Krantechnik Hubwerke mit Sicherheitsbremsen 3/3 Intelligentes Bremsen Infolge der großen Schnittgrößen besteht das Risiko des Ausfalls einzelner Hubwerkkomponenten, dessen Eintreten in der Praxis beobachtet werden kann. Der Ausfall von Komponenten, vor allem eines Hubgetriebes, führt zu Konsequenzen hinsichtlich Sicherheit und Anlagenverfügbarkeit und ist deshalb in vielen Einsatzfällen dringlich zu vermeiden. Motor Heben Aus Senken ■ Stefan Vöth t NotausEreignis Betriebsbremse Ausgangslage Hubwerke sind durch den instationären Betrieb dynamisch beanspruchte Strukturen. Besonders für den Fall von Notaus für sicherheitsgerichtete Hubwerke mit Sicherheitsbremse auf der Bordscheibe der Seiltrommel ergeben sich hohe dynamische Schnittgrößen im Antriebsstrang [1, 2, 3]. So erreicht das relative Getriebeeingangsdrehmoment für die Bremsung mit der Sicherheitsbremse aus dem Heben (+) bzw. Senken (–) das Niveau M G rel max = φ 5[MF(LF ± BF SB) – L F]+LF. Für das Bremsen der Volllast aus dem Heben heraus ergibt sich somit wie be reits im Teil 2 aufgeführt: MG rel max = φ 5[MF(BF SB+1) –1]+1; MG rel MG rel max MF LF BFSB φ5 254 Getriebeeingangsdrehmoment, bezogen auf das statische Lastmoment aus Volllast Maximalwert von MG rel Massefaktor: Drehmasse Motor, bezogen auf die auf die Motorwelle reduzierte Drehmasse des gesamten Antriebsstrangs Lastfaktor: Hublast, bezogen auf die maximale Hublast Bremsfaktor: Bremsmoment Sicherheitsbremse, bezogen auf das statische Lastmoment aus Volllast Dynamikfaktor für Massenkräfte aus Antrieben nach DIN EN 13001-2. ΔtM Ein Aus t Sicherheitsbremse Ein Aus t ➊ Neues zeitliches Szenario Notaus Intelligentes Bremsen Gefragt sind deshalb Ansätze zur Reduktion der Spitzenwerte und der Amplituden der auftretenden Schnittgrößen. In den schon veröffentlichten Teilen 1 und 2 wurden verschiedene Maßnahmen zur Reduktion der Belastungen aufgeführt. Von diesen sollen hier zwei näher betrachtet werden: ▶ gleichzeitiger Bremseingriff von Betriebsbremse und Sicherheitsbremse und ▶ abgestimmter Bremseingriff von Betriebsbremse und Sicherheitsbremse. Hauptursache für hohe Belastungen im Antriebsstrang infolge einer Sicherheitsbremsung ist folgende Gegebenheit: Das Maximum der abzubauenden kinetischen Energie wohnt im Normalfall den Massen auf der Achse der schnelllaufenden Motorwelle inne: Massen von Motor, Kupplung und Bremstrommel/Bremsscheibe. Gebremst wird zumindest zunächst infolge des schnellen Einfalls der Sicherheitsbremse an der Bordscheibe der Seiltrommel und durch die Last. Hierdurch wird das Bremsmoment nicht an der eigentlichen Bedarfsstelle eingeleitet. Das Bremsmoment muss zu erheblichen Teilen von den Einleitungsstellen zu den schnell rotierenden Massen geleitet werden. Damit diese Drehmomentendurchleitung nicht auch das Getriebe passiert, macht es Sinn, zeitgleich zur Sicherheitsbremse auch die Betriebsbremse einfallen zu lassen. Dies führt dazu, dass sich die Betriebsbremse direkt an dem Bremsprozess beteiligen kann. Idealerweise ergibt sich ein neues Schaltszenario mit den Totzeiten der Betriebsbremse und der Sicherheitsbremse ΔtBB =ΔtSB = 0 s. Voraussetzung hierfür ist, dass das Motormoment bis zum Einfall der beiden Bremsen gehalten wird (Bild ➊). Es stellt sich die Frage, mit welchen Bremsmomenten durch die Sicherheitsbremse und die Betriebsbremse agiert wird. Günstig ist es, wenn so gebremst wird, dass das vor der Bremsung im Antriebsstrang vorliegende quasistatische Schnittmoment auch während des Bremsvorgangs vorliegt. Hierdurch wird am Beginn der Bremsung ein Sprung im Schnittmoment beim Übergang zwischen den Betriebszuständen „Heben/ Senken“ und „Gebremstes Heben/Senken“ vermieden. Ebenso wird am Ende der Bremsung ein entsprechender Sprung beim Übergang zwischen den Betriebszuständen „Gebremstes Heben/Senken“ und „Halten“ ausgeschlossen. Unter dieser Voraussetzung berechnen sich für die Struktur des Referenzhubwerks folgende Bremsfaktoren für die Sicherheitsbremse und die Betriebsbremse für das Bremsen aus dem Heben (-) bzw. aus dem Senken (+) heraus: 2,5 Bremsfaktoren Betriebsbremse BFBB und Sicherheitsbremse BFSB Die Komponenten von Hubwerken mit Sicherheitsbremse sind erheb lichen Lasten ausgesetzt. Mit diversen Maßnahmen lässt sich eine Minderung der Belastungen bewirken. Nachdem in den ersten beiden Teilen der Beitragsfolge (s. H. 3/2015, S. 150, und H. 4/2015, S. 192) auf den Bremsprozess und die hieraus folgenden Komponentenbelastungen eingegangen worden ist, wird im abschließenden Teil das Konzept „Intelligentes Bremsen“ behandelt, durch das die Belastungen deutlich reduziert werden können. BFBB + BFSB BFBB BFSB 2,0 1,5 1,0 0,5 00 10 20 30 40 t 50 Hublast ➋ Betriebsfaktoren für Bremsung aus dem Heben www.hebezeuge-foerdermittel.de · Hebezeuge Fördermittel, Berlin 55 (2015) 5 ⎛ θ∗ Δω ⎞ BFBB = ± ⎜ LF + MF ges ⎟ M∗st Δt ⎠ ⎝ BFSB = ± ( 1− MF ) Schlussfolgerung θ∗ges Δω M∗st Δt BFBB Bremsfaktor: Bremsmoment Betriebsbremse, bezogen auf das statische Lastmoment aus Volllast BFSB Bremsfaktor: Bremsmoment Sicherheitsbremse, bezogen auf das statische Lastmoment aus Volllast LF Lastfaktor: Hublast, bezogen auf die maximale Hublast MF Massefaktor: Drehmasse Motor, bezogen auf die auf die Motorwelle reduzierte Drehmasse des gesamten Antriebsstrangs θ *ges Drehmasse Antriebsstrang, reduziert auf die Motorwelle M *st statisches Lastmoment aus Volllast, bezogen auf die Motorwelle Δω Differenz der Motorwellenkreisfrequenz Δt Bremszeit. Für das in [1] eingeführte Referenzhubwerk ergeben sich die in den Bildern ➋ und ➌ dargestellten Bremsfaktoren sowie deren Summe für das Bremsen aus dem Heben und aus dem Senken. Für das Bremsen aus dem Heben muss mit der Sicherheitsbremse lediglich geringfügig gebremst werden (BF SB = 5%…12%). Die Betriebsbremse muss im Teillastbereich ein deutliches Bremsmoment zur Verfügung stellen. Mit zunehmender Last fällt das Bremsmoment der Betriebsbremse bis zur Volllast stetig ab (BFBB = 92%… 8%). Für das Bremsen aus dem Senken muss mit der Sicherheitsbremse lediglich geringfügig gebremst werden (BF SB = 5%…12%) . Die Betriebsbremse muss im Teillastbereich ein deutliches Bremsmoment zur Verfügung stellen. Mit zunehmender Last steigt das Bremsmoment der Betriebsbremse bis zur Volllast stetig an (BFBB =124%… 208%). Bremsfaktoren Betriebsbremse BFBB und Sicherheitsbremse BFSB 2,5 2,0 1,5 1,0 BFBB + BFSB BFBB BFSB 0,5 00 10 20 30 40 t 50 Hublast ➌ Betriebsfaktoren für Bremsung aus dem Senken Die Belastungen im Antriebsstrang für den Fall Notaus können durch intelligentes Bremsen deutlich reduziert werden. Dies trifft bei entsprechendem Hubwerkkonzept auch für den deutlich öfter auftretenden Fall Notstopp zu. Idealerweise kann der Bremsvorgang so gestaltet werden, dass im Antriebsstrang zwischen Motor und Sicherheitsbremse auch bei Bremsung das Schnittmoment aus dem Beharrungsbetrieb wirkt. Um dieses Ziel zu erreichen, sind folgende Maßnahmen zu ergreifen: ▶ Bremseingriff möglichst zeitgleich zur Motorabschaltung: Fällt das Motormoment vor dem Bremseingriff ab, so wird der Antriebsstrang hierdurch leicht entlastet. Die hieraus resultierenden Beanspruchungen können durch die Zeitgleichheit vermieden werden. ▶ Zeitgleicher Eingriff von Sicherheits- bremse und Betriebsbremse: Zur Vermeidung der Drehmomentendurchleitung durch den Antriebsstrang ist ein zeitgleicher Eingriff beider Bremsen unabdingbar. Bei typischen Hubwerksaufbauten weist die Sicherheitsbremse eine deutlich kleinere Totzeit als die Betriebsbremse auf. Eine Vergrößerung der Totzeit der Sicherheitsbremse wird sich in vielen Fällen verbieten. Insofern besteht der naheliegende Lösungsansatz darin, die Totzeit der Betriebsbremse entsprechend zu reduzieren [4]. ▶ Abgestimmter Eingriff von Sicher- heitsbremse und Betriebsbremse: Um das Schnittmoment im Antriebsstrang einstellen zu können, sind definierte Bremsmomente der Betriebsbremse und der Sicherheitsbremse erforderlich. Zweckmäßig ist eine Abstimmung der beiden Bremsmomente entsprechend der an den Bremsorten abzubauenden Energie. Diese Bremsmomente hängen vom Betriebszustand und der angehängten Last ab. Idealerweise kommen hier Bremsen mit regelbaren Bremsmomenten zum Einsatz. Diese stellen für Hubwerke in Kranen heute noch nicht den Stand der Technik dar. Statt der stufenlosen Einstellung der Bremsmomente kann auch eine gestufte Bereitstellung der Bremsmomente angedacht werden. Dies ist praktisch durch die parallele Anordnung mehrerer kleinerer Bremsen an einem Bremsort zu erreichen. Hierdurch ergibt sich eine Annäherung an den Idealzustand. Hebezeuge Fördermittel, Berlin 55 (2015) 5 · www.hebezeuge-foerdermittel.de Zusammenfassung Hubwerke sind hochdynamische Systeme. Vor allem auf die Komponenten von Hubwerken mit Sicherheitsbremse wirken erhebliche Lasten ein. Im Sinne der Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit muss das Ziel darin bestehen, diese Belastungen zu senken. Hierfür kommen diverse Maßnahmen in Frage, wie Erhöhung von Elastizität und Dämpfung, Verringerung von Spiel, Reduktion der Motormasse, Reduk tion des Bremsmomentes der Sicherheitsbremse und allmähliche Aufbringung des Bremsmomentes. Die Wirkungen dieser Maßnahmen sind im praktischen Kontext begrenzt; wünschenswert ist eine massive Absenkung der Lasten. Hierfür wird vorgeschlagen, die Bremssysteme von Hubwerken zu „intelligenten Bremssystemen“ auszubauen, die die jeweilige Betriebssituation antizipieren. □ Literatur [1] RWTÜV-Schriftenreihe, Heft 8, Krane, Bemessung und Sicherheit, 1981. [2] Vöth, S.: Sicherheitskonzepte für Hubwerke von Containerkranen. Vortrag auf dem 17. ITI Symposium, Dresden 2014. [3] Schmeink, F.: Dynamische Beanspruchung von Hubwerksgetrieben – von der Spezifikation bis zur Auslegung. In: Tagungsband der 22. Internationalen Kranfachtagung, Magdeburg 2014. [4] Römer, R.: Difference between dynamic and static coefficient of fric tion. Port Technology International, 56. Ausgabe, 2012, S. 49-51. Prof. Dr.-Ing. Stefan Vöth ist Leiter des Zentrums für Antriebs- und Fördertechnik an der Technischen Fachhochschule „Georg Agricola“ in Bochum 255 © 2015 · Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen auf Datenträgern jeglicher Art sind verboten. HUSS-MEDIEN GmbH · Am Friedrichshain 22 · 10407 Berlin · Tel. 030 42151-0 · Fax 030 42151-207 · www.hebezeuge-foerdermittel.de Krantechnik
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