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Stand: 07.04.2015
Kapitalmarktunion: Ohne die Banken geht es nicht!
Eine wirtschaftspolitische Analyse des
Schaffung einer EU-Kapitalmarktunion.
Grünbuchs
zur
Das Wichtigste auf einen Blick
Um was geht es?
Die EU-Kommission hat ein Grünbuch zur Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion
vorgelegt. Mehr Wachstum und Beschäftigung sind die Ziele dieser Initiative. Der zuständige
EU-Kommissar Hill verspricht sich von der Kapitalmarktunion, dass vor allem
mittelständische Unternehmen ihren Finanzierungsbedarf leichter decken können, dass die
Sparer von einer größeren Auswahl an Investitionsmöglichkeiten profitieren und dass
Investoren aus der ganzen Welt in die europäische Volkswirtschaft investieren. Zudem soll
das Finanzsystem durch die Kapitalmarktunion robuster werden.
In dieser Analyse werden die Ziele und Vorschläge der EU-Kommission im Grünbuch
wirtschaftpolitisch hinterfragt. Im ersten Kapitel werden die Beweggründe für die Förderung
der Kapitalmärkte in der EU dargestellt. Die Ursachen der Bankorientierung in den
europäischen Finanzsystemen sind das Thema des zweiten Kapitels. Im dritten Kapitel folgt
eine Analyse der Problemfelder, die mit der Kapitalmarktunion verbunden sind. Die Risiken
der Kapitalmarktunion für Unternehmen, Anleger und das Finanzsystem stehen dabei im
Vordergrund. Auch auf die Rolle der Banken für eine funktionierende Kapitalmarktunion wird
eingegangen. Zuletzt wird die Frage aufgeworfen, inwiefern das Projekt Kapitalmarktunion
mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.
Was sind die Ergebnisse der Analyse?
•
Die Ziele der Kapitalmarktunion lassen sich nur mit den Banken erreichen. Eine
konsistente und zielgerichtete Regulierung von Banken und Kapitalmärkten ist die
Voraussetzung für eine funktionierende Kapitalmarktunion.
•
Kleine
und
mittlere
Unternehmen
brauchen
den
Bankkredit.
Die
Kapitalmarktfinanzierung ist für sie meistens ungeeignet oder hat erhebliche
Nachteile.
•
Anleger sind auf integrierten europäischen Kapitalmärkten auf einen effektiven
Schutz und auf eine kundengerechte Beratung angewiesen.
•
Größere Kapitalmärkte und deren Verflechtung mit Banken können Risiken für die
Finanzsystemstabilität darstellen.
•
Die politische oder regulatorische Bevorzugung der Kapitalmärkte hätte negative
Konsequenzen für die Mittelstandsfinanzierung, die Sparer und die
Finanzsystemstabilität.
•
Eine Reihe von Zielen, die im Grünbuch zur Kapitalmarktunion benannt werden,
lassen sich durch entsprechende Kalibrierung bisheriger Finanzmarktregulierungen,
insbesondere aber eine Überarbeitung von Basel III effektiver erreichen.
•
Die Pläne der EU-Kommission bedeuten einen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit
der Bürger und ihre Lebensumstände. Die nationalen Parlamente brauchen deshalb
ein Mitspracherecht bei der Errichtung der Kapitalmarktunion.
2
Inhalt
1.
Können größere Kapitalmärkte mehr Wachstum und Beschäftigung schaffen? ................... 4
a.
Zusammenhang zwischen Kapitalmärkten und Wachstum nicht eindeutig ................................ 4
b.
Kapitalmärkte können keine Wettbewerbsfähigkeit schaffen ...................................................... 5
c.
Kapitalmarktunion kann Strukturreformen nicht ersetzen ........................................................... 5
2.
Ist der Bankensektor in der EU zu groß? Ursachen der Bankorientierung in Europa ........... 6
a.
Kapitalmarktfinanzierung für den Mittelstand häufig ungeeignet. ............................................... 7
b.
Mittelstandsfinanzie rung braucht Banken .................................................................................. 7
c.
Altersvorsorge über Sozialversicherung ...................................................................................... 8
d.
Präferenz für sichere und schnell verfügbare Vermögenswerte ................................................. 8
3.
Problemfelder der geplanten EU-Kapitalmarktunion ................................................................. 9
a.
Problemfeld Unternehmensfinanzierung ..................................................................................... 9
i.
Auswirkungen der Bankenregulierung wird zu wenig beachtet ............................................... 9
ii.
Neue Rechnungslegungsstandards können Informationslücke nicht schließen ................... 10
iii.
Eigenkapitalmärkte nur für wenige Unternehmen attraktiv ................................................... 10
b.
Problemfeld Anlegerschutz ........................................................................................................ 11
i.
Zielkonflikt beim Anlegerschutz ............................................................................................. 11
ii.
Qualifizierte Anlageberatung ................................................................................................. 11
c.
Problemfeld Finanzsystemstabilität ........................................................................................... 12
i.
Risikoteilung auf Kapitalmärkten kann zu Ansteckungseffekten führen................................ 12
ii.
Kapitalmärkte bergen Systemrisiken ..................................................................................... 13
iii.
Verflechtung von Banken und Kapitalmärkten kann Krisen verstärken ................................ 14
d.
Problemfeld Subsidiarität ........................................................................................................... 15
i.
Präferenzen der Bürger und Unternehmen müssen beachtet werden.................................. 15
ii.
Kein Eingriff in die individuelle Anlageentscheidung ............................................................. 15
iii.
Mitspracherecht der nationalen Parlamente notwendig ........................................................ 16
3
1. Können
größere
Kapitalmärkte
Beschäftigung schaffen?
mehr
Wachstum
und
Im Grünbuch sind fünf Grundsätze für die Errichtung einer Kapitalmarktunion festgelegt. Der
erste lautet: Die Kapitalmarktunion „soll gewährleisten, dass Wirtschaft, Wachstum und
Beschäftigung den größtmöglichen Nutzen aus den Kapitalmärkten ziehen.“ Diesem
Grundsatz liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Kapitalmarktunion zu einem Zufluss von
Kapital und dessen bestmöglicher Verwendung in Europa führen wird. Die Überwindung von
Hindernissen, „die die Märkte fragmentieren und der Entwicklung spezifischer
Marktsegmente im Weg stehen“ (S.9 des Grünbuchs 1; im Text folgende Seitenangaben
verweisen jeweils auf relevante Stellen im Grünbuch) ist deshalb eine zentrale Forderung im
Grünbuch.
a. Zusammenhang zwischen Kapitalmärkten und Wachstum nicht
eindeutig
Bislang konnte empirisch nicht abschließend geklärt werden, in welchem Verhältnis
Kapitalmärkte und Wachstum stehen: Beeinflussen größere Kapitalmärkte das Wachstum
oder ist es umgekehrt? Die EU-Kommission stützt ihre Argumentation, die sie detailliert in
einem Working-Paper darlegt, 2 auf eine aktuelle Studie. Die Autoren dieser Studie halten
aber selbst fest, dass Erkenntnisse über den Wirkungszusammenhang zwischen
Kapitalmärkten und Wachstum schwierig zu gewinnen sind und dabei erhebliche
methodische Schwierigkeiten auftreten. 3 Das European Systemic Risk Board (ESRB) kommt
zwar zu der Einschätzung, dass ein höherer Anteil der Kapitalmarktfinanzierung an der
Finanzierungsstruktur einer Volkswirtschaft einen leichten, positiven Wachstumseffekt haben
könnte. 4 Frühere Studien konnten diesen Effekt aber nicht nachweisen. 5 Mit den
verwendeten statistischen Methoden kann zudem von solchen Korrelationen nicht auf einen
Ursache-Wirkungs-Zusammenhang geschlossen werden. Die Ergebnisse sind also mit
Vorsicht zu interpretieren. Vor diesem Hintergrund sollte der erwartete Wachstumseffekt
einer europäischen Kapitalmarktunion nicht überschätzt werden.
1
EU-Kommission: „Schaffung einer EU-Kapitalmarktunion. Grünbuch.“ SWD (2015) 13 final, 2015.
2
European Commission: “Initial Reflections on the Obstacles oft he Development of Deep and
Integrated EU Capital Markets.” Commission Staff Working Document, 2015.
3
Kaserer, C. / Rapp, M. S.:”Capital Markets and Economic Growth: Long-Term Trends and Political
Challenges.“ Research Report, Alternative Investment Management Association, March 2014.
4
ESRB: “Is Europe Overbanked?“ Reports oft he Advisory Scientific Committee. No. 4, June 2014, S.
11.
5
Z.B. Levine, R: “Bank-based or market-based financial systems: which is better?“ Journal of
Financial Intermediation, 2002, Vol. 11.4, S. 688-726.
4
b. Kapitalmärkte können keine Wettbewerbsfähigkeit schaffen
Die EU-Kommission erhofft sich von größeren Kapitalmärkten eine Erhöhung der
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften. So lautet der fünfte Grundsatz im
Grünbuch: Die Kapitalmarktunion „sollte dazu beitragen, Investitionen aus aller Welt
anzuziehen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern.“ Doch die
Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsraums wird dadurch bestimmt, wie attraktiv er für die
Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen ist.
Große, integrierte europäische Kapitalmärkte können allenfalls dazu beitragen, zusätzliche
Kanäle zu schaffen, um das Kapitalangebot und die Kapitalnachfrage in Europa
zusammenzubringen. Werden dadurch Investitionen finanziert, steigt die Produktivität und
damit auch die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. In der Folge entstehen dann
Wachstum
und
Beschäftigung.
Sehen
Investoren
aber
keine
rentablen
Investitionsmöglichkeiten, weil die realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem Land
nicht stimmen, können integrierte gesamteuropäische Kapitalmärkte nur wenig bewirken. Die
Kapitalmarktunion
ist
somit
kein
Ersatz
für
attraktive
realwirtschaftliche
Rahmenbedingungen.
c. Kapitalmarktunion kann Strukturreformen nicht ersetzen
Insofern würde auch ein größeres Kapitalangebot in Europa in den wachstumsschwachen
Regionen Europas nur in geringem Maße zu einer Verbesserung der Wirtschaftslage
beitragen. Wird die Erhöhung des Kapitalangebots zudem politisch forciert, könnte das dazu
führen, dass ökonomisch riskante Projekte finanziert werden. Eine solche Fehlallokation von
Kapital durch ein übermäßiges Kapitalangebot war eine der Ursachen für die Übertreibungen
auf den spanischen und irischen Immobilienmärkten, die zur Wirtschaftskrise in diesen
Ländern beigetragen haben. Eine fehlende wirtschaftliche Dynamik lässt sich folglich mittelund langfristig nur durch die Schaffung guter Investitionsbedingungen erreichen. Dafür
müssen z.B. Arbeitsmärkte, Sozialsysteme und Staatshaushalte reformiert und
regulatorische Hemmnisse abgebaut werden. In Irland wurden solche Reformen schnell und
umfassend durchgesetzt. Dort ist – trotz fragmentierter europäischer Kapitalmärkte – das
Wachstum wieder zurückgekehrt. Der Reformprozess in anderen wirtschaftlich schwachen
europäischen Ländern zeigt ebenfalls bereits Wirkung, er ist aber noch nicht
abgeschlossen. 6 Deshalb halten sich die Investoren in diesen Ländern noch zurück. Daran
kann aber auch eine europäische Kapitalmarktunion nichts ändern. Sie ist kein Ersatz für
wirksame Strukturreformen.
6
IW Köln: „Strukturreformen der Krisenländer. Bestandsaufnahme und Abschätzung der Relevanz für
Wachstum und Währungsraum.“ IW Policy Paper 5/2015.
5
2. Ist der Bankensektor in der EU zu groß? Ursachen der
Bankorientierung in Europa
Die EU-Kommission geht davon aus, dass der Bankensektor in Europa zu groß geworden
ist. Im Grünbuch wird daraus eine übermäßige Abhängigkeit der Unternehmen von den
Banken abgeleitet. Das habe sich in der Finanzkrise als große Schwäche erwiesen, weil
Banken in der Finanz- und Wirtschaftskrise zu wenig Kredite vergeben hätten (S. 8). Damit
werden Banken für fehlende Investitionen, Wachstumseinbußen und die teils sehr hohe
Arbeitslosigkeit in Europa mitverantwortlich gemacht. Die Kapitalmarktfinanzierung soll
deshalb als Alternative zur Bankfinanzierung etabliert werden.
Dabei ist die zugrundeliegende Problemanalyse im Grünbuch sehr einseitig. Laut ESRB ist
die Größe des europäischen Bankensektors vor allem auf die Ausdehnung der 20 größten
Banken in der EU zurückzuführen. 7 Der Bankensektor in der EU wird folglich als zu groß
angesehen, weil die größten europäischen Banken in den letzten 15 Jahren sehr stark
gewachsen sind. Diese großen, international tätigen Banken haben das Finanzsystem nah
an den Zusammenbruch gebracht, viele mussten deswegen vom Staat gerettet werden.
Es wäre jedoch falsch, diese großen, systemrelevanten Banken als charakteristisch für den
gesamten europäischen Bankenmarkt anzusehen. Denn insbesondere in Deutschland gibt
es eine Vielzahl, kleiner regional tätiger Banken. Dazu zählen insbesondere die meisten
Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die weder an der Entstehung der Finanzkrise
beteiligt, noch in gleichem Maße betroffen waren wie die großen international tätigen
Banken. Sie konnten im Gegenteil ihre Kreditvergabe in der Finanz- und Wirtschaftskrise
ausweiten und so eine Kreditklemme abwenden.
Es gibt darüberhinaus weitere Gründe, warum der Bankensektor in Europa im Vergleich zu
anderen Wirtschaftsräumen wie den USA relativ groß ist. In den USA werden ungefähr 80
Prozent des Volumens der externen Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt
bereitgestellt, nur rund 20 Prozent stammt von den Banken. In der EU ist das Verhältnis in
etwa umgekehrt. Hier stellen Banken den Unternehmen ca. 70 Prozent ihres
Fremdfinanzierungsbedarfs zur Verfügung und nur 30 Prozent der externen Finanzierung
erfolgt über die Kapitalmärkte. 8 Für die weitere Analyse und Bewertung der
Kapitalmarktunion ist es deshalb wichtig, einen Blick auf die Ursachen der Größe des
Bankensektors in Europa zu werfen. Hierfür müssen die beiden Seiten des Kapitalmarkts in
Ausgenschein genommen werden: Die Kapitalnachfrage und das Kapitalangebot.
7
ESRB: “Is Europe Overbanked?“ Reports of the Advisory Scientific Committee. No. 4, June 2014, S.
9.
8
Goldman Sachs: “Unlocking Europe’s Economic Potential Through Financial Markets.“ European
Economics Analyses No. 15/07, 2015, S.3.
6
a. Kapitalmarktfinanzierung
ungeeignet.
für
den
Mittelstand
häufig
Die Beschaffenheit der Unternehmen in Europa passt besser zu einer Bank- als zu einer
Kapitalmarktfinanzierung. Denn in Europa gibt es verhältnismäßig viele mittelständische
Unternehmen, für die der Bankkredit von großer Bedeutung ist. Solchen Unternehmen fällt
es häufig schwer, die Anforderungen an eine Kapitalmarktfinanzierung zu erfüllen – zu hoch
sind die Kosten einer Anleihe- oder Aktienemission und die damit verbundenen
Publizitätspflichten. Auch die EU-Kommission erkennt das an: „Der Zugang zu öffentlichen
Kapitalmärkten ist nicht nur für KMU teuer, sondern auch für mittelgroße Unternehmen, die
noch eher als KMU Kapital auf öffentlichen Märkten aufnehmen. Eigenkapitalinstrumente
und Schuldtitelemissionen sind mit hohen Fixkosten zur Erfüllung von Sorgfaltspflichten und
regulatorischen Anforderungen verbunden. Darunter fallen auch die Kosten für die
Offenlegung von Informationen, die Anleger oder Regulierungsbehörden verlangen, sowie
die Erfüllung anderer Corporate-Governance-Anforderungen und die Inauftraggabe externer
Ratings“ (S. 14).
Zudem wollen insbesondere innovative mittelständische Unternehmen in Deutschland viele
Informationen nicht öffentlich teilen. Auch hier scheidet eine direkte Finanzierung über den
Kapitalmarkt aus. Ein Grund für die geringere Kapitalmarktfinanzierung in Europa ist somit,
dass die Nachfrage der Unternehmen nach Kapitalmarktfinanzierungen gering ist.
b. Mittelstand braucht Banken
Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen brauchen vielmehr ein sogenanntes
„relationship-lending“ von Banken, die auch qualitative Informationen über das Unternehmen
erheben und verwenden können. Das gilt besonders für europäische Betriebe, weil sie häufig
kleiner sind als die Unternehmen in den USA. Diese „weichen Informationen“ umfassen die
Managementkompetenz des Eigentümers oder Geschäftsführers, die Qualität der
Unternehmensstrategie und die Stellung der Unternehmen im jeweiligen Markt. Auch die
Glaub- und Vertrauenswürdigkeit der Entscheidungsträger im Unternehmen gehören dazu.
Diese weichen Informationen können nur dann von Banken für die Kreditvergabe genutzt
werden, wenn sie auch selbst im Umfeld des Unternehmens tätig sind und dieses deshalb
genau kennen. Solche regional ausgerichteten Banken verfügen über persönliche und oft
vertrauliche Informationen, die weder standardisierbar sind, noch öffentlich geteilt werden
können. Aus der langjährigen Beziehung zwischen Bank und Kunde heraus entsteht zudem
Vertrauen. Das ist die wichtigste Sicherheit, gerade wenn wenig objektive Informationen über
ein Unternehmen vorhanden sind. Dieses Vertrauen lässt sich aber nicht auf anonymen
Kapitalmärkten gewinnen. Auch das ist ein Grund für die Bankorientierung des europäischen
Finanzsystems. Ein politischer Handlungsbedarf lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten.
7
c. Altersvorsorge über Sozialversicherung
Das Kapitalangebot wird unter anderem durch die Ersparnisbildung innerhalb eines
Wirtschaftsraums bestimmt. Amerikanische Sparer sind sehr stark auf den Kapitalmärkten
engagiert. Ein Großteil der Altersvorsorge wird dort betrieben. In Deutschland und vielen
anderen europäischen Ländern erfolgt ein erheblicher Anteil der Altersvorsorge mithilfe einer
Sozialversicherung mit Umlageverfahren. Das Kapital der Arbeitnehmer fließt also nicht auf
die Kapitalmärkte, sondern in die Sozialversicherung und von dort direkt an die Empfänger.
Damit steht ein geringerer Anteil des Einkommens für die Vermögensbildung auf den
Kapitalmärkten zur Verfügung. Das erklärt bereits zu einem großen Teil, warum die
Kapitalmärkte im Vergleich zum Bankensektor in Europa relativ klein sind.
d. Präferenz für sichere und schnell verfügbare Vermögenswerte
Sehr viele Menschen in der EU verfolgen das Ziel, in den eigenen vier Wänden zu wohnen.
Die Mietersparnis im Alter ist sicher, das Vermögen vor Inflation geschützt. Hier tritt ein
ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis zu Tage. Das in den Immobilien gebundene Vermögen
kann den Kapitalmärkten ebenfalls nicht zufließen.
Hinzu kommt, dass Immobilien meistens mit Bankkrediten finanziert werden. Das ist ein
weiterer Grund, warum der Bankensektor in Europa größer als in den USA ist. Denn Banken
in der EU halten Immobilienkredite meist in ihrer Bilanz und verkaufen sie nicht, wie in den
USA üblich, in Form von Verbriefungen weiter.
Sowohl Immobilien als auch Rentenansprüche gegenüber den Sozialsystemen binden
Vermögen dauerhaft: Der Verkauf eines Hauses braucht Zeit, Sozialversicherungsansprüche
können gar nicht veräußert werden. Doch die Sparer brauchen zusätzlich schnell verfügbare
Geldanlagen. Das ist notwendig, damit sie Ausgaben decken können, deren Zeitpunkt und
Höhe im Voraus ungefähr feststehen. Die Ausbildung der Kinder ist ein solches Beispiel.
Auch Ausgaben für größere Anschaffungen müssen in wiederkehrenden zeitlichen
Abständen getätigt werden. Für diese Form des Sparens sind Bankeinlagen am besten
geeignet. Hinzu kommt, dass diese Form der Ersparnisbildung ebenfalls sehr sicher ist.
Es spricht also viel dafür, dass die Ausgestaltung der Altersvorsorge und das große
Sicherheitsbedürfnis der Bürger in Europa dafür verantwortlich sind, dass die Sparer ihr Geld
lieber bei einer Bank und in Immobilien als auf den Kapitalmärkten anlegen. Die Größe des
europäischen Bankensektors beruht damit auch auf den individuellen Präferenzen der
Haushalte. Das rechtfertigt keine politisch forcierte Veränderung des Finanzsystems hin zu
einer stärkeren Kapitalmarktorientierung.
8
3. Problemfelder der geplanten EU-Kapitalmarktunion
Die EU-Kommission will mit dem Projekt Kapitalmarktunion die Kapitalmärkte als Alternative
zu den Banken etablieren. Das soll die Verfügbarkeit von Kapitalmarktinstrumenten für die
Sparer und Unternehmen erhöhen und ihnen mehr Alternativen bei ihren
Finanzentscheidungen bieten. Die EU-Kommission erhofft sich davon eine verbesserte
Kapitallokation. Zudem soll die Finanzsystemstabilität erhöht werden. Die Kapitalmarktunion
ist aber auch mit Problemen verbunden und birgt Risiken, die von der EU-Kommission im
Grünbuch nicht ausreichend dargestellt werden. Im Folgenden werden die zentralen
Problemfelder des Projekts Kapitalmarktunion aufgezeigt.
a. Problemfeld Unternehmensfinanzierung
i. Auswirkungen der Bankenregulierung wird zu wenig beachtet
Mit der Zunahme der Regulierung wurde den Banken in den letzten Jahren ein enges Korsett
geschnürt. Die steigenden Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen erschweren ihnen die
Kreditvergabe. Gleichzeitig will die EU-Kommission den Finanzierungsbedarf der
Unternehmen mit größeren Kapitalmärkten decken. Insbesondere mit Blick auf die
Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen, bei deren Finanzierung Banken eine
zentrale Rolle spielen, sind die Maßnahmen gegenläufig und somit kontraproduktiv. Denn
angesichts des straffen Regulierungskorsetts können Banken ihrer Finanzierungsaufgabe
immer schwerer nachkommen. Dieses Problem wird im Grünbuch nicht aufgegriffen. Es ist
lediglich vorgesehen, dass überprüft werden soll, ob „effizientere Ansätze für die Meldung
von Aufsichts- und Marktdaten“ an die zuständigen Behörden möglich und für die
„Marktteilnehmer“ hilfreich sind (S. 25). Die Belastungen durch die Regulierung für die
Banken würden damit jedoch allenfalls gemildert.
Der Erhalt der Mittelstandsfinanzierung erfordert eine angepasste Bankenregulierung. Dafür
muss unter anderem der KMU-Korrekturfaktor in der europäischen Eigenkapitalverordnung
dauerhaft erhalten bleiben. Diese Regelung sorgt dafür, dass Mittelstandskredite im
Vergleich zu den Basel-II-Regeln nicht mit zusätzlichem Eigenkapital unterlegt werden
müssen. Dadurch wird eine flächendeckende Kreditversorgung des Mittelstands
sichergestellt. Ebenso müssen die Bestrebungen des Baseler Ausschusses und der
europäischen Aufsichtsbehörden hinterfragt werden, die Zinsänderungsrisiken sowie die
Liquiditäts- und Verschuldungsquoten stärker zu regulieren. Diese Maßnahmen laufen
darauf hinaus, dass Banken die ihnen anvertrauten Einlagen nur in geringerem Maße als
Kredite vergeben können. Dabei sind es gerade die einlagenstarken Banken, die in
Deutschland den Mittelstand finanzieren.
Kapitalmärkte können die Banken in der Mittelstandsfinanzierung nicht ersetzen. Der Erhalt
der Mittelstandsfinanzierung durch Banken muss deshalb in das Gesamtkonzept der
Kapitalmarktunion eingebettet werden.
9
ii. Neue Rechnungslegungsstandards können Informationslücke nicht
schließen
Im Grünbuch wird empfohlen, Unternehmen den Zugang zu Kapitalmärkten zu erleichtern.
Dafür
soll
ein
vereinfachter,
einheitlicher
und
qualitativ
hochwertiger
Rechnungslegungsstandard eingeführt werden (S.15). Die EU-Kommission will so die
„Informationslücke“ schließen, die es bei der Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen
gibt. Ausländische Investoren sollen aufgrund dieser verbesserten Informationslage ermutigt
werden, verstärkt in diese Unternehmen zu investieren. Als Grundlage dieses neuen
Standards ist offenbar der kapitalmarktorientierte internationale Rechnungslegungsstandard
IFRS vorgesehen. Die meisten Unternehmen in Deutschland bilanzieren aber nach dem
Handelsgesetzbuch (HGB). Auch in anderen europäischen Ländern gibt es nationale
Rechnungslegungsstandards, die vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen genutzt
werden. Unternehmen, denen der Zugang zu Kapital fehlt, müssten demnach einen
zusätzlichen Bilanzierungsaufwand betreiben, um Investoren auf den Kapitalmärkten zu
finden. Das ist keine überzeugende Lösung für das Problem der schwachen
Mittelstandsfinanzierung in vielen europäischen Ländern. Denn über viele kleinere und
mittlere Unternehmen gibt es nur wenige, objektivierbare Informationen. Die
Informationslücke kann deshalb nicht mit neuen Standards geschlossen werden.
Kapitalmärkte können das „relationship-lending“ von Banken nicht ersetzen.
iii. Eigenkapitalmärkte nur für wenige Unternehmen attraktiv
Das Wachstum in der Europäischen Union soll auch durch die Förderung von Investitionen in
innovative junge Unternehmen und Unternehmensgründungen erhöht werden. Das
Grünbuch sieht hierfür den Abbau rechtlicher Hindernisse vor, um eine höhere
Eigenkapitalausstattung z.B. durch institutionelle Investoren aus dem Venture-Capital- und
Private-Equity-Bereich zu fördern. Denn in diesem Bereich identifiziert das Grünbuch eine
Kapitallücke, die auf eine fehlende „Risikokultur, fehlende Informationen, fragmentierte
Märkte und hohe Kosten“ zurückgeführt wird (S. 19). Sogar die Verwendung öffentlicher
Mittel für diese Zwecke wird diskutiert. Dabei ist diese Finanzierungsoption für viele
Unternehmen unattraktiv. Dieser Einwand wird auch im Grünbuch aufgegriffen. Gerade
Unternehmen im Entwicklungsstadium seien häufig nicht daran interessiert, „detaillierte
Informationen über ihren Geschäftsplan offenzulegen, und zögern, die Kontrolle abzugeben
oder strengere externe Prüfungen zu akzeptieren“ (S. 15). Bei einer Beteiligung externer
Investoren wäre aber genau das notwendig.
Der Bankkredit hingegen ist auch für junge Unternehmen eine gute Alternative. Denn ihnen
ermöglicht die Bankfinanzierung das Wachstum aus eigener Kraft. Im Gegensatz zu einer
Beteiligung müssen Gewinne nicht mit einem Investor geteilt, sondern können vollständig
reinvestiert werden. Weil die Eigenkapitalkosten für Unternehmen in der Regel höher sind als
die Zinsaufwendungen aus einer Kreditfinanzierung, steht damit Unternehmen mittelfristig
mehr Kapital zur Verfügung als bei einer Beteiligungsfinanzierung. Ein Förderkreditsystem
mit den Hausbanken als zentralen Ansprechpartnern kann zudem für die Flexibilität in der
Finanzierung sorgen, die junge Unternehmen häufig brauchen. Die Beteiligung eines
externen Investors ist folglich nicht notwendig und nur für wenige Unternehmen attraktiv.
10
Eine Einschränkung der Bank- zugunsten der Kapitalmarktfinanzierung bietet innovativen
Unternehmen deshalb keine Vorteile.
b. Problemfeld Anlegerschutz
i. Zielkonflikt beim Anlegerschutz
Die Errichtung der Kapitalmarktunion soll dafür sorgen, dass Anleger ihr Geld vermehrt auf
die Kapitalmärkte fließen lassen. Dafür ist ein effektiver Anlegerschutz erforderlich. Auch die
EU-Kommission spricht sich im vierten Grundsatz des Grünbuchs für einen „wirksamen
Verbraucher- und Anlegerschutz“ aus. Zudem wird im Kapitel über die „Entwicklung und
Diversifizierung des Finanzierungsangebots“ festgehalten, dass Kapitalmärkte nur gedeihen
können, „wenn es ihnen gelingt institutionelle Anleger, Kleinanleger und internationale
Anleger anzulocken“ (S. 18).
Doch zwischen dem Schutz der Anleger und der verstärkten Nutzung der Kapitalmärkte gibt
es einen Zielkonflikt, der von der EU-Kommission nicht aufgegriffen wird. Einerseits soll die
Abhängigkeit der Unternehmen von den Banken durch die Stärkung der Kapitalmärkte in der
EU reduziert werden. Hierfür müssten mehr Ersparnisse auf die Kapitalmärkte fließen. Das
erfordert wiederum einen hohen Anlegerschutz, den Banken heute schon gewährleisten, der
aber bislang auf den Kapitalmärkten nicht in vergleichbarem Maße gegeben ist. Andererseits
soll die Nutzung der Kapitalmärkte durch Unternehmen und institutionelle Investoren weniger
bürokratisch sein. Ein Großteil der Bürokratie ergibt sich jedoch aus den Anforderungen an
den Anlegerschutz. Die EU-Kommission betont zwar die besondere Bedeutung des
Anlegerschutzes, bietet im Grünbuch aber keine Lösung für diesen Zielkonflikt an.
Eine Reihe von den im Grünbuch vorgeschlagenen Initiativen sind vor diesem Hintergrund
kritisch zu sehen. Dazu gehört die Stärkung von kapitalmarktorientierten Geschäftsmodellen,
wie Beteiligungsfonds oder alternativen online-basierten Crowd-Sourcing-Plattformen. Denn
gerade hier treten extreme Informationsasymmetrien zwischen Kapitalgebern und
Kapitalnehmern auf. Die Anleger müssen deswegen adäquat geschützt werden. Dafür muss
die Beaufsichtigung und Regulierung der Akteure auf diesen Märkten genauso umfassend
sein wie die der Banken.
Zusammengefasst muss eine politisch initiierte und breit angelegte Umleitung von
Ersparnissen auf die Kapitalmärkte mit der Schaffung eines umfassenden Anlegerschutzes
einhergehen. Das gilt selbst dann, wenn damit das Wachstum der Kapitalmärkte in Europa
beschränkt werden sollte. Dieser Zielkonflikt muss zugunsten der Anleger entschieden
werden. Diesen Weg beschreitet aktuell die nationale Gesetzgebung in Deutschland mit dem
Kleinanlegerschutzgesetz.
ii. Qualifizierte Anlageberatung
Doch um das Vertrauen der Anleger zu gewinnen, reichen hohe Standards nicht aus.
Vielmehr muss auch eine fundierte und flächendeckende Anlageberatung für die Sparer
11
verfügbar sein. Die Banken werden hier als Vermittler und Berater, die Chancen und Risiken
der Anlageprodukte einschätzen und die Sparer individuell beraten können, besonders
gebraucht. Das gilt auch für den Vorschlag der EU-Kommission ein europaweit
standardisiertes Finanzprodukt anzubieten. Denn ein Standardsparprodukt, das zu den
Bedürfnissen aller Sparer passt, gibt es nicht. Vielmehr muss jeder Vermögensplan auf die
individuellen Gegebenheiten und Präferenzen eines Anlegers abgestimmt werden. Dafür
sind Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Sparers
notwendig, wie sie vor allem den Banken vorliegen. Will die EU-Kommission die Sparer dazu
motivieren, mehr auf den Kapitalmärkten zu investieren, muss deshalb die flächendeckende
Anlageberatung durch die Banken erhalten bleiben. Dafür ist es erforderlich, übermäßige
bürokratische
Hindernisse
(z.B.
beim
Beratungsprotokoll
und
bei
den
Produktinformationsblättern) abzubauen.
c. Problemfeld Finanzsystemstabilität
i. Risikoteilung auf Kapitalmärkten kann zu Ansteckungseffekten
führen
Die EU-Kommission verspricht sich von der Kapitalmarktunion neben mehr Wachstum und
Beschäftigung auch eine höhere Finanzsystemstabilität. Die größere Robustheit des
Finanzsystems soll aus vertieften gesamteuropäischen Kapitalmärkten resultieren, die im
zweiten Grundsatz des Grünbuchs gefordert werden. Das zugrundeliegende Argument lässt
sich folgendermaßen formulieren: Wenn der gesamte Kapitalmarkt überregional diversifiziert
ist, dann verteilen sich regionale Schocks auf das gesamte Finanzsystem der EU. Die
Verluste aus der Immobilienkrise in Spanien hätten in einer Kapitalmarktunion nicht mehr
ausschließlich spanische Banken getroffen, sondern der Schock wäre vom gesamten
europäischen Kapitalmarkt mitgetragen worden.
Insofern geht die EU-Kommission davon aus, dass sich regionale Schocks in einem
integrierten Finanzsystem auf viele, voneinander unabhängige Investoren verteilen, die alle
in der Lage sind, das von ihnen eingegangene Risiko auch tatsächlich zu tragen. Dabei wird
unterschlagen, dass eine starke Fokussierung auf die Kapitalmärkte Risiken beinhaltet. Auch
hier gibt es die Gefahr des Marktversagens. Die EU-Kommission vertraut offenbar darauf,
dass die Kapitalmärkte in einer Kapitalmarktunion in der Lage sein werden, Risiken zu
diversifizieren und beispielsweise mittels Verbriefungen effizient zu verteilen. Doch das ist
kein Automatismus. Funktioniert diese Risikoteilung nicht, ergeben sich Gefahren für die
Finanzsystemstabilität. Ansteckungseffekte auf den Kapitalmärkten treten dann
wahrscheinlicher auf. Die Subprime-Krise in den USA und die weltweiten Streueffekte über
die einschlägigen Verbriefungen haben das dramatisch vor Augen geführt. 9
Mit der Kapitalmarktunion soll auch über die Europäische Union hinaus eine stärkere
Vernetzung mit den Kapitalmärkten anderer Wirtschaftsräume geschaffen werden. Die Pläne
9
Gorton, G. / Metrick, A.: “Securitized Banking and The Run on Repo.” NBER Working Paper No.
15223, 2009.
12
der EU-Kommission sehen vor, die europäische Wirtschaft attraktiver für Kapital zu machen,
das nicht aus Europa stammt. Weil in der EU die Bruttokapitalströme in den letzten Jahren
gesunken sind, soll beispielsweise der „direkte Vertrieb von EU-Investmentfonds und
anderen Anlageinstrumenten in Drittländern erleichtert werden“ (S. 23). Doch internationale
Kapitalflüsse sind unbeständig und schaffen dadurch Risikokanäle. Kapitalmarktkrisen in
anderen Regionen der Welt können so auf das europäische Finanzsystem übergreifen.
ii. Kapitalmärkte bergen Systemrisiken
Die ungleiche Regulierung von Banken und Kapitalmärkten führt ebenfalls zu einem
Systemrisiko. Wenn die Kreditvergabemöglichkeiten der Banken durch die Regulierung
beschränkt sind, können weniger regulierte Akteure in diese Finanzierungslücke vorstoßen.
Gerade im Hinblick auf die im Grünbuch vorgesehene Förderung von Privatplatzierungen
erscheint diese Gefahr zu bestehen. Zudem ist im Grünbuch vorgesehen, dass institutionelle
und private Investoren zu einer Diversifizierung der Finanzquellen beitragen sollen. Das soll
die Angebotsseite der EU-Kapitalmärkte verbessern.
Doch es besteht die Gefahr, dass gering regulierte Akteure ihr Angebot zu stark ausweiten.
Investmentfonds und andere institutionelle Investoren unterliegen jedoch einem
Liquiditätsrisiko. Ihnen fehlt der Zugang zur Zentralbankliquidität. Es ist deshalb nicht
gesichert, dass sie zu jeder Zeit ihre Anleger bedienen können. Kommt es zu einem Schock
und die Investoren wollen ihr Kapital abziehen, sind diese Akteure gezwungen ihre
Vermögenswerte zu verkaufen. Deren Preis sinkt, Wertberichtigungen werden notwendig.
Andere Akteure geraten ebenfalls in Zahlungsschwierigkeiten. Weitere Vermögenswerte
werden verkauft, die Vermögenspreise sinken dadurch noch tiefer. Eine Negativspirale setzt
sich in Gang.
Eine solche Spirale hat im Jahr 2007 in den USA zu einem rapiden Verfall der
Immobilienpreise und damit zur weltweiten Finanzkrise geführt. 10 Selbst Eigenkapitalmärkte,
die im Grünbuch als stabilisierend für das Finanzsystem angesehen werden, waren bereits
von Finanzkrisen betroffen. Die Krise am Neuen Markt zu Beginn des Jahrtausends ist ein
Beispiel dafür.
Das Vertrauen in stabile Marktlösungen, das im Grünbuch vermittelt wird, ist deshalb nicht
gerechtfertigt. Nur durch eine Angleichung der Marktregeln und die Schaffung einer höheren
internationalen Kapitalmobilität entstehen keine stabilen Finanzsysteme. Deshalb müssen
wirksame Regeln zur Beschränkung dieser Risiken aufgestellt werden. Das Wachstum
stabilitätsgefährdender Schattenbanken auf den internationalen Kapitalmärkten ist ein
warnendes Beispiel für die Risiken ungleicher Regulierung.
10
Hierzu Brunnermeier, M.: “Deciphering the Liquidity and Credit Crunch 2007–2008.” Journal of
Economic Perspectives, Vo. 23.1, 2009, S. 77-100.
13
iii. Verflechtung
verstärken
von
Banken
und
Kapitalmärkten
kann
Krisen
Die Ursache der amerikanischen Subprime-Krise lag auch in der übermäßigen Abhängigkeit
vieler Banken von den Kapitalmärkten. 11 Der Vorschlag im Grünbuch, eine solche
Verflechtung über Verbriefungsmärkte oder Schuldverschreibungen zu fördern, muss
deshalb kritisch betrachtet werden. Zwar bieten Verbriefungen den Banken die Möglichkeit,
ihr Eigenkapital zu entlasten und mehr Kredite zu vergeben. Dies kann tatsächlich zu einer
Verbesserung des Kreditangebots für mittelständische Unternehmen führen. Doch die
Banken werden dadurch abhängiger von den Kapitalmärkten. Das kann ein großer Nachteil
sein. So hat es sich für die deutsche Wirtschaft im Verlauf der Finanzkrise als enorm
vorteilhaft herausgestellt, dass es in Deutschland Kreditinstitute gibt, die wenig Gebrauch
von Kapitalmarktinstrumenten machen und sich vor allem durch die Einlagen ihrer Kunden
refinanzieren.
Die Regulierungsvorhaben des Baseler Ausschusses und der zuständigen EU-Behörden
müssen deswegen neu bewertet werden. Denn sie erschweren den Banken die
Refinanzierung über Kundeneinlagen. Um die Kreditversorgung der Realwirtschaft aufrecht
zu erhalten, müssten sie stärker auf Kapitalmarktinstrumente wie Verbriefungen
zurückgreifen. Bisher weitgehend kapitalmarktunabhängige Bankensysteme würden dadurch
den Folgen von Verwerfungen auf den Kapitalmärkten ausgesetzt.
Die Verflechtungen zwischen Banken und Kapitalmärkten können demnach ebenfalls zu
großen Verwerfungen führen, wenn hochkorrelierte Risiken missachtet oder nicht rechtzeitig
erkannt werden. Kapital aus anderen Wirtschaftsräumen, das die Kapitalmarktunion
anziehen soll, kann dieses Risiko noch erhöhen. Internationale Kapitalgeber reagieren sehr
sensibel auf Risiken. Droht eine Krise, ziehen sie ihr Kapital ab und lösen sie möglicherweise
dadurch erst aus. Die Gefahr von Negativspiralen auf den Kapitalmärkten wird so noch
verstärkt. Eine effektive Aufsicht und ein international funktionsfähiges Regelwerk zur
Regulierung der Finanzmärkte muss deshalb eine Grundvoraussetzung für die Errichtung
einer Kapitalmarktunion sein.
Das Grünbuch schenkt diesen systemischen Risiken trotz des dritten Grundsatzes keine
Beachtung. Er besagt, dass sich die Kapitalmarktunion „auf ein solides und stabiles
Finanzsystem mit einem einheitlichen Regelwerk stützen“ soll, das „wirksam und konsistent
umgesetzt wird.“ Die EU-Kommission muss jetzt Vorschläge vorlegen, aus denen
hervorgeht, wie diesem Grundsatz Rechnung getragen werden soll. Die in den letzten
Jahren mühsam geschaffene Finanzsystemstabilität darf durch die Kapitalmarktunion nicht
konterkariert werden.
11
Gorton, G. / Metrick, A.: “Securitized Banking and The Run on Repo.” NBER Working Paper No.
15223, 2009.
14
d. Problemfeld Subsidiarität
Der Grundsatz der Subsidiarität ist in Artikel 5 des EU-Vertrags festgelegt, um zu
gewährleisten, dass die Europäische Integration bürgernah und effektiv verläuft. Die Bürger
Europas sollen in jedem Mitgliedstaat so weit nur möglich ihr gesellschaftliches
Zusammenleben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. Die Einhaltung des
Subsidiaritätsprinzips ist deshalb vor allem eine Legitimitätsgrundlage für die Europäische
Integration. Daraus folgt erstens, dass europäische Regelungen Differenzierungen zulassen
müssen, um nationalen Eigenheiten gerecht zu werden. Zweitens bedürfen weitreichende
Eingriffe in die Souveränität der Mitgliedsstaaten der Legitimation durch die nationalen
Parlamente. Das muss auch für die Schaffung der Kapitalmarktunion gelten.
i. Präferenzen der Bürger und Unternehmen müssen beachtet
werden.
Die Ausgestaltung des Finanzsystems hängt von den individuellen Präferenzen der Bürger
und Unternehmen eines Landes ab. Mittlerweile gibt es empirische Hinweise darauf, dass
die demokratisch gefasste institutionelle Ausgestaltung für die unterschiedliche Entwicklung
der kontinentaleuropäischen Finanzsysteme und ihrer anglo-amerikanischen Pendants
verantwortlich ist. In einer aktuellen Studie stellen Ökonomen der Universitäten Leuven und
Lille fest, dass die Ausgestaltung des Finanzsystems wahrscheinlich auch auf das Wahlrecht
zurückzuführen ist. 12 In Ländern, in denen früh ein Zensuswahlrecht eingeführt wurde,
dominiert die Kapitalmarktfinanzierung. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts hat
hingegen die Rolle der Banken im Finanzsystem gestärkt. Die Autoren erklären diesen
Zusammenhang mit unterschiedlichen Risikopräferenzen. Wohlhabende Wähler, wie sie in
Ländern mit Zensuswahlrecht vorherrschend sind, haben eine größere Risikoneigung, weil
sie Verluste besser verkraften können. Weniger wohlhabende Wähler hingegen haben eine
Präferenz für weniger riskante Geldanlagen. Für sie sind Verluste von einer höheren
Bedeutung. Deswegen hatte die politische Mehrheit in Ländern mit allgemeinem Wahlrecht
eine Vorliebe für liquide, sichere und festverzinsliche Anlagen. Finanzsysteme entsprechen
diesen Präferenzen, wenn sie von Banken geprägt werden. Insofern ist die stark
ausgeprägte Bankfinanzierung in Europa eine direkte Konsequenz der demokratischen
Willensbildung. Das sollte im Sinne der Subsidiarität von der EU-Kommission bei der
Schaffung der Kapitalmarktunion beachtet werden. Die nationalen Parlamente müssen
deshalb an der Ausgestaltung der Kapitalmarktunion beteiligt werden.
ii. Kein Eingriff in die individuelle Anlageentscheidung
Die EU-Kommission muss die Präferenzen der Bürger respektieren. Bei den Plänen der EUKommission zur Errichtung der Kapitalmarktunion ist das aber offenbar nicht der Fall. Denn
mit diesem Vorhaben soll die Umleitung von Ersparnissen auf die Kapitalmärkte
12
Degryse, H. / Lambert, T. / Schwienbacher, A.: “The Political Economy of Financial Systems:
Evidence from Suffrage Reforms in the Last Two Centuries.” Working Paper, 2014.
15
einhergehen. Hierzu schlägt die EU-Kommission beispielsweise vor, ein standardisiertes
europäisches Kapitalmarktprodukt einzuführen. Auch wenn die konkrete Ausgestaltung noch
offen ist, muss das Vorhaben kritisiert werden. Die EU-Kommission würde damit direkt in die
Entscheidungsfreiheit der Sparer eingreifen. Zwar können staatliche Sparanreize durchaus
sinnvoll sein, wenn sie beispielsweise der Altersvorsorge dienen. Die Riester-Sparverträge in
Deutschland sind hierfür ein Beispiel. Der Unterschied zu einem standardisierten
Kapitalmarktprodukt ist aber, dass dem Anleger beim Riester-Sparen viele verschiedene
Produkte zur Verfügung stehen. Der Sparer kann sein Geld wahlweise auf den
Kapitalmärkten, bei Banken oder sogar in Immobilien anlegen. Die Entscheidung, in welcher
Form der Sparer Kapital bilden will, liegt bei ihm selbst. Der Staat fördert so das Sparen,
aber nicht eine bestimmte Form der Ersparnisbildung. Das wäre bei einem einseitig
geförderten europäischen Kapitalmarktprodukt nicht der Fall, demgegenüber alternative
Geldanlagen an Attraktivität verlieren würden. Einen solchen Eingriff in die
Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung des Anlegers darf es nicht geben.
iii. Mitspracherecht der nationalen Parlamente notwendig
Die EU-Kommission schlägt im Grünbuch zudem die Harmonisierung des
Gesellschaftsrechts, der Corporate Governance, des Insolvenzrechts und der Besteuerung
vor. Eine EU-weite Angleichung dieser Rechtsbereiche und ihre Anpassung an die
Bedürfnisse der Kapitalmärkte wäre ein tiefer Eingriff in die Lebensumstände der Bürger in
Europa, die der demokratischen Legitimation durch die nationalen Parlamente in Europa
bedarf. Den nationalen Parlamenten muss deshalb bei der Errichtung der Kapitalmarktunion
eine wesentliche Mitsprache zukommen.
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