Krantechnik Hubwerke mit Sicherheitsbremsen 1/3 Belastungen der Komponenten Ausgangslage Bei Planung und Bau von Hubwerken in Krananlagen sind grundsätzlich zwei Vorgehensweisen möglich. Serienhubwerke werden für größere Stückzahlen konzipiert und als solche gebaut. Sie können deshalb als System detailliert geplant und geprüft werden. Offene Windwerke stellen meist ein für die einzelne Krananlage konfiguriertes System dar. Dieses kann praktisch kaum so intensiv wie ein Serienhubwerk geplant werden. Ebenso sind intensive experimentelle Untersuchungen – z. B. bezüglich der geplanten Lebensdauer – nicht möglich. Deshalb ist eine zielgerichtete Vorgehensweise bei der Planung von offenen Windwerken von besonderer Bedeutung. 150 Motor Ausgleichskupplung Ausgleichskupplung Bremsen Getriebe Seiltrommel Bei sicherheitsgerichteten Hubwerken liegt folglich mehr als eine Bremse vor. Analog zum klassischen Hubwerkaufbau ist auf der Achse der schnelllaufenden Motorwelle die Betriebsbremse angeordnet. Da diese heute bei elektrisch bremsenden Systemen kaum als Stoppbremse zum Einsatz kommt, kann sie auch als Haltebremse bezeichnet werden. In sicherheitsgerichteten Anwendungen muss die Last auch für den Fall gehalten werden, dass ein Bruch im Antriebsstrang auftritt. Hierfür wird eine Sicherheitsbremse auf der Bordscheibe der Seiltrommel, d. h. am lastseitigen Ende des rotierenden Antriebsstrangs, vorgesehen. Seiltrieb Last ➊ Allgemeiner Aufbau eines Hubwerks Wenn für den Betriebsfall eine stärkere oder geteilte Bremswirkung erreicht werden soll, kann beispielsweise auf der Achse der schnelllaufenden Haltebremse Haltebremse Motor Motor Ausgleichskupplung Ausgleichskupplung Getriebe Seiltrommel Hubwerkstruktur Im Allgemeinen bestehen Hubwerke aus einer Antriebskette, in die an den Enden Lasten eingeleitet werden: An einem Ende befinden sich der Antriebsmotor und die Bremse, am anderen Ende ist die Last angehängt (Bild ➊). Hierdurch ergeben sich relativ übersichtliche Szenarien, was das Verhalten des Hubwerks in verschiedenen Betriebssituationen betrifft. Bei sicherheitsgerichteten Hubwerken, wie bei STS-Kranen, Kranen in kerntechnischen Anlagen und bei Kranen für den Transport feuerflüssiger Massen, sieht dies etwas anders aus. Haltebremse Trommelkupplung ■ Stefan Vöth Zur Absicherung eines Bruchs des Antriebsstrangs wird hier meist eine zusätzliche Sicherheitsbremse auf der Bordscheibe der Seiltrommel vorgesehen. Hierdurch kann auch eine Last in der Mitte des Antriebsstrangs eingeleitet werden [1]. Dies hat im Vergleich mit dem allgemeinen Hubwerkaufbau ein modifiziertes dynamisches Verhalten des Hubwerks im Allgemeinen und des elastischen Antriebsstrangs im Speziellen zur Folge. Trommelkupplung In Logistikketten integrierte Krananlagen sind Elemente, die wesentlich zur Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Transportprozesse beitragen. Die Sicherheit ist ein entscheidender Faktor beim Betrieb von Kranen in kerntechnischen Anlagen und beim Transport feuerflüssiger Massen; beim Betrieb von STS-Containerkranen kommt die Wirtschaftlichkeit als dominierender Aspekt hinzu. Eine wichtige Baugruppe jeder Krananlage ist das Hubwerk. In einer dreiteiligen Beitragsfolge wird gezeigt, welche Lasten in Hubwerken mit Sicherheitsbremse auftreten, bei der Auslegung zu berücksichtigen sind und wie diese Lasten reduziert werden können. Seiltrommel Sicherheitsbremse Sicherheitsbremse Seiltrieb Seiltrieb Last ➋ Betrachtetes Referenzsystem www.hebezeuge-foerdermittel.de · Hebezeuge Fördermittel, Berlin 55 (2015) 3 Krantechnik Motor welle eine zusätzliche Bremse installiert werden. Diese Zusatzbremse ist üblicherweise für das grundsätzliche Abbremsen und Halten der Last nicht erforderlich. Alle Bremsen fallen nach entsprechender Schaltung mit Verzögerung ein. Das Bremsmoment baut sich analog einer Exponentialfunktion auf. Seine Größe hängt wesentlich von den erreichten Reibungsverhältnissen in der Bremse ab. Das betrachtete Referenzhubwerk hat folgende Daten: – Motordrehzahl n1 = 1500 min-1 – Hubgeschwindigkeit vH = 45 m/min – Drehmasse Motorwelle θ 1 = 20 kgm2 – Drehmasse Seiltrommelwelle θ 2 = 500 kgm2 – Masse Lastaufnahmemittel mLAM = 10 t – Masse Last mLast = 52 t – Radius Seiltrommel r = 0,5 m – Übersetzung Getriebe iG = 26,2 – Übersetzung Seiltrieb iS = 4 – Betriebsbremsmoment MBB = 5,8 kNm – Totzeit Betriebsbremse ttot BB = 0,4 s – Sicherheitsbremsmoment MSB = 130 kNm – Totzeit Sicherheitsbremse ttot SB = 0,1 s – Getriebesteifigkeit c = 4e4 Nm/rad – Trommelkupplungsspiel s = 3°. Referenzsystem Für eine nähere Untersuchung des Verhaltens wird ein verlustfreies, teilredundantes Hubwerk mit Sicherheitsbremsen betrachtet (Bild ➋). Zentrales Element des Hubwerks ist das Getriebe. Die Last wird über ein Lastaufnahmemittel und einen Seiltrieb der Einscherung 8/2 getragen. Die beiden Seile laufen auf jeweils eine Trommel auf, die mit den beiden Getriebeausgängen gekoppelt sind. Auf den Bordscheiben beider Seiltrommeln befindet sich jeweils eine Sicherheitsbremse. Angetrieben wird das Hubwerk über zwei Motoren, die mit den beiden Getriebeeingängen verbunden sind. Auf den Achsen der Motorwellen befindet sich jeweils eine Betriebsbremse. Lastfälle Das Hubwerk unterliegt im Betrieb diversen Lastfällen, die sich durch folgende Parameter beschreiben lassen: ▶ Hinsichtlich der Verfahrrichtung können Halten, Hubbetrieb und Senkbetrieb unterschieden werden. ▶ Hinsichtlich der Geschwindigkeitsänderung können Konstanz, Beschleunigung und Verzögerung unterschieden werden. ▶ Hinsichtlich der am Seiltrieb ange- hängten Last können Lasten im Spektrum von der Totlast (Lastaufnahmemittel) bis zur Volllast (Lastaufnahmemittel plus Tragfähigkeit) auftreten. Bezüglich der Schnittgrößen sind Schaltvorgänge interessant. Ein Wechsel ist zwischen nachfolgenden Betriebszuständen möglich: – Hängende Last – Hubbetrieb – Senkbetrieb – Betriebsstopp – Notstopp – Notaus. Im Weiteren werden Lastfälle betrachtet, die tendenziell hohe Schnittgrößen im Antriebsstrang zur Folge haben. Betrachtet wird der Fall Notaus für ein Hubwerk, das über eine schnell einfallende Sicherheitsbremse und eine langsam einfallende Betriebsbremse verfügt. Notaus bedeutet, dass die Energiezufuhr zum Hubwerk spontan ausbleibt und alle Komponenten entsprechend reagieren. Das Motormoment fällt ab, und die Bremsen fallen mechanisch ein. Der Sonderfall einer im Hubbetrieb plötzlich blockierten Last (Snag) soll hier zunächst nicht betrachtet werden [2]. 50 rel. Getriebemoment MG rel Heben Heben, Totlast 40 7,0 s; 2633 mm 30 Hubgeschwindigkeit v in m/min 20 10 6tBB 267 mm 296 mm 466 mm 0 566 mm 302 mm 359 mm -10 5 4,5 4,1 4 MF = 1 3 2 1 MF = 0,9 2,0 1,8 2,3 MF = 0,5 1,0 0 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 rel. Bremsmoment Sicherheitsbremse MSB/Mst 6tSB -20 ➍ Maximales relatives Getriebemoment; MF Massefaktor -30 -40 Senken Senken, Totlast -50 -60 -70 0 0,2 0,4 0,6 0,8 Zeit t in s 1,0 1,2 1,4 ➌ Geschwindigkeits-Zeit-Verläufe für das Abbremsen aus dem Heben/Senken der Totlast Hebezeuge Fördermittel, Berlin 55 (2015) 3 · www.hebezeuge-foerdermittel.de 151 © 2015 · Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen auf Datenträgern jeglicher Art sind verboten. HUSS-MEDIEN GmbH · Am Friedrichshain 22 · 10407 Berlin · Tel. 030 42151-0 · Fax 030 42151-207 · www.hebezeuge-foerdermittel.de Krantechnik abzubauenden Energie. Hierdurch können die Spitzenwerte und die Amplituden des Getriebedrehmoments während des Bremsvorgangs deutlich reduziert werden. Starrkörperkinetik Wird das Hubwerk als starrkörperkinetisches Modell abgebildet, kann mit diesem der Geschwindigkeits-Zeit-Verlauf für die Last berechnet werden. So ergeben sich beispielsweise für die verschiedenen mechanischen Bremsszenarien aus dem Heben/Senken der Totlast heraus die im Bild ➌ dargestellten Geschwindigkeits-Zeit-Verläufe. Hinsichtlich der Getriebebelastung ist der Lastfall Notaus aus dem Hubbetrieb mit Volllast heraus relevant. Dieser Notaus hat sofort eine Abschaltung des Motors und ein Einfallen der Sicherheitsbremse zur Folge. Mit dem starrkörperkinetischen Modell (ohne Berücksichtigung eines Dynamikfaktors) kann das relative Getriebeeingangsdrehmoment, d. h. das Getriebeeingangsdrehmoment, bezogen auf das statische Getriebeeingangs drehmo ment aus der Volllast, berechnet werden. Dieses liegt für typische Hubwerkauslegungen wie hier bei MG rel max = 2,6, kann bei spezieller Auslegung allerdings auch Werte bis zu MG rel max = 4,4 annehmen (Bild ➍). Dies bedeutet, dass das Getriebedrehmoment um den Faktor 4,4 über der maximalen statischen Belastung des Antriebsstrangs liegt. Zusammenfassung ➎ Relatives Getriebemoment entsprechend dem elastokinetischen Hubwerkmodell netischen Betrachtung liegen. Gerade im Getriebe treten diese Schnittgrößen nach dem Durchlaufen von Spiel stoßartig und in Verbindung mit Hertzschen Pressungen (Verzahnungen, Wälzkörper) auf. Diese sich hieraus ergebenden Maximalbeanspruchungen müssen im Sinne der Sicherheit statisch ertragbar sein. Im Sinne der Lebensdauer dürfen sie nicht zu Vorschädigungen führen, die im Laufe der weiteren Betriebsbelastung Ermüdungsschäden zur Folge haben. Abgeleitete Maßnahmen Elastokinetik Die starrkörperkinetische Betrachtung berücksichtigt nicht die Elastizitäten und hier auch nicht das Spiel im System Hubwerk. Deshalb müsste untersucht werden, welchen Einfluss diese Eigenschaften haben. Hierfür wird das starrkörperkinetische Hubwerkmodell um die Elastizität des Getriebes und das Spiel in der Seiltrommelkupplung er weitert. Untersuchungen zeigen, dass hier vor allem der Lastfall Notaus aus dem Senken der Totlast heraus von Belang ist. Dieser Notaus hat sofort eine Abschaltung des Motors und ein Einfallen der Sicherheitsbremse zur Folge. Für die o. g. Daten kann hier ein maximales rela ti ves Getriebe eingangsdrehmoment von M G rel max = 8 , 9 berechnet werden (Bild ➎). Das bedeutet, dass das Getriebedrehmoment um den Faktor 8,9 über der maximalen statischen Belastung des Antriebsstrangs liegt. Getriebebelastung Aus den durchgeführten Berechnungen lassen sich maximale Getriebedrehmomente ableiten, die weit über denen aus einer statischen oder starrkörperki- 152 Für die hohen Schnittgrößen – vor allem für den Fall Notaus [3] – ist das Hubwerk einer Krananlage u. U. nicht sinnvoll und wirtschaftlich auszulegen. Deshalb ist zu bedenken, durch welche Maßnahmen eine Reduktion der Schnittgrößen im Antriebsstrang erreicht werden kann. Hierfür kommen in Betracht: ▶ Minderung des Spiels und Erhöhung der Elastizität des Systems: Hierdurch können Stöße reduziert und besser abgefedert sowie in Verbindung mit der Systemdämpfung die Schnittgrößen reduziert werden. ▶ Zeitgleicher Eingriff von Sicherheitsbremse und Betriebsbremse: Hierdurch wird vermieden, dass die hohe antriebsseitige Drehmasse (Motor) u. U. ungebremst auf die bereits abgebremste abtriebsseitige Drehmasse (Seiltrommel) aufprallt. Entsprechende Stöße in spielbehafteten Baugruppen, wie Getriebe und Trommelkupplung, können reduziert werden. ▶ Abgestimmter Eingriff von Sicherheitsbremse und Betriebsbremse: Zweckmäßig ist eine Abstimmung der beiden Bremsmomente entsprechend der an den Bremsorten Aufgrund der instationären Arbeitsweise von Kranen sind deren Komponenten, vor allem das Hubwerk, hohen dynamischen Lasten ausgesetzt. Unter Würdigung der dynamischen Vorgänge in Hubwerken mit Sicherheitsbremse lässt sich ermitteln, dass im Hubwerksgetriebe besonders im Lastfall Notaus erhebliche Drehmomentspitzen, im aufgeführten Beispiel von MG rel max = 890 %, auftreten können. Diese werden durch eine starrkörperkinetische Analyse – und damit auch durch eine hierauf basierende Auslegung gemäß DIN EN 13001-2 [4] – nicht erfasst. Das Hubwerk muss mit diesen Betriebssituationen umgehen können, so auch in Zonen Hertzscher Kontakte (Verzahnungen, Wälzkörper) des Getriebes. Deshalb sind bei kritischen Systemen neben den bekannten mechanischen Maßnahmen zur Minderung der Schnittgrößen, wie Spielfreiheit und Elastizität, weitere Schritte zu prüfen. Im Sinne eines „intelligenten Hubwerks“ kommen für sicherheitsgerichtete Hubwerke der zeitgleiche Bremseingriff und der abgestimmte Bremseingriff in Betracht. □ Literatur [1] RWTÜV-Schriftenreihe, Heft 8: Krane, Bemessung und Sicherheit, 1981. [2] Vöth, S.: Sicherheitskonzepte für Hubwerke von Containerkranen. Vortrag auf dem 17. ITI Symposium, Dresden 2014. [3] Schmeink, F.: Dynamische Beanspruchung von Hubwerksgetrieben – von der Spezifikation bis zur Auslegung. In: Tagungsband der 22. Internationalen Kranfachtagung, Magdeburg 2014, S. 185 ff. [4] DIN EN 13001-2: Kransicherheit, Konstruktion allgemein, Teil 2: Lasteinwirkungen. Prof. Dr.-Ing. Stefan Vöth ist Leiter des Zentrums für Antriebs- und Fördertechnik an der Technischen Fachhochschule „Georg Agricola“ in Bochum www.hebezeuge-foerdermittel.de · Hebezeuge Fördermittel, Berlin 55 (2015) 3
© Copyright 2024 ExpyDoc