SHZ #87 (Juni `15) als PDF laden

V o r t r a g & D i sk u ss i o n
Sozialistische
HochschulZeitung
6/15
#87 . Sozi a li st i sche Gruppe (SG) . Hochschu lgruppe Er l angen/Nür nberg
w w w . s o z i a l i s t i s c h e g r u p p e . d e . sg @ s o z i a l i s t i s c h e g r u p p e . d e
Was der elektronische „Gehaltsvergleich“
der IG-Metall wieder einmal beweist:
Der Arbeiter ist ein viel, viel kleinerer Kapitalist
Die IGM bietet auf ihrer Homepage unter der
Rubrik „Service“ ihren Mitgliedern an, einen
„Gehaltsvergleich“ zu machen: das eigene BruttoMonatseinkommen eingeben, einen der bestbezahlten Vorstandschefs auswählen und auf „Berechnen!“ klicken. Dann ergibt sich zum Beispiel
„Mein Stundenlohn 19,70 EUR, Stundenlohn von
Martin Winterkorn 6089,50 EUR“ und: „Um das
Jahreseinkommen von 12 710 000 Euro zu erreichen, müsste ich so lange arbeiten: 305 Jahre, 6 Monate, 1 Woche, 6 Tage.“
An der Gegenüberstellung ist außer den korrekt ausgerechneten Zahlen 19,70 und 6089,50
nichts richtig. Nur wenn man beide Einkommen
als etwas prinzipiell Vergleichbares, als Lohn für
eine Stunde Arbeit auffasst, kann man sich wundern bzw. darüber aufregen, wie der Arbeiter
Winterkorn in einer Stunde denn 300-mal so viel
arbeiten, leisten, erzeugen soll wie der Durchschnittsmensch.
Dabei zeigt schon der enorme Größenunterschied der Geldbeträge, dass es sich um ganz verschiedene Arten von Einkommen handelt. Der
Stundenlohn des Arbeiters entgilt ihm nicht, was
er erzeugt; er wird bezahlt für eine Arbeit, die sich
für die Firma und ihre Aktionäre lohnt, nicht für
den Arbeiter. Winterkorn dagegen wird gar nicht
für Arbeit und ihre Dauer bezahlt, sondern dafür,
dass er im Konzern das Kommando im Sinn der
Rendite der Aktionäre ausübt und die dafür nötige Leistung aus den Beschäftigten herausholt. Er
arbeitet nicht für fremden Gewinn, sondern wird
an dem Gewinn beteiligt, für den er andere arbeiten lässt.
Die IGM handelt in ihrem „Gehaltsvergleich“
also vom Klassengegensatz von Kapital und Arbeit – und das könnte sie auch wissen, schließlich vereinbart sie die Löhne ihrer Mitglieder mit
Winterkorn und seinen Leuten ebenso, wie sie im
Aufsichtsrat die Entgeltregelungen für die Spitzenmanager mitträgt; sie kennt also die Kriterien
der jeweiligen „Entgeltfindung“. Ein Missverhältnis in der Bezahlung von Arbeit liegt da nicht vor.
Und kein VW-Arbeiter braucht sich darüber zu
wundern, dass er in einem ganzen Arbeitsleben
nicht annähernd auf die Geldsumme kommt, die
Winterkorn in einem Jahr verdient. Wenn die
IGM aber nun per Gehaltsvergleich der Empörung über „Exzesse bei der Manager-Bezahlung“
Futter gibt, dann ehrt sie die Ausbeutung der Arbeitskräfte durch ihre kapitalistischen Anwender
als persönliche Leistung der Arbeiter, die eigentlich mehr Bezahlung verdient hätte, und sie ehrt
zugleich die berufsmäßige Ausübung der Ausbeuterrolle als ganz normale, nützliche und nötige –
nur eben überbezahlte Arbeit.
●
Frauen in die Aufsichtsräte –
Manuela Schwesig gendert den Kapitalismus:
Die Klassengesellschaft wird weiblicher
Die Verabschiedung des Gesetzes zur Frauenquote durch Bundestag und Bundesrat im März
erklären seine Macher zu einer Sternstunde der
Frauenemanzipation. Gefeiert wird das „Gesetz
für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
und Männern an Führungspositionen in der
Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ als
eine „Initialzündung für mehr Gleichberechtigung“, die „einen Kulturwandel in Deutschland“
einleitet (Staatssekretär Kelber). Die Familienministerin spricht sogar von einem „historischen
Schritt“, dem als „nächster Schritt zur Gleichberechtigung“ der „Gesetzentwurf für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen“
(Tagesschau, 27.03.2015) folgen soll. Über diesen „größten Beitrag zur Gleichberechtigung seit
Einführung des Frauenwahlrechts“ (Maas, SPD)
können sich demnächst also ca. 250 handgezählte Spitzenfrauen freuen: Ab dem 1. Januar 2016
müssen in rund 108 börsennotierten Unternehmen Frauen bei der Besetzung von Aufsichtsratsposten zu 30 % berücksichtigt werden – sonst
bleibt die Stelle unbesetzt –, und „3500 weitere
Firmen müssen sich ab 2015 zumindest verbindliche Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils in
Führungspositionen setzen“ (Manager-Magazin,
6.3.).
Die politischen Gestalter der sozialen Verhältnisse legen offenbar großen Wert auf Frauen in
der Spitze von Konzernen. Dass die dort bislang
unterrepräsentiert sind, finden die Gesetzgeber
ungerecht, handelt es sich doch bei diesen Jobs
um die mit den größten Machtbefugnissen und
der höchsten Bezahlung. Dabei spielt das, was die
neuen Frauen da im Dienste des großen Kapitals
künftig machen sollen, jenseits der abstrakten
Bestimmung, sie sollten eben vermehrt „führen“,
keine Rolle.
→
Flüchtlinge
... vom Kapitalismus als Überbevölkerung
beurteilt, von den europäischen Staaten als
humanitäres Problem genommen und als
Last definiert
Donnerstag, 25. Juni 2015, 20:15 Uhr,
Südpunkt, Raum E 17,
Pillenreuther Str. 147, Nürnberg
Debattiert wird so:
•• Manche werfen der EU vor, sie kümmere sich
zu wenig um die Rettung der Flüchtlinge; andere schlagen als beste Verhinderung für das
Massensterben vor, sie erst gar nicht an Bord
von Schiffen zu lassen.
•• Manche fordern zum Jagen von Schlepperbanden auf; andere erinnern daran, dass Flüchtlingsretter mal als Helden gefeiert wurden.
•• Manche verurteilen die EU für ihre menschenfeindliche Abschottungspolitik und fordern
offene Grenzen; andere befürchten, die Aufnahme aller Elenden dieser Welt könnte die
hiesigen Gemeinwesen sprengen.
•• Manche sehen in der puren Masse an Flüchtlingen einen Missbrauch des Asylrechts und
verlangen dessen Verschärfung; andere fordern eine geregelte Einwanderung.
•• Manche setzen sich in ihren Gemeinden für
eine Unterbringung der Flüchtlinge ein; andere
sammeln Unterschriften gegen Asylantenheime.
Wenn mit wohlmeinenden bis giftigen Vorschlägen der Umgang mit den Flüchtlingen problematisiert wird, sind all die Fragen ausgeblendet,
die zum Kern der Sache führen: Worin besteht
überhaupt das Problem, wenn Leute ihren lokalen Bedrohungen entfliehen und in die Zentren
der Weltwirtschaft einwandern? Warum stellen
wagemutige junge Leute, die für ihre Flucht gewaltige Kosten und Gefahren auf sich nehmen,
eigentlich eine Last für die Zielländer dar? Und
überhaupt: Wenn das Überleben dieser Leute davon abhängt, dass Politiker sie aus purer Menschlichkeit aus dem Wasser fischen lassen, was sagt
das über den politökonomischen Zustand dieser
Welt? Antworten hierauf wird der Vortrag geben.
Argumente
gegen das
Da f ü r s e i n
Zeitschrift GegenStandpunkt
www.gegenstandpunkt.com
Vortragsmitschnitte als Audio und Video
www.argudiss.de
video.sozialistischegruppe.de
Kritik der bürgerlichen Wissenschaften
www.wissenschaftskritik.de
Lesekreise zu Karl Marx’ „Das Kapital“
www.kapital-lesen.com
→ „Frauen in Aufsichtsräte“
1.
Zwei Prachtexemplare „weiblicher Führungsstärke“ machen aber bereits vor, was
in Zukunft für immer mehr Quotenfrauen möglich sein soll.
Die Firma Siemens setzt große Hoffnungen in
eine Janina Kugel, die Anfang des Jahres als Personalvorstand „eine Schlüsselposition im Konzern
übernimmt“ und für 341 000 Mitarbeiter „zuständig ist“. Sie wird also zum Nutzen der SiemensAktionäre Entscheidungen fällen über die Arbeit,
die andere Leute zu machen haben; sie wird diese
kontrollieren und ihnen sagen, für welches Geld
was zu tun ist; und sie wird aus ihnen mit Hilfe vieler Untergebener beiderlei Geschlechts die
Arbeit herausholen, die die Siemens-Eigentümer
noch reicher macht, und, wo dies nicht der Fall
ist, solche Arbeit abschaffen. Deshalb hat sie in
ihrer Funktion „als neue Arbeitsdirektorin“ unter
anderem die Aufgabe, „in Deutschland 3300 und
weltweit 7800 Stellen zu streichen“ (FAZ, 4.4.). Das
soll man einfach super finden. Jetzt nicht direkt
die Entlassungen, obwohl die schon irgendwie
– leider natürlich – nötig sein werden; aber dass
eine Frau sich dieser „konfliktreichen Aufgabe“
stellt, das soll einen schon begeistern:
„Es ist eine atemberaubende Karriere für die resolute gebürtige Stuttgarterin. … Dabei übernimmt
die Mutter von Zwillingen als neue Arbeitsdirektorin eine alles andere als leichte Aufgabe. … Die
Strukturen sind noch immer starr, zudem sollen
Tausende Stellen gestrichen werden, viele Mitarbeiter müssen sich intern auf neue Jobs einstellen. Das
birgt viel Potential für Konflikte. … Kugels Vorgänger sind alle gescheitert.“ (SZ, 27.1.)
Offenbar hielten es Frauenfreunde für einen
echten Fortschritt der Gleichberechtigung, wenn
nunmehr Frau Kugel bei der rentabilitätsorientierten Um- und Wegorganisation tausender Arbeitsplätze erfolgreicher wäre als ihre männlichen
Vorgänger. Soll man sich wirklich vorstellen, dass
der Verlust des Einkommens durch Entlassung
einen Betroffenen weniger hart ankommt, wenn
die Entscheidung gegen seine Lebensverhältnisse durch eine zweifache Mutter getroffen wurde?
Die Frage ist unpassend, weil es hier entschieden
um die exemplarische Erfolgsgeschichte einer
Frau an den Schalthebeln des unternehmerischen
Privateigentums gehen soll, weswegen an dieser
Stelle nicht interessant ist, dass die weibliche Führungskraft massenhaft anderen Leuten das Leben
schwer macht, sondern an sich selbst hohe Ansprüche stellt: einer Frau, die, „ganz Familienmensch“,
in all ihrer Weiblichkeit auch für die notwendigen
Härten globaler Unternehmerverantwortung einsteht und dafür unsere Sympathie verdient. Und
darüber hinaus unsere Bewunderung, wenn sie
das, was sie mit der ihr ausgelieferten Belegschaft
vorhat, ganz munter als Betätigung ihrer persönlichen Neigung zum Aufräumen ankündigt: Die
„Konflikte“, die sie zu Lasten der Belegschaft anzetteln will, schrecken sie nämlich nicht, hatte sie
doch „immer mit Veränderungen zu tun, meist mit
Situationen, in denen Dinge umgekrempelt werden
müssen“ (Human Resources Manager, 5.12.14).
Solche Frauen braucht das Land – nicht immer
solche, die dauernd ihre Wohnung umräumen,
sondern solche wie die Kugel, die als Frau führt
und von Berufs wegen die Existenzen tausender
Siemens-Beschäftigter „umkrempelt“ – und nebenher noch ihre Zwillinge und ein „kleines Familienunternehmen managt“!
*
Während Kugel bereit ist, ein Kommando in der
wirklichen Arbeitswelt einer globalen Firma zu
übernehmen, spielt eine andere Vorzeigefrau,
Christine Lagarde, Chefin des IWF, ihre Rolle
auf dem Feld der internationalisierten finanzpolitischen Herrschaft der den IWF beherrschenden
Weltmächte. Ihr erweist die SZ unter der Rubrik
„Finanzfrauen“ die nächste Reverenz. Als „Schlüsselfigur“ des „internationalen Finanzparketts“
hat sie es auch „ganz nach oben“ geschafft und
bewiesen, dass Frauen sich auch als Führungsfiguren in der internationalen Finanzwelt bewähren können. Sie mischt nicht nur wie Kugel eine
Weltfirma, sondern ganze Länder auf. In der Welt
der Nationalbanken und ihrer Staatsschulden ist
sie als Charaktermaske des imperialistisch verwalteten Reichtums und dabei ganz „bewusst“ als
„Frau“ zu Hause:
„Lagarde ist sehr bewusst Frau. Sie äußert sich
schon mal scharf gegen Sexismus, hält die Beteiligung von Frauen für einen Schlüssel zu Wachstum
und Wohlstand … In Krisenzeiten seien Frauen die
besseren Führungskräfte, sagte Lagarde einmal …“
(SZ, 28.2./1.3.15)
Was sie da in ihrer „Führungsposition“ zu tun
hat, ist zwar hier nicht von Belang, jeder Interessierte kann es aber den Nachrichten entnehmen:
Mit ihrem Währungsfonds teilt sie Staaten Kredit
zu, anderen, die die vorgegebenen Konditionen
nicht einhalten, verweigert sie ihn. So entscheidet sie mit über Wohl und Wehe von Nationen,
deren kapitalistisches Lebensmittel der Kredit ist,
und die ihn durch die Zurichtung ihrer Völker
nach den Renditeanforderungen der Gläubiger
als ihr Lebensgesetz anzuerkennen haben. Dass
das gerade die verarmten Massen Griechenlands
empfindlich zu spüren bekommen, nimmt kein
Freund der Gleichberechtigung einer Frau wie
Lagarde übel. Sie tut, was getan werden muss, und
sie tut es als Frau, die sich jeder erforderlichen
Härte fähig zeigt; die damit ihre Qualifikation beweist, und der man – schließlich soll sie ja als Ausbund femininer Führungsstärke gefeiert werden –
dann auch noch unbesehen den dummen Spruch
abnimmt, dass die Abwicklung der Einkommensquellen eines ganzen Volkes durch eine weibliche
„Führungskraft“ mindestens genauso gut, ja eher
besser, bewerkstelligt werden kann als durch eine
männliche…
2.
Die eine Führungsfigur setzt mit viel Laune zum „Konflikt“ bei Siemens rentablere Arbeit und weniger Arbeitsplätze durch, die
andere kujoniert über den IWF ganze Staaten.
Die „Führungspositionen“ dieser mustergültigen
Flintenweiber des Kapitalismus zeugen von dem
Gegensatz, in dem ihre Tätigkeit zur Mehrheit
der Frauen und Männer steht, seien sie Angehörige eines Betriebes oder eines zinspflichtigen
Staatsvolkes. Das soll aber mitten im rasanten
Fortschritt der Gleichberechtigung per Quotengesetz keine Rolle spielen. Da will der Begeisterung für diesen „Kulturwandel“ in Aufsichtsräten
und anderswo eben einmal etwas anderes wichtig
sein: Sie pocht an so einem gesetzlichen Feiertag
der Frauenrechte darauf, die soziale Identität des
Menschen läge noch allemal in seinem Geschlecht,
und bläst den kleinen Unterschied zu so respektabler Größe auf, dass der Herrschaftscharakter der
Führungsaufgaben in dieser Gesellschaft dahinter
glatt verschwinden soll.
Dass es für Führungsaufgaben Geführte
braucht, versteht sich von selbst. Die Diskriminierung der sozialen Klassen durch ihre Verteilung
auf die Hierarchie der Berufe und der mehr oder
minder auskömmlichen Einkommen geht denn
auch völlig in Ordnung, wenn endlich die Geschlechterdiskriminierung überwunden ist, die
Kommandohöhen der politischen und ökonomi-
schen Herrschaft auch für Frauen erreichbar sind
und wirklich nur mehr die Leistung im Dienst an
fremdem Eigentum über gesellschaftlichen Rang
und Teilhabe am Reichtum entscheidet.
*
Die Ankündigung, dass der gesetzlichen Verpflichtung von Aktiengesellschaften, in ihren Aufsichtsräten demnächst auch eine Frauenquote zu
erfüllen, „als nächster Schritt“ und wie im selben
Geiste die „Lohnangleichung von Männern und
Frauen“ folgen soll, die außerhalb von Aufsichtsräten arbeiten, ist für Schwesig und Nahles dann
eine ihrer leichtesten Übungen. Nach dem großartigen Erfolg in Sachen Geschlechtergleichstellung in den Führungsetagen, wo Herrschaft und
Ausbeutung in den Betrieben organisiert werden,
versprechen die zuständigen Ministerinnen – so
als wäre es ungefähr dasselbe – den Fortschritt
demnächst gleich auch noch auf die uralte Praxis des Kapitals zu erstrecken, das weibliche Geschlecht als Konkurrenznachteil zu betrachten
und so für die Einsparung von Löhnen bei den
Objekten von Herrschaft und Ausbeutung auszunutzen – um das genauso uralte Ideal vom „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ zum tausendsten
●
Mal aufzuwärmen.
Aus: GegenStandpunkt 2-15, siehe Kasten!
p o l i t i s c h e v i e r t e l j a h r e sZ e i tschrift
i n h a lt d e r n u mm e r 2 -15
Wie Europa vorankommt...
Die frühere Vorstellung, mit der Währungsunion
würde quasi sachzwangmäßig und ohne dauernde Widerstände dank der Einsicht in den allseitigen nationalen Nutzen auch die politische
Union vorankommen, hat sich gründlich blamiert.
Europa kommt ganz anders voran als damals
vorstellig gemacht. Statt einem ‚gemeinsamen
Zusammenwachsen‘ findet über Euro-Krise und
Ukraine-Krieg ein Kampf um die Unterordnung
der Mitgliedsländer unter ihre Gemeinschaftsinstitutionen und unter die Nationen statt, die deren
Inhalt und Programm bestimmen. Wenn in diesem Kampf die Androhung des Ausschlusses aus
dem Euro-Verbund bzw. die Sorge vor dessen
Zerstörung ihre Wirkung entfaltet, dann ist die
Union vom nationalen Mittel zu einer Existenzbedingung geworden. Die EU-Staatengemeinschaft
lebt nicht mehr vom Versprechen allseitigen nationalen Nutzens, sondern davon, dass man ihr
nicht mehr schadlos auskommt – die harten Konsequenzen der eingegangenen Abhängigkeiten
werden vom Hauptgewinner der Krisenkonkurrenz vorbuchstabiert. Damit müssen die anderen
Nationen im Euro fertig werden.
Die Antworten Frankreichs auf Krise und
Krieg in Europa:
Frankreich kämpft gegen seinen ‚Niedergang‘
– und stärkt so Merkels Europa
Das krisen- und konkurrenzgeschädigte Frankreich konkurriert und kooperiert – mangels Alternative – nach den von Berlin durchgesetzten
Richtlinien mit Deutschland um die Rolle einer
Mit-Führungsnation bei der Durchsetzung eines
verbindlichen Euro-Regimes. Und es konkurriert
und kooperiert mit Berlin auch hinsichtlich einer
europäischen Antwort auf die ‚Herausforderung‘,
„Der Frevel von Mossul“ (SZ):
Ein Lehrstück über Kultur und Gewalt
Wie sich der islamistische
Krieg gegen die Kultur
die Antwort der abendländischen
Kultur des Krieges verdient
Ende Februar lassen sich IS-Milizionäre dabei filmen, wie sie im Museum von Mossul im Irak antike Statuen vom Sockel stürzen, die Bruchstücke
mit Vorschlaghämmern und Schlagbohrmaschinen zertrümmern, unter „Allahu akbar“-Rufen
den Koran rezitieren und ihre Vorfahren von den
alten Sumerern bis zu den Assyrern verdammen,
weil sie „Götzen angebetet und mehr als nur einen
Gott verehrt“ hätten (zitiert nach SZ, 28.2.2015).
Ganz offensichtlich messen die IS-Soldaten den
Relikten der Vergangenheit die Bedeutung einer
ganz falschen nationalen Kultur zu, die ihrer monotheistischen Sittlichkeit, die sie zur Räson ihres neuen Kalifat-Staates zu machen gedenken,
entschieden widerspricht. Mit dem Eifer von
Staatsgründern räumen sie auch die kulturellen
Prunkstücke der alten irakischen Staatlichkeit dedie der Ukraine-Krieg für den europäischen Weg
der ‚Ost­erweiterung‘ bedeutet, der im Fall Ukraine
in eine offene Gewaltaffäre gemündet ist. Den militärischen Einspruch Russlands gegen das Ausgreifen der EU will Paris nicht hinnehmen, aber
auch nicht mit einer Strategie der militärischen
Drohung und Eskalation unter Führung der USA
beantworten – ein imperialistisches Drangsal,
das Frankreich im Ringen um strategische Führung in Europa schon wieder zur Zusammenarbeit
mit Deutschland nötigt.
An Griechenland wird ein Exempel statuiert
Die griechische Linksregierung arbeitet sich daran ab, mit ihrem bankrotten Staat den harten Konsequenzen eines Euro-Regimes auszukommen,
ohne aus dem gemeinsamen Geldverbund auszuscheiden, zu dem Athen keine national brauchbare Alternative sieht. Vergeblich, dank einer
deutschen Regierung, die Griechenland vor die
Alternative stellt: Euro-Kredit nur gegen ein rigoroses auswärtiges Kommando über den Staatshaushalt, also Geld gegen Souveränitätsverzicht
oder bankrott. Damit ist nicht nur Griechenland
gemeint: Mit Griechenland als Exempel wollen
Schäuble & Co Euro-Europa insgesamt auf die
Erfordernisse eines weltweit geschäftsfähigen
Euro, auf ein dementsprechend rigoroses nationales Haushaltsregime festlegen.
Das Ende von South Stream:
Das ‚gemeinsame Haus‘ von Kohl und
Gorbatschow wird entmietet
Bulgarien und sein Energiesektor –
die marktwirtschaftliche Karriere zum
failed state in der EU
ansonsten:
Der Kopf als Revenuequelle:
Die Widersprüche des geistigen Eigentums
Das ‚geistige Eigentum‘ ist als internationaler politischer Streitgegenstand öffentliches Thema geworden. Der Umkreis strittiger Ansprüche reicht
monstrativ ab und verbreiten ihre Tat publikumswirksam als Video übers Internet.
Die christlich-abendländische Öffentlichkeit
ist sich angesichts der Vorfälle in Mossul in einem
sofort einig: Mit der Zerschlagung der antiken
Steinfiguren ist viel mehr kaputtgegangen als ein
paar steinerne Zeugen vergangener Herrschaften.
Sie nimmt den Kulturkampf, den sie in den Zerstörungen ausmacht, nicht minder ernst als der
IS: Die Verwüstung der Denkmäler ist ein Anschlag auf ‚uns‘, auf alles Gute, was wir repräsentieren und wofür wir einstehen. In diesem Sinne
wird einhellig eine Art höherer Schadensbilanz
erstellt, aus der sich ergeben soll, warum und
inwiefern es ein Frevel allergrößten Kalibers ist,
wenn altertümliche Steinfiguren mit der Spitzhacke geschleift werden:
– Das Verbrechen des IS besteht erstens im
Diebstahl an der Identität des irakischen Volkes:
„Naheliegender (als die zerstörten Figuren auf
dem Kunstmarkt zu Geld zu machen; d.V.) ist, dass
der Kalif den Irakern mit seiner Zerstörungsorgie
vom Eigentumsschutz künstlerischer Machwerke
bis zum Respekt vor dem Eigentumsrecht an naturwissenschaftlichen Entdeckungen und technologischen Erfindungen – Urheberrechte, Patente, Marken –, das alles will als immaterielles
Eigentum geschützt und respektiert sein. Anlass
für den GEGENSTANDPUNKT, die Widersprüche des geistigen Eigentums zum Thema zu machen und den Gehalt des Streits um das ‚geistige
Eigentum‘ kritisch zu würdigen.
Außerdem wie immer:
Chronik – kein Kommentar! U.a. mit:
•• Ein Flüchtlingsproblem gelöst:
Kosovaren zurück in den Kosovo
•• Neues aus der deutschen Willkommenskultur:
Die Wanderarbeiter aus Osteuropa –
der willkommene Bodensatz des deutschen
Proletariats
•• Streiks bei der Post: Die Post AG macht die
Sozialpartnerschaft kaputt – ver.di kämpft um
deren Rehabilitation
•• Germanwings-Flug 9525:
Vom guten nationalen Sinn einer Katastrophe
•• Deutschland erinnert die Türkei an ihr Massaker an den Armeniern: Zeit für das V-Wort
GegenStandpunkt 2-15
0941-5831
132 Seiten
€ 15.–
Als Ebook oder im Buchhandel erhältlich:
Erlangen: Ex Libris, Bismarckstr. 9
Fürth: Edelmann, Fürther Freiheit 2A
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die Identität stehlen will. Wenn die vorislamische
Vergangenheit des Zweistromlandes als von Gott
verworfen dargestellt wird, bleibt den Nachfahren
der Mesopotamier als Heimat nur das Kalifat.“ (SZ,
28.2.)
Da kennen sich die Vertreter westlicher Leitkultur aus: Erst klaut der Kalif den Irakern ihre
kulturelle Identität, und dann setzt er sich und
seine islamistische Ideologie bruchlos an die frei
gewordene Leerstelle, damit ihm dann die Heimatverbundenheit, also die Loyalität der Iraker,
einfach in den Schoß fällt. Ein interessantes Menschenbild, das die Feingeister von der SZ da von
den Irakern entwerfen. Wenn ein Museum kaputt
ist, dann ist auch dem irakischen Volk sein ganzes
Weiß-warum-und-wohin, seine „Identität“ eben,
sein ganzer Lebenssinn verloren gegangen. Weil
die Iraker in diesen Kriegszeiten und überhaupt
aber nichts dringlicher brauchen als eine verbindliche Sinnstiftung für ihre völkische Gemeinschaft, klammern sie sich, weil sie sonst nichts
haben, ersatzweise vielleicht sogar an die ganz
anders gestrickte Ideologie des IS-Kalifats ... Wer
so manipulativ denkt, der nimmt offenbar den
verlogenen Schein der nationalen Sinnstiftung,
den die staatlich-pompöse Ausstellung nationaler
Kulturgüter erzeugen soll, bitter ernst. Liebhaber
der Kultur wollen an den Blödsinn glauben, dass
sich Menschen ihre „Identität“ als Völker und Nationen in einer gemeinsamen kulturellen Vergangenheit von Bildern, Literatur oder eben hier von
3000 Jahre alten Steinfiguren bilden, als höhere
und ganz zweckfreie Gemeinschaften. Und diese
echte „Identität“ macht der IS eben kaputt und
nutzt den Schaden für sich unbillig aus.
– Beim Missbrauch identitätsstiftender Kultur
fürs irakische Volk bleibt es zweitens aber nicht.
Eine Woche später fällt der SZ-Redaktion eine
noch schlimmere Folge des Verlusts der kulturellen Vergangenheit ein:
„Natürlich ist es wichtiger, Leben zu retten als
Tempel und Statuen. Doch wer den Menschen nur
die Existenz lässt, aber ihnen ihre Vergangenheit
nimmt, der degradiert sie, der tötet langsam – so
wie es der IS im Irak tut.“ (SZ, 6.3.)
Eine interessante Abwägung, die der Autor da
zwischen Leben und Tempeln trifft: Erst erklärt er
die Rettung von Menschenleben zur Hauptsache
– was ja selber schon eine reichlich verfremdete
positive Deutung des Kriegs gegen den IS ist –,
um in der zweiten Hälfte schnurstracks die Zerstörung der Kulturdenkmäler dann „doch“ mit
dem Angriff auf das Leben der Menschen im Irak
gleichzusetzen. Ein „degradiertes“ Leben in bloßer
‚nackter‘ Existenz, also ohne den Sinn, der sich
einstellt, wenn man so auf seine 3000 Jahre lange
kulturelle Geschichte zurückschaut, das kommt
den Kulturmenschen von der SZ letztlich wie ein
in die Länge gezogener Totschlag vor, quasi Völkermord auf Raten – auch so kann man auf einen
Kriegsschauplatz blicken und einem Eingriffstitel
schon ein wenig näher kommen, als wenn es nur
um „Tempel und Statuen“ ginge ...
– Drittens aber und vor allem richtet sich das
Abbruchwerk des IS, dieser „Frevel von Mossul“,
so gesehen gegen noch viel mehr: :
„Ihre (der Altertümer, d.V.) Vernichtung bezeugt, dass der Hass des IS nicht den einzelnen
Widerständigen in der Region gilt, sondern der
Menschheit überhaupt. Wenn diese Altertümer zerstört werden, sind wir alle gemeint.“ (Zeit, 5.3.)
Einzelne militärische Widerständler beseitigen, um eine Region zu erobern, ist auch nicht
schön, wäre aber irgendwie nach den Maßstäben
der Kriegführung noch verstehbar. Unschuldige
antike Denkmäler aber so zu zerstören, dass →
D i sk u ss i o n sv e r a n s ta lt u n g i n E r l a n g e n
Das Menschenrecht –
Heiligenschein der Staatsgewalt
Wenn Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, afghanische Hochzeitsgesellschaften von Militärdrohnen getötet oder Dissidenten in Gefängnisse
weggesperrt werden, dann prangern kritische
Zeitgenossen Menschenrechtsverletzungen an.
Ausgerechnet dem staatlichen Gewaltapparat,
der über das Leben von Leuten entscheidet, werfen sie vor, er verstoße gegen Normen, denen er
doch eigentlich zu genügen hätte. Damit ersparen
sie sich jeden Blick auf die staatlichen Interessen,
die Leute zu Opfern machen, weil sie durch sie als
Überbevölkerung, „Kollateralschäden“ oder als
Staatsfeinde definiert sind und entsprechend behandelt werden; und auf die politische Ordnung,
aus der diese Interessen erwachsen und deren
Organisation staatliche Aufgabe ist. Stattdessen
haben Leute, die im Namen der Menschenrechte kritisieren, als Grund für die angeprangerten
Brutalitäten die Abwesenheit einer rechtlichen
Schranke ausgemacht.
Dass Politiker zur Legitimierung ihrer Taten oft
auf die geltende Rechtslage verweisen können,
die sie geschaffen haben, lässt Menschenrechtsgruppen kalt. Sie haben eine höhere Art
von Recht im Auge: das aus der Natur des Menschen entspringende Recht auf Respekt durch
die staatliche Obrigkeit. Wofür sie sich da einsetzen, ist der Sache nach eine Paradoxie: ein
Recht nicht durch, sondern gegen den Staat; ein
Regelwerk, das nicht wie sonst üblich die Bürger,
sondern die Staatsmacht zu Wohlverhalten verpflichtet; eine Verpflichtung eines Subjekts, das
selbst gar keiner Gewalt unterliegt, die es verpflichten könnte.
Grund genug, einmal Abstand davon zu nehmen, sich damit zu befassen, ob und inwieweit die
Menschenrechte eingehalten werden, und stattdessen einmal zu fragen, was das eigentlich für
eine Sache ist, das Menschenrecht, und es selbst
zum Gegenstand der Kritik zu machen.
Montag, 22. Juni, 19:15 Uhr, Sprecherrat (1. OG), Turnstr. 7, Erlangen
gleich der ganzen „Menschheit“ das Hören und
Sehen vergeht, da hakt es bei „uns“ endgültig aus.
Wer so etwas tut, grenzt sich selbst aus eben dieser
„Menschheit überhaupt“ aus, weil er sich frevelhaft
an ihren Symbolen vergreift. Offenbar machen es
westliche Demokraten einfach nicht mehr unter den allerhöchsten Titeln, wenn es um den IS
geht. So ist auch der islamistische Denkmalsturz
auf der Höhe angesiedelt, wo ihn die Fachleute
für Kultur und Kunst angemessen verortet haben
wollen. Damit ziehen sie den denkbar dicksten
moralischen Trennungsstrich zwischen den kultur-, also wertelosen Barbaren des IS einerseits
und uns allen andererseits als Vertreter und Hüter
der menschlichen Zivilisation.
In diesem Geist präparieren die Kulturkenner
dann die eigentliche Bedeutung der musealen
Trümmer als „Menschheitserbe“ heraus, das nun
ein für alle Mal „pulverisiert“ ist. Die Interpreten
von Zeit und SZ finden ohne Probleme auch an
mesopotamischen Artefakten aus dunklen Vorzeiten die idealistischen Weihen für ihre Welt als
Inbegriff des Menschlichen, um den Islamismus
ins wertemäßige Abseits des Unmenschlichen zu
stellen:
„Die Altertümer, die nichts Spezifisches darstellen, symbolisieren die Menschheit schlechthin. Sie
sprechen davon, dass zu anderen Zeiten die Menschen anders lebten, anders glaubten, und also auch
an jedem anderen Ort anders leben und glauben
können. Sie bezeugen, dass die Menschheit viele
Möglichkeiten hat und keineswegs naturbestimmt
und glaubensnotwendig nach der Lebensform des
Islamismus strebt.“ (Zeit, 5.3.)
Wer sowas an einem zerstörten geflügelten
Stier aus dem Nergal-Tor entdeckt, ist über nüchterne Fragen der Archäologie, etwa zu wessen
Lobpreis ein Steinmetz die Figur aus einem mesopotamischen Felsen herausgehauen hat, natürlich
weit hinaus. Der europäische Kunstkenner legt
in das Kunstwerk verständig hinein, was es ihm
dann sagt, und betreibt ganz weltoffen kulturelle Traditionspflege: Die zerstörten Altertümer
stellen erstens nichts Bestimmtes dar, weshalb sie
zweitens so gut wie alles symbolisieren, nämlich
die Menschheit schlechthin. Drittens leitet dieser dialektische Gedanke zur Frage über, als was
die Steinplastiken die Menschheit repräsentieren
– sie sprechen als Kronzeugen davon, dass die
Menschheit, in Gestalt von ‚uns‘ als ihren wahren
Repräsentanten, im Respekt vor dem AndersseinKönnen Toleranz übt, dass die Altertümer also
von einem ‚unserer‘ Höchstwerte künden – und
den will der IS kaputt machen.
Womit man wieder beim IS und seinem Programm angelangt wäre. Ja, genau das will der IS,
wenn er alte Steinfiguren zertrümmern lässt – mit
Füßen auf „unseren Höchstwerten“ herumtrampeln.
So nehmen beide Seiten also diese Figuren
auf lächerliche Weise fürchterlich ernst. Der entscheidende Unterschied liegt aber gar nicht bloß
in der politischen Absicht, die damit verbunden
ist: muslimisch begründete sittliche Gemeinschaft
auf der einen Seite, westlich demokratisch-freiheitliche Marktwirtschaft auf der anderen. Wenn
die westlichen Freunde antiker Kulturdenkmäler
folgenden Schluss ziehen:
„Mit der Zerstörung einzigartiger Kulturgüter
im Irak fordert der IS die Weltgemeinschaft heraus
... die Mossuler Zerstörungsorgie könnte einen Prozess befördern, an dessen Ende eine internationale
Koalition härter gegen den IS vorgeht als bisher.“
(SZ, 28.2.),
dann wird daran eine qualitative Differenz in
der Moral beider Seiten deutlich. Für die Islamisten geht es tatsächlich darum, eine von Gott abgeleitete Moral inklusive aller darin begründeten
Scheußlichkeiten gegen die ihr unterworfenen
Menschen praktisch wahr zu machen. Für den
Westen ist die in Stein gemeißelte Toleranz nicht
mehr und nicht weniger als ein – nicht nur – für
schöngeistige Intellektuelle zurechtgestrickter Ehrentitel für eine militärische Aufräumaktion im
Nahen Osten, deren Zielsetzung ganz bestimmt
●
nicht vom Feuilleton diktiert wird.
Aus: GegenStandpunkt 2-15, siehe Innenteil!
Tunesien:
Unser Strandhotel im
Visier des Terrors
„Terror erschüttert das Urlaubsland Tunesien“,
meldet die Süddeutsche Zeitung Mitte März, und
mit der Schlagzeile über dem Bericht vom Anschlag einer islamischen Gruppe auf das BardoMuseum in Tunis steht schon fest, wie deutsche
Journalisten auf Tunesien blicken. Die Rede vom
„Urlaubsland“ geht ganz unbefangen von einer
feststehenden, diesem Staat samt seinem beweglichen und unbeweglichen Inventar zugewiesenen Rolle aus. Benannt wird mit diesem Namen
die Funktion, der Tunesien in der eingerichteten
politökonomischen Hierarchie der Staatenwelt
praktisch unterworfen ist, und zusammen mit
der auch der Blickwinkel, unter dem es die hiesige
Öffentlichkeit über das Land und seine Probleme
aufzuklären gilt: Was da vom Terror „erschüttert“
wird, ist eine mit billigem Dienstpersonal ausgestattete, klimatisch und territorial begünstigte
Anlagesphäre für die nationale und internationale
Hotelindustrie.
In der Rede vom Urlaubsland Tunesien steckt
darüber hinaus eine klare Besitzanzeige: Denn
das Land ist abhängig vom Geld der Kapitalbesitzer, die dort unten investieren, sowie von denen, die in den Heimatländern des Kapitals einen
Lohn beziehen und sich deshalb Urlaubsreisen
dorthin leisten können. Also ist Tunesien unser
Urlaubsland – und aus der Perspektive dieses
Fürworts kommt die Betroffenheit, die aus den
Zeilen der SZ spricht, wenn sie vom Ausmaß des
Schreckens berichtet, den militante Gruppen mit
ihrem Angriff auf diese Idylle verbreiten, und
man erfahren darf, was genau da kaputtgeht und
wer da inwiefern bedroht ist: „Ein Attentat auf Urlauber in einem Land, das vom Tourismus lebt …
ist eine unbeschreibliche Katastrophe... und zwar
für ganz Tunesien“ (SZ 20.3.15). Wenn das Land
unsere Sicherheit nicht mehr zu garantieren vermag, können wir auch nicht mehr nach Tunesien
kommen, was zeigt, dass man dem Land nichts
Schlimmeres antun kann, als ihm die Subsumtion unter seine Funktion für den Weltmarkt zu
rauben. Ohne uns als zahlende Kundschaft ist es
vorbei mit der Schönheit, ein Urlaubsland zu sein:
„Der Terror hinterlässt ein Land, das den Absturz
fürchtet“ (SZ 20.3.).
Noch schlimmer freilich ist, dass es sich in
Wahrheit genau so verhält, wie es sich dem bornierten Blick der Journalisten darstellt: Tunesien
ist entweder Urlaubsland oder gar nichts.
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D i sk u ss i o n sv e r a n s ta lt u n g
in nürnberg
Die Sozialistische Gruppe (SG) bietet alle zwei
Wochen dienstags in der Desi die Möglichkeit zur Diskussion von Thesen zur Kritik am
demokratischen Staat, seiner kapitalis­tischen
Wirtschaft, dem Imperialismus, der bürgerlichen
Gesellschaft und ihrer Werte. Aktuell:
Neues aus der europäischen Völkerfamilie:
An Griechenland wird ein
Exempel statuiert
Dienstag, 30. Juni 2015, 20:15 Uhr,
Stadtteilzentrum Desi, Brückenstr. 23, Nbg
Sozialistische Gruppe (SG) Hochschulgruppe Erlangen/Nürnberg — c/o Studierendenvertretung Turnstr. 7, Erlangen. [email protected] — EiS; ViSdP: W. Schweikert c/o Turnstr. 7, Erlangen