Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Ratgeber: Verschiedene Gesprächsformen: Ein Überblick Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 1 Verschiedene Gesprächsformen – Ein Überblick von Günter Zienterra Inhalt Die Gesprächskunst entscheidet - Geschichtliche Formen des Gesprächs Seite 3 Das Streitgespräch Seite 4 Das Lehrgespräch Seite 6 Das Orientierungs- und Klärungsgespräch Seite 8 Der Erfahrungsaustausch Seite 9 Die Vortragsdiskussion Seite 12 Das Rundgespräch Seite 14 Die Podiumsdiskussion Seite 15 Das Forum Seite 16 Die Debatte Seite 17 Die Dienstbesprechung Seite 21 Copyright 2014 by Institut für Rhetorik und Kommunikation, Zienterra GmbH Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sind vorbehalten. Printed in Germany Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 2 Die Gesprächskunst entscheidet Geschichtliche Formen des Gesprächs In unseren Gesprächen, unseren Reden, drücken wir uns selbst aus, bringen wir uns selbst zur Darstellung, werden wir erkannt und kommen wir zur Selbsterkenntnis. Zusammenarbeit und Verständigung ist heute unerlässlich Unter Menschen, die die Kunst der Verständigung noch nicht richtig gelernt haben, ist der einzige Weg zur Zusammenarbeit der Weg über die Macht. Die Fähigkeit einzelner, andere zum Objekt ihres Willens zu machen, wurde auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Politik, ja sogar des Geisteslebens in den vergangenen Jahrzehnten zu dem Mittel des Erfolges mächtiger Personen. Sie versuchten, die Probleme unserer Zeit mit den Mitteln der Machtzusammenballung und der gewaltsamen Herstellung einer Kooperation zu lösen. Das geschah nicht immer nur aus Machtgier einzelner wirtschaftlicher oder politischer Gewaltmenschen, die danach strebten, dass andere nichts und sie allein alles zu sagen hatten. Machtanhäufungen entstehen oft auch aus der notwendigen Erfahrung, dass man zu nichts kommt, wenn alles durcheinanderschwatzt. Wo man nicht gelernt hat, sich im gemeinsamen zielführenden Gespräch zu verständigen, ist zur Führung nur der fähig, der imstande ist, sich gegen die anderen durchzusetzen und sie dem eigenen Willen dienstbar zu machen. Viele führende Frauen und Männer der Wirtschaft, der Politik, ja sogar der Gewerkschaftsbewegungen und der Kirchen Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com glauben heute noch, dass diese Erfahrung gültig ist, auch wenn sie sich nicht öffentlich zu ihr bekennen. In der jüngeren Generation wächst aber mehr und mehr die Erkenntnis heran, dass die Lösung der modernen Führungsaufgaben mit dem Mittel der Macht allein eine Scheinlösung ist. Die Macht steht auf tönernen Füßen, weil sie die Wirklichkeit des Lebens verkennt Wo immer der Mensch durch die menschliche Gemeinschaft in eine Objektstellung gedrängt, seiner individuellen Freiheit und Verantwortung beraubt und dem Gesetz der funktionalen Rationalität unterworfen wird, sind schwere seelische und soziale Störungen die Folge. Aus diesen Gründen erweist sich der „Herrim-Haus-Standpunkt“ in der Industrie, aber auch der Führer- und Beamtenstaat in der Politik, die Disziplinmethode in der Schule und das Redemonopol der Pastoren in der Kirche trotz aller anfänglichen Vorurteile als ein Verhängnis. Der Mensch muss sich zu einer persönlichen, verantwortlichen, mitdenkenden, mit handelnden Person entfalten können. Er muss ein Einzelner werden, aber nun nicht eine Einzelner in der Vereinzelung individueller Leistung, sondern eine Einzelner im freien Zusammenspiel der Gemeinschaft. Darum ist die Kunst der Gesprächsführung nicht nur eine der vielen nützlichen Praktiken, die die Menschen heute für die Ordnung ihres Zusammenlebens entwickelt haben. Sie ist geradezu eine Voraussetzung dafür geworden, dass die in Gruppen eng zusammenwirkenden Menschen Persönlichkeiten bleiben und davor bewahrt werden, lebendig passive Träger fremden Willens zu sein. 3 Es ist darum unbegreiflich, dass man in Deutschland im Unterschied zu den Ländern der angelsächsischen Welt die Pflege des Gruppengesprächs und die Erforschung seiner methodischen Gesetze fast völlig vernachlässigt hat. Zu solcher Arbeit sollen die folgenden Zeilen anregen. Das Streitgespräch Die älteste geprägte Form der Diskussion, die uns bekannt ist, ist die des geistigen Wettkampfes. Sie wurde von den Griechen ausgebildet in der Schule der Sophisten. Dort lernte man die Kunst, in Rede und Gegenrede sein Recht in der Bürgerversammlung zu verteidigen. Das Ziel des Streitgespräches ist also die Selbstbehauptung. Die Aufgabe einer Verständigung mit dem Gegner und eine gemeinsame Gewinnung neuer Erkenntnisse, die wir heute mit einer fruchtbaren Diskussion verbinden, ist im Streitgespräch noch nicht klar erfasst. Das schließt zwar nicht aus, dass auch bei diesen Gesprächen, solange sie sachlich geführt wurden, tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen und in vielen Fällen ein Ausgleich der Begriffe, Meinungen und Interessen erzielt wurden. Aber letzten Endes kam es bei dieser „Dialektik“ doch in erster Linie darauf an, den Gegner aus dem Sattel zu heben. Am deutlichsten wird das in dem Titel, den der große Sophist Protagoras seinem Lehrbuch der dialektischen Redekunst gegeben hat. Es heißt: „Die niederschlagende Rede“. Auch die Disputationen, die in den hohen Schulen des Mittelalters gepflegt wurden, verliefen in der Form des Streitgesprächs. Schon Abälard (1079 bis 1142) hatte mit seiner Schrift „Sic et non“ (Ja und nein) die dialektische Methode wieder in die wissenschaftliche Arbeit eingeführt. Der scharfsinnige Geist Abälards versuchte mit dieser Methode die Widersprüche in der kirchlichen Tradition dadurch zu erklären, dass er sie aufdeckte und zur Diskussion stellte. In der Folgezeit wurde das Streitgespräch zu einer festen Tradition auf den Universitäten Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 4 des späten Mittelalters. Es bestand in der Begegnung von zwei Parteien, die jeweils von einem Magister angeführt wurden. Diese wurden von ihren Bakkalauren in dem geistigen Zweikampf unterstützt. Es wurden Thesen und Gegenthesen aufgestellt und im Verlauf des Gesprächs bestritten und verteidigt. Ein dritter Magister hatte die Aufgabe der determinatio. Seine Funktion stellte ein Mittelding zwischen einem Schiedsrichter und einem modernen Diskussionsleiter dar. Er sorgte für einen ordnungsgemäßen Verlauf der Diskussion, für Begrenzung der Thematik und für Klarstellung der Begriffe. Reste solcher akademischer Streitgespräche haben sich bis in unsere Tage in den öffentlichen Disputationen erhalten, die mancherorts noch bei Doktorprüfungen oder im Rahmen von Habilitationsvorlesungen stattfinden. Sie unterscheiden sich von modernen Diskussionen vor allem dadurch, dass sie nicht von einem zu klärenden Problem, einer zu lösenden Aufgabe, sondern von Thesen ausgehen. Die Gesprächspartner tragen gleichsam die mittelalterliche Rüstung ihrer mitgebrachten Denksysteme und sind gewappnet mit Pfeilen stoßweise beigebrachter Literaturbelege. In der Blütezeit dieser Disputationen, in den ersten Jahrhunderten der europäischen Universitäten, trugen sie Wesentliches zur Entfaltung der abendländischen Wirtschaft und ihrer Erkenntnisse bei. Das geschah, solange der gemeinsame Wille, Erkenntnisse zu gewinnen, den Willen, in der Disputation Sieger zu bleiben, in Schranken hielt. Noch Erasmus konnte darum in seiner Maxime sagen: Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Aus der Diskussion verschiedener Meinungen heraus wird die Wahrheit ans Licht gebracht. Die kämpferische Anlage der mittelalterlichen Disputation mit vorgefassten, in Thesen formulierten Meinungen ließ aber mehr und mehr die Selbstbehauptung der Disputanten zum bestimmten Ziel der Disputierenden werden. Die Gefahr dieser Disputation bestand naturgemäß darin, dass die Gesprächspartner nur so weit aufeinander eingingen, als zur Widerlegung des anderen notwendig und zweckmäßig war. Die Taktik einer erfolgreichen Gesprächskunst wurde von der mittelalterlichen Gesprächstechnik mit folgenden Ratschlägen beschrieben: „nil concede, nega parum, distingue frequenter“ (Gib keine Irrtümer zu, lass das beiseite, worin die Meinungen übereinstimmen, und mache häufige Unterscheidungen in der Begriffsbildung). Es ging ja um den Sieg im geistigen Turnier, um die Niederringung des Gegners. Die Möglichkeit, bei diesem Turnier zu neuen, gemeinsamen Erkenntnissen vorzustoßen, war zwar nicht ausgeschlossen. Da sie aber nicht das methodische Ziel bildete, verlor sich das Gespräch häufig in unfruchtbaren Begriffsspaltereien. Es blieb mehr und mehr im Gedanklichen stecken. Vielleicht ist aus dieser Gesprächsmethode die Wortbildung „Auseinandersetzung“ entstanden. Auf alle Fälle leitet diese Gesprächsmethode gerade nicht zur Vereinigung in gemeinsamen Erkenntnissen, sondern eher zum Gegenteil an. Das hat sich im Ganzen abendländischen Geistesleben bis hinein in die 5 Kirchengeschichte und in die innersten Bezirke des religiösen Lebens ausgewirkt. Zweifellos wird das Streitgespräch immer seine Bedeutung behalten, wo als Ziel des Gesprächs nicht die Verständigung, sondern die Behauptung gegenüber einem Gegner angestrebt werden muss. Hier ist zunächst festzustellen, dass die Verwendung der alten Form des Streitgespräches auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung, der religiösen Klärung und der Gruppenverständigung zu Fehlentwicklungen geführt hat, die in der modernen Gesprächskunst erkannt wurden und zu überwinden sind. Das Lehrgespräch Das Lehrgespräch hat sich sowohl bei den Griechen als auch im Bildungswesen der Neuzeit im Gegensatz zum Streitgespräch entwickelt. Das Lehrgespräch verfolgt das Ziel, den Gesprächspartner nicht zum Schweigen, sondern zum Reden zu bringen. Der von Hause aus unterlegene Gesprächsteil wird nicht niedergeschlagen, sondern im Gegenteil künstlich hervorgehoben. Der Überlegene spielt den Unwissenden und fragt den anderen, als wäre er ein Wissender (Sokratische Ironie). Das Ziel dieses Gespräches ist nicht die Besiegung des Partners, sondern seine Gewinnung für eine neue Erkenntnis. Es soll nicht von fremden Anschauungen überwältigt werden. Es geht um die Weckung der in ihrem selbst noch schlummernden, ungeborenen Erkenntnisse. Zur Geburt dieser schlummernden Erkenntnisse kommt es freilich auf dem Umweg über die Einsicht des Belehrten in sein eigenes Nichtwissen. Diese Einsicht soll als Vakuum wirken und die Begierde wecken, von dem Wissenden eine Belehrung anzunehmen. Der Fortschritt vom Streitgespräch zum Lehrgespräch, der erstmalig von Sokrates gegenüber seinen sophistischen Lehrmeistern und Gegnern erreicht wurde, besteht darin, dass eine echte Aufgeschlossenheit für eine neue Wahrheitserkenntnis entsteht. Der in seiner Position gefährdete Gesprächspartner verfällt nicht mehr der Versuchung, sich zur Rettung seines Ansehens durch taktische Kniffe der Wahrheit zu verschließen oder das Gespräch abzubrechen. Er wird vielmehr für eine echte Selbstbestimmung gewonnen. Trotzdem liegt auch hier keine echte Diskussion vor. Die Methode des Lehrgesprächs ist zwar hilfreich, wo es darum geht, einen lehrenden Wissensstoff an Lernende zu vermitteln und ihn Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 6 verständlich zu machen. Ganz allgemein ist das Lehrgespräch angebracht bei Kindern bzw. Jugendlichen und bei solchen Menschen, die noch nicht zu selbstständigem Denken erwacht sind. Auch bei ihnen sollte man freilich das „Herauskatechesieren“ bestimmter Begriffe noch nicht für die Gewinnung echter Erkenntnisse halten. Sicher ist, dass viele Katechten, die unter Jugendlichen erfolgreich sind, völlig versagen, sobald sie ihre Methode des Lehrgesprächs an solchen Menschen versuchen, die schon selbstständige Menschen sind oder sein wollen. Bemerkenswert ist das Versagen vieler guter Religionslehrer, sobald sie an Höheren Schulen oder an Berufsschulen unterrichten sollen. Die einseitige Festlegung der Methode des religiösen Unterrichts auf das Lehrgespräch ist eine entscheidende Ursache für die Tatsache, dass die Kirche den größten Teil ihrer jungen Glieder in dem Zeitpunkt verlieren, in dem diese zu eigenem Denken erwachen und beruflich auf eigenen Füßen stehen. Die Grenzen des Lehrgesprächs liegen darin, dass hier keine echte Fragen, sondern Scheinfragen gestellt werden. Der Frager weiß die Antwort vorher, und die Kunst besteht gerade darin, so zu fragen, dass nur eine Antwort möglich und richtig ist. Er steht nicht im Kreis, sondern über dem Kreis der miteinander Redenden. dann die Aufgabe zufällt, das Gespräch wieder in Gang zu bringen. In vielen Fällen wird er das dadurch versuchen, dass er selber eine Frage in die Debatte wirft. Sobald diese Fragen unechte, „lehrerhafte“ Fragen sind, bringen sie die Diskussion nicht in Gang, sondern töten sie ab. Das Abgleiten ins Lehrgespräch muss also im Rahmen einer modernen Diskussion als ein ausgesprochener Kunstfehler bezeichnet werden. Aus diesem Grund führt auch diese Methode nicht zur Diskussion, es sei denn, der Lehrende sei bewusst bereit, sich von seinen Schülern „aus dem Konzept bringen“ und sich in eine unechte Diskussion verwickeln zu lassen. Damit verlässt er aber die Methode des Lehrgesprächs und dessen festgelegte Zielsetzung. Diese behält zwar seine Bedeutung als Unterrichtsmethode zur Aufschließung der Lernbereitschaft unter den Schülern. Das, was in der modernen Diskussion erstrebt wird, echte Zusammenarbeit, gegenseitige Verständigung, Eingliederung der Schwachen und der Starken in eine Diskussionsgemeinschaft zu Erarbeitung einer gemeinsamen Erkenntnis, wird nicht erreicht. Es wird hier keine Gemeinschaft, sondern eher eine Art Jüngerschaft hergestellt. Das Lehrgespräch verfolgt ein vorher festgelegtes Unterrichtsziel Dass das Lehrgespräch kein echtes Gespräch ist, weiß jeder, der sich schon einmal in der Kunst der modernen Diskussionsleitung versucht hat. Es kommt immer wieder vor, dass auch eine echte Diskussion lustlos wird und dem Leiter Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 7 Das Orientierungs- und Klärungsgespräch Eine völlig neue Art des Gesprächs, die von entscheidendem Einfluss auf alle Formen menschlicher Gesprächskunst geworden ist, entstand unter der Einwirkung des christlichen Glaubens. Es handelt sich dabei weder um ein Streitgespräch, noch um ein Lehrgespräch, sondern um eine personale Begegnung. Diese Gesprächsart ist nicht nur von religiöser, sondern von allgemeiner Bedeutung für die Verständigung unter Menschen, weil hier der entscheidende Nachdruck auf die Kunst und die Gabe des Zuhörens gelegt wird. Wo, wie im Coaching, eine personal Begegnung der Gesprächspartner erfolgt, wird nicht vom Lehrer festgelegt, was er zu hören wünscht, wie im Lehrgespräch. Erst recht wird nicht nur das gehört und aufgegriffen, was zum Ausgangspunkt einer Widerlegung des Gesprächspartners benutzt werden kann wie im Streitgespräch. Die Voraussetzung des Orientierungs- und Klärungsgesprächs besteht vielmehr in der echten Hörbereitschaft. Offenheit, ja Solidarität des einen mit dem anderen. Es geht hier zunächst auch gar nicht um die Gewinnung oder Verteidigung von Erkenntnissen, sondern um gegenseitiges Verstehen, um das Aufeinandereingehen. Die Voraussetzung solcher Verständigungsbereitschaft ist die Überwindung der Selbstgerechtigkeit im sittlichen und intellektuellen Sinn bei beiden Gesprächspartnern. Der andere soll weder moralisch bekehrt, noch mit Argumenten überzeugt werden. Diese Solidarität in der Fragestellung, dieses liebende Eingehen auf das Anliegen des anderen, dieses Bemühen, die Gedanken des anderen womöglich noch besser zu verstehen und auszudrücken als er selbst, ist in Wirklichkeit nicht nur eine Eigentümlichkeit des Coachinggesprächs. Es ist die Voraussetzung des menschlichen Gesprächs überhaupt. Die Kunst des Zuhörens ist ein entscheidender Schritt in der Geschichte der Gesprächskunst Das Orientierungs- und Klärungsgespräch führt aber noch zu einer zweiten Erkenntnis, die von allgemeiner Bedeutung ist. Wo das Coachinggespräch im echten Sinne geübt wird, ist auch der Coach von der Erkenntnis beherrscht, dass er über eine Antwort auf die Frage des anderen nicht selbst verfügt, sondern sie mit ihm gemeinsam suchen und empfangen muss. Echte Orientierungs- und Klärungsgespräche bestehen in der Kunst oder, besser gesagt, in der Gabe der Solidarität eines gemeinsamen Fragens nach der Wahrheit und nach dem richtigen Weg. Ein Coach wird sich freilich niemals nur als menschlicher Gesprächspartner eines anderen, sondern zugleich als Bote der Wahrheit ihm gegenüber fühlen. Aber seine Botschaft besteht eben gerade nicht im Dienst eines Weisen an einem Unweisen. Sie erschöpft sich nicht in dem Vortrag philosophischer Lehrsätze, dogmatischer Überzeugungen oder sittlicher Verhaltensweisen. Beide Gesprächspartner gewinnen ihre Erkenntnis nicht dadurch, dass nur einer dem anderen zuhört, sondern dass beide gemeinsam eine neue Erkenntnis und Weisung geschenkt bekommen. Es soll vielmehr zunächst einfach eine Frage, Verlegenheit oder Not verstanden und gemeinsam getragen werden. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 8 Der Erfahrungsaustausch Der Erfahrungsaustausch ist die vorherrschende Form des Gespräches in den angelsächsischen Ländern, vor allem in Amerika. Dabei ist bemerkenswert, dass in den Bildungsstätten der amerikanischen Welt die Pflege der Gesprächskunst nicht wie in Europa abgestorben ist, sondern gerade neuerdings zu immer größerer Blüte entfaltet wurde. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass die dortige Gesprächskunst nicht so sehr die Behauptung eigener Standpunkte im Streitgespräch oder die Belehrung geistig Unmündiger in der Veranstaltung von Scheingesprächen erstrebt, als vielmehr ein gegenseitiges Geben und Nehmen der Gesprächspartner. Die angelsächsische Gesprächskunst entsteht aus dem Wunsch, die inneren und äußeren Erfahrungen der Menschen miteinander zu vergleichen, um einen höchstmöglichen Grad von Zuverlässigkeit und Gültigkeit der gemachten Erfahrungen zu erreichen. Das Gespräch dreht sich hier im Wesentlichen ganz einfach um die Beantwortung der Frage „What to do?“ Es ist die Frage nach dem richtigen und zweckmäßigen Handeln. In der alten Tradition dieser Gesprächskunst ist nicht nur der nüchterne Realismus der Angelsachsen, sondern vor allem die bessere Funktionsfähigkeit ihrer politischen Organisationen begründet. Die eigensinnige Behauptung eines Standpunktes und die mangelnde Bereitschaft zum Austausch der eigenen Erfahrungen und Auffassungen gilt dort ganz einfach als Zeichen der Unbildung. Die Pflege und die systematische Erziehung zur Gesprächskunst ist in der angelsächsischen Welt wohl die stärkste geistige Abwehrkraft gegen ideologische Verkrampfungen, die in Europa immer Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com wieder die politische Welt bedrohen. Der Angelsachse wird in dieser Gesprächskultur vor allem zu der Kompromissbereitschaft erzogen, die für das poltische Zusammenleben in der Demokratie unerlässlich ist. „To compromise“ gilt dort direkt als der Weg zum Auffinden der Wahrheit und zur Lösung sonstiger vom Leben gestellter Probleme. In der europäischen Welt, vor allem in Deutschland, werden dagegen Leute, die „Kompromisse“ machen, als solche angesehen, die die Wahrheit und ihr Gewissen verraten oder die überhaupt keinen Standpunkt haben. Tatsächlich liegen in Europa und Amerika zwei verschiedene Denkwege vor, die zum Schaden dieser beiden Teile voneinander isoliert und in Gegensatz gestellt werden. Der kontinuierliche Europäer sucht immer zuerst einen Grundsatz aufzustellen, aus dem er dann Schlüsse auf die Wirklichkeit zieht. Das führt zu einer ernsten Gefahr. Wo die Vertreter verschiedener Grundsätze nicht bereit sind, ihre Prinzipien immer von neuem durch die Wirklichkeit des Lebens in Frage stellen zu lassen, wird ein gemeinsames Handeln unmöglich. Das wirkliche Leben wird vergewaltigt. Diesem deduktiven Weg des europäischen Denkens steht der induktive Weg des Angelsachsen, insbesondere des Amerikaners, gegenüber, der zunächst eine möglichst große Zahl von Erfahrungen sammelt, die er im Erfahrungsaustausch abklärt, um daraus die Grundsätze des gemeinsamen Handelns abzuleiten. Wo dieser Weg der Wahrheitsfindung sich nicht mehr nach unverrückbaren Grundaussagen des Gewissens, der Vernunft und des Glaubens ausrichtet, bleibt er an der Oberfläche und verliert jede geistige Kontinuität. 9 Das wird noch deutlicher, wenn wir die geistlichen und religiösen Wurzeln der Gesprächsführung ins Auge fassen, die in diesen beiden Teilen der abendländischen Welt zu finden sind. Schon mit Melanchthon traten im deutschen Protestantismus die Denktraditionen der scholastischen Theologie wieder mehr und mehr in den Vordergrund. Die wissenschaftlich begründete Deduktion der Wahrheit aus vorgegebenen, unbezweifelbar feststehenden Erkenntnisquellen der Schrift und des Bekenntnisses wurde mehr und mehr zum geistigen Fundament der europäischen Kirche. Der wissenschaftlich gebildete Diener am Wort beherrscht mit seinem Redemonopol die Kirche. Auch die rationalistischen Nachfolger der Orthodoxie blieben bei der Tradition. Sie setzten nur an die Stelle der Offenbarung die Axiome der Vernunfterkenntnis. Die religiöse Erkenntnis Englands und Amerikas gingen weit mehr von persönlichen und religiösen Erfahrungen als von Lehrtraditionen oder heiligen Schriften aus. Franklin Littell hat darauf hingewiesen, dass der englisch-amerikanische Parlamentarismus seine Wurzel bei den Independenten der Zeit Cromwells habe. Das „innere“ Licht, die persönliche geistige Einsicht, die dem einzelnen zu Teil wurde, musste, um eine Gemeinschaft verbindlich zu werden, im Austausch mit anderen abgeklärt werden. Auch die Erfahrungsreligiosität der Quäker sowie der traditionslose Pragmatismus des amerikanischen Siedlertums waren von Bedeutung für die Entstehung der Methodik des Erfahrungsaustausches. Statt des kontinentaleuropäischen Weges der wissenschaftlichen Deduktion bestritten die Angelsachsen mehr den Weg der Sammlung und Vergleichung verschiedener Einsichten und Erfahrungen, deren Ergebnis dann die Grundlage gemeinsamer Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Überzeugungen bildet. Noch heute spielt dort die Vergleichung der Erleuchtungen, die einzeln geschenkt sind, eine entscheidende Rolle in vielen kirchlichen und weltlichen Gemeinschaften. Die gemeinsam abgehaltene „Stille Zeit“, wie sie etwa heute in Kreisen der „moralischen Aufrüstung“ geübt wird, geht in gewissem Sinne auf diese geistliche Tradition zurück. Der geistliche Austausch, der hier gepflegt wird, lässt ja ganz bewusst die Frage verschiedenartiger Denk- und Glaubensprinzipien beiseite, und schöpft seine geistigen und ethischen Richtlinien aus dem Schatz gemeinsamer innerer Erfahrung. Es ist eine Tragik des abendländischen Protestantismus, dass der deduktive und der induktive Erkenntnisweg, der Weg der grundsätzlichen Besinnung und der praktischen Glaubenserfahrung, das Denken in Systemen und das Denken in Praktiken, ja letztlich sogar die Frage: „Was ist wahr?“ und: „Was sollen wir tun?“ in solch unheilvoller Weise auseinandergerissen wurden. Auf diese Weise geriet die europäische Glaubenswelt ins Abstrakte und Historische, die amerikanisch ins Emotionale und Pragmatische. Die amerikanische Philosophie des Pragmatismus ist eine Frucht dieser Einsichten, die auch in der amerikanischen Gesprächstechnik der Gegenwart spürbar ist. Dem Pragmatismus ist das wahr, was wirksam ist Darum verfolgt er das Ziel, in einem gemeinsamen Austausch der Erfahrungen die jeweils wirksame Methode zur Erreichung irgendwelcher Zwecke ausfindig zu machen. Da hier die Wahrheit selbst zur „wirksamsten Technik“ geworden ist, gewinnt auch das Gespräch, dass der gemeinsamen Erfassung 10 einer Wahrheit dient, mehr und mehr den Charakter eines rein technischen Vorgangs. Dieser andersartige religiöse und philosophische Hintergrund der amerikanischen Gesprächskunst ist in erster Linie die Ursache dafür, dass die kontinentale Bildungswelt sich bisher fast völlig dem Import amerikanischer Forschungen auf dem Gebiet der Gesprächskunst widersetzt hat. Einzelne Pädagogen, die sich für amerikanische Erkenntnisse offen zeigen, sind fast durchweg selbst in den Bann des amerikanischen Pragmatismus geraten. Eine Fruchtbarmachung der amerikanischen Gesprächskunst für die europäische Bildungswelt wird davon abhängen, ob es gelingt, die in Amerika mit großer Virtuosität geübte Kunst des Erfahrungsaustausches von ihren einseitigen religiösen und philosophischen Voraussetzungen zu lösen und in einer Begegnung zwischen europäischen und amerikanischen Denktraditionen fruchtbar zu machen. Das ungelöste Problem der amerikanischen Diskussionstechnik besteht in der Frage, wie das Gespräch fruchtbar gestaltet werden kann, wenn die gemachten Erfahrungen ausgetauscht sind und die letzten persönlichen Grundsatzfragen beginnen. Es ist eine oft besprochene Tatsache, dass große Entwicklungen häufig in europäischer Grundlagenforschung begonnen und hinterher in großzügiger amerikanischer Erfahrungswissenschaft nutzbar gemacht werden. Wir werden also in der Begegnung zwischen Europa und Amerika nach gemeinsamen Wegen der Gesprächskunst suchen müssen. Wir brauchen sowohl die technische Sachlichkeit einer Vergleichung menschlicher Erfahrungen, wie die leidenschaftliche Verteidigung und Erforschung geistiger Grundlagen. Die Offenheit einer echten Hörbereitschaft für die persönliche Tiefe der menschlichen Partner muss mit der Demut des gemeinsamen Wartens auf das Geschenk der Erkenntnis verbunden werden. Es bedeutet viel für die Zukunft der abendländischen Welt, ob es gelingt, aus den verschiedenen Ansätzen und Traditionen der Gesprächskunst, die im Lauf ihrer geschichtlichen Entwicklung entstanden sind, eine höhere Einheit zu entwickeln. Die Lösung vieler sozialer, wissenschaftlicher und kirchlicher Probleme wird davon abhängen. Jeder Erfahrungsaustausch, der sich selbst genug ist und vor der Frage nach letztlich gültiger Wahrheit stehen bleibt, vermag zwar manche wirksame Ergebnisse und ein reibungsloses Funktionieren einer technischen Arbeitsgemeinschaft zu ermöglichen. Er vergisst aber die Tatsache, dass die großen Fortschritte der Erkenntnis fast immer nur dort gemacht werden, wo eine Wahrheit um ihrer selbst und nicht um ihres Effektes willen gesucht wird. Die Gewinnung neuer Erkenntnisse wird nur einer echten menschlichen Leidenschaft für die Wahrheit zuteil, die nicht geblendet ist von dem Blick auf Erfolg. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 11 Die Vortragsdiskussion Viele Gespräche, die sich gemeinhin nach Vorträgen abspielen, sollte man besser nicht mit dem Wort „Diskussion“ bezeichnen. Oft kommt es nämlich dem Publikum gar nicht darauf an, die angeschnittenen Fragen im eigenen Kreis zu diskutieren. Es sollen vielmehr dem Redner bestimmte Fragen und Einwände vorgelegt werden, um seine Antwort zu hören. Solange Fragen im echten Sinn „zur Diskussion“ gestellt werden, darf niemandem eine beherrschende Rolle eingeräumt werden, auch dem Vortragenden nicht. Das ist anders, sobald an Stelle der Diskussion die Fragebeantwortung tritt, bei der der Vortragende nicht in dem Kreis, sondern ihm gegenüber steht, also eine mehr oder weniger autoritative Stellung einnimmt. In kleineren Versammlungen wird man häufig den Weg wählen, zuerst eine oder zwei Fragen gemeinsam zu diskutieren. Anschließend gibt man dem Redner die Gelegenheit, die noch offenen Fragen abschließend zu beantworten. Wo diese Mischform zwischen Diskussion und Fragebeantwortung gewählt wird, muss der Versammlungsleiter am Anfang des Gesprächs in der Lage sein, die Hauptfragen, die allgemeines Interesse beanspruchen können, von den Nebenfragen zu unterscheiden. Das ist natürlich nicht möglich, wenn gleich die erste Frage, die gestellt wird, zu einer mehr oder minder planlosen Diskussion führt. Die Teilnehmer müssen zuerst aufgefordert werden, in Kürze anzugeben, über welche Punkte gesprochen werden soll. Nebenbei bemerkt hat das den Vorteil, dass bei diesem Verfahren auch solche Versammlungsteilnehmer Diskussionsvorschläge machen, die wegen ihrer Scheu vor öffentlichen Reden sonst nicht dazu zu bringen sind, eine eigentliche Diskussionsrede zu halten. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Nachdem der Leiter vor den Augen der Teilnehmer die vorhandenen Fragen gesammelt und notiert hat, wählt er eine derselben für den Start der Diskussion aus und fordert denjenigen Teilnehmer, der sie angemeldet hat auf, sie ausführlich darzulegen. Anschließend wird das Gespräch über die Frage freigegeben. Wenn diese Startfrage richtig ausgewählt ist und ein Zentralproblem anschneidet, werden meist bei der sich daran anspinnenden Diskussion viele der sonst noch gestellten Fragen mitbehandelt werden. Die übrigen Punkte der Fragensammlung, die nicht einbezogen werden, bleiben bei der einseitigen Beantwortung im Schlusswort des Redners überlassen. Während der eigentlichen Diskussion kann sich der Vortragsredner genau wie jeder andere Anwesende beteiligen. Er darf aber erst zu Wort kommen, nachdem einige andere gesprochen haben. Sonst besteht die Gefahr, dass er die Diskussion an sich reißt und mit seiner Autorität die übrigen Teilnehmer erdrückt, ehe es überhaupt zu einem echten Gespräch gekommen ist. Bei größeren Vortragsveranstaltungen ist eine echte Diskussion höchstens in Form einer Podiumsdiskussion zwischen ausgewählten Sprechern der Versammlung möglich. Falls dieser Weg nicht gewählt wird, muss man sich darauf beschränken, dem Redner Fragen oder Einwände von Versammlungsteilnehmern vorzulegen, die dieser zu beantworten hat. Nach schwer verständlichen Vorträgen sowie in Versammlungen, die keine Diskussionsübung haben, bereitet das Ingangbringen der Wortmeldung besondere Schwierigkeiten. Die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen dieser Aufgabe liegt in der inneren Einstellung des Leiters gegenüber der Versammlung. Er muss sich innerlich auf die Seite der Teilnehmer, insbesondere des unkundigen 12 Teils derselben, begeben. Deren Probleme muss er gegenüber dem Redner zum Zug zu bringen versuchen. Das kann er durch eine allgemein verständliche Zusammenfassung des Vortrages mit anschließender Herausstellung der Fragen, die ihm offen zu sein scheinen. Er kann aber, falls die Versammlung sich zunächst schweigend verhält, auch selbst eine Frage stellen oder von einem vorher beauftragten Versammlungsteilnehmer stellen lassen. Die erste Frage auf Verständnishöhe und zum Interesse des Publikums stellen Wenn der Versammlungsleiter mit dem Redner eine gelehrte Diskussion anfängt, oder wenn er gar Fragen stellt, die vor dem Redner und der Versammlung beweisen sollen, dass er auch etwas von der Sache versteht, hat er nicht nur eine bedenkliche ethische Haltung eingenommen, sondern auch einen schweren taktischen Fehler gemacht. Bei Massenversammlungen muss der Leiter seinen ganzen persönlichen Einfluss darauf verwenden, dass die Teilnehmer auch gegnerische Äußerungen mit ruhiger Sachlichkeit aufnehmen. Vor allem dann, wenn die persönliche Einstellung des Leiters der Versammlung bekannt ist, wird er gut daran tun, den ersten gegnerischen Diskussionsredner durch kleine Freundlichkeiten auszuzeichnen, um die eigene Unparteilichkeit herauszuheben. Falls die Versammlung durch Zwischenrufe oder durch Beifalls- und Missfallenskundgebungen eine überwiegend einseitige Stellungnahme kundgibt, hat der Versammlungsleiter die unbedingte Pflicht, die Minderheit gegen jede Art von geistigem Druck zu schützen, auch wenn er selbst gesinnungsmäßig bei der Mehrheit steht. Sobald die Sachlichkeit der Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Auseinandersetzung durch derartige Publikumsäußerungen gefährdet wird, sollte er darum bitten, dass die Versammlung solche Äußerungen unterlässt. Hat er Schwierigkeiten, sich gegen einzelne störende Elemente durchzusetzen, empfiehlt es sich, vor disziplinaren Maßnahmen auf irgendeine Weise die Zustimmung der Versammlung zu dieser Maßnahme zu bewirken. So wird der Verdacht beseitigt, der Leiter wolle gegen den Willen der Versammlung gewisse Stimmen nicht zu Wort kommen lassen. Wenn der Leiter über die Gabe des Humors verfügt, können fast immer auch die schwierigsten Situationen ohne solche Maßnahmen bewältigt werden. Dies gilt vor allem dann, wenn wegen der Fülle der Wortmeldungen oder gegenüber lästigen Dauerrednern die Redezeit beschränkt oder gar einzelnen Rednern das Wort entzogen werden muss. Bei Versammlungen, in denen mit einer großen Anzahl von Wortmeldungen zu rechnen ist, kann die Form der gesteuerten Fragenbesprechung angewandt werden. Die Wortmeldungen werden hier schriftlich mit Angabe des Namens und des beabsichtigten Gesprächspunktes erbeten. Während einer Pause zwischen Vortrag und Aussprache werden die Diskussionsbeiträge in bestimmte Zusammenhänge geordnet. Dadurch kann zuweilen sogar nahezu eine echte Diskussion erreicht werden. Vor allem ist es bei diesen Verfahren leichter möglich, eine bei großen Versammlungen oft auftretende Gefahr auszuschalten: die Schwätzer und Halbnarren. Sie besitzen da in zu geringem Maß, was gewichtige Versammlungsteilnehmer oft in zu großem Umfang haben: die Hemmung vor öffentlichen Reden. Die Aufrichtung oder Beseitigung solcher Hemmungen ist ein wichtiger und diskreter Auftrag jedes Versammlungsleiters. 13 Das Rundgespräch Das Rundgespräch ist die eigentliche Grundform der Diskussion. Es ist ein Gespräch um den runden Tisch, und darum ist es am leichtesten in einem Kreis zu üben, der etwa ein Dutzend Menschen umfasst. Die Form des Rundgespräches kann aber auch in etwas größeren Kreisen verwendet werden, die bis zu sechzig und siebzig Teilnehmer umfassen. Die äußere Voraussetzung ist, dass sich die Teilnehmer gegenseitig sehen können und möglichst im Kreis sitzen. Die Tendenz des Rundgespräches ist nicht wie bei der Vortragsdiskussion die Auseinandersetzung mit dem Redner, sondern das gemeinsame Durchdenken eines Problems mit dem Ziel einer gegenseitigen Anregung und geistiger Klärung. Entscheidend beim Rundgespräch ist die Atmosphäre, unter der es verläuft. Sie muss ungezwungen, kameradschaftlich und frei von eilfertiger Hast sein. Dies gilt insbesondere für Rundgespräche, die dem allgemeinen geistigen Austausch dienen. Gespräche, die der Klärung geschäftlicher Fragen dienen, sollen zügiger geführt werden, jedoch nicht so, dass der langsamer schaltende Teilnehmer das Gefühl erhält, die Verhandlungspunkte würden durchgepeitscht. Aber auch er erwartet bei einer Geschäftssitzung vom Vorsitzenden eine Führung, unter der etwas erledigt wird und die tatkräftig zu Entscheidungen kommt. Trotzdem muss der Leiter in jedem Rundgespräch versuchen, soweit es die Aufrechterhaltung der Geschäftsordnung zulässt, in den Hintergrund zu treten und den Teilnehmern das Gefühl zu geben, dass nicht der Leiter, sondern die Mannschaft „die Tore schießt“. Beim Rundgespräch im kleinen Kreis sollte erreicht werden, dass alle Teilnehmer sich wenigstens einmal äußern. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Der Leiter braucht keine Sorge zu haben, es könnte jemand beleidigt sein, wenn er wegen zu häufigem und zu langem Reden in der Rednerliste übergangen wird, sofern er freundliche Formen anwendet, andere zu ermutigen. Im Allgemeinen sind die robusten Naturen, die selbst spüren, wo sie anderen mit ihrem Reden im Wege sind, auch verhältnismäßig hart im Nehmen, wenn sie vom Leiter zur Gesprächsdisziplin ermahnt werden. Natürlich hat das zur Voraussetzung, dass der Leiter selbst das Gespräch nicht an sich reißt. Er kommt zuweilen in die Versuchung, die Möglichkeit, sich selbst das Wort zu erteilen, zugunsten seines Standpunktes auszunützen. Greift der Leiter in eine im Fluss befindliche Diskussion zu oft ein, so verdirbt er den Teilnehmern die Lust am Gespräch und wird sie instinktiv gegen seine Argumente einnehmen. Der Leiter kann zwar gelegentlich die Rolle eines Diskussionsteilnehmers einnehmen, und sich am Gespräch mit einer eigenen Stellungnahme beteiligen, aber keinesfalls öfters als andere Gesprächsteilnehmer auch. Er hat das auch gar nicht nötig, denn er kann dafür sorgen, dass die ihm wichtigen Gesichtspunkte im Gespräch bleiben und dass Diskussionsredner, die Wesentliches zu sagen haben, zu Wort kommen. Er hat vor allem einen entscheidenden Einfluss auf die Zusammenfassung der einzelnen Gesprächsetappen und des Gesprächsergebnisses. Je mehr er sich beim Gespräch zurückgehalten hat, desto mehr werden die Teilnehmer seinen Äußerungen am Ende der Gesprächspunkte eine gewisse autoritative Bedeutung zumessen. In einem Kreis, der durch längere Zeit an eine Gesprächsdisziplin gewöhnt ist, wird ein Eingreifen des Leiters immer weniger notwendig werden, weil die Temperamentvollen selber merken, wenn ihr zu häufiges Reden lästig fällt, und weil die Zurückhaltenden Mut gewonnen haben, sich zu äußern. 14 Die Podiumsdiskussion Die Podiumsdiskussion verfolgt den Zweck, vor einem größeren Personenkreis gesprächsweise ein Thema zu entfalten. Den Zuhörern sollen im Vergleich der verschiedenen Gesichtspunkte Anregungen zu einer eigenen Urteilsfindung gegeben werden. Eine Podiumsdiskussion will also nicht in erster Linie den Gesprächspartner selbst, sondern einem Zuhörerkreis zur Klärung seiner Gedanken helfen. Trotzdem müssen die bei der Podiumsdiskussion Mitwirkenden nicht dem Publikum, sondern einander zugeordnet sein. Sie müssen während des Gesprächs den eigentlichen Zweck desselben zu vergessen suchen und dennoch für die Zuhörer verständlich reden. Darin liegt die eigentliche Schwierigkeit dieser Gesprächsart. Zur Vorbereitung einer Podiumsdiskussion gehört die Aufstellung einer Stuhlreihe im Halbkreis, so dass die Teilnehmer sich sehen können und doch gleichzeitig im Publikum verstanden werden. Außerdem ist eine Vorbesprechung unter den Teilnehmern erforderlich, in der man die zu erörternden Gesprächspunkte festlegt und sich über die Startfrage einigt. Hergehen des „Balles“ der Diskussion zu beschleunigen. Bei der Podiumsdiskussion ist eine gewisse Dramatik und Leidenschaft erwünscht Der Leiter sollte daher von vornherein bei der Auswahl der Gesprächspartner dafür sorgen, dass gegensätzliche Standpunkte oder Interessen aufeinander treffen. Wenn die Podiumsdiskussion den Höhepunkt erreicht hat, kann man dazu übergehen, das Publikum selber an dem Gespräch zu beteiligen, am besten in der Weise, dass Redner aus dem Publikum und Teilnehmer des Podiums sich als Sprecher abwechseln. Damit geht die Podiumsdiskussion über in die Form des Forums, von dem im nächsten Abschnitt zu reden sein wird. Die Podiumsdiskussion wird in der Regel dadurch abgeschlossen, dass der Leiter alle im Podium sitzenden Teilnehmer auffordert, dem Publikum eine abschließende Darlegung ihrer Auffassung vorzutragen. Diese muss so gestellt sein, dass die Gesprächspartner daran entzündet werden und zugleich das Interesse der Zuhörer geweckt wird. Inhaltlich verläuft eine Podiumsdiskussion ähnlich wie ein Rundgespräch. Sie geht jedoch unter dem erschwerenden Umstand vor sich, dass die Gesprächsteilnehmer ständig versucht sind, statt in knappen Entgegnungen miteinander zu sprechen lange Reden an das Volk zu halten. Wo das geschieht, darf der Leiter ruhig dem Redner durch einen Einwand ins Wort fallen, um das lebendige Hin- und Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 15 Das Forum Auch im sogenannten Forum sitzt eine Mannschaft von etwa fünf bis acht Teilnehmern im Podium, aber sie sind von vornherein nicht miteinander im Gespräch, sondern geben abwechslungsweise auf Fragen Antwort, die aus dem Publikum gestellt werden. Es handelt sich hier also um keine eigentliche Diskussion, sondern um eine Fragebesprechung mit wechselnden Antwortgebern. Man verwendet diese Form des Gesprächs, wenn eine Gruppe von Experten, etwa das Kollegium einer Behörde oder eine Gruppe leitender Männer/Frauen des Schulwesens, der Kirche oder eines Industrieunternehmens zu einem bestimmten Fragegebiet Auskunft geben soll. Das Ziel solcher Versammlungen besteht in der Herstellung einer Verbindung zwischen dem breiten Kreis der Bürgerschaft einerseits und maßgeblichen Männern und Frauen bestimmter Lebensgebiete andererseits. vornherein zu einer Entkrampfung menschlicher Beziehungen und zu einer Überwindung bürokratischer und subalterner Hemmungen kommen. Humor ist bei dieser Art der Gesprächsführung von besonderer Wichtigkeit. Der Gang der Auseinandersetzung soll zügig gehalten werden. Einzelfragen, die kein allgemeines Interesse finden, dürfen nur mit kurzen Hinweisen und mit der Einladung zu nachfolgenden Einzelgesprächen beantwortet werden. Wo derartige Formen mit einer gewissen Regelmäßigkeit eingerichtet sind und so nicht nur die Mitglieder des Podiums, sondern auch das Publikum an diese Form des Gedankenaustausches gewöhnt sind, können sie Entscheidendes zur Überwindung beamtenstaatlicher Führungsgewohnheiten in Verwaltung, Kirche, Schule und Wirtschaft beitragen. Das Publikum soll die Gelegenheit bekommen, mit den Spitzenkräften, an die es sonst nicht ohne Weiteres herankommt, seine Sorgen, Zweifel, Wünsche und Kritik zu besprechen und ihre Stellungnahme unmittelbar zu hören. Auf der anderen Seite sollen die im Podium sitzenden Personen die Möglichkeit erhalten, ohne die Brille der Zwischeninstanzen zu erfahren, wie man in Kreisen des Publikums denkt. Bei diesem Forum kommt es darum in erster Linie darauf an, dass eine Brücke zwischen zwei Personenkreisen gebaut wird, dass also offen und unbekümmert gesprochen wird. Es hängt Wesentliches von dem psychologischen Geschick der Einleitungsworte des Leiters, von den Äußerungen aus dem Publikum und von deren Beantwortung ab. Es muss von Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 16 Die Debatte In der methodisch gepflegten Gesprächskunst der Gegenwart muss zwischen einem Streitgespräch (Debatte) und einem Rundgespräch (Diskussion) sorgfältig unterschieden werden. Beide haben, an der richtigen Stelle angewandt, ihren guten Sinn. Werden sie miteinander verwechselt, so gibt es Fehlschläge. Es ist verfehlt, wenn man gemeinsam ein Problem lösen will und kommt dabei unversehens ins Debattieren, das heißt ins Streiten, bei dem jeder Recht haben will. Nicht weniger peinlich kann es sein, wenn der Vertreter einer Gruppe in einem Parteienstreit, anstatt seine Sache zu verfechten, „umfällt“, „seine Karten aufdeckt“ und so mit dem Gegner „gemeinsame Sache“ macht. Debattieren heißt auf deutsch „niederschlagen“, diskutieren heißt „durcheinanderschütteln“. Die Debatte will den Sieg einer Partei, die Diskussion Beiträge zu einem Ganzen vereinen Die Abneigung vieler, vor allem kirchlicher Kreise gegen Diskussionen hat ihren Grund meist in dem Abgleiten der Diskussion in Debatten. Das macht sie unfruchtbar. Sie führen meist weder zu neuen gemeinsamen Erkenntnissen, noch zu einer Überzeugung Andersdenkender, zumal wenn die „Debatte“ sich vor einem Zuhörerkreis abspielt. Es ist vielmehr zu erwarten, dass sich der bei der Debatte unterliegende Teil nun erst recht in seinen Standpunkt verbeißt und in der Stille oder vor der Öffentlichkeit die verlorene Schlacht umso glanzvoller zu gewinnen versucht. Sobald er mit sich allein ist, fallen ihm nachträglich die Argumente ein, die er hätte verwenden können. So wird er sich hinterher Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com noch mehr in seiner bisherigen Meinung versteifen. Die Debatte eignet sich also in der Regel nicht für Gespräche, die gemeinsam geistige Probleme lösen, Menschen für eine andere Überzeugung gewinnen oder eine gemeinsame Arbeitsaufgabe bewältigen sollen. Damit soll nicht bestritten werden, dass auch die Diskussion einen kämpferischen Charakter gewinnen kann und in manchen Fällen gewinnen muss, wenn sie heiß und dramatisch bleiben soll. Nicht die ernstliche Vertretung einer Überzeugung lässt eine Diskussion in eine Debatte ausarten, sondern die mangelnde Bereitschaft, die Argumente der Gegenseite ernst zu nehmen und dadurch die eigene Auffassung laufend zu revidieren. Bei einer Diskussion ist die Bereitschaft unentbehrlich, laufend voneinander zu lernen und die berechtigten Gesichtspunkte des Gegners genauso offen und ausdrücklich anzuerkennen und zu registrieren, wie solche Gesichtspunkte, die man ablehnen muss. Die innere Bereitschaft, zu überzeugen, muss in der Diskussion der Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen, die Waage halten. Es wäre falsch, diese Bereitschaft im selben Maße von den Teilnehmern einer Debatte zu verlangen. In ihr ringen Parteien miteinander um die Durchsetzung ihres Standpunktes oder gar um die Erringung der Macht. Eine Debatte ist noch nicht entartet, wenn der Anwalt einer der kämpfenden Parteien gewichtige Einwände des Gegners in den Hintergrund zu drängen versucht, um die dem eigenen Interesse dienenden Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen. Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch die Teilnehmer einer Debatte der Wahrheit verpflichtet sind. Die Form, in der sie für sie eintreten, ist jedoch eine völlig andere. 17 Der Wahrheit wird in der Debatte dadurch gedient, dass zwei Parteien im Widerlager gegeneinander sich gegenseitig nötigen, auch solche Tatbestände, die ihnen unangenehm sind, einzuräumen oder sonstige Zugeständnisse zu machen. In gewissem Sinne gilt das Gleiche auf dem Kampffeld der Politik, wenn zwei Parteien öffentlich um die Macht ringen. Es wäre unrecht, von ihnen zu verlangen, hier völlig offen zu diskutieren, während ihr politischer Gegner vielleicht rücksichtslos das in den Vordergrund stellt, was dem eigenen Standpunkt dient. Auch Parlamentarier müssen freilich die Möglichkeit zu einer echten Diskussion haben, in der sie erste ihre Meinung bilden können, ehe sie diese öffentlich vertreten. Dazu gibt es in den Parlamenten die Einrichtung der Ausschüsse, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Hier können auch politische Gegner unbefangen miteinander diskutieren und gemeinsam nach Lösungen suchen. In Parlamenten wird in Plenarsitzungen debattiert und in Ausschüssen mehr diskutiert In der Plenarsitzung geht es für jede Partei um die Erringung der Möglichkeit, durch die Gewinnung der Wählerstimmen ihre eigene Wirkungsmöglichkeit sicherzustellen. In der Ausschusssitzung geht es in erster Linie um die Aufgabe, das nach Lage der Dinge Bestmögliche in gemeinsamen Erkenntnissen herausfinden. In jeder freiheitlichen Demokratie müssen notwendig beide Formen des Gesprächs ihren Platz haben. Wer die Debatte und das Ringen der Parteien um die Macht ablehnt, übersieht, dass das Ringen um die Macht in dieser Welt unerlässlich verbunden ist mit der Möglichkeit, in den Machtstrukturen dieser Welt eine Wirkung auszuüben. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Gerade in der Demokratie ist daher die Pflege einer hochstehenden Debatte genauso wichtig wie die Pflege der Diskussion, jede an ihrem Ort. Im Allgemeinen beginnt eine Debatte wie das Florettfechten mit einem gegenseitigen Abtasten des Gegners. Die eigentliche Fechtkunst des Debattierens besteht in der Fähigkeit, das Gespräch auf diejenigen Punkte zu fixieren, an denen die schwachen Stellen des Gegners vermutet werden. Wenn von vornherein feststeht, dass der Gegner in neun von zehn Punkten recht hat, wird sein Gesprächspartner versuchen müssen, die Debatte auf den zehnten Punkt zu konzentrieren, an dem die gegnerische Begründung schwach oder unhaltbar ist. Die übrigen Punkte wird er möglichst aus der Debatte fernhalten. Selbst wenn seine eigenen Positionen so schwach sind, dass er keinen durchschlagenden Gesichtspunkt dafür beizubringen vermag, wir die Konzentration auf einen schwachen Punkt des Gegners zu beweisen versuchen, dass auch die Gründe des Gegners fadenscheinig sind und dass also der Gegner zum mindesten nicht mehr recht hat als er selbst. Solche Strategie der Debatte ist dort nicht unberechtigt, wo gesellschaftliche Probleme in der Form des Wettkampfes gelöst werden sollen. Zu diesem Zweck ist das streitende Prinzip in Parteien institutionalisiert. Diese haben die Aufgabe, gegeneinander auf dem gesellschaftlichen Spielfeld aufzutreten. Als fair sind solche Auseinandersetzungen dann zu betrachten, wenn sie sich an die für diesen Wettkampf vorgeschriebenen Spielregeln halten. Diese Spielregeln schließen nicht aus, dass die miteinander kämpfenden Parteien einander zu besiegen versuchen, dass sie dazu in gewissem Umfang eine Taktik entwickeln und diese voreinander verdecken. Ausgeschlossen sein muss aber die Verwendung unmoralischer und 18 regelwidriger Mittel. Deswegen werden Beleidigungen, Lügen und der Gebrauch aller ungesetzlichen Mittel als Verstoß gegen die Debattierkunst geahndet. Ein Verstoß gegen die Debattierkunst ist es auch, wenn die Debatte fanatisch wird. Das geschieht dann, wenn die Debattanten vergessen, dass sie auch in ihrem streitbaren Ringen, indem sie einander zu besiegen versuchen, einem höheren Zweck, nämlich der Ordnung der Gesellschaft, dienen sollen. Darum gehört es zur Debattierkunst, dem Gegner die menschliche Achtung nicht zu versagen. Die gegenseitige Bejahung von Regierung und Opposition ist eine wesentliche Voraussetzung für eine freiheitliche, gesellschaftliche Ordnung. Wie die gegnerischen Mannschaften in sportlichen Wettkämpfen sich nachher die Hand geben, so müssen auch die Parteien vor Gericht, im Parlament und in wirtschaftlichen Interessenkämpfen bereit sein, sich gegenseitig in ihrer Funktion und in ihrem Auftrag anzuerkennen. So verstanden braucht das Ringen um Macht und Selbstbehauptung nicht im Widerspruch zu dem Ringen um Wahrheit und Liebe zu stehen. Es ist auch keine Unredlichkeit, wenn dieselben Menschen einen unterschiedlichen Gesprächsstil und unterschiedliche Argumente verwenden, je nachdem, ob sie sich in einer Funktion des Debattierens oder in der des Diskutierens befinden. Die Verwischung von Diskussion und Debatte kann ein Akt der Unredlichkeit sein Das ist dort der Fall, wo ein Gesprächspartner sich den Anschein eines nur der Wahrheit hingegebenen Gesprächspartners einer Diskussion gibt, Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com während er in Wirklichkeit lediglich seinen Interessen oder seiner Ideologie zum Zuge zu verhelfen sucht. Die Verwischung von Diskussion und Debatte wird in der Regel von den Agenten aller subversiven Propaganda angestrebt. Sie versuchen mit allen Mitteln, ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu verbergen, um den Anschein zu erwecken, als ob sie ohne Interessen und Auftrag lediglich der Wahrheit und der Gerechtigkeit dienen wollen. Sie wenden also die Methode der Debatte unter dem Anschein der Diskussion an. Werden sie etwa auf ungute Zustände in ihrer Partei oder in den Ländern ihres Regimes angesprochen, so lassen sie diesen Stoß des Gegners einfach ins Leere gehen und berichten in ihrer Antwort lediglich von einem bedauernswerten Fall im Lager des Angreifers, konzentrieren in leidenschaftlicher Rede die kritischen Blicke der Zuhörer auf diese „schreiende Ungerechtigkeit“, um am Schluss wenigstens die These durchzusetzen, dass es auch anderwärts nicht besser ist als bei ihnen. Von diesem „Unentschieden“ in der ersten Runde kann dann leicht ein weiterer entsprechender Angriff gestartet werden. Überall dort, wo Debattierkunst, also das Ringen um den Sieg der eigenen Partei, unter dem Schein geführt wird, lediglich Beiträge zu einer unvoreingenommenen Diskussion zu geben, wirkt sie destruktiv. Für diesen Fall muss auch der Diskussionsleiter mit der Taktik der Debatte vertraut sein. Er muss versuchen, die Methode des Gegners zu erkennen und aufzudecken. Unter Umständen kann es ihm dann sogar gelingen, den Gegner durch Aufdeckung seiner Ablenkmanöver zu einem sachlichen Gespräch zu bringen. Die Form der Debatte kann außer zum Austrag gesellschaftlicher Spannungen auch zu pädagogischen Zwecken verwendet werden. Das gilt insbesondere dort, wo vor einer 19 uninteressierten Zuhörerschaft die Freude an einem geistigen Ringen erst zu wecken ist. Die Debatte ist also hier als eine Art Sport verwendet, der die Zuschauer dafür gewinnen will, selbst auf dem Spielfeld geistiger Auseinandersetzung aktiv zu werden. Auch zur schärferen Herausarbeitung unterschiedlicher Standpunkte, also zur Klarlegung bestehende Probleme, kann die Form der Debatte nützlich sein. Sie muss sich aber in dem Augenblick in eine Diskussion verwandeln, in dem der methodische und pädagogische Zweck der Debatte, die Herausarbeitung des Problems erfüllt ist. Danach geht es um die gemeinsame Lösung der gesellschaftlichen Probleme. Diese erfordert nicht eine Debatte, sondern eine Diskussion. Die Dienstbesprechung In den Organisationen der modernen Gesellschaft sind laufend Gruppengespräche zu führen, die eine Mischform der bisher abgehandelten Gesprächsstile darstellen. Diese Mischform entsteht dadurch, dass es sich nicht um eine Besprechung gleichberechtigter Gesprächspartner handelt. Es geht vielmehr darum, die bestehende Macht- und Vorgesetztenverhältnisse mit der Aufgabe der gemeinsamen Lösung gestellter Probleme zu verbinden. In jedem Gefüge der modernen Gesellschaft müssen Positionen gewahrt und mancherlei Rücksichten genommen werden. Ein völlig unbefangener, offenherziger Gedankenaustausch kann unter Umständen Menschen, die sich ohnedies in einer schwierigen Position befinden, zusätzlich in Schwierigkeiten bringen, ja sie in ihrer Position und Funktion gefährden. Solche Gespräche können darum nur dann Erfolg haben, wenn allen Beteiligten nicht nur das Recht zu reden, sondern auch aus besonderen Gründen zu schweigen, ja unter Umständen das Recht, einseitig Partei zu ergreifen, eingeräumt wird. Wenn zum Beispiel in einer solchen Diskussion sich Kritik auf bestimmte Personen oder auf bestimmte Missstände richtet, kann es notwendig sein, die Gesprächsgegenstände, obwohl sie für das Thema wichtig sind, von der Tagesordnung abzusetzen. Eine solche Maßnahme ist dann richtig, wenn durch eine solche Erörterung nichts verbessert werden kann. Beim Zusammenspiel verschiedener Arbeitsgruppen einer gesellschaftlichen Einheit (zum Beispiel eines Betriebes) vertreten diese Gruppen immer auch in einem gewissen Umfang ein berechtigtes Eigeninteresse. Das kann zur Aufrechterhaltung ihrer Funktion erforderlich sein. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 20 Sowohl die Geschäftsleitung als auch eine nachgeordnete Arbeitseinheit kann in gewissem Umfang ein berechtigtes Interesse haben, sich nicht in die Karten sehen zu lassen. Das steht im Widerspruch zur Diskussionsbereitschaft. Wer ein Gespräch führt und, statt gemeinsam die Wahrheit zu sagen, Interessen vertritt oder seine Karten verdeckt, diskutiert nicht. Er debattiert. Dieselben Gesprächspartner wollen aber gleichzeitig in einem gemeinsamen Denkprozess Fragen lösen, die ihnen gemeinsam gestellt sind. Folglich müssen ihre Vertreter zugleich miteinander diskutieren, aufeinander hören und so zu gemeinsamen Lösungen kommen, indem jeder seinen Beitrag gibt. Bei der Dienstbesprechung ist zweierlei gleichzeitig erforderlich. Einerseits müssen die bestehenden Machtstrukturen und Zuständigkeiten und die damit verbundene Wahrung berechtigter Interessen anerkannt werden. Zugleich ist ein wachsendes Maß an gegenseitiger Hörbereitschaft und Offenheit anzustreben. Die fruchtbare Mitarbeit an einer Dienstbesprechung erfordert die Bereitschaft, in einer Spannung zu leben, die nie vollständig zu überwinden ist, sondern zum Wesen dieser Welt gehört. Liebe und Macht, Taktik und Wahrhaftigkeit, Über- bzw. Unterordnung und menschliche Gleichachtung müssen hier miteinander verbunden werden. Gleichzeitig gilt es aber, sich bei dieser Spannung nicht zu beruhigen, sondern durch eine fortlaufende Verbesserung der Zusammenarbeit immer mehr die Möglichkeit zu unbefangenen Diskussionen zu schaffen. Für den Leiter einer Dienstbesprechung kommt es besonders darauf an, dass er gleichermaßen seine Funktion als Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Vorgesetzter wie auch seine Funktion als Helfer zu einem vertrauensvollen Gespräch wahrnimmt. Für die Lösung dieser Aufgabe ist es vor allem von Bedeutung, dass er seinen eigenen Gesprächsbeiträge in der richtigen Form und an der richtigen Stelle einbringt. Gibt er seine eigene Auffassung zu früh oder mit zu starkem autoritativem Gewicht bekannt, ist die Folge, dass er die von ihm erhofften Gesprächsbeiträge seiner Mitarbeiter nur so weit bekommt, als sie mit seinen eigenen Auffassung übereinstimmen. Der eigentliche Zweck einer Dienstbesprechung besteht aber gerade darin, die Entscheidungen des Leiters erst vorzubereiten und ihm möglichst alle Gesichtspunkte zur Kenntnis zu bringen, die dafür wichtig sind. Eine Entmutigung nachgeordneter Mitarbeiter im Vorbringen von Bedenken ist daher für die Sache äußerst schädlich. Die Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass sie mit ihren Beiträgen, auch wenn sie Kritik enthalten, willkommen sind. Reagiert der Leiter empfindlich auf solche Beiträge und gibt er außerdem seine eigenen Vorschläge zu früh bekannt, so entsteht unter den Mitarbeitern leicht die Befürchtung, dass sie ihrer eigenen Stellung schaden, wenn sie ihre wahre Meinung enthüllen. Der Leiter hat dann nach der Besprechung das Gefühl, es sei eine einheitliche Willensbildung zustande gekommen, während seine Mitarbeiter mit grimmigem Humor darauf warten, bis der Chef mit seinen Plänen aufläuft. Es wird Fälle geben, in denen der Leiter sich fürchtet, seinen Mitarbeitern offen seine Meinung und Absichten bekannt zu geben. Vielleicht fühlt er sich in der Dienstbesprechung der Redegewandtheit einzelner nicht gewachsen oder er hat das Gefühl, sich bei einer Aussprache in die Hände eines oppositionellen Blocks zu begeben. 21 Solche Lagen sind meist die Folgen früherer Fehler. Der Leiter hat die Zügel schleifen lassen, andere haben sie ergriffen und lassen sie sich nicht so leicht aus der Hand nehmen. Oder der Leiter hat alles Letztlich allein entschieden und die Mitarbeiter fühlen sich nicht ernst genommen. So opponieren sie gemeinsam, sobald sich dazu eine Gelegenheit ergibt. In Folge fühlt sich der Leiter immer mehr genötigt, einsame Entschlüsse zu fassen, und erklärt seinerseits alle Dienstbesprechungen für „Quasselei“. In einer solchen Lage kommt es in erster Linie darauf an, wieder Vertrauen zwischen den Beteiligten herzustellen und zugleich alle Mitarbeiter für die Anerkennung der notwendigen Vorgesetztenfunktionen zu gewinnen. Das kann durch Einzel- oder Gruppengespräche geschehen. In vielen Fällen ist die Einschaltung einer neutralen Gesprächsleitung, eines Betriebspsychologen oder sonst eines Beraters angezeigt. Dienstbesprechungen müssen geführt werden, ohne jedoch wesentliche Einwendungen zu unterdrücken. Die aktiven Teilnehmer müssen das Gefühl bekommen, dass man vorankommt, dass nicht unnötig Zeit vergeudet wird und dass als Folge der Besprechung etwas geschieht. Vor Abschließung jedes Besprechungspunktes muss der Leiter auf eine Entscheidung hinarbeiten, indem er die Meinungen zusammenfasst und Anträge – sei es durch eigene Stellungnahme oder durch Abstimmung – zur Entscheidung bringt. Durch Einbringung geeigneter Kompromissformeln sollte er vorher nach Möglichkeit versuchen, die Teilnehmer zu einmütigen Entschließungen zu bringen. Möglichst jeder sollte, auch wenn er mit seiner Auffassung nicht durchgekommen ist, das Gefühl behalten, dass seine Beiträge von Einfluss auf die Entscheidung des Ganzen sind. Von wesentlicher Bedeutung bei Dienstbesprechungen ist ihre solide Vorbereitung Es muss den verantwortlichen Beteiligten durch Zustellung einer klar formulierten Tagesordnung die Gelegenheit zur vorherigen Überlegung der anstehenden Fragen gegeben werden. Es müssen Voruntersuchungen angestellt und sonstiges Material zur Urteilsbildung beschafft werden. Der Leiter muss sich in allen wichtigen Punkten vorher durch Einzelbesprechungen ins Bild setzen lassen. Andernfalls wird er durch Sachkenner in der Dienstbesprechung überrollt oder bleibt an wesentlichen Punkten hängen. So wird seine Autorität gefährdet. Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 22 Deutschlands erstes Institut für Rhetorik und Kommunikation, gegründet 1960 Zienterra® Institut für Rhetorik und Kommunikation® Studio und Trainingspark Landhaus im Neuen Park Alfred-Rademacher-Str. 2 D 53332 Bornheim bei Bonn Dependance Berlin Clausewitzstr. 8 D-10629 BerlinCharlottenburg Tel +49 (0)2222 . 91170 Tel +49 (0) 30 . 86 423 423 [email protected] Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 23
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