröffnete und leitete. Der gute Ruf, den die Evangelische Schule
bald nach ihrer Gründung dank vorzüglicher Lehrer hatte, behielt sie bis zu ihrer
Auflösung knapp vor Kriegsende.
Fast zu gleicher Zeit hatte der obenerwähnte Mehofer eine Schule für Erwachsene
errichtet, in welcher diejenigen, die bisher keine Schulbildung genossen hatten, die
mangelnden Lücken ihrer Bildung schließen konnten.
Mit Beginn der Regierungszeit des Kaisers Franz tritt ein hervorragender Pädagoge, der
Erzbischof von Wien, Vinzenz Eduard Milde, ein Brünner Kind, dem Kaiser als Berater zur
Seite. Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Brünn eine philosophische .und eine
theologische Lehranstalt eröffnet. Für nicht vollsinnige Kinder wurde 1832 die
Taubstummenanstalt und 1843 eine Blindenschule gegründet. Im gleichen Jahre
übersiedelte die Mähr. ständische Akademie, die mit der Mähr. Universität in Olmütz
verbunden war, nach Brünn. Diese techn. Lehranstalt war schon seinerzeit in Brünn, als
vorübergehend die Universität in Brünn für kurze Zeit ihren Sitz gehabt hatte. Die
feierliche Eröffnung der Techn. Hochschule fand am 14. Jänner 1850 im Eckgebäude
Fabriksgasse—Dornröslgasse statt. Im Jahre 1860 bezog sie das Neugebäude in der
Elisabethstraße. Fern der Heimat feierte 1950 die T.H. in Wien das Jubiläum ihres 100jähr. Bestandes.
Im Jahre 1851 erhielt Brünn als erste Stadt Österreichs eine Ober-Realschule. 1856
wurde zur Ausbildung des kaufmännischen Nachwuchses die Cremial-Handelsschule
gegründet, aus der die spätere Handelsakademie hervorging; aus der 1860 gegründeten
Webereischule in der Josefstadt entstand die Höhere Textilschule. Gleichfalls in den
Fünfziger Jahren war für die technischen Gewerbe eine niedere Gewerbeschule geschaffen worden, die später in die Höhere Staatsgewerbeschule überging. Die Fachkurse für
Lehrlinge, die der erste Direktor dieser Anstalt, Reg.-Rat Wilda ins Leben rief, waren die
Vorläufer der Berufsschulen.
Gleichfalls um die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren in Brünn die ersten
Kinderkrippen zur Betreuung der vorschulpflichtigen Kinder eingerichtet worden. Aus
ihnen gingen in der Folge die Fröbelschen Kindergärten hervor.
Einen gewaltigen Aufstieg hatte das Schulwesen Österreichs seit Maria Theresia
genommen, es hatte eine dem Zeitgeiste entsprechende Ausgestaltung erfahren. Der
Lehrer der Volksschule war allerdings noch immer der Schulmeister der alten Zeit, der
Meßner, der Diener der Kirche; die Volksschule mußte sich noch immer mit dem Trivium
des Lesens, Schreibens und Rechnens begnügen, für die Mädchenfortbildung war
überhaupt nicht gesorgt.
Auch auf diesen Gebieten Wandel geschafft zu haben, ist das große Verdienst des
Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869, der Perle der liberalen Gesetzgebung des
alten Österreich. Die Schule wurde der kirchlichen Aufsicht entzogen und in staatliche
Verwaltung übernommen, in den Unterrichtsplan der Volksschule wurden die Realien und
Fertigkeiten eingeführt, es wurde die Bürgerschule geschaffen, die den Kindern weitester
Kreise der Bevölkerung eine über das Ausmaß der Volksschule hinausgehende Bildung
vermittelte, es wurde die Schulpflicht von 6 auf 8 Jahre erweitert, die Lehrerbildung
wurde von 2 auf 4 Jahre ausgedehnt und der Anfang gemacht, auch den Mädchen dem
Lehrberufe zuzuführen. Brünn erhielt 1871 eine Lehrerbildungsanstalt für Knaben und für
Mädchen. Die letztgenannte Anstalt war die einzige Lehranstalt, an welcher Mädchen
eine erhöhte Bildung erlangen konnten. Erst 1901 errichtete die Stadtgemeinde als erste
Stadt in Mähren, ein Lyceum, das den Schülerinnen eine höhere wissenschaftliche
Bildung vermittelte.
Das Reichsvolksschulgesetz ermöglichte es erst, das Schulwesen Brünns so auszugestalten, wie dies eingangs ausgeführt wurde. Dieses Gesetz hatte so gesunde
Grundlagen, daß es die alte Monarchie überlebte und in der čSR weiterhin in den
meisten Bestimmungen in Kraft blieb.
Erst nach der Februar-Revolution 1948 wurde dieses altehrwürdige Gesetz außer Kraft
gesetzt. Das tschechische Gesetz vom 21. April 1948 Nr. 95 schafft die Bürgerschule und
Oberschule ab und ersetzt diese durch die Einheitsschule nach sowjetischem Muster.
Habermann
(BHB 1952 )
Siehe auch:
Das deutsche Schulwesen der Stadt Brünn, Brünner Heimatbote Jg. 1951, Nr. 14.