Die richtige Strategie für Ihr Unternehmen

Führen & Refinanzieren
Lizensiert für Curacon
Perspektive
Rosige Aussichten
Technischer Fortschritt, neue Gesetze, Personalmangel:
Verbände und Träger brauchen gute Strategien, um die
Herausforderungen der kommenden Jahre zu bewältigen.
M
it 105 Jahren am Strand liegen und auf ein er- Die Entscheider blicken je nach Geschäftsfeld mit gefülltes Leben zurück blicken. Die Hüfte aus mischten Gefühlen in die Zukunft. Dem aktuellen SMPTitan, das Gebiss seit 30 Jahren nicht mehr Marktbarometer zufolge erwarten 32 Prozent der Beecht und auch die Pumpe wird nur noch mit Schrauben fragten in der Altenhilfe eine ungünstige Entwicklung,
zusammengehalten. Eine Vision, die vor 50 Jahren un- während 92 Prozent der Geschäftsführer aus der Behindertenhilfe rosige Zeiten kommen sehen.
vorstellbar und in 50 Jahren wohl veraltet ist.
Die Deutschen werden immer älter. Heute sind 20 Pro- Innovative Sozialunternehmen stellen schon heute strazent der Bevölkerung über 65. In 45 Jahren wird es be- tegisch die Weichen für die Zukunft: Einrichtungen sureits jeder Dritte sein – nach vorsichtigen Berechnungen. chen wohlhabende Bürger als Investoren, werben in
Schulen und Blogs für Pflegeberufe, bauen Eigenheime
Die Zahl der 80-Jährigen hat sich dann verdoppelt.
Je älter die Bevölkerung wird, desto mehr Arbeit gibt es und Wohnungen auf einem ehemaligen Anstaltsgelände
für die Sozialwirtschaft. Der demografische Wandel be- oder feilen an technischen Hilfsmitteln, die nicht nur
schert ihr bereits heute großes Wachstum. Einer Studie Pflegebedürftigen lange Eigenständigkeit, sondern allen
der Deutschen Bank von 2008 zufolge beschäftigt die mehr Komfort versprechen. Auch die Verbände bereiten
Branche 1,6 Millionen Menschen in 102 000 Einrich- sich auf die kommenden Jahre vor. Sie wollen ihr Profil
tungen, viermal so viel wie noch 1970. Der Trend ist un- schärfen, junge Mitglieder gewinnen, die Arbeit besser
gebrochen, doch für die Träger und Verbände ist der zwischen Landes- und Bundesebene koordinieren und
Anstieg eine große Herausforderung. Zwar wächst der den Generationenwechsel unter den Mitarbeitern plaMarkt, gleichzeitig ändern sich aber Gesetze und Kun- nen. Die Beispiele auf den folgenden Seiten geben einen
Einblick in strategische Überlegungen
denwünsche, kommen neue WettbeSchwerpunkt
und Projekte.
werber hinzu, tritt ab 2020 die SchulTriebfeder sind neben der Demografie
denbremse in den Ländern in Kraft,
gesetzliche Änderungen. Die Schulund nicht zuletzt: Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter sinkt in den kommenden denbremse etwa, die 2020 greift, das Teilhabegesetz oder
Jahren. Sind heute noch 50 Millionen Menschen zwi- die Neuregelung des Pflegebegriffs werden einmal mehr
schen 20 und 65 Jahren im erwerbsfähigen Alter, pro- die strategischen Ausrichtungen beeinflussen. Experten
gnostizieren Bevölkerungsstatistiker für 2060 nur noch erwarten nach der Sommerpause 2015 den ersten
Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz. Klar ist:
36 Millionen Menschen – ein Rückgang um 27 Prozent.
Leiterin Argow: Junge
Bewerber können sich
Stellen aussuchen
Berater Richter:
Strategisches Denken
noch wenig etabliert
Strategie
30
3 | 2015 WohlfahrtIntern
Lizensiert für Curacon
Schwerpunkt
Strategie
Perspektive: Die Sozialwirtschaft braucht
gute Strategien, um sich für künftige
30
Herausforderungen zu rüsten
Innovationen: Neue Produkte sollen
die Evangelische Heimstiftung in
Stuttgart in der Erfolgsspur halten 32
Konversion: Die Stiftung Hephata in
Mönchengladbach macht die Anstalt
33
zum attraktiven Wohnquartier
Nachwuchs sichern: Mit einem neuen
Kommunikationskonzept will die AWO
Nicht mehr Einrichtungen entscheiden
über das Hilfeangebot, sondern Hilfebedürftige. Sowohl in der Eingliederungs- als
auch in der Altenhilfe sei der Trend unumkehrbar, sagt Attila Nagy, geschäftsführender Partner der Unternehmensberatung Rosenbaum Nagy. Bei steigendem Kostendruck
erfordere die Bewältigung eine deutlich intensiverer Steuerung der Prozesse. Das werde die Träger stark fordern.
Sachsen-West zu einem attraktiven
34
Ausbildungsbetrieb werden
Bürgerbeteiligung: Das Kapital wohlhabender Bürger gibt dem Einbecker
35
Bürgerspital eine zweite Chance
Fachkräfte aus dem Ausland: Die
Mani-Pflege in Lüdenscheid sucht
36
weltweit nach Kollegen
Verbände: An welchen Strategien
die Verbände der freien Wohlfahrt
fleißig feilen
37
Vor allem die Rekrutierung engagierter
Mitarbeiter beschäftigt die Verantwortlichen. Im Kirchenkreis Düsseldorf-Mettmann etwa wird für 2025 das prognostiziert, was die Zukunftsforscher für
Deutschland 2060 erwarten: Sinkende Einwohnerzahlen, weniger Erwerbsfähige und
viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im erwerbsfähigen Alter. Für die
Neanderdiakonie ist das ein reales Szenario:
Die richtige Strategie für Ihr Unternehmen
Schritt 1: Analysieren Sie Ihre Ausgangslage. Welche Bedingungen herrschen am
Markt? Sind diese objektiv nachvollziehbar oder spiegeln sie das subjektive Empfinden der Geschäftsführung und Mitarbeiter wider? Existiert ein Markt für innovative
Dienstleistungen? Ist ein Wettbewerber bereits aktiv oder plant er ein Engagement
in der näheren Zukunft?
Schritt 2: Seien Sie Visionär. Wo steht die Einrichtung in fünf bis zehn Jahren? Welche Voraussetzungen müssen Sie schaffen, um dieses Ziel zu erreichen? Die Vision
vieler Einrichtungen ist es nach wie vor, qualitativ hochwertige Dienstleistungen
zu erbringen und in diesem Bereich als Marktführer wahrgenommen zu werden.
Denken Sie auch darüber nach, ihr Geschäftsmodell zu ändern.
Schritt 3: Hinterfragen und operationalisieren Sie Ihre Ziele. Die Ziele sollten spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und terminiert sein: Was möchten Sie verändern? Woran machen Sie die Zielerreichung fest? Sind die Ziele für die Mitarbeiter
erreichbar? Sind die Maßnahmen für das übergeordnete Ziel, etwa die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit relevant?
Schritt 4: Zeichnen Sie Ihr Geschäftsmodell. Die Geschäftsmodellveränderungen
sollten immer aus Sicht des Kunden gedacht werden. Was hört, sieht und fühlt der
Kunde, wenn er sich in der Problemsituation befindet? Womit können Sie helfen?
Schritt 5: Der Wert jeder Strategie muss sich an Ihrer Realisierbarkeit messen
lassen. Geplante Expansion etwa in der Altenhilfe im ambulanten Bereich und
Betreutem Wohnen kann zu Problemen und Konfrontationen mit Kostenträgern
führen. Bereiten Sie eine Begründung Ihrer Geschäftsmodellveränderungen vor.
Die Autoren: Jochen Richter ist Geschäftsfeldleiter Unternehmensentwicklung bei der Curacon
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Tim Liedmann ist dort Berater
WohlfahrtIntern 3 | 2015
Die Beschäftigten der Diakonie sind im
Schnitt 46 Jahre alt. „Wie können wir attraktiv für den Nachwuchs sein und unsere
Mitarbeiter binden?“, fragten sich Dagmar
Argow, die Leiterin Soziale Dienste, und ihre Mitarbeiter und starteten ein Rückenwind-Projekt: Sie entwickelten Werbung
für junge Menschen, stellen sich auf Messen
und an Schulen vor, initiierten eine Nacht
der sozialen Berufe und legten Standards
für Praktika fest. Gelöst ist das Problem
nicht. „Junge Bewerber können sich die
Stellen aussuchen. Deshalb treten sie uns
gegenüber ganz anders auf “, sagt Argow.
Kraftakt Integration
Myra Mani, Inhaberin eines Pflegedienstes
in Lüdenscheid, setzt auf eine andere Strategie. Statt vor der eigenen Haustür mit der
Konkurrenz um Personal zu buhlen, rührt
sie die Werbetrommel im Ausland (siehe
Seite 36). Den Stein der Weisen hat sie jedoch damit nicht gefunden. Die Integration
ausländischer Fachkräfte sei ein Kraftakt,
gibt Mani zu. Ihre Erfahrung: National homogene Gruppen neigten zu Abschottung
und Grüppchenbildung. Heute kommen
die ausländischen Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern. „Das fördert die Integration“, sagt Mani.
Manis Erfahrungen führen zu einem weiteren Thema, das auf die strategische Agenda der Sozialwirtschaft gehört: die Migration. Zum einen müssten jährlich 200 000
Menschen zuwandern, um den demografischen Wandel in Deutschland abzufedern.
Zum anderen sind neue Angebote gefragt:
2013 hatte dem Mikrozensus zufolge beinah jede dritte Familie in Deutschland einen Migrationshintergrund. Ihre Zahl wird
weiter steigen.
Unternehmensberater Jochen Richter sieht
bei den Sozialunternehmen Nachholbedarf, um solchen Veränderungen professionell zu begegnen. „Strategisches Denken
ist in der freien Wohlfahrt noch zu wenig
etabliert“, konstatiert der Geschäftsfeldleiter Unternehmensentwicklung bei der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Curacon.
Oft fehle der langfristige Fahrplan, der bei
Veränderungen und neuen Herausforderungen für die Existenzsicherung unabdingbar sei. Unternehmensberater Jochen
Richter und sein Kollege Tim Liedmann
stellen einen solchen Fahrplan exemplarisch vor (siehe Seite 31).
Thomas Eichmann
31