Fall 6 Lösungshinweise_überarbeitet

Tamara Tolj
Akademische Mitarbeiterin
Lehrstuhl Prof. Dr. Saliger
Fallbesprechung Strafrecht II
Sommersemester 2015
Fall 6 Lösungshinweise
Tatkomplex 1: Das Attentat auf O
Strafbarkeit des T
A. Versuchter Totschlag, §§ 212 I, 22, 23 I
T könnte dadurch einen versuchten Totschlag begangen haben, dass er sich anschickte, sie
anzuzünden. 1
Vorprüfung:
a) E ist nicht gestorben.
b) Der versuchte Totschlag ist gemäß §§ 23 I Alt.1, 12 I mit Strafe bedroht.
1. Tatentschluss (subjektiver Tatbestand)
Ausweislich des Sachverhalts ist ein Tötungsvorsatz bei T zu verzeichnen.
2. Unmittelbares Ansetzen (objektiver Tatbestand)
Indem T versuchte, seine benzingetränkte Ehefrau mit den Streichhölzern in Brand zu setzen, hat
er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt- geht-es- los“ überschritten und objektiv ein Verhalten an
den Tag gelegt, dass unmittelbar ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden sollte. Also hat er i.S.v. § 22 unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
3. Rechtswidrigkeit
Die Tat war rechtswidrig.
4. Schuld
T handelte schuldhaft.
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5. Persönlicher Strafaufhebungsgrund / Rücktritt vom Versuch
Indem T aufhörte, E zu würgen, könnte er indes mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten sein, § 24 I.
a) Kein fehlgeschlagener Versuch
Möglicherweise steht einem Rücktritt die fehlende Rücktrittsfähigkeit entgegen. Nicht mehr rücktrittsfähig und daher „fehlgeschlagen“ ist der Versuch dann, wenn die zu ihrer Ausführung vorgenommenen Handlungen ihr Ziel nicht erreicht haben und der Täter erkannt hat, dass er mit den
ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den tatbestandlichen Erfolg entweder gar nicht mehr oder
zumindest nicht ohne zeitlich relevante Zäsur herbeiführen kann.
Immerhin bestand für T in Anschluss an das Ablassen von der E weiterhin die Handlungsmöglichkeit, mit dem Würgen fortzufahren. Wann ein Versuch gescheitert, also fehlgeschlagen ist und in
dem Aufhören lediglich das Unterlassen eines neuen, zweiten Versuchs liegt, und wann das weitere Handeln, auf das nun verzichtet wird, noch als Fortsetzung des begangenen Versuchs angesehen werden kann, ist streitig:
aa) Nach der sog. Einzelaktstheorie stellt jeder vom Täter bei Beginn der Handlung für erfolgstauglich angesehene Akt für sich einen Versuch dar; sie entspricht der ständigen Rechtsprechung
des Reichsgerichts. Handlungsbeginn war hier das Hantieren mit den Streichhölzern, um die Ehefrau anzuzünden, was der A zu diesem Zeitpunkt für erfolgsgeeignet hielt. Dieser Einzelakt hat
nicht zum Tod geführt und ist folglich gemäß einer isolierten Betrachtung fehlgeschlagen. Ein
nachfolgendes Würgen wäre demnach eine neue Tat.
bb) Gesamtbetrachtungs-Lehre: Nach der Gesamtbetrachtungs-Lehre besteht der gemeinsam
vertretene Grundkonsens darin, einen fehlgeschlagenen und damit rücktrittsunfähigen Versuch
erst dann anzunehmen, wenn der Täter durch weitere, mit den bereits realisierten Handlungen
zeitlich-räumlich eng zusammenhängenden Maßnahmen den Erfolg nicht mehr erreichen kann.
Die Gesamtbetrachtungslehre fasst also mehrere einzelne Akte zur Zielerreichung zusammen
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bzw. verbindet weitere Handlungsmöglichkeiten mit bereits vollzogenen8 und erweist sich dabei
als die rücktrittsfreundlichere Position, der sich auch der BGH angeschlossen hat.
Hierzu BGH NStZ 1986, 265:
„Zwar glaubte der Angekl., den Tod seiner Ehefrau unwiderruflich bewirken zu können (vgl.
hierzu Eser, in: Schönke-Schröder, StGB, 22. Aufl., § 24 Rdnr. 19), als er mit einigen aufflammenden und glühenden Zündhölzern - aus ungeklärter Ursache erfolglos - versuchte, seine mit Benzin
übergossene Ehefrau und die um sie entstandene Benzinlache anzuzünden.
Dennoch hat er die weitere Ausführung der Tat - insgesamt gesehen - aufgegeben. Sein Vorhaben
war nämlich nach dem „unverdienten Glück“ des mißlungenen Brandanschlags noch nicht endgültig gescheitert. Vielmehr hat der Angekl. in unmittelbar weiterer Verfolgung seines Zieles ohne
tatbestandlich relevante Zäsur ein nächstes Tatmittel eingesetzt, indem er seine Ehefrau würgte.
Er wußte auch, daß er mit diesem einsatzbereiten Mittel seine Tat noch vollenden konnte. Obwohl
sein Tötungsvorhaben noch nicht endgültig fehlgeschlagen war, nahm er dann aber von der Vollendung der Tat Abstand.“
Die Handlungsoption des Weiterwürgens stand mit den vorhergehenden Anzündversuchen
(zu verklammernder Erstakt) noch in einem eng raum-zeitlichen Zusammenhang ohne wesentliche Zäsur. Nach der Gesamtbetrachtungslehre liegt ergo noch kein fehlgeschlagener
Versuch vor.
cc) Streitentscheid: Angesichts der Annahme eines Fehlschlags durch Position aa) ist ein
Streitentscheid erforderlich.
Die Einzelaktstheorie führt an, dass der Täter bewiesen habe, zur Tat fähig zu sein, indem er
nach seiner Vorstellung zu Beginn der Tat endgültig über den Untergang des Rechtsgutsobjekts
entschieden und damit die volle Schuld eines Versuchs auf sich geladen habe Nur derjenige Täter,
der noch nicht endgültig über das Schicksal des Opfers disponiert habe, verdiene die Straffreiheit
des § 24. Die Gesamtbetrachtungslehre führe zu einer schwer verständlichen Privilegierung des
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von vornherein bedenkenlosen Täters, der alternative Vollendungsmöglichkeiten weitgehend
einplant und sich beliebig viele Fehlschläge leisten könne, wenn er nur noch weitere Realisierungsmöglichkeiten erkennt. Zweifel an der Überzeugungskraft der Einzelaktstheorie bestehen
insofern, als dass der Täter, der sein Opfer tatsächlich gefährdet, gemäß § 24 I 1 Alt. 2 günstiger
steht als derjenige Delinquent, der das Opfer gar nicht in Gefahr gebracht hat. Zudem erscheint
die massive Beschränkung der Rücktrittsmöglichkeiten in Hinblick auf den Opferschutzgedanken
bedenklich, auch wenn einzuräumen ist, dass die empirische Validität des Opferschutzarguments
auf tönernen Füßen steht. Schließlich kann in dem Verzicht auf ein dem Täter zur Hand liegendes
Tatmittel nach Fehlschlag eines Mitteleinsatzes eine honorierwürdige Umkehrleistung liegen, die
das general- und spezialpräventive Strafbedürfnis erheblich reduziert. Somit erscheint die Gesamtbetrachtungslehre kriminalpolitisch vorzugswürdig und auch harmonischer mit der lex lata,
da § 24 I den Rücktritt an die Aufgabe der weiteren Ausführung knüpft, ohne zu berücksichtigen,
was vorher geschehen ist. Mithin ist der Gesamtbetrachtungslehre zu folgen und der Versuch
nicht fehlgeschlagen.
b) beendeter/unbeendeter Versuch: Um strafbefreiend zurückzutreten, müsste A entweder
die weitere Ausführung der Tat aufgegeben (§ 24 I 1 Alt.1) o. deren Vollendung verhindert (§
24 I 1 Alt.2) haben.
Aufgeben der weiteren Tatausführung ist ausreichendes Rücktrittsverhalten beim „unbeendeten
Versuch“. Unbeendet ist der Versuch, wenn der Täter noch nicht alles getan zu haben glaubt, was
nach seiner Vorstellung zur Tatvollendung notwendig ist, beendet ist der Versuch, wenn der Täter
glaubt, alle zur Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Handlungen vorgenommen zu haben.
aa) Nach einer Ansicht („Tatplantheorie“) – die frühere Rechtsprechung - sollte über die
Abgrenzung der sog. „Planhorizont“, d.h. die Vorstellung bei Tatbeginn entscheiden. Bestand dagegen bei Tatbeginn kein derartiger Plan o. war dessen Fehlen wg. in dubio pro reo anzunehmen,
sollte Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgebend sein.
Hier ist nicht eindeutig, ob T einen echten „Tatplan“ gehabt hat (siehe SV: „plötzlich“), sodass
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wohl die Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgebend ist, mithin ein
unbeendeter Versuch in dubio anzunehmen wäre.1
bb) Die neuere Rechtsprechung stellt auf den sog. Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten
Ausführungshandlung ab. Demnach liegt ein unbeendeter Versuch vor.
cc) Mangels Erheblichkeit erübrigt sich ein Streitentscheid. Bei einem unbeendeten Versuch
genügt für den Rücktritt schon das Aufgeben der weiteren Tatausführung, was A durch Lösen der
Umklammerung vollzogen hat.
c) Freiwilligkeit: Weiterhin müsste T freiwillig die Tat aufgegeben haben. Freiwillig ist der Rücktritt
dann, wenn er einer autonomen Entscheidung des Täters entspringt, unfreiwillig, wenn heteronome Gründe, die vom Willen des Täters unabhängig sind, ihn hindern weiterzuhandeln. Ts Motivation ist die eigene Reue über die Tat, er ist also nicht von äußeren Zwängen bestimmt. Mithin
handelte er freiwillig.
B. § 224 I Nr. 5 Gefährliche Körperverletzung
In dem Würgen der E liegt aber jedenfalls eine vollendete gefährliche Körperverletzung
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung. Der Rücktritt vom Versuch des Tötungsdelikts
ändert nichts an der Bestrafung wegen idealkonkurrierender vollendeter Delikte.
C. Gesamtergebnis
Damit hat sich T damit (nur) gem. § 224 I Nr.5 strafbar gemacht.
1
Eine andere Ansicht ist bei entsprechender Begründung selbstverständlich vertretbar („fasste den Plan…“, „den
Kanister, den er bereit gestellt hat…“). In diesem Fall müsste der Streit entschieden werden. Gegen die Tatplantheorie spricht die unangemessene Privilegierung des Täters mit der höheren kriminellen Energie einerseits, sowie die
Frage, weshalb im Rahmen des Rücktritts auf einen Zeitpunkt vor Begehung der Tat abgestellt werden soll, wobei
ansonsten auf den Zeitpunkt bei Begehung der Tat abgestellt wird. Dem näher ist jedenfalls die Zeitpunkt nach
Begehung der Tat.
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Tatkomplex 2: Das Attentat auf O
A. Strafbarkeit des T
A.) Versuchter Totschlag, §§ 212 I, 22, 23 I an O
Indem T das Fenster geöffnet hat, um in die Wohnung einzudringen und den O zu töten, könnte
er sich wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 I, 22, 23 I strafbar gemacht haben.
Vorprüfung
a) O ist nicht gestorben.
b) Der versuchte Totschlag ist gemäß §§ 23 I Alt.1, 12 I mit Strafe bedroht.
I. Tatbestand
1. Tatentschluss
Ausweichlich des Sachverhalts handelte T mit Tötungsvorsatz, mithin hatte er Tatentschluss.
2. Unmittelbares Ansetzen
Weiterhin müsste T unmittelbar angesetzt haben.
Ein unmittelbares Ansetzen ist gegeben, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es
los“ überschritten hat, und sein (objektives) Verhalten so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft ist, dass bei ungestörtem Fortgang des Geschehens ohne wesentliche
Zwischenakte mit der Tatbestandsverwirklichung zu rechnen ist. Bloße Vorbereitungshandlung ist
demgegenüber, was die Ausführung der (für einen späteren Zeitpunkt geplanten) Tat nur ermöglichen oder erleichtern soll.
Fraglich ist, ob in dem Öffnen des Fenster ein bereits von einem unmittelbaren Ansetzen gesprochen werden kann.
Es lässt sich durchaus sagen, dass nach der Vorstellung (subjektive Komponente) des T die
Schwelle zum „Jetzt geht es los“ bereits überschritten wurde, weil mit Öffnen des Fenster die wesentliche Barriere zerstört beiseite geschafft wurde.
Allerdings sind bis zur eigentlichen Tatausführung, die in den tatbestandlichen Erfolg münden
soll, noch wesentliche Zwischenschritte notwendig: T muss noch durch das Fenster einsteigen.
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Die Wohnung des O ist ihm unbekannt, er müsste den O dort erst noch auffinden. 2 Zwar schweigt
der Sachverhalt über die geplante konkrete Begehungsweise der Tat, jedoch könnte noch hinzukommen, dass T seine Tatmittel bereit machen muss.
Stellt man auf die unmittelbare Rechtsgutsgefährdung ab, eine Figur, die vor allem im Rahmen
der sog. Fernwirkungsfälle eine Rolle spielt, könnte man indes durchaus argumentieren, dass mit
dem Öffnen des Fenster ein Wechsel in die Sphäre des O stattgefunden hat und diese nunmehr –
gleichsam ungeschützt – brach dem T offen steht. Doch auch wenn man die unmittelbare Rechtsgutsgefährdung abstellen wöllte, müsste man einsehen, dass der Wohnung zwar Sphäre des O
ist, diese dem T aber derart unbekannt, dass dem O wenigstens der Vorteil der Kenntnis bezüglich der Räumlichkeiten verbleibt. So kommt man auch über die Lehre der unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung zu dem Ergebnis, dass T objektiv noch nicht unmittelbar angesetzt hat.
Mithin fehlt es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit.
II. Ergebnis
T hat sich nicht wegen versuchten Totschlags gem. § 212 I, 22, 23 I strafbar gemacht.
B.) Sachbeschädigung am Fenster gem. § 303 I
Der Tatbestand liegt bereits nicht vor, da keine Schäden am Fenster entstanden sind.
2
Hier kann ein Vergleich mit den sog. Klingelfällen sowohl für als auch gegen ein unmittelbares Ansetzen gedanklich fruchtbar gemacht werden. In diesen Fällen klingelt der Täter an der Tür des Opfers mit dem Entschluss, dieses anzugreifen, sollte
es öffnen. Öffnet das Opfer nicht, stellt sich die Frage des unmittelbaren Ansetzens. Einerseits lässt sich die Vergleichbarkeit
dahingehend anführen, dass hier wie dort das Opfer noch derart weit entfernt ist, dass von einem unmittelbaren Ansetzen
noch nicht gesprochen werden kann. Andererseits könnte für ein unmittelbares Ansetzen im vorliegenden Fall gerade sprechen, dass im Unterschied zu den Klingelfällen, keine „Mitwirkungshandlung“ des Opfers vorausgesetzt und die Barriere
(Fenster, Tür) allein durch den Täter überwunden wird.
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C.) Hausfriedensbruch, § 123 I
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Der Sachverhalt sagt nichts darüber aus, ob T bereits in die Wohnung des O eingestiegen ist, oder
ob das Grundstück des Mehrfamilienhauses von einem Zaun umgeben ist und damit befriedetes
Besitztum darstellt. Davon ist bei Lebensnaher Sachverhaltsauslegung auszugehen.3
Allerdings müsste T gegen den Willen des Hausrechtsinhabers O eingedrungen sein. Da dieses
Merkmal Teil des Tatbestandsmerkmals „Eindringen“ ist, könnte hier bereits der Tatbestand entfallen, wenn der T ein tatbestandsausschließendes Einverständnis erteilt hat.
Da das Einverständnis indes faktischer Natur ist, gibt es weder ein „mutmaßliches“ Einverständnis, noch kann es nachträglich erteilt werden. O hat zum Zeitpunkt des Eindringens keine Äußerung für oder gegen getätigt. T ist zumindest ohne den Willen des O eingedrungen, sodass e sbei
einem tatbestandsmäßigen Eindringen bleibt.
Wichtig!
Eine andere Frage ist freilich, ob das Eindringen durch (mutmaßliche) Einwilligung oder einen anderen Rechtfertigungsgrund
gerechtfertigt ist, was dazu führen würde, dass die Tat zwar tatbestandsmäßig nicht aber rechtswidrig ist.
Dieselbe Frage stellt sich übrigens beim Diebstahl, bei dem im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Wegnahme und dort bei
der Frage des Gewahrsamsbruchs, eine Entziehung der Sachherrschaft ohne oder gegen den Willen des Berechtigen notwendig
ist.
Diese Trennung muss unbedingt verinnerlicht werden. Ein Fehler in diesem Bereich gilt als basal und führt zu großen Abzügen.
3
In einem Klausursachverhalt wäre der Sachverhalt an dieser Stelle eindeutiger formuliert, insbesondere wenn man sich die
Relevant der Frage vor Augen führt (andernfalls Straflosigkeit des T, ohne die dringliche Frage des fehlenden subjektiven
Rechtfertigungselements zu klären).
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Rengier, AT § 23 Rn. 48 (folgende Rn. mit näheren Voraussetzungen):
Von der rechtfertigenden Einwilligung muss das tatbestandsausschließende Einverständnis unterschieden werden (…). Die
Differenzierung dient auch dem Ziel, gewisse unterschiedliche Voraussetzungen der beiden Rechtsinstitute deutlich werden zu
lassen. Diese ergeben sich aus der mehr faktischen Natur des Einverständnisses einerseits und dem rechtlichen Charakter der
Einwilligung andererseits. Während man ursprünglich noch glaubte, für alle Einverständnisfälle allgemeine Regeln aufstellen
zu können, überwiegt heute zutreffend die Einsicht, dass Pauschalierungen fehl am Platze sind und die Wirksamkeitsvoraussetzungen von der Auslegung des einschlägigen Tatbestandes abhängen. Deshalb gehört die Diskussion eher in den Besonderen Teil.
Daher Rengier, BT § 30 Rn. 9f. zum Hausfriedensbruch: Das Merkmal „gegen den Willen“ ist notwendiges Element des
Eindringens. Wird daher der Raum mit dem Willen des Berechtigten betreten, so entfällt schon der objektive Tatbestand. Der
maßgebliche Wille kann ausdrücklich – wie bei einem individuell erteilten Hausverbot – oder konkludent erklärt sein.
Wo eine solche Erklärung nicht vorliegt, kann sich die Frage stellen, ob auch ein bloßer mutmaßlicher Wille bereits ein tatbestandsmäßiges Eindringen ausschließt. Angesichts der faktischen Natur des tatbestandsausschließenden Einverständnisses
sprechen die besseren Gründe für eine Rechtfertigung, also z. B. dafür, denjenigen Täter wegen mutmaßlicher Einwilligung
oder nach § 32 zu rechtfertigen, der in eine fremde Wohnung einbricht, um einen Brand zu löschen bzw. einen angegriffenen
Bewohner als Nothelfer zu verteidigen
Damit liegt der objektive Tatbestand vor.
2. Subjektiver Tatbestand
T handelte diesbezüglich zumindest mit dolus eventualis, da das Eindringen notwendiges Zwischenziel zur Tötung des O ist.
II. Rechtswidrigkeit
1. Notstand gem. § 34 S. 14
a. Notstandslage
Es liegt eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des O vor.
b. Notstandhandlung
aa. Geeignetheit und Erforderlichkeit
Das Eindringen in den Bereich, in dem (auch) O das Hausrecht innehat, war geeignet und erforderlich, um die Gefahr des Todes von O abzuwenden.
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Zuvor könnte noch die mutmaßliche Einwilligung geprüft werden, bei der sich die Frage nach dem sog. umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum identisch stellen würde.
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bb. Verhältnismäßigkeit
Weiterhin ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen notwendig, wobei das geschützte
Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegen muss. Hier soll das Leben des O gegenüber
dem Hausrecht – auch – aller anderen Bewohner des Mehrfamilienhauses geschützt werden.
c. Subjektives Rechtfertigungselement
Grundsätzlich wird bei Befürwortung der Notwendigkeit eines subjektiven Rechtfertigungselements vorausgesetzt, dass der Handelnde mit Gefahrabwendungswillen gehandelt hat. T wusste
nichts von der Gefahr, die für das Leben des O bestand. Insbesondere wollte er diesen gerade
nicht verteidigen, sondern sogar gerade töten. Bei dieser Konstellation handelt es sich um einen
sog. umgekehrter Erlaubnistatbestandsirrtum.5
aa) Notwendigkeit
Allerdings wird zum Teil bereits angezweifelt, dass es sich bei dem subjektiven Rechtfertigungselement als solches überhaupt um konstitutives Merkmal der Rechtfertigungsgründe handelt und
nur bei dessen Vorliegen eine Rechtfertigung der Tat in Betracht kommt. Ginge man davon aus,
so wäre der T gerechtfertigt.
Wie aber bereits die bloße Nennung des subjektiven Rechtfertigungselements belegt, gehen viele
von dessen Existenz und Notwendigkeit aus. Da T nicht mit Gefahrabwendungswillen handelte,
würde danach eine Rechtfertigung ausschieden.
Diese Notwendigkeit subjektiver Rechtfertigungselemente ergibt sich daraus, dass sich der Unrechtsbegriff aus Handlungs- (subjektive Seite) und Erfolgsunrecht (objektive Seite) als gleichrangigen Komponenten zusammensetzt. Straflosigkeit kann daher nur eintreten, wenn sowohl das
Handlungs- als auch das Erfolgsunrecht beseitigt werden. Das Erfolgsunrecht wird durch das objektive Bestehen der Rechtfertigungslage – hier der Notstandslage – ausgeschlossen. Das Handlungsunrecht wird dagegen nur ausgeschlossen, wenn der Täter auch Kenntnis der Rechtferti5
Denn während es dem Erlaubnistatbestandsirrtum an objektiven Voraussetzung.
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gungslage hatte. Das Handlungsunrecht entspricht gewissermaßen dem subjektiven Tatbestand
und das Erfolgsunrecht dem objektiven Tatbestand. Um diese Struktur durchgängig im Deliktaufbau zu wahren, ist es vorzugswürdig, der subjektiven Theorie zu folgen. Da T den Tatbestand des
§ 123 I objektiv und subjektiv erfüllt hat, ist er nur gerechtfertigt, wenn der Notstand sowohl objektiv als auch subjektiv gegeben ist. Hier fehlt es aber am subjektiven Rechtfertigungselement,
weshalb T nicht nach § 34 S. 1 gerechtfertigt ist.
bb) Auswirkungen:
Fraglich ist nun aber, wie sich das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes auf die Strafbarkeit des T auswirkt. Hierzu gibt es zwei Ansichten.
Nach der sog. Vollendungslösung ist der Täter aus vollendetem Delikt zu bestrafen, wenn das subjektive Rechtfertigungselement fehlt. Es kommt dann eine Berücksichtigung auf Strafzumessungsebene durch die fakultative Strafmilderung des § 23 II in Betracht. Es bliebe also bei einer
Bestrafung gem. § 123 I, wobei der Richter die Strafe gem. § 23 II mildern kann.
Nach der Versuchslösung handelt der Täter rechtswidrig, ist aber nur aus versuchtem Delikt zu
bestrafen. Danach wäre T straflos, weil es sich bei dem Versuch nicht um ein Verbrechen handelt,
§§ 123 I, 12 II und der Versuch des Hausfriedensbruchs nicht unter Strafe gestellt ist, vgl. §§ 123,
23 I letzter Halbsatz.
Das subjektive Rechtfertigungselement ist nur für die Rechtfertigung des Handlungsunrechts erforderlich. Das Erfolgsunrecht entfällt bereits aufgrund des Bestehens der objektiven Rechtfertigungslage. Wenn somit das Erfolgsunrecht entfällt, aber das Handlungsunrecht bestehen bleibt,
besteht die gleiche Konstellation wie beim Versuch. Auch dort besteht nur das Handlungsunrecht
(nämlich der Wille einen Erfolg, z.B. eine Sachbeschädigung, herbeizuführen). Wohingegen das
Erfolgsunrecht fehlt. Die dogmatische Ähnlichkeit von Versuch und fehlendem subjektivem
Rechtfertigungselement rechtfertigt es, beide Konstellationen gleich zu behandeln. Daher ist der
Versuchslösung zu folgen. Dass diese Konstruktion den Boden der Realität verlasse, da tatsächlich
ein tatbestandlicher Erfolg eingetreten ist, verfängt indes nicht. Denn es ist unpräzise, davon auszugehen, dass eine Versuchsstrafbarkeit den fehlenden tatbestandlichen Erfolg als solchen vo11
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raussetzt. Vielmehr kommt eine Strafbarkeit wegen Versuchs immer dann in Betracht, wenn es
an (irgend)einem Merkmal des objektiven Tatbestandes fehlt, da dies stets – und nicht nur beim
Fehlen des tatbestandlichen Erfolges – zum Entfall des Erfolgsunrechts führt.6 Würde man das
anderes sehen, führte das zu einem rein naturalistischen Erfolgsbegriff, der der Aufgabe des
Strafrechts, Unrecht zu vermeiden, nicht gerecht wird.7 Auch die Tatsache, dass in Fällen, in denen der Versuch – so wie hier beim Hausfriedensbruch gem. § 123 I – nicht unter Strafe steht,
Strafbarkeitslücken entstehen, muss als gesetzgeberische Entscheidung akzeptiert werden.
Mithin ist der Versuchslösung zu folgen.
2. Ergebnis
Da der Versuch des Hausfriedensbruchs nicht strafbar ist, handelt T straflos.8
6
An dieser Stelle sei nochmals auf Fall 3 hingewiesen, bei dem eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlages trotz Erfolgseintritts in Betracht kam, weil zwischen der Handlung des zu Prüfenden und dem eingetretenen Erfolg Kausalität in dubio pro
reo nicht nachgewiesen werden konnte. Es fehlte – wenn man so will – am Erfolgsunrecht, so dass nur noch die Bestrafung
wegen des Willens, einen tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen (Vorliegen des Handlungsunrecht s Versuchskonstellation!!!) in Betracht kommt.
7
Sehr eingehend LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 90.
8
Wichtig dabei ist, dass die Vertreter der Versuchslösung den Täter nicht als gerechtfertigt (bzgl. der vollendeten Tat ansehen), vielmehr kommt eine Vollendungsstrafbarkeit mangels Erfolgsunwerts von vorneherein nicht in Betracht, da der Handlungsunwert nur noch dem Unwert eines versuchten Deliktes entspricht.
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B. Strafbarkeit des N
A.) Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I Nr. 2
I. Tatbestand
Sowohl der Grundtatbestand des § 223 I durch das Hinzufügen der blauen Flecken ist in Var. 1
und Var. 2 verwirklicht, als auch die Qualifikation des § 224 I Nr. 2, da es sich bei einer Flasche im
Rahmen der konkreten Verwendung um einen Gegenstand handelt, der geeignet ist, erhebliche
körperliche Verletzungen hervorzurufen.
Diesbezüglich handelte N auch (zumindest) mit dolus eventualis.
II. Rechtswidrigkeit
1. Vorläufige Festnahme, § 127 I StPO
a. Festnahmelage
Zunächst müsste T von N auf frischer Tat betroffen worden sein.
Auf frischer Tat betroffen ist, wer bei der Begehung einer rechtswidrigen Tat oder unmittelbar
danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe gestellt wird.
Rechtswidrig ist die Tat dann nicht, wenn sich der Täter seinerseits auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.
Hier kann sich der T zwar nicht direkt auf einen Rechtfertigungsgrund berufen. Allerdings war die Tat im Hin-
blick auf den Erfolgsunwert nicht rechtswidrig. Der vom T herbeigeführte (objektiv) Zustand ist
nicht rechtswidrig, sondern von der Rechtsordnung gerade gebilligt, so dass die Tat nicht rechtswidrig im Sinne von § 127 I StPO ist.
b. Zwischenergebnis
Damit fehlt es bereits an der Festnahmelage
2. Notwehr, § 32 I
Aus demselben Grund scheidet eine Rechtfertigung gem. § 32 I aus.
2. Rechtfertigender Notstand, § 34 S. 1
a. Notstandslage
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Es müsste eine gegenwärtige Gefahr gegeben sein. Die Gefahr, in der sich das „Erhaltungsgut“
befinden muss, bedeutet für dieses einen objektiven Zustand in dem Sinne, dass bestimmte tatsächliche Umstände nicht nur die gedankliche Möglichkeit, sondern eine über die allgemeinen
Lebensrisiken hinausgehende Wahrscheinlichkeit seiner Schädigung – Eintritt oder Intensivierung
eines Schadens, Fortdauer einer schädigenden Einwirkung – begründen. Nicht erforderlich ist
dabei ein sog. „Gefahrunwert“ im Sinne eines mit der Rechtsordnung nicht in Einklang stehenden
drohenden Schädigungserfolgs; ob der Betroffene rechtlich zur Hinnahme der Gefahr verpflichtet
ist etc., muss vielmehr im Rahmen der Interessenabwägung geklärt werden. Mithin spielt hier die
objektive Billigung des Handelns des T durch die Rechtsordnung keine Rolle für die Frage des Vorliegens einer gegenwärtigen Gefahr.
Hier liegt eine Gefahr bzw. sogar schon eine Schädigung des Rechtsguts „Hausrecht“ vor, das als
sonstiges Recht im Sinne von Abs. 1 notstandsfähig ist. Die Notstandslage ist somit gegeben
b. Notstandshandlung
N hat die erforderliche Handlung vorgenommen. Man könnte zwar sagen, dass durch die Flucht
die Gefahr „milder“ gebannt worden wäre, weil mit Verlassen des Hausgrundstücks die Schädigung des Hausrechts einhergehen würde. Allerdings würde das bedeuten, dass der in Notstand
Handelnde dann einen Hausfriedensbruch stets dulden müsste, bis der Täter „freiwillig“ das
Grundstück wieder verlässt. Da es sich bei dem Hausrecht aber um ein geschütztes Rechtsgut
handelt, muss auch die Möglichkeit der Beendigung der daraus resultierenden Gefahr bestehen,
zumal § 34 S. 1 das Erfordernis der Geeignetheit in der Form, wie sie bei der Notwehr relevant ist,
nicht kennt. Diese Einwirkung war zur Abwehr der Gefahr auch notwendig. Mithin handelt es sich
um das relativ mildeste Mittel.
Zuletzt muss die Handlung des N noch verhältnismäßig gewesen sein.
§ 34 S. 1 verlangt bei dieser Abwägung. Die Handlung soll demnach dann noch gerechtfertigt
sein, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
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Hier wollte der N (auch) sein Hausrecht verteidigen. Demgegenüber stand die körperliche Unversehrtheit des T, welche grundsätzlich ein höherrangiges Rechtsgut darstellt. Allerdings muss an
dieser Stelle berücksichtigt werden, dass die Verletzung des Hausrechtes des N objektiv gesehen
von der Rechtsordnung gebilligt wird, weil dies zur Rettung des Rechtsguts Leben des O führt. In
dieser Konstellation kann man die Notwehrprobe durchführen: Müsste sich der N den Eingriff
gefallen lassen, weil entweder kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorläge oder eine der
Fallgruppen der sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts greifen würde. Hier würde es
wegen Fehlen des Erfolgsunrechts – da alle objektiven Voraussetzungen des § 34 S. 1 vorliegen –
an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlen. Zudem stünde die Verteidigung des Hausrechts in
einem krassen Missverhältnis zum Rechtsgut Leben des O. Daraus ergibt sich, dass N die Handlung des T erdulden muss. Die Güterabwägung ergibt also, dass hier das geschützte Rechtsgut
„Hausrecht“ nicht erheblich mehr wert ist, als das ebenfalls zu berücksichtigende Rechtsgut „Leben“ des O.
Mithin fehlt es an einer taugliche Notstandshandlung.
4. Zwischenergebnis
Weitere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
III. Erlaubnistatumstandsirrtum?
Möglicherweise könnte sich N, der annahm, dass T ohne Rechtfertigung den Hausfriedensbruch
gegangen hat, in einem Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtsfertigungsgrundes, also einem Erlaubnistatumstandsirrtum befunden haben. Dies ist dann der Fall, wenn T
bei Zutreffen seiner Vorstellung durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt wäre, sodass
nunmehr die Rechtfertigung unter Zugrundelegung dieser Vorstellung zu prüfen ist.
1. Hypothetisches Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes
a. Festnahmerecht gem. § 127 I StPO
N stellte sich vor, dass er den T auf frischer Tat entdeckt hat und dieser fliehen wollte.
Allerdings ist seine Notwehrhandlung unverhältnismäßig, da im Rahmen des § 127 I StPO wegen
seines Sinn und Zweckes (Schutz und Gewährleistung der Strafverfolgung) nur Festnahmehand-
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lungen und allenfalls leichter Körperverletzungen, die bei Gelegenheit der Festnahme geschehen,
mitumfasst. Das Schlagen mit Flaschen fällt nicht mehr darunter.
b. Notwehr, § 32 I
Es kommt weiterhin eine Rechtfertigung gem. § 32 I in Betracht. N stellt sich vor, der T befindet
sich „unbefugt“ auf dem Hausgrundstück, sodass in ihrer Vorstellung ein Angriff auf sein Hausrecht vorliegt, der auch gegenwärtig und wegen – nach seiner Vorstellung – fehlender Rechtfertigungsgründen rechtswidrig ist.
Der Schlag mit der Flasche müsste unter diesen Voraussetzungen eine erforderliche Verteidigungshandlung sein. Ein solcher Schlag ist an sich nicht geeignet, um das Eindringen zu beenden.
Mithin fehlt es an dieser Voraussetzungen.
c. Rechtfertigender Notstand, § 34 S. 1
Möglicherweise stellt sich N aber vor wegen § 34 S. 1 gerechtfertigt zu sein.
Eine Notstandslage liegt (sogar tatsächlich) vor, siehe oben.
Auch die Anforderungen an die Notstandshandlung sind – abgesehen von der Verhältnismäßigkeit, wegen der zuvor eine Rechtfertigung ausscheiden musste – gegeben. Nach der Vorstellung
des N war die Handlung auch verhältnismäßig, weil ihm nicht bekannt war, dass durch den Hausfriedensbruch des T das Leben des O gerettet wird.
Mithin liegen nach der Vorstellung des N die Voraussetzungen des § 34 S. 1 BGB vor.
2. Rechtsfolge des Erlaubnistatumstandsirrtums
Umstritten ist, wie dieser rechtlich zu behandeln ist.
Nach der strengen Schuldtheorie ist er als Verbotsirrtum gem. § 17 einzuordnen, sodass nur bei
Vermeidbarkeit die Schuld entfällt. R hätte den Irrtum bspw. durch Rückfrage bei Erna oder Betrachtung. deren Reaktion sowie durch das Mitführen der Brille vermeiden können, sodass nach
dieser Ansicht nur eine fakultative Strafmilderung gem. §§ 17 S. 2, 49 I in Betracht kommt. Die
eingeschränkten Schuldtheorien gehen demgegenüber von einer Straflosigkeit der R aus. Hierbei
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schließt die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen gem. § 16 I 1 bereits den Vorsatz,
die vorsatzunrechts-ausschließende eingeschränkte Schuldtheorie analog § 16 I 1 das Vorsatzunrecht und damit die Rechtswidrigkeit, sowie die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte
Schuldtheorie die Schuld aus.
Nur nach der strengen Schuldtheorie würde man vorliegend zu einer Strafbarkeit von T gelangen.
Diese Theorie übersieht jedoch, dass der Täter, der sich im Erlaubnistatumstandsirrtum befindet,
an sich den Wertungen der Rechtsordnung folgt und anders als beim Verbotsirrtum von der Appellwirkung der verletzten Norm nicht erreicht wird, indem er sich auf tatsächlicher Ebene eine
Fehlvorstellung bildet. Vor diesem Hintergrund ist diese Theorie abzulehnen.
Bei den eingeschränkten Schuldtheorien ergeben sich Unterschiede nur bezüglich des Vorliegens
einer teilnahmefähigen Haupttat. Man-gels potenzieller Teilnehmer an der Tat der R ist kein weitergehen-der Streitentscheid zwischen den eingeschränkten Schuldtheorien nötig.
IV. Ergebnis
N hat sich nicht wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, Nr. 5 StGB strafbar gemacht.
B.) Freiheitsberaubung, § 239 I
Auch die anschließende Freiheitsberaubung durch das Festhalten ist straflos, weil sich N im Erlaubnistatbestandsirrtum befand und diesbezüglich hypothetisch die Voraussetzungen des § 127
I StPO vorlagen. Denn die Tat war zwar (objektiv) nicht rechtswidrig, N stellte sich das aber vor
und die Festnahmelage lag nach seiner Vorstellung ebenfalls vor. Insbesondere war das Festhalten auf dem Boden verhältnismäßig.
C.) Sachbeschädigung an der Milchflasche, § 303 I
Durch das Zerschlagen der Milchflasche könnte sich N wegen Sachbeschädigung gem. § 303 I
strafbar gemacht haben.
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I. Tatbestand
Dieser ist unproblematisch durch die Zerstörung, die N auch zumindest billigend in Kauf nahm,
gegeben.
II. Rechtswidrigkeit
N könnte indes gerechtfertigt sein.
1. Aggressivnotstand, § 904 I BGB
a. Notstandslage
Eine Gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut liegt vor.
Wie bereits gesehen ist dabei aber ein sog. „Gefahrunwert“ im Sinne eines mit der Rechtsordnung nicht in Einklang stehenden drohenden Schädigungserfolgs nicht notwendig; ob der Betroffene rechtlich zur Hinnahme der Gefahr verpflichtet ist etc., muss vielmehr im Rahmen der
Interessenabwägung geklärt werden. So wie bereits im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit
der Körperverletzung spielt hier die objektive Billigung des Handelns des T durch die Rechtsordnung keine Rolle für die Frage des Vorliegens einer gegenwärtigen Gefahr.
b. Notstandshandlung
N hat auf eine fremde Sache eingewirkt, von der keine Gefahr ausging, nämlich der Milchflasche
des X. Diese Einwirkung war zur Abwehr der Gefahr auch notwendig. Mithin handelt es sich um
das geeignete und das relativ mildeste Mittel.
Zuletzt muss die Handlung des N noch verhältnismäßig gewesen sein.
§ 904 S. 1 verlangt dazu eine Güterabwägung, wobei das geschützte Rechtsgut erheblich mehr
wert sein muss als der verursachte Sachschaden.
Hier wollte der N (auch) sein Hausrecht verteidigen. Demgegenüber stand das Eigentum an der
Milchflasche des N. Daneben muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Verletzung des
Hausrechtes des N objektiv gesehen von der Rechtsordnung gebilligt wird, weil dies zur Rettung
des Rechtsguts Leben des O führt. In dieser Konstellation kann man die Notwehrprobe durchführen: Müsste sich der N den Eingriff gefallen lassen, weil entweder kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorläge oder eine der Fallgruppen der sozialethischen Einschränkung des Notwehr18
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rechts greifen würde. Hier würde es wegen Fehlen des Erfolgsunrechts – da alle objektiven Voraussetzungen des § 34 S. 1 vorliegen – an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlen. Zudem stünde die Verteidigung des Hausrechts in einem krassen Missverhältnis zum Rechtsgut Leben des O.
Daraus ergibt sich, dass N die Handlung des T erdulden muss. Die Güterabwägung ergibt also,
dass hier das geschützte Rechtsgut „Hausrecht“ nicht erheblich mehr wert ist, als das ebenfalls zu
berücksichtigende Rechtsgut „Leben“ des O.
Mithin fehlt es an einer taugliche Notstandshandlung.
2. Zwischenergebnis
Weitere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
III. Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums?
1. Hypothetisches Vorliegen der Voraussetzungen des Aggressivnotstand, § 904 S. 1
N könnte sich aber vorstellen, nach § 904 S. 1 BGB gerechtfertigt zu sein.
Eine Notstandslage liegt (sogar tatsächlich) vor, siehe oben.
Auch die Anforderungen an die Notstandshandlung sind – abgesehen von der Verhältnismäßigkeit, wegen der zuvor eine Rechtfertigung ausscheiden musste – gegeben. Nach der Vorstellung
des N war die Handlung auch verhältnismäßig, weil ihm nicht bekannt war, dass durch den Hausfriedensbruch des T das Leben des O gerettet wird.
Mithin liegen nach der Vorstellung des N die Voraussetzungen des § 904 S. 1 BGB vor.
2. Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums
Wie bereits gesehen, ist eine nähere Entscheidung des Meinungsstreites nicht erforderlich; N ist,
wie oben gesehen, straflos.
IV. Ergebnis
N hat sich nicht wegen Sachbeschädigung gem. § 303 I strafbar gemacht.
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D.) Fahrlässige Körperverletzung, § 2299
Möglicherweise hat sich N jedoch wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 strafbar gemacht. Aus der analogen Anwendung des § 16 I 1 folgt auch die des § 16 I 2.
I. Tatbestand
Der tatbestandsmäßige Erfolg wurde von N objektiv zurechenbar verursacht (s.o.).
Allerdings handelte N nicht sorgfaltspflichtwidrig, weil einer besonnen Person aus dem Verkehrskreis des Täters nicht ohne weiteres erkennbar war, dass der T hier objektiv gesehen gerechtfertigt handelte, weil er durch seinen Hausfriedensbruch das Leben des O rettete.
IV. Ergebnis
N hat sich nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB strafbar gemacht.
C. Endergebnis
Damit sind sowohl T als auch N im zweiten Tatkomplex straflos.
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Eine andere Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kommt nicht in Betracht, da weder die Freiheitsberaubung noch die Sachbeschädigung in fahrlässiger Begehungsweise strafbewehrt sind.
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