Ausgabe | 19 22. Mai 2015 powered by Gesundheitswirtschaft Das Geld wird knapp: Ärzte investieren kaum noch in ihre Praxen Die wirtschaftliche Lage der niedergelassenen Ärzte stagniert. Geld für Investitionen in die Praxis bleibt kaum noch übrig D ie niedergelassenen Ärzte in Deutschland verdienen weniger. Während die Jahresüberschüsse auf gleichem Niveau verharren, steigen die Kosten für Personal und Material. Einer Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zufolge mussten Praxisinhaber zwischen 2009 und 2011 im Durchschnitt 5 Prozent mehr Kosten verbuchen – ein deutlich höherer Anstieg als der der Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum (3,2 Prozent). Den Medizinern steht dadurch weniger Geld für Investitionen in ihren Praxen zur Verfügung: Für Abschreibungen sowie Leasing und Mieten von Geräten gaben die Ärzte weniger aus als in den Vorjahren. Von 2009 bis 2011 sanken die Ausgaben dafür um etwa 10 Prozent. Die Betriebskosten steigen drastisch. Demnach lag der durchschnittliche Jahresüberschuss 2011 bei 145.100 Euro je Das Einkommen von Ärzten hängt vom Fachgebiet bzw. der Art des Facharztes ab und unterscheidet sich erheblich. Foto: Flickr/Bratislavská župa/CC BY 2.0 Praxisinhaber. Nach Abzug von Vorsorge- und Versicherungsbeiträgen sowie Einkommenssteuer bleibt davon ein Nettoeinkommen von 71.476 Euro übrig, was einem Stundensatz von 30 Euro entspricht. Die Einnahmen sind dabei von Fachgruppe zu Fachgruppe sehr unterschiedlich: Ein Viertel der Befragten erwirtschaftete weniger als 85.400 Euro, ein Viertel mehr als 181.600 Euro. Zu den Spitzenverdienern zählen etwa die Radiologen, am unteren Ende der Skala liegen Psychotherapeuten und Rehabilitationsmediziner. Die Betriebskosten legten vor allem für Personal, Material und Labor zu. Auch für Versicherungen, Beiträge und Gebühren mussten Ärzte mehr Geld ausgeben (zwischen 7 und 8,4 Prozent). „Angesichts faktischer Nullrunden überrascht es nicht, dass die Investitionsschwäche in den Praxen im Berichtszeitraum anhielt“, sagt Dominik von Stillfried, Geschäftsführer des Zentralinstituts. Ärzte im Krankenhaus verdienen immer noch mehr als ihre niedergelassenen Kollegen. In dem Bericht wurden Kosten, Einnahmen und Überschüsse von Praxen festgehalten. Die Daten stammen aus 2013 und umfassen die Jahre 2009, 2010 und 2011. Sie enthalten die Angaben von 4.739 Praxen, Analyse Rekord: 2014 sind 45 neue Arzneimittel auf den Markt gekommen Das Gesetz zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln führt nicht zu einer Reduktion von zusätzlichen Medikamenten auf dem Markt. Im Gegenteil: Im Jahr 2014 wurden 45 neue Arzneistoffe zugelassen. Der Rekord lag bislang bei 36 neuen Medikamenten im Jahr 2009. Im Jahr 2013 wurden lediglich 26 Stoffe neu in den Markt aufgenommen. 2014 gab es zudem so viele neue Arzneimittel wie noch nie, die derart teuer waren, berichtet das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Das liegt daran, dass unter den neuen Arzneimitteln 14 „orphan drugs“ enthalten sind. Das sind Medikamente, die für die Behandlung seltener Erkrankungen zugelassen sind. Weil es wenige Patienten gibt, ist die Entwicklung dieser Medikamente sehr teuer, denn die Pharmaunternehmen können die Kosten nicht durch einen hohen Ab- satz der Medikamente kompensieren. Der Preis für eine Packung „orphan drugs“ kann über 10.000 Euro liegen. Bei den neuen 45 Medikamenten war das bei acht Präparaten der Fall. Seit 2011 müssen alle neuen Medikamente durch die frühe Nutzenbewertung. Dabei wird festgestellt, welchen Zusatznutzen diese Medikamente für den Arzneimittelmarkt haben. Etwa 60 Prozent aller neuen Medikamente erhalten keine Marktzulassung, weil sie keinen Zusatznutzen zu bereits bestehenden Präparaten bereitstellen. 75 Prozent aller Medikamente, die mit dem Merkmal „beträchtlicher Zusatznutzen“ ausgestattet werden, stammen aus der Krebs- und der Infektionsforschung, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) in ihrer Analyse der ersten Jahre der Nutzenbewertung. Doch es gibt auch Kritik an der Nutzenbewertung. Denn die Bewertung eines Medikaments ist nach der Markteinführung abgeschlossen. Oft ist jedoch gar nicht klar, welchen Nutzen das Präparat entfaltet, wenn es bereits zwei bis drei Jahre verordnet wurde. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), spricht sich daher für eine „späte Nutzenbewertung“ aus. Ohne nachfolgende Untersuchungen bestehe die berechtigte Sorge, dass therapeutische Innovationen aufgrund formaler Kriterien nicht ausreichend gewürdigt und berücksichtigt würden, sagte Thomas Berg, Leiter der Sektion Hepatologie an der Klinik für Gastroenterologie und Rheumatologie an der Universitätsklinikum Leipzig, dem Ärzteblatt. 1 powered by Ausgabe | 19/15 was einem bundesweiten Anteil von 4,9 Prozent entspricht. Je nach Fachgebiet unterscheidet sich die wirtschaftliche Lage jedoch deutlich: Das größte Einnahmen- und Überschussplus verzeichneten die Neurologen (plus 8 bzw. 12 Prozent), ein Minus steht hingegen etwa bei Gynäkologen und Urologen in den Büchern. Grundsätzlich ist das Gefälle zwischen operativ und konservativ tätigen Ärzten groß. Beispielsweise erzielten operierende Augenärzte 2011 einen Jahresüberschuss, der etwa 87 Prozent über dem ihrer rein konservativ arbeitenden Kollegen lag. Und schon Dermatologen, die nur selten operieren, verdienen pro Stunde mehr als doppelt so viel wie ihre konservativ behandelnden Kollegen. Die steigenden Kosten mindern den Anreiz für junge Mediziner, sich mit einer eigenen Praxis – vorzugsweise in einer ländlichen Region – niederzulassen. Viele ältere Ärzte hingegen gehen in den Ruhestand oder ins Ausland. Gleichzeitig wünschen sich viele Ärzte flexible Working-Life-Modelle und stellen damit bisher gewohnte hierarchische Strukturen in Frage. In Zukunft müssen auch Jungärzte von verschiedenen Fachgebieten und Schwerpunkten der Medizin überzeugt werden, um der Überalterung entgegenzuwirken. Laut der Ärztestatistik der Bundesärztekam- 22. Mai 2015 mer waren im Jahr 2014 gerade einmal 18,3 Prozent von Deutschlands Ärzten jünger als 35 Jahre (vgl. 1993 mit 26,6 Prozent). Heute liegt das Durchschnittsalter bei Ärzten im Krankenhaus bei etwa 41 Jahren. „Wenn kein Nachwuchs folgt, dauert es nicht lange, bis uns Fach- und Oberärzte und schließlich auch Chefärzte fehlen: In der Klinikhierarchie folgen sie auf die Ärzte. Ohne Chefarzt müssen Kliniken sogar ganze Abteilungen schließen“, warnt David Fickeisen, Leiter des Gesundheitsportals Kliniken.de. Viele Ärzte scheuen die Facharztanerkennung. Vor allem der Fachbereich Psychologie verliert deshalb momentan an qualifizierten Kräften. Vernetzung BDI: Digitalisierung muss deutsches Gesundheitssystem verändern Versicherte dürften nicht die elektronische Gesundheitskarte ablehnen, dann aber Daten über Apps preisgeben, so der BDI D as Potenzial der digitalen Vernetzung innerhalb des Gesundheitssystems ist groß. Effizientere Abrechnung, weniger Doppeluntersuchungen und eine verbesserte Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten durch die elektronische Patientenakte sind nur einige Vorteile, die die Befürworter eines digital vernetzten Gesundheitssystems anführen. Axel Wehmeier von Deutsche Telekom Healthcare & Security Solutions und Vorsitzender des Arbeitskreises EHealth bei BITKOM nennt die digitale Vernetzung eine „strategische Antwort auf den demografischen Wandel“. Auf einer Veranstaltung des BDI-Ausschusses für Gesundheitswirtschaft, auf dem mehrere Experten zu dem Thema Vorträge hielten, wurde der Nachholbedarf Deutschlands in dem Bereich deutlich: Nur sechs Prozent der Akutkliniken in Deutschland sind Teil der übergreifenden IT-Gesundheitsnetzwerke. In Dänemark und der Schweiz sind es weit über 50 Prozent. Auch die Hausärzte rangieren weit unterhalb des EU-Durchschnitts. Am größten sind die Rückstände in der Telemedizin und im Austausch digitaler Patientenakten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kritisiert die Versicherten und macht die Politik für diesen Nachholbedarf verantwortlich: „Die Politik muss die Wachstumsbremsen endlich lösen“, sagte Die zentrale Speicherung von Patientenakten und die elektronische Übermittlung von Rezepten sind nur zwei Baukästen des digitalen Gesundheitssystems. Foto: Flickr/Jay Reed/CC BY-SA 2.0 Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des BDI, am vergangenen Donnerstag in Berlin. Die elektronische Gesundheitskarte bleibe vorgeblich wegen des Datenschutzes weit hinter ihren technischen Möglichkeiten zurück. „Derweil nutzen die Bürger begeistert Apps auf ihren Smartphones und geben persönlichste Daten preis“, sagte Kerber. „Diese Schizophrenie gehört schleunigst beendet.“ Kerber forderte ein Bekenntnis der Politik zur Digitalisierung der Gesundheit als ressortübergreifende Aufgabe. Moderne Lösungen der Industrie böten greifbare Vorteile, etwa eine höhere Diagnose- und Therapiesicherheit, effektiveres Arbeiten und zufriedenere Patienten. Digitale Instrumente wie die Telemedizin müssten hierzulande flächendeckend eingesetzt werden können. 2 powered by Ausgabe | 19/15 Tatsächlich lässt sich Kerbers angesprochene „Schizophrenie“ gut darstellen: Trotz großer Skepsis aufgrund von Datenschutzfragen bei der Gesundheitskarte verwenden Patienten das Internet zunehmend im Kontext ihrer individuellen Bedürfnisse und ihrer ärztlichen Therapie, zeigt die Umfrage „EPatient Survey 2015“. In Deutschland entsteht eine ganze Start-up-Branche zum Thema Internetmedizin. Fast die Hälfte der Befragten gab an, die Anweisungen ihres Arztes zu ihren Medikamenten aufgrund von Informationen aus dem Netz besser zu verstehen und zu befolgen. Insgesamt sagten 38 Prozent, das Internet habe ihnen im Alltag und im Umgang mit ihrer Erkrankung seelisch, beruflich und praktisch geholfen. Jeder Dritte gab an, durch eine App für seine Medikamente mit der regelmäßigen Einnahme besser umgehen zu können. Circa 40 Millionen Deutsche können aktuell über mehr als 8.000 Webdienste und Apps zu Gesundheitsthemen verfügen. Patienten möchten Medikamenten-Apps lieber von ihrem Arzt (57 %) oder ihrer Krankenversicherung (38 %) erhalten als von Google oder App-Stores. Von den Krankenversicherungen wünschen sie sich außerdem geprüfte Übersichten zu empfehlenswerten Webseiten und Apps. Potential zeigt die Studie auch für Online-Dienste zur Vereinbarung von Arztterminen sowie für digitale Gesundheitsakten, in denen die eigenen Behandlungsdaten zusammen mit Röntgenbildern, Arztbriefen etc. gesammelt werden. Rund ein Drittel der Befragten wünscht sich solche Angebote. Und immerhin 16 Prozent würden nach Klinik- und Reha-Aufenthalten gern eine digitale Nachsorge in Anspruch nehmen, etwa in Form von App-gestützten Lernprogrammen zu ihrer Krankheit, um die weitere Behandlung nach der Entlassung zu optimieren. In den USA dagegen ist Skepsis gegenüber der Digitalisierung des Gesundheitssystems nicht vorhanden. Dort wurde ein Anreizsystem für die Förderung von IT in Gesundheitseinrichtungen geschaffen. So wurden in das Telematiksystem der USA 30 Milliarden US-Dollar gepumpt, zur Neueinführung zertifizierter IT-Systeme. In der Folge haben sich Einsatz und Bedeutung von IT in US-amerikanischen Arztpraxen in den vergangenen fünf Jahren von 30 auf 75 Prozent mehr als verdoppelt. In Österreich gibt es seit 2014 ein Informationssystem, das Patienten, Ärzten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Apotheken den Zugang zu Gesundheitsdaten erleichtert. Das Projekt ELGA soll in den nächsten Jahren weiter in öffentlichen Krankenhäusern, bei Kassenärzten und Apotheken und ab 2017 auch in privaten Krankenanstalten installiert werden. In Dänemark gibt es ein zentrales Portal, auf dem die Bürger Zugang zu ihrer persönlichen Krankengeschichte haben. Sie können Informationen bis zum Jahr 1977 einsehen, Formulare ausfüllen, Kontaktdaten von Ärzten abrufen und medizinische Skepsis gegenüber digitalen Gesundheitssystemen sei laut BDI „schizophren”, da Versicherte ihre Daten freiwillig über Apps preisgeben würden. Foto: Flickr/Nicola since 1972/CC BY 2.0 22. Mai 2015 Informationen erhalten. Mitarbeiter des Gesundheitswesens können über das gleiche System Zugang zur elektronischen Fallakte und zu Labordaten bekommen. 70 Prozent der gesamten Kommunikation wird über das System Sundhed.dk abgewickelt. 84 % der Arztbriefe der Krankenhäuser werden elektronisch übermittelt. Fast alle Laborresultate werden in dem System erfasst. Alle Rezepte werden automatisch an die Apotheken weitergeleitet. Auf europäischer Ebene gibt es epSOS. Das System soll Ärzte mit Informationen über Patienten aus anderen Ländern Europas versorgen. Erklärtes Ziel ist die Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung in Europa. Mehrfachuntersuchungen sollen so vermieden werden können. Bereits 25 Staaten sind an das System angeschlossen – darunter Spanien, Frankreich, Österreich, Italien und Griechenland – epSOS wird schon seit 2012 in einem Pilotbetrieb getestet. Über 250 Gesundheitseinrichtungen nehmen an dem Projekt teil. Deutschland isoliere sich in Europa, so Axel Wehmeier in seinem Vortrag. Es gibt keine funktionierende Telematikstruktur, keine verbindlichen Standards, an denen sich die Bundesrepublik beteiligt, keine elektronischen Patientenakten und keine elektronisch übermittelten Rezepte. Das geplante E-Health-Gesetz der Bundesregierung enthält keinen Bezug zum europäischen epSOS-System. Des Weiteren wird in dem für 2016 angekündigten Gesetz nicht festgelegt, wann verbindliche Standards, die ePatientenakte und das eRezept eingeführt werden sollen. Bislang gibt es über 300 kleine, nicht nachhaltige Projekte in Deutschland, die die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems in einzelnen Bereichen testen. Das sind zu viele Systeme. Das Projekt Carus Consilium Sachsen (CCS) will einen Lösungsansatz ab dem dritten Quartal 2015 bereitstellen: eine anwendungsoffene Telemedizin-Plattform mit standardisierten Schnittstellen soll die einzelnen Projekte miteinander verbinden können. Der Ansatz ist richtig, nur dauert es in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wesentlich länger, bis sich datenschutzrechtliche Bedenken beiseite wischen lassen und Platz für medizinische Innovationen geschaffen wird. 3 powered by Ausgabe | 19/15 22. Mai 2015 Kosten Unverheiratete bekommen Zuschuss bei künstlicher Befruchtung Familienministerin Manuela Schwesig will die Förderung einer künstlichen Befruchtung auf unverheiratete Paare ausweiten I n Deutschland werden zu wenige Kinder geboren. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will daher die Fördermöglichkeiten für eine künstliche Befruchtung auch für unverheiratete Paare öffnen. Die werden nämlich bislang benachteiligt. Diese Förderung kostet Bund und Länder jährlich 400.000 Euro zusätzlich. Für Paare belaufen sich die Kosten für eine künstliche Befruchtung auf bis zu 4.500 Euro. Mit der Gleichstellung könnte nicht nur die Geburtenrate gesteigert, sondern auch eine unzeitgemäße Regelung abgeschafft werden. Die Krankenkasse BKK VBU hat sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, unverheirateten Paaren einen Zuschuss zur Kinderwunschbehandlung zahlen zu dürfen: „Der Schritt ist schon lange überfällig und deshalb richtig“, sagt Helge Neuwerk, Stellvertreter des Vorstands der Betriebskrankenkasse Verkehrsbau Union (BKK VBU) zur Ankündigung der Bundesfamilienministerin. Im Rahmen einer freiwillig geschaffenen Zusatzleistung erhöhte die Kasse den Kostenzuschuss zur künstlichen Befruchtung von 50 auf 75 Prozent. Zusätzlich wollte die BKK VBU auch Paaren ohne Trauschein finanziell unter die Arme greifen. Dafür ist sie sogar bis vor das Bundessozialgericht gezogen. Mit Blick auf das Gesetz (§ 27 a SGB V) lehnten die Richter die Ausweitung der Zusatzleistung auf Unverheiratete jedoch ab. „Die künstliche Befruchtung ist damit weiterhin die einzige Krankenkassenleistung, für die man einen Trauschein braucht“, macht Neuwerk deutlich. Die Lebensrealität zeige, dass die Ehe als Voraussetzung für das Kindeswohl überholt ist. Laut Statistischem Bundesamt stieg der Anteil der nichtehelich geborenen Kinder von 7,2 Prozent im Jahr 1970 auf 34,5 Prozent im Jahre 2012. Die Richtlinie des Bundesfamilienministeriums sieht derzeit vor, dass nur Ehepaare finanziell vom Bund unterstützt werden, wenn das jeweilige Bundesland sich ebenfalls in mindestens gleicher Höhe an der Unterstützung beteiligt. Bislang fördern erst fünf Bundesländer die künstliche Befruchtung. „In unseren Augen liegt hier sogar eine doppelte Benachteiligung kinderloser, unverheirateter Paare vor: Sie müssen nicht nur miteinander verheiratet sein, sondern auch noch im richtigen Bundesland wohnen, damit ihnen finanziell geholfen wird“, betont Helge Neuwerk. Die BKK VBU erhält rund 500 Anträge jährlich von unverheirateten Paaren auf Zuschuss zur Kinderwunschbehandlung, die sie nach der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundessozialgerichts ablehnen muss. Doch Familienministerin Manuela Schwesig bekommt auch Kritik für ihren Vorstoß,. Die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) fordert von Schwesig, erstmal die Hausaufgaben zu machen und dafür zu „sorgen, dass der Bund die restlichen Kosten bei Paaren für die Behandlungsmaßnahmen bei ungewollter Kinderlosigkeit übernimmt“. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten ihren Versicherten für die ersten drei medizinisch notwendigen und erfolgversprechenden Behandlungen für eine normale Befruchtung Kosten in Höhe von 50 Prozent. Die übrigen Kosten sind von den Paaren zu tragen. Die Ministerin verwies in diesem Zusammenhang auf die wachsende Bereitschaft der gesetzlichen Krankenkassen, in ihren Satzungen Mehrleistungen für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung vorzusehen. „Es gibt einen klaren Trend bei den Krankenkassen hin zu Leistungsausweitungen bei der künstlichen Befruchtung“, sagte Monika Bachmann, „aber wir müssen für ungewollt kinderlose Paare, die eine künstliche Befruchtung in Erwägung ziehen, eine größtmögliche finanzielle Entlastung erreichen, denn ungewollte Kinderlosigkeit bedeutet für die betroffenen Paare oftmals eine hohe emotionale und finanzielle Belastung.“ Seit Januar 2012 haben die gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit, über die genannte Kostenerstattung hinaus Leistungen für ihre Versicherten zu erbringen. „Auch Ehepaare mit kleinem Geldbeutel müssen die Chance haben, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen“, so Bachmann abschließend. Dies dürfe die Bundesfamilienministerin nicht aus den Augen verlieren. Deutlicher Widerstand kommt hingegen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Deren familienpolitischer Sprecher Marcus Weinberg stellt die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund: „Der gesetzliche Anspruch auf Bezahlung einer künstlichen Befruchtung ist zu Recht auf miteinander verheiratete Paare begrenzt. Nur in der Ehe existiert die gesetzliche Verpflichtung zur Verantwortungsübernahme. Sie ist die einzige Form, die Paaren einen Anspruch auf gegenseitigen Unterhalt, Versorgungsausgleich und auf Erbschaft garantiert. Von dieser ökonomischen Sicherheit für beide Partner profitieren mittelbar auch die Kinder.“ Gemäß Bundesverfassungsgericht und Bundessozialgericht sei es im Interesse von Kindern, in einer stabilen Partnerschaft aufzuwachsen. Mit dem Institut der Ehe schütze und fördere der Staat die rechtliche Verbindlichkeit einer Partnerschaft, so Weinberg. Dieser verfassungsrechtlich garantierte Schutzgedanke rechtfertige die besonderen Privilegien, die Verheirateten zustehen. Der in den vergangenen Jahren stark gestiegene Anteil unverheirateter Paare mit Kinderwunsch legt jedoch nahe, den Schutzgedanken für das ungeborene Kind auch für unverheiratete Paare zu einer rechtlichen Pflicht zu machen. Auch unverheiratete Paare werden jetzt bei den Kosten für eine künstliche Befruchtung finanziell gleichgestellt. Foto: Flickr/Global Panorma/CC BY-SA 2.0 4 powered by Ausgabe | 19/15 22. Mai 2015 Sehhilfe Neue Sehhilfe: Datenbrille lasert Bild direkt auf die Netzhaut Fujitsu hat eine Datenbrille entwickelt, die Bilder, Texte und HD-Filme direkt auf die Netzhaut wirft Direkt ins Auge: Die Datenbrille soll auch Brillenträgern ermöglichen, gestochen scharfe Bilder zu sehen. Foto: QD Laser Inc. D er japanische Hersteller QD-Laser von Fujitsu hat eine Datenbrille entwickelt, die das Bild direkt auf die Netzhaut wirft. Ein schwacher Laser im Brillenrand dient dabei als Projektor, der die Projektion auf zwei kleine Spiegel wirft. Diese leiten das Bild auf die Netzhaut des Trägers um. Die Laser-Technologie soll unschädlich für die Augen sein und sogar in erster Linie als Sehhilfe für Menschen mit einge- schränkter Sehkraft vermarktet werden. Diese konnten in Tests mit der Brille erstmals scharf sehen. Dadurch könnte eine weitaus größere Zielgruppe erreicht werden als etwa mit der bekannten Google-Version Google Glass, die aktuell Probleme hat, Käufer zu finden. Wie das Fachmagazin PCWorld berichtet, lässt sich die Datenbrille mit einem Smartphone verbinden. So können Nutzer neben Filmen und Bildern auch Internet- seiten lesen. Selbst eine 3D-Projektion sei möglich. Zudem sei eine kleine Kamera eingebaut, deren Bild sich der Nutzer ebenfalls auf die Netzhaut projizieren lassen kann. Allerdings muss das Gerät dazu exakt auf den Träger und dessen Augen eingestellt werden. Die Datenbrille soll im März 2016 für rund 2.000 US-Dollar in Japan, den USA und Europa auf den Markt kommen. Das Prinzip der Netzhautprojektion verbindet die Firma Avegant mit einem Kopfhörer für das ideale Erlebnis der virtuellen Realität. Der DatenbrillenKopfhörer Hybrid Glyph soll Menschen mit großen Sehschwächen eine befriedigende visuelle Welt ermöglichen. Glyph kann einerseits als reiner Kopfhörer genutzt werden oder als Datenbrille mit Ton. Das Bild wird per HDMI-Schnittstelle eingespeist, der Akku hält drei Stunden, berichtet Golem.de. Die Produktion des Gehäuses erfolgt aus dem 3D-Drucker. Das Bild kann exakt auf die Dioptrinverhältnisse angepasst werden. So kann Glyph pro Auge ein Bild von 720 Pixeln auf die Netzhaut des Brillenträgers projizieren. 2 Millionen winzige Spiegel sorgen für eine dreidimensionale Darstellung der Projektion. In den USA ist das Produkt bereits für knapp 500 US-Dollar im Handel erhältlich. Ernährung Fast-Food und Süßes: Deutschland wird immer dicker Innerhalb von fünf Jahren haben sich die Fälle krankhaften Übergewichts verdoppelt. Experten fordern mehr Sportunterricht W egen der starken Zunahme krankhaften Übergewichts in Deutschland fordert ein Experte, mit der Prävention bereits in der Schule zu beginnen. Thomas Hulisz, der Leiter des AdipositasZentrums in Bochum, rät zu mindestens fünfmal pro Woche Sport für Kinder. Auch das Thema Ernährung käme im Unterricht zu kurz, kritisiert Hulisz. „An Aufklärung und Bildung passiert noch zu wenig.“ Die Zahl der stationär behandelten Patienten mit der Diagnose Adipositas, also Fettleibigkeit, steigt bundesweit seit Jahren. So hat sie sich allein in Nordrhein-Westfalen innerhalb von fünf Jahren von rund 1800 (2008) auf 3600 (2013) Fälle verdoppelt, wie das Statistische Landesamt am Freitag in Düsseldorf mitteilte. Im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder um 50 Prozent gestiegen. Ein entscheidender Grund dafür ist das veränderte Lebensmittelangebot – jederzeit und überall sind stark kalorienhaltige, hochgradig verarbeitete Lebensmittel verfügbar und werden massiv beworben. Ein Mensch gilt als fettleibig, wenn der Wert seines Body-Mass-Indexes (BMI) über 30 liegt. Adipositas-Patienten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes, Herzschwäche oder Fettleber. Eine ganzheitliche Behandlung durch Ärzte, Therapeuten und Psychologen dauert nach Angaben von Hulisz mindestens ein Jahr. 5 powered by Ausgabe | 19/15 Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein „Präventionsgesetz“ sei ungeeignet für den Kampf gegen Krankheiten, die durch ungesunde Ernährung mitverursacht werden, teilt die Verbraucherorganisation foodwatch mit. Keine einzige Maßnahme im Gesetzentwurf adressiere die Mitverantwortung der Lebensmittelindustrie für die dramatische Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern. Die Organisation will die Lebensmittelindustrie in die Verantwortung nehmen: Neben einer Marketingbeschränkung für unausgewogene Kinderprodukte müssten etwa auch verbindliche Standards für die Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten festgelegt sowie der Zucker- und Salzgehalt in verarbeiteten Lebensmitteln reduziert werden. „Es ist eine Kapitulationserklärung vor den Gewinninteressen der Lebensmittel- industrie, dass im gesamten Gesetzestext mit keiner Silbe die Mitverantwortung der Branche für Übergewicht und Fehlernährung genannt wird“, kritisiert Oliver Huizinga, Experte für Kinderernährung bei foodwatch. Durch aggressives Marketing und ein großes Angebot an übersüßten und fettigen Produkten würden Kinder und Jugendliche zu einem unausgewogenen Ernährungsstil verführt. Enormen Gewinnen auf Seiten der Branche stünden enorme Kosten für das Gesundheitswesen gegenüber. „Genau hier müsste eine wirksame Präventionsstrategie ansetzen“, so Huizinga. Die Prävention von Fehlernährung, Übergewicht und Adipositas solle als Zielvorgabe in den Gesetzentwurf aufgenommen werden. So dürften der Organisation zufolge unausgewogenes Junkfood, Süßigkeiten oder Softdrinks nicht länger 22. Mai 2015 gezielt als Kinderprodukte beworben und mit Comicfiguren, Spielzeugbeigaben oder Gewinnspielen an Kinder vermarktet werden. Vorbild dafür soll ein kürzlich vorgestelltes Modell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein, wonach nur noch bestimmte ausgewogene Lebensmittel an Kinder vermarktet werden dürfen. „Kein einziger Staat hat es geschafft, die Adipositas-Epidemie in allen Altersgruppen zu stoppen“, sagte WHO-Chefin Margaret Chan bereits vor zwei Jahren. „Hier mangelt es nicht an individueller Willenskraft. Hier mangelt es am politischen Willen, sich mit einer großen Industrie anzulegen.“ Die Lebensmittelwirtschaft prägt junge Konsumenten durch gezieltes Marketing für jene Produkte, die die größte Profitabilität versprechen: Süßwaren, Softdrinks und unausgewogene Snacks. Die Lebensmittelindustrie trägt zur Fettleibigkeit in Deutschland bei, behaupten Verbraucherorganisationen. Foto: Flickr/Butz.2013/CC BY 2.0 Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Chefredakteurin: Jennifer Bendele. Redaktion: Thomas Gollmann, Anika Schwalbe, Gloria Veeser. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Nora Lorz. Copyright: Blogform Social Media GmbH, Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. Telefon: +49 (0) 30 / 81016030, Fax +49 (0) 30 / 81016033. Email: [email protected]. Erscheinungsweise wöchentliches Summary: 52 Mal pro Jahr. Bezug: [email protected]. 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