Verschiedene Gesprächsformen: Ein Überblick

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Ratgeber:
Verschiedene Gesprächsformen:
Ein Überblick
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 1 Verschiedene Gesprächsformen – Ein Überblick
von Günter Zienterra
Inhalt
Die Gesprächskunst entscheidet - Geschichtliche Formen des Gesprächs
Seite 3
Das Streitgespräch
Seite 4
Das Lehrgespräch
Seite 6
Das Orientierungs- und Klärungsgespräch
Seite 8
Der Erfahrungsaustausch
Seite 9
Die Vortragsdiskussion
Seite 12
Das Rundgespräch
Seite 14
Die Podiumsdiskussion
Seite 15
Das Forum
Seite 16
Die Debatte
Seite 17
Die Dienstbesprechung
Seite 21
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Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 2 Die Gesprächskunst entscheidet Geschichtliche Formen des
Gesprächs
In unseren Gesprächen, unseren Reden,
drücken wir uns selbst aus, bringen wir uns
selbst zur Darstellung, werden wir erkannt
und kommen wir zur Selbsterkenntnis.
Zusammenarbeit und
Verständigung ist heute
unerlässlich
Unter Menschen, die die Kunst der
Verständigung noch nicht richtig gelernt
haben, ist der einzige Weg zur
Zusammenarbeit der Weg über die Macht.
Die Fähigkeit einzelner, andere zum Objekt
ihres Willens zu machen, wurde auf dem
Gebiet der Wirtschaft, der Politik, ja sogar
des Geisteslebens in den vergangenen
Jahrzehnten zu dem Mittel des Erfolges
mächtiger Personen. Sie versuchten, die
Probleme unserer Zeit mit den Mitteln der
Machtzusammenballung und der
gewaltsamen Herstellung einer Kooperation
zu lösen.
Das geschah nicht immer nur aus Machtgier
einzelner wirtschaftlicher oder politischer
Gewaltmenschen, die danach strebten, dass
andere nichts und sie allein alles zu sagen
hatten.
Machtanhäufungen entstehen oft auch aus
der notwendigen Erfahrung, dass man zu
nichts kommt, wenn alles
durcheinanderschwatzt.
Wo man nicht gelernt hat, sich im
gemeinsamen zielführenden Gespräch zu
verständigen, ist zur Führung nur der fähig,
der imstande ist, sich gegen die anderen
durchzusetzen und sie dem eigenen Willen
dienstbar zu machen.
Viele führende Frauen und Männer der
Wirtschaft, der Politik, ja sogar der
Gewerkschaftsbewegungen und der Kirchen
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com glauben heute noch, dass diese Erfahrung
gültig ist, auch wenn sie sich nicht öffentlich
zu ihr bekennen. In der jüngeren Generation
wächst aber mehr und mehr die Erkenntnis
heran, dass die Lösung der modernen
Führungsaufgaben mit dem Mittel der Macht
allein eine Scheinlösung ist.
Die Macht steht auf tönernen
Füßen, weil sie die Wirklichkeit des
Lebens verkennt
Wo immer der Mensch durch die
menschliche Gemeinschaft in eine
Objektstellung gedrängt, seiner individuellen
Freiheit und Verantwortung beraubt und
dem Gesetz der funktionalen Rationalität
unterworfen wird, sind schwere seelische
und soziale Störungen die Folge.
Aus diesen Gründen erweist sich der „Herrim-Haus-Standpunkt“ in der Industrie, aber
auch der Führer- und Beamtenstaat in der
Politik, die Disziplinmethode in der Schule
und das Redemonopol der Pastoren in der
Kirche trotz aller anfänglichen Vorurteile als
ein Verhängnis.
Der Mensch muss sich zu einer
persönlichen, verantwortlichen,
mitdenkenden, mit handelnden Person
entfalten können.
Er muss ein Einzelner werden, aber nun
nicht eine Einzelner in der Vereinzelung
individueller Leistung, sondern eine
Einzelner im freien Zusammenspiel der
Gemeinschaft. Darum ist die Kunst der
Gesprächsführung nicht nur eine der vielen
nützlichen Praktiken, die die Menschen
heute für die Ordnung ihres
Zusammenlebens entwickelt haben.
Sie ist geradezu eine Voraussetzung dafür
geworden, dass die in Gruppen eng
zusammenwirkenden Menschen
Persönlichkeiten bleiben und davor bewahrt
werden, lebendig passive Träger fremden
Willens zu sein.
3 Es ist darum unbegreiflich, dass man in
Deutschland im Unterschied zu den Ländern
der angelsächsischen Welt die Pflege des
Gruppengesprächs und die Erforschung
seiner methodischen Gesetze fast völlig
vernachlässigt hat.
Zu solcher Arbeit sollen die folgenden Zeilen
anregen.
Das Streitgespräch
Die älteste geprägte Form der Diskussion,
die uns bekannt ist, ist die des geistigen
Wettkampfes. Sie wurde von den Griechen
ausgebildet in der Schule der Sophisten.
Dort lernte man die Kunst, in Rede und
Gegenrede sein Recht in der
Bürgerversammlung zu verteidigen.
Das Ziel des Streitgespräches ist also die
Selbstbehauptung.
Die Aufgabe einer Verständigung mit dem
Gegner und eine gemeinsame Gewinnung
neuer Erkenntnisse, die wir heute mit einer
fruchtbaren Diskussion verbinden, ist im
Streitgespräch noch nicht klar erfasst.
Das schließt zwar nicht aus, dass auch bei
diesen Gesprächen, solange sie sachlich
geführt wurden, tatsächlich neue
Erkenntnisse gewonnen und in vielen Fällen
ein Ausgleich der Begriffe, Meinungen und
Interessen erzielt wurden. Aber letzten
Endes kam es bei dieser „Dialektik“ doch in
erster Linie darauf an, den Gegner aus dem
Sattel zu heben.
Am deutlichsten wird das in dem Titel, den
der große Sophist Protagoras seinem
Lehrbuch der dialektischen Redekunst
gegeben hat. Es heißt: „Die
niederschlagende Rede“. Auch die
Disputationen, die in den hohen Schulen des
Mittelalters gepflegt wurden, verliefen in der
Form des Streitgesprächs.
Schon Abälard (1079 bis 1142) hatte mit
seiner Schrift „Sic et non“ (Ja und nein) die
dialektische Methode wieder in die
wissenschaftliche Arbeit eingeführt. Der
scharfsinnige Geist Abälards versuchte mit
dieser Methode die Widersprüche in der
kirchlichen Tradition dadurch zu erklären,
dass er sie aufdeckte und zur Diskussion
stellte.
In der Folgezeit wurde das Streitgespräch zu
einer festen Tradition auf den Universitäten
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 4 des späten Mittelalters. Es bestand in der
Begegnung von zwei Parteien, die jeweils
von einem Magister angeführt wurden. Diese
wurden von ihren Bakkalauren in dem
geistigen Zweikampf unterstützt.
Es wurden Thesen und Gegenthesen
aufgestellt und im Verlauf des Gesprächs
bestritten und verteidigt.
Ein dritter Magister hatte die Aufgabe der
determinatio. Seine Funktion stellte ein
Mittelding zwischen einem Schiedsrichter
und einem modernen Diskussionsleiter dar.
Er sorgte für einen ordnungsgemäßen
Verlauf der Diskussion, für Begrenzung der
Thematik und für Klarstellung der Begriffe.
Reste solcher akademischer Streitgespräche
haben sich bis in unsere Tage in den
öffentlichen Disputationen erhalten, die
mancherorts noch bei Doktorprüfungen oder
im Rahmen von Habilitationsvorlesungen
stattfinden. Sie unterscheiden sich von
modernen Diskussionen vor allem dadurch,
dass sie nicht von einem zu klärenden
Problem, einer zu lösenden Aufgabe,
sondern von Thesen ausgehen.
Die Gesprächspartner tragen gleichsam die
mittelalterliche Rüstung ihrer mitgebrachten
Denksysteme und sind gewappnet mit
Pfeilen stoßweise beigebrachter
Literaturbelege.
In der Blütezeit dieser Disputationen, in den
ersten Jahrhunderten der europäischen
Universitäten, trugen sie Wesentliches zur
Entfaltung der abendländischen Wirtschaft
und ihrer Erkenntnisse bei.
Das geschah, solange der gemeinsame
Wille, Erkenntnisse zu gewinnen, den Willen,
in der Disputation Sieger zu bleiben, in
Schranken hielt.
Noch Erasmus konnte darum in seiner
Maxime sagen:
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Aus der Diskussion verschiedener
Meinungen heraus wird die
Wahrheit ans Licht gebracht.
Die kämpferische Anlage der
mittelalterlichen Disputation mit
vorgefassten, in Thesen formulierten
Meinungen ließ aber mehr und mehr die
Selbstbehauptung der Disputanten zum
bestimmten Ziel der Disputierenden werden.
Die Gefahr dieser Disputation bestand
naturgemäß darin, dass die
Gesprächspartner nur so weit aufeinander
eingingen, als zur Widerlegung des anderen
notwendig und zweckmäßig war.
Die Taktik einer erfolgreichen
Gesprächskunst wurde von der
mittelalterlichen Gesprächstechnik mit
folgenden Ratschlägen beschrieben:
„nil concede, nega parum, distingue
frequenter“
(Gib keine Irrtümer zu, lass das beiseite,
worin die Meinungen übereinstimmen, und
mache häufige Unterscheidungen in der
Begriffsbildung).
Es ging ja um den Sieg im geistigen Turnier,
um die Niederringung des Gegners. Die
Möglichkeit, bei diesem Turnier zu neuen,
gemeinsamen Erkenntnissen vorzustoßen,
war zwar nicht ausgeschlossen. Da sie aber
nicht das methodische Ziel bildete, verlor
sich das Gespräch häufig in unfruchtbaren
Begriffsspaltereien. Es blieb mehr und mehr
im Gedanklichen stecken.
Vielleicht ist aus dieser Gesprächsmethode
die Wortbildung „Auseinandersetzung“
entstanden. Auf alle Fälle leitet diese
Gesprächsmethode gerade nicht zur
Vereinigung in gemeinsamen Erkenntnissen,
sondern eher zum Gegenteil an.
Das hat sich im Ganzen abendländischen
Geistesleben bis hinein in die
5 Kirchengeschichte und in die innersten
Bezirke des religiösen Lebens ausgewirkt.
Zweifellos wird das Streitgespräch immer
seine Bedeutung behalten, wo als Ziel des
Gesprächs nicht die Verständigung, sondern
die Behauptung gegenüber einem Gegner
angestrebt werden muss.
Hier ist zunächst festzustellen, dass die
Verwendung der alten Form des
Streitgespräches auf dem Gebiet der
wissenschaftlichen Forschung, der religiösen
Klärung und der Gruppenverständigung zu
Fehlentwicklungen geführt hat, die in der
modernen Gesprächskunst erkannt wurden
und zu überwinden sind.
Das Lehrgespräch
Das Lehrgespräch hat sich sowohl bei den
Griechen als auch im Bildungswesen der
Neuzeit im Gegensatz zum Streitgespräch
entwickelt. Das Lehrgespräch verfolgt das
Ziel, den Gesprächspartner nicht zum
Schweigen, sondern zum Reden zu bringen.
Der von Hause aus unterlegene
Gesprächsteil wird nicht niedergeschlagen,
sondern im Gegenteil künstlich
hervorgehoben.
Der Überlegene spielt den Unwissenden und
fragt den anderen, als wäre er ein Wissender
(Sokratische Ironie). Das Ziel dieses
Gespräches ist nicht die Besiegung des
Partners, sondern seine Gewinnung für eine
neue Erkenntnis. Es soll nicht von fremden
Anschauungen überwältigt werden. Es geht
um die Weckung der in ihrem selbst noch
schlummernden, ungeborenen Erkenntnisse.
Zur Geburt dieser schlummernden
Erkenntnisse kommt es freilich auf dem
Umweg über die Einsicht des Belehrten in
sein eigenes Nichtwissen. Diese Einsicht soll
als Vakuum wirken und die Begierde
wecken, von dem Wissenden eine Belehrung
anzunehmen.
Der Fortschritt vom Streitgespräch zum
Lehrgespräch, der erstmalig von Sokrates
gegenüber seinen sophistischen
Lehrmeistern und Gegnern erreicht wurde,
besteht darin, dass eine echte
Aufgeschlossenheit für eine neue
Wahrheitserkenntnis entsteht. Der in seiner
Position gefährdete Gesprächspartner
verfällt nicht mehr der Versuchung, sich zur
Rettung seines Ansehens durch taktische
Kniffe der Wahrheit zu verschließen oder das
Gespräch abzubrechen. Er wird vielmehr für
eine echte Selbstbestimmung gewonnen.
Trotzdem liegt auch hier keine echte
Diskussion vor. Die Methode des
Lehrgesprächs ist zwar hilfreich, wo es
darum geht, einen lehrenden Wissensstoff
an Lernende zu vermitteln und ihn
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 6 verständlich zu machen. Ganz allgemein ist
das Lehrgespräch angebracht bei Kindern
bzw. Jugendlichen und bei solchen
Menschen, die noch nicht zu
selbstständigem Denken erwacht sind.
Auch bei ihnen sollte man freilich das
„Herauskatechesieren“ bestimmter Begriffe
noch nicht für die Gewinnung echter
Erkenntnisse halten.
Sicher ist, dass viele Katechten, die unter
Jugendlichen erfolgreich sind, völlig
versagen, sobald sie ihre Methode des
Lehrgesprächs an solchen Menschen
versuchen, die schon selbstständige
Menschen sind oder sein wollen.
Bemerkenswert ist das Versagen vieler guter
Religionslehrer, sobald sie an Höheren
Schulen oder an Berufsschulen unterrichten
sollen. Die einseitige Festlegung der
Methode des religiösen Unterrichts auf das
Lehrgespräch ist eine entscheidende
Ursache für die Tatsache, dass die Kirche
den größten Teil ihrer jungen Glieder in dem
Zeitpunkt verlieren, in dem diese zu eigenem
Denken erwachen und beruflich auf eigenen
Füßen stehen.
Die Grenzen des Lehrgesprächs liegen darin,
dass hier keine echte Fragen, sondern
Scheinfragen gestellt werden.
Der Frager weiß die Antwort vorher, und die
Kunst besteht gerade darin, so zu fragen,
dass nur eine Antwort möglich und richtig ist.
Er steht nicht im Kreis, sondern über dem
Kreis der miteinander Redenden.
dann die Aufgabe zufällt, das Gespräch
wieder in Gang zu bringen. In vielen Fällen
wird er das dadurch versuchen, dass er
selber eine Frage in die Debatte wirft. Sobald
diese Fragen unechte, „lehrerhafte“ Fragen
sind, bringen sie die Diskussion nicht in
Gang, sondern töten sie ab.
Das Abgleiten ins Lehrgespräch muss also
im Rahmen einer modernen Diskussion als
ein ausgesprochener Kunstfehler bezeichnet
werden.
Aus diesem Grund führt auch diese Methode
nicht zur Diskussion, es sei denn, der
Lehrende sei bewusst bereit, sich von seinen
Schülern „aus dem Konzept bringen“ und
sich in eine unechte Diskussion verwickeln
zu lassen. Damit verlässt er aber die
Methode des Lehrgesprächs und dessen
festgelegte Zielsetzung.
Diese behält zwar seine Bedeutung als
Unterrichtsmethode zur Aufschließung der
Lernbereitschaft unter den Schülern. Das,
was in der modernen Diskussion erstrebt
wird, echte Zusammenarbeit, gegenseitige
Verständigung, Eingliederung der
Schwachen und der Starken in eine
Diskussionsgemeinschaft zu Erarbeitung
einer gemeinsamen Erkenntnis, wird nicht
erreicht. Es wird hier keine Gemeinschaft,
sondern eher eine Art Jüngerschaft
hergestellt.
Das Lehrgespräch verfolgt ein
vorher festgelegtes Unterrichtsziel
Dass das Lehrgespräch kein echtes
Gespräch ist, weiß jeder, der sich schon
einmal in der Kunst der modernen
Diskussionsleitung versucht hat.
Es kommt immer wieder vor, dass auch eine
echte Diskussion lustlos wird und dem Leiter
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 7 Das Orientierungs- und
Klärungsgespräch
Eine völlig neue Art des Gesprächs, die von
entscheidendem Einfluss auf alle Formen
menschlicher Gesprächskunst geworden ist,
entstand unter der Einwirkung des
christlichen Glaubens.
Es handelt sich dabei weder um ein
Streitgespräch, noch um ein Lehrgespräch,
sondern um eine personale Begegnung.
Diese Gesprächsart ist nicht nur von
religiöser, sondern von allgemeiner
Bedeutung für die Verständigung unter
Menschen, weil hier der entscheidende
Nachdruck auf die Kunst und die Gabe des
Zuhörens gelegt wird.
Wo, wie im Coaching, eine personal
Begegnung der Gesprächspartner erfolgt,
wird nicht vom Lehrer festgelegt, was er zu
hören wünscht, wie im Lehrgespräch. Erst
recht wird nicht nur das gehört und
aufgegriffen, was zum Ausgangspunkt einer
Widerlegung des Gesprächspartners benutzt
werden kann wie im Streitgespräch.
Die Voraussetzung des Orientierungs- und
Klärungsgesprächs besteht vielmehr in der
echten Hörbereitschaft. Offenheit, ja
Solidarität des einen mit dem anderen. Es
geht hier zunächst auch gar nicht um die
Gewinnung oder Verteidigung von
Erkenntnissen, sondern um gegenseitiges
Verstehen, um das Aufeinandereingehen.
Die Voraussetzung solcher
Verständigungsbereitschaft ist die
Überwindung der Selbstgerechtigkeit im
sittlichen und intellektuellen Sinn bei beiden
Gesprächspartnern. Der andere soll weder
moralisch bekehrt, noch mit Argumenten
überzeugt werden.
Diese Solidarität in der Fragestellung, dieses
liebende Eingehen auf das Anliegen des
anderen, dieses Bemühen, die Gedanken
des anderen womöglich noch besser zu
verstehen und auszudrücken als er selbst,
ist in Wirklichkeit nicht nur eine
Eigentümlichkeit des Coachinggesprächs. Es
ist die Voraussetzung des menschlichen
Gesprächs überhaupt.
Die Kunst des Zuhörens ist ein
entscheidender Schritt in der
Geschichte der Gesprächskunst
Das Orientierungs- und Klärungsgespräch
führt aber noch zu einer zweiten Erkenntnis,
die von allgemeiner Bedeutung ist.
Wo das Coachinggespräch im echten Sinne
geübt wird, ist auch der Coach von der
Erkenntnis beherrscht, dass er über eine
Antwort auf die Frage des anderen nicht
selbst verfügt, sondern sie mit ihm
gemeinsam suchen und empfangen muss.
Echte Orientierungs- und Klärungsgespräche
bestehen in der Kunst oder, besser gesagt,
in der Gabe der Solidarität eines
gemeinsamen Fragens nach der Wahrheit
und nach dem richtigen Weg.
Ein Coach wird sich freilich niemals nur als
menschlicher Gesprächspartner eines
anderen, sondern zugleich als Bote der
Wahrheit ihm gegenüber fühlen. Aber seine
Botschaft besteht eben gerade nicht im
Dienst eines Weisen an einem Unweisen. Sie
erschöpft sich nicht in dem Vortrag
philosophischer Lehrsätze, dogmatischer
Überzeugungen oder sittlicher
Verhaltensweisen. Beide Gesprächspartner
gewinnen ihre Erkenntnis nicht dadurch,
dass nur einer dem anderen zuhört, sondern
dass beide gemeinsam eine neue Erkenntnis
und Weisung geschenkt bekommen.
Es soll vielmehr zunächst einfach eine Frage,
Verlegenheit oder Not verstanden und
gemeinsam getragen werden.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 8 Der Erfahrungsaustausch
Der Erfahrungsaustausch ist die
vorherrschende Form des Gespräches in den
angelsächsischen Ländern, vor allem in
Amerika. Dabei ist bemerkenswert, dass in
den Bildungsstätten der amerikanischen
Welt die Pflege der Gesprächskunst nicht
wie in Europa abgestorben ist, sondern
gerade neuerdings zu immer größerer Blüte
entfaltet wurde.
Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass
die dortige Gesprächskunst nicht so sehr die
Behauptung eigener Standpunkte im
Streitgespräch oder die Belehrung geistig
Unmündiger in der Veranstaltung von
Scheingesprächen erstrebt, als vielmehr ein
gegenseitiges Geben und Nehmen der
Gesprächspartner.
Die angelsächsische Gesprächskunst
entsteht aus dem Wunsch, die inneren und
äußeren Erfahrungen der Menschen
miteinander zu vergleichen, um einen
höchstmöglichen Grad von Zuverlässigkeit
und Gültigkeit der gemachten Erfahrungen
zu erreichen.
Das Gespräch dreht sich hier im
Wesentlichen ganz einfach um die
Beantwortung der Frage „What to do?“ Es ist
die Frage nach dem richtigen und
zweckmäßigen Handeln.
In der alten Tradition dieser Gesprächskunst
ist nicht nur der nüchterne Realismus der
Angelsachsen, sondern vor allem die
bessere Funktionsfähigkeit ihrer politischen
Organisationen begründet. Die eigensinnige
Behauptung eines Standpunktes und die
mangelnde Bereitschaft zum Austausch der
eigenen Erfahrungen und Auffassungen gilt
dort ganz einfach als Zeichen der Unbildung.
Die Pflege und die systematische Erziehung
zur Gesprächskunst ist in der
angelsächsischen Welt wohl die stärkste
geistige Abwehrkraft gegen ideologische
Verkrampfungen, die in Europa immer
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com wieder die politische Welt bedrohen. Der
Angelsachse wird in dieser Gesprächskultur
vor allem zu der Kompromissbereitschaft
erzogen, die für das poltische
Zusammenleben in der Demokratie
unerlässlich ist. „To compromise“ gilt dort
direkt als der Weg zum Auffinden der
Wahrheit und zur Lösung sonstiger vom
Leben gestellter Probleme.
In der europäischen Welt, vor allem in
Deutschland, werden dagegen Leute, die
„Kompromisse“ machen, als solche
angesehen, die die Wahrheit und ihr
Gewissen verraten oder die überhaupt
keinen Standpunkt haben.
Tatsächlich liegen in Europa und Amerika
zwei verschiedene Denkwege vor, die zum
Schaden dieser beiden Teile voneinander
isoliert und in Gegensatz gestellt werden.
Der kontinuierliche Europäer sucht immer
zuerst einen Grundsatz aufzustellen, aus
dem er dann Schlüsse auf die Wirklichkeit
zieht. Das führt zu einer ernsten Gefahr.
Wo die Vertreter verschiedener Grundsätze
nicht bereit sind, ihre Prinzipien immer von
neuem durch die Wirklichkeit des Lebens in
Frage stellen zu lassen, wird ein
gemeinsames Handeln unmöglich. Das
wirkliche Leben wird vergewaltigt. Diesem
deduktiven Weg des europäischen Denkens
steht der induktive Weg des Angelsachsen,
insbesondere des Amerikaners, gegenüber,
der zunächst eine möglichst große Zahl von
Erfahrungen sammelt, die er im
Erfahrungsaustausch abklärt, um daraus die
Grundsätze des gemeinsamen Handelns
abzuleiten.
Wo dieser Weg der Wahrheitsfindung sich
nicht mehr nach unverrückbaren
Grundaussagen des Gewissens, der Vernunft
und des Glaubens ausrichtet, bleibt er an
der Oberfläche und verliert jede geistige
Kontinuität.
9 Das wird noch deutlicher, wenn wir die
geistlichen und religiösen Wurzeln der
Gesprächsführung ins Auge fassen, die in
diesen beiden Teilen der abendländischen
Welt zu finden sind. Schon mit Melanchthon
traten im deutschen Protestantismus die
Denktraditionen der scholastischen
Theologie wieder mehr und mehr in den
Vordergrund. Die wissenschaftlich
begründete Deduktion der Wahrheit aus
vorgegebenen, unbezweifelbar
feststehenden Erkenntnisquellen der Schrift
und des Bekenntnisses wurde mehr und
mehr zum geistigen Fundament der
europäischen Kirche.
Der wissenschaftlich gebildete Diener am
Wort beherrscht mit seinem Redemonopol
die Kirche. Auch die rationalistischen
Nachfolger der Orthodoxie blieben bei der
Tradition. Sie setzten nur an die Stelle der
Offenbarung die Axiome der
Vernunfterkenntnis. Die religiöse Erkenntnis
Englands und Amerikas gingen weit mehr
von persönlichen und religiösen Erfahrungen
als von Lehrtraditionen oder heiligen
Schriften aus.
Franklin Littell hat darauf hingewiesen, dass
der englisch-amerikanische
Parlamentarismus seine Wurzel bei den
Independenten der Zeit Cromwells habe. Das
„innere“ Licht, die persönliche geistige
Einsicht, die dem einzelnen zu Teil wurde,
musste, um eine Gemeinschaft verbindlich
zu werden, im Austausch mit anderen
abgeklärt werden. Auch die
Erfahrungsreligiosität der Quäker sowie der
traditionslose Pragmatismus des
amerikanischen Siedlertums waren von
Bedeutung für die Entstehung der Methodik
des Erfahrungsaustausches.
Statt des kontinentaleuropäischen Weges
der wissenschaftlichen Deduktion bestritten
die Angelsachsen mehr den Weg der
Sammlung und Vergleichung verschiedener
Einsichten und Erfahrungen, deren Ergebnis
dann die Grundlage gemeinsamer
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Überzeugungen bildet. Noch heute spielt
dort die Vergleichung der Erleuchtungen, die
einzeln geschenkt sind, eine entscheidende
Rolle in vielen kirchlichen und weltlichen
Gemeinschaften. Die gemeinsam
abgehaltene „Stille Zeit“, wie sie etwa heute
in Kreisen der „moralischen Aufrüstung“
geübt wird, geht in gewissem Sinne auf diese
geistliche Tradition zurück.
Der geistliche Austausch, der hier gepflegt
wird, lässt ja ganz bewusst die Frage
verschiedenartiger Denk- und
Glaubensprinzipien beiseite, und schöpft
seine geistigen und ethischen Richtlinien
aus dem Schatz gemeinsamer innerer
Erfahrung.
Es ist eine Tragik des abendländischen
Protestantismus, dass der deduktive und der
induktive Erkenntnisweg, der Weg der
grundsätzlichen Besinnung und der
praktischen Glaubenserfahrung, das Denken
in Systemen und das Denken in Praktiken, ja
letztlich sogar die Frage: „Was ist wahr?“
und: „Was sollen wir tun?“ in solch
unheilvoller Weise auseinandergerissen
wurden. Auf diese Weise geriet die
europäische Glaubenswelt ins Abstrakte und
Historische, die amerikanisch ins Emotionale
und Pragmatische.
Die amerikanische Philosophie des
Pragmatismus ist eine Frucht dieser
Einsichten, die auch in der amerikanischen
Gesprächstechnik der Gegenwart spürbar
ist.
Dem Pragmatismus ist das wahr,
was wirksam ist
Darum verfolgt er das Ziel, in einem
gemeinsamen Austausch der Erfahrungen
die jeweils wirksame Methode zur
Erreichung irgendwelcher Zwecke ausfindig
zu machen.
Da hier die Wahrheit selbst zur „wirksamsten
Technik“ geworden ist, gewinnt auch das
Gespräch, dass der gemeinsamen Erfassung
10 einer Wahrheit dient, mehr und mehr den
Charakter eines rein technischen Vorgangs.
Dieser andersartige religiöse und
philosophische Hintergrund der
amerikanischen Gesprächskunst ist in erster
Linie die Ursache dafür, dass die
kontinentale Bildungswelt sich bisher fast
völlig dem Import amerikanischer
Forschungen auf dem Gebiet der
Gesprächskunst widersetzt hat.
Einzelne Pädagogen, die sich für
amerikanische Erkenntnisse offen zeigen,
sind fast durchweg selbst in den Bann des
amerikanischen Pragmatismus geraten.
Eine Fruchtbarmachung der amerikanischen
Gesprächskunst für die europäische
Bildungswelt wird davon abhängen, ob es
gelingt, die in Amerika mit großer Virtuosität
geübte Kunst des Erfahrungsaustausches
von ihren einseitigen religiösen und
philosophischen Voraussetzungen zu lösen
und in einer Begegnung zwischen
europäischen und amerikanischen
Denktraditionen fruchtbar zu machen.
Das ungelöste Problem der amerikanischen
Diskussionstechnik besteht in der Frage, wie
das Gespräch fruchtbar gestaltet werden
kann, wenn die gemachten Erfahrungen
ausgetauscht sind und die letzten
persönlichen Grundsatzfragen beginnen.
Es ist eine oft besprochene Tatsache, dass
große Entwicklungen häufig in europäischer
Grundlagenforschung begonnen und
hinterher in großzügiger amerikanischer
Erfahrungswissenschaft nutzbar gemacht
werden. Wir werden also in der Begegnung
zwischen Europa und Amerika nach
gemeinsamen Wegen der Gesprächskunst
suchen müssen. Wir brauchen sowohl die
technische Sachlichkeit einer Vergleichung
menschlicher Erfahrungen, wie die
leidenschaftliche Verteidigung und
Erforschung geistiger Grundlagen.
Die Offenheit einer echten Hörbereitschaft
für die persönliche Tiefe der menschlichen
Partner muss mit der Demut des
gemeinsamen Wartens auf das Geschenk
der Erkenntnis verbunden werden.
Es bedeutet viel für die Zukunft der
abendländischen Welt, ob es gelingt, aus
den verschiedenen Ansätzen und
Traditionen der Gesprächskunst, die im Lauf
ihrer geschichtlichen Entwicklung
entstanden sind, eine höhere Einheit zu
entwickeln. Die Lösung vieler sozialer,
wissenschaftlicher und kirchlicher Probleme
wird davon abhängen.
Jeder Erfahrungsaustausch, der sich selbst
genug ist und vor der Frage nach letztlich
gültiger Wahrheit stehen bleibt, vermag zwar
manche wirksame Ergebnisse und ein
reibungsloses Funktionieren einer
technischen Arbeitsgemeinschaft zu
ermöglichen. Er vergisst aber die Tatsache,
dass die großen Fortschritte der Erkenntnis
fast immer nur dort gemacht werden, wo
eine Wahrheit um ihrer selbst und nicht um
ihres Effektes willen gesucht wird.
Die Gewinnung neuer Erkenntnisse wird nur
einer echten menschlichen Leidenschaft für
die Wahrheit zuteil, die nicht geblendet ist
von dem Blick auf Erfolg.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 11 Die Vortragsdiskussion
Viele Gespräche, die sich gemeinhin nach
Vorträgen abspielen, sollte man besser nicht
mit dem Wort „Diskussion“ bezeichnen. Oft
kommt es nämlich dem Publikum gar nicht
darauf an, die angeschnittenen Fragen im
eigenen Kreis zu diskutieren. Es sollen
vielmehr dem Redner bestimmte Fragen und
Einwände vorgelegt werden, um seine
Antwort zu hören. Solange Fragen im echten
Sinn „zur Diskussion“ gestellt werden, darf
niemandem eine beherrschende Rolle
eingeräumt werden, auch dem Vortragenden
nicht.
Das ist anders, sobald an Stelle der
Diskussion die Fragebeantwortung tritt, bei
der der Vortragende nicht in dem Kreis,
sondern ihm gegenüber steht, also eine
mehr oder weniger autoritative Stellung
einnimmt. In kleineren Versammlungen wird
man häufig den Weg wählen, zuerst eine
oder zwei Fragen gemeinsam zu diskutieren.
Anschließend gibt man dem Redner die
Gelegenheit, die noch offenen Fragen
abschließend zu beantworten.
Wo diese Mischform zwischen Diskussion
und Fragebeantwortung gewählt wird, muss
der Versammlungsleiter am Anfang des
Gesprächs in der Lage sein, die Hauptfragen,
die allgemeines Interesse beanspruchen
können, von den Nebenfragen zu
unterscheiden.
Das ist natürlich nicht möglich, wenn gleich
die erste Frage, die gestellt wird, zu einer
mehr oder minder planlosen Diskussion
führt. Die Teilnehmer müssen zuerst
aufgefordert werden, in Kürze anzugeben,
über welche Punkte gesprochen werden soll.
Nebenbei bemerkt hat das den Vorteil, dass
bei diesem Verfahren auch solche
Versammlungsteilnehmer
Diskussionsvorschläge machen, die wegen
ihrer Scheu vor öffentlichen Reden sonst
nicht dazu zu bringen sind, eine eigentliche
Diskussionsrede zu halten.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Nachdem der Leiter vor den Augen der
Teilnehmer die vorhandenen Fragen
gesammelt und notiert hat, wählt er eine
derselben für den Start der Diskussion aus
und fordert denjenigen Teilnehmer, der sie
angemeldet hat auf, sie ausführlich
darzulegen.
Anschließend wird das Gespräch über die
Frage freigegeben. Wenn diese Startfrage
richtig ausgewählt ist und ein
Zentralproblem anschneidet, werden meist
bei der sich daran anspinnenden Diskussion
viele der sonst noch gestellten Fragen
mitbehandelt werden. Die übrigen Punkte
der Fragensammlung, die nicht einbezogen
werden, bleiben bei der einseitigen
Beantwortung im Schlusswort des Redners
überlassen.
Während der eigentlichen Diskussion kann
sich der Vortragsredner genau wie jeder
andere Anwesende beteiligen. Er darf aber
erst zu Wort kommen, nachdem einige
andere gesprochen haben. Sonst besteht die
Gefahr, dass er die Diskussion an sich reißt
und mit seiner Autorität die übrigen
Teilnehmer erdrückt, ehe es überhaupt zu
einem echten Gespräch gekommen ist.
Bei größeren Vortragsveranstaltungen ist
eine echte Diskussion höchstens in Form
einer Podiumsdiskussion zwischen
ausgewählten Sprechern der Versammlung
möglich. Falls dieser Weg nicht gewählt wird,
muss man sich darauf beschränken, dem
Redner Fragen oder Einwände von
Versammlungsteilnehmern vorzulegen, die
dieser zu beantworten hat.
Nach schwer verständlichen Vorträgen sowie
in Versammlungen, die keine
Diskussionsübung haben, bereitet das
Ingangbringen der Wortmeldung besondere
Schwierigkeiten. Die wichtigste
Voraussetzung für das Gelingen dieser
Aufgabe liegt in der inneren Einstellung des
Leiters gegenüber der Versammlung. Er
muss sich innerlich auf die Seite der
Teilnehmer, insbesondere des unkundigen
12 Teils derselben, begeben. Deren Probleme
muss er gegenüber dem Redner zum Zug zu
bringen versuchen.
Das kann er durch eine allgemein
verständliche Zusammenfassung des
Vortrages mit anschließender
Herausstellung der Fragen, die ihm offen zu
sein scheinen. Er kann aber, falls die
Versammlung sich zunächst schweigend
verhält, auch selbst eine Frage stellen oder
von einem vorher beauftragten
Versammlungsteilnehmer stellen lassen.
Die erste Frage auf
Verständnishöhe und zum Interesse
des Publikums stellen
Wenn der Versammlungsleiter mit dem
Redner eine gelehrte Diskussion anfängt,
oder wenn er gar Fragen stellt, die vor dem
Redner und der Versammlung beweisen
sollen, dass er auch etwas von der Sache
versteht, hat er nicht nur eine bedenkliche
ethische Haltung eingenommen, sondern
auch einen schweren taktischen Fehler
gemacht.
Bei Massenversammlungen muss der Leiter
seinen ganzen persönlichen Einfluss darauf
verwenden, dass die Teilnehmer auch
gegnerische Äußerungen mit ruhiger
Sachlichkeit aufnehmen. Vor allem dann,
wenn die persönliche Einstellung des Leiters
der Versammlung bekannt ist, wird er gut
daran tun, den ersten gegnerischen
Diskussionsredner durch kleine
Freundlichkeiten auszuzeichnen, um die
eigene Unparteilichkeit herauszuheben.
Falls die Versammlung durch Zwischenrufe
oder durch Beifalls- und
Missfallenskundgebungen eine überwiegend
einseitige Stellungnahme kundgibt, hat der
Versammlungsleiter die unbedingte Pflicht,
die Minderheit gegen jede Art von geistigem
Druck zu schützen, auch wenn er selbst
gesinnungsmäßig bei der Mehrheit steht.
Sobald die Sachlichkeit der
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Auseinandersetzung durch derartige
Publikumsäußerungen gefährdet wird, sollte
er darum bitten, dass die Versammlung
solche Äußerungen unterlässt.
Hat er Schwierigkeiten, sich gegen einzelne
störende Elemente durchzusetzen, empfiehlt
es sich, vor disziplinaren Maßnahmen auf
irgendeine Weise die Zustimmung der
Versammlung zu dieser Maßnahme zu
bewirken. So wird der Verdacht beseitigt, der
Leiter wolle gegen den Willen der
Versammlung gewisse Stimmen nicht zu
Wort kommen lassen.
Wenn der Leiter über die Gabe des Humors
verfügt, können fast immer auch die
schwierigsten Situationen ohne solche
Maßnahmen bewältigt werden. Dies gilt vor
allem dann, wenn wegen der Fülle der
Wortmeldungen oder gegenüber lästigen
Dauerrednern die Redezeit beschränkt oder
gar einzelnen Rednern das Wort entzogen
werden muss.
Bei Versammlungen, in denen mit einer
großen Anzahl von Wortmeldungen zu
rechnen ist, kann die Form der gesteuerten
Fragenbesprechung angewandt werden. Die
Wortmeldungen werden hier schriftlich mit
Angabe des Namens und des beabsichtigten
Gesprächspunktes erbeten.
Während einer Pause zwischen Vortrag und
Aussprache werden die Diskussionsbeiträge
in bestimmte Zusammenhänge geordnet.
Dadurch kann zuweilen sogar nahezu eine
echte Diskussion erreicht werden. Vor allem
ist es bei diesen Verfahren leichter möglich,
eine bei großen Versammlungen oft
auftretende Gefahr auszuschalten: die
Schwätzer und Halbnarren. Sie besitzen da
in zu geringem Maß, was gewichtige
Versammlungsteilnehmer oft in zu großem
Umfang haben: die Hemmung vor
öffentlichen Reden.
Die Aufrichtung oder Beseitigung solcher
Hemmungen ist ein wichtiger und diskreter
Auftrag jedes Versammlungsleiters.
13 Das Rundgespräch
Das Rundgespräch ist die eigentliche
Grundform der Diskussion. Es ist ein
Gespräch um den runden Tisch, und darum
ist es am leichtesten in einem Kreis zu üben,
der etwa ein Dutzend Menschen umfasst.
Die Form des Rundgespräches kann aber
auch in etwas größeren Kreisen verwendet
werden, die bis zu sechzig und siebzig
Teilnehmer umfassen. Die äußere
Voraussetzung ist, dass sich die Teilnehmer
gegenseitig sehen können und möglichst im
Kreis sitzen.
Die Tendenz des Rundgespräches ist nicht
wie bei der Vortragsdiskussion die
Auseinandersetzung mit dem Redner,
sondern das gemeinsame Durchdenken
eines Problems mit dem Ziel einer
gegenseitigen Anregung und geistiger
Klärung.
Entscheidend beim Rundgespräch ist die
Atmosphäre, unter der es verläuft. Sie muss
ungezwungen, kameradschaftlich und frei
von eilfertiger Hast sein. Dies gilt
insbesondere für Rundgespräche, die dem
allgemeinen geistigen Austausch dienen.
Gespräche, die der Klärung geschäftlicher
Fragen dienen, sollen zügiger geführt
werden, jedoch nicht so, dass der langsamer
schaltende Teilnehmer das Gefühl erhält, die
Verhandlungspunkte würden
durchgepeitscht. Aber auch er erwartet bei
einer Geschäftssitzung vom Vorsitzenden
eine Führung, unter der etwas erledigt wird
und die tatkräftig zu Entscheidungen kommt.
Trotzdem muss der Leiter in jedem
Rundgespräch versuchen, soweit es die
Aufrechterhaltung der Geschäftsordnung
zulässt, in den Hintergrund zu treten und
den Teilnehmern das Gefühl zu geben, dass
nicht der Leiter, sondern die Mannschaft
„die Tore schießt“. Beim Rundgespräch im
kleinen Kreis sollte erreicht werden, dass
alle Teilnehmer sich wenigstens einmal
äußern.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Der Leiter braucht keine Sorge zu haben, es
könnte jemand beleidigt sein, wenn er
wegen zu häufigem und zu langem Reden in
der Rednerliste übergangen wird, sofern er
freundliche Formen anwendet, andere zu
ermutigen. Im Allgemeinen sind die robusten
Naturen, die selbst spüren, wo sie anderen
mit ihrem Reden im Wege sind, auch
verhältnismäßig hart im Nehmen, wenn sie
vom Leiter zur Gesprächsdisziplin ermahnt
werden. Natürlich hat das zur
Voraussetzung, dass der Leiter selbst das
Gespräch nicht an sich reißt. Er kommt
zuweilen in die Versuchung, die Möglichkeit,
sich selbst das Wort zu erteilen, zugunsten
seines Standpunktes auszunützen. Greift der
Leiter in eine im Fluss befindliche Diskussion
zu oft ein, so verdirbt er den Teilnehmern die
Lust am Gespräch und wird sie instinktiv
gegen seine Argumente einnehmen.
Der Leiter kann zwar gelegentlich die Rolle
eines Diskussionsteilnehmers einnehmen,
und sich am Gespräch mit einer eigenen
Stellungnahme beteiligen, aber keinesfalls
öfters als andere Gesprächsteilnehmer
auch. Er hat das auch gar nicht nötig, denn
er kann dafür sorgen, dass die ihm wichtigen
Gesichtspunkte im Gespräch bleiben und
dass Diskussionsredner, die Wesentliches zu
sagen haben, zu Wort kommen.
Er hat vor allem einen entscheidenden
Einfluss auf die Zusammenfassung der
einzelnen Gesprächsetappen und des
Gesprächsergebnisses. Je mehr er sich beim
Gespräch zurückgehalten hat, desto mehr
werden die Teilnehmer seinen Äußerungen
am Ende der Gesprächspunkte eine gewisse
autoritative Bedeutung zumessen.
In einem Kreis, der durch längere Zeit an
eine Gesprächsdisziplin gewöhnt ist, wird ein
Eingreifen des Leiters immer weniger
notwendig werden, weil die
Temperamentvollen selber merken, wenn ihr
zu häufiges Reden lästig fällt, und weil die
Zurückhaltenden Mut gewonnen haben, sich
zu äußern.
14 Die Podiumsdiskussion
Die Podiumsdiskussion verfolgt den Zweck,
vor einem größeren Personenkreis
gesprächsweise ein Thema zu entfalten. Den
Zuhörern sollen im Vergleich der
verschiedenen Gesichtspunkte Anregungen
zu einer eigenen Urteilsfindung gegeben
werden.
Eine Podiumsdiskussion will also nicht in
erster Linie den Gesprächspartner selbst,
sondern einem Zuhörerkreis zur Klärung
seiner Gedanken helfen. Trotzdem müssen
die bei der Podiumsdiskussion Mitwirkenden
nicht dem Publikum, sondern einander
zugeordnet sein. Sie müssen während des
Gesprächs den eigentlichen Zweck
desselben zu vergessen suchen und
dennoch für die Zuhörer verständlich reden.
Darin liegt die eigentliche Schwierigkeit
dieser Gesprächsart.
Zur Vorbereitung einer Podiumsdiskussion
gehört die Aufstellung einer Stuhlreihe im
Halbkreis, so dass die Teilnehmer sich
sehen können und doch gleichzeitig im
Publikum verstanden werden. Außerdem ist
eine Vorbesprechung unter den Teilnehmern
erforderlich, in der man die zu erörternden
Gesprächspunkte festlegt und sich über die
Startfrage einigt.
Hergehen des „Balles“ der Diskussion zu
beschleunigen.
Bei der Podiumsdiskussion ist eine
gewisse Dramatik und Leidenschaft
erwünscht
Der Leiter sollte daher von vornherein bei
der Auswahl der Gesprächspartner dafür
sorgen, dass gegensätzliche Standpunkte
oder Interessen aufeinander treffen. Wenn
die Podiumsdiskussion den Höhepunkt
erreicht hat, kann man dazu übergehen, das
Publikum selber an dem Gespräch zu
beteiligen, am besten in der Weise, dass
Redner aus dem Publikum und Teilnehmer
des Podiums sich als Sprecher abwechseln.
Damit geht die Podiumsdiskussion über in
die Form des Forums, von dem im nächsten
Abschnitt zu reden sein wird.
Die Podiumsdiskussion wird in der Regel
dadurch abgeschlossen, dass der Leiter alle
im Podium sitzenden Teilnehmer auffordert,
dem Publikum eine abschließende
Darlegung ihrer Auffassung vorzutragen.
Diese muss so gestellt sein, dass die
Gesprächspartner daran entzündet werden
und zugleich das Interesse der Zuhörer
geweckt wird.
Inhaltlich verläuft eine Podiumsdiskussion
ähnlich wie ein Rundgespräch.
Sie geht jedoch unter dem erschwerenden
Umstand vor sich, dass die
Gesprächsteilnehmer ständig versucht sind,
statt in knappen Entgegnungen miteinander
zu sprechen lange Reden an das Volk zu
halten. Wo das geschieht, darf der Leiter
ruhig dem Redner durch einen Einwand ins
Wort fallen, um das lebendige Hin- und
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 15 Das Forum
Auch im sogenannten Forum sitzt eine
Mannschaft von etwa fünf bis acht
Teilnehmern im Podium, aber sie sind von
vornherein nicht miteinander im Gespräch,
sondern geben abwechslungsweise auf
Fragen Antwort, die aus dem Publikum
gestellt werden. Es handelt sich hier also um
keine eigentliche Diskussion, sondern um
eine Fragebesprechung mit wechselnden
Antwortgebern.
Man verwendet diese Form des Gesprächs,
wenn eine Gruppe von Experten, etwa das
Kollegium einer Behörde oder eine Gruppe
leitender Männer/Frauen des Schulwesens,
der Kirche oder eines
Industrieunternehmens zu einem
bestimmten Fragegebiet Auskunft geben
soll.
Das Ziel solcher Versammlungen besteht in
der Herstellung einer Verbindung zwischen
dem breiten Kreis der Bürgerschaft
einerseits und maßgeblichen Männern und
Frauen bestimmter Lebensgebiete
andererseits.
vornherein zu einer Entkrampfung
menschlicher Beziehungen und zu einer
Überwindung bürokratischer und subalterner
Hemmungen kommen. Humor ist bei dieser
Art der Gesprächsführung von besonderer
Wichtigkeit.
Der Gang der Auseinandersetzung soll zügig
gehalten werden. Einzelfragen, die kein
allgemeines Interesse finden, dürfen nur mit
kurzen Hinweisen und mit der Einladung zu
nachfolgenden Einzelgesprächen
beantwortet werden.
Wo derartige Formen mit einer gewissen
Regelmäßigkeit eingerichtet sind und so
nicht nur die Mitglieder des Podiums,
sondern auch das Publikum an diese Form
des Gedankenaustausches gewöhnt sind,
können sie Entscheidendes zur Überwindung
beamtenstaatlicher Führungsgewohnheiten
in Verwaltung, Kirche, Schule und Wirtschaft
beitragen.
Das Publikum soll die Gelegenheit
bekommen, mit den Spitzenkräften, an die
es sonst nicht ohne Weiteres herankommt,
seine Sorgen, Zweifel, Wünsche und Kritik zu
besprechen und ihre Stellungnahme
unmittelbar zu hören. Auf der anderen Seite
sollen die im Podium sitzenden Personen die
Möglichkeit erhalten, ohne die Brille der
Zwischeninstanzen zu erfahren, wie man in
Kreisen des Publikums denkt.
Bei diesem Forum kommt es darum in erster
Linie darauf an, dass eine Brücke zwischen
zwei Personenkreisen gebaut wird, dass also
offen und unbekümmert gesprochen wird.
Es hängt Wesentliches von dem
psychologischen Geschick der
Einleitungsworte des Leiters, von den
Äußerungen aus dem Publikum und von
deren Beantwortung ab. Es muss von
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 16 Die Debatte
In der methodisch gepflegten
Gesprächskunst der Gegenwart muss
zwischen einem Streitgespräch (Debatte)
und einem Rundgespräch (Diskussion)
sorgfältig unterschieden werden. Beide
haben, an der richtigen Stelle angewandt,
ihren guten Sinn. Werden sie miteinander
verwechselt, so gibt es Fehlschläge.
Es ist verfehlt, wenn man gemeinsam ein
Problem lösen will und kommt dabei
unversehens ins Debattieren, das heißt ins
Streiten, bei dem jeder Recht haben will.
Nicht weniger peinlich kann es sein, wenn
der Vertreter einer Gruppe in einem
Parteienstreit, anstatt seine Sache zu
verfechten, „umfällt“, „seine Karten
aufdeckt“ und so mit dem Gegner
„gemeinsame Sache“ macht. Debattieren
heißt auf deutsch „niederschlagen“,
diskutieren heißt „durcheinanderschütteln“.
Die Debatte will den Sieg einer
Partei, die Diskussion Beiträge zu
einem Ganzen vereinen
Die Abneigung vieler, vor allem kirchlicher
Kreise gegen Diskussionen hat ihren Grund
meist in dem Abgleiten der Diskussion in
Debatten. Das macht sie unfruchtbar. Sie
führen meist weder zu neuen gemeinsamen
Erkenntnissen, noch zu einer Überzeugung
Andersdenkender, zumal wenn die „Debatte“
sich vor einem Zuhörerkreis abspielt.
Es ist vielmehr zu erwarten, dass sich der bei
der Debatte unterliegende Teil nun erst recht
in seinen Standpunkt verbeißt und in der
Stille oder vor der Öffentlichkeit die
verlorene Schlacht umso glanzvoller zu
gewinnen versucht.
Sobald er mit sich allein ist, fallen ihm
nachträglich die Argumente ein, die er hätte
verwenden können. So wird er sich hinterher
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com noch mehr in seiner bisherigen Meinung
versteifen.
Die Debatte eignet sich also in der Regel
nicht für Gespräche, die gemeinsam geistige
Probleme lösen, Menschen für eine andere
Überzeugung gewinnen oder eine
gemeinsame Arbeitsaufgabe bewältigen
sollen. Damit soll nicht bestritten werden,
dass auch die Diskussion einen
kämpferischen Charakter gewinnen kann
und in manchen Fällen gewinnen muss,
wenn sie heiß und dramatisch bleiben soll.
Nicht die ernstliche Vertretung einer
Überzeugung lässt eine Diskussion in eine
Debatte ausarten, sondern die mangelnde
Bereitschaft, die Argumente der Gegenseite
ernst zu nehmen und dadurch die eigene
Auffassung laufend zu revidieren.
Bei einer Diskussion ist die Bereitschaft
unentbehrlich, laufend voneinander zu
lernen und die berechtigten Gesichtspunkte
des Gegners genauso offen und
ausdrücklich anzuerkennen und zu
registrieren, wie solche Gesichtspunkte, die
man ablehnen muss. Die innere
Bereitschaft, zu überzeugen, muss in der
Diskussion der Bereitschaft, sich
überzeugen zu lassen, die Waage halten.
Es wäre falsch, diese Bereitschaft im selben
Maße von den Teilnehmern einer Debatte zu
verlangen. In ihr ringen Parteien miteinander
um die Durchsetzung ihres Standpunktes
oder gar um die Erringung der Macht.
Eine Debatte ist noch nicht entartet, wenn
der Anwalt einer der kämpfenden Parteien
gewichtige Einwände des Gegners in den
Hintergrund zu drängen versucht, um die
dem eigenen Interesse dienenden
Gesichtspunkte in den Vordergrund zu
stellen. Damit ist nicht gesagt, dass nicht
auch die Teilnehmer einer Debatte der
Wahrheit verpflichtet sind. Die Form, in der
sie für sie eintreten, ist jedoch eine völlig
andere.
17 Der Wahrheit wird in der Debatte dadurch
gedient, dass zwei Parteien im Widerlager
gegeneinander sich gegenseitig nötigen,
auch solche Tatbestände, die ihnen
unangenehm sind, einzuräumen oder
sonstige Zugeständnisse zu machen. In
gewissem Sinne gilt das Gleiche auf dem
Kampffeld der Politik, wenn zwei Parteien
öffentlich um die Macht ringen.
Es wäre unrecht, von ihnen zu verlangen,
hier völlig offen zu diskutieren, während ihr
politischer Gegner vielleicht rücksichtslos
das in den Vordergrund stellt, was dem
eigenen Standpunkt dient. Auch
Parlamentarier müssen freilich die
Möglichkeit zu einer echten Diskussion
haben, in der sie erste ihre Meinung bilden
können, ehe sie diese öffentlich vertreten.
Dazu gibt es in den Parlamenten die
Einrichtung der Ausschüsse, die unter
Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Hier
können auch politische Gegner unbefangen
miteinander diskutieren und gemeinsam
nach Lösungen suchen.
In Parlamenten wird in
Plenarsitzungen debattiert und in
Ausschüssen mehr diskutiert
In der Plenarsitzung geht es für jede Partei
um die Erringung der Möglichkeit, durch die
Gewinnung der Wählerstimmen ihre eigene
Wirkungsmöglichkeit sicherzustellen.
In der Ausschusssitzung geht es in erster
Linie um die Aufgabe, das nach Lage der
Dinge Bestmögliche in gemeinsamen
Erkenntnissen herausfinden.
In jeder freiheitlichen Demokratie müssen
notwendig beide Formen des Gesprächs
ihren Platz haben. Wer die Debatte und das
Ringen der Parteien um die Macht ablehnt,
übersieht, dass das Ringen um die Macht in
dieser Welt unerlässlich verbunden ist mit
der Möglichkeit, in den Machtstrukturen
dieser Welt eine Wirkung auszuüben.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Gerade in der Demokratie ist daher die
Pflege einer hochstehenden Debatte
genauso wichtig wie die Pflege der
Diskussion, jede an ihrem Ort.
Im Allgemeinen beginnt eine Debatte wie
das Florettfechten mit einem gegenseitigen
Abtasten des Gegners. Die eigentliche
Fechtkunst des Debattierens besteht in der
Fähigkeit, das Gespräch auf diejenigen
Punkte zu fixieren, an denen die schwachen
Stellen des Gegners vermutet werden. Wenn
von vornherein feststeht, dass der Gegner in
neun von zehn Punkten recht hat, wird sein
Gesprächspartner versuchen müssen, die
Debatte auf den zehnten Punkt zu
konzentrieren, an dem die gegnerische
Begründung schwach oder unhaltbar ist. Die
übrigen Punkte wird er möglichst aus der
Debatte fernhalten.
Selbst wenn seine eigenen Positionen so
schwach sind, dass er keinen
durchschlagenden Gesichtspunkt dafür
beizubringen vermag, wir die Konzentration
auf einen schwachen Punkt des Gegners zu
beweisen versuchen, dass auch die Gründe
des Gegners fadenscheinig sind und dass
also der Gegner zum mindesten nicht mehr
recht hat als er selbst. Solche Strategie der
Debatte ist dort nicht unberechtigt, wo
gesellschaftliche Probleme in der Form des
Wettkampfes gelöst werden sollen.
Zu diesem Zweck ist das streitende Prinzip in
Parteien institutionalisiert. Diese haben die
Aufgabe, gegeneinander auf dem
gesellschaftlichen Spielfeld aufzutreten. Als
fair sind solche Auseinandersetzungen dann
zu betrachten, wenn sie sich an die für
diesen Wettkampf vorgeschriebenen
Spielregeln halten. Diese Spielregeln
schließen nicht aus, dass die miteinander
kämpfenden Parteien einander zu besiegen
versuchen, dass sie dazu in gewissem
Umfang eine Taktik entwickeln und diese
voreinander verdecken.
Ausgeschlossen sein muss aber die
Verwendung unmoralischer und
18 regelwidriger Mittel. Deswegen werden
Beleidigungen, Lügen und der Gebrauch
aller ungesetzlichen Mittel als Verstoß gegen
die Debattierkunst geahndet.
Ein Verstoß gegen die Debattierkunst ist es
auch, wenn die Debatte fanatisch wird. Das
geschieht dann, wenn die Debattanten
vergessen, dass sie auch in ihrem
streitbaren Ringen, indem sie einander zu
besiegen versuchen, einem höheren Zweck,
nämlich der Ordnung der Gesellschaft,
dienen sollen. Darum gehört es zur
Debattierkunst, dem Gegner die
menschliche Achtung nicht zu versagen.
Die gegenseitige Bejahung von Regierung
und Opposition ist eine wesentliche
Voraussetzung für eine freiheitliche,
gesellschaftliche Ordnung.
Wie die gegnerischen Mannschaften in
sportlichen Wettkämpfen sich nachher die
Hand geben, so müssen auch die Parteien
vor Gericht, im Parlament und in
wirtschaftlichen Interessenkämpfen bereit
sein, sich gegenseitig in ihrer Funktion und
in ihrem Auftrag anzuerkennen. So
verstanden braucht das Ringen um Macht
und Selbstbehauptung nicht im Widerspruch
zu dem Ringen um Wahrheit und Liebe zu
stehen.
Es ist auch keine Unredlichkeit, wenn
dieselben Menschen einen
unterschiedlichen Gesprächsstil und
unterschiedliche Argumente verwenden, je
nachdem, ob sie sich in einer Funktion des
Debattierens oder in der des Diskutierens
befinden.
Die Verwischung von Diskussion
und Debatte kann ein Akt der
Unredlichkeit sein
Das ist dort der Fall, wo ein
Gesprächspartner sich den Anschein eines
nur der Wahrheit hingegebenen
Gesprächspartners einer Diskussion gibt,
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com während er in Wirklichkeit lediglich seinen
Interessen oder seiner Ideologie zum Zuge
zu verhelfen sucht.
Die Verwischung von Diskussion und
Debatte wird in der Regel von den Agenten
aller subversiven Propaganda angestrebt.
Sie versuchen mit allen Mitteln, ihre
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe
zu verbergen, um den Anschein zu
erwecken, als ob sie ohne Interessen und
Auftrag lediglich der Wahrheit und der
Gerechtigkeit dienen wollen. Sie wenden
also die Methode der Debatte unter dem
Anschein der Diskussion an.
Werden sie etwa auf ungute Zustände in
ihrer Partei oder in den Ländern ihres
Regimes angesprochen, so lassen sie diesen
Stoß des Gegners einfach ins Leere gehen
und berichten in ihrer Antwort lediglich von
einem bedauernswerten Fall im Lager des
Angreifers, konzentrieren in
leidenschaftlicher Rede die kritischen Blicke
der Zuhörer auf diese „schreiende
Ungerechtigkeit“, um am Schluss wenigstens
die These durchzusetzen, dass es auch
anderwärts nicht besser ist als bei ihnen.
Von diesem „Unentschieden“ in der ersten
Runde kann dann leicht ein weiterer
entsprechender Angriff gestartet werden.
Überall dort, wo Debattierkunst, also das
Ringen um den Sieg der eigenen Partei,
unter dem Schein geführt wird, lediglich
Beiträge zu einer unvoreingenommenen
Diskussion zu geben, wirkt sie destruktiv. Für
diesen Fall muss auch der Diskussionsleiter
mit der Taktik der Debatte vertraut sein. Er
muss versuchen, die Methode des Gegners
zu erkennen und aufzudecken. Unter
Umständen kann es ihm dann sogar
gelingen, den Gegner durch Aufdeckung
seiner Ablenkmanöver zu einem sachlichen
Gespräch zu bringen. Die Form der Debatte
kann außer zum Austrag gesellschaftlicher
Spannungen auch zu pädagogischen
Zwecken verwendet werden. Das gilt
insbesondere dort, wo vor einer
19 uninteressierten Zuhörerschaft die Freude
an einem geistigen Ringen erst zu wecken
ist.
Die Debatte ist also hier als eine Art Sport
verwendet, der die Zuschauer dafür
gewinnen will, selbst auf dem Spielfeld
geistiger Auseinandersetzung aktiv zu
werden. Auch zur schärferen
Herausarbeitung unterschiedlicher
Standpunkte, also zur Klarlegung
bestehende Probleme, kann die Form der
Debatte nützlich sein.
Sie muss sich aber in dem Augenblick in
eine Diskussion verwandeln, in dem der
methodische und pädagogische Zweck der
Debatte, die Herausarbeitung des Problems
erfüllt ist. Danach geht es um die
gemeinsame Lösung der gesellschaftlichen
Probleme. Diese erfordert nicht eine
Debatte, sondern eine Diskussion.
Die Dienstbesprechung
In den Organisationen der modernen
Gesellschaft sind laufend Gruppengespräche
zu führen, die eine Mischform der bisher
abgehandelten Gesprächsstile darstellen.
Diese Mischform entsteht dadurch, dass es
sich nicht um eine Besprechung
gleichberechtigter Gesprächspartner
handelt. Es geht vielmehr darum, die
bestehende Macht- und
Vorgesetztenverhältnisse mit der Aufgabe
der gemeinsamen Lösung gestellter
Probleme zu verbinden. In jedem Gefüge der
modernen Gesellschaft müssen Positionen
gewahrt und mancherlei Rücksichten
genommen werden.
Ein völlig unbefangener, offenherziger
Gedankenaustausch kann unter Umständen
Menschen, die sich ohnedies in einer
schwierigen Position befinden, zusätzlich in
Schwierigkeiten bringen, ja sie in ihrer
Position und Funktion gefährden. Solche
Gespräche können darum nur dann Erfolg
haben, wenn allen Beteiligten nicht nur das
Recht zu reden, sondern auch aus
besonderen Gründen zu schweigen, ja unter
Umständen das Recht, einseitig Partei zu
ergreifen, eingeräumt wird.
Wenn zum Beispiel in einer solchen
Diskussion sich Kritik auf bestimmte
Personen oder auf bestimmte Missstände
richtet, kann es notwendig sein, die
Gesprächsgegenstände, obwohl sie für das
Thema wichtig sind, von der Tagesordnung
abzusetzen. Eine solche Maßnahme ist dann
richtig, wenn durch eine solche Erörterung
nichts verbessert werden kann.
Beim Zusammenspiel verschiedener
Arbeitsgruppen einer gesellschaftlichen
Einheit (zum Beispiel eines Betriebes)
vertreten diese Gruppen immer auch in
einem gewissen Umfang ein berechtigtes
Eigeninteresse. Das kann zur
Aufrechterhaltung ihrer Funktion erforderlich
sein.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 20 Sowohl die Geschäftsleitung als auch eine
nachgeordnete Arbeitseinheit kann in
gewissem Umfang ein berechtigtes Interesse
haben, sich nicht in die Karten sehen zu
lassen. Das steht im Widerspruch zur
Diskussionsbereitschaft.
Wer ein Gespräch führt und, statt
gemeinsam die Wahrheit zu sagen,
Interessen vertritt oder seine Karten
verdeckt, diskutiert nicht. Er debattiert.
Dieselben Gesprächspartner wollen aber
gleichzeitig in einem gemeinsamen
Denkprozess Fragen lösen, die ihnen
gemeinsam gestellt sind. Folglich müssen
ihre Vertreter zugleich miteinander
diskutieren, aufeinander hören und so zu
gemeinsamen Lösungen kommen, indem
jeder seinen Beitrag gibt.
Bei der Dienstbesprechung ist zweierlei
gleichzeitig erforderlich. Einerseits müssen
die bestehenden Machtstrukturen und
Zuständigkeiten und die damit verbundene
Wahrung berechtigter Interessen anerkannt
werden.
Zugleich ist ein wachsendes Maß an
gegenseitiger Hörbereitschaft und Offenheit
anzustreben. Die fruchtbare Mitarbeit an
einer Dienstbesprechung erfordert die
Bereitschaft, in einer Spannung zu leben, die
nie vollständig zu überwinden ist, sondern
zum Wesen dieser Welt gehört. Liebe und
Macht, Taktik und Wahrhaftigkeit, Über- bzw.
Unterordnung und menschliche
Gleichachtung müssen hier miteinander
verbunden werden.
Gleichzeitig gilt es aber, sich bei dieser
Spannung nicht zu beruhigen, sondern durch
eine fortlaufende Verbesserung der
Zusammenarbeit immer mehr die
Möglichkeit zu unbefangenen Diskussionen
zu schaffen.
Für den Leiter einer Dienstbesprechung
kommt es besonders darauf an, dass er
gleichermaßen seine Funktion als
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com Vorgesetzter wie auch seine Funktion als
Helfer zu einem vertrauensvollen Gespräch
wahrnimmt.
Für die Lösung dieser Aufgabe ist es vor
allem von Bedeutung, dass er seinen
eigenen Gesprächsbeiträge in der richtigen
Form und an der richtigen Stelle einbringt.
Gibt er seine eigene Auffassung zu früh oder
mit zu starkem autoritativem Gewicht
bekannt, ist die Folge, dass er die von ihm
erhofften Gesprächsbeiträge seiner
Mitarbeiter nur so weit bekommt, als sie mit
seinen eigenen Auffassung übereinstimmen.
Der eigentliche Zweck einer
Dienstbesprechung besteht aber gerade
darin, die Entscheidungen des Leiters erst
vorzubereiten und ihm möglichst alle
Gesichtspunkte zur Kenntnis zu bringen, die
dafür wichtig sind. Eine Entmutigung
nachgeordneter Mitarbeiter im Vorbringen
von Bedenken ist daher für die Sache
äußerst schädlich. Die Mitarbeiter müssen
das Gefühl haben, dass sie mit ihren
Beiträgen, auch wenn sie Kritik enthalten,
willkommen sind.
Reagiert der Leiter empfindlich auf solche
Beiträge und gibt er außerdem seine
eigenen Vorschläge zu früh bekannt, so
entsteht unter den Mitarbeitern leicht die
Befürchtung, dass sie ihrer eigenen Stellung
schaden, wenn sie ihre wahre Meinung
enthüllen. Der Leiter hat dann nach der
Besprechung das Gefühl, es sei eine
einheitliche Willensbildung zustande
gekommen, während seine Mitarbeiter mit
grimmigem Humor darauf warten, bis der
Chef mit seinen Plänen aufläuft.
Es wird Fälle geben, in denen der Leiter sich
fürchtet, seinen Mitarbeitern offen seine
Meinung und Absichten bekannt zu geben.
Vielleicht fühlt er sich in der
Dienstbesprechung der Redegewandtheit
einzelner nicht gewachsen oder er hat das
Gefühl, sich bei einer Aussprache in die
Hände eines oppositionellen Blocks zu
begeben.
21 Solche Lagen sind meist die Folgen früherer
Fehler. Der Leiter hat die Zügel schleifen
lassen, andere haben sie ergriffen und
lassen sie sich nicht so leicht aus der Hand
nehmen. Oder der Leiter hat alles Letztlich
allein entschieden und die Mitarbeiter fühlen
sich nicht ernst genommen. So opponieren
sie gemeinsam, sobald sich dazu eine
Gelegenheit ergibt. In Folge fühlt sich der
Leiter immer mehr genötigt, einsame
Entschlüsse zu fassen, und erklärt
seinerseits alle Dienstbesprechungen für
„Quasselei“.
In einer solchen Lage kommt es in erster
Linie darauf an, wieder Vertrauen zwischen
den Beteiligten herzustellen und zugleich
alle Mitarbeiter für die Anerkennung der
notwendigen Vorgesetztenfunktionen zu
gewinnen. Das kann durch Einzel- oder
Gruppengespräche geschehen. In vielen
Fällen ist die Einschaltung einer neutralen
Gesprächsleitung, eines
Betriebspsychologen oder sonst eines
Beraters angezeigt.
Dienstbesprechungen müssen geführt
werden, ohne jedoch wesentliche
Einwendungen zu unterdrücken.
Die aktiven Teilnehmer müssen das Gefühl
bekommen, dass man vorankommt, dass
nicht unnötig Zeit vergeudet wird und dass
als Folge der Besprechung etwas geschieht.
Vor Abschließung jedes
Besprechungspunktes muss der Leiter auf
eine Entscheidung hinarbeiten, indem er die
Meinungen zusammenfasst und Anträge –
sei es durch eigene Stellungnahme oder
durch Abstimmung – zur Entscheidung
bringt.
Durch Einbringung geeigneter
Kompromissformeln sollte er vorher nach
Möglichkeit versuchen, die Teilnehmer zu
einmütigen Entschließungen zu bringen.
Möglichst jeder sollte, auch wenn er mit
seiner Auffassung nicht durchgekommen ist,
das Gefühl behalten, dass seine Beiträge
von Einfluss auf die Entscheidung des
Ganzen sind.
Von wesentlicher Bedeutung bei
Dienstbesprechungen ist ihre solide
Vorbereitung
Es muss den verantwortlichen Beteiligten
durch Zustellung einer klar formulierten
Tagesordnung die Gelegenheit zur
vorherigen Überlegung der anstehenden
Fragen gegeben werden.
Es müssen Voruntersuchungen angestellt
und sonstiges Material zur Urteilsbildung
beschafft werden.
Der Leiter muss sich in allen wichtigen
Punkten vorher durch Einzelbesprechungen
ins Bild setzen lassen. Andernfalls wird er
durch Sachkenner in der Dienstbesprechung
überrollt oder bleibt an wesentlichen
Punkten hängen. So wird seine Autorität
gefährdet.
Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 22 Deutschlands erstes Institut für Rhetorik und Kommunikation,
gegründet 1960
Zienterra® Institut für Rhetorik und Kommunikation®
Studio und Trainingspark
Landhaus im Neuen Park
Alfred-Rademacher-Str. 2
D 53332 Bornheim bei Bonn
Dependance Berlin
Clausewitzstr. 8
D-10629 BerlinCharlottenburg
Tel +49 (0)2222 . 91170
Tel +49 (0) 30 . 86 423 423
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Zienterra® GmbH // Bonn, Berlin // www.zienterra.com 23