„Die Russen sind da!“ Am 22. April 1945

Marienfelde und der 2. Weltkrieg - Die Russen sind da
„Die Russen sind da!“
Am 22. April 1945 erreichten die sowjetischen
Truppen Berlin-Marienfelde. Die Stadtrandsiedler, die die Kampfhandlungen in den Schutzbunkern abwarteten, merkten als erste: „Die Russen
sind da! Sie kommen über den Diedersdorfer
Weg.“
Die Truppen - es waren ukrainische Einheiten konnten in Marienfelde nicht aufgehalten werden. Die deutschen Flaksoldaten hatten ihr Lager so schnell verlassen, dass das Mittagessen
noch unberührt auf den Tischen stand. Ihre Ge- 1940 Luftschutzwarte in der Stadtrandsiedlung
schütze und Kanonen waren schon vorher an die Oderfront geschafft worden.
Die wenigen Soldaten und Volkssturmmänner1 verteidigten die Panzersperren nicht - zum
Glück, wie die Leute sagten! Diese wurden von der sowjetischen Panzern einfach umfahren.
Zu Kampfhandlungen kam es erst beim Erreichen des Bahn- und Fabrikgeländes.
Der ehemalige Landwirt und Ortsbauernführer P. erinnerte sich: „Von meinem Haus bis
gegenüber zum Gutsarbeiterhaus war eine Panzersperre, die aber nicht verteidigt worden ist.
Die Sowjetsoldaten stürmten zu uns herein und suchten die Verteidiger vergeblich. Die
Nichtanwesenheit von deutschen Soldaten wurde von den ukrainischen Arbeiterinnen bestätigt
und beweist auch, dass sie für mich einstanden, da sie bei mir gut behandelt worden sind.“
Anders war es auf dem Hof des Landwirts K. am Lichterfelder Ring. Dort hatten die fliehenden Volkssturmmänner unter dem Dunghaufen2 Waffen versteckt. Hier haben die Zwangsarbeiterinnen in ihrer Angst, von ihren Landsleuten der Kollaboration3 beschuldigt zu werden,
das Versteck verraten. Klagen über schlechte Behandlung der Mädchen durch K. können auch
zum Gewaltakt der Rotarmisten4 beigetragen haben. Der Hofbesitzer und zwei weitere anwesende Männer wurden erschlagen. Darunter befand sich der 53jährige Landwirt Otto Graebnitz.
Für die eigentlichen Ereignisse der letzten Apriltage bis Anfang Mai in Marienfelde gibt es
nicht mehr viele Zeitzeugen. Zunächst veranlassten die Eroberer den Auszug der Zivilbevölkerung aus dem Kampfgebiet. Während die Rote Armee unmittelbar von der Verteidigungslinie am Stadtrand mittels Geschützen, Granatwerfern und der gefürchteten "Stalinorgeln5" ihre
todbringenden Ladungen in Richtung Stadt jagten, schoss die deutsche Artillerie umgekehrt.
Einige Siedlungshäuschen und deren Bewohner wurden getroffen. Im Tilkeroder Weg 22
tötete ein Volltreffer das Ehepaar Reinholz. Durch dieses Inferno zogen die Trecks6 der
1
Der Deutsche Volkssturm war eine deutsche militärische Formation in der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Er bestand aus
„waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren“.
2 Dung steht für Kot von Pflanzenfressern, vor allem von Huftieren.
3 Begriff für die Zusammenarbeit mit dem Feind zu Zeiten eines Krieges oder der Besatzung.
4 Rotarmist war die Rangbezeichnung für den niedrigsten Mannschaftsdienstgrad der „Roten Arbeiter- und Bauernarmee“ in der
UdSSR bis 1946.
5 Der deutsche Name für den sowjetischen Mehrfachraketenwerfer Katjuscha.
6 Ein Treck ist ein längere Zeit andauernder Zug von Fußgängern, Berittenen oder Fuhrwerken.
- Seite 1 -
Marienfelde und der 2. Weltkrieg - Die Russen sind da
Marienfelder Stadtrandsiedler mit Rucksack, Kinderwagen und Handwägelchen in Richtung
Süden, wo sie in Wäldern oder Dörfern kampierten, bis die Kampfhandlungen beendet waren.
Hier ist die St. Alfons-Chronik zu zitieren:
„Am Sonntag, dem 22. April 1945, dringen die ersten Panzer in Marienfelde ein. Bis zum
Dienstag bleiben alle Bewohner des Klosters in den weiträumigen Kellergewölben. Immer
wieder kommen russische Soldaten. Es sind für alle schwere Stunden. Erschütternd sind
besonders die einzelnen Exzesse1 an Mädchen, die vorkommen. Am 24. April müssen alle
Männer, die gerade anwesend sind (etwa 35) antreten. Sie werden in der Kapelle des evangelischen Gemeindefriedhofes interniert2. Den ganzen Tag verbringen sie dort, während am
Bahnübergang und bei Daimler-Benz gekämpft wird. Am Abend müssen die Internierten nach
Blankenfelde marschieren. - Nach etwa einer Woche erhalten sie einen Passierschein nach
Marienfelde und können am 2. Mai zusammen mit einem Flüchtlingszug wieder nach Marienfelde zurückkehren.“
Nahe der Kirche St. Alfons hatten noch ein paar Wahnsinnige geschossen, was die Sowjets
zum Anlass nahmen, die Häuserzeile in der Estersstraße anzuzünden. Möglicherweise liegt
hierin auch der Grund für die Tötung (vermutlich durch Rotarmisten) von sechs Männern
1
Der Begriff Exzess bezeichnet eine Überschreitung oder Ausschweifung.
Internierung bezeichnet einen staatlich organisierten Freiheitsentzug mit dem Ziel einer Isolierung von einzelnen oder auch von
Gruppen von der übrigen Bevölkerung in speziellen Lagern.
2
- Seite 2 -
Marienfelde und der 2. Weltkrieg - Die Russen sind da
(Zivilisten) aus diesem Landhausbereich. Ihre Leichen hat man nahe der katholischen Kirche
gefunden. Darunter waren der Architekt Rudolf Möhring und Professor Cauer, letzterer aus
einer bekannten Bildhauerfamilie. Die Aussagen von Zeitzeugen und die Angaben im Verzeichnis der in Marienfelde beigesetzten Kriegsopfer lassen darauf schließen, dass nur noch
versprengte Gruppen von Verteidigern hier sinnlos ihr Leben einsetzten.
Größere Barrieren1 waren Teltowkanal und Ringbahndamm.
Am 24. April 1945 wurde noch um den Flughafen Tempelhof gekämpft. "Der Panzerbär", das
an die Verteidiger Berlins gerichtete Flugblatt von Goebbels2, welches auf den Einsatz von
deutschen Panzereinheiten Hoffnung machte und Durchhalteparo1en verbreitete, berichtete
am 29. April 1945: „In dem inneren Verteidigungsring ist der Feind von Norden her in
Charlottenburg und von Süden her über das Tempelhofer Feld eingedrungen. Am Halleschen
Tor und am Alexanderplatz hat der Kampf um den Stadtkern begonnen. Die Ost-West-Achse
(Straße des 17. Juni Verf.) liegt unter schwerem Feuer.“
Die Schlacht um Berlin 1945 führte zu weiteren Zerstörungen. Fast die Hälfte aller Gebäude
war zerstört, nur ein Viertel aller Wohnungen war unbeschädigt geblieben. Von 226 Brücken
standen nur noch 98.
Nach der vollständigen Einnahme der Stadt durch die Rote Armee und der bedingungslosen
Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 19453 wurde Berlin gemäß der Londoner Protokolle –
der Gliederung ganz Deutschlands in Besatzungszonen entsprechend – in vier Sektoren
aufgeteilt, nämlich die Sektoren
● der Vereinigten Staaten von Amerika - amerikanischer Sektor
● des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland - britischer Sektor
● Frankreichs - französischer Sektor
● der Sowjetunion: russischer Sektor
Dieser Text aus dem Buch „Marienfelde in zwei Weltkriegen“ von Hans-Werner Fabarius, Berlin 1995, wurde überarbeitet
und durch Fotos ergänzt von Godwin T. Petermann im Rahmen eines Projektes in der Klasse 6c/2014-15. Bei den Fußnoten
wurden z.T. Texte aus Wikipedia verwendet.
Arbeitskreis Historisches Marienfelde - www.mein-marienfelde.de
1
Hindernisse
Joseph Goebbels (* 29. Oktober 1897 in Rheydt als Paul Joseph Goebbels; † 1. Mai 1945 in Berlin) war einer der einflussreichsten
Politiker während der Zeit des Nationalsozialismus und einer der engsten Vertrauten Adolf Hitlers. Als Gauleiter von Berlin ab 1926
und als Reichspropagandaleiter ab 1930 hatte er wesentlichen Anteil am Aufstieg der NSDAP in der Schlussphase der Weimarer
Republik. Von 1933 bis 1945 war er Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Leiter der Reichskulturkammer.
Damit trug er dazu bei, Presse, Rundfunk und Film sowie den gesamten Kulturbereich mithilfe strenger Zensur- und Repressionsmaßnahmen im Sinne des Nationalsozialismus auszurichten.
3 Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die zum Ende der militärischen Feindseligkeiten der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich führte, wurde am 7. Mai 1945 im Obersten Hauptquartier der
Alliierten Expeditionsstreitkräfte in Reims (Frankreich) unterzeichnet und trat am 8. Mai um 23:01 Uhr MEZ in Kraft. Die
Kapitulationserklärung wurde aus protokollarischen Gründen in Berlin-Karlshorst im Hauptquartier der sowjetischen 5. Armee am
8./9. Mai wiederholt. Die deutsche Staats- und Wehrmachtführung räumte damit den alliierten Siegermächten das Recht ein, alle
politischen, militärischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten Deutschlands zu regeln.
2
- Seite 3 -