Die Anrechnung des sog. Ungehorsamsarrests auf eine Jugendstrafe* Von Dr. Jan Schady, Kiel** I. Untersuchungsgegenstand Durch das „Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten“1 hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 7. März 2013 das bis dato bestehende Koppelungsverbot von Jugendstrafe und Jugendarrest gelockert und die Möglichkeit geschaffen, neben einer Jugendstrafe, deren Verhängung oder Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, im Urteil einen Jugendarrest anzuordnen (§ 16a JGG). Die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Sanktionsform soll hier nicht erörtert werden.2 Vielmehr soll das Augenmerk auf einen Teilaspekt der Neuregelung gerichtet werden, dem im Rahmen der Diskussionen wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Im Zuge der Einführung des sog. Warnschussarrests3 musste das Verhältnis zwischen Jugendarrest und Jugendstrafe nicht nur bei den Verhängungsvoraussetzungen, sondern auch für den Bereich der Vollstreckung neu definiert werden. Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang bestimmt, dass der Warnschussarrest, soweit er verbüßt wurde, zwingend auf die zu verhängende bzw. zu vollstreckende Jugendstrafe anzurechnen ist (§§ 26 Abs. 3. S. 3, 30 Abs. 1 S. 2 und 31 Abs. 2 S. 3 JGG).4 Die Frage einer Anrechnung von Jugendarrest auf Jugendstrafe stellt sich freilich nicht erst seit der Einführung des Warnschussarrests. Auch wenn zuvor eine Kombination von Jugendarrest und Jugendstrafe im Urteil ausgeschlossen war, kann es seit jeher vorkommen, dass im Zuge einer Verurteilung Jugendstrafe vollstreckt wird, nachdem der Verurteilte zuvor bereits Jugendarrest verbüßt hat, und zwar in Form eines sog. Ungehorsamsarrests5 wegen Nichterfüllung von Bewährungsweisungen oder -auflagen.6 * Der Beitrag ist Heribert Ostendorf zum 70. Geburtstag am 7.12.2015 gewidmet. Er erschien zuerst in Rotsch/Brüning/ Schady (Hrsg.), Strafrecht – Jugendstrafrecht – Kriminalprävention in Wissenschaft und Praxis, Festschrift für Heribert Ostendorf zum 70. Geburtstag am 7. Dezember 2015, 2015, S. 779. ** Der Beitrag des – zur Zeit an das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein abgeordneten – Verf. gibt allein dessen private Meinung wieder. 1 Vom 4. September 2012, BGBl. I 2012, S. 1854. 2 Zur berechtigten Kritik vgl. statt vieler Ostendorf, in: Ostendorf (Hrsg.), Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, Grundlagen zu den §§ 13-16a Rn. 10 und § 16a Rn. 15. 3 Gesetzestext und -begründung (vgl. BT-Drs. 17/9389) meiden diesen Begriff. 4 Siehe BT-Drs. 17/9389, S. 14, zu § 26 Abs. 3 S. 3 JGG-E: „Die Regelung tritt Bedenken im Hinblick auf eine Doppelbestrafung oder Überschreitung des Schuldmaßes durch den Jugendarrest neben Jugendstrafe entgegen.“ 5 Das Gesetz enthält diesen Terminus nicht; in Wissenschaft und Praxis sind auch andere Begriffe geläufig („Beugearrest“, „Beschlussarrest“, „Erzwingungsarrest“, „Nichtbefolgungsarrest“, „Zwangsarrest“ etc.). Der Streit um die Rechts- Der Beitrag geht der Frage nach, ob sich der in §§ 26 Abs. 3 S. 3, 30 Abs. 1 S. 2 und 31 Abs. 2 S. 3 JGG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke (Anrechnung verbüßten Jugendarrests auf die Jugendstrafe) auf den Ungehorsamsarrest übertragen lässt. Zur Verdeutlichung wird den einschlägigen Fallgruppen jeweils ein Fallbeispiel vorangestellt. Zuvor ist klarzustellen, was sich hinter einer „Anrechnung“ verbirgt. Der Begriff der Anrechnung wird im JGG an verschiedenen Stellen verwendet.7 Er beschreibt die rechnerisch zu bestimmende Verkürzung eines Zeitabschnitts (Bewährungszeit, Jugendstrafe pp.) dergestalt, dass der anzurechnende Gegenstand von dem zuvor festgesetzten Zeitabschnitt in Abzug gebracht wird.8 Letztlich geht es dabei also um die Strafzeitberechnung, welche dem Vollstreckungsleiter obliegt (vgl. §§ 84 Abs. 1, 85 Abs. 2 JGG, § 39 StVollstrO sowie § 458 Abs. 1 StPO). Teilweise ist dem Vollstreckungsleiter die Anrechnung unmittelbar durch Gesetz vorgegeben (z.B. § 26 Abs. 3 S. 3 od. § 52a S. 1 JGG), teilweise hängt sie von einer gerichtlichen Anordnung ab (Ermessensentscheidung, z.B. § 26 Abs. 3 S. 2, § 31 Abs. 2 S. 2 od. § 52a S. 2, 3 JGG). Als Akt der Strafvollstreckung (siehe § 458 Abs. 1 StPO9) ist die Anrechnung abzugrenzen von der Bemessung der Jugendstrafe (§ 18 Abs. 2 JGG), welche als Akt der Strafzumessung durch das erkennende Gericht vorzunehmen ist.10 Diese Unterscheidung voranzustellen ist deshalb geboten, weil Fragen der „Berücksichtigung“ von Umständen (z.B. eines bereits verbüßten Ungehorsamsarrests) im Rahmen der Strafzumessung gelegentlich vermengt werden mit Fragen der „Anrechnung“ solcher Umstände auf die Jugendstrafe.11 II. Anrechnung des Ungehorsamsarrests nach widerrufener Vollstreckungsaussetzung 1. Fallbeispiel A wird zu einer Jugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (§§ 17, 21 ff. JGG). Das Gericht erteilt A eine Bewährungsauflage, die dieser anschließend trotz wiederholter Ermahnungen seines Bewähnatur dieser Maßnahme (siehe IV. 4.) soll durch die gewählte Bezeichnung nicht präjudiziert werden. 6 Vgl. § 23 Abs. 1 S. 4 (§ 29 S. 2) i.V.m. §§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2 JGG. 7 § 21 Abs. 3 S. 2, § 26 Abs. 3 S. 2 und 3, § 31 Abs. 2 S. 2, § 52a, § 61b Abs. 3, Abs. 4, § 87 Abs. 2 JGG; vgl. auch § 51, § 56 Abs. 4 S. 2, § 56f Abs. 3 S. 2, § 57 Abs. 4, § 66 Abs. 4 S. 2, § 67 Abs. 4 und § 67d Abs. 1 S. 3 StGB. 8 Vgl. BGHSt 49, 90 (92). 9 Siehe auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt (Hrsg.), Strafprozessordnung, Kommentar, 58. Aufl. 2015, § 453 Rn. 13 m.w.N. zur Anrechnungsentscheidung nach § 56 Abs. 3 S. 2 StGB. 10 Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 62. Aufl. 2015, § 51 Rn. 4. 11 Siehe unten IV. 5. b) aa). _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com 593 Jan Schady _____________________________________________________________________________________ rungshelfers und des Gerichts nicht erfüllt. Der Vorsitzende verhängt gem. § 23 Abs. 1 S. 4 i.V.m. §§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2 JGG einen vierwöchigen Dauerarrest, den A auch verbüßt. Nach Verbüßung des Arrests gestaltet sich der Bewährungsverlauf weiterhin ungünstig, bis schließlich der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts die Strafaussetzung zur Bewährung widerruft (§§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3, 58 Abs. 1 JGG). 2. Gesetzliche Regelung § 26 JGG regelt neben den Voraussetzungen auch die Rechtsfolgen eines Widerrufs der Strafaussetzung. Eine Anrechnung auf die Jugendstrafe ermöglicht Abs. 3 S. 2 dem Gericht hinsichtlich „Leistungen, die der Jugendliche zur Erfüllung von Auflagen oder entsprechenden Anerbieten erbracht hat“. Zwingend und unmittelbar durch Gesetz vorgeschrieben ist nach § 26 Abs. 3 S. 3 JGG die Anrechnung des nach § 16a JGG verhängten Warnschussarrests. Eine Vorschrift zur etwaigen Anrechnung eines in der Bewährungszeit verbüßten Ungehorsamsarrests auf die zu vollstreckende Jugendstrafe enthält das Gesetz hingegen weder an dieser noch an anderer Stelle. 3. Meinungsbild Brunner/Dölling gehen von einer planmäßigen Gesetzeslücke aus („zu Recht unerwähnt“12) und halten eine Anrechnung des Ungehorsamsarrests für ausgeschlossen. Dieser sei nur die Reaktion auf den Ungehorsam, ersetze aber entgegen der von Ostendorf vertretenen Auffassung13 nicht die zugrunde liegende Weisung bzw. Auflage, weshalb eine Anrechnung ausscheide.14 Demgegenüber wird nicht nur von Ostendorf, sondern auch in der übrigen Kommentarliteratur zum JGG von einer entweder fakultativen oder gar obligatorischen Anrechnung des Ungehorsamsarrests auf die Jugendstrafe nach Widerruf der Strafaussetzung ausgegangen. Die Begründungsansätze sind dabei ausgesprochen vielfältig. Nach Ostendorf ist auf den Widerrufsbeschluss § 52a JGG entsprechend anzuwenden. Der Ungehorsamsarrest stelle eine aus Anlass der Tat erlittene „andere Freiheitsentziehung“ i.S.v. § 52a S. 1 JGG dar mit der Folge, dass er grundsätzlich auf die zu vollstreckende Jugendstrafe anzurechnen sei, sofern nicht in dem Widerrufsbeschluss entsprechend § 52a S. 2 JGG das Unterbleiben der Anrechnung angeordnet sei.15 Eisenberg spricht sich für eine fakultative Anrechnung des Ungehorsamsarrests bei entsprechender Anwendung des § 26 Abs. 3 S. 2 JGG aus und begründet dies mit dem Ein- 12 Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Aufl. 2011, § 26a Rn. 12. 13 Siehe Ostendorf (Fn. 2), § 11 Rn. 11 und § 15 Rn. 20. 14 Brunner/Dölling (Fn. 12), § 26a Rn. 12 sowie § 11 Rn. 4 und 8a. 15 Ostendorf (Fn. 2), §§ 26-26a Rn. 18. heitsprinzip des § 31 JGG.16 Sonnen votiert ebenfalls für eine Anrechnung des Ungehorsamsarrests und verweist zur Begründung auf das 1. JGGÄndG17, dessen Zielsetzung es gewesen sei, die Haft zu verkürzen, wo immer sie nicht vermieden werden könne. Auf welcher (Rechts-)Grundlage die Anrechnung erfolgen soll und ob dies fakultativ oder obligatorisch zu geschehen habe, lässt Sonnen offen.18 Meier befürwortet eine zwingende Anrechnung des Ungehorsamsarrests. Ein Verurteilter, der, ohne neue Straftaten zu begehen, gegenüber richterlichen Anordnungen ungehorsam sei, dürfe nicht schlechter gestellt werden als ein Verurteilter, dessen Bewährung wegen einer neuen Straftat widerrufen werde.19 Eine Rechtsgrundlage für diese Anrechnung expliziert Meier nicht. Einschlägige Judikatur lässt sich den Rechtsprechungsdatenbanken (Juris, Beck-Online) nicht entnehmen und wird auch in der zitierten Kommentarliteratur nicht angeführt. Hieraus den Schluss ziehen zu wollen, dass entsprechende Fälle in der Praxis nicht vorkämen, wäre indes verfehlt. Vielmehr dürfte ausschlaggebend für den Mangel an dokumentierten Entscheidungen sein, dass über die Rechtsbehelfe gegen eine (Nicht-)Anrechnungsentscheidung Unklarheit besteht20 und zudem im Widerrufsverfahren nicht immer ein Verteidiger mitwirkt bzw. beigeordnet wird.21 4. Stellungnahme Eine ausdrückliche Bestimmung über die Anrechnung eines Ungehorsamsarrests auf die nach Widerruf der Vollstreckungsaussetzung zu verbüßende Jugendstrafe enthält das JGG nicht. So wird man die Verbüßung eines Ungehorsamsarrests – unbeschadet aller Meinungsverschiedenheiten 16 Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 17. Aufl. 2014, § 26a Rn. 25 („wird die Frage iSd Einheitsprinzips zu bejahen sein“) sowie § 31 Rn. 7a („Grundsatz der einheitlichen erzieherischen Beeinflussung“). 17 Vom 30.8.1990, BGBl. I 1990, S. 1853; Begründung siehe BT-Drs. 11/5829 und 11/7421. 18 Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen (Hrsg.), Jugendgerichtsgesetz mit Jugendstrafvollzugsgesetzen, Kommentar, 6. Aufl. 2011, §§ 26, 26a Rn. 20. 19 Meier, in: Meier/Rössner/Trüg/Wulf (Hrsg.), Jugendgerichtsgesetz, Handkommentar, 2. Aufl. 2014, § 26 Rn. 13. 20 Über Einwendungen gegen die Strafzeitberechnung entscheidet nach § 458 StPO i.V.m. §§ 82 Abs. 1, 83 Abs. 1 JGG der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Soweit eine Anrechnung in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt ist (§ 26 Abs. 3 S. 2), ist ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht ausdrücklich vorgesehen (siehe § 59); richtigerweise muss wie im Falle des § 56f Abs. 3 S. 2 StPO (siehe dazu Schmitt [Fn. 9], § 453 Rn.13) die sofortige Beschwerde eröffnet sein (a.A. Brunner/Dölling [Fn. 12], § 59 Rn. 6: einfache Beschwerde). 21 Zur Geltung des § 68 JGG (insbes. Nr. 1 i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO) im Vollstreckungsverfahren vgl. LG Berlin, Beschl. v. 7.4.2006 – 524 Qs 19/06; siehe auch Schmitt (Fn. 9), § 140 Rn. 33, 33a. _____________________________________________________________________________________ ZIS 12/2015 594 Die Anrechnung des sog. Ungehorsamsarrests auf eine Jugendstrafe _____________________________________________________________________________________ zu dessen Rechtsnatur22 – jedenfalls nicht als anrechenbare „Leistung“ des Verurteilten zur Erfüllung einer Bewährungsauflage i.S.v. § 26 Abs. 3 S. 2 JGG bezeichnen können. Dies schließt seine Anrechnung de lege lata nicht zwangsläufig aus. Allerdings kommt eine Anrechnung nur in analoger Anwendung bestehender Vorschriften in Betracht, was näherer Begründung bedürfte. Die Nichtregelung der Anrechnung müsste sich als planwidrige Lücke erweisen und es müsste sich im JGG eine ausdrückliche Regelung zu einem im Wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt finden. Das von Brunner/Dölling gegen die Planwidrigkeit der Lücke angeführte Argument, der Ungehorsamsarrest sei eine gegenüber dem Urteil bzw. der Weisung oder Auflage vollkommen unabhängige Reaktion auf den Ungehorsam, vermag wegen § 11 Abs. 3 S. 3 (ggf. i.V.m. § 15 Abs. 3 S. 2) JGG nicht zu überzeugen: Danach ist bei nachträglicher Erfüllung der Weisung bzw. Auflage ein Absehen von der Vollstreckung zwingend vorgeschrieben, was die Akzessorietät des Ungehorsamsarrests zur Weisung bzw. Auflage belegt. Eher schon könnte man gegen die Planwidrigkeit der Nichtregelung anführen, dass mit § 26 Abs. 3 S. 2 und S. 3 JGG der Gesetzgeber Fragen der Anrechnung ausdrücklich geregelt, dabei zugleich den Kreis der anrechenbaren Interesseneinbußen abschließend bestimmt und in puncto Freiheitsentziehungen auf den Warnschussarrest beschränkt habe. Dass mit der Regelung zum Warnschussarrest die Anrechnung anderer Freiheitsentziehungen bewusst ausgeschlossen werden sollte, lässt sich indes der Systematik und Begründung des „Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten“23 nicht entnehmen. Bei den neu eingefügten §§ 26 Abs. 3 S. 3, 30 Abs. 1 S. 2 und 31 Abs. 2 S. 3 JGG handelt es sich um punktuelle Annexvorschriften zum neu eingefügten Warnschussarrest (§ 16a JGG). Ein über den Warnschussarrest hinausreichender Regelungswille des Gesetzgebers lässt sich mit den Gesetzesmaterialien nicht belegen. Der punktuelle Charakter einerseits und die allgemeingültige Begründung der Gesetzesänderung (Begrenzung des Freiheitsentzugs auf das Schuldmaß) andererseits beweisen vielmehr, dass die denkbaren Fälle der Anrechnung nicht sämtlich und abschließend geregelt werden sollten. Die für den Ungehorsamsarrest bestehende Lücke muss durch eine Anwendung der obligatorischen Anrechnung gem. § 26 Abs. 3 S. 3 JGG auf den Ungehorsamsarrest geschlossen werden, da ansonsten ein evidenter Wertungswiderspruch entstünde: Derjenige, dessen günstige Prognose im Zeitpunkt der Verurteilung erst mit der Anordnung eines Arrests im Urteil (§ 16a JGG) begründet wird (vgl. § 21 Abs. 1 S. 3 JGG), kommt im Falle eines Bewährungswiderrufs in den Genuss einer Anrechnung dieses Arrests auf die Jugendstrafe. Derjenige, dessen Prognose sich hingegen erst im Laufe der Bewährungszeit so verschlechtert, dass ein Arrest erforderlich wird, darf demgegenüber nicht schlechter gestellt sein. 22 Überblick über den Meinungsstand bei Diemer, in: Diemer/ Schatz/Sonnen (Fn. 18), § 11 Rn. 11, 12 m.w.N. 23 Siehe bereits Fn. 3 sowie BT-Drs. 17/9389, S. 15 zu § 30 Abs. 1 S. 2 und § 31 Abs. 2 S. 3 JGG (neu). Vielmehr muss er erst recht in den Genuss der Anrechnung kommen. Für die analoge Anwendung des § 26 Abs. 3 S. 3 JGG spricht außerdem der den §§ 52, 52a JGG zugrunde liegende Rechtsgedanke, dass im Laufe des Verfahrens erlittene Freiheitseinbußen auf freiheitsentziehende Sanktionen grundsätzlich anzurechnen sind. Schließlich lassen sich auch die §§ 5 Abs. 3, 8 Abs. 2 S. 1 JGG anführen, denen zufolge ein Nebeneinander verschiedener freiheitsentziehender Sanktionen vermieden werden soll. III. Anrechnung des Ungehorsamsarrests auf die im Nachverfahren verhängte Jugendstrafe 1. Fallbeispiel Im Unterschied zum Fallbeispiel II. 1. wird im Urteil gegen A die Schuld festgestellt und die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt (§ 27 JGG). Zu Bewährungsweisungen und auflagen sowie zum Vollstreckungsverlauf gilt dasselbe wie unter II. 1. (nunmehr i.V.m. § 29 JGG). Trotz Verbüßung eines vierwöchigen Ungehorsamsarrests kommt es im sog. Nachverfahren zur Verhängung einer unbedingten Jugendstrafe (vgl. §§ 30 Abs. 1 S. 1, 62 JGG). 2. Gesetzliche Regelung Die Folgen einer „schlechten Führung“ des gem. § 27 JGG schuldig Gesprochenen in der Bewährungszeit bestimmt § 30 Abs. 1 JGG dahin, dass auf die im Zeitpunkt des Schuldspruchs noch suspendierte Jugendstrafe zu erkennen ist (S. 1). Eine Anrechnung auf die solchermaßen erkannte Jugendstrafe schreibt S. 2 (qua Verweis auf § 26 Abs. 3 S. 3 JGG) für den in der Bewährungszeit verbüßten Warnschussarrest vor. Eine Anrechnung anderer Einbußen (z.B. Leistungen des Verurteilten entsprechend § 26 Abs. 3 S. 2 JGG oder ein in der Bewährungszeit verbüßter Ungehorsamsarrest) sieht das Gesetz nicht vor. 3. Meinungsbild Anders als in der Fallgruppe des Widerrufs nach Vollstreckungsaussetzung (siehe II.) hält die Kommentarliteratur, soweit sie zu dieser Frage Stellung nimmt,24 die Anrechnung eines verbüßten Ungehorsamsarrests auf die nach § 30 JGG verhängte Jugendstrafe generell für ausgeschlossen. Begründet wird dieses Ergebnis, insoweit übereinstimmend, mit der Rechtsnatur des Ungehorsamsarrests, der keine Reaktion auf die Straftat sei, sondern eine Beugemaßnahme25 bzw. eine Reaktion auf den Ungehorsam.26 24 Nicht ausdrücklich behandelt von Meier (Fn. 19), § 30 Rn. 14, der auf § 52a JGG hinweist, auf den Ungehorsamsarrest („andere Freiheitsentziehung“?) jedoch nicht eingeht; Ostendorf (Fn. 2), § 30 Rn. 5, geht ebenfalls nicht auf den Ungehorsamsarrest ein. 25 Diemer (Fn. 22), § 30 Rn. 11; Eisenberg (Fn. 16), § 30 Rn. 27. 26 Brunner/Dölling (Fn. 12), § 30 Rn. 4; siehe auch IV. 4. a). _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com 595 Jan Schady _____________________________________________________________________________________ Einschlägige Judikatur lässt sich auch zu dieser Fallgruppe weder den Rechtsprechungsdatenbanken (Juris, BeckOnline) noch der Kommentarliteratur entnehmen. 4. Stellungnahme In der Gesamtschau mit dem Meinungsbild zur Anrechnung des Ungehorsamsarrests nach widerrufener Vollstreckungsaussetzung (II. 3.) erscheint die von Brunner/Dölling vertretene Rechtsauffassung immerhin konsistent, wonach die Rechtsnatur des Ungehorsamsarrests seiner Anrechnung auch im Falle einer im Nachverfahren verhängten Jugendstrafe entgegenstehe. Allerdings widerstreitet deren These von der angeblichen rechtlichen Selbständigkeit des Ungehorsamsarrests, wie bereits unter II. 4. ausgeführt, der Wortlaut des § 11 Abs. 3 S. 3 JGG. Dass auch vom Standpunkt der übrigen Autoren die Rechtsnatur des Ungehorsamsarrests als Beugemaßnahme seiner Anrechnung auf die Jugendstrafe entgegenstehe, während eben diese Rechtsnatur im Falle des Widerrufs nach § 26 JGG die Anrechnung offenbar nicht hindert (siehe II. 3), vermag nicht zu überzeugen. Es ist nicht ersichtlich (und wird nicht erläutert), weshalb die zu § 26 JGG vertretenen – im einzelnen abweichenden – Begründungsansätze im Falle einer nach §§ 30 Abs. 1, 62 JGG verhängten Jugendstrafe nicht ebenso gelten sollen. Da § 30 Abs. 1 S. 2 (i.V.m. § 26 Abs. 3 S. 3) JGG die Anrechnung des Warnschussarrests (§ 16a JGG) zwingend vorschreibt, stellt sich wiederum die Frage nach einer planwidrigen Regelungslücke bezogen auf den Ungehorsamsarrest. Dabei ist eine Parallelität zur Konstellation eines Widerrufs der Vollstreckungsaussetzung unverkennbar: In beiden Fällen kommt es nach negativem Bewährungsverlauf zur Vollstreckung der (im Falle des § 30 Abs. 1 JGG erst noch zu verhängenden) Jugendstrafe. Im Ergebnis kann für die Frage der Anrechnung eines Ungehorsamsarrests nach Verhängung der Jugendstrafe gem. § 30 Abs. 1 JGG deshalb nichts anderes gelten als infolge eines Widerrufs nach § 26 JGG. Dass auch der Gesetzgeber die Interessenlagen als vergleichbar betrachtet, belegt der Umstand, dass in § 30 Abs. 1 S. 2 JGG kurzerhand auf § 26 Abs. 3 S. 3 JGG verwiesen wird. Diese Verweisung muss folglich wiederum analog auf den Ungehorsamsarrest Anwendung finden. IV. Anrechnung des Ungehorsamsarrests bei Einbeziehung des zugrundeliegenden Urteils 1. Fallbeispiel A wird des schweren Raubes schuldig gesprochen und entweder, wie im Fallbeispiel II. 1., zu einer bedingten Jugendstrafe verurteilt oder es wird, wie im Fallbeispiel III. 1., die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe ausgesetzt. Bewährungsweisungen und -auflagen sowie Vollstreckungsverlauf gleichen den Fallbeispielen II. 1. und III. 1.: A verbüßt einen vierwöchigen Ungehorsamsarrest. Wegen neuer Straftaten wird A anschließend unter Einbeziehung des die Verhängungs- oder Vollstreckungsaussetzung aussprechenden Urteils zu einer einheitlichen, nunmehr unbedingten Jugendstrafe verurteilt. 2. Gesetzliche Regelung Im Falle der nachträglichen Bildung einer (Einheits-) Jugendstrafe stellt § 31 Abs. 2 S. 2 JGG die „Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrests“ in das Ermessen des Gerichts, während S. 3 der Vorschrift die Anrechnung eines verbüßten Warnschussarrests (§ 16a JGG) zwingend vorsieht (i.V.m. § 26 Abs. 3 S. 3 und ggf. § 30 Abs. 1 S. 2 JGG). Da § 31 Abs. 2. S. 2 JGG eine Anrechnung allgemein von „Jugendarrest“ ermöglicht, stellt sich die Frage, ob hierunter auch ein Ungehorsamsarrest fällt. 3. Meinungsbild Keine der Kommentierungen zu § 31 Abs. 2 JGG nimmt zur Frage der Anrechnung eines verbüßten Ungehorsamsarrests explizit Stellung. Es wird schlicht der Gesetzeswortlaut des S. 2 zitiert, demzufolge im Falle der Verhängung einer nachträglichen (Einheits-) Jugendstrafe die Anrechnung verbüßten „Jugendarrests“ im Ermessen des Gerichts stehe.27 Ob in diesem Zusammenhang auch der in der Bewährungszeit des einbezogenen Urteils verbüßte Ungehorsamsarrest gemeint ist, bleibt offen.28 Gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage lassen sich weder anhand der Kommentarliteratur noch der gängigen Rechtsprechungsdatenbanken (Juris, BeckOnline) ermitteln. Dass im Gegensatz zu den Fallgruppen des Widerrufs nach Vollstreckungsaussetzung (II.) und der im Nachverfahren verhängten Jugendstrafe (III.) die Anrechnung eines verbüßten Ungehorsamsarrest im Falle einer nachträglich gebildeten (Einheits-)Jugendstrafe noch nicht einmal diskutiert wird, überrascht. Denn im Unterschied zu den beiden erstgenannten Fallgruppen existiert mit § 31 Abs. 2 S. 2 JGG hier immerhin eine (Ermessens-)Norm zur Anrechnung von (nicht nach § 16a JGG verhängtem) Jugendarrest. Bei der Suche nach den Gründen für das Ausklammern der hier aufgeworfenen Frage stößt man in Literatur und Rechtsprechung auf zwei Einschränkungen des Einheitsprinzips, die der Anwendung des § 31 Abs. 2 S. 2 JGG auf den Ungehorsamsarrest entgegenstehen könnten. Zum einen geht es dabei um nicht durch Urteil verhängte Sanktionen, zum anderen um bereits vollständig erledigte Sanktionen. 4. Beschränkung des § 31 Abs. 2 JGG auf urteilsmäßige Sanktionen Nach h.L. können nur urteilsmäßige Rechtsfolgen Gegenstand der Einbeziehung gem. § 31 Abs. 2 JGG sein.29 Der Ungehorsamsarrest als eine durch nachträglichen Beschluss verhängte Maßnahme (vgl. §§ 58, 62 Abs. 4, 65 JGG) könnte deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2 S. 2 27 Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 49; Buhr, in: Meier/Rössner/ Trüg/Wulf (Fn. 19), § 31 Rn. 48; Ostendorf (Fn. 2), § 31 Rn. 23. 28 Brunner/Dölling (Fn. 12), § 31 Rn. 14; Schatz, in: Diemer/ Schatz/Sonnen (Fn. 18), § 31 Rn. 42. 29 Eisenberg (Fn. 16), Rn. 16; Ostendorf (Fn. 2), § 31 Rn. 3; Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 17; Buhr (Fn. 27), § 31 Rn. 9. _____________________________________________________________________________________ ZIS 12/2015 596 Die Anrechnung des sog. Ungehorsamsarrests auf eine Jugendstrafe _____________________________________________________________________________________ JGG von vornherein ausscheiden. Dies hängt davon ab, wie man seine Rechtsnatur beurteilt. a) Ungehorsamsarrest als selbständige Maßnahme Nach der bereits zitierten30, von Brunner/Dölling vertretenen Auffassung ist der Ungehorsamsarrest als Mittel zur Ahndung eines Verstoßes gegen den spezifisch jugendstrafrechtlichen Tatbestand des Ungehorsams rechtlich vollkommen selbständig gegenüber der durchzusetzenden Weisung oder Auflage, erst recht gegenüber dem die Weisung (Auflage) aussprechenden Urteil bzw. Bewährungsbeschluss und der durch das Urteil sanktionierten Straftat.31 Von diesem Standpunkt aus ist das rechtliche Schicksal des Ungehorsamsarrests unabhängig vom Fortbestand des zugrunde liegenden Urteils und damit auch von dessen Einbeziehung.32 b) Umgehorsamsarrest als akzessorische Maßnahme Nach allen übrigen Auffassungen ist der Ungehorsamsarrest im Ergebnis eine im Verhältnis zur durchzusetzenden Weisung (Auflage) akzessorische Maßnahme. Laut Ostendorf tritt der Ungehorsamsarrest an die Stelle der durchzusetzenden Weisung (Auflage) und ersetzt diese gleichsam.33 Hiernach „gilt“ der Ungehorsamsarrest als eine unmittelbar im Urteil (bzw. im Bewährungsbeschluss) verhängte Maßnahme.34 Vom Standpunkt der übrigen Autoren aus, demzufolge es sich bei dem Ungehorsamsarrest um eine ergänzende Maßnahme der Vollstreckung (bzw. der Bewährungsüberwachung) handelt, welche als spezifisch jugendstrafrechtliches Mittel zur Erzwingung neben die Weisung (Auflage) tritt,35 teilt der Ungehorsamsarrest jedenfalls das rechtliche Schicksal der ihm zugrundeliegenden Weisung bzw. Auflage.36 c) Zwischenergebnis Die These von der rechtlichen Selbständigkeit des Ungehorsamsarrests vermag, wie bereits wiederholt ausgeführt wurde,37 nicht zu überzeugen. Nach allen übrigen, wiewohl in den Einzelheiten divergierenden Auffassungen ist der Ungehorsamsarrest im Ergebnis eine im Verhältnis zur durchzusetzenden Weisung (Auflage) akzessorische Maßnahme. Wenn hiernach der Anordnungsbeschluss zwar nicht als solcher, wohl aber in Verbindung mit dem zugrunde liegen30 Siehe oben II. 3. Brunner/Dölling (Fn. 12), § 11 Rn. 4. 32 Brunner/Dölling (Fn. 12), § 11 Rn. 8a m.w.N. 33 Ostendorf (Fn. 2), § 11 Rn. 11, § 15 Rn. 20. 34 Ostendorf (Fn. 2), § 31 Rn. 7. 35 Buhr (Fn. 27), § 11 Rn. 19; Diemer (Fn. 22), § 11 Rn. 10, 11; Eisenberg (Fn. 16), § 11 Rn. 12a. 36 Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 20: „unselbständige Beugemaßnahme“; Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 7a: „entfällt [...] ipso iure mit der Einbeziehung des zugrundeliegenden Urteils“; a.A. offenbar Buhr (Fn. 27), § 31 Rn. 9: „zu prüfen, ob jetzt [...] von der Vollstreckung abgesehen werden kann“ (unter unzutreffendem Hinweis auf Eisenberg, a.a.O., und BGH, Beschl. v. 26.5.2009 – 3 StR 177/09). 37 Siehe II. 4. und III. 4. 31 den rechtskräftigen Urteil ein tauglicher Gegenstand einer Einbeziehung nach § 31 Abs. 2 JGG ist,38 so ist kein Grund ersichtlich, den Ungehorsamsarrest als untrennbar mit der durchzusetzenden Weisung (Auflage) verbundene Maßnahme anders zu behandeln als eine unmittelbar im einbezogenen Urteil verhängte Maßnahme. Die Rechtsnatur des Ungehorsamsarrests kann folglich seiner Anrechnung nach § 31 Abs. 2 S. 2 JGG nicht entgegenstehen. 5. Das Einheitsprinzip des § 31 JGG im Falle erledigter Maßnahmen Nach allg. Auffassung sollen nur solche Sanktionen des früheren Urteils in die neue einheitliche Sanktionierung „einbezogen“ werden können, die noch nicht vollständig ausgeführt, vollstreckt oder sonst erledigt seien.39 Hieraus wird gefolgert40, § 31 Abs. 2 S. 2 JGG erlaube nur die Anrechnung eines „zum Teil“ (nicht: vollständig) verbüßten Jugendarrests.41 Träfe dies zu, wäre ein vollständig verbüßter Ungehorsamsarrest kein tauglicher Gegenstand der Einbeziehung in eine neue einheitliche Rechtsfolgenbestimmung. a) Gegenstand der Einbeziehung nach § 31 Abs. 2 JGG Die These, dass Rechtsfolgen nur dann von der Einbeziehung erfasst würden, wenn sie noch nicht vollständig erledigt seien, vermengt indes den Gegenstand und die Wirkungen respektive die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der nachträglichen Einheitsstrafe. Während im Erwachsenenrecht allein die rechtskräftig erkannten Sanktionen Gegenstand der nachträglichen Gesamtsanktionierung sind (vgl. § 55 StGB), geraten im Jugendstrafrecht die bereits erkannten Sanktionen mit der Einbeziehung in Fortfall.42 Nur der zugrunde liegende Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen entfalten für die nachträgliche Gesamtsanktionierung Bindungswirkung.43 Schon deshalb erweisen sich vielfach anzutreffende Formulierungen, wonach § 31 Abs. 2 JGG die „Einbeziehung früher verhängter Rechtsfolgen“ ermögliche und nur die „nicht erledigten von der Einbeziehung erfasst“ würden,44 als 38 Buhr (Fn. 27), § 31 Rn. 9; Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 7a; Ostendorf (Fn. 2), § 31 Rn. 7. 39 Brunner/Dölling (Fn. 12), § 31 Rn. 7; Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 25; Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 17; Streng, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 274; BGH, Beschl. v. 14.11.1996 – 1 StR 598/96 = BGHSt 42, 299; BGH NStZ-RR 2010, 257 (258 f.). 40 Vgl. Buhr (Fn. 27), § 31 Rn. 30, der § 31 Abs. 2. S. 2 JGG als Fall des „Absehens von der Einbeziehung“ bezeichnet. 41 Brunner/Dölling (Fn. 12), § 31 Rn. 14 a.E.; Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 41f.: „Anrechnung teilweise verbüßter Sanktionen“; Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 49: „Anrechnung von teilweise vollstrecktem JA“. 42 Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 28: „als wären sie nicht ergangen“; ebenso Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 44. 43 BGH, Urt. v. 2.5.1990 – 2 StR 64/90 = BGHSt 37, 34 (39 f.). 44 BGH, Beschl. v. 14.11.1996 – 1 StR 598/96 = BGHSt 42, 299 (300 f.); Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 17; Brun- _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com 597 Jan Schady _____________________________________________________________________________________ irreführend: Wie sollen Rechtsfolgen einbezogen werden, deren Rechtskraft infolge der Einbeziehung doch gerade beseitigt wird („als wäre die frühere Entscheidung nicht ergangen“ 45)? § 31 Abs. 2 S. 1 JGG gliedert sich in einen Tatbestand46 und eine Rechtsfolge47: Während die nicht vollständige Ausführung, Verbüßung oder sonstige Erledigung von Maßnahmen ein Merkmal des Tatbestands und somit Voraussetzung für die nachträgliche Bildung einheitlicher Rechtsfolgen ist, stehen auf der Rechtsfolgenseite die „Einbeziehung des Urteils“ (!) und das einheitliche Erkennen auf Maßnahmen oder Jugendstrafe. Die Tatbestandsvoraussetzung einer noch nicht vollständigen Erledigung der Rechtsfolgen besagt folglich nicht mehr und nicht weniger, als dass solche Urteile von einer Einbeziehung ausgeschlossen sind, deren Rechtsfolgen bereits sämtlich und vollständig vollstreckt sind. Hieraus folgt im Umkehrschluss: Solange nur eine im Urteil angeordnete Maßnahme (von ggf. mehreren) noch nicht (vollständig) erledigt ist, muss (vorbehaltlich des Ausnahmetatbestands des § 31 Abs. 3 JGG) ein solches Urteil (i.e. die dort festgestellte/n Tat/en nebst Schuldspruch!) insgesamt in eine Nachverurteilung einbezogen werden. b) Wirkungen der Einbeziehung bei teilweise erledigten Rechtsfolgen Hiervon zu trennen ist die Frage, welche Auswirkungen es im Rahmen der nachträglichen Bildung einheitlicher Rechtsfolgen hat, wenn einzelne Maßnahmen des einzubeziehenden Urteils bereits vollständig vollstreckt sind. Auch in diesem Zusammenhang erweist sich die These, nur nicht erledigte Maßnahmen seien bei der Bemessung der neuen einheitlichen Rechtsfolgen zu berücksichtigen, als unzutreffend. aa) Ex-nunc-Wirkung der Einbeziehung In der Leitentscheidung vom 14.11.199648 hob der BGH den Rechtsfolgenausspruch eines Instanzurteils auf, soweit darin eine in einem gem. § 31 Abs. 2 JGG einbezogenen Urteil angeordnete und bei Einbeziehung bereits vollständig erledigte Maßregel gem. §§ 69, 69 a StGB (Entziehung der Fahrerlaubnis und Anordnung einer Sperrfrist) erneut angeordnet worden war. In den Entscheidungsgründen heißt es, jede „Einbeziehung früher verhängter Rechtsfolgen“ habe „zur Voraussetzung, daß diese noch nicht vollständig ausgeführt, vollstreckt oder sonst erledigt“ seien. Treffe dies nur auf einzelne Rechtsfolgen zu, so würden „nur diese nicht erledig- ten von der Einbeziehung erfaßt“.49 Sei „von mehreren, im selben Urteil ausgesprochenen Rechtsfolgen eine bereits vollständig erledigt“, so sei „insoweit eine Einbeziehung des früheren Urteils gemäß JGG § 31 Abs. 2 nicht mehr möglich“.50 Der Widerspruch zu dem in den Urteilsgründen a.a.O. ebenfalls wiedergegebenen Grundsatz, dass § 31 Abs. 2 JGG die Rechtskraft des Rechtsfolgenausspruchs der einzubeziehenden Entscheidung durchbreche, der zur Verhängung einer einheitlichen Rechtsfolge berufene Richter die Rechtsfolgen daher „vollständig neu und losgelöst vom früheren Rechtsfolgenausspruch bestimmen“ müsse,51 liegt offen zutage. Abstrakt ging es um die Frage, wie mit demjenigen Teil des Rechtsfolgenausspruchs umzugehen ist, der bereits vollständig vollstreckt wurde (hier: Entziehung der Fahrerlaubnis): Wenn mit der Einbeziehung des Urteils der Rechtsfolgenausspruch insgesamt hinfällig wird (Durchbrechung der Rechtskraft), beseitigt dies womöglich rückwirkend (ex tunc) die Rechtsgrundlage der Vollstreckung?52 Die Ausführungen des BGH laufen – in der Sache zutreffend – darauf hinaus, dass im Falle der Einbeziehung eines Urteils nach § 31 Abs. 2 JGG die Rechtskraft des Rechtsfolgenausspruchs nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc), nicht aber rückwirkend beseitigt wird. Dies bedingt es, dass die im einbezogenen Urteil angeordneten Sanktionen von den Wirkungen der Einbeziehung nur insoweit betroffen sind (sein können), wie sie noch nicht vollständig erledigt sind. Auf bereits vollständig erledigte Sanktionen des einbezogenen Urteils wirkt sich die Einbeziehung hingegen nicht aus, da die Rechtskraft des Rechtsfolgenausspruches ex nunc beseitigt wird. Es entsteht ein Vollstreckungshindernis hinsichtlich noch nicht erledigter (Teile von) Maßnahmen.53 Bereits vollständig erledigte Sanktionen sind deshalb von den Wirkungen der Einbeziehung nicht (mehr) berührt. bb) Berücksichtigung erledigter Sanktionen allgemein Aus dem Gesagten folgt indes keineswegs, dass bereits vollständig vollstreckte Maßnahmen im Rahmen der nachträglichen Bildung einheitlicher Rechtsfolgen nach § 31 Abs. 2 JGG nicht zu berücksichtigen sind.54 Vielmehr sind sie bei der Festsetzung der neuen einheitlichen Rechtsfolgen sowohl unter dem Gesichtspunkt ihrer erzieherischen Wirkungen (Legalprognose) als auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Gesamtschau der erledigten und neu zu verhängenden Rechtsfolgen) zu beachten, und zwar nicht erst 49 BGHSt 42, 299 (300 f.). BGHSt 42, 299 (Leitsatz). 51 BGHSt 42, 299 (300 f.). 52 Im zu entscheidenden Fall hätte dies ein Wiederaufleben der Fahrerlaubnis zur Folge gehabt, denn die Entziehung der Fahrerlaubnis bedarf keiner Vollstreckung, sondern „erledigt“ sich unmittelbar mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils; vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2003 – 4 StR 398/03 = NStZRR 2004, 247. 53 So ausdrücklich für den angeordneten, aber noch nicht vollstreckten Ungehorsamsarrest Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 20; LG Berlin, Beschl. v. 28.9.1988 – 507 Qs 44/88 (juris). 54 So aber Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 25. 50 ner/Dölling (Fn. 12), § 31 Rn. 7, 10 („muss die frühere Strafe einbezogen werden“) und 14 („JStrafe oder JA des früheren Urteils werden ganz einbezogen“); Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 25 („teilweise Verbüßung von Jugendarrest oder Jugendstrafe steht ihrer [...] Einbeziehung nicht entgegen“). 45 Eisenberg (Fn. 16), § 31 Rn. 44. 46 „Ist gegen den Jugendlichen [...] oder sonst erledigt, [...]“. 47 „[...], so wird [...] erkannt.“ 48 BGH, Beschl. v. 14.11.1996 – 1 StR 598/96 = BGHSt 42, 299. _____________________________________________________________________________________ ZIS 12/2015 598 Die Anrechnung des sog. Ungehorsamsarrests auf eine Jugendstrafe _____________________________________________________________________________________ im Rahmen der Vollstreckung, qua „Anrechnung“55, sondern bereits im Rahmen der Sanktionsauswahl und -bemessung.56 Wenn in diesem Sinne auch der verbüßte Ungehorsamsarrest bereits bei der Zumessung der (Einheits-)Jugendstrafe (§ 18 Abs. 2) zu berücksichtigen wäre, bliebe für seine Anrechnung auf die so zugemessene Jugendstrafe kein Raum mehr. cc) Berücksichtigung erledigter Freiheitsentziehungen In Abweichung von den soeben ausgeführten allgemeinen Grundsätzen hat der Gesetzgeber die Berücksichtigung erledigter Freiheitsentziehungen (Untersuchungshaft, Jugendstrafe, Jugendarrest) bei der Bildung einer Einheitsstrafe dahin geregelt, dass diese stets in Form einer „Anrechnung“ erfolgen soll, also durch eine rechnerische Verkürzung der Dauer der zu vollstreckenden Strafe. Für aufgrund des einbezogenen Urteils verbüßte Jugendstrafe folgt dies nach allg. Auffassung57 aus § 51 Abs. 2 StGB i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG (zwingende Anrechnung). In gleicher Weise hat der Gesetzgeber nunmehr durch § 31 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 26 Abs. 3 S. 3 JGG die zwingende Anrechnung des verbüßten Jugendarrests gem. § 16a JGG bestimmt. Für sonstigen verbüßten Jugendarrest sieht § 31 Abs. 2 S. 2 JGG die fakultative Anrechnung vor. Für Untersuchungshaft und „andere Freiheitsentziehung“ folgt unmittelbar aus § 52a JGG die regelmäßige Anrechnung. c) Zwischenergebnis Auch erledigte Maßnahmen des einbezogenen Urteils sind bei der nachträglichen Festsetzung einheitlicher Rechtsfolgen zu berücksichtigen. Soweit es sich dabei um freiheitsentziehende Maßnahmen handelt, sind diese – im Unterschied zu sonstigen Maßnahmen – nicht schon bei der Bemessung der Strafhöhe zu berücksichtigen, sondern im Rahmen der Strafzeitberechnung (fakultativ oder obligatorisch) „anzurechnen“, d.h. von der Dauer der erkannten Jugendstrafe rechnerisch in Abzug zu bringen. arrest gelten muss. Insoweit ist auf die Ausführungen zu den Konstellationen des Widerrufs einer Vollstreckungsaussetzung (II. 4.) und der Verhängung einer Jugendstrafe nach Schuldspruch (III. 4.) zu verweisen: Es bestünde ein evidenter Wertungswiderspruch, wenn derjenige, dessen günstige Prognose im Zeitpunkt der früheren Verurteilung nur durch Anordnung eines Arrests im Urteil (§ 16a JGG) begründet wird, besser gestellt wäre als derjenige, dessen Prognose sich erst im Laufe der Bewährungszeit verschlechtert. Letzterer muss im Falle der Verbüßung eines Ungehorsamsarrests deshalb erst recht in den Genuss der Anrechnung auf die nachträglich gebildete (Einheits-)Jugendstrafe kommen. Rechtstechnisch bedeutet dies, dass sich im Falle eines verbüßten Ungehorsamsarrests das gem. § 31 Abs. 2 S. 2 JGG eingeräumte Ermessen auf Null zugunsten der Anrechnung reduziert. V. Fazit Im Zusammenhang mit dem Ungehorsamsarrest allgemein wie auch mit der Frage nach seiner Anrechnung auf eine Jugendstrafe ist, um es mit den Worten von Schatz auszudrücken, „dogmatisch vieles ungeklärt“58. Der vorstehende Beitrag ist der Versuch, ein wenig Licht in das dogmatische Dunkel zu bringen. Angesichts der als lückenhaft zu bezeichnenden Kodifizierung und der in der Zusammenschau ausgesprochen divergenten Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung zur Anrechnung oder Nichtanrechnung von Ungehorsamsarrest empfiehlt es sich, diese Frage künftig explizit im Gesetz zu regeln. Dabei sollte der Gesetzgeber, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, die für den Warnschussarrest in den §§ 26 Abs. 3 S. 3, 30 Abs. 1 S. 2 und 31 Abs. 2 S. 3 JGG bestimmte zwingende Anrechnung auf die Jugendstrafe ausdrücklich auch für den Ungehorsamsarrest vorsehen. 6. Stellungnahme Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der Anwendung des § 31 Abs. 2 S. 2 JGG („Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes“) auf einen in der Bewährungszeit des einbezogenen Urteils verbüßten Ungehorsamsarrest keine überzeugenden Gründe entgegenstehen. Hiernach steht die Anrechnung im Ermessen des (nachverurteilenden) Gerichts. Mit Blick auf die durch § 31 Abs. 2 S. 3 (i.V.m. § 26 Abs. 3 S. 3) JGG bestimmte zwingende Anrechnung des Warnschussarrests stellt sich nur mehr die Frage, ob letztere Regelung nicht wiederum „erst recht“ für den Ungehorsams55 Siehe dazu bereits unter I. Ostendorf (Fn. 2), § 31 Rn. 23; Brunner/Dölling (Fn. 12), § 31 Rn. 7; BGH NStZ-RR 2010, 257 (259) allg. zu erledigten Sanktionen; BGH, Beschl. v. 3.3.2004 – 1 StR 71/04 = BGHSt 49, 90 (91), zur „Berücksichtigung der Erfüllung oder der Nichterfüllung von Bewährungsauflagen“. 57 Nachweis bei Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 43, und Ostendorf (Fn. 2), § 31 Rn. 28. 56 58 Schatz (Fn. 28), § 31 Rn. 20 zur nachträglichen Einbeziehung des Ungehorsamsarrests. _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com 599
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