Das Betreuungswechselmodell – neuer Trend im Familiengericht Mütterlobby e.V. | Stresemannstr. 21 | 10963 Berlin Jede Woche den Wohnort wechseln? Die Tasche packen und mehrmals im Monat umziehen? Eine merkwürdige Vorstellung für die meisten von uns. Dies jedoch ist die Realität von tausenden Kindern und Kleinkindern in Deutschland. Gerichtlich verordnet. Tendenz steigend. Wenn Eltern sich trennen steht die Frage im Raum: „Wie regeln wir die Betreuung der Kinder?“ Gerade bei diesem Thema entbrennt oft ein hochemotionaler Streit zwischen den getrennten Elternteilen, der nicht selten vor dem Familiengericht landet. Während in den 80er und 90er Jahren ganz klar der Trend zu verzeichnen war, dass gerade jüngere Kinder ihren Aufenthaltschwerpunkt bei ihrer Mutter hatten, wurde durch die Arbeit der Väterrechtsbewegung in jüngster Zeit dieses Modell aufgeweicht und ist im Wandel begriffen. Seit ein paar Jahren berichten Medien, Fachleute und Sachverständige vermehrt von dem Betreuungswechselmodell. Ein neuer Trend, zu dem es immer mehr Fachtagungen und Informationsveranstaltungen gibt und Fachbücher sowie Seminare verkauft werden. Begrifflichkeit Wechselmodell Als Wechselmodell, Pendelmodell oder (Paritätisches) Doppelresidenzmodell bezeichnet man Regelungen zur Betreuung gemeinsamer Kinder, wenn diese nach einer Trennung der Eltern in beiden Haushalten zeitlich annähernd gleichwertig betreut werden. (Quelle: Wikipedia) Das klingt für Außenstehende zunächst einmal gerecht. Der Vater betreut nun genauso lange wie die Mutter. Die Kinder wechseln zwischen den Elternhäusern hin und her. Doch werfen wir noch einmal den Blick zurück. Wenn nun nach der Trennung eine geschlechterausgleichende Betreuung gefordert wird, wie sieht es in den Familien vor der Trennung aus? In einem Artikel in der Berliner Zeitung konstatiert Journalist Malte Welding, dass die neuen Väter „seltener als Wähler der Tierschutzpartei“ seien. Von allen Paaren, die Elterngeld bezogen, nahmen nur 38 Prozent von der Möglichkeit Gebrauch, dass der Vater zwei Monate Elternzeit nimmt, während die Mutter wieder in ihren Job einsteigt. Von diesen Paaren nahmen 78 Prozent 2 ausschließlich die zwei Vätermonate, während die Mutter ein Jahr mit dem Kind zu Hause blieb. Nur bei 1,5 Prozent der Familien nahmen beide Eltern gleichviele Monate Elternzeit (jeweils sieben Monate) und nur in 0,9 Prozent nahm der Vater mehr Elternzeit als die Mutter. Welding schreibt: „Im Sorgerechtsverfahren soll das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen. Wenn es aber kein Problem für das Kindeswohl ist, wenn der Nachwuchs während der Ehe ausschließlich von der Mutter erzogen wird, warum ist dann nach der Trennung auf einmal der Vater unerlässlich?“ Eine berechtigte Frage, die man sich angesichts der Zahlen stellen muss. Wer profitiert vom Wechselmodell? Schaut man sich den finanziellen Aspekt des Wechselmodells an, ist es gerade für Väter im Vergleich zum Residenzmodell (Aufenthaltsschwerpunkt bei der Mutter) lukrativ: Bei einer 50:50 Betreuung fällt der Barunterhalt für die Kinder nach Anwendung § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB weg. Am Musterbeispiel eines Vaters mit zwei Kindern (6 und 9 Jahre), der ein Nettoeinkommen von 2.500 € hat, müsste dieser laut Düsseldorfer Tabelle der Mutter einen Kindesunterhalt von 654 € zahlen. Bei einem Wechselmodell entfällt dieser Zahlbetrag und der Vater erhält das hälftige Kindergeld von 184 €. Das macht eine Gesamtentlastung von 838 € monatlich, die der Mutter hingegen fehlen. Kein Wunder also, dass sich Väterverbände sehr für das Wechselmodell einsetzen und hier seit Jahren Lobbyarbeit betreiben. In den überwiegenden Fällen erleben wir als Verein, dass das Interesse der Väter an einer paritätischen Betreuung erst nach der Trennung erwacht, und zwar dann, wenn es um den Kindesunterhalt geht. Die Zahlen der Väter, die in Deutschland Elternzeit nehmen, untermauern diese Beobachtung. Finanzielle Situation der Familien im Wechselmodell Das Wechselmodell ist für beide Familienteile gesamt gesehen deutlich teurer als das Residenzmodell. Statt § 1606 Abs. 3 S. 2 gilt dann § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB. 3 Prof. Dr. Kirsten Scheiwe hat in einer Arbeit für die Universität Hildesheim das Wechselmodell in Hinsicht auf die finanzielle Situation beleuchtet. “Die in der Rechtspraxis meist verwendeten Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte passen nicht zum ‚Wechselmodell‘, weil sie von der Annahme ausgehen, dass ein Kind überwiegend in der Obhut des betreuenden Elternteils lebt und sich beim barunterhaltspflichtigen Elternteil nur im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts befindet. Ob und wie die Tabellen, die ja lediglich Hilfsmittel sind, einem veränderten Bedarf des Kindes beim Leben in zwei Haushalten Rechnung tragen, ist daher zu diskutieren. Das ‚Wechselmodell‘ irritiert auch deshalb, weil finanzielle Sorgen und Interessen und Armutsrisiken beim Kindesunterhalt so eine wichtige Rolle spielen. Überwiegend Mütter haben Angst vor einer Verschlechterung der materiellen Situation – weniger Kindesunterhalt, möglicherweise auch weniger oder kein Betreuungsunterhalt mehr -, wünschen aber oft eine stärkere Einbindung des Vaters im Interesse des Kindes und ihrer eigenen Erwerbstätigkeit, die rechtlich ja zunehmend eingefordert wird.” (Quelle: Prof. Dr. Kirsten Scheiwe, Universität Hildesheim) Weiterhin ist eine finanzielle Grundlage für das Wechselmodell gerade bei ALG2 Bezug in Deutschland gar nicht gegeben. Schweiwe: “Die Rechtsprechung thematisiert das unter dem Stichwort der ‚Wechselmehrkosten‘ (auch die Sozialgerichtsbarkeit ist mit dem Problem konfrontiert, etwa bei den Umgangskosten, der ‚temporären Bedarfsgemeinschaft‘ und der Frage, wie im Wechselmodell mit dem ‚Mehrbedarf‘ für Alleinerziehende in der SGB-II Grundsicherung umzugehen ist). Meiner Meinung nach wird bisher die Frage, wie der Kindesbedarf sich im Fall des Wechselmodells verändert, jedoch unzureichend geklärt; die Diskussion entzündet sich an einzelnen Bestandteilen des Kindesbedarfs (etwa Wohnkosten oder Fahrtkosten), aber es liegen keine fundierten Berechnungen vor, wie sich der Mindestbedarf und der Mindestunterhalt durch das Leben in zwei Haushalten verändert (Kosten für Essen, Spielzeug, Möbel etc.) und welche Einsparungen tatsächlich erzielt werden können, wenn sich das 4 Kind die Hälfte der Zeit im Haushalt des anderen Elternteils aufhält. Das müsste transparent und empirisch fundiert ermittelt werden; bisher beruhen die angenommenen ‚Wechselmehrkosten‘ auf reinen Schätzungen, die nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind. Regelungen des Steuer- und Sozialrecht passen nicht zum ‚Wechselmodell‘, wenn davon ausgegangen wird, dass das Kind nur einen ‚Lebensmittelpunkt‘ haben kann und sich nur bei einem Elternteil in Obhut befinden kann. Diese Probleme strahlen über die Kindergeldanrechnung auch in das Kindesunterhaltsrecht aus. “ (Quelle: Prof. Dr. Kirsten Scheiwe, Universität Hildesheim) Annika S.: Seit vier Jahren praktizieren wir das Wechselmodell. Unsere Kinder sind jetzt 10 und 12 Jahre alt. Es ist eine mögliche Betreuungsform für die Kinder, wenn die Eltern sich noch gut verstehen und alle Rahmenbedingungen vernünftig geklärt werden können. Ich kann in der kinderfreien Zeit arbeiten und muss mich nicht um Betreuung kümmern. Für Eltern ist es allerdings überaus schwer, wenn der Verdienstunterschied groß ist. Mein Ex-Mann ist ein sehr erfolgreicher Unternehmer, mit dem 15-fachen meines Jahresverdienstes. Durch das Wechselmodell muss er keinen Unterhalt zahlen. Bei mir leben die Kinder knapp über der Hartz-IV-Grenze, beim Vater förmlich im Luxus. Das ist einfach ungerecht und frustrierend. Einen finanziellen Ausgleich zu schaffen, ist kaum möglich. Jede einzelne Ausgabe muss aufgeschlüsselt werden. Ich kann nur gebrauchte Sachen kaufen, bei Papa kostet die Jacke auch schon mal 300 Euro. Das ist ein Nährboden für böses Blut und ich als Mutter muss immer zurückstecken und die Kinder knapp halten. Was dies im innerfamiliären Gefüge verursacht, kann man sich denken („Bei Papa können wir aber ‚ne Pizza essen gehen“, „mit Papa fliegen wir aber in den Urlaub“) Finanziell ist das Wechselmodell für mich als Mutter ein Desaster, ganz klar. Aus finanziellen Gründen wollte ich das Wechselmodell beenden. Der Kindsvater hätte zu gerne zugestimmt, unter der Bedingungen, dass ich ihm die Kinder überlasse... Vermutlich müsste ich dann sogar Unterhalt bezahlen! Für meine Kinder ist es ideal, weil sie ihren Papa haben und sich zumindest die Hälfte ihrer Kindheit etwas leisten können... Ich als Mutter trage das Wechselmodell nur mit, damit meine Kinder den engen Kontakt zu ihrem Papa halten. Der Preis, den ich dafür zahle, ist bitter hoch, einfach ungerecht und frustrierend! 5 Die Situation vor dem Familiengericht Ein alteingesessener Berliner Anwalt sagte kürzlich, dass diese zwangsweise angeordneten Wechselmodelle vor 10 Jahren undenkbar gewesen wären. Er erlebt, dass die Gerichte wesentlich sensibler in Bezug auf Väterrechte im Vergleich zu den Mütterrechten sind und hier oft auch über das Ziel hinaus schießen. Wenn Familien in einer hocheskalierten Situation vor dem Familiengericht landen und sich nicht einigen können, werden Gutachter und Verfahrensbeistände in das Verfahren eingebunden. Sie sollen über das Kindeswohl entscheiden. Leider sind die eingebundenen „Fachleute“ für diese wo wichtige Aufgabe in der Regel weder kinderpsychologisch ausgebildet noch überhaupt ausreichend qualifiziert. In einem Artikel in der FAZ von Katrin Hummel wird die Situation der Familiengutachter in Deutschland beleuchtet: “Ein Studium ist keine Pflicht Dass Gutachten in Familienprozessen voreingenommen oder aus anderen Gründen fehlerhaft sind, ist kein Einzelfall. Wer sich falsch behandelt fühlt, der kann sich im Prinzip noch glücklich schätzen, wenn das Gericht erkennt, dass ein Gutachten nicht den Ansprüchen genügt. Einer noch nicht veröffentlichten Studie der Universität Tübingen zufolge, für die der Biometriker Hans-Peter Dürr 543 Eltern befragt hat, wurde in 16 Prozent der Fälle „nachweislich“ ein Falschgutachten erstellt. Verwunderlich ist das nicht: Eine Mindestqualifikation für Gutachter ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Gabriele Bapst-Sick, Vorstand des Bundesverbands Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter, kennt viele psychologische Sachverständige, die nie Psychologie studiert haben und dennoch bei Gericht tätig sind: „Es fehlt ihnen an Sachverstand und an Wissen, wie man Gutachten erstellt.“ Zwar müssen psychologische Sachverständige laut gängiger Rechtsprechung ein übergeordnetes Fachwissen haben, worunter man eigentlich ein abgeschlossenes Psychologiestudium verstehen sollte. Doch bei Gutachtern am Familiengericht wird ein solches oder überhaupt irgendein Studium nicht verlangt, auch keine Aus- oder Weiterbildung in der Begutachtung. 6 Tatsächlich kommen Soziologen, Pädagogen, Psychiater als psychologische Sachverständige zum Einsatz, ja sogar Pastoren oder Heilpraktiker. Eine Heilpraktikerin und Altenpflegerin aus NordrheinWestfalen etwa, die nie studiert hat und dieser Zeitung namentlich bekannt ist, ist dort als psychologische Sachverständige in Familienkonflikten an verschiedenen Amts-, Landes- und Oberlandesgerichten tätig. Niemand hindert sie daran, obwohl es entsprechende schriftliche Anfragen gibt: nicht der Landrat, nicht die Psychotherapeutenkammer - und kein Gericht. Im Gegenteil: Gerade erst hat wieder ein Gericht aufgrund eines von dieser Heilpraktiker-Gutachterin geschriebenen Gutachtens einem Vater die Kinder weggenommen und sie in eine Pflegefamilie gesteckt. Faktisch ist die Macht der Sachverständigen fast unbegrenzt Sachverständige mit fragwürdiger Qualifikation können also über die Zukunft ganzer Familien entscheiden. Wie viel Lebens-, Gutachter- oder Berufserfahrung sie haben, spielt keine Rolle. Überwacht werden sie von niemandem. Denn Richter sind meist überfordert, wenn sie die Güte eines Gutachtens beurteilen sollen: „Familienrichter haben eine hochgradig jämmerliche Ausbildung, das Familienrecht spielt weder im Studium noch im Referendariat eine große Rolle, geschweige denn, dass es eine spezielle Ausbildung oder verpflichtende Fortbildung für angehende Familienrichter gäbe“, sagt Elmar Bergmann, dreißig Jahre lang Familienrichter in Mönchengladbach und seither Rechtsanwalt.” (Quelle: Katrin Hummel / FAZ) Problematisch sind also die unzureichend qualifizierten Sachverständigen, auf deren Gutachten sich die Richter in ihren Entscheidungen aber zu etwa 80% beziehen. (Quelle Zahlen: Gabriele Knaetsch „Welche Macht haben Gutachter?“, Bayrischer Rundfunk) 7 Sabine A. Ich bin 44 Jahre alt und alleinerziehend mit meinen beiden Söhnen 11 und 7 Jahre. Ich war verheiratet, mein Mann lebte aber aus beruflichen Gründen in einer anderen Stadt. Durch die Entfernung unserer Wohnorte Koblenz – Berlin, führten wir eine sogenannte Wochenendbeziehung – 14tägig. Die Kinder lebten bei mir in Berlin. Nach dem Scheitern der Ehe zog mein damaliger Ehemann nach Berlin und beantragte beim AG Kreuzberg das alleinige Sorgerecht, nachdem ich ihn auf Kindesunterhalt verklagt hatte, den er nicht bereit war zu zahlen. Als Gründe für seinen Antrag gab er an, dass ich unsere Söhne vernachlässigen und verwahrlosen lassen würde. Diese Vorwürfe wurden vom Jugendamt nach einem Hausbesuch, Gespräche mit den Kindern und nach Rücksprache mit der Kita und der Schule als unwahr widerlegt. Das AG beauftragte in Folge auch noch eine Verfahrensbeiständin, die nach mehreren Hausbesuchen und Gesprächen mit den Kindern ebenfalls keine Anhaltspunkte für die Vorwürfe des Kindesvaters erkennen konnte. Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrensbeiständin sprachen sich dafür aus, dass die Kinder in ihrem gewohnten Umfeld, also bei mir, wohnen bleiben sollten. Trotz dieser eindeutigen Stellungnahmen wurde vom Gericht noch eine Gutachterin bestellt. Diese Dame stellte dann nach einem einzigen Hausbesuch, der sich über 2,5 Stunden erstreckte, eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit bei mir fest. Dass mein älterer Sohn sehr gute schulische Leistungen aufwies, sowohl die Schule als auch die Kita sogar eine überdurchschnittliche Entwicklung beider Kinder attestierte, war für die Gutachterin unerheblich. Sie prognostizierte in dem Gutachten, dass sich die Kinder in Zukunft negativ entwickeln würden, wenn sie weiterhin bei mir leben würden, weil mein Erziehungsstil in ihren Augen zu nachgiebig wäre. Das Ergebnis war, dass sich die Gutachterin gegenüber dem Gericht für ein Wechselmodell aussprach. Der Kindesvater, der sich bis dato praktisch nicht an der Erziehung der Kinder beteiligt hatte, sollte meine angeblichen Erziehungsdefizite auffangen. Hierbei spielte es für die Gutachterin auch keine Rolle, dass wir inzwischen schon seit fast zwei Jahren nicht mehr miteinander sprachen. Vier Richter haben sich mit diesem Gutachten befasst, jeder Richter hat auch die Kinder angehört. Keiner wollte der gutachterlichen Empfehlung folgen, weil die Kinder einerseits ausdrücklich kein Wechselmodell leben wollten und andererseits Widersprüche und die Oberflächlichkeit dieses Gutachtens klar erkennbar waren. 8 Dennoch wagte es auch kein Richter, einen Beschluss gegen die Empfehlung dieses Gutachtens zu verfassen. Es wurde schliesslich ein neuer Gutachter bestellt, der dann wiederum nach Hausbesuchen und Gesprächen mit den Kindern feststellte, dass sich die Kinder prima entwickeln und es keine Gründe gab, sowohl die Kinder als auch die Mutter zu einem Wechselmodell zu zwingen. Erst nach diesem Gutachten gab es rasch einen Beschluss, wobei mir die alleinige Sorge übertragen wurde, weil der Kindesvater zwischenzeitlich wieder aus Berlin weggezogen war, ohne das überhaupt jemanden zuvor mitzuteilen. Dieses sinnlose Verfahren, finanziert zur Hälfte aus staatlicher Prozesskostenhilfe, zog sich über 4 Jahre in die Länge. Der Kindesvater hatte schon in Berlin immer weniger Umgänge und Ferienzeit mit seinen Kindern wahrgenommen, obwohl es einen Umgangsbeschluss gab, wonach er dazu verpflichtet gewesen wäre. Nach seinem Wegzug aus Berlin hat er seine Söhne nicht mehr besucht. Beide Kinder besuchen inzwischen die Schule, haben sehr gute schulische Leistungen, sind sozial bestens integriert und sehr beliebt bei ihren Mitschülern und den Lehrern. Und das trotz des fehlenden erzieherischen Einflusses des Vaters, den die Gutachterin als so massgeblich wichtig erachtete. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass sich Richter jahrelang mit einer intakten Familie beschäftigen, sich zigmal - auch bei eindeutigen Sachverhalten – absichern, bevor sie zu einem Urteil gelangen. Dass dann auch noch sogenannte „Sachverständige“ als Gutachter auf Familien losgelassen werden, die nach einer Momentaufnahme über das Schicksal und die Zukunft von Kindern und somit Biografien entscheiden sollen, das macht Angst und Sorge. Dieser Trend, ebenso das Wechselmodell als Lösung, um es vorgeblich beiden Elternteilen irgendwie recht machen zu wollen, muß aufgehalten und hinterfragt werden. Sachverständige und Verfahrensbeistände sind oft gar nicht in der Lage zu erkennen, ob das Wechselmodell der Familie in der Nachtrennungssituation am besten entspricht. Aus Expertensicht sind außerdem viele Vorgaben zu erfüllen, damit überhaupt ein Wechselmodell in Frage kommt. Dazu gehört unweigerlich eine sichere Bindung der Kinder an beide Eltern, eine gute Kommunikationsbasis der Eltern und der Willen aller Beteiligten (Kinder und beide Elternteile) das Betreuungsmodell so umzusetzen. 9 Fachartikel: Das Wechselmodell aus 'Sachverständigensicht' Gibt es den goldenen Mittelweg? Diplom-Psychologen Dr. Jörg Fichtner und Dr. Dr. Joseph Salzgeber, München Gerade im Rahmen von familienpsychologischen Gutachten zu Fragen des Sorge- und Umgangsrechts werden Sachverständige in letzter Zeit zunehmend mit dem Wunsch von Elternteilen konfrontiert, die Betreuung der Kinder gleichmäßig zwischen den Eltern aufzuteilen. Die beiden Autoren psychologische Sachverständige bei der GWG in München - versuchen neuere Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis der Begutachtung zusammen zu führen, um Risiken und Chancen des Wechselmodells aus Sachverständigensicht herauszuarbeiten. I. Einleitung Das Wechselmodell, bei dem das Kind möglichst gleich viel Zeit bei den getrennt lebenden Eltern wohnt, erfährt derzeit vermehrt Aufmerksamkeit: Bei den beteiligten Professionen als Lebensform der Nachtrennungsfamilie und in Internetforen - zumeist in Beiträgen vom jeweils getrennt lebenden Elternteil - als gerechte und dem Kindeswohl angemessene Sorgerechtsoder Umgangsregelung: Das Kind hat ein Recht auf beide Eltern. Das Kind solle daher auch nach der Trennung der Eltern mit beiden Eltern zusammenleben und deren Lebensweisen, Werte, Lebensstile erfahren. Unterstützung finden die Befürworter des Wechselmodells bei sozialwissenschaftlichen Autoren. Erst kürzlich wurde von Klenner ausgeführt, dass die beste Lösung zur Gewährleistung des Rechts des Kindes ein 50%iger Umgang mit dem anderen Elternteil sei. Dieser bewahre das Kind vor dem Verlust eines Elternteils. Prinzipiell solle das Kind mit beiden Eltern so oft und so lange zusammen sein wie nur irgendwie möglich. Einen Bezug zu entwicklungspsychologischen Erkenntnissen stellt der Autor aber in seinem Beitrag nicht her. Bisher existieren wenige familiengerichtliche Beschlüsse zum Wechselmodell. Diejenigen, die vorliegen, achten auf eine geringe Distanz zwischen den Wohnungen beider Eltern, damit das sozial-räumliche Umfeld für das Kind erhalten bleibt. Wichtig ist auch ein niedriges Konfliktniveau bei den Eltern. 10 II. Vorannahmen des Wechselmodells Bei den Befürwortern des Wechselmodells wird mit einem Kindeswohlbegriff argumentiert, der auch sozialwissenschaftliche Unterstützung findet: Prinzipiell sei der Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen nach Trennung und Scheidung förderlich. Weitergehend wird unterstellt, dass durch einen möglichst umfangreichen Kontakt die Folgen der Trennung und Scheidung für das betroffene Kind minimiert würden. Zudem fördere eine intensive Einbeziehung des getrennt lebenden Elternteils das Kindeswohl, da das Kind durch die unterschiedlichen Lebenswelten der Eltern Anregungen erfahre, ferner die Beziehungen und Bindungen umfänglich, d.h. nahezu vergleichbar zur intakten Familie, aufrechterhalten bleiben können mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die Identifikationsentwicklung des Kindes. Für die konkrete Gestaltung des Wechselmodells finden sich unterschiedliche Vorschläge. Es kann ein wöchentlicher Wechsel des Kindes erfolgen, ein jährlicher Wechsel oder die Aufenthaltszeiten des Kindes bei einem Elternteil während der Woche werden zwischen den Eltern minutiös, in Abhängigkeit anderer zeitlicher Verpflichtungen und in zeitlicher Abstimmung mit weiteren Verpflichtungen aufgeteilt. Eine Alternative zum Wechsel- oder Pendelmodell stellt das so genannte Nestmodell dar, bei dem das Kind in derselben Wohnung wohnt, die Eltern sich aber in der Betreuung des Kindes hälftig abwechseln. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation werden - selbst bei einseitiger Sorgerechtsregelung - in streitigen familiengerichtlichen Verfahren Anträge auf Umgangsregelungen gestellt, die sich dem Wechselmodell annähern. Schon bei Säuglingen und Kindergartenkindern werden am Familiengericht bei streitigen Verfahren Besuchsregelungen diskutiert, welche vorsehen, die Abstände zwischen den Besuchen beim (in den meisten Fällen) getrennt lebenden Vater möglichst kurz zu gestalten. Argumentiert wird mit dem unterschiedlichen Zeitempfinden bei Kindern Auch in der US-amerikanischen Literatur finden sich Vorschläge, bereits Säuglinge möglichst häufig vom getrennt lebenden Elternteil mitbetreuen zu lassen, damit dieser Förderkompetenz und feinfühliges Verhalten gegenüber dem Kleinkind lerne, um dann als (hoffentlich) sichere wesentliche Bindungsperson in Zukunft für das Kind zur Verfügung stehen zu können. Neben häufigen Besuchkontakten, die oftmals Kinderpflege mit einschließen, werden gerichtlicherseits zunehmend schon bei kleinen Kindern Übernachtungen angeordnet. 11 Noch 1994 hat Fthenakis, der nicht in Verdacht steht, einseitig mütterorientiert zu argumentieren, Übernachtungen bei Kindern bis drei Jahren nur ausnahmsweise empfohlen, und selbst bei Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren sollten - nach Fthenakis - Ferienaufenthalte in der Regel nicht länger als eine Woche dauern. Im folgenden Beitrag wird versucht, aus familienforensischer Sicht zum Wechselmodell Stellung zu nehmen. Es werden die wenigen zum Thema vorhandenen Forschungsergebnisse vorgestellt und im Hinblick auf das Kindeswohl relevante Kriterien diskutiert. III. Wechselmodell und „Gute Scheidung“ Auffallend bei der Diskussion zum Wechselmodell ist die geringe Beachtung des Kindeswillens oder des wohlverstandenen Interesses des Kindes. Das Kindeswohl wird allein aus der Sicht der Eltern bestimmt. Diese Sicht speist sich aus der Vorannahme, dass, wenn sich die Eltern irgendwie auf eine Nachscheidungs- und Trennungsregelung für das Kind einigen, zudem der Konflikt zwischen den Eltern möglichst gering gehalten wird und beide Eltern dem Kind durch die ausgiebige Betreuungszeit ihre Liebe beweisen können, sich die negativen Folgen der Trennung und Scheidung für das Kind deutlich reduzieren lassen. Möglicherweise erziele das Kind durch die Trennung der Eltern sogar einen Gewinn, da es einerseits die elterlichen Konflikte während der Ehezeit nicht mehr erlebt, zum anderen aber durch die Herausforderungen der unterschiedlichen Umwelten auch an Kompetenzen gewinnt. Diese Annahme wurde bisher durch keine Scheidungsstudie bestätigt. Alle Kinder leiden durch die Scheidung, sie werden in ihrem Vertrauen und ihrer psychischen Stabilität erschüttert. Qualitative Studien über von Trennung betroffene Personen zeigten eindeutig, dass eine Trennung der Eltern für die Kinder in jedem Fall einen erheblichen Einschnitt in ihrer Lebensqualität mit sich brachte und für die Kinder eine dauernde Herausforderung in emotionaler Hinsicht darstellte. Trennung und Scheidung muss zwar nicht zu klinisch relevanten Störungen oder zu überdauernden sozial auffälligen Verhalten führen. Die Vorstellung einer „Guten Scheidung“ führt aber dazu, dass sich die Eltern relativ leicht trennen. Zwei Drittel der Ehen gehen auseinander, nicht weil heftige und hochkonflikthafte Spannungen in der Familie bestehen, sondern weil sich die Ehepartner unerfüllt oder zu wenig geliebt erachtet haben. Mit einer „Guten Scheidung“ können Eltern ihre Entscheidung leichter vor den Kindern rechtfertigen, obwohl sich kein Elternteil selbst vorstellen kann, wie es 12 ist, in einem Wechselmodell zu leben, da der jeweilige Elternteil selbst keinen Wohnortwechsel erlebt. Die Eltern erleben zwar auch einen Wechsel, jedoch in Form einer hälftigen Betreuungsleistung für das Kind bzw. in Form des Wechsels aus An- und Abwesenheit des Kindes, d.h. sie müssen sich entsprechend organisieren beispielsweise hinsichtlich der Arbeitszeiten. Fraglos ist eine hochkonflikthafte Trennung und Scheidung für die Kinder noch belastender als eine sanfte Scheidung. Aber auch die sanfte Scheidung und geringe Konflikte führen bei Kindern zu erheblichen Beziehungsproblemen, weil Kinder in ihren Beziehungen verunsichert werden, da sich diese ohne große Vorankündigung scheinbar leicht lösen lassen. IV. Wechselmodell vor dem Hintergrund psychologischer Erkenntnisse Wie Kinder tatsächlich auf ein Wechselmodell oder zeitlich ausgedehnte Umgangskontakte reagieren, welchen Vorteil oder welche Belastungen sie erleben, darüber bestehen kaum aussagekräftige Forschungsergebnisse. Allerdings ist - im Gegensatz zu der optimistischen Haltung insbesondere bei betroffenen Vätern - in den psychologischen und pädagogischen Disziplinen eher eine skeptische Haltung in Bezug auf das gleichrangige Nebeneinander von zwei Wohnorten der Kinder auszumachen: So wird etwa aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht bei der Bewertung der verschiedenen Sorgerechtsmodelle nur das Residenzmodell als realistisch eingestuft. Aus der Bindungsforschung kommt die Warnung, dass das Fehlen eines eindeutigen Zuhauses einen Risikofaktor darstellen kann, und auch bei einer neueren Untersuchung zur Sorgerechtsregelung nach der Kindschaftsrechtsreform kommt Proksch zu dem Schluss, dass dieses Modell empirisch in der Bundesrepublik längst nicht die Bedeutung hat, die Anhänger ihm häufig unterstellen: „Das so genannte Wechselmodell, bei dem die Kinder zwischen beiden Elternhäusern hälftig hin und her pendeln, gibt es grundsätzlich nicht. Das war ernsthaft auch nicht zu erwarten.“ Studien zu Folgen, Chancen und Gefahren des Modells finden sich in der deutschsprachigen Literatur aber kaum, und von den wenigen vorliegenden Ergebnissen kommen die meisten aus den USA; einige Ergebnisse solcher Untersuchungen trägt Kostka zusammen: So fand Luepnitz noch vor der Kindschaftsrechtsreform, dass Familien, die das Wechselmodell praktizieren, sich seltener vor Gericht streiten und insgesamt ein niedrigeres Konfliktniveau aufweisen. 13 Was hierbei Folge und was Ursache ist, bleibt aber der Interpretation der Daten überlassen. Nelson fand dagegen, dass Eltern mit praktiziertem Wechselmodell zwar mehr Gespräche über die Kinder führten, aber auch mehr Konflikte austrugen als bei anderen Modellen. Maccoby und Mnookin schließlich kamen in ihrer Studie zum Schluss, dass es auch unter der Wahl dieses Modells nicht zu weniger Konflikten und zu verbesserter Kooperation zwischen den Eltern kam. Werden die Kinder im Wechselmodell betrachtet, deuten die Daten von Johnston, Kline und Tschann darauf hin, dass Kinder in diesem Modell zwar mehr Kontakte mit beiden Eltern hatten, aber auch stärkere emotionale Probleme, ferner, dass sie vermehrt körperliche Aggressionen ausagierten. Gerade in der Retrospektive der Kinder zeigte sich das Wechselmodell nach den Interviews von Wallerstein sogar als schädlich für den Eltern-Kind-Kontakt, sofern die Kinder nicht von sich aus bereit zu diesem Modell waren und dazu „gezwungen“ werden mussten. Die Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass dieses Modell erhebliche Anforderung an Eltern und Kinder stellt und von allen beteiligten Seiten motiviert mitgetragen werden muss. Eine im Zusammenhang mit dem Wechselmodell immer wieder angeführte Untersuchung von Bausermann scheint dagegen wenig geeignet, dieses Modell zu unterstützen. In dieser Metaanalyse werden generell keine Unterschiede hinsichtlich der Effekte zwischen physischer gemeinsamer Sorge (d.h. Wechselmodell) und juristischer gemeinsamer Sorge (ohne Berücksichtigung der Aufenthaltsregelung) gefunden. Ein Plädoyer für dieses Modell, das von Befürwortern hier immer wieder herausgelesen wird, ist daher aus dieser Untersuchung nicht ableitbar. V. Bindungsentwicklung Aus der Bindungsforschung wissen wir, dass ein Kind eine stabile und zuverlässige Bindungsperson benötigt. Sowohl beim Vater als auch bei der Mutter ist dazu feinfühliges Elternverhalten gegenüber den Bedürfnissen des Kindes wesentliche Voraussetzung. Bisher geht die Bindungsforschung davon aus, dass das Kind zu Beginn seiner Entwicklung nicht zu mehr als zu drei oder vier Personen Bindungen entwickeln kann. Weiter lässt die bisherige Forschung den Schluss zu, dass das Baby zuerst zu einer Bindungsperson eine Bindung entwickelt haben muss, bevor es zu weiteren Personen Bindungen entwickeln kann. Daraus ist das Konzept der Bindungshierarchie entstanden, das zwar auch kritisiert, von den Bindungsforschern aber bisher unterstützt wird. In der Regel 14 wird die primäre Bezugsperson diejenige Person sein, die die meisten Bedürfnisse des Kindes befriedigt, selbst wenn prinzipielle Bindungssicherheit bei beiden Eltern gegeben ist. Wird aber von einer Bindungshierarchie ausgegangen, vermitteln die Eltern dem Kleinkind zumindest in den ersten drei Jahren unterschiedliche Grade von Sicherheit; das Ausmaß der vermittelten Sicherheit wird besonders dann bedeutsam, wenn das Kind in eine Stresssituation kommt, die ja bei Elterntrennung und den damit einhergehenden Konflikten in besonderem Maße anzunehmen ist. Die Folge daraus ist, dass gerade bei Kleinkindern der in der Regel stressvolle Übergang von der Hauptbindungsperson zu einer weiteren Bindungsperson nicht abrupt geschehen sollte, sondern im Rahmen einer vorsichtigen kooperativen Übergabe, da ansonsten das Bindungssystem beim Kind stark aktiviert wird, mit dem bekannten Weinen, Anklammern. Dieses kooperative elterliche Verhalten kann am ehesten dann erwartet werden, wenn beide Eltern freiwillig einem Wechselmodell zustimmen. Auch dann werden Irritationen beim Kleinkind auftreten, können aber minimiert werden, wenn z.B. die hauptbetreuende Mutter dem Kind erklärt, dass nun der Papa kommt und dass die Mama z.B. am Abend wieder zurückkommt, der Papa sich bei der Mama meldet, wenn Probleme auftauchen. Eine solche Kooperation kann aber bei einer streitigen Trennung und Scheidung nicht immer vorausgesetzt oder erreicht werden. Übernachtungen können gerade bei kleinen Kindern eine große Irritation bedingen, selbst wenn das Kind zu beiden Eltern eine sichere Bindung aufgebaut hat (was nicht in jedem Fall vorausgesetzt werden kann). Einige Autoren sprechen von Regressionen, die das Kind beim Zubettbringen durchläuft. Hierbei wird das Bindungssystem des Kindes aktiviert, was dann für das Kind die Anwesenheit der Hauptbindungsperson notwendig macht, um ihm die notwenige Sicherheit zu geben. Unkomplizierte Kleinkinder, die den Wechsel ohne erkennbare Auffälligkeiten vollziehen, sind nicht in jedem Fall der Beweis für gute Elternschaft nach Trennung, dies kann vielmehr ein Hinweis für unsichervermeidend gebundene Kinder oder gar für Kinder mit Bindungsstörungen sein. Damit das Kind zu einem Erwachsenen eine ihm emotionale Sicherheit vermittelnde Bindung aufbauen kann, muss dieser zu feinfühligem Verhalten dem Kind gegenüber bereit und in der Lage dazu sein. Während aber bei den Müttern dazu feinfühliges Versorgungsverhalten notwendig ist, scheint es (hierzu 15 liegen noch keine gleichwertigen Forschungsergebnisse vor) beim Vater eher die feinfühlige Spielsituation zu sein. Beim Verhalten der Eltern oder anderer zentraler Betreuungspersonen wird als wesentlich erachtet, dass ihre Feinfühligkeit das Erkennen der Bedürfnisse des Kindes, eine adäquate Interpretation dieser Bedürfnisse sowie eine angemessene Bedürfnisbefriedigung umfasst. Da die Bindung zum Vater eher über das Spielverhalten entwickelt wird, reichen für den Bindungsaufbau zu Vätern wesentlich weniger Zeitintervalle aus, als dies für das mütterliche Verhalten gilt. So ergaben die Untersuchungen von Ainsworth in Uganda, dass die Väter oftmals über mehrere Wochen von ihren Babys getrennt waren, sich dann aber intensiv mit den Kindern beschäftigten und sich dabei eine sichere Bindung vom Kind zum Vater entwickelte. VI. Beziehungs- und Versorgungsaspekte Das Bindungskriterium kann also allein kein hinreichendes Argument sein, ein Wechselmodell oder umfangreiche Umgangskontakte zu begründen, selbst wenn das Kind zu beiden Eltern eine sichere Bindung aufgebaut hat. Eine Bindung, die dem Kind emotionale Sicherheit gibt, ist zwar Grundvoraussetzung für jede Umgangsregelung. Zusätzlich wird das Wohl des Kindes durch weitere Faktoren bestimmt, so durch feinfühliges Verhalten in der Erziehung, Umgebungsbedingungen, in der Versorgung, bei der Aufsicht des Kindes, Anbieten einer Vielfalt von Anregungen. Meist erfüllen beide Elternteile unterschiedliche Funktionen beim Kind. In der Regel liegt der Förderschwerpunkt bei der Mutter funktional im feinfühligen Fürsorgeverhalten, beim Vater im feinfühligen Spielverhalten. Die Anregungsqualität, die beide Eltern dem Kind gegenüber entwickeln, unterscheidet sich in der Regel geschlechtsspezifisch. Bei umfänglichen Betreuungskonzepten ist also sowohl die für einen längeren Zeitraum stabile Bereitschaft der Eltern zum Erbringen dieser Leistungen zu bedenken als auch die elterliche Kompetenz, diesen Anforderungen zu entsprechen, abzuwägen. Dies gilt sowohl für die Eltern als auch für dritte Personen, die in den Entscheidungsprozess einbezogen sind. VII. Mehrere Betreuungspersonen Unabhängig von der Bindungsqualität und den oben genannten Versorgungsaspekten stehen der Wechsel der Bezugspersonen bei jüngeren Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren und seine Auswirkungen auch in Abhängigkeit von weiteren Einflussvariablen. So zeigen Kinder, die bereits 16 häufige Wechsel von Bezugspersonen gewohnt sind, z.B. da beide Eltern berufstätig sind oder die Kinder in einer Kinderkrippe fremdbetreut werden, weniger Auffälligkeiten. Weiter ist das Konfliktniveau zwischen den Eltern mitentscheidend, beispielsweise wie sich atmosphärisch der Wechsel zwischen den Eltern für ein Kind gestaltet und wie der gerade nicht mit dem Kind zusammenlebende Elternteil durch den anwesenden Elternteil vermittelt bzw. repräsentiert wird. VIII. Geschlechtsunterschiede Weiter wurden geschlechtstypische Unterschiede in Bezug auf Reaktionen der Kinder auf Trennung von den jeweiligen Eltern nachgewiesen. Jungen bis ca. sechs Jahren reagieren auf die Trennung der Eltern und auf den Wechsel zwischen den Eltern mit höheren Irritationen, als dies für Mädchen gilt. Als mögliche Ursache wird einerseits genannt, dass Mädchen sich in diesem Alter verbal bereits besser ausdrücken können und somit auch ihre Bedürfnisse gegenüber den Eltern klarer formulieren können, als dies für Jungen gilt. Eine weitere Hypothese wurde dahingehend formuliert, dass die Interaktionen mit dem jeweiligen Elternteil unterschiedliche Bedeutung für die jeweiligen Geschlechter haben, wonach die Mädchen eher die Nähe zum Vater schätzen, von den Versorgungsleistungen der Mutter bereits unabhängiger sind, während die Jungen zwar von den geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen des Vaters profitieren, z.B. von seinem Entscheidungsverhalten und seiner Unterstützung des Explorationsverhaltens im Alltag, sie aber gerade zur Einschlafenszeit regredieren und dann die feinfühlige Versorgung durch die Mutter benötigen. Aus diesem Grund zeigen gerade Fünfjährige bei Übernachtungen bei den Vätern oder anderen Verwandten häufig höhere Irritationen, als dies für Mädchen gilt. IX. Stabilität der weiteren Sozialbeziehungen Bei den ersten Kindergartenbesuchen sind Eingewöhnungsschwierigkeiten für Eltern nichts Ungewöhnliches. Das Kind zeigt eine Aktivierung des Bindungssystems, klammert sich an den bringenden Elternteil, der häufig auch noch für längere Zeit anwesend sein sollte, bis das Kind vor dem Hintergrund der von ihm ausgehenden emotionalen Sicherheit sich langsam traut, das Umfeld zu explorieren. Diese Verunsicherung des Kindes wird verstärkt, wenn sich das Kind in zwei verschiedenen Kindergärten eingewöhnen muss, erschwerend noch vor dem Hintergrund, dass auch nicht jeder Elternteil dem Kind die gleiche Qualität an 17 emotionaler Sicherheit geben kann. Da Kinder ab dem Kindergartenalter über den Kontakt und Erfahrungen mit Gleichaltrigen moralische und soziale Normen im außerfamiliären Bereich entwickeln, ist ein kontinuierlicher Kindergartenbesuch daher kindeswohlförderlich. Bei älteren Kindern, die schon zur Schule gehen, spielen weitere Faktoren eine Rolle wie der Schulweg, soziale Kontakte, die unterbrochen werden, wenn diese nicht wirklich verfügbar sind. X. Mitentscheidung des Kindes Wenn das Kind sieben/acht Jahre alt oder älter und damit kognitiv in der Lage ist, andere Positionen einzunehmen und zeitliche Vorstellungen zu entwerfen, dann werden die Aufenthalte des Kindes bei den Eltern auch von eigenen Interessen mitgeprägt. Das Kind sollte bei der Gestaltung der Nachtrennungsfamilie zunehmend im Mittelpunkt stehen und es sollte mitgestalten dürfen, ohne Verantwortung für Verlustängste oder Beziehungserwartungen der Eltern übernehmen zu müssen. Dabei darf auch seitens der Eltern nicht einem vordergründig vorgebrachten Kindeswillen gefolgt werden. Wie die Scheidungsforschung aufzeigt, haben die Kinder meist ein ausgeprägtes Fairnessbedürfnis und äußern sich häufig dahingehend, dass sie möglichst hälftig bei jedem Elternteil leben wollen. Wenn sie aber gefragt werden, wie das konkrete Arrangement gelebt werden sollte, schlagen die Kinder meist kein Wechselmodell vor. Sie wägen dann durchweg ihre zeitliche Verfügbarkeit, ihre Aktivitäten, ihre schulischen Verpflichtungen, ihre Freizeitaktivitäten ab, aber auch die Zeit und Aktivitäten, die sie bei den Eltern erwarten können. Meist werden feste Rahmenbedingungen gewünscht, die durchaus Flexibilität der Aufenthalte ermöglichen. Damit entsprechen ihre Vorstellungen auch anderen Ergebnissen der Scheidungsforschung, nach denen nicht das mit dem Kind zusammen verbrachte Maß an Zeit für das Kindeswohl entscheidend ist, sondern auf welche Weise der Elternteil die Zeit mit dem Kind nutzt. Dies bedeutet nicht, dass nicht auch genügend gemeinsame Zeit zur Verfügung stehen sollte, um sich gegenseitig besser kennen zu lernen, und um ein Gespür füreinander zu entwickeln. Kinder ab dem Alter von elf Jahren wollen zunehmend ihren eigenen Interessen nach Beziehungsgestaltung nachkommen. Der Kindeswille gewinnt daher an Entscheidungserheblichkeit. Sollte diesem nicht gefolgt werden, so besteht - wie auch die Scheidungsforschung belegt - in 18 der Pubertät die erhöhte Gefahr eines Abbruchs zu der Bezugsperson, die sie gegen den Willen aufsuchen sollten XI. Belastungen durch den Wechsel Die jüngere Scheidungsforschung weist nach, dass Kinder getrennt lebender Familien die unterschiedlichen Lebensumfelder der Eltern nicht nur positiv bewerten - wie die Eltern vielleicht annehmen - sondern durch den Wechsel auch belastet sind. Die Familie, die nicht mehr zusammen lebt, unterscheidet sich qualitativ erheblich von einer Familie, die getrennt lebt, wie im Folgenden kurz ausgeführt wird. 1. Unterschiedliche Werte der Eltern Während sich zusammenlebende Eltern bzgl. ihrer alltäglichen Erziehungsvorstellungen, Werthaltungen und in Bezug auf das Kind zu treffende Entscheidungen einigen müssen, so dass bei Uneinigkeit letztlich eine Lösung gefunden werden muss - selbst wenn diese Diskussion heftig vor dem Kind ausgetragen wird -, ist dies bei getrennt lebenden Elternteilen nicht mehr der Fall. Getrennt lebende Eltern gestalten ihr Leben nach ihren individuellen Werten, Vorstellungen, Ideologien und persönlichen Verhaltensstilen, denen sich das Kind jeweils anpassen muss. Es findet, mit Ausnahme erheblicher, das Kindeswohl berührenden Entscheidungen, keine Kompromisslösung mehr statt; das Kind muss seine Konflikte bei Wertediskrepanz innerpsychisch für sich lösen. 2. Reden über die Probleme Eine Diskussion des Kindes mit dem jeweiligen Elternteil ist auch bei praktiziertem Wechselmodell schwerlich möglich. Es soll sich ja nach den Erwartungen des jeweiligen Elternteils im Umfeld, in dem es sich gerade aufhält, wohl fühlen. Die Eltern verhalten sich ja gängigen Vorstellungen gemäß perfekt im Sinne des Kindeswohls. Diskrepanzen und Konflikte bei der Erziehung werden nicht mehr von den Eltern gelöst, was eigentlich deren Aufgabe ist und nicht die des Kindes. Dies erfordert vom Kind ununterbrochen Anpassungsleistungen, dem Kind wird nicht deutlich, welche jeweilige Ordnung die Richtige ist. 19 Meistens sprechen die Eltern nicht über die Not der Kinder. Dies gilt gegebenenfalls noch mehr, wenn sie kooperativ miteinander umgehen, da sie nicht verstehen, warum ein Kind unter dem Wechsel leiden sollte, da sie doch alles tun, was in den Scheidungsratgebern steht. Damit bleibt das Kind häufig allein und fühlt sich auch entsprechend. Zudem werden die Diskussionen mit dem Kind nicht kindgemäß geführt, es werden von den Eltern Loyalitäten vom Kind erwartet. Dies führt dazu, dass sich die Kinder häufig als Spielball elterlicher Erwartungen erleben oder als in der Mitte zwischen beiden Eltern stehend auffassen. 3. Kontinuität Durch den intensiven Kontakt zu beiden Eltern bleibt zwar die Beziehungskontinuität erhalten, andere Kontinuitäten werden aber durchaus unterbrochen. Das Kind erlebt aber bei dem jeweiligen Elternteil auch Brüche im Sinne von Veränderungen, die den jeweiligen Elternteil für das Kind anders erleben lassen. Daran muss sich das Kind zusätzlich gewöhnen und muss diese Veränderung bei den Eltern verarbeiten. Nach der Trennung sind meist beide Eltern und vor allem allein betreuende Mütter finanziell schlechter gestellt, oftmals muss das gemeinsame Heim zu Gunsten weniger komfortabler Wohnungen aufgegeben werden. Allein erziehende Mütter neigen stärker zu Depressivität und sind in ihrer Versorgungskompetenz häufiger eingeschränkt als solche in kompletten Familien. Väter leben vermehrt neu gewonnene Freiheiten aus. Neue Partner kommen in das familiäre Leben, die Betreuung des Kindes wird unter Umständen auf neue Partner oder Großeltern delegiert. Damit kommt es ebenfalls immer wieder zu Beziehungsbelastungen, zumindest aber zu erheblichen neuartigen Anforderungen. Auch berufliche Veränderungen treten häufig hinzu. Möglicherweise kommt es zu Erweiterungen der Familie, damit zu der so genannten Patchworkfamilie. All dies erfordert - auch im Rahmen des Wechselmodells - weitere Anpassungsleistungen, denen die betroffenen Eltern und Kinder entsprechen müssen, wobei die Kinder in der Regel nicht in die Entscheidungen über die geplanten Veränderungen mit einbezogen werden. Gefahr besteht, dass sich Kinder angesichts der gravierenden Veränderungen ihrer Lebensverhältnisse ohnmächtig und ausgeliefert fühlen und mit Auffälligkeiten reagieren, sofern sie nicht in einem vertrauensvollen Dialog mit einem oder beiden Eltern stehen. 20 4. Loyalitäts- und Ambivalenzkonflikte Gerade die Konflikte, welche die Eltern durch das Wechselmodell vermeiden wollten, werden in der Praxis des Wechsels doch wieder evoziert. Jeder Elternteil erwartet, dass sich das Kind auf ihn freut und sich bei ihm wohl fühlt. Bei fast allen getrennt lebenden Eltern (auch bei zusammen lebenden Eltern) werden Eifersuchtsgefühle geweckt, wenn das Kind in positiver Weise vom anderen Elternteil spricht. Bereits die Art und Weise, wie das Kind über den anderen Elternteil berichtet, ist dazu angetan, den Elternteil vermuten zu lassen, dass das Kind den gerade abwesenden Elternteil bevorzugt. Bei den getrennt lebenden Eltern ist nicht jedes Kinderzimmer gleich geräumig, nicht jede Wohnung ist so gestaltet, dass sich das Kind dort gleich wohl und heimisch fühlt. Jeder Erwachsene hat ein Gefühl von Heimat, das atmosphärisch auch mitbestimmt wird davon, wo man sich aufhält und seine persönlichen Sachen aufbewahrt hat. Diese äußeren Umstände können bei zwei Haushalten nicht immer gleichwertig verteilt sein. Jedes Kind wird daher diesbezüglich Abwägungen vornehmen (müssen), wird sich aber nicht immer frei fühlen, seine Überlegungen, Sehnsüchte, Wünsche, Sorgen und Traurigkeiten, offen und ohne ein Elternteil zu verletzen, vorzutragen. Das Kind wird sich sowohl für das Wohlbefinden des anwesenden als auch des abwesenden Elternteils verantwortlich fühlen (Parentifizierung). Oftmals passt sich das Kind dem Bedürfnis und der Erwartung des Elternteils an, der einen neuen Partner gefunden hat, und stellt dabei eigene Gefühle, etwa der Eifersucht, zurück. 5. Unsicherheit Leben die Eltern zusammen, ist es unwahrscheinlich, dass die Eltern mit Fremdunterbringung drohen können - außer in besonderen Situationen, wie bei bestehender Drogenabhängigkeit, Straffälligkeit und ähnlichen das Kind akut gefährdenden - Vorfällen. Das Wechselmodell fördert hingegen latent eine Haltung des Elternteils, das Kind bei Erziehungsschwierigkeiten aufzufordern, beim anderen Elterteil zu bleiben, was das Kind, das in der Regel durch die erlebte Elterntrennung emotional bereits vorbelastet ist, erheblich verunsichert. Aber auch das Kind kann seinerseits mit der Möglichkeit drohen, ganz zum anderen Elternteil zu wechseln, etwa, um dadurch Erziehungsmaßnahmen zu entgehen, wodurch die Autorität der Eltern erheblich geschwächt wird. 21 Zudem besteht besonders die Gefahr, dass Eltern sich für auftretende Erziehungsschwierigkeiten gegenseitig beschuldigen. 6. Räumliche Umwelt und kindliche Entwicklung Heimat ist ein Singularwort (Der Begriff Heimat existiert nur im Singular.). Erwachsenen fällt es schwer, wöchentlich den Wohnort zu wechseln und sich überall heimisch zu fühlen, ohne dabei - wie das bei Kindern im Wechselmodell der Fall ist - auch noch den emotionalen Druck zu verspüren, sich mit dem jeweiligen Elternteil gut zu verstehen. Zwar existieren im deutschen Sprachraum keine entwicklungspsychologischen Untersuchungen zur Bedeutung des räumlichen Umfeldes und die möglichen durch Wechsel oder Konstanz herbeigeführten Konsequenzen auf die kognitive Entwicklung der betroffenen Kinder vor. Gleichwohl weisen bereits ältere Studien auf die Bedeutung der räumlichen Umwelt auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern hin: Aus den 80er und 90er Jahren liegen verschiedene psychologische Untersuchungen aus dem Darmstädter Institut für Wohnen und Umwelt vor, die z.B. Zusammenhänge zwischen beengten Wohnverhältnissen und Entwicklungsstörungen bei den Kindern und eine Zunahme von familiären Konflikten aufzeigen. Auch zeigen sich generelle Einflüsse der materiellen Umwelt auf die kindliche Entwicklung und insbesondere die Bedeutung des „free ranges“, d.h. der freien Gestaltbarkeit der Umwelt, auch durch die Kinder im Sinne der ökologischen Theorien von Bronfenbrenner im Rahmen der Entwicklungspsychologie. Neuere Untersuchungen weisen auf geschlechtsspezifische Bedürfnisse von Präpubertierenden in Bezug auf ihr Wohnumfeld hin. Diese Untersuchungen lassen zwar keine eindeutigen Schlüsse hinsichtlich der Wirkung „pluraler Heimaten“ auf die kindliche Entwicklung zu, machen aber zumindest deutlich, dass hier nicht zu unterschätzende Wirkmechanismen vorliegen dürften. XII. Kindeswohl als juristische Eingriffsschwelle Juristisch ist die Elterneinigung das wesentliche Sorgerechtskriterium. Unterhalb der Elterneinigung hat der Staat nur im Rahmen des § 1666 BGB, also bei Kindeswohlgefährdung, einzugreifen. Prinzipiell sollten sich die Eltern bezüglich ihrer Kinder einigen und werden in der Regel das beste Modell für ihre Nachtrennungsfamilie finden. 22 Dies bedeutet nicht, dass der Staat ein bestimmtes Nachtrennungsmodell präferieren sollte, auch wenn dies aus alltagspsychologischer Sicht überlegen erscheint. Modelle - wie auch das Cochemer Modell - erheben die Forderung, dass sich die Eltern bezüglich ihrer Kinder einigen müssen. Ob bei Elterneinigung das Kindeswohl unter Einbeziehung der Kinder eine Rolle spielt, scheint durch die verschiedenen Scheidungsstudien eher unwahrscheinlich. Gerade wenn der Elternkonflikt am größten ist und die Partner sich zeitnah trennen wollen, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Eltern produktiv gemeinsam mit dem Kind über ihre Trennung sprechen. Der Zwang zur Elterneinigung bedeutet aber, eine Chance auf Klärung der familiären Situation zu verspielen, da der Staat dann erst wieder bei Kindeswohlgefährdung eingreifen kann. Gerade das familiengerichtliche Verfahren eröffnet die Möglichkeit, der Familie professionelle Hilfen dafür anzubieten, eine kindeswohlgemäße Gestaltung der Nachtrennungsfamilie zu finden. Sicher kann dabei nicht allein der Kindeswille zählen. Es müssen auch innerpsychische Vorgänge und Entwicklungszustände der betroffenen Kinder mitbeachtet werden. XIII. Bewertung des Wechselmodells Das Wechselmodell ist zunächst ein Modell aus der Sicht von Erwachsenen. Dahinter steckt die Annahme, dass eine Elterneinigung und damit geringe vor den Kindern ausgetragene Konflikte dem Kindeswohl am besten dienen. Auch wird hierbei meist unterstellt, dass die getrennt lebende Familie dadurch der früheren zusammenlebenden Familie strukturell am ähnlichsten wird und somit dem Kind möglichst wenig Trennungsfolgen zugemutet werden. Jede Trennung und Scheidung ist jedoch für das Kind belastend, und diese Belastung kann auch durch eine möglichst 50%ige Aufteilung der Eltern nicht aufgehoben werden, zumal - wie angesprochen - aus dem Wechselmodell spezifische Anforderungen und Risiken abgeleitet werden können. Allerdings ergeben sich durchaus Konstellationen, in denen ein Wechselmodell eine Reduktion der Belastungen ermöglichen kann: Aus sachverständiger Sicht - dies gilt auch für die Hochkonfliktfamilien - ist das Modell dann anzuraten, wenn dadurch der Auszug eines Elternteils aus dem bis dahin gemeinsamen Haushalt ermöglicht wird, da der zum Auszug bereite Elternteil nicht ohne sein Kind gehen möchte, andererseits das Zusammenleben unmöglich geworden ist und das Kind selbst sich nicht für einen Aufenthalt bei einem Elternteil entscheiden kann. 23 In dieser Konstellation ermöglicht das Wechselmodell einem Elternteil die Wohnung zu verlassen, ohne den Verlust des Kindes fürchten zu müssen. Zudem ermöglicht es dem Kind, die neue Lebenssituation zu erproben, die aber in absehbarer Zeit in eine dem Kindeswohl angemessene Regelung überführt werden muss. In diesem Fall wäre das Wechselmodell nur ein Übergangsmodell bis zur späteren Entscheidung über den Aufenthalt des Kindes bei einem Elternteil. Weiter kann das Wechselmodell sinnvoll sein, wenn die hochkonflikthaften Eltern sich auf ein solches Modell einigen, die sozial-räumliche Situation, die Kontinuität gewahrt bleibt und damit das Konfliktniveau vor dem Kind gesenkt werden kann. Hier liegt der Gewinn des Wechselmodells in einer Beruhigung der Eltern im Kampf um das Kind. Auch hier kann das Modell als Erprobungsphase gesehen werden. Einige Kinder wollen dieses Modell weiter aufrechterhalten. Dann sollte diesem Modell gefolgt werden, wenn dieser Wunsch nicht einem falsch verstandenen Fairnessgedanken entsprungen ist und/oder das Kind nicht am Wechselmodell festhält, weil es sich um das emotionale Wohlbefinden der Eltern zu eigenen Lasten verantwortlich sieht. Bei praktizierten Wechselmodellen, die die Eltern selbst organisiert durchführen, weil sie z.B. berufsbedingt auf dieses Modell angewiesen sind, oder weil sie selbst so leben wollen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Übergänge für das Kind zwischen den Eltern positiv gestaltet werden. Wie die Scheidungsforschung aufzeigt, ist die Zufriedenheit der Eltern mit einem Regelungsmodell ein entscheidender Aspekt der Trennungsbewältigung für die Kinder. Entscheidend für das positive Gelingen eines Wechselmodells ist weiter, inwieweit die Mutter oder der betreuende Vater in seinem Haushalt den anderen Elternteil positiv darstellt. Psychologische Untersuchungen zeigen, dass gerade das Vaterbild von den Müttern transportiert wird, z.B. dass sie es zulassen, dass das Kind ein Foto vom Vater betrachtet oder die Mutter das Kind in positiver Weise auf gemeinsame Aktivitäten mit dem Vater vorbereitet („Heute darfst Du mit dem Papa zum Schwimmen gehen“). Das alles gibt dem Kind Sicherheit. Kooperierende Eltern tauschen sich auch über Rituale des Kindes aus und bringen das Kind zu dem Elternteil zurück, von dem das Kind die notwendige Unterstützung in bindungstheoretischer Hinsicht benötigt. 24 XIV. Schluss Das Wechselmodell ist kein Regelmodell für die Nachtrennungsfamilie, das ohne weiteres als prinzipiell kindeswohlförderlich angesehen und daher in jedem Fall gefördert werden sollte. Schon während des gemeinsamen Zusammenlebens bringen die Eltern unterschiedliche Kompetenzen in die Versorgung und Betreuung des Kindes ein. Es macht keinen Sinn, dies plötzlich im Rahmen der Trennung zu verändern, so dass beide Eltern alle Elternfunktionen zeitlich aufgeteilt übernehmen, außer es liegen triftige Gründe vor, sei es, dass ein Elternteil ausgefallen ist, sei es, dass das Kind einen Wechsel zum anderen Elternteil dringend wünscht. Viele Kompetenzen müssen vor allem von dem bisher nicht in die Betreuung einbezogenen Elternteil gelernt werden, was im Rahmen der Trennungssituation unter den Stressbedingungen besonders schwierig erscheint. Gerechtigkeit ist kein Kindeswohlgesichtspunkt, außer dieser Gesichtspunkt würde dazu führen, dass für eine bestimmte Zeit das Konfliktniveau der Eltern verringert wird und dies zum Wohl des Kindes geschieht. Neuere Ansätze gehen davon aus, dass es nicht genügt, nur das Konfliktniveau zwischen den Eltern zu minimieren oder Elterneinigung zu erreichen, um dem Kind möglichst Trennungsstress zu ersparen, sondern dass es vielmehr darum geht, sowohl die Eltern dazu zu befähigen, mit den Kindern angemessen über Trennung und Scheidung zu sprechen, deren Bedürfnisse besser zu erkennen, aber auch den betreuenden Elternteil zu unterstützen, um gerade in der Trennung beobachtbare Fürsorgeeinschränkungen des Elternteils nicht chronisch werden zu lassen. Häufig gilt es den jeweiligen Elternteil, der die Hauptbindungsperson für das Kind ist, zu unterstützen. Ein starres Wechselmodell wird in den seltensten Fällen kindeswohlgemäß sein, weil Bindungen und Beziehungen selbst in einer intakten Familie Veränderungen und Wandlungen unterliegen, da das Kind unterschiedliche Bedürfnisse hat, die sich das Kind auch von unterschiedlichen Bezugspersonen erfüllen lassen möchte. Das Modell kann zwar im individuellen Fall die aktuell beste Lösung darstellen, um die Scheidungsfolgen für die Kinder zu minimieren. Eine Standardlösung für die Mehrzahl der Scheidungsfamilien oder gar der „goldene Weg“ wird es allerdings kaum sein können. *Die Autoren arbeiten als psychologische Sachverständige in der GWG - Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie, München. (Quelle: Dr. Fichter, Dr. Salzgeber) 25 In der Praxis der deutschen Familiengerichte sieht es leider nicht so aus, wie es Fichtner und Salzgeber in ihrem Artikel beschreiben. Zunehmend beobachten wir, wie das Wechselmodell von den Fachgerichten - auch gegen den Willen der Mutter und auch bei erheblichen Kommunikationsstörungen der Eltern verordnet wird oder es unter Druck auf die Mutter zum Vergleich hierüber kommt. Grund hierfür dürfte u. a. wiederum der Druck aus Brüssel auf Deutschland sein, denn der Europäische Gerichtshof mahnte Deutschland in mehreren Fällen ab und sah die Väterrrechte in den konkreten Fällen beschnitten, woraus scheinbar die allgemeine Annahme abgeleitet wird, Väterrechte seien in Deutschland grundsätzlich beschnitten. Das wiederum führt zu der Beobachtung, dass nun in vielen Fällen den Rechten von Vätern zu Lasten von Mütterrechten und sogar zu Lasten des Kindeswohls der Vorzug gegeben wird. Selbst bei hochstrittigen Eltern, die nicht mehr in der Lage sind zu kommunizieren, werden Wechselmodelle gerichtlich angeordnet. Ulrike M.: Bei uns wurde das Wechselmodell gerichtlich angeordnet. Die Kinder waren 3 und 6 Jahre alt. Die Anordnung traf uns völlig unerwartet, da ich vor der Trennung die Erziehungsarbeit immer alleine leistete. Ich war 5 Jahre in Elternzeit, der Vater kam oft erst gegen 21 Uhr nach Hause und hatte auch an den Wochenenden meist keine Lust, uns z. B. bei Familienausflügen zu begleiten. Die Kinder und ich waren vorher 26 noch nie eine Woche voneinander getrennt, und mein Sohn war in seiner Kleinkinderzeit in Behandlung bei einer Kinderpsychologin wegen massiver Trennungsängste. Es wurde vom Gericht eine Sachverständige bestellt, die laut meinem Anwalt das Wechselmodell wohl in jedem Verfahren empfiehlt und meist gegen den Willen der Mütter durchsetzt. Mir wurde auch angedroht, dass man mir das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen würde, wenn ich dem Modell nicht zustimme. Ich tat es trotzdem nicht, aber das Wechselmodell wurde dennoch angeordnet. Wir Eltern sind und waren hoch verstritten. Begleitete Mediation und Elterngespräche scheiterten. Selbst über Belange der Kinder war kein Austausch möglich. Ich wusste nicht, was die Kinder in der Woche beim Vater machten, ich konnte sie telefonisch in der Zeit auch nicht erreichen. Das Modell wurde nach etwa einem Jahr gekippt. Die Kinder mussten während dieser Zeit 14 Befragungen ertragen. Sie sagten bei jeder Befragung, dass sie mehr bei ihrer Mama sein wollten. Unser Sohn zeigt mittlerweile so schwere Verhaltensauffälligkeiten, dass der Kinderpsychologe momentan nicht weiß, ob wir um einen stationären Klinikaufenthalt herumkommen. Er hat nachts Angst, er braucht Körperkontakt zum Einschlafen. Er bekommt Panikattacken, wenn ich auch nur mal aus dem Zimmer gehe, sobald es draußen dämmert. Immer noch hat er Albträume von der Gutachterin, die er bei einem der letzten Besuche beim Kinderpychologen als grüne Giftschlange zeichnete. Er ist mittlerweile 8 Jahre alt. Auch finanziell hatte die Zeit des Wechselmodells schlimme Folgen für uns. Durch den wegbrechenden Unterhalt des Vaters fielen wir trotz meiner einigermaßen gut bezahlten Teilzeitstelle ins ergänzende Hartz4. Die Kindergeldkasse behielt fast ein Jahr das Kindergeld komplett ein, weil sie den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens abwarten wollte. Meine Kinder und ich haben dadurch beihnah unsere Wohnung verloren, denn ich wusste nicht mehr, wie ich die Miete aufbringen sollte. Das Wechselmodell scheint eine neue Idee, ja fast ein “Produkt” zu sein, das beworben, medial vermarktet wird und marktreif verpackt Deutschland derzeit überschwemmt. 27 Auch der Verband berufstätiger Mütter bewirbt es auf seiner Internetseite. Auf Nachfrage von Mütterlobby e.V. wusste der Verband jedoch nichts von dem ausbleibenden Kindesunterhalt für die Mutter. Wenn hier angeführt wird, dass sich das Wechselmodell für die Berufstätigkeit der Frau positiv auswirkt, geht das an der Realität vorbei. Durch den ausbleibenden Kindesunterhalt muss die Mutter nun je nach Finanzlage des Vaters wesentlich mehr netto verdienen. Im obigen Beispiel wären es 838€ netto monatlich. Selbst wenn die Mutter in den beiden Wochen, in denen die Kinder beim Vater leben, Vollzeit statt Teilzeit arbeiten würde, wäre dies kaum zu schaffen – abgesehen davon gibt es Arbeitsstellen mit solch flexiblen Arbeitszeiten selten. Bettina T.: Seit ca 1,5 Jahren lebt unser Sohn, jetzt 6 Jahre alt, im Wechsel jeweils eine Woche beim Kindsvater, jeweils eine Woche bei mir. Von Geburt an betreute ich das Kind hauptsächlich allein. Der Kindsvater war nach der Trennung ein halbes Jahr unauffindbar im Ausland und verweigerte jeden Kontakt. Kindesunterhalt zahlte er nicht. Als er wieder kam, erkannte er die Vaterschaft auf einmal an und forderte aus heiterem Himmel das Wechselmodell für unseren damals bereits 4jährigen Sohn. Das Jugendamt Pankow teilte mir in Bezug auf die Forderung des Vaters mit, ich solle dem Modell zustimmen, denn ich hätte vor Gericht wenig Aussichten, dass ein anderes Umgangsmodell für uns festgelegt werden würde. Mit Blick auf die Belastungen, die ein solches Gerichtsverfahren für alle Beteiligten mit sich bringt, habe ich dem Modell zugestimmt. Zwei Versuche meinerseits, das Betreuungsmodell wieder zu ändern, nachdem sich erhebliche Nachteile für unseren Sohn und mich dadurch ergaben, scheiterten. Mittlerweile wurde das Wechselmodell durch das Amtsgericht Pankow gerichtlich angeordnet. Die Strafauflage bei Nichteinhaltung wurde auf 25 000 Euro festgesetzt. Ich bin berufstätig, der Kindesvater ist es seit vielen Jahren nicht. Nun werde ich vom Jobcenter aufgefordert mich am Lebensunterhalt des Kindesvaters zu beteiligen. Beratungsstellen, Fraueninteressenverbände, Multiplikatoren und Fachleute müssen sich genau mit dem Wechselmodell auseinandersetzen, um Familien zielgerichtet und gut informiert zu beraten. Oftmals fehlen hierzu leider die Qualifikation, die Motivation und/oder das Geld. 28 Fazit Mütterlobby e.V. fordert, dass das Wechselmodell nicht vom Gericht gegen den Willen eines Elternteils (weder Vater, noch Mutter) verordnet werden darf. Es kann mit Blick auf das Kindeswohl ausschließlich auf freiwilliger Basis aller Betroffenen gelebt werden und darf somit überhaupt keinen Eingang in die Rechtsprechung bekommen, weil die konkrete Befürchtung besteht, dass das Wechselmodell – wie bereits geschehen – unter Druck der Verfahrensbeteiligten auf die Mutter ‚vergleichsweise’ beschlossen wird. Als Grundlage für eine Kinderbetreuung muss stattdessen das Kontinuitätsprinzip gelten: Das Betreuungskonzept während der Beziehung, also so wie sich die Eltern vor Streit und Trennung in Bezug auf die Kinderbetreuung geeinigt bzw. wie sie gelebt haben, muss im Streitfall i.d.R. auch nach der Trennung Gültigkeit haben und fortgeführt werden. Auf dieser Basis hatte das Elternpaar Entscheidungen getroffen, die über die Trennung hinaus Auswirkungen haben, z. B. Einschränkung der eigenen Berufstätigkeit zugunsten der Betreuung der gemeinsamen Kindern. Es ist i.d.R. nicht zum Kindeswohl und nicht akzeptabel, dass ein Elternteil, das sich vor der Trennung nicht oder kaum an der Erziehung und Betreuung der Kinder beteiligt hat, nun auf einmal das Wechselmodell einfordert - und immer häufiger auch bekommt. Das gilt umsomehr, wenn es sich um kleine Kinder handelt und wenn die Eltern nie einen gemeinsamen Hausstand hatten. Glückliche Kinder brauchen glückliche Eltern! Sinnvolle Intervention und Hilfestellungen können hierzu beitragen - ein angeordnetes Wechselmodell hingegen nicht. 25. Oktober 2013 Kontaktadresse: Mütterlobby e.V. , Postanschrift: Stresemannstr. 21, 10963 Berlin Fon 030 – 917 050-03 | [email protected] | www.muetterlobby.de 29
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