Jugendstrafrecht Folien 12 WS 14_15

Universität Hamburg – Fakultät für
Rechtswissenschaften
Prof. Dr. Peter Wetzels
(Abteilung Strafrecht und Kriminologie, Institut für Kriminologie
an der Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg)
Rechtshaus, Zimmer A 216
Tel.: 040-42838-4591 (Frau Billon, Sekretariat)
email: [email protected]
Sprechstunde: nach telefonischer Vereinbarung
Homepage des Instituts für Kriminologie
http://www2.jura.uni-hamburg.de/instkrim/kriminologie/Lehre/Lehre.html
Besonderheiten des
Verfahrens im Jugendstrafrecht
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Besonderheiten desJugendstrafverfahrens
Ergänzend zu den für das Strafverfahren insgesamt
geltenden Grundsätzen, beispielsweise
(Offizialprinzip (152 I StPO),
rechtliches Gehör (103 I GG),
Legalitätsprinzip (152 II, 160 I, 163 I StPO),
Akkusationsprinzip (151 StPO),
faires Verfahren, Unschuldsvermutung, (Art. 6 MRK)
ist das Jugendstrafverfahrensrecht gekennzeichnet durch:
eine erzieherische Ausgestaltung auch des Verfahrens
eine damit verbundenen Täterorientierung des Verfahrens
erhöhte Möglichkeiten der Entformalisierung
Akzentuierung des Beschleunigungsgrundsatzes
soweit Jugendliche (unter 18 Jahre) betroffen sind:
gem. UN-Kinderrechtskonvention:
Orientierung aller staatlichen Maßnahmen am Kindeswohl
Beschleunigung und Persönlichkeitserforschung
Täterorientierung beinhaltet unter anderem möglichst
frühzeitige Erforschung der Persönlichkeit des
Beschuldigten, um angemessen reagieren zu können
Frühe Psychosoziale Diagnose (§ 43 JGG)
• soll bereits mit Einleitung des Verfahrens beginnen
• bezieht sich auf die Lebens- und Familienverhältnisse, den Werdegang,
das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände,
die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen
Eigenart dienen können
• Adressaten sind StA, die JGH und auch das Gericht
• Wenn erforderlich ist Untersuchung durchzuführen; diese soll nach
Möglichkeit durch kundige Sachverständige erfolgen (§ 43 Abs. 2 JGG)
• Zur Untersuchung des Entwicklungsstandes kann auch stationäre
Unterbringung angeordnet werden, allerdings erst nach vorheriger
Anhörung des Sachverständigen (§ 73 JGG)
• § 43 JGG gilt sowohl für Jugendliche als auch für Heranwachsende (§
109 I)
• bei fraglicher Schuldfähigkeit gem. § 20 StGB greift § 81 StPO)
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Beschleunigung und Persönlichkeitserforschung
Beschuldigtenvernehmung schon vor
Anklageerhebung wenn Jugendstrafe
zu erwarten ist (§ 44 JGG)
• dient sowohl der Tataufklärung,
als auch der frühzeitigen Erforschung der Persönlichkeit
Anordnung weiterer Maßnahmen
Neben den Maßnahmen zur Erforschung der Persönlichkeit (inkl. ggf.
Unterbringung zur Beobachtung) kann angeordnet werden
Maßnahmen zur erzieherischen Einwirkung durch den Richter, § 71
•
•
•
•
•
ist bereits im Ermittlungsverfahren möglich (hinreichende Tatverdacht nötig)
betrifft weisungsähnliche Maßnahmen oder auch einstweilige Heimunterbringung
es muss unverantwortlich erscheinen, bis zum Urteil abzuwarten
es können auch Maßnahmen nach SGB VIII angeregt werden
kaum praktische Bedeutung
Einstweilige Unterbringung, § 126a StPO
• In einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt
• Vorwegnahme anstehender Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 JGG
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Untersuchungshaft bei Jugendlichen
U-Haft gem. § 112 ff StPO ist im Strafverfahren generell eine
verfahrenssichernde Maßnahme.
Im Jugendstrafrecht gelten dazu weitere besondere
Regelungen.
§§ 72 ff JGG iVm §§ 112 ff StPO:
• nur wenn Zweck nicht durch andere Maßnahmen erreicht
werden kann (z.B. Meldepflicht oder einstweilige
Unterbringung in Wohngruppe)
• Verhältnismäßigkeit muss besondere Belastung für
Jugendliche berücksichtigen
• unter 16 Jahre: Haftgrundgrund Fluchtgefahr muss sich bereits
manifestiert haben (Anstalten zur Flucht, bereits geflohen)
oder kein fester Wohnsitz
• wenn U-Haft, dann besondere Beschleunigung des Verfahrens
• JGH ist sofort zu unterrichten
• Problem: apokryphe Haftgründe
(Warnschuss, zur Vorbereitung einer Bewährung etc.)
Übungsfall
Der 16jährige A ist bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung
getreten. Er wird nach zwei Diebstählen gem. §§ 242, 243
StGB von der Polizei gefasst. Der Beutewert beträgt € 85,und € 300,- Der zuständige Jugendrichter ordnet die
Untersuchungshaft an, weil A keinen festen Wohnsitz hat
und damit Fluchtgefahr bestehe. Er verweist weiter auch auf
generalpräventive Überlegungen, weil die Diebstähle von
Jugendlichen im letzten Jahr stark zugenommen hätten.
a) Ist die Entscheidung rechtmäßig?
b) Was versteht man unter „apokryphen Haftgründen“?
c) Angenommen, alle Voraussetzungen für die
Verhängung von Untersuchungshaft lägen vor:
Gibt es für Jugendliche Alternativen zur U-Haft?
Wie sieht das bei Heranwachsenden aus?
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Lösung
Vgl. LG Zweibrücken StV 1999, 161
a) Zwei Vergehen des Diebstahls mit einem Beutewert von € 85 und €
300 rechtfertigen bei einem zur Tatzeit 16-jährigen Ersttäter unter
keinem Gesichtspunkt die Anordnung der Untersuchungshaft.
Im Jugendstrafrecht dürfen außerdem generalpräventive
Gesichtspunkte als Abwägungskriterien weder beim Haftgrund noch
bei der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden.
b) Auch im Jugendstrafrecht gelten ausschließlich die Haftgründe der
§§ 112 ff StPO. Apokryphe Haftgründe sind andere Gründe, die ggfs.
mit der U-Haft verfolgt werden, die aber rechtlich nicht zulässig sind
und unter dem Vorwand von Verfahrenssicherung umgesetzt werden.
Solche andere, möglicherweise plausiblen Gründe
(Krisenintervention, Schocktherapie, Förderung von Geständnis etc.)
sind rechtswidrig. Dazu gehört auch das Ansinnen, durch kurze
Freiheitsentziehung Abschreckung im Einzelfall zu bewirken.
c) §§ 72 IV, 71 II JGG: Unterbringung in einem geeigneten Heim der
Jugendhilfe. Findet auf Heranwachsende keine Anwendung.
Übungsfall
Der 14-jährige Z, der seit einem halben Jahr in einem
Lehrlingswohnheim in H-Stadt wohnt und bisher nicht vorbestraft ist, ist
beschuldigt am 15.10.2006 gemeinsam mit drei anderen 16- und
17jährigen Jungen einen schweren Raub begangen zu haben. Dabei
wurde ein Wachmann lebensgefährlich verletzt – die Beute beläuft sich
auf 35.000 €.
Da Z bereits mehrfach von zu Hause ausgerissen ist – das letzte Mal
war er 2 Monate bei Freunden auf einem Zeltplatz – hat der zuständige
Richter vorgestern einen Haftbefehl erlassen und ihn in die
Untersuchungshaftanstalt in H-Stadt eingewiesen.
Als Grund für die Untersuchungshaft wurde Fluchtgefahr angegeben.
Die zuständige Jugendgerichtshilfe und die Eltern des Z wurden in
Kenntnis gesetzt. Von beiden wurde die Verhängung der
Untersuchungshaft begrüßt.
Sie sind Verteidiger der Z. Sie wollen einen Haftprüfungstermin
beantragen mit dem Ziel, dass Z nicht weiter in U-Haft verbleibt.
Bitte begründen Sie, warum die U-Haft-Anordnung in diesem Fall
rechtswidrig war?
5
Lösung
§ 70 Abs. 2 JGG: U-Haft wegen Fluchtgefahr nur unter den
hier normierten engen Voraussetzungen. Diese sind nicht
gegeben.
Abgesehen davon wäre eine explizite Prüfung und
Begründung gem. 72 Abs. 1 S. 3 erforderlich gewesen.
Diese wurde aber nicht durchgeführt bzw. in der
Begründung des Haftbefehls findet sich dazu nichts.
Besondere Verfahrensformen
Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff StPO):
bei Vergehen
Staatsanwaltschaft hält Hauptverhandlung nicht für
erforderlich
schriftlicher Antrag der StA auf Festsetzung einer Strafe ohne
Hauptverhandlung
Geldstrafe, Verwarnung, Fahrverbot, Verfall, Einziehung,
Entziehung der Fahrerlaubnis, bei Vertretung durch
Verteidiger auch zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr
bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht zulässig (§ 79
Abs. 1, § 109 Abs. 2)
keine ausreichende Persönlichkeitsdiagnostik möglich
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Besondere Verfahrensformen
Beschleunigtes Verfahren nach ASR (§§ 417 ff. StPO):
wegen einfachem Sachverhalt oder klarer Beweislage zur sofortigen
Verhandlung geeignet
sofortige Durchführung der Hauptverhandlung, ohne Entscheidung
über Eröffnung
keine Anklageschrift
Ladung nur, wenn kein freiwilliges Erscheinen oder keine Vorführung
Erweiterung der Verlesung von Zeugenaussagen (§ 420 StPO)
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr
bei Jugendlichen nicht zulässig (§ 79 Abs. 2) s. ab er § 10
keine ausreichende Persönlichkeitsdiagnostik möglich
im JGG existiert ein spezielles Verfahren (vereinfachte
Jugendverfahren gem. § 76 JGG)
Problem: Bei Heranwachsenden, die als Jugendliche zu behandeln
sind, gilt ebenfalls § 43 (Persönlichkeitserforschung) - Die Anwendung
des beschleunigten Verfahrens widerspricht in diesem Fall dem Sinn
und Zweck des Gesetzes.
Vereinfachtes Jugendverfahren (§§ 76 ff.)
Voraussetzungen
Nur bei Jugendlichen zulässig (109 II)
Sache eignet sich für Vereinfachung
• kleine oder mittlere Delinquenz
• Rechtsfolgenerwartung beschränkt sich auf Weisungen, Erziehungsbeistandschaft,
Zuchtmittel, Fahrverbot, Entzug der Fahrerlaubnis inkl. Sperre der Fahrerlaubnis von
nicht mehr als zwei Jahren oder den Verfall, Einziehung
• Nach RL Nr. 1 zu § 76 soll das vereinfachte Verfahren der Regelfall sein, wenn die
Voraussetzungen vorliegen
Keine Eignung insbesondere
• wenn Jugendstrafe oder Anordnung der Hilfe zur Erziehung wahrscheinlich ist
• wenn umfangreiche Beweisaufnahme erwartbar ist
Verfahren
Jugendstaatsanwalt stellt formlosen Antrag
Antrag steht der Anklage gleich
kein Zwischenverfahren
wenn Ablehnung durch Jugendrichter, dann Anklageerhebung nötig
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Vereinfachtes Jugendverfahren (§§ 76 ff.)
Folgen
Mündliche Verhandlung findet statt, aber jugendgemäße Gestaltung
des Verfahrens:
•
•
•
•
Verzicht auf Formen (keine Robe, außerhalb des Sitzungssaals möglich)
kurzfristige Terminierung möglich
Allerdings darf die „Erforschung der Wahrheit“ nicht beeinträchtigt werden
erscheint der Beschuldigte ohne ausreichende Entschuldigung nicht, dann nur
Vorführung, wenn in der Ladung auch angedroht
Teilnahme der Staatsanwaltschaft nicht notwendig
• Nimmt der Staatsanwalt nicht teil, ist die Zustimmung zur Einstellung oder zum
Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich (vgl. §§ 230 ff StPO)
• StA kann aber Rechtsmittel einlegen
Rechtsfolgen sind beschränkt (§§ 76 S. 1, 78 Abs. 1 S. 2 JGG)
•
•
•
•
neben den allgemeinen Beschränkungen der Rechtsfolgenkompetenz
keine stationären Hilfen zur Erziehung
keine Jugendstrafe und (weil dieser nur vorgelagert) kein § 27
keine Unterbringung in Entziehungsanstalt
Beschränkung der Opferrechte
Die besondere Täterorientierung und die spezialpräventive
Zwecksetzung des Jugendstrafrechts führt dazu, dass die im
allgemeinen Strafverfahren geltenden, opferbezogenen Regelungen
und Rechte eingeschränkt sind.
Die betrifft insbesondere die Beteiligtenrechte des Opfers
Privatklageverfahren
Nebenklage
Adhäsionsklage
Klageerzwingungsverfahren
In der Praxis und nach den Intentionen des Gesetzgebers spielen
Opferinteressen und Bedürfnisse jedoch dann eine wichtige Rolle,
wenn sie für soziales Lernen wichtig sind. Daraus folgt auch die
zentrale Position des TOA.
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Privatklage (§ 80 Abs. 1 JGG - §§ 374-394 StPO)
Das Erheben der Privatklage ist gegen Jugendliche nicht zulässig
Gegen Heranwachsende ist Privatklage zulässig (auch bei
Anwendung von Jugendstrafrecht)
Die Opferinteressen vertritt dafür die StA in stärkerem Maße.
Erweiterung der Verfolgung durch die StA wenn
• Privatklagedelikt vorliegt und
• Gründe der Erziehung oder
• berechtigtes Interesse des Verletzten, dass dem Erziehungszweck nicht
entgegenstehen darf
nicht entgegenstehen.
Widerklage gegen Jugendlichen ist möglich
•
(Jug. hat als Verletzter selbst Privatklage erhoben und Beschuldigter verklagt nun Jug. weil dieser den
Beschuldigten verletzt hat und beide Taten in Zusammenhang stehen.)
• Dann aber nur Zuchtmittel möglich (§ 80 Abs. 2 S. 2, § 104 Abs. 4 S. 1)
Nebenklage (§ 80 Abs. 3 JGG - §§ 395-402 StPO)
Nebenklage ist im Falle von Jugendlichen
nur eingeschränkt zulässig (§ 80 III JGG)
•
•
•
•
•
Verbrechen gegen das Leben,
körperliche Unversehrtheit,
sexuelle Selbstbestimmung,
§§ 239 Abs. 3, 239a, 239b bei schw. seelischer oder körperlicher Schädigung
§ 251ff
vor 2006 nicht zulässig
Gegen Heranwachsende ist der Beitritt als Nebenkläger
uneingeschränkt zulässig (auch bei Anwendung von
Jugendstrafrecht) (§ 109 I, II JGG)
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Übungsfall
Der 17jährige T und der 20-jährige M haben gemeinschaftlich mit 2
weiteren Tätern, die jedoch durch die StA nicht ermittelt werden konnten,
den 35-jährigen O überfallen und zusammengeschlagen. Dieser wird
dadurch schwer verletzt. Tötungsvorsatz lag nicht vor, es handelte sich
um eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 StGB.
Dien StA erhebt Anklage vor dem Amtsgericht. Gegen T und M wird
gemeinsam verhandelt. Bei dem M wird § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG bejaht.
Das Opfer O beantragt, als Nebenkläger zugelassen zu werden. Das
Jugendschöffengericht weist diesen Antrag auf Zulassung zur
Nebenklage zurück.
a) Der O ist mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Welches
Rechtsmittel steht im zur Verfügung und welches Gericht wäre
zuständig?
b) Wie wird dieses Gericht in der Frage der Zulassung als Nebenkläger
entscheiden?
c) Wäre in dieser Frage anders zu entscheiden wenn der
T 18 Jahre alt wäre?
Fall gebildet nach LG Zweibrücken, ZJJ 2009 S. 61.
a) Beschwerde gem. § 304 I StPO; zuständig ist
Jugendkammer gem. § 41 JGG II 2, § 73 I GVG
b) Anders als § 48 Abs. 3 JGG, der für Verfahren, in denen Heranwachsende oder
Erwachsene mitangeklagt sind - in Abweichung vom Grundsatz der
Nichtöffentlichkeit in Verfahren gegen Jugendliche - die Öffentlichkeit der
Verhandlung vorsieht, trifft § 80 JGG eine vergleichbare Ausnahmeregelung nicht.
Deshalb ist in Verfahren gegen mehrere Beschuldigte, von denen einer Jugendlicher
ist, die Nebenklage auch gegen mitangeklagte Heranwachsende oder Erwachsene
ausgeschlossen, jedenfalls wenn die Anklage Vergehen zum Gegenstand hat.
Hätte der Gesetzgeber eine andere Regelung gewollt, hätte er sie bei Neufassung
des § 80 Abs. 3 JGG zweifelsohne getroffen. Die hier im Streit stehende
Konstellation hat er aber erkennbar nicht geändert, was die Annahme rechtfertigt,
dass der Gesetzgeber an der Regelung des § 80 Abs. 3 JGG a.F. festhalten wollte,
dass die Nebenklage bei weniger schwerwiegenden Straftaten Jugendlicher
(Vergehen) unzulässig ist.
Es gibt gute Gründe für einen solchen Vorrang jugendrechtlicher Belange. Es geht
darum, den Schutz Jugendlicher zu gewährleisten. Die Nebenklage kann generell die
gesamte Verhandlung nachhaltig prägen, wirkt sich mithin auch gegenüber dem
Jugendlichen aus. Als Grundlage der Wahrheitsfindung ist sie nicht aufspaltbar .
c) dann wäre Nebenklage uneingeschränkt zulässig. Generell § 109 I S. 1 schließt § 80
III aus Das gilt auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht, § 109 II JGG.
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Adhäsionsverfahren (§ 81 JGG - §§ 403-406c StPO)
Das Adhäsionsverfahren ist gegen Jugendliche
nicht zulässig
Gegen Heranwachsende ist das Adhäsionsverfahren
zulässig (auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht)
(§ 109 I, II JGG)
vor 2006 war dies gegen Heranwachsende ebenfalls
nicht zulässig
• § 109 II S. 1 a.F.:
„Wendet der Richter Jugendstrafrecht an (§ 105) so
gelten auch die §§ 45, 47 I S. 1 Nr. 1, 2 und 3, II, III,
§§ 52, 52a, 54 I, §§ 55 bis 66, 74, 79 I und § 81
entsprechend....“
Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 2 StPO)
Das Klageerzwingungsverfahren gem. § 172 Abs.2 StPO richtet
sich gegen die Ablehnung der Erhebung der öffentlichen Klage. Es
ist im Erwachsenenstrafrecht möglich wenn
es sich nicht um ein Privatklagedelikt handelt
keine Einstellung gem. §§ 153ff, 154ff StPO vorliegt
Nach dem Wortlaut wäre die Klageerzwingung also immer dann
zulässig, wenn es sich nicht um ein Privatklagedelikt handelt und
keine Opportunitätsentscheidung gem. 153 f StPO vorliegt.
Also auch im Falle von § 45 JGG?
Da § 45 Abs. 1 JGG auf die Voraussetzungen des § 153 StPO
verweist, ist im Wege eines Erst-Recht-Schlusses die
Klageerzwingung auch bei Opportunitätsentscheidungen im
Jugendstrafverfahren ausgeschlossen.
Folglich:
nicht zulässig bei Einstellungen gem. § 45
zulässig nur bei Einstellung gem. § 170 Abs. 2
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Weitere Besonderheiten im Hauptverfahren nach
Jugendstrafrecht
Nichtöffentlichkeit (§ 48)
Ausnahme für
• Erziehungsberechtigte oder gesetzliche Vertreter
• ggf. Bewährungshelfer oder Betreuungshelfer oder ggf. Erziehungsbeistand, ggf.
Leiter einer Einrichtung zum Betreuten Wohnen, Heim
• andere Personen zu Ausbildungszwecken (z.B. Studenten im Praktikum)
verbundene Verfahren mit Heranwachsenden oder Erwachsenen sind
grundsätzlich öffentlich
• Öffentlichkeit kann aber ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der
Erziehung jugendlicher Angeklagter liegt
Zeitweiliger Ausschluss des jugendlichen Angeklagten (§ 51 Abs. 1)
Ausschluss von einzelnen Verhandlungsteilen
wenn die Erörterung bestimmter Punkte zu Nachteilen in der Erziehung
des Angeklagten führen können („soll“)
Urteil (§ 54)
erhöhte Begründungspflicht (auch bei HW bei Anwendung von JSR)
ggf. Nichteröffnung aller Begründungen gegenüber dem Angeklagten
(wenn Nachteile in der Erziehung zu befürchten sind)
Rechtsmittel (§ 55)
Der Beschleunigungsgrundsatz im Jugendstrafverfahren führt auch
zu einer Beschränkung der Rechtmittel.
Diese Beschränkung gilt in
qualitativer Hinsicht (Ausschluss von Rechtsmitteln bzgl. der
Art und Höhe weniger eingreifender Rechtsfolgen) und
quantitativer Hinsicht (Anzahl der Rechtsmittel).
Diese Beschränkungen betreffen Jugendliche und Heranwachsende
bei Anwendung von Jugendstrafrecht.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Schlechterstellung im Vergleich zu Erwachsenen?
BVerfG: Die Gründe (Beschleunigung der Reaktion) sind
sachlich tragfähig, daher kein Verstoß gegen Art. 3 GG
(vgl. auch BVerfG NJW 1988, 477).
Beschränkungen treffen Angeklagten sowie
Staatsanwaltschaft gleichermaßen
(daher kein Verstoß gegen fair trial und
„Grundsatz der Waffengleichheit“)..
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Rechtsmittelbeschränkung bei
bestimmten Folgen (§ 55 Abs. 1)
Rechtsmittel, die sich auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränken (Art und Höhe der Maßnahmen) sind
ausgeschlossen, wenn
lediglich Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel angeordnet oder
die Auswahl und Anordnung von Erziehungsmaßregeln dem Familienoder Vormundschaftsrichter überlassen sind,
Der Ausschluss betrifft
den Umfang der Maßnahmen
den Einwand, dass ggf. andere oder weitere Erziehungsmaßregeln oder
Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen
die Tatsache, dass die Auswahl und Anordnung der
Erziehungsmaßregeln dem Familien- und Vormundschaftsrichter
überlassen worden sind.
Ausnahme: Hilfen zur Erziehung nach § 12 Nr. 2
Gilt für Berufung, Revision und Beschwerden gegen Beschlüsse
(z.B. § 65 Abs. 1, nachträglich beschlossene Weisungen)
Beschränkung der Anzahl der Rechtsmittel (§ 55 Abs. 2)
Grundsatz: Bei zulässig eingelegter Berufung kann gegen das Berufungsurteil
keine Revision mehr erhoben werden.
d.h. wenn beide Rechtsmittel (Berufung und Revision) möglich wären
• nur bei erstinstanzlichen Urteilen des Jugendrichters oder Jugendschöffengerichts
• gegen erstinstanzliche Urteile der Jugendkammer ist auch nach allg. Verfahrensregeln
nur Revision möglich (§ 312 StPO)
besteht ein Wahlrecht
• Wahl kann noch innerhalb der Begründungsfrist getroffen werden
• im Zweifel: Berufung
jedem steht ein Rechtsmittel zu
• Angeklagter, Erziehungsberechtigter und gesetzlicher Vertreter zählen bei Berufung als
Eins (§ 55 Abs. 2 S. 2)
• Angeklagter legt Berufung ein – StA kann dagegen Revision einlegen
legt einer Berufung, der andere Revision ein, gilt die Berufung
• dem Anderen geht die Revision nicht verloren, später gegen Berufung möglich
hebt die Revisionsinstanz ein Urteil auf, gilt dies auch für den
Mitangeklagten, der selbst keine Revision mehr einlegen konnte
hat die Berufungsinstanz gegen das Verschlechterungsverbot
verstoßen, ist Revision entgegen § 55 Abs. 2 doch möglich
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Rücknahme der Rechtsmittel (§ 55 Abs. 3 - § 302 StPO)
Es gelten die allgemeinen Verfahrensvorschriften
ein eingelegtes Rechtsmittel kann durch Prozesserklärung wieder
zurückgenommen werden. Eine Prozesserklärung ist unanfechtbar.
ein durch die StA zugunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel
kann nicht ohne dessen Zustimmung zurückgenommen oder
beschränkt werden
Ein einmal zurückgenommenes Rechtsmittel kann nicht noch einmal
eingelegt werden, in der Rücknahme liegt zugleich ein endgültiger
Verzicht
Zusätzlich gilt nach § 55 Abs. 3
hat ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter ein
Rechtsmittel eingelegt, kann es nur mit Zustimmung des Angeklagten
zurück genommen werden
Dies gilt auch wenn der Angeklagte selbst auf Rechtsmittel verzichtet
hatte
Zum nächsten Termin bitte folgende
zwei Übungsfälle lösen
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Übungsfall 1
Der 16-jährige B wurde vom Amtsgericht X wegen schweren Diebstahls in fünf
Fällen und wegen versuchten Betruges zu einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr
und 6 Monaten verurteilt. Eine weiteren angeklagten schweren Diebstahl hielt das
Gericht indessen nicht für bewiesen. In dieser Hinsicht erfolgte ein Freispruch. Eine
Entscheidung über die Strafaussetzung wurde vom AG zurückgestellt.
Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der B legen gegen dieses Urteil Berufung
ein, B zieht seine Berufung bereits am nächsten Tag wieder zurück.
1. Könnte B, nachdem er die Berufung einmal zurückgezogen hat, nochmals
Berufung einlegen, wenn die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels noch nicht
abgelaufen ist?
Die Berufungsinstanz hält die Verurteilung bzgl. der fünf Fälle (schw. Diebstahl)
aufrecht. Der Schuldspruch bzgl. des versuchten Betruges wird ausgeweitet. Das
Gericht nimmt hier bei gleicher Tatsachengrundlage nunmehr Hehlerei in Tateinheit
mit versuchtem Computerbetrug an. Zusätzlich verurteilt das Berufungsgericht den
B in einem weiteren Fall wegen schweren Diebstahls. Dies ist der Fall, in denen das
AG den B noch freigesprochen hatte.
2. Kann B gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegen? Welches
Rechtsmittel wäre das und bzgl. welcher Entscheidung im Einzelnen wäre das
Rechtsmittel statthaft?
Übungsfall 2
Der heute 19jährige J hat im Dezember 2012 gemeinsam mit vier Freunden drei räuberische
Erpressungen und tatmehrheitlich dazu zwei gefährliche Körperverletzungen begangen. Bis
dahin war er noch nie mit Straftaten aufgefallen. Er war ein guter Schüler und verstand sich
mit seinen Eltern gut. Mitte 2013 trennten sich seine Eltern. J lebt seitdem bei seiner Mutter in
Hamburg. Seine Schulleistungen sind viel schlechter geworden. Er hat sich neuerdings einer
Gruppe Jugendlicher angeschlossen, die oft mit körperlichen Übergriffen auf Fußballfans von
Gegnern des HSV auffällt. Die StA hat Anklage vor dem zuständigen Gericht erhoben. J legte
in der HV ein Geständnis bezogen auf die Vorfälle im Dezember 2012 ab. Die StA beantragte
eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen in Höhe von 18 Monaten, die zur Bewährung
ausgesetzt werden könne, sofern entsprechende Weisungen und Auflagen erteilt würden.
Das Gericht stellte im März 2014 in seinem Urteil fest, es sei zweifelhaft, ob zum Tatzeitpunkt
überhaupt bereits schädliche Neigungen vorgelegen hätten. Zum Urteilszeitpunkt lägen
indessen entsprechende Hinweise vor, dass diese aktuell wohl gegeben seien. Deren Umfang
sei aber noch nicht eindeutig festzustellen. Das Gericht stellte in seinem Urteil die Schuld des
J fest und setzte die Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen gem. § 27
JGG für zwei Jahre zur Bewährung aus. Das Gericht erteilte J gem. § 23 Abs. 1 JGG die
Weisung, sich künftig von seiner neuen Clique fernzuhalten. Weiter erteilte das Gericht dem J
die Auflage, sich bei den Opfern seiner Taten zu entschuldigen. Das Gericht belehrte J gem. §
70 JGG ausführlich über die Bedeutung der Bewährung gem. § 27 JGG und die Folgen eines
Verstoßes gegen Weisungen und Auflagen. Zusätzlich verhängte das Gericht gem. § 16a JGG
Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 2 JGG gegen den K einen Jugendarrest in Form
eines Dauerarrests von zwei Wochen. Diesbezüglich führte das Gericht aus, dieser Arrest sei
neben der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe geboten, um J das Unrecht seiner
Tat zu verdeutlichen und um ihn zeitweise aus dem schädlichen Umfeld seiner Clique
herauszunehmen. Belehrung, Auflagen und Weisungen seien nicht ausreichend.
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Fragen zum Übungsfall 2
1. Vor welchem Gericht wird die StA erstinstanzlich die
Anklage erhoben haben? Geben sie dazu bitte die
vollständige Normkette an und begründen sie ihre
Feststellung.
2. Wie beurteilen sie die Entscheidung des Gerichts hier gem.
§ 27 JGG die Verhängung einer Jugendstrafe auszusetzen
aus jugendstrafrechtlicher Sicht in normativer Hinsicht?
3. Wie ist die Entscheidung, einen Koppelungsarrest gem.
§ 16 a JGG zu verhängen, aus jugendstrafrechtlicher Sicht
normativ zu bewerten.
4. Hätte J gegen diese Entscheidung des Gerichts vorgehen
können? Welche Rechtsmittel hätten ihm zur Verfügung
gestanden und wie wären seine Erfolgsaussichten
gewesen?
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