Marienfeldes erste Luftkriegsopfer waren

Marienfelde und der 2. Weltkrieg - Luftkriegsopfer
Marienfeldes erste Luftkriegsopfer waren Ausländer
In der Nacht vom 25. zum 26. August 1940 warfen 22 britische Bomber 18,6 Tonnen
Sprengbomben1 und 100 Brandbomben2 im Norden Berlins ab. (Nach britischen Angaben!)
Das war Churchills3 Antwort auf den deutschen Luftangriff in der Nacht zuvor auf London4.
Von nun an musste sich die Berliner Bevölkerung auf nächtliche Luftangriffe in mehr oder
weniger großen Abständen einstellen.
Der Text zu einem Pressefoto vom 15. November 1940: „Von zwölf englischen Flugzeugen,
denen es in der Nacht zum Freitag gelang, die
Reichshauptstadt zu überfliegen, wurden drei
Maschinen von unserer Flak abgeschossen. Hier
die Reste eines der abgeschossenen Flugzeuge,
das bei der unfreiwilligen Landung in Atome
zerrissen wurde.“
Zu einem weiteren Foto von diesem Ereignis:
„Männer des Sicherheits- und Hilfsdienstes
beim Beseitigen der Trümmer eines über einem
südwestlichen Vorort Berlins abgeschossenen
englischen Bombers.“
Ein drittes Foto, das hier nicht gezeigt wird,
verkohlte Leichen am Ort des Unglücks.
Dieses Unglück geschah in der Nacht vom 14.
zum 15. November 1940 in Marienfelde, und
zwar in dem „Reichsbahnlager" (Holzbaracken)
in der Säntis- Ecke Daimlerstraße. Weiteres bestätigen uns die Gemeinschaftsgrabanlage auf
dem Marienfelder Kirchhof und die Akten.
Das 36m² große Massengrab ist außen an der östlichen Friedhofsmauer angelegt worden und
war damit der Auftakt zur Erweiterung des Kirchhofes.
Der „Schrecken von Marienfelde“
Am 10. April 1941 fiel die erste Bombe auf Marienfelde. Zweifellos hatten die Briten die
Rüstungswerke im Visier. Einwohner sind vermutlich nicht zu Schaden gekommen. Trotzdem
werden etliche Leute ihr Leben lang den 1000 kg schweren Blindgänger in der Emilienstraße
- nahe bei der katholischen Kirche - nicht vergessen. Eingeschlagen ist die Bombe ca. 10
1 Sprengbomben im weiteren Sinne sind Fliegerbomben, die ihre Wirkung durch die Explosion von Sprengstoffen erzeugen.
Sprengbomben explodieren „als Ganzes“ meist am Boden durch Aufschlag- oder Zeitzünder.
2 Als Brandbomben bezeichnet man Bomben, die vor allem Brände entfachen sollen.
3 Sir Winston Leonard Spencer-Churchill (* 30. November 1874 in Woodstock (England); † 24. Januar 1965 in London) gilt als
bedeutendster britischer Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Er war von 1940 bis 1945 und von 1951 bis 1955 Premierminister und
führte Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg.
4 Am 24. August 1940 flog die Luftwaffe einen Angriff auf Thames Haven, bei dem einige deutsche Bomber auch Bomben auf
London abwarfen (das zu dieser Zeit noch nicht offiziell Ziel der Luftangriffe war). Dabei erzielten einige Dutzend deutsche
Bomber 76 Treffer, die meisten in Vororten.
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Meter tief in den Garten von Dr. Heinrich Lübke1, dem
späteren Bundespräsidenten. Der Blindgänger wurde
nach Zeugenaussagen und heimlich gemachten Fotos
eines Anwohners durch KZ2-Insassen freigelegt. Mit weiteren Fotos wurde der „Schrecken
von Marienfelde“, wie man diese Bombe nannte, für Andenken- und Archivzwecke fotografiert, wobei Feuerwerker, Sicherheitspolizei-Offiziere und Bausoldaten posierten.
Hierzu Harry Naujoks Erinnerungen in seinem Buch „Mein Leben im KZ Sachsenhausen“: „Mitte April 1941 waren wir in
Berlin-Marienfelde eingesetzt. Dort wurde
eine 20-Zentner-Bombe, angeblich die
größte britische Bombe, die bisher über
Deutschland abgeworfen worden war, von
uns ausgbuddelt. Die Anweisung lautete,
sie nicht zu sprengen sondern zu entschärfen, auf der Straße hochkant hinzustellen
und dort zu verankern. Daran haben nacheinander verschiedene Kommandos von
Sachsenhausen gearbeitet. Ich war beim
letzten Einsatz dazu eingeteilt. Die Bombe lag im Garten und hätte sowieso nicht gesprengt
werden können, ohne dabei auch das Gartenhaus mit zu zerstören. Als die Bombe dann auf der
Straße aufgerichtet war, mussten wir warten, weil nacheinander eine ganze Reihe Vertreter
von NS Dienststellen mit PKWs herangekarrt wurden. Sie waren teils in Zivil, teils in
Uniformen und stellten sich hinter der Bombe auf. Nachdem ein Fotograf die ganze Gruppe
geknipst hatte, zogen alle wieder ab.“
1 Heinrich Lübke (* 14. Oktober 1894 in Enkhausen/Sauerland; † 6. April 1972 in Bonn) war ein deutscher Politiker (Zentrum,
später CDU). Er war von 1953 bis 1959 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und von 1959 bis 1969 der
zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.
2 Im deutschen Sprachraum steht der Begriff Konzentrationslager seit der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) für die
Arbeits- und Vernichtungslager des NS-Regimes.
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Luftangriffe auf Marienfelde
In der Nacht vom 16. zum 17. Januar 1943 wurde Marienfelde großflächig von Brandbomben
getroffen. Zur Taktik des Gegners gehörte, mit wenigen wendigen Höhenflugzeugen
(Mosquitos1) die Bevölkerung so ziemlich Nacht für Nacht aus dem Schlaf zu schrecken.
Am 14. Mai 1943 trafen die Briten die Entscheidung: „Die ungeheure und immer noch stärker
werdende Schlagkraft der RAF2-Bombenangriffe soll die materiellen Grundlagen in Deutschland soweit zerstören, dass der deutsche Arbeiter den Willen aufgibt und die Fähigkeit verliert,
weiter für den Krieg zu arbeiten.“
Hamburg war bereits durch die Royal Air Force (RAF) zerstört. Churchill am 19. August 1943
ans Kabinett: „Ich wäre sehr glücklich, ein ungefähres Datum zu haben, an dem er (Sir Arthur
Harris! Verf.) denkt, schwere Angriffe gegen Berlin eröffnen zu können. In der gegenwärtigen
Kriegssituation müssen Angriffe auf Berlin im Hamburger Maßstab eine ungeheure Wirkung
auf ganz Deutschland haben.“
In der Nacht vom 23. zum 24.8.1943, die
auch für Marienfelde mit seinen
Rüstungsbetrieben3 ein bevorzugtes Ziel, eine Schreckensnacht war, haben 625 Flugzeuge Berlin mit 945,6 t Sprengbomben und
826,4 t Brandbomben angegriffen. Das war
der bis dahin größte Luftangriff auf Berlin.
In den Nächten darauf wiederholte sich das,
wobei unter anderem mehrere Brandherde in
der St. Alfonskirche und dem dazugehörigem Kloster gelöscht werden konnten. Eine Sprengbombe zerstörte das Refektorium4.
1 Die de Havilland D.H.98 Mosquito war ein Mehrzweckflugzeug der Zeit des Zweiten Weltkrieges aus britischer Produktion. Die
zweimotorige, zweisitzige Maschine wurde von der de Havilland Aircraft Company in Holzbauweise hergestellt und mit großem
Erfolg im Krieg und danach eingesetzt. Zwischen 1940 und 1950 wurden über 7700 Mosquitos gebaut. Aufgrund ihrer hohen
Geschwindigkeit und guten Höhenflugeigenschaften war die Mosquito für die deutsche Luftverteidigung nahezu unangreifbar.
2 Royal Air Force - englische Luftwaffe
3
4 Speisesaal eines christlichen Klosters
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Nach der St. Alfons-Chronik waren hier am 24., 30. und 31. Dezember 1943 erneut Luftangriffe: „Alle Brände konnten gelöscht werden.“
Die Akten der evangelischen Kirchengemeinde sagen aus, dass am 27. März 1943 im Pfarrhaus durch Luftdruck Wände, Decken, Fenster und Türen in Mitleidenschaft gezogen worden
sind. In einem Schreiben des Stadtsynodalausschusses1 vom 12. August 1943 wird mangelnde
Luftschutzbereitschaft beanstandet. Es müssten in der Kirche mehr Mittel zur Brandbekämpfung bereitgestellt werden! Die Kirchengemeinde hat im September an öffentliche Stellen
berichtet, dass am 23. bzw. 24. August 1943 in der Kirche durch die Diakonisse Anna Hanf
und der Friedhofsverwalter Ferdinand Nähring Brände durch Phosphor- und Stabbrandbomben gelöscht worden seien.
Schäden an kirchlichen Gebäuden:
● Kirche: abgedeckt,
● Gebälk über Altarraum abgebrannt,
● Fenster zerbrochen.
● Pfarrhaus und Friedhofskapelle: Dach, Fenster und Türen beschädigt.
Sofort wurde Beseitigung von Schäden beantragt, „da die Räumefür gottesdienstliche Handlungen, sowie zur Aufrechterhaltung des Büro und Kassenbetriebes und die Kapelle für
Trauerfeiern bei Beerdigungen dringend gebraucht werden“.
Zur selben Zeit wurden Gaststätten im
Dorfbereich, wie „Alter Krug“, „Lindenpark“ und „Nasses Dreieck“ teilweise zerstört sowie der Tanzsaal des Gasthofs
„Grüne Linde“, die Feuerwache, das ehemalige Spritzenhaus und weitere dörfliche
Gebäude. Schäden gab es auch in den anderen Siedlungsbereichen, dem Kloster
Vom Guten Hirten, den zahlreichen Gärtnereien mit ihren Gewächshäusern, an den
Verkehrseinrichtungen und zweifellos in
der Industrie.
Erschreckt wurden die Menschen im Bereich Ahrensdorfer Str./ Stadtrandsiedlung I, als in der
Nacht vom 19. zum 20. Februar 1944 ein Feindflugzeug über ihren Dächern niederging. Von
15 Mosquitos2, die ihre Bombenlast über Leipzig abgeworfen hatten, ging diese eine Maschine
verloren. Bei der versuchten Notlandung riss der Pilot die Maschine über der Siedlung noch
einmal hoch. Die Siedlung wurde verschont, weil die Maschine ca 120 m dahinter am Osdorfer
Feldweg aufschlug. Zwei Piloten verbrannten.
Nach der bei der evangelischen Kirchengemeinde geführten Kriegsopferliste wurden 1943
mindestens 20 Bombentote hier bestattet. Hinzu kommen die auf anderen, z.B. katholischen
1 geschäftsführender Ausschuss der Synode, ein Gremium aus gewählten Laien und Geistlichen
2 Die de Havilland D.H.98 Mosquito war ein Mehrzweckflugzeug der Zeit des Zweiten Weltkrieges aus britischer Produktion.
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und städtischen, Friedhöfen Beigesetzten und die Toten in den Ausländerlagern, für die eine
Sonderregelung bestand.
Im Jahr darauf waren es 30 Tote.
Als Todesursachen waren angegeben:
● Schädelbruch,
● Zerstückelung,
● Verschüttung,
● Verbrennungen,
● innere Verletzungen.
Hierbei ist auch an die schreckliche Begebenheit in einem Reihenhaus in Bahnnähe zu denken.
Nach der Erzählung hatte der Familienvater vom Dachfenster aus den Luftangriff beobachtet,
als unmittelbar neben ihm eine Bombe einschlug und ihn mit in den Keller riss. Es war ein
Blindgänger. Es gehört nicht viel Fantasie, um zu wissen, dass den Mann der erlittene Schock
den Rest seines Lebens lang begleitete.
Der Bombenkrieg wurde 1944 immer verheerender. Luftminen zerstörten nicht nur Mauem.
Sie zerfetzten durch den Luftdruck auch die Lungen. Gegen Phosphorbrandbomben gab es
keine Löschmittel. Von den vielen Bombenopfern, die es im Kriegsjahr 1944 in Marienfelde
zu beklagen gab, wurden 25 auf dem Kirchhof beigesetzt. Im Vergleich mit der Innenstadt
waren im weniger dichtbesiedelten Marienfelde die Verluste gering.
Bald saß man fast jede Nacht manchmal mehrmals - in Luftschutzkellern oder Bunkern und
zitterte um Wohnung, Habe und Leben.
Brief einer Marienfelderin
Ein Stimmungsbild gibt uns der Brief einer
Marienfelderin vom 25. Fbruar 1945
(auszugsweise): „Die Post in Berlin geht jetzt
auch meist 5-12 Tage. Sehr oft wurde hier in
Marienfelde gar nicht ausgetragen. - Das Herz
blutet einem ..., wenn man die unsagbar vielen
Flüchtlinge sieht; und vielleicht geht es uns
auch bald so! Aber wo sollen die Berliner hin?
Es heißt. berufstätige und alte Frauen dürfen
überhaupt nicht aus Berlin raus. Hier werden
überall Barrikaden gebaut. Männer, Frauen
und Kinder. Bis jetzt haben sie mich noch
nicht geholt. In den Berliner Straßen hat es wohl noch einen Sinn. aber in den Vororten werden
die Gartenzäune doch einfach von den Tanks überfahren werden, ebenso die Häuschen.
Vorgestern war jemand hier, der anmeldete, daß überall der Stacheldraht an den Gartenzäunen
entfernt wird, weil er für den Barrikadenbau gebraucht wird. Wenn wir doch wenigstens vor
den Russen bewahrt blieben! - Alle Tage und Nächte 2 bis 4 mal Alarm! Und immer wieder
so viel angerichtet. Der 3. Februar hatte den bisher schwersten Angriff auf Berlin. Die
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Innenstadt existiert nun eigentlich wirklich nicht mehr, besonders die Friedrichstadt und die
Gegend SW 681. Unglaubliches hat sich dort abgespielt. Viele Tausende haben ihr Leben
lassen müssen. Überall S- und U-Bahnen durchschlagen. Allein am U-Bahnhof Bayrischer
Platz sollen 260 Tote gewesen sein … Ich war in der Postruine (Hauptpostamt Möckernstraße?
Verf.), bloß 2 Stockwerke darüber und die Bomben wie gesät in unmittelbarer Nähe; wir haben
uns alle aneinandergeklammert und hatten mal wieder mit dem Leben Schluss gemacht. Ein
Paket Flugzettel hatte das Dach und den 1. Stock durchschlagen ... Natürlich ging hinterher
kein einziges Fahrzeug. Ich bin bis Papestraße gelaufen; dort ging die 1. S-Bahn nach
Lankwitz und von dort mit dem O-Bus2 nach Hause .... Und dann die vielen Zeitzünder, die
dauernd explodierten ... In der Innenstadt gibt es fast gar kein Wasser und Gas mehr. Die
Gasrohre sind voll Wasser gelaufen. Außerdem ist in ganz Groß-Berlin täglich vormittags 2
Stunden und abends 2 Stunden Lichtsperre. Sonst wird es wenigstens beim Alarm hell; aber
vorgestern war das in einigen Stadtteilen auch nicht der Fall, so dass die Menschen, da auch
die Sirenen nicht gingen, bei Flakbeschuss und Bombenhagel im Finstern die Treppen
hinunter gefallen sind. Nur einzig und allein in Marienfelde gibt es bis jetzt wunderbarerweise
keine Lichtsperre! Es steht einzig da, und es glaubt einem kein Mensch!“ (Grund: Rüstungsproduktion!)
Bei einem schweren amerikanischen Tagesangriff am 3. Februar 1945 mit 937 Bombern auf
Berlin gab es 2893 Tote, 729 Schwerverletzte, 1205 Leichtverletzte und 120000 Obdachlose.
Am 24. März 1945 erfolgte der für Marienfelde schwerste Luftangriff. 31 Tote sind allein in
der Ehrengräberliste registriert. Sie sind fast alle in den Kellern der Wohnhäuser Berliner
Straße 141 und 142 sowie Kiepertplatz 8 / Ecke Bahnstraße getroffen worden.
Dieser Text aus dem Buch „Marienfelde in zwei Weltkriegen“ von Hans-Werner Fabarius, Berlin 1995, wurde überarbeitet
und durch Fotos ergänzt von Godwin T. Petermann im Rahmen eines Projektes in der Klasse 6c/2014-15. Bei den Fußnoten
wurden z.T. Texte aus Wikipedia verwendet.
Arbeitskreis Historisches Marienfelde - www.mein-marienfelde.de
1 Berlin-Kreuzberg (SW 68)
2 Oberleitungsbus
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