UNABHÄNGIGE ZEITUNG FÜR POLITIK, LOKALES,WIRTSCHAFT, KULTUR UND SPORT Dienstag, 7. April 2015 J Ausgabe A Extra-Beilage: Die neue TV-Woche Heute lesen Sie Viel Sonne, viel Bürokratie NÜRNBERG — Eitel Sonnenschein auf dem Nürnberger Volksfest. Das Wetter am Auftaktwochenende war viel besser als erwartet, wenn auch nicht nur sonnig. Getrübt wird die Laune der Schausteller durch die Bürokratie, die sie mit dem Mindestlohn haben. Und nicht nur sie. SEITE 9 DAS WETTER morgens SEITE 32 mittags abends 10° -1° Flughafen feiert 60. NÜRNBERG — Vor genau 60 Jahren ist der Flughafen Nürnberg eröffnet worden. Ging es am Anfang beschaulich zu, entwickelte sich der Airport auch dank des Air-Berlin-Drehkreuzes sehr gut — ehe in den vergangenen Jahren ein Rückgang der Passagierzahlen zu beklagen war. SEITE 9 Luxus aus Oberfranken KLEINTETTAU — In der tiefsten fränkischen Provinz, in Kleintettau am Fuße des Rennsteiges, entstehen Flakons für Luxusparfüms. 1,6 Millionen hochwertige Duft-Behälter pro Tag fertigt die Firma Heinz-Glas im Landkreis Kronach. SEITE 15 Angerer im Interview NÜRNBERG — Nadine Angerer ist eine der erfolgreichsten Fußballerinnen der Welt. Am Mittwoch spielt sie mit Deutschland in Fürth gegen Brasilien. Im NN-Interview verrät die 36 Jahre alte Unterfränkin, was sie noch immer antreibt. SEITE 19 nuernberger-nachrichten.de 71. Jahrgang J B 5393 J Nummer 79 J Einzelpreis: 1,50 Euro Bunte Friedensfahnen wehten vor der Lorenzkirche NÜRNBERG — Rund 750 Friedensbewegte haben am Nürnberger Ostermarsch teilgenommen. Der Veranstalter des Ostermarsches, das Nürnberger Friedensforum, geht von mehr Teilnehmern aus als die Polizei und vermeldete 1000 Ostermarschierer. „Wir sind das Zentrum der Friedensbewegung“, freuten sich die Organisatoren. Thema der Ansprache von Kirchenkritiker Eugen Drewermann war eine Generalabrechnung mit Krieg, Bundeswehr und dem Vormachtstreben des Westens. Fatal sei die Rolle der Nato im Ukraine-Konflikt. Der Bundesausschuss Friedensratschlag zählte bundesweit rund 10 000 Ostermarschierer und sprach von leicht gestiegenen Zahlen. Am Osterwochenende gab es etwa 80 Mahnwachen und Demonstrationen. In den 80er- und 90er-Jahren waren allerdings noch über 100 000 Teilnehmer gekommen. möl/dpa (Bericht Seite 2) „Das Zentrum der Friedensbewegung“: Der Ostermarsch lockte über 700 Menschen vor die Nürnberger Lorenzkirche. Foto: Matejka Tröglitz: Landrat wird bedroht Bleiben Kitas wochenlang zu? Nach Brandanschlag auf Flüchtlingsheim stehen Politiker unter Polizeischutz ver.di fordert zehn Prozent mehr TRÖGLITZ — Nach dem Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Tröglitz ist der zuständige Landrat unter Polizeischutz gestellt worden. BERLIN — Familien in Deutschland müssen sich möglicherweise auf wochenlange Streiks in den Kitas einstellen. in der Nacht zum Samstag in Brand gesteckt worden. Von den Tätern fehlte zunächst jede Spur. Die Ermittler halten einen politischen Hintergrund für naheliegend. werber aufgenommen werden. Die Flüchtlinge sollen vorerst in privaten Wohnungen unterkommen. Innenminister Holger Stahlknecht will sich dafür mit Landrat Ulrich zu Gesprächen treffen. Am Samstag demonsDer CDU-Politiker Götz Ulrich Bürgermeister trat zurück trierten zudem mehrere Hundert Menwird bedroht, weil er sich weiter für Seit Wochen gibt es Proteste von schen für ein weltoffenes Tröglitz. die Unterbringung von Asylbewer- Rechtsextremen gegen das AsylbewerDer Anschlag löste auch im Ausbern in dem kleinen Ort im Süden berheim. Der ehrenamtliche Tröglit- land Besorgnis aus. Der GeneralsekreSachsen-Anhalts einsetzt. „Was da zer Ortsbürgermeister Markus Nierth tär des Europarates, Thorbjørn Jagfür Drohungen ausgesprochen wer- war nach persönlichen Anfeindungen land, mahnte, ein solcher Vorfall sollden, das hat schon einen rechtsextre- bereits Anfang März zurückgetreten. te die Alarmglocken schrillen lassen. men Hintergrund“, sagte Ulrich dem In ganz Sachsen-Anhalt werden nach „Die Demokratie wird zunehmend Sender n-tv. „Das nimmt unangeneh- Angaben des Innenministeriums Asyl- bedroht durch rassistischen, fremdenme Formen an. Das geht sogar so weit, bewerberunterkünfte mittlerweile feindlichen, politischen und religidass die Methoden der Französischen besonders gesichert, auch für Nierth ösen Extremismus.“ BundesinnenmiRevolution angedroht werden.“ wurde der Schutz erhöht. Trotz der nister Thomas de Maizière forderte Das Haus in Tröglitz, in das im Mai schwierigen Lage sollen im Ort so eine rasche Aufklärung der Tat. dpa 40 Flüchtlinge einziehen sollten, war schnell wie möglich die ersten Asylbe(Kommentar S. 2, Berichte S. 3) Vierte Club-Pleite in Folge Die kommunalen Arbeitgeber lehnten eine bessere Bezahlung für Erzieher schlicht ab und leugneten jeglichen Handlungsbedarf, sagte ver.diChef Frank Bsirske. Wenn dies so bleibe, steuere man auf eine scharfe Konfrontation zu. Derzeit, so Bsirske, seien die Tarifpartner weiter auseinander als bei den Verhandlungen 2009. Und damals sei zwölf Wochen lang gestreikt worden. ver.di fordert Einkommensverbesserungen von rund zehn Prozent. Die nächsten Tarifgespräche sind für Donnerstag geplant. dpa Angriffe auf Fußballprofis Beim Wohnen sparen Türkei: Unbekannte schießen auf Team von Fenerbahce MÜNCHEN — Die Mieten steigen immer weiter. Nicht nur für Studenten sind deshalb Wohngemeinschaften attraktiv: Hier lässt sich Geld sparen. Für den entsprechenden Vertrag mit dem Vermieter gibt es verschiedene Modelle. SEITE 26 ISTANBUL — Schock nach dem Sieg: Der Mannschaftsbus des türkischen Fußballmeisters Fenerbahce wurde nach einem Auswärtsspiel in Trabzon auf der Rückfahrt zum Flughafen beschossen. dem Weg zum Flughafen. Die Hintergründe der Tat liegen nach wie vor im Dunkeln. Die Ermittlungen laufen unterdessen auf Hochtouren. Der Verein sprach von einem „organisierten und geplanten bewaffneten Angriff“, der Bei dem Angriff wurde der Fahrer Sportkanal des Staatssenders TRT des Busses leicht verletzt, die Spieler betitelte die Attacke als „Schock-Anund Trainer kamen glimpflich davon. griff“. Die türkische Fußball-Liga sagWer die Täter sind, die am Samstag- te daraufhin den kommenden Spielabend mit einem Gewehr und Pistolen tag ab. auf den Bus zielten, ist nach wie vor Auch in Dortmund und im französiunklar. Die Mannschaft von Fenerbah- schen Marseille gab es Attacken auf ce hatte zuvor den Kontrahenten Cay- Mannschaftsbusse. dpa kur Rizespor 5:1 besiegt und war auf (Berichte Seite 3) Eva Mattes wird Bäuerin BERLIN — Berufswechsel für Schauspielerin Eva Mattes: Aus der Konstanzer „Tatort“-Kommissarin, die im nächsten Jahr ihren Dienst quittiert, wird eine grantelnde Bäuerin. Das ZDF sendet ab Donnerstag die Heimatfilmreihe „Lena Lorenz“. SEITE 28 POLITIK EXTRA CAMPUS NÜRNBERG SERVICE REGION UND BAYERN SPORT FERNSEHEN WIRTSCHAFT RECHT & STEUERN KULTUR TRAUERANZEIGEN LESERFORUM WELTSPIEGEL 1-6 7 9-14 12 15/16 17-23 24 25/26 27 28/29 30 31 32 Abonnement-Bezugspreis 31,50 • monatl. (inkl. Zustellung und 2,06 • MwSt.). Weitere Preise und Informationen: Abo-Service, Tel. (09 11) 2 16-27 77, Fax (09 11) 2 16-25 33, Internet: abo.nordbayern.de 4<BUAFOU=dabfae>:X;m;m;W;q Pläne für Rückbau des AKW Grafenrheinfeld Falsche Kontrolleure in den S- und U-Bahnen Der Meiler geht Ende Mai vom Netz Warnung der Verkehrsbetriebe Der 1. FC Nürnberg kann einfach nicht mehr gewinnen: René Weilers Mannschaft verlor am Ostersonntag sogar zum vierten Mal in Folge, diesmal mit 1:2 in Leipzig. „Man kann schon ein Stück weit sprachlos sein“, haderte der Trainer, „wir haben viele Chancen, machen aber zu wenig Tore.“ Zudem droht Torwart Raphael Schäfer wegen einer Ellenbogenverletzung im Heimspiel gegen Darmstadt am Freitagabend auszufallen. Nicht viel besser erging es dem fränkischen Rivalen: Die Spielvereinigung Greuther Fürth unterlag Braunschweig mit 1:2. (Sport) Foto: Zink GRAFENRHEINFELD — Im unterNÜRNBERG — Die Verkehrsbetriefränkischen Grafenrheinfeld nehmen be in München und Nürnberg haben die Vorstellungen für den Rückbau vor falschen Kontrolleuren gewarnt. des Atomkraftwerks Gestalt an. Vermeintliche Inspekteure trieben Ende Mai wird der Meiler vom Netz in S- und U-Bahnen ihr Unwesen und genommen. Wie es nach der Abschal- versuchten, teilweise mit gefälschten tung des AKW weitergeht, ist offen. Ausweisen, von den Fahrgästen StraBetreiber E.on plant den direkten fen zu kassieren. Eine Sprecherin der Rückbau in zwei Phasen. Aber auch Nürnberger Verkehrsbetriebe (VAG) der sogenannte sichere Einschluss der sagte, dafür tauchten seit einiger Zeit Anlage für mehrere Jahrzehnte ist als vereinzelt Hinweise auf. Auch in der Alternative im Gespräch. Dies böte S-Bahn in München versuchen nach den Castoren im Zwischenlager über- Angaben eines Sprechers immer mal gangsweise zusätzlichen Schutz. hma wieder Betrüger ihr Glück. dpa (Bericht Seite 16) (Bericht Seite 15) Seite 2 Dienstag, 7. April 2015 MEINUNG UND HINTERGRUND Europa könnte es besser Nationale Egoismen stehen der EU im Weg VON DETLEF DREWES, Brüssel Eine der umstrittenen Anlagen: das Atomkraftwerk in Buschehr (hier bei einem Besuch internationaler Journalisten im Jahr 2010). US-Präsident Barack Obama steht wegen des Rahmenabkommens mit Teheran aber unter Beschuss. Foto: dpa Obama verteidigt Atom-Deal US-Präsident nennt Einigung mit Iran „einmalige Chance“, doch es gibt viel Kritik VON FRIEDEMANN DIEDERICHS gegensätzlichen Verlautbarungen in Washington und Teheran geführt. Bewusst ausgespart wurde auch der US-Präsident Obama preist das Rahmenabkommen mit dem Iran über des- Aspekt, wann der Iran zu Beweisen sen Atomprogramm als „einmalige für die zurückliegende Arbeit an Chance“ an. Doch Kritiker rügen, dass nuklearer Waffentechnologie Steles in der Abmachung jede Menge lung nehmen soll, die von UN-InspekSchlupflöcher und Fallstricke gibt. Die toren entdeckt worden waren und die Verhandlungen über die Details, die die eigentliche Grundlage für die bis Ende Juni laufen sollen, könnten Strafmaßnahmen der Weltgemeinschaft waren. Offen ist zudem, ob die zu einer Zitterpartie werden. lange von Teheran dazu erwartete WASHINGTON — „Dem Iran wird Erklärung Voraussetzung für die Aufes niemals gestattet werden, eine hebung der Sanktionen sein soll — nukleare Waffe zu besitzen.“ Auch am oder nicht. Osterwochenende versuchte US-Präsident Barack Obama, jene Kritiker — Kein Zugang für Inspektoren? allen voran Israels Premier Benjamin Als weiteres Manko führten ObaNetanjahu — zu besänftigen, die das mas Kritiker, vor allem die amerikaniRahmenabkommen zur Begrenzung schen Republikaner, die Tatsache an, von Teherans Atomprogramm infrage dass die von Washington vorgelegte stellen. Der Vertrag sei eine „einmali- Erklärung nicht eindeutig klarstellt, ge Chance im Leben“, warb Obama. ob die militärischen Anlagen im Iran Zwar äußerte er Verständnis für ebenfalls von künftigen Inspektionen Israels Sorgen, doch es gebe keine bes- betroffen sein sollen. Teheran hat dies sere Option, den Iran am Besitz einer bereits mit Nachdruck ausgeschlosAtomwaffe zu hindern. sen, was bedeutet: Wenn es weiter ein Auch der Papst würdigte den Ver- verdecktes Nuklearprogramm zur handlungserfolg in seiner Osterbot- militärischen Nutzung geben sollte, schaft. Doch es ist der Mangel an wich- wären Inspektoren nicht in der Lage, tigen Details in der Vereinbarung, der dieses zu untersuchen. die Monate bis zur geplanten endgültiUnklar ist bisher auch, in welcher gen Unterzeichnung bis 31. Juni die- Form Inspektionen angemeldet werses Jahres zur Zitterpartie werden las- den müssen und welcher Mechanissen dürfte — und der weiter jede Men- mus in Kraft tritt, falls die Experten ge diplomatischen Zündstoff bietet. am Zutritt gehindert werden oder dieSo hat die bisher offensichtlich unge- ser verzögert wird. Im Rahmenvertrag klärte Frage, wann denn die interna- ist lediglich von einem Prozess zur Distionalen Sanktionen gegen den Iran put-Lösung die Rede, um „Meinungsaufgehoben werden sollen, bereits zu verschiedenheiten“ zu überwinden. Das deutet schon jetzt auf endlose Debatten hin, mit denen Teheran unangemeldete Besuche verhindern könnte — und auch eine Neuauflage der Strafmaßnahmen hinausschieben dürfte. Vor allem die Verlautbarung aus Teheran könnte den beteiligten Diplomaten der „Fünf plus eins“-Gruppe – die fünf UN-Vetomächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sowie Deutschland — zu denken geben. Denn die Stellungnahme erweckt den Eindruck, als habe der Iran weder Kontrollmaßnahmen zugestimmt noch irgendwelche Konzessionen angeboten. Im ersten Satz wird gleichzeitig darauf hingewiesen, der Text habe keine bindende Funktion und diene allenfalls als Richtlinie zur Ausarbeitung künftiger Abkommen. Umstritten scheint demnach weiterhin auch die künftige Nutzung modernster Zentrifugen zu sein — Zentrifugen, die Teheran noch schneller in den Besitz waffentauglichen Kernmaterials bringen würden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zuvor bereits angekündigt, er wolle dieses seiner Meinung nach „sehr, sehr schlechte Abkommen“ torpedieren. In mehreren Talkshows der US-Fernsehsender nannte Netanjahu die jüngste Grundsatzvereinbarung des Irans mit den UN-Vetomächten plus Deutschland „eine Bedrohung für Israels Überleben“. Sie blockiere Irans Weg zu einer Atombombe nicht, sondern ebne ihn. Drewermann wetterte gegen die Nato Mit Tränen in den Augen empörte sich der Kirchenkritiker über das Militärbündnis VON UTE MÖLLER NÜRNBERG – Bunte „Pace“-Fahnen, das Konterfei von Karl Marx im Pappschild-Format mittendrin — das Nürnberger Friedensforum erklärte gestern während der Abschlusskundgebung im Anschluss an den Ostermarsch Nürnberg begeistert zum „Zentrum der Friedensbewegung“. Gastredner Eugen Drewermann jedenfalls sprach leidenschaftlich — und zum Thema Ukraine-Krise ganz im Sinne des umstrittenen Aufrufs der Linken zum Nürnberger Ostermarsch. Der Aufruf, verfasst vom Nürnberger Friedensforum, war von dem Grünen-Stadtrat Achim Mletzko im Vorfeld scharf kritisiert worden. In ihm werde der „absolute Freiheitsdrang der ukrainischen Bevölkerung als faschistischer Putsch definiert“, sagte der Chef der Nürnberger GrünenFraktion. Unerträglich sei das. In sozialen Netzwerken bekommt er Unterstützung. Klaus Neunhoeffer von den Grünen in Schwabach empört sich: „Das Friedensforum schlägt sich auf die Seite einer Kriegspartei.“ „Hetzerisch und unfriedlich“ Die Rolle Putins im Ukraine-Krieg werde in dem Ostermarsch-Aufruf völlig falsch dargestellt, urteilt auch Antje Rempe, stellvertretende Vorsitzende des Partnerschaftsvereins CharkiwNürnberg. Keineswegs hätten „bewaffnete Gruppen“ im Februar 2014 die ukrainische Regierung „davongejagt“, schreibt sie in einem Brief an das Nürnberger Evangelische Forum für den Frieden. Auch sei es nicht der Sold zu kassieren“. „Wir werden es aber nie zulassen, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt“, diktierte er den Zuhören ins Aufgabenheft. Neuer Kalter Krieg Eugen Drewermann sprach vor der Lorenzkirche. Foto: Matejka Druck von USA und Nato gewesen, die Ukraine unter den eigenen Einfluss zu bringen, durch den der Konflikt eskalierte. „Hetzerisch“ sei der Aufruf, „einseitig“ und „unfriedlich“, schreibt Rempe. Er mache es ihr unmöglich, in diesem Jahr zum Nürnberger Ostermarsch zu gehen. Für rund 750 andere Friedensbewegte war die Lorenzkirche jedoch gestern ein lohnendes Ausflugsziel. Gastredner Eugen Drewermann war ein gutes Zugpferd. Tatsächlich sprach der populäre Kirchenkritiker, Psychotherapeut und Schriftsteller leidenschaftlich. Teilweise mit Tränen in den Augen wetterte er gegen den Kriegstreiber USA, gegen internationale Drohnenprogramme und gegen eine Bundeswehr, in der man heute wieder Soldat werde, „um einen guten Auch der Konflikt in der Ukraine war Drewermann deutliche Worte wert — ganz im Sinne des Nürnberger Friedensforums. Die Nato versuche aktuell, den Kalten Krieg der Vergangenheit „durch die Ausweitung ihrer Grenzen nach Osten“ zu gewinnen, rief er erzürnt ins Mikrofon. In der öffentlichen Darstellung sei stets „Putin der Böse“. Dabei sei es doch die Nato, die „ihre Hände auf die Ukraine hält“. Sie sei überall dort, wo sie nicht hingehöre, aggressiv und ohne friedliche Absichten. Anna Beltinger vom Nürnberger Friedensforum hat den Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch mitverfasst. Umso zufriedener war sie mit Eugen Drewermanns Worten zur Ukraine. Das Urgestein der Nürnberger Friedensmarschierer konnte sich einen Seitenhieb auf Achim Mletzko denn auch nicht verkneifen. Dessen Anschuldigungen deckten sich gar nicht mit dem Inhalt des Aufrufs, erklärte sie den fahnenschwenkenden Zuhörern. Prompt hagelte es Buh-Rufe für den Grünen-Stadtrat. Doch sie wolle gerne mit Mletzko reden — über die Friedenspolitik der Grünen und auch über die Ukraine, bot Beltinger an. Mletzko freilich war „wegen einer Erkältung“ gar nicht zum Ostermarsch gekommen. Er nehme das Gesprächsangebot aber gerne an, sagt er. Europa steckt fest. Eingezwängt und überrollt von den Problemen, die sich aufdrängen, aber kaum lösbar sind: Griechenland, die Ukraine, die Welle an Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten im arabischen Raum, die Arbeitslosigkeit in den Reihen der eigenen Mitgliedstaaten. Kein Förderprogramm und kein Sonderfonds können helfen — vor allem nicht schnell. Auf eine fast schon bizarre Weise klafft zusätzlich eine tiefe Kluft zwischen den handelnden Staats- und Regierungschefs und den Bürgern. Die einen werden nicht müde zu betonen, dass alles besser wäre, wenn man nur mehr Europa hätte, und die anderen fragen sich, ob mehr EU nicht am Ende nur mehr Verwaltung, mehr hoch bezahlte Jobs bei annähernd gleicher Wirkungslosigkeit bedeuten würde. Der Ruf nach einer stärkeren Rolle der Währungsunion, ausgestattet mit einer Wirtschaftsregierung und eigenen Kompetenzen für eine gemeinsame ökonomische Linie, steht im Raum. Was das bringen soll, konnte bislang noch niemand überzeugend klarmachen. Die Pessimisten vor allem in den Reihen der rechten Europa-Skeptiker übersehen allerdings, dass es durchaus so etwas wie ein europäisches Wachstum gibt. Die einhellige Front in Sachen Griechenland ist mindestens ebenso überraschend wie die — wenn auch wackelige — Einigkeit gegenüber Russland. Süden der Union Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen. Dabei hat diese bedrohliche Entwicklung, die einer ganzen Generation die Zukunftsperspektiven nimmt, viel mit eben jenem Modell von Europa zu tun, das die Wähler wollten: keine Vereinigten Staaten, sondern eine freie Kooperation souveräner Staaten, die ihre Politik im Wesentlichen selbst bestimmen. Eine Konstitution, die dies hätte ändern können, ist vor Jahren krachend gescheitert. Europa kann aber nicht leisten, was man ihm zuvor abgesprochen hat, leisten zu dürfen. Diese EU hat Defizite, aber sie ist die einzige Kraft, die nach dem Selbstfindungsprozess der Bürger und der Staaten geblieben ist. Das macht das Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht kleiner. Jede Entscheidung in Brüssel bleibt ein Slalomlauf zwischen den nationalen Verfassungswirklichkeiten der 28 Mitgliedstaaten. Kopieren von Rezepten Dennoch wäre mehr möglich. Die Europäisierung der Probleme muss auch zu einer Vergemeinschaftung von Lösungen führen. Das bedeutet nicht zwangsweise immer sofort mehr Geld, ganz sicher aber das Kopieren von Rezepten, die sich als erfolgreich erwiesen haben. Solidarität ist mehr als nur das Bezahlen von Wünschen der anderen. Es geht eben auch um die Frage, wie man mit Fördergeldern Es gibt Erfolgsgeschichten umgeht, ob man sie unsinnig verpulViele Jahre war Europa von Streit vert oder gezielt und nachhaltig einund Uneinigkeit geprägt. Wenigs- setzt. Ob man einen Staat weiterenttens davon kann kaum noch die wickelt, schlanker und effizienter Rede sein. Es gibt sogar Erfolgsge- macht, damit auf dem Boden einer schichten. Irland hat sich saniert, modernen Verwaltung WachstumsSpanien und Portugal sind ebenso impulse gedeihen. Diese Lektion müssen alle lernen auf einem guten Weg wie Zypern. Das Baltikum hat sich sogar ohne — Griechenland ebenso wie Frankeuropäische Hilfe selbst aus dem reich, aber auch Deutschland oder Finnland. Was auch immer einzelne Schuldensumpf gezogen. Doch bei vielen bleibt unverständ- Quertreiber predigen, diese Gemeinlicherweise der Eindruck haften, schaft ist nicht so schlecht, wie sie dass man sich in Brüssel mehr mit gerne geschimpft wird. Aber sie ist Mindestpreisen für Alkoholika oder auch noch längst nicht so gut, wie der Harmonisierung von Kaffee- sie trotz des engen Rahmens, den maschinen befasst, anstatt im man ihr gesetzt hat, sein könnte. Die Gräfenberg-Strategie Wo Bürger Gesicht zeigen, verschwinden Neonazis VON MANUEL KUGLER Ein Bürgermeister tritt wegen rechtsextremer Anfeindungen zurück, ein Asylbewerberheim brennt, ein Landrat erhält Morddrohungen: Was derzeit in Tröglitz passiert, hat wenige Parallelen, ist aber ganz sicher kein allein ostdeutsches Phänomen. Das zeigt der Fall Vorra in Mittelfranken. Der Blick in unsere Region lohnt aber auch in der Debatte um die richtige Antwort auf Neonazis. Die wird meist entlang zweier Positionen geführt: Die einen empfehlen, Rechtsextreme zu ignorieren, ihnen und ihren Positionen nicht noch mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Die anderen raten stattdessen dazu, in Kundgebungen Gesicht zu zeigen gegen rechts. Beides wurde vor wenigen Jahren ausprobiert, hier in unserer Region, als sich Neonazis das oberfränkische Gräfenberg für ihre Aufmärsche aussuchten. Wenn sich nie- mand für die Rechten interessiert, dann werden sie schon wieder gehen — dieser Glaube war anfangs weit verbreitet. Er stellte sich aber schnell als Irrtum heraus, der den Rechtsextremen in die Hände spielte: Die wollten ja gerade ein Klima des Schweigens schaffen, in dem ihnen niemand mehr widerspricht. Die Aufmärsche blieben. Das änderte sich, als die Gräfenberger gemeinsam mit einem Bündnis aller demokratischen Kräfte aufstanden, sich den Neonazis, wann immer sie sich zeigten, mit Gegendemonstrationen in den Weg stellten. Es dauerte Jahre, aber die Strategie fruchtete: Die Neonazis sind weg. Ob Gräfenberg, Vorra oder Tröglitz. In all diesen Orten haben Demokraten einen entscheidenden Vorteil: Sie sind in der Mehrheit. Doch diese Mehrheit darf keine schweigende bleiben. Sonst haben die Nazis schon gewonnen. Lasst die Adamsäpfel tanzen! Wer mit dem Flieger in die USA reist, dem ist bekannt: Auf einem kleinen Zettel muss man noch während des Fluges angeben, ob man vorhat, nach der Landung eine schwere Straftat oder einen Terroranschlag zu begehen. Irgendwann in der jüngeren Vergangenheit ist den Machern dieser Zettel aufgefallen, dass alle Reisenden das Gleiche ankreuzen, nämlich „nein“. So was Blödes. Also müssen andere Maßnahmen her, um Verdächtige zu identifizieren. Das soll nun mittels DIE GLOSSE einer Checkliste vom Personal am Boden erledigt werden. Da gibt es Dutzende Anhaltspunkte für auffälliges Verhalten, jeder davon wird unterschiedlich bewertet: „Übertriebenes Gähnen“ etwa gibt einen Punkt, ähnlich wie „offensichtliche Bewegungen des Adamsapfels“ oder „auffälliges Räuspern“. Wer „verwirrt“ erscheint, bekommt drei Punkte — an dieser Stelle unser Dank an jene Architekten, die Flughäfen so konzipieren, dass man pausenlos verwirrt erscheint, wenn man etwa ein WC sucht. Auf der Ver- dächtigkeitsskala rast derjenige schnell nach oben, der Klebeband oder mehrere Handy-SIM-Karten bei sich führt. Ganz fatal, aber das war ja klar, ist eine Kalaschnikow im Handgepäck. Nun gibt es Experten, die meinen, dass solche Listen das Reisen sicherer machten. Andere glauben, dass dieses Programm namens SPOT lediglich dazu dienen soll, die Existenzberechtigung der amerikanischen Transportsicherheitsbehörde zu belegen. Ein ehemaliger „Behaviour Detection Officer“ (zu deutsch: Verhaltensauffälligkeitsentdecker) etwa meint, SPOT sei „complete bullshit“, also totaler Bockmist. Das hat die angesprochene US-Behörde so nicht bestätigt. Dementiert hat sie es aber auch nicht. Wir warten nun auf einen Flashmob am Flughafen von L.A. der das System ad absurdum führt. 500 Verwirrte, die sich abwechselnd räuspern und gähnen, mit Klebeband umwickeln und die Adamsäpfel munter tanzen lassen. Könnte lustig aussehen. MARTIN DAMEROW Ganz nebenbei . ..
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