Die Neurodiversitätsdebatte und der dekoloniale Kampf gegen

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Die Neurodiversitätsdebatte und der dekoloniale Kampf gegen Exklusion –
Eine neurosoziologische Perspektive auf die Verdinglichung freier
Bürger/-innen1
Wolfgang Jantzen
„Das Gehirn ist, verschlossen in seinem Schädel, bereits sozial.“ (Baecker
1014, 34)
„Generell gibt es keinen Grund, warum behinderte Menschen nicht genauso
bürgerliche Individuen sein können wie Menschen, die als nicht behindert
gelten – und sie sind es auch.“ (Maskos 2010)
„Das kolonisierte Ding wird Mensch gerade in dem Prozess, durch den es sich
befreit.“ (Fanon 1986)
Die Debatte um Neurodiversität reiht sich in unterschiedliche Debatten der Gegenwart ein,
innerhalb derer das bis dahin Ausgegrenzte, auf Natur und Schicksal Reduzierte die Bühne der
politischen Auseinandersetzung betritt. Vergleichbar der Krüppelbewegung als Emanzipation vor
allem körperlich beeinträchtigter Menschen, der people-first-Bewegung, die auf den Verzicht der
Konnotation geistige Behinderung besteht, oder schon vorher der US-amerikanischen Bewegung
„Health at every size“ verweist die Emanzipationsbewegung des internationalen AutismusNetzwerks auf Prozesse der Emanzipation in den Spuren antirassistischer, antisexistischer,
antikolonialer Bewegungen, die ihrerseits eingebettet in umfangreiche Prozesse weltweiter
politischer Auseinandersetzung sowie innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Transformationen im
Kontext zunehmender Globalisierung zu verstehen sind. Ihren allgemeinen Niederschlag haben
diese Emanzipationsbewegungen in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen
gefunden, deren bisher letzte die Behindertenrechtskonvention von 2006 und die Erklärung der
Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker von 2007 sind. Damit einhergehend hat sich
mit den Disability Studies eine interdisziplinäre Wissenschaft entwickelt, die Behinderung als
soziale, historische und kulturelle Konstruktion begreift.
In diesem Kontext sind es Begriffe wie Inklusion, Empowerment, Teilhabe, welche einerseits die
heutige sozialpolitische Diskussion prägen, andererseits aber mit Foucault als Bestandteil der
Herausbildung neuer Dispositive der Macht zu verstehen sind. Im Prozess der tiefgehenden
Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Prozesse wird die eigenverantwortliche Regulierung des
1
Vortrag bei der Tagung „(Neuro-) Diversität und Normalität“ vom 17.-19.04.2015 an der
Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Lutherstadt Wittenberg
2
Selbst zur zentralen Aufgabe aller Individuen. Mit ihr einher gehen Individualisierung und häufig
auch Entpolitisierung.2 Auf diese Technologien des Selbst bezieht sich Foucaults Begriff der
Gouvernementalität. Begriffe wie die drei genannten wurden ins politische Feld eingeführt bzw.
entpolitisiert durch neoliberale Regierungen und internationale Subjekte der Globalisierung, wie
Weltwährungsfond, Weltbank und weitere Akteure.3 Sie fügen sich unmittelbar in das Gefüge der
Herausbildung der Biomacht.
Macht als solche ist jedoch weder befreiend noch unterdrückend. Sie wird zu dem einen oder
anderen im Kontext lokaler und spezifischer Relationen (Greco 2009, 17). Eben dies will ich im
Folgenden am Beispiel Neurodiversität untersuchen, als deren Kern als neue anthropologische Figur
eine Neurobiologisierung des Selbstseins verstanden werden kann „Die neurowissenschaftliche, oft
unpräzise Sprache dient dazu, Autismus als positives Attribut zu konstruieren und die natürlichen
Differenzen zu nicht autistischer (oft neurotypisch genannter) Erfahrung und Identität
hervorzuheben.“ (Ortega 2009, 427).4
Der Weg, Kultur auf biologische Differenz zu begründen, hat jedoch seine Tücken, sofern er nicht
für alle menschlichen Wesen in gleicher Weise Neurodiversität zum Ausgangspunkt nimmt. Alles
andere wäre als Ableismus eine spezifische Form von Rassismus.5 Dieser Weg würde in doppelter
Weise eine Falle öffnen: Zum einen die Falle im Sinne der gesellschaftlichen Notwendigkeit
erweiterter Techniken der Selbststeuerung, die sich zu gleicher Zeit mit zunehmenden Gefühlen der
Ohnmacht verbinden (Keupp 2015). Und zum anderen jene Falle, die sich mit lediglich appellativen
Begriffen wie Inklusion, Empowerment und Teilhabe auf eine „alleinige Strategie der Erleichterung
der Armut und der Selbstsorge“ beschränkt, wie dies in den einflussreichen Papieren der Weltbank
erfolgt. So oder so unterbliebe dabei die notwendige „radikale Kritik der unsichtbaren
Machtbeziehungen und der Strukturen“, die soziale Ausgrenzung hervorbringen (Betancor 2011, S.
10)
Die Neurodiversitätsbewegung
Die Neurodiversitätsbewegung entwickelte sich in den 1990er Jahren über Online-Gruppen
autistischer Personen. Unterdessen hat sich die Anwendung dieses Konzepts auf Bedingungen,
2 Ina Kerner (2013) untersucht dies am Problem globaler Gouvernementalität. In Anbetracht der Anrufungspotentiale
von in die Selbststeuerung verlagerter pesudoreligiöser Begriffe, wie z.B. Inklusion, Empowerment oder Teilhabe,
(vgl. T.W. Adornos Analyse des „Jargons der Eigentlichkeit“; 1964) wäre es m.E. erforderlich, Althussers Theorie
der ideologischen Staatsapparate (1970) in dieser Hinsicht weiter zu entwickeln.
3 Vgl. URBAN LAB+ (2013), Schädler 2013 sowie Jantzen 2015
4 Übersetze Zitate aus dem Englischen sowie aus dem Spanischen W.J.
5 „Ableism refers to a network of beliefs, processes, and practices that produces a particular kind of self and body […]
Disability then, is cast as a diminished state of being human.” (Campbell 2008)
3
ausgeweitet, die mit Autismus nichts zu tun haben. Mit Bezug auf ein nationales Symposium an der
Syracus-Universität verweist Wikipedia neben Autismus-Spektrum-Störungen auf Neurodiversität
bei Dyspraxie, Dyslexie, Dyskalkulie, Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität, Tourette
Syndrom u. a. (http://en.wikipedia.org/wiki/Neurodiversity). Diesem Katalog fügen Jaarsma und
Welin (2011) noch Epilepsie hinzu – ersichtlich bar jeder Kenntnis über die Spannbreite
epileptischer Ereignisse von Menschen mit Hydranencephalie am einen Pol und hochfunktionierenden Akademikern am anderen (vgl. Jantzen 2010a, Jantzen und Mardones 2010).
Letztlich aber interessiert diese Differenz die Autoren auch nicht, denn eine breite Fassung des
Neurodiversitäts-Anspruchs, die „low-functioning autism“ ebenso wie „high-functioning autism“
umfasse, sei problematisch. „Only a narrow conception of neurodiversity, referring exclusively to
high-functioning autist, is reasonable.“ (ebd.)
Autismus selbst wird von den Autoren als ein Syndrom mit vielen genetischen und nicht
genetischen Ursachen gekennzeichnet, deren Zusammenwirken zu einer abweichenden neuronalen
Entwicklung führt. High-functioning-autism, im allgemeinen mit Bezug auf den vorgeblichen
Erstbeschreiber als Asperger-Syndrom gekennzeichnet6, sollte jedoch weder als Störung (disorder)
noch als Behinderung (disability) betrachtet werden sondern eher als eine Bedingung besonderer
Verwundbarkeit. Neurodiversität sollte nach Ansicht der Autoren verstanden werden als „das
Gesamt menschlicher mentaler oder psychologisch-neurologischer Strukturen und
Verhaltensweisen“, die als solche nicht notwendigerweise problematisch sind, sondern als
alternative Formen menschlicher Biologie bestimmt werden sollten (ebd.). Diese strikte
Zweifaktoren Theorie – die einen Subjekte differenter, minorisierter Kultur, die anderen Subjekte
von Krankheit und Behinderung – setzt sich auch in der weiteren Argumentation fort. In die gleiche
Kategorie wie „low-functioning-autism“ eingegliedert zu werden (so wie in DSM V) wird als
schlimme Stigmatisierung bezeichnet. Vielmehr wird die autistische Kultur in dieser Hinsicht als
vergleichbar mit der Kultur der Gehörlosen, mit schwarzen, mit homosexuellen und mit QueerKulturen betrachtet. Für sie werden, vergleichbar indigenen Kulturen, besondere Rechte verlangt.
Wie alle anderen Menschen sind selbstverständlich auch „low-functioning-autists“ in besonderer
Weise verwundbar, die Neurodiversitäts-Konzeption sollte jedoch im Sinne natürlicher Variation,
vergleichbar mit Homosexualität, nur auf die „high-functioning-autists“ angewendet werden (ebd.).7
Ein solcher Versuch, High-functioning-autism als „Lifestyle“ zu kreieren, muss mehr als kritisch
betrachtet werden, so Ortega in einer kritischen Analyse von zerebraler Subjektivität und
Die Erstbeschreibung erfolgte bereits – 18 Jahre vor Asperger – 1926 durch die russische Psychiaterin Grunja E.
Suchareva (Wolff 1996).
7 Dass evolutionsbiologisch betrachtet ein derartig eingeschränkter Begriff „natürlicher Variation“ blanker Nonsens
ist, sollte zumindest erwähnt werden.
6
4
Neurodiversität (Ortega 2009, 427). Ganz abgesehen davon bleibt weitgehend unbestimmt, was
„low functioning“ tatsächlich bedeuten soll, denn immerhin umfasst diese Bewegung auch
prominente Selbst-Vertreterinnen wie Amanda Baggs, die sich selbst, da sie nicht spricht, als „lowfunctioning“ begreift (ebd. 431). Aber nicht nur gegenüber „low-functioning“ erfolgt eine mehr
oder weniger biologistische Absetzung; in ähnlicher Weise erfolgt diese auch von den sogenannten
Normalen, den „Neurotipicals“ (Nts). „Brain metaphors and differences are frequently mobilized to
construct autism in a positive light while NT is largely depicted in negative terms.“ (ebd. 439)
Insgesamt umfasst die Debatte allerdings eine große Breite. Wenn ich hier ihren extremen Pol
herausgreife, so ist dies einerseits, um die berechtigte Artikulation der Herausbildung einer eigenen
Kultur in vollem Umfang zu unterstützen, andererseits jedoch jeglicher Form von Biologisierung,
von Ableismus und Rassismus aufs Schärfste zu widersprechen. Ähnlich schlussfolgert Ortega
(a.a.O. 442):
„Wir können daher Foucault paraphrasieren und festhalten, dass jedes „Dispositiv“ von Wissen und
Macht, das als Mechanismus der Subjektion funktioniert, uns die Möglichkeit des Widerstands
eröffnet. Autistische Selbst-Advokaten müssen daher zwischen ihrer cerebralistischen
Identitätspolitik und ihrer Suche nach signifikanten Formen der Sozialität navigieren.“ (ebd. 442, )
Dass biologistische Reduktion hierbei kein Kompass sein kann, will ich im Folgenden diskutieren.
Ich gehe daher zunächst auf nicht-dualistische Theorien des Autismus ein und argumentiere, dass
alle Menschen ohne Ausnahme das Recht auf umfassende kulturelle Teilhabe und die
Herausbildung eines „sense of dignitiy“ und eines „sense of belonging“, so Bielefeldts (2006)
Lektüre der Behindertenrechts-Konvention. Dies bedeutet aber Biologie und Gesellschaft nicht
dualistisch gegenüberzustellen, sondern in der Einheit des Erlebens zu vermitteln. Danach erörtere
ich, dass dies auch bei Menschen mit extremen Formen von Neurodiversität, in diesem Falle
Hydranencephalie, in vollem Umfang gilt. Auf diesem Hintergrund diskutiere ich dann die
lateinamerikanische politische Theorie der Dekolonisierung und ihre zentralen Aspekte der
Entkoppelung und Befreiung und erörtere am Ende meiner Ausführungen, wie wir uns das
Bewohnen der Exteriorität als gemeinsamen Akt von Dekolonisierung und Befreiung vorstellen
können.
Konturen einer dynamischen, nicht-dualistischen Theorie des Autismus
Nach wie vor befindet sich eine Theorie des Autismus in einer schwierigen Situation, sofern sie
nicht den Dualismus von biologischen und sozialen Prozessen in Form adäquater entwicklungs- und
persönlichkeitstheoretischer Überlegungen überwindet. Adäquatheit kann in dieser Hinsicht nicht
5
bedeuten, an Stelle des Dualismus biologisch-sozial nun eine bio-psycho-soziale Einheit Mensch zu
setzen, ohne in jedem Schritt der Theorieentwicklung deren Adäquatheit im praktischen Handeln
mit betroffenen Personen einer Überprüfung zu unterziehen. Dies betrifft sowohl den
Entwicklungsbezug der gegebenen Zusammenhänge wie das Erleben der betroffenen Menschen.
Zahlreiche Publikationen von autistischen Menschen, die sich um die Neurodiversitätsbewegung
gruppieren, tragen wesentlich dazu bei, die innere Struktur autistischen Erlebens erkennen und
anerkennen zu können. In gleicher Weise tragen Herangehensweisen eines nicht instrumentellen,
anerkennenden und dialogischen Umgangs mit „low functioning autism“ auf allen Ebenen und
Schweregraden erheblich zu einem Neuverständnis bei.
Entsprechend hätten neben die Generierung von Erklärungswissen (in diesem Falle Aufbau einer
Theorie des Autismus) und Handlungswissen (im Sinne von Technologieproblemen) zwei weitere
notwendige Formen der Erkenntnisgewinnung zu treten: Zum einen Reflexionswissen, d.h.
Reflexion des eigenen Beobachterstandpunktes als Basis von Verantwortung im Prozess der
Theoriebildung ebenso wie der Praxis, zum anderen Partizipationswissen. Denn die letzte und
entscheidende Instanz der Verifikation von Theorie und Praxis ist der oder die Andere – also der
behinderte Mensch als Subjekt/Objekt von Theorie und Praxis (vgl. Jantzen 2010b).
Fassen wir kurz den Stand der Diskussion zusammen, so finden wir auf der biologischen Ebene
höchst unterschiedliche Tatbestände, die ersichtlich bei maximalen Differenzen in den
Ausgangsbedingungen zu minimalen Differenzen in den Endbedingungen (bzw. vice versa) führen
können. So benennen Bauman und Kemper (1997) zahlreiche kortikale und subkortikale Gebiete,
die entsprechend unterschiedlichen Studien zu Autismus in Mitleidenschaft gezogen sein können.8
Auf genetischer Ebene ist unterdessen von 33 sicheren und 74 wahrscheinlichen Risikogenen
auszugehen, insgesamt also von 107 Riskogenen (Gaugler et al. 2014)
Allein die mathematisch möglichen Wechselwirkungen dieser sicheren 33 Gene nähern sich
entsprechend der mathematischen Kombinatorik (n = 33!) unvorstellbar großen Zahlenräumen. Die
Genexpression selbst unterliegt allerdings unterschiedlichen Prozessen der Einschränkung solcher
Wechselwirkungen in Form der Regulation im Genom selbst (Regulatorgene und Strukturgene)
sowie in der epigenetischen Genexpression (Kirschner & Gerhart 2005). Bezogen auf die
Regulation der sehr früh ins Spiel kommenden neuro-psychischen Prozesse wirken sich einerseits
Stressbedingungen und andererseits Prozesse emotionaler Bindung auf die Genexpression aus. Dies
8 Hypo- oder Hyperplasie in bestimmten Teilen des Gehirns, also weniger Zellen oder mehr Zellen, zum Teil in
bestimmten subkortikalen Strukturen, wie z.B. Amygdala, Kleinhirn, Hippocampus, Nucleus caudatus, zum Teil
auch als Störung der exekutiven Funktionen des Frontalhirns gedacht. (Zum funktionellen Zusammenhang dieser
Strukturen und ihrer Bedeutung für eine Theorie des Autismus vgl. auch Jantzen 1990, 82-118, 143-148 sowie
erneut 2008 unter Berücksichtigung von Bauman & Kemper).
6
ist unterdessen durch zahlreiche Arbeiten bestätigt.9 Insofern können auch die von Bronfenbrenner
(1971) berichteten umfangreichen Befunde über „Isolation in mammals“ nicht verwundern. Als
Folge von maternaler Deprivation hebt er eine Reihe von Verhaltensweisen hervor, wie sie auch in
klassischen Beschreibungen des Kannerschen Autismus dominieren. Verhaltensweisen, wie sie von
Donna Williams (1994) als Selbstverteidigungsmechanismen, nicht aber als Kern des Autismus
klassifiziert werden, so z.B. stereotype Bewegungen, Selbstverletzungen u.a.m.10. Von besonderer
Bedeutung für die Entwicklung von Deprivationseffekten ist nach Bronfenbrenner die
Unterbindung des „dependency drive“, also der Suche nach Bindung, und die damit
einhergehenden Auswirkungen auf die Herausbildung des Körperschemas im Dialog mit anderen
und im Aufbau eines sozialen Bildes der Welt. Derartige Auswirkungen werden durch die Berichte
von Donna Williams eindrucksvoll bestätigt.11
Insgesamt zeigt die Befassung mit Autismus ebenso wie mit anderen Bildern des Spektrums
tiefgehender Entwicklungsstörungen, dass auch bei Rett-Syndrom und Fragilem X-Syndrom eine
Vielzahl von Verhaltensweisen als Selbstverteidigungsmechanismen begriffen werden können, wie
dies vergleichbar auch bei Insassen von großen Behinderungseinrichtungen der Fall ist.12
Aufbauend auf meinen ersten systematischen Versuchen, Isolation als Kern von Behinderung zu
begreifen (Jantzen 1976, 1979), die bei unterschiedlichen Quellen der Isolation in vergleichbarer
Weise wirkt, schreibt Feuser (1979), dass das autistische Kind nicht autistisch ist, sondern auf
Grund neuronaler Veränderungen sozialer Isolation ausgesetzt ist, dass aus diesem Kontext heraus
seine Handlungsweisen entschlüsselt werden müssten. Dieses Thema hat uns über die Jahre
verfolgt. Es ist in unterschiedlicher Weise von uns aufgegriffen sowie theoretisch und praktisch
entwickelt worden, worauf ich hier nicht näher eingehen kann.13
Schon früh spielte in unseren Überlegungen die Frage des Dialogs verbunden mit der Entwicklung
einer Theorie der Emotionen eine entscheidende Rolle (vgl. Feuser & Jantzen 2014, Jantzen 2014).
Durch ein Verständnis des Dialogs als zyklischen Prozess und als Grundlage der Realisierung von
9 Als populärwissenschaftliche Zusammenfassung, im Anhang gestützt durch zahlreiche Nachweise von
Originalliteratur vgl. Bauer 2006.
10 Zur Rekonstruktion derartiger Verhaltensweisen als unter isolierenden Bedingungen sinnvoll und systemhaft vgl.
Jantzen & von Salzen (1986), Lanwer (2001) sowie Jantzen (2010a)
11 Vgl. hierzu meinen Versuch der Rekonstruktion autistischen Erlebens im Spektrum vorliegender Theoriestücke
sowie der autobiographischen Berichte von Donna Williams (Jantzen 2013a).
12 Vgl. Jantzen 2006a, 92, zu Rettsyndrom, Jantzen 2007 zu Fragilem-X-Syndrom (FraX) bzw. Jantzen 2003 zur
Analyse einer Großeinrichtung.
13 Zu meiner eigenen praktischen Erfahrung in der Unterstützung autistischer Menschen verweise ich exemplarisch
auf Jantzen & Schnittka 2000; Jantzen et al. 2005 sowie Jantzen 2006b. Zur theoretischen Entwicklung siehe
Jantzen 1990, 143-148, Jantzen 2007, 2008, 2009, 2010a, 2013a. Zu den entsprechenden Literaturnachweisen von
Feuser siehe „Publikationen zu Autismus“ unter http://www.georg-feuser.com/conpresso/_rubric/index.php?
rubric=Publikationen_1.
7
von Bindungsprozessen (Jantzen 1990, 210-220; Jantzen 2001) sowie der Emotionen als Körper
und Geist verbindenden Term, als Prozess der innerpsychischen (innersubjektiven) und
interpsychischen (intersubjektiven) Resonanzbildung durch Oszillationen, gelangten wir in
neurosoziologischer Hinsicht zu vergleichbaren Ergebnissen wie sie Dirk Baecker unlängst in
seinem Entwurf einer „Neurosoziologie“ herausgearbeitet hat. In Verbindung von Luhmannscher
Systemtheorie, Heinz von Foersters Kybernetik der zweiten Ordnung und insbesondere
kulturhistorischer Neuropsychologie in den Traditionen von Lurija und Vygotskij entwickelt
Baecker eine in Luhmanns Systemtheorie nicht bewältigte Dimension der Regulierung von
Systemen. Es ist die teleologische Regulierung von Operationen innerhalb Erfahrung verarbeitender
Systeme. Unter Anwendung des Formkalküls von George Spencer-Brown zeigt es sich, dass
Übergänge zwischen verschiedenen Ebenen der Existenz lebender Systeme nur in komplexen
Formen des Oszillierens zwischen Öffnung und Schließung begriffen werden können (ebd. 44),
dass also strukturelle Koppelungen eines Individuums an seine Umwelt prinzipiell oszillierender
Natur sein müssen. Dies gilt dann notwendigerweise auch für die strukturelle Koppelung der
teleologischen Regulierung des Individuums an sein im Körperselbst eingeschriebenes
Erfahrungsgedächtnis. Der Platzierung des Gehirns auf der Innenseite eines erfahrungsbedingten
und teleologischen Prozesses entspricht auf der Außenseite das Leben. Dieses determiniert nicht
durch seine Restriktionen, was auf der Innenseite geschieht, sondern steckt einen Spielraum ab, der
erweitert und überschritten werden kann. Demzufolge befinden sich Gehirn auf der Innenseite und
Leben auf der Außenseite ständig in einem Prozess oszillierender Vermittlung (ebd.).
Ähnlich formuliert Varela: Der Geist ist nicht im Kopf. Er ist nicht draußen und er ist nicht drinnen.
Er ist ein Zyklus von Operationen (zit nach Rudrauf 2003 et al. 33 ff. ). Wenn dies aber so ist, so
müssen wir sowohl diesen Zyklus als auch die sich vermittelnde Außen- und Innenseite näher
bestimmen, um die vorgefundenen Dualismen zu überwinden, um zu einem dynamischen
Verständnis von Körper, Psyche und sozialer Welt in Entwicklung und Bewegung zu gelangen, in
dessen Zentrum in individueller Hinsicht der Prozess des Erlebens steht. Für eine entsprechende
Theorie von Neurodiversität im allgemeinen und Autismus im Besonderen hat hierbei der Ansatz
von Colwyn Trevarthen eine Schlüsselfunktion.14
Allerdings bedarf es vorher einer den bisherigen Überlegungen entsprechenden Klärung eines
Begriffes von Kultur. Im Rahmen des „spatial turn“ in den Kulturwissenschaften beginnen diese,
kulturelle Gebilde als raumzeitliche Prozesse zu verstehen (Frank et al. 2012).15 Unsere dreitägige
Veranstaltung wäre ein solcher Prozess, eingebettet in nationale und weltweite Prozesse von
14 Zur Diskussion des hiermit verbundenen Leib-Seele-Problems vgl. Jantzen 2010c.
15 Zur näheren Diskussion dieser Konzeption vgl. Jantzen 2013b.
8
Globalisierung und Gegenglobalisierung, im Aufeinandertreffen höchst unterschiedlicher nationaler
und regionaler Kulturen, so wie der indische Globalisierungstheoretiker Appadurai (2011) dies als
fließende Differenzen und Disjunktionen in der globalen kulturellen Ökonomie benennt.16 Aber
unsere dreitägige Veranstaltung beinhaltet selbst derartige fließende Raumzeitgebilde, die man am
besten mit einem Begriff von Bachtin (2008) als Chronotope bezeichnet. Dies sind jeweils
gegebene Raum-Zeit-Strukturen, getrennt von je anderen (mein Vortrag gegenüber den anderen
Vorträgen) bzw. unter Einschluss von je anderen, so wie im Moment Ihre je unterschiedliche und
doch durch Ihre kulturelle Herkunft mit geprägte zustimmende Koppelung an einzelne Passagen,
Ihre kritische Haltung gegenüber anderen, das gesamte System unserer wechselseitigen
strukturellen Koppelungen zwischen Vortragendem und Auditorium und im Auditorium selbst. So
verstanden sind Prozesse der Kultur chronotopisch. Sie sind Prozesse von Resonanzbildung
einerseits und Entkoppelung andererseits, also Zyklen von Operationen. Dies ist der Kulturbegriff,
den ich vorschlage und auf den eine dynamische Theorie des Autismus ebenso wenig verzichten
kann wie jede andere Bestimmung anthropologischer Fragen.
Ich nannte die Entwicklungsneuropsychologie der Gruppe um Colwyn Trevarthen17 als
unverzichtbar für ein dynamisches Verständnis von Neurodiversität. Trevarthen betrachtet
Entwicklungsprozesse als raumzeitliche Einheiten, die auf Resonanz mit Kultur zielen. Schon
vorgeburtlich, zwischen der 5. und 8. Schwangerschaftswoche, also im Embryonalstadium, bildet
sich mit der Entwicklung der Retikulären Formation des Stammhirns ein Intrinsisches Motivsystem
(„intrinsic motive formation“ = IMF) heraus, das die Autoren als „the heart of the developing mind“
betrachten (Trevarthen et al. 1998, 67). Dieses IMF verkörpert die neuronalen Grundlagen der
Sozialität des Menschen und zielt nachgeburtlich auf eine(n) freundliche(n) Begleiter/in („friendly
companion“) im Sinne der Bindungstheorien. Damit diese freundliche Begleitung durch
Handlungen gesichert ist, müssen entsprechende Ausdrucksmöglichkeiten zum Zeitpunkt der
Geburt existieren. Sie realisieren sich vorrangig über die ebenfalls embryonale Verbindung der
Hirnnerven mit der emotionalen Ausdrucksmotorik des Gesichts (emotional motive system = EMS),
über welche das Neugeborene seine Gefühle unmittelbar ausdrückt.
In Konsequenz dieser Überlegungen muss nach Ansicht Trevarthens bereits zuvor eine
Unterscheidung zwischen Selbst und Anderem möglich sein. Als elementare Grundlage eines
derartigen virtuellen Selbst kann m.E. das „Switching“ zwischen einem sympathischem Pol
16 “These disjunctures themselves precipitate various kinds of problems and frictions in different local situations.
Indeed, it is the disjunctures between the various vectors characterizing this world-in-motion that produce
fundamental problems of livelihood, equity, suffering, justice, and governance.” (Appadurai 2001, 5 f)
17 Ich beziehe mich hier, soweit nicht anders angegeben, vor allem auf Aitken & Trevarthen 1994 sowie Trevarthen
2003
9
(Erregung) und einem parasympathischen Pol (Ruhe) des vegetativen Nervensystems angenommen
werden (vgl. Schore 1994, 2001). Grundlage eines virtuellen Anderen wäre die spezifische Art der
Zyklizität (Schore 2001), welche diesen Anderen durch Resonanz und Reziprozität als menschliches
Lebewesen von unbelebten Dingen unterscheiden könnte. Die erste Transformation von virtuellem
Selbst und virtuellem Anderen in reales Selbst und realen Anderen erfolgt somit bereits intrauterin,
so unsere Überlegungen. Sie erfolgt durch Resonanzbildung im sozialen Zwischenraum des Uterus
und der Koppelung der dialogischen Aktivitäten der Mutter an die eigenen Rhythmen des Fetus
(Jantzen 1987, 180-185; Klatt 2007).
Entsprechend führt Trevarthen (1999) einen weiteren Term ein, der grundlegend für die frühe
Intersubjektivität ist. Es ist dies die Annahme eines „Intrinsic Motiv Pulse“ (IMP). Das jeglichem
Erleben, jeglicher menschlichen psychischen Entwicklung zugrunde liegende Intrinsische
Motivsystem wird durch eine energetische Struktur, durch einen inneren Schrittmacher getriggert,
der ersichtlich über Resonanzfähigkeit mit äußeren Schrittmachern verfügt. Dies entwickelt
Trevarthen (1999; Malloch &Trevarthen 2009) insbesondere am Beispiel der Musik.
Die rhythmisch Zeit generierende Struktur, die auf Seite des Kindes mit Notwendigkeit
anzunehmen ist, sichert einen Rhythmus der Antizipation, welcher die teleologische Regulation mit
der Zeit der körperlichen Ereignisse verknüpft. Diese selbst erzeugten und selbstbezogenen
Stimuli, als deren Kern wir den multioszillatorischen Prozess der Emotionen betrachten (Jantzen
2014a), werden durch eine äußere Quelle des Wandels kulturell differenziert, durch den bewegten
Körper einer anderen Person. Sie werden zu Kernstrukturen der Entwicklung von Sinn und
Bedeutungen. Das Neugeborene hat diese Idee vom Anderen in Form möglicher Resonanzen,
ausgedrückt in unterschiedlichen Formen früher Dialoge, von Anfang an. Es ist sozial vom
ersten Augenblick an.
Wenden wir diese Überlegungen auf die Problematik des Autismus an – Trevarthen und Mitarbeiter
(1998) haben hierzu vor einer Reihe von Jahren eine Monographie publiziert – so können wir die
höchst unterschiedlichen und differenten Ausgangsbedingungen in ihren jeweils unterschiedlichen
Auswirkungen auf die Entfaltung des IMF betrachten. Ähnlich hatte ja bereits Oliver Sacks unter
Aufgreifen eines Gedankens von Lurija argumentiert, das nicht das Syndrom in den Mittelpunkt der
Betrachtung zu stellen sei, sondern „die Auswirkungen physiologischer Prozesse auf die
Biographie“ (Sacks 1987, 9).18 Die Vielzahl der möglichen, sich wechselseitig ergänzenden und
summierenden genetischen Orte fände mit ihren höchst unterschiedlichen Auswirkungen auf die
18 In vergleichbarer Weise argumentiert bereits Vygotskij (1931/1993) bezogen auf geistige Behinderung ebenso wie
auf „schizoide Psychopathie“, also Aspergerschen Autismus in Sucharevas Terminologie (vgl auch Jantzen 2009,
Suchareva 2009).
10
Epigenese des Organismus ebenso hier ihren Platz, wie die Genesis der in der Autismusforschung
benannten psychologischen und sozialpsychologischen Erklärungsstücke. Eine beeinträchtigte
Wahrnehmung, eine reduzierte Theory of Mind, gestörte exekutive Funktionen, schwache zentrale
Kohärenz aber auch intensive Weltwahrnehmung u.a.m. (vgl. Bengel 2015, Theunissen 2015)
könnten als zielgruppenspezifische Besonderheiten in der bio-psycho-sozialen Konstruktion von
Autismus betrachtet werden. Ihre speziellen Entwicklungspfade näher zu entschlüsseln, wie dies
allgemein bezogen auf Autismus bereits Fischer et al. (1997) am Beispiel der biographischen
Dokumente von Donna Williams gefordert haben, wäre die Aufgabe der Zukunft. Wenig sinnvoll
erscheint es mir bei der außerordentlichen Komplexität der biologischen, psychischen und sozialen
Wechselwirkungen, erneut auf unterschiedliche biologische Karten zu setzen, ohne einer
dynamischen neurosoziologischen Gesamtkonzeption der Hirnentwicklung Rechnung zu tragen.
Auf Grund der hohen Bedeutung des frühen Blickkontakts für die Entwicklung eines sicheren
Selbst, wie in der Theorie des IMF-Entwicklung hervorgehoben, würde sich bereits hierdurch ein
Weg einer dynamischen Rekonstruktion der Genesis des Autismus eröffnen, ganz zu schweigen
vom systematischen Durchspielen anderer neurobiologischer, psychologischer und -soziologischer
Einwirkungsprozesse zu unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Dass ersichtlich derartige Fenster
besonderer Verwundbarkeit existieren, wie z.B. bei Down-Syndrom, Rett-Syndrom, Fragilem XSyndrom oder Landau-Kleffner-Syndrom kann als gesichert gelten. Und ebenso kann als gesichert
gelten, dass die Reduktion sozialer und kultureller neurosoziologischer Zusammenhänge auf
Krankheit bzw. auf bloße Biologie zwangsläufig zur Ausgrenzung, zu Ableismus und Rassismus
führt.
Um solchen Denkweisen einen neurowissenschaftlichen Riegel vorzuschieben, diskutiere ich dies
im Folgenden in gebotener Kürze am Beispiel der Hydranencephalie.
Einige Bemerkungen zur Neurosoziologie von Hydrancephalie19
In einem viel zitierten Artikel stellen Shewmon et al. (1999) grundsätzlich in Frage, dass
Kinder ohne Großhirn sich in einem lediglich „vegetativen Zustand” befinden. Sie belegen
anhand von vier Beispielen, dass es sich hierbei um selbsterfüllende Prophezeiungen
organzentierter Medizin handelt. Aus meiner Erfahrung kann ich zwei weitere, von mir in der
Fachliteratur zugänglich gemachte Beispiele hinzufügen. Zum einen das einer erwachsenen
Insassin im Kontext der Beratung einer Großeinrichtung für Behinderte (Jantzen 2001), das
19 Martina Foge (2010) hat den Literaturstand zu Hydrancephalie in einer herausragenden Diplomarbeit
zusammengefasst.
11
andere eines 11-jährigen Jungen in einer Mutter-Kind-Einrichtung, für den ich vor Kurzem zu
gutachten hatte (Aguiló & Jantzen 2014).
Warum derartige Fälle von positiver Entwicklung bei Hydranencephalie so selten sind, dafür
nennen die Autoren verschiedene Argumente. Die in diesem Zusammenhang wichtigsten sind zum
einen eine Überempfindlichkeit gegenüber Unvertrautheit, denn „dekortikalisierte Kinder sind
extrem sensitiv für Änderungen von Routine und Umgebung. Sie werden leicht verwirrt durch
Fahrten zu Arztpraxen sowie fremde Leute und Umgebungen. In derartigen Settings verwickeln sie
sich leicht und versagen dabei, jedwede kognitive Funktionen zu manifestieren, welche die Eltern
berichten könnten.“
Vor allem aber ist die selbsterfüllende Prophezeiung „der vielleicht entscheidendste Grund, warum
solche Fälle so selten sind, dass also das Etikett „vegetativer Entwicklungsstatus“ dazu tendiert,
selbsterfüllend zu sein. Sensomotorische und emotionale Deprivation führt sogar bei neurologisch
normalen Kindern zu tiefgreifender Apathie, Entwicklungsstörungen und Entwicklungsrückstand.
[…] Wie viel mehr sollten solche Konsequenzen erwartet werden, wenn die deprivierten Kinder
schwer behindert sind. Trotzdem wird die Uniformität der „vegetativen“ Resultate bei
dekortikalisierten Kindern, die als „Gemüse“ (vegetables) behandelt werden, unkritisch von vielen
als „Evidenz“ dafür betrachtet, dass Dekortikalisierung notwendigerweise einen vegetativen
Entwicklungsstand produziert.“ (ebd.)
Die damit verbundene Annahme, Bewusstsein sei eine ausschließliche Funktion des Großhirns ist
jedoch völlig unhaltbar. Dieser Behauptung widerspricht der ausführliche Artikel von Björn Merker
„Consciousess without a cerebral cortex“, ein in der Zeitschrift „Behavioral and Brain Sciences“
2007 erschienener und dort ausführlich diskutierter Leitartikel, der zum Abschluss auch
ausdrücklich auf die Forschungen von Shewmon et al. sowie auf eigene sehr umfangreiche
Recherchen verweist. In insgesamt die gleiche Richtung verweist auch die sich weiter entwickelnde
Neuropsychologie subkortikaler Prozesse20
Nach Merker besteht ein funktioneller Flaschenhals zwischen Hirnstamm und Mittelhirn einerseits
und Zwischenhirn andererseits 21 Unterhalb dieser Ebene und in sie hineinführend lassen sich
20 Vgl. dazu unter anderem die sieben von Panksepp (1998) empirisch verifizierten subkortikalen Systeme, die bei
allen Säugetieren vorhanden und auf Mittelhirnebene verankert sind. Es sind dies sowohl Notfallsysteme, auf deren
subkortikales Funktionieren bereits Walter Cannon in den 30erJahren verwiesen hatte, als auch Appetenz-, Neugier
und Bindungssysteme. Entsprechend positiv kommentiert Panksepp (2007) den Aufsatz von Merker im gleichen
Heft dieser Zeitschrift.
21 Exakt ausgedrückt befindet sich nach Merker dieser Flaschenhals zwischen dem Colliculus superior als Dach des
Mittelhirns und dem Hypothalamus als grundlegender, Bedürfnisse vermittelnder Struktur des Zwischenhirns, wobei
der Thalamus als wichtigste integrierende Struktur auf Zwischenhirnebene das entscheidende Bindeglied zu den
kortikalen Hemisphären des Großhirns sei.
12
selbstbezogene, körperbezogene und weltbezogene subkortikale Systeme unterscheiden. Sie
existieren in funktioneller Hinsicht in Form einer triangulären Struktur der Wechselwirkungen von
Prozessen der Orientierung (Welt), zielgerichteten Handlungen (Körper) und zugrunde liegenden
Motivationsstrukturen, die ihrerseits auf determinierenden Bedürfnissen beruhen. Jeglichen
psychischen Prozessen liegt demnach ein subkortikales, unbewusstes Ich-Zentrum als Basis
zugrunde. Das bedeutet aber, dass hydranencephale Kinder selbstverständlich ebenso zum Aufbau
von emotionaler Resonanz in der Lage sind, wie zum Aufbau von Orientierung und zu elementarem
Lernen.22
Trevarthens Annahme eines auf freundliche Begleitung ausgerichteten Intrinsischen Motivsystems
gilt daher für hydrencephale Kinder ebenso wie Vygotskijs Äußerung zu Beginn der 1930er Jahre:
„Im Psychischen des Säuglings zeigt sich vom ersten Moment die Tatsache, dass es eingebettet ist
in das Zusammensein mit anderen Menschen. Das Kind reagiert zuerst […] auf Menschen seiner
Umgebung.“ (Vygotskij 1932/1987, 148) Kultur und Gesellschaft sind in Form der Umgebung, in
Form der sozialen Entwicklungssituation, die Quelle für die Entwicklung der höheren,
gesellschaftlichen Formen des Bewusstseins. „In child development that which is possible to
achieve at the end and as a result of the developmental process, is already available in the
environment from the very beginning.“ (Vygotskij 1934/1994, 347f.).
Die Trennung von Kultur und Biologie führt folglich auf jeder Ebene zu Ableismus und zu
Rassismus. Neurodiversität hat für alle Menschen ohne Ausnahme zu gelten.
Es ist der lateinamerikanische Diskurs über Dekolonisation und Entkoppelung, der diese
Überlegungen in besonderer Weise sozialphilosophisch und sozialwissenschaftlich fundiert.
Dekolonisation, Entkoppelung und Epistemologie des Südens23
Dekolonisierung bedeutet einen Prozess zu reflektieren, in welchem nach Auflösung der Kolonien
und des Kolonialsystems der Süden als Ort der Ausbeutung, der Missachtung von
Menschenrechten, als Ort des Leidens, als Ort der Fortexistenz der „Kolonialität der Macht“ im
Denken des Nordens nahezu nicht präsent ist. Was dies im praktischer Hinsicht bedeutet, zeigen
höchst drastisch und beeindruckend Bücher von Jean Ziegler wie „Das Imperium der Schande“ oder
„Wir lassen sie verhungern“. Gleichzeitig aber ist der Süden ein Ort starker Kräfte der
Gegenglobalisierung, u.a. zentriert um das Weltsozialforum oder die Kämpfe um demokratischen
Wandel in Lateinamerika, zur Zeit an vorderster und besonders interessanter Stelle in Bolivien und
22 Bei einem persönlichen Kontakt vor ca. drei Jahren war Merker gänzlich mit meiner Anmerkung einverstanden, dass
diese Auffassung noch nicht jene emotionalen Triggerungsmechanismen berücksichtigt, die ich mit Bezug auf
Trevarthen und unsere eigenen Überlegungen bereits angesprochen habe (vgl. Jantzen 2014a).
23 Dieser Abschnitt folgt im wesentlichen meinen Argumentationen zu „Inklusion und Kolonialität“ (Jantzen 2015).
13
Ecuador. Wird dies durchaus noch zur Kenntnis genommen, zumindest als Verstoß gegen die
neoliberale Marktideologie, so sind – übrigens im Unterschied zum angloamerikanischen
Sprachraum – zentrale Texte lateinamerikanischer Sozialwissenschaftler mit Weltrang, wie an erster
Stelle Enrique Dussel, aber ebenso Quijano, Mignolo oder de Sousa Santos, nur erheblich
eingeschränkt im deutschen Sprachbereich zugänglich.24
Geprägt wurde der Begriff der „Kolonialität der Macht“ durch den peruanischen Soziologen Anibal
Quijano (2000). Aufs engste verbunden ist dieser Begriff mit der Entstehung der Moderne und mit
ihr einhergehend der Globalisierung. Beide Prozesse beginnen mit der Konstitution Amerikas und
infolge dessen dem kolonial/modernen und eurozentrierten Kapitalismus als neuen Systems der
Macht (patrón de poder). Konstitutives Element dieses Systems ist zum einen die Erfindung der
Rasse und der den Indios, den schwarzafrikanischen Sklaven und den Mestizen damit
zugeschriebenen „naturgegebenen“ Minderwertigkeit. Ihr wird die Konzeption der zivilisatorisch
und z.T. auch biologisch höherwertigen Weißen gegenübergestellt. Zum anderen sind der
Kapitalismus und der mit beiden einhergehende Eurozentrismus die zentralen Säulen der
Kolonialität der Macht.
„Man könnte in diesem Sinn behaupten, dass Macht eine soziale Beziehung von Beherrschung,
Ausbeutung und Konflikt um die Kontrolle über jeden einzelnen Bereich der menschlichen/sozialen
Existenz ist.“ (Quijano zitiert nach Quintero 2013, 56). Diese Kolonialität der Macht realisiert sich
nicht nur in den Kolonien sondern auch als innerer Kolonialismus innerhalb der Kolonialstaaten,
der nach Fortfall der Beherrschung der Kolonien in den Staaten der ehemals Kolonisierten und
ehemals Kolonisierenden fort existiert (Mignolo 2013, S. 116). Die Transformation des
Rassenbegriffs vermittels der Cartesianischen Philosophie in eine strikte Trennung von bis dahin als
Körper und Geist zusammenhängend gedachter menschlicher Existenz in die substanziell
unterschiedene ausgedehnte Sache (Natur) und die denkende Sache (Vernunft, Rationalität) wird
die Grundlage der Philosophien der Moderne (Quijano 2000, 224). Das „conquiro ergo sum“, das
(Ich erobere also bin ich) des Cortéz transformiert sich in das „cogito ergo sum“ (Ich denke also bin
ich) des Descartes. Die Verobjektivierung des Körpers als bloße Natur eröffnet alle späteren Formen
des Rassismus und der damit einhergehenden Dehumanisierung. Die Wahrnehmung des farbigen
Körpers, des weiblichen Körpers, des behinderten Körpers signifiziert unmittelbar Naturhaftigkeit
24 Dussel Arbeiten zur Befreiungstheologie sind im wesentlichen verfügbar, sein zentrales Buch zur „Philosophie der
Befreiung“ ist 1989 auf Deutsch erschienen, an sonstigen Übersetzungen seiner theoretischen Arbeiten unlängst
zwei Bücher in kleineren Verlagen (2013a,b). Seine umfangreichen Studien zu Marx liegen wie der Großteil seines
Werkes zu Problemen der Befreiung und Dekolonisierung nicht auf Deutsch vor (vgl. auch Jantzen 2012). Das Werk
von Quijano ist ebenso wie das von de Sousa Santos nur durch Sekundärliteratur präsent (Quintero & Grabe 2013
bzw. Aguiló 2013), das von Mignolo nur durch eine einzige Monographie (2013).
14
und Minderwertigkeit. 25
Dieses Denken existiert auch in der Inklusionsdebatte. „Im Prozess der Inklusion gibt es immer ein
aktives Subjekt, das „inkludiert“ und ein mehr oder weniger passives Objekt, das „inkludiert“
wird.“ so Estermann (2014, S. 25). Dieser Prozess der inneren Kolonisierung ist keineswegs
beendet, wie dies das Auftreten von Ausländerfeindlichkeit und gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit ebenso wie die unlängst dokumentierte deutsche Geschichtslosigkeit
gegenüber den Nazi-Verbrechen (Drobinski 2015) aber auch gegenüber der eigenen
Kolonialgeschichte nur zu deutlich zeigen, denn „viele koloniale Einstellungen (leben) noch heute
weiter [...], mal schamlos offen, mal unbewusst“ so der ehemalige Bundespräsident Köhler (2015)
in Reflexion auf die deutsche Afrikapolitik. Insofern muss man sich sehr davor hüten, zu einem
„inkludierenden“ oder „inkludierten“ Werkzeug eines Diskurses zu werden, der in Wirklichkeit
exkludiert.“ (Estermann a.a.O. S. 28)
Dem entgegen zielt das Projekt einer „Epistemologie des Südens“ (de Sousa Santos) bzw. eines
„Epistemischen Ungehorsams“ (Mignolo) mit dem Begriff der Entkoppelung (Quijano) vor allem
auf den Prozess der Dekolonisierung. Dieser hat als Prozess der Befreiung bei den Armen und
Entrechteten anzusetzen, bei den auf Natur und Schicksal Reduzierten, und er hat als Körperpolitik,
so im Anschluss an Frantz Fanon (2013), den Körper als Ort des Leidens und der Verwundbarkeit
zu re-subjektivieren (Mignolo a.a.O. 194 f). Befreiung geht über Emanzipation als soziales Projekt
der Bourgeoisie hinaus; sie zielt ebenso auf die Dekolonisierung der Kolonisierten wie die der
Kolonisatoren, so Mignolo mit Bezug auf Fanon. „Es geht um die Befreiung von der kolonialen
Matrix der Macht.“ (ebd. 65 f)26 Zentral für dieses Denken ist Dussels Philosophie der Befreiung.
„Der Andere ist das einzig heilige Seiende, das grenzenlosen Respekt verdient.“ Um aber „die
Stimme des Anderen zu hören, ist es an erster Stelle notwendig, atheistisch gegenüber dem System
zu sein.“ (Dussel 1989, S. 75) „Die Göttlichkeit des Kapitals zu negieren, dessen Kult der
Internationale Währungsfond (IWF) über allen Göttern und jeder Ethik pflegt, ist die Bedingung der
Affirmation eines nicht deistischen Absoluten.“ (ebd. S. 115)
Entsprechend zielt eine Philosophie der Befreiung darauf, die Stimme des/der Anderen zur Geltung
zu bringen, „voice and vote“ im Sinne einer Subjektivierung der Menschenrechte zu gewährleisten,
25 So lesen wir bei Carl Vogt, für seine Zeitgenossen der deutsche Darwin, dass die Differenz des Gehirn eines
mikrocephalen Menschen zu einem der „niedersten Rasse“, dem Gehirn einer Buschmannsfrau, größer sei als die
Differenz des Gehirns dieses „Idioten“ zu einem Affengehirn (zit. nach Mac Gregor 1869, 179).
26 Freiheit kann sich nicht auf die Freiheit des unternehmerischen Selbst beziehen, wie Campbell (2005, 113) zurecht
hervorhebt. Entsprechend müssen die Postulate der Bürgerlichen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“
in ein neues Postulat transformiert werden: „Alterität, Solidarität, Befreiung!“, indem sie „dem Imperium des
Nordens den Rücken zeigen, welches nur an seine Interessen und in keiner Weise an die der anderen Beteiligten
denkt.“ (Dussel 2013b, 171)
15
wie dies die Behindertenrechtskonvention mit den Termini „sense of dignity“ und „sense of
belonging“, als subjektive Entsprechungen des Rechts, alle Rechte zu haben, erstmals hervorhebt
(Bielefeldt 2006). Andererseits zielt die Philosophie der Befreiung auf demokratische
Transformation. „Wir müssen alle politischen Systeme, Handlungen und Institutionen als nicht
zukunftsfähig kritisieren und verwerfen, unter deren negativen Auswirkungen Opfer als
Unterdrückte und als Ausgeschlossene leiden!“ (Dussel 2013b, S. 107)
Dies verlangt eine „gehorchende“ Machtausübung der Politik, verbunden mit einer Transformation
des politischen Systems zu neuen Formen des Verhältnisses von repräsentativer und partizipativer
Demokratie (ebd.).
Die teilnahmslose Vernunft des Nordens (razón indolente) ist eine blinde Rationalität, so
Boaventura de Sousa Santos (2012, Aguiló 2013). Aus ihrer Unfähigkeit ergeben sich Logiken der
Produktion von Nichtexistenz. Sie verschleudert Erfahrungen, Subjekte und Wissensformen durch
die Nicht-Anerkennung anderer Modi des Seins, des Denkens und Handelns. Politische Praxis und
Epistemologie des „Nordens“ konstruieren zugleich die Abwesenheit des „Südens“, welche als
Begriff für das Leiden der Ausgegrenzten und Unterdrückten der Peripherie (und Semi-Peripherie)
steht.27
Den ausgrenzenden und unsichtbar machenden Monokulturen des Nordens stellt Santos
verschiedene Ökologien entgehen. Von besonderem Interesse ist für uns hier eine „Ökologie der
Anerkennungen“, die sich der Naturalisierung von Individuen und Gruppen widersetzt. Sie
dekonstruiert Machtverhältnisse, um diese durch wechselseitige Anerkennung der
Unterschiedlichkeit zu ersetzen, ohne minder zu werten oder zu homogenisieren. Das Gesamt der
von Santos entwickelten Ökologien bildet den Hintergrund für eine Soziologie der Emergenzen,
welche die Bedingungen des real Möglichen erforscht. Dies verlangt die horizontale
Vergesellschaftung unterschiedlicher kontra-hegemonialer Prozesse, als deren wichtigen Träger
Santos das Weltsozialforum erachtet, dessen Mitbegründer er ist.
Santos Epistemologie und Soziologie des Südens liefert eine differenzierte Analyse kolonisierender
Exklusionsmechanismen und setzt an ihre Stelle horizontal organisierte Prozesse des Dialogs,
dessen zentrale Figur anerkennungsorientierte Mechanismen der Übersetzung (zwischen
Individuen, Gruppen, Sprachen und Kulturen) sind.
Wenn der/die Andere das einzig heilige Seiende ist, das grenzenlosen Respekt verdient, so bedarf
dies im Sinne einer „Philosophie der Befreiung“ einer weiteren Konkretisierung. Dussel konzipiert
27 „Der Süden als Produkt der Kolonialität ist […] ist die Erfahrung jener, sich als Müll zu fühlen, die sich »auf der
anderen Seite der Linie« wahrnehmen und sich hiergegen wehren“ (Aguiló 2013, 94)
16
diesen egalitären Dialog der Befreiung, indem er die Exteriorität der Anderen außerhalb des
Systems als vermittelbar über eine innere Transzendentalität im System begreift. Sie erscheint als
Alterität des oder der Anderen, als Hunger, Verletzung und Verletzbarkeit, als Offenbarung, als
Aufruf an unsere Solidarität. Respekt als Grundlage von Solidarität ist Schweigen, „aber kein
Schweigen, weil es nichts zu sagen gibt, sondern das Schweigen derer, die etwas hören wollen, weil
sie etwas über den Anderen wissen wollen.“ (Dussel 1989, 75) „Glauben bedeutet, das Wort des
Anderen anzunehmen, weil sich der Andere offenbart – aus keinem anderen Grund“ […]
Offenbaren heißt, sich selbst der Verletzungsgefahr auszusetzen.“ (ebd. 61)
Dieser Verletzungsgefahr setze ich mich jedoch auch selbst aus, indem ich durch Überschreiten der
Grenze den Raum der Exklusion betrete. Ich begehe hierdurch nicht nur einen radikalen
Kulturbruch, indem ich den oder die Ausgegrenzte(n) als Meinesgleichen anerkenne (und das und
nur das ist in meinen Augen Inklusion!) und mich durch mein Verwundbar-Machen in seine/ihre
Hände begebe, nein ich setze mich zugleich der massiven Verachtung durch die herrschende Kultur
der teilnahmslosen Vernunft und der Kolonialität aus. Denn „wer versucht, die Greuel in Worte zu
fassen, die er gesehen hat, setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Wer über Greueltaten öffentlich
spricht, zieht unweigerlich das Stigma auf sich, das dem Opfer immer anhaftet.“ (Herman 1993, 10)
Für Mignolo entsteht „Die Epistemologie der Grenze als Methode des dekolonialen Denkens und
der Entwicklung dekolonialer Optionen [...] im Bewohnen der Exteriorität und in der
Bewusstwerdung der Notwendigkeit, jener Formen des Denkens (sich) zu legitimieren, die von
Akteur_innen (und Institutionen) entwertet wurden, welche die Prinzipien der Erkenntnis
kontrollieren. […] Die Entkoppelung beginnt mit dem Unglauben und dem Zweifel an der Illusion,
dass die imperiale Vernunft zugleich die befreiende Vernunft hervorbringen könnte.“ [...] Ihr „ist die
Erfahrung einer kolonialen Verwundung gemein, die Erfahrung der Verdammten, der nicht an die
„normale“ Gesellschaftsordnung Angepassten.“ (Mignolo a.a.O. 96)
Inklusion beginnt mit der Wiederaufnahme der Narration
Für Vidal-Fernandez (2009) ist der Kern jeglicher Exklusion die Unterbindung der Narration. Die
Ausgegrenzten verschwinden als „Fälle von“ im Ozean der Exklusion; sie werden namenlos. Mit
Bourdieus Soziologie gesprochen, sie kristallisieren sich am Pol der Ohnmacht aus, in bloße Dinge
verwandelt. Indem ich den Raum der Grenze betrete, beginne ich die Strukturen im Feld der Macht
zu verändern. „Das behinderte Ding wird Mensch“ indem ich mich in seine Hände begebe. Der
17
wechselseitige, dialogische Prozess von Offenbarung, Verwundbarkeit und Befreiung im Raum der
Grenze ist die Basis jeglicher gemeinsamen ebenso wie differenten Entwicklung von Kultur ohne
Ausgrenzung. Er ist die Basis der Befreiung der Kolonisierten ebenso wie der Kolonisatoren, für die
ich selbst stehe als, in diesem Fall professioneller Teil der von der anderen Seite der Grenze kommt
(vgl. Basaglia 1980).
Ich verdeutliche dieses an einem abschließendem Beispiel.28
Maik Bewohner einer Großeinrichtung für Behinderte, in der ich mit einer Studentengruppe eine
Woche auf Exkursion war, gilt als Autist. Bereits am Tag vorher hat er sich in der „Förderwerkstatt“
geschlagen. Das sei noch harmlos, erklärt die Mitarbeiterin, es gäbe schlimmere Situationen „wo
richtig Blut spritzt“. Als ich am Tag darauf um die Ecke des Flurs, in dem sich mein Gästezimmer
befindet, in den Gruppengroßraum komme, sehe ich Maik, der sich schwer beide Gesichtshälften
schlägt, mal gleichzeitig, mal abwechselnd. Die linke Gesichtshälfte ist vom Haaransatz bis zur
Backe dunkelrot/blau verschwollen. Doris steht bei ihm und versucht ihm den Kopf zu streicheln
und redet ihm zu. Ich frage, ob sie nicht ihre Hände zwischen Maiks Hände und seinen Kopf halten
kann, oder ob das zu weh täte. „Nein.“ Sie versucht es, streichelt weiter, ist aber noch nicht ganz
sicher. Oft treffen die Schläge noch.
Ich gehe um den Tisch, setzte mich vor Maik in die Hocke. Gesichtsabstand vielleicht 40-60 cm in
gleicher Gesichtshöhe. Ich halte Blickkontakt und beginne zu reden – mit ruhiger Stimme und
langsam: „Hallo Maik! Hallo! Das ist heute aber kein guter Tag.“ Irgendjemand, vielleicht Doris,
sagt, dass im Moment kein Tag gut ist. Ich rede weiter zu Maik, manchmal korrigiere ich Doris'
Hände: „Du musst ihn schützen“.
Maiks Augen starren durch alles hindurch. Ein uralter Gorilla in der Ecke eines Zookäfigs blickt so.
Darf ich ihn so sehen? Aber es ist so. Dann ein kurzer Blickkontakt, die Augen bewegen sich zu mir
– dann wieder der starre Blick in Trance, „freezing“. Das Ganze mehrfach wechselnd. Ich rede
ruhig weiter, was mir einfach so unmittelbar in der Situation und bezogen auf Maik einfällt. Ich
versuche, über meine Sprache, meinen Blickkontakt und meine nicht invasive Nähe eine Brücke zu
öffnen. Er schließt lange die Augen, runzelt die Augenbrauen. Dann wieder Blickkontakt,
zwischendurch wieder Trance und wieder längeres Augenschließen.
Dass auch die andere Backe ganz blau ist, dass er dicke Lippen hat, dass er furchtbar aus dem Mund
riecht taucht zwischendurch auf und verschwindet wieder. Ebenso Doris, die ihn jetzt gut abschirmt.
Und plötzlich kommt seine entgegengestreckte Hand. Ich nehme sie, erwidere den Gruss: „Hallo
28 Jantzen 2004, z.T. wieder aufgenommen in Jantzen 2010a
18
Maik, ich bin Wolfgang.“ Er löst die Hand, nach unten bewegend; ich lasse die meine leicht auf der
seinen liegen. Das dauert kurze Zeit. Er schiebt sie dann weg und legt seine Hand auf sein Knie. Ich
lege meine Hand erneut auf seine, er duldet es kurz und schiebt sie dann weg. Ein drittes Mal – er
duldet sie etwas länger. Ich sage: „Jetzt ist es genug“ und nehme meine Hand zurück. Ich halte
weiter Blickkontakt und rede zu ihm. Das Schlagen hat sich bereits deutlich reduziert.
Ein Geräusch im Flur. Er nimmt den Finger an den Mund. Irgendjemand sagt, dass Essen kommt.
Ich rede weiter mit ihm. Irgendwann setzt er die Mütze auf – noch völlig verdreht. Das Schlagen ist
unterdessen fast weg. Ich sage „O.k. Maik. Jetzt muss ich aber wieder weiter“ und strecke ihm
meine Hand hin. Er gibt mir die Hand. Ich sage „Tschüs Maik“ und stehe auf.
Ein sehr kurzer Blick in die Akte am nächsten Morgen ergibt: 7 Jahre hinter Gittern (Gitterbett).
Bindungsverlust vor zwei Jahren. Sein Bezugsbetreuer ist nicht mehr da. Dieser durfte ihn im
Kontext einer OP im Auftrag des Arztes untersuchen – der Arzt selbst durfte ihn nicht anfassen.
Diagnose: Infantile cerebrale Schädigung und Autismus. Alter 25 Jahre. Gutes Sprachverständnis.
Vernunft also, so zeigt dieses Beispiel, entsteht, wenn wir den Raum der Grenze gemeinsam mit den
Ausgegrenzten zu bewohnen beginnen.29 Sie entsteht, entsprechend der Shared-manifold-Hypothese
der Spiegelneuronentheorie auf der Basis eines wechselseitigen emotionalen Embodyments
(Gallese 2003, 2005), das zumindest einer der beiden Kommunizierenden sicher vorhalten muss,
damit der Raum der Grenze auch für die Exkludierten bewohnbar wird. Bewohnen bedeutet die
Schaffung eines nicht invasiven Dialogs, bedeutet die Wiederaufnahme der Narration, bedeutet die
Anerkennung des oder der Anderen als absolut heilig im Sinne von Dussels Philosophie der
Befreiung.
Es bedeutet in jedem Falle auf die schwache messianische Kompetenz des oder der Anderen zu
zählen, von der Walter Benjamin (1966) in seinen Geschichtsphilosophischen Thesen spricht. Ich
darf hoffen, dass er oder sie mich – strikt immanenzphilosophisch gesprochen – in der Situation
meiner Offenbarung nicht verletzen sondern erlösen wird. In dieser Weise die Seite zu wechseln,
mich vom kolonialen, d.h. rassistischen, kapitalistischen und eurozentristischen System der Macht
zu entkoppeln, Politik als Weg der Befreiung in einer Weise kontrahegemonial zu verstehen und zu
betreiben, wie dies z.B. Santos Epistemologie des Südens oder Dussels Thesen zu Politik aufzeigen,
Ihnen diesen Weg zu zeigen, dies war Ziel meines Vortrags.
29 Vgl. zum Raum der Grenze auch Jantzen & Steffens 2014
19
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