Ein Fluss und seine Gesichter

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Zu einem Urlaub an der Loire gehört die Besichtigung
zumindest einiger der prächtigen Schlösser. Doch den
längsten Fluss Frankreichs sollte man auch bei einer
Boots- oder Fahrradtour genießen. Und sich eine kräftige
Prise moderner Kunst um die Nase wehen lassen.
G
emächlich gleitet das
Flachboot über den
grün schimmernden
Strom. Kein anderes Schiff,
kein modernes Gebäude am
Ufer stört unsere Begegnung
mit der Loire. Stattdessen sehen wir Sandbänke und Inseln,
auf denen Kormorane, Reiher
oder Eisvögel rasten. Bei Le
Cellier blitzt oberhalb des
Flussbetts Schloss Clermont
auf. „Hier verbrachte Luis de
Funès seinen Ruhestand“, ver-
noch heute so natürlich durch
die Départements mäandern
wie zur Zeit der Loire-Könige.
Schon damals, als noch Tuffstein, Schiefer, Wein und Salz
auf ihr transportiert wurden,
kamen dabei nur besonders
flache Holzschiffe, die „gabarres“, zum Einsatz.
Das Erbe
der Loire-Könige
Insbesondere im Abschnitt
zwischen Orléans und Nantes
Ein Fluss und seine Gesichter
rät uns Alisson Entzmann. Der
berühmte Komiker pflegte auf
der Anlage aus dem 18. Jahrhundert seine Liebe zu den
Rosen und liegt auch auf dem
kleinen Friedhof von Le Cellier
begraben.
Während Kapitänin AnneGaëlle die „Luce“ sicher über
den Fluss steuert, informiert
uns ihre Kollegin Alisson über
das Ökosystem der Loire und
die architektonischen Perlen
der Umgebung. Die beiden
Frauen sind stolz auf ihr Schiff,
das bei Oudon vor Anker liegt,
denn die Loire ist mit den über
tausend Kilometern, die sie
von der Quelle im Zentralmassiv bis zur Mündung in den Atlantik zurücklegt, nicht nur der
längste Fluss Frankreichs, sondern auch der letzte Wildstrom
Europas. Ihrem geringen Tiefgang, den Inseln und Sandbänken hat sie es zu verdanken, dass sie für die moderne
kommerzielle Schifffahrt nie in
Betracht kam. So blieben ihr
Begradigungen und Kanalisierungen erspart, und sie kann
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Geschichtsträchtiger Ort: Auf Schloss
Langeais heiratete Anne de Bretagne
1491 den französischen König Karl
VIII. Damit verlor das mächtige Herzogtum seine Unabhängigkeit.
Auf Schlössertour an der Loire
Von Simone Eber
werden die Loire und ihre
Nebenarme von zahlreichen
Schlössern und Herrenhäusern
bevölkert – insgesamt sind es
mehrere hundert. Diese außergewöhnliche Dichte an Prachtbauten geht auf den Hundertjährigen Krieg zurück: Von
1337 bis 1453 bildete die Loire
zeitweise die Grenze zwischen
den von England besetzten
Gebieten im Norden und dem
französischen Kernland, weshalb der Bau von Burgen und
Festungen massiv vorangetrieben wurde. Hinzu kam,
dass Paris während des Krieges
für mehrere Jahre von den
Engländern besetzt war und
der damalige König Karl VII.
sich in die Nähe der Loire zurückziehen musste. Doch auch
nach der Rückeroberung der
Hauptstadt blieb das Tal für
fast hundert Jahre Hauptresidenz von fünf aufeinanderfolgenden französischen Herr-
Auf dem LoireRadweg hat man
immer ein
Schloss in Sichtweite.
schern. In dieser Zeit entstanden die prächtigsten Schlösser,
aber auch viele kleinere Adelssitze, wobei die inzwischen
verfallenen Burgen oft als Fundamente genutzt wurden.
Die Loire-Könige hatten offenbar die Vorzüge des Tals entdeckt. Kein Wunder, denn von
ihren Terrassen überblickten
sie einen wahren Garten Eden:
Der Fluss diente als Transportweg und Fisch-Reservoir, sein
fruchtbares Schwemmland ließ
Obst und Gemüse gedeihen,
die ausgedehnten Waldgebiete lieferten reichlich Wild.
Hinzu kam der Weinbau an
den sonnigen Hanglagen des
Flusses und seiner Nebenarme.
Wer heute an die Loire kommt,
findet die Landschaft noch
ebenso einladend vor – und
hat in puncto Schlösser die
Qual der Wahl: Da ist Blois, in
dessen vier Flügeln sich Baustile von der Gotik bis zum
Klassizismus spiegeln; Chenonceau, das Heinrich II. als
Geschenk an seine Mätresse
Diane de Poitiers höchst kunstvoll über den Fluss Cher bauen
ließ; oder Chambord mit seinen dekadenten 440 Zimmern.
Services angeboten: Verleih
von Rädern und E-Bikes, OneWay-Touren mit Abholung am
Zielort, Gepäcktransport, die
Kombination von Rad und Zug
und fahrradfreundliche Unterkünfte. Auf einer Testtour in
der Nähe von Orléans werden
wir von Sebastian Mutschler
vom Tourismusverband des
Loiretals begleitet. Bei unseren
bewundernden Blicken auf
kleinere Schlösser, die immer
wieder die Ufer säumen, lacht
der gebürtige Deutsche: „Der
Preis ist nicht unbedingt das
Problem – ab 400 000 Euro ist
man dabei.“ Kostspielig werde
so ein Schloss aber durch die
Auflagen des Denkmalschutzes. „Baumaterial wie Ziegel
aus Schiefer sorgt schnell für
enorme Nebenkosten.“
Davon können Véronique und
Aurore Günther-Chéreau ein
Lied singen. Mutter und Tochter betreiben in der Nähe von
Nantes Weinbau rund um ein
altes Schloss, das Véroniques
Rad-Service nach Maß
Wer der Superlative müde
wird, greift am besten zum
Vélo: Die Loire ist bestens für
Radler ausgebaut, die ihrem
Verlauf auf insgesamt 800 Kilometern folgen können. Dabei
werden fast alle erdenklichen
In Blois kann man noch die „gabarres“ bewundern, mit
denen früher Waren auf der Loire transportiert wurden.
Junge Winzerin
mit altem
Schloss: Aurore
Günther-Chéreau
bei der Weinprobe.
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„Café gourmand“: Wer ihn bestellt, bekommt in Nantes gleich
ein paar süße Häppchen mitserviert.
Vater in den Siebzigerjahren
gekauft hat. Das Château du
Coing de Saint Fiacre, so der
stolze Name, ist nur teilrenoviert, die beiden Frauen nutzen
einige Räume für die Lagerung
und Verkostung ihrer Weißweine, vermieten andere für
Seminare oder an Hochzeitspaare, die sich in das wildromantische Grundstück verliebt haben. „Renovieren können wir immer nur in kleinen
Abschnitten“, meint Aurore mit
Blick auf die teils marode Fas-
ARCD-Reiseservice
Anreise: Mit dem Pkw über Paris z. B. auf der
A 10 oder der N 20 zum Einstiegspunkt
Orléans (ca. 130 km), von hier über Tours,
Angers und Nantes westwärts. Mit der
Bahn ebenfalls über Paris mit dem Schnellzug (TGV Atlantique) Richtung Nantes.
Paris
Angers Blois
Orléans
Atlantik
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re
Loi
Tours
Nantes Saumur
sade. „Beispiel: Ein Fensterladen kostet 2000 Euro.“
Projekte für die Zukunft
Sich nicht auf dem Erbe ausruhen – das ist auch ein Motto,
das sich die regionalen Tourismusverbände an der Loire auf
die Fahnen geschrieben haben. „Es geht darum, Kunst in
die Regionen zu bringen“, sagt
Sebastian Mutschler. Ein Paradebeispiel dafür ist Schloss
Chaumont. In seinem englischen Landschaftspark findet
Autorin Simone
Eber auf der
Dachterrasse
des Hôtel de
l’Abeille in
Orléans.
Flug nach Paris und weiter mit Leihwagen
oder Bahn.
Übernachten:
Orléans: Hôtel de l’Abeille (drei Sterne): in
Bahnhofsnähe, liebevoll mit allerhand
Antiquitäten ausgestattet, wunderschöne
Dachterrasse, www.hoteldelabeille.com.
Contres (bei Blois): Le Manoir de Contres
(drei Sterne): Stilvoll und ruhig übernachten
im Herrenhaus von 1818 mit herrlichem
Park, bestens bekocht von Hausherr Victor
Orsenne, www.manoirdecontres.com.
Weitere Adressen fürs Übernachten im
Schloss: www.bienvenueauchateau.com.
Nantes: Hotel Sozo: modernes Hotel in
ehemaliger Kapelle, www.sozohotel.fr.
Glisson: Best Western Villa Saint Antoine
(drei Sterne): Hotel in einem ehemaligen
Fabrikgebäude an der Sèvre,
www.hotel-villa-saint-antoine.com
Bootstouren: z. B. bei Oudon/Champtoceaux
in der Nähe von Nantes,
www.loire-en-scene.fr.
Radfahren: alle Infos unter www.loire-a-velo.fr,
Leihräder und weitere Services z. B. bei
www.randovelo.fr
Île de Nantes: www.lesmachines-nantes.fr
Weingut: www.chateau-du-coing.com
Auskünfte: Atout France – Französische
Zentrale für Tourismus,
www.rendezvousenfrance.com
Fotos: S. Eber (6), E. Sander (1)
Ein Spektakel:
Wenn der „Grand
Éléphant“ über die
Île de Nantes
stapft, sind große
und kleine Zuschauer begeistert.
jeweils von Frühling bis Herbst
das Internationale Gartenfestival statt, bei dem Künstler alljährlich unter einem anderen
Motto Gärten im Garten gestalten.
In Nantes, wo die Loire ihre
letzte Wegstrecke bis zum Atlantik zurücklegt, wurde das
Schloss, einstiger Regierungssitz der Herzöge der Bretagne,
von Grund auf renoviert und
zum modernen Stadtmuseum
umfunktioniert. Noch einen
Schritt weiter ist man auf der
Île de Nantes: Das ehemalige
Hafenviertel präsentiert sich
heute als hipper Stadtteil mit
Cafés, Bars, Museen und Kunstinstallationen im offenen Raum.
In einer ehemaligen Werkshalle residiert ein ganz besonderer Bewohner der „Insel“: ein
überlebensgroßer Elefant, den
die beiden Künstler Pierre
Orefice und François Delarozière geschaffen haben. Seine
„Haut“ ist aus beweglichen
Holzplatten gefertigt, darunter
verbergen sich ein Stahlgerüst
und ein Radwerk. Wenn der
„Grand Éléphant“ sich in Bewegung setzt, ist das für die Zuschauer fast beeindruckender
als für die Reiter. Der Koloss
bewegt seine Beine, brüllt und
spritzt reichlich Wasser aus seinem Rüssel. Sein Marsch endet
am „Carrousel des mondes
marins“, einem dreistöckigen
Karussell mit fantastischen
Maschinen und Tieren. Mit
dieser Verbeugung vor dem
aus Nantes stammenden Jules
Verne und seinen MeeresAbenteuerromanen haben die
beiden Künstler doch wieder
einen Bogen zurück in die Vergangenheit geschlagen. 쏋