Oyyster - Gastronomische Akademie Deutschlands eV

1. Jahrgang Heft 01 April 2015 8,90 Euro
Journal für Genuss und Tafelkultur
!
U
E
Nm
i
el
Hand
Luxus der
einfachen
Küche:
Parmesan –
einfach gut
thüringer
bratwurst –
einfach lecker
Hotel Adlon –
einfach frühstück
e
r
h
a
J
60
i
i
a
w
a
H
t
s
Toa
;)
Luxus der einfachen Küche
Steve Jobs
8
Hummer oder Leberwurst,
Wein oder Hagebuttentee.
Wahrer Luxus kocht sein
eigenes Süppchen.
Oder die tragikomische Geschichte des ersten deutschen Fernsehkochs, Carl Clemens Hahn,
alias Wilmenrod. Ihm werden unfass-bar legendäre Kreationen nachgesagt, die sich im kollektiven
Gedächtnis der deutschen Nachkriegsküche
eingebrannt haben, wie dessen verkohlte schwarze Banane oder der unsägliche Toast Hawaii
(Seite 18). Er war es, der den Luxus im Kopf zu
einer Zeit implantierte, da in Deutschland an
Reisen nicht zu denken war. Doch dank seines
kreativen Umgangs mit der Sprache mutierte eine
einfach Bulette zum Arabischen Reiterfleisch. So etwas können sich
die aktuellen Köche, die zweifellos ihr Handwerk weitaus besser verstehen als Wilmenrod, nicht mehr erlauben. Wer als Paradiesvogel
auftritt, wird im modernen TV-Schnellkochtopf gnadenlos verheizt.
Und so versuchen sich die aktuellen Protagonisten in pseudoseriösen Erklärstücken, die dem staunenden Publikum lediglich zeigen,
wie unbegabt es selbst ist. Dabei wurde das Geschmacksfernsehen
immer noch nicht erfunden, in dem man testen kann, ob der TVBrätling tatsächlich schmeckt.
Aber auch das Praktische wird nicht zu kurz kommen.
Pfannen ausprobieren, Kaffeemaschinen testen, ungewöhnliche
Bilder schaffen, die Fantasie anregen. Wir möchten Sie, den Leser,
herausfordern und dabei gleichzeitig Wissen mitgeben. Was wie
funktioniert, warum es so ist. Vieles weiß man vielleicht schon, aber
manches wird durchaus überraschend sein. Begleiten Sie uns auf
dieser Reise ins Reich der geschmacklichen Sinne.
Zusammen mit der Gastronomischen Akademie
Deutschlands möchten wir die Leidenschaft für
gutes Essen nachlesbar machen. Nicht einfach nur
eine Rezeptsammlung anbieten oder die besten
Pizzaadressen von A-Z abwickeln. Sondern die
Geschichten erzählen, die über viele Jahre unsere
Kultur geprägt haben und weiterhin beeinflussen.
Erzählen, dass eine Thüringer Bratwurst auf dem
Marktplatz zu Weimar (Seite 52) genauso spannend
ist wie das Kaviarfrühstück im Hotel Adlon. Wir
werden die größeren und kleineren Köche huldigen, damit ihr Schaffen nicht in alten Kochbüchern verstaubt.
Menschen, die ganze Generationen geprägt haben. Wie zum Beispiel
Johanna Friederika Henriette Katharina Davidis (geboren 1801 in
Wengern; gestorben 1876 in Dortmund), die wohl als berühmteste Kochbuchautorin Deutschlands gilt. Obwohl zu ihrer Zeit
bereits viele ähnliche Werke erschienen waren – unter anderem das
„Allgemeine deutsche Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen“
von Sophie Wilhelmine Scheibler – entwickelte sie das „Praktische
Kochbuch“ zum unverzichtbaren Begleiter in der Küche des späten
19. und frühen 20. Jahrhunderts, das zur Grundausstattung vieler
deutscher Haushalte gehörte. Die vielen heute noch antiquarisch
erhältlichen Exemplare zeigen, dass die Bücher rege benutzt und
mit Anmerkungen versehen wurden. Viele Familien vererbten das
„Praktische Kochbuch“ von Generation zu Generation weiter. Und
wir werden ihre und Gerichte anderer Koch-Koriphäen neu aufleben
lassen und vielleicht auch neu interpretieren.
9
60 Jahre Toast Hawaii
Jahre
wie
oder
toast
hawaii
d
o
r
n
e
m
l
i
W
s
n
Cleme
1955
Deutschland veränderte
18
19
Parmesans
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
ew
IG?
reggiano
Parmigiano
reggiano
Parmigiano
reggiano
Parmigiano
reggiano
Parmigiano
Die Geschichte des
F ü r immer &
Es gibt Produkte mit ewigem Leben. Wie z. B. echter italienischer Parmesan.
Seit über 1000 Jahren wird er nach fast unveränderter Rezeptur hergestellt.
Und trotzdem – auch für einen solchen „Methusalem der Lebensmittel“ gibt
es noch kreatives Potenzial, wie der Frankfurter Sternekoch Carmelo Greco
für OYySTER unter Beweis stellte.
26
27
reggiano
Parmigiano
reggiano
Parmigiano
reggiano
Parmigiano
reggiano
Parmigiano
G i a c o m o
Im Jahr 1254 z. B. ließ sich eine Genueser Witwe den Besitz eines
25 Pfund schweren Käses notariell bei ihrer Hinterlassenschaft
beglaubigen. Mitte des 14. Jahrhunderts erzählt der florentinische
Dichter Giovanni Boccaccio in der dritten Novelle seines Werks
„Decamerone“ über die Gegend Bengodi, die er zum Schlaraffenland
des Käses verklärte. Einer der Charaktere fabuliert von der Stadt
„Cokolores“, in der sich „ein Berg von geriebenem Parmesan erhebt“,
auf dem die Bewohner Makkaroni und Ravioli herstellen, anschließend mit Parmesan bestreuen, um die Teigtaschen dann dem
hungernden Volk zuzuwerfen. Parmesan wird zum Sinnbild der von
Gott erbetenen Rettung vor dem Hungerstod und gleichzeitig eine
Metapher für himmlische Freuden. Und ganz nebenbei entstand der
Begriff Kokolores, der für frei erfundene Geschichten von Gauklern
steht. Mehr anekdotischen Wert hat die Arbeitsmethode des italienischen Architekten und Hofmalers der Medici, Andrea del Sarto
(1486–1530), dem nachgesagt wird, dass er für die Bauentwürfe eines Tempels kleine Würste und zurechtgeschnittene Parmesanstücke
verwendete. (…)
Für Legenden war Parmesan immer gut: Eines Abends des
Jahres 1797 kehrte der berühmte Schwerenöter Giacomo Casanova
irgendwo im Nirgendwo in ein Gasthaus ein und gab an, nach einem
langen Reisetag furchtbar hungrig zu sein. Der muffige und dickbauchige Wirt – so steht es in Casanovas Autobiographie – soll seinem
späten Gast erwidert haben, dass er ihm gerne ein Bett bereitstelle,
aber wohl nichts mehr zu essen. Doch damit wollte sich Casanova
nicht abspeisen lassen und verlangte, dass man ihm etwas Brot,
Eier, Makkaroni, Schinken und Parmesan bringen möge, schließlich
müsse doch jedes Gasthaus in Italien diese Waren vorhalten. Wie die
Geschichte letztlich ausgegangen ist, bleibt ein Geheimnis. Ebenso
schleierhaft wie die Tatsache, ob Casanova wirklich der Urheber
jenes Satzes ist, der durchaus unterschiedlich interpretiert werden
kann: „Ein Mann ohne Frau ist wie Pasta ohne Parmesan.“
Dem gibt es wohl nicht viel hinzuzufügen. Außer vielleicht,
dass Casanova mit seinem despektierlichen Vergleich klar ausdrücken wollte, was für die Käsewelt nach vielen Jahrhunderten
selbstverständlich ist: Liebe und Leidenschaft der rund 400 Käser in
der Emilia Romagna sorgen mit ihrer Handarbeit für das Tüpfelchen
auf dem i eines jeden Gerichts. Der selbsternannte „König unter
den Käsesorten“ gilt heute mehr denn je als das eigentliche Gold
Norditaliens. Und genau an dieser Stelle schließt sich der Kreis. Und
die Frage, ob Geld stinkt oder nicht, mutiert zur bedeutungslosen
Petitesse. •
Ein
Mann
ohne
Frau
ist
wie
Pasta
ohne
Parmesan
Parmesan
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
... r e g g i a n o
... P a r m i g i a n o
C a s a n o v a
Parmesan
Es gibt Produkte mit ewigem Leben. Wie z. B. echter italienischer Parmesan.
Seit über 1000 Jahren wird er nach fast unveränderter Rezeptur hergestellt.
Und trotzdem – auch für einen solchen „Methusalem der Lebensmittel“ gibt
es noch kreatives Potenzial, wie der Frankfurter Sternekoch Carmelo Greco
für OYySTER unter Beweis stellte.
30
3 13 1
Parmesan
Royale con
espresso
Royale mit Espresso-Orangen-Reduktion
Carmelo
Greco
K ö n ig
d es
k ä ses
Carmelo Greco aus Frankfurt ist als Küchenchef hoch dekoriert: Seit über 22 Jahren ist er
Sternekoch, seit 1996 ununterbrochen Träger eines Sterns; bewertet wurde er mit 17 von
20 Gault-Millau-Punkten; ausgezeichnet als eines der besten italienischen Restaurants
Deutschlands. Was will man als Gast eigentlich mehr? Dort essen!
34
35
HEAVY
P f a n n e n – v o n Al e s s i b i s Z w i ll i n g
Me
tal
PfanneN – von Alessi bis Zwilling
Es gibt kein wichtigeres Utensil in der Küche: die Pfanne. Immer neue Erfindungen
stellen den ambitionierten Koch auf die Probe. Eisen, Kupfer, Titan und Edelstahl
machen gemeinsame Sache mit Teflon und Keramik. Jeder Schichtwechsel hat eine
andere Funktion und – angeblich – unschlagbare Vorteile. Gerald Sin schek
lichtet den Pfannendschungel.
62
63
P f a n n e n – v o n Al e s s i b i s z w i ll i n g
64
Multiplybrocken ist markant. Ob die Pfanne
obendrein über einen Schüttrand verfügen
muss? „Den brauche ich nicht. Aus der
Pfanne gieße ich nichts heraus“, sagt
Sternekoch Thomas Martin dazu.
Unbestreitbar praktisch und für
manche Speisen vielleicht sogar unerlässlich ist die Ausstattung mit einer
Antihaftbeschichtung, die es für fast jeden
Pfannentyp gibt. Die vielen verschiedenen
Bezeichnungen der Hersteller sind verwirrend. Im Prinzip handelt es sich immer
um Keramik- bzw. keramikartige und
Teflon- bzw. teflonartige Beschichtungen,
die auf verschiedenste Art, mit oder
ohne Hartgrund, aufgebracht werden.
Dabei sind die Antihafteigenschaften der
Teflon- und teflonartigen Beschichtungen
heutzutage meistens noch langlebiger, was
selbst Unternehmen bestätigen, die beide
Varianten im Sortiment führen.
Obwohl viele Hersteller auf die
Oberflächenhärte und die besonders hohe
Temperaturbeständigkeit („bis zu 400 °C
möglich!“) ihrer Produkte verweisen, sollten beide Beschichtungsarten durch Hitze
oder manuelle Beanspruchung nicht überstrapaziert werden. Sie halten dann einfach
länger. Schließlich muss man sich die Frage
stellen, welches Öl nicht schon längst bei
400 °C abgeraucht ist und welches Gargut
solche Temperaturen wirklich braucht?
Welche Pfanne verwenden Sie wofür?
Die beschichteten Pfannen kommen
ausschließlich für Eierspeisen zum
Einsatz. Für Gerichte, bei denen nichts
kleben darf. In den schmiedeeisernen
Pfannen machen wir Bratkartoffeln,
Steaks und Fleisch allgemein, Gerichte
bei denen es auf viele Röststoffe ankommt. Die Edelstahlpfannen nutzen
wir für alles andere und insbesondere
zum Fischbraten. Leicht mehliert gibt
das gute Röstnoten.
Welche Lebensdauer haben Pfannen
in der Profiküche?
Beschichtete Pfannen nutzen wir
nicht im Hauptbetrieb, da wäre die
Antihaftschicht innerhalb von einer
Woche durch. Geschmiedete Pfannen
oder welche aus Edelstahl halten im
Prinzip sehr lang. Die Griffe brechen
manchmal nach vier oder fünf Jahren
ab.
Mit welcher Pfanne arbeiten Sie am
liebsten?
Mit Edelstahlpfannen, die bringen die
besten Bratergebnisse. Obwohl ich
mal mit einer Keramikpfanne gute
Erfahrungen gemacht habe. Die nutze
ich aber nicht in dieser Küche.
2-Sterne-Koch
und Küchenchef
Thomas Martin
Restaurant Louis C. Jacob/
Hamburg:
Welche Pfannenarten nutzen Sie in
Ihrer Küche?
Edelstahlpfannen verschiedener
Hersteller, schmiedeeiserne Pfannen
mit angeschweißtem Stiel und antihaftbeschichtete Pfannen unterschiedlicher Art.
65
Foto Louis C. Jacob/malzkornfoto
Fissler, Edelstahl Sandwich/
Crispy Steelux Premium, 28 cm,
109 Euro, www.fissler.de
Woll, Aluguss/Titan Plus mit
Hochrand und abnehmbarem
Griff, 28 cm, 80 Euro, www.woll.de
Kupfermanufaktur Weyersberg,
Classic Stielpfanne, 26 cm, 255 Euro,
www.kupfermanufaktur.com
Rösle, Eisenbratpfanne
mit Gussgriff, 32 cm, 45 Euro,
www.roesle.de
All Clad, Multiply/Copper Core,
30,5 cm, 330 Euro, www.all-clad.de
Alessi, Aluguss beschichtet/
Dressed, 28 cm, 100 Euro,
www.alessi.com
D
ie Bratpfanne ist das
Kochwerkzeug am Herd
schlechthin. Ohne sie geht
in der Küche kaum etwas.
Ob in der Ausführung
Brat-, Schmor- oder Grillpfanne – jeder
Typ hat seine spezifischen Stärken und
Einsatzbereiche. Das verwendete Material
ist dabei so unterschiedlich wie die
Vorlieben der Köche und die Gerichte
selbst. Von der Edelstahlpfanne bis zum
kalt oder heiß geformten Eisen- und
Gusseisenmodell über den Klassiker aus
Kupfer bis zur gepressten oder gegossenen
Alupfanne – für jeden Zweck gibt es das
gewünschte Werkzeug. Und das in nahezu
allen erdenklichen Materialkombinationen
mit bis zu sieben verwalzten und verpressten Schichten in den sogenannten
Multiply-Pfannen. Jedes Grundmaterial
und jede Kombination bietet dabei ganz eigene Vorteile, die perfekt auf die verschiedenen Einsatzzwecke am Herd abgestimmt
sind. Manche Pfannen haben eine besonders hohe Wärmeleitfähigkeit und sind
sofort „da“, wenn der Temperaturregler
aufgedreht wird, andere benötigen eine
gewisse Zeit, bis sie durch und durch
erhitzt sind. Manche Pfannenmaterialien
speichern viel Hitze und halten diese über
lange Zeit, andere kühlen schnell ab, sobald
man die Wärmezufuhr herunter regelt.
Bei anderen Pfannentypen wiederum wird
versucht, durch Materialkombinationenund stärke den Mittelweg zwischen beiden
Extremen zu finden.
Je nach Ausführung und Material
unterscheiden sich die Pfannen nicht nur in
ihren Brateigenschaften, sondern auch im
Handling und Design. Neben einer gewissen Robustheit muss die Pfanne handlich
sein und möglichst für alles funktionieren:
Der Rand darf nicht zu hoch, der Griff eher
ohne Ecken und Kanten, Ofentauglichkeit
für das schnelle Gratinieren sollte gegeben sein und auch das Gewicht spielt
im täglichen Gebrauch eine Rolle. Der
Unterschied zwischen einer federleichten
und beschichteten Alupfanne und einem
im Durchmesser vergleichbaren Guss- oder
Bordeaux im Ausverkauf
Der
Drache
trinkt
we
in
Immer mehr Chinesen dürstet es nach französischen Weinen. Längst hat das Reich der
Mitte England und Deutschland als Hauptimporteur abgelöst. Der Flascheninhalt jedoch
reicht dem Drachen allein nicht mehr. Und so mutiert das chinesische Wirtschaftswunder
auf vielen Châteaux zur Kulturrevolution. Rund um Bordeaux kaufen chinesische Investoren
reihenweise Weingüter auf. Über 100 sind es seit 2008. Und es sollen noch viel mehr werden.
Von Rainer Schillings
82
83
Bordeaux im Ausverkauf
vor allem bei lieblichen Weinen durchaus ein großes Potenzial
auch für den asiatischen Markt – sondern vielmehr der Mangel an
historischer Bausubstanz. Wer also Interesse an dem lukrativen
Geschäft hat, sollte sich beizeiten eine Burg bauen oder zulegen. Mit
Weinberg, versteht sich.
Tatsache ist – in den klassischen Weinbaugebieten Europas
beginnt man die Entwicklung in China sehr ernst zu nehmen.
Noch spielen Weine aus China keine wirtschaftliche Rolle. Aber
Chinas Investoren haben einen sehr langen Atem. Erst kommt
der Genuss, dann der Erwerb der Weingüter und am Ende der
Wertschöpfungskette der Knowhow-Transfer. Riesige Weingüter
wie Changyu in der Provinz Shandong haben die Zeichen der Zeit
erkannt und setzen auf Qualität. Eine eigene Tradition haben sie
ohnehin schon, denn seit 1892 wird hier Wein produziert. Fast
40.000 Hektar umfasst das Anbaugebiet – das ist fast ein Drittel des
Bordeaux. Und wenn jetzt auch dank des europäischen Einflusses
die Qualität der Weine auf internationales Niveau gebracht werden
kann, steht dem ökonomischen Erfolg nichts mehr im Wege. Davor
jedoch steht önologische Fleißarbeit. In der Nachbarprovinz Ningxia
zum Beispiel haben sich viele junge Winzer auf Qualitätsweine
spezialisiert. Einer davon heißt „Silver Heights“ und gilt längst
in Chinas Fachkreisen zu den absoluten Senkrechtstartern, die
deutlich mehr verkaufen könnten als sie produzieren. Und so ist es
auch nicht verwunderlich, dass die aktuell pro Jahr produzierten
rund 55.000 Flaschen ausschließlich in der Spitzengastronomie von
Peking, Shanghai und Hongkong landen.
Weinanbau hat daher auch aus wirtschaftlichen Gründen in
China längst einen staatlich verordneten Freibrief. So ist der Anbau
von Weinreben deutlich lukrativer als der von Reis. Dies führt
sogar dazu, dass etliche Reisanbaugebiete mit hohem technischen
Aufwand zu Weinbergen umgewidmet werden. Motto: Reis kann
man billig dazukaufen, Wein hingegen ist teuer. Auch aus medizinischer Sicht wünscht die chinesische Staatsführung ein Umdenken.
Man hat festgestellt, dass die Herzinfarktquote mit dem regelmäßigen Konsum eines Glases Wein deutlich gesenkt wurde. Mit der
Folge, dass man der Bevölkerung lieber Wein als Medikamente
verordnet. Allerdings dürften hier die Qualitätsansprüche nicht auf
Bordeaux-Niveau liegen.
Was für das einfache Volk recht ist, kann auch dem gutsituierten Chinesen nur billig sein: Im Jahr 2013 wurden über
540.000 Hektoliter Wein aus Europa im Wert von 600 Millionen
Euro importiert, das meiste davon aus dem Bordeaux. China war
damit im vergangenen Jahr fünftgrößter Weinkonsument der
Welt. Für die Jahre 2015/2016 rechnet man mit einem Verbrauch
von 2,7 Milliarden Flaschen europäischer Provenienz, was einer
Steigerung von 39 Prozent gegenüber 2011 entspricht. Als Produzent
liegt das Reich der Mitte heute weltweit an Platz 8 und wahrscheinlich schon in einem Jahr auf Platz 6.
Der Durst des Drachen ist längst nicht gelöscht. So schätzen
Fachleute, dass 50 Prozent der Weingüter, die in den kommenden
Jahren den Besitzer wechseln, künftig in chinesischer Hand sein
werden. Der Preis spielt dabei nicht wirklich eine Rolle. So wurden schon Verkäufe dokumentiert, bei denen der Kaufpreis über
50 Prozent über dem Schätzwert lagen. Dies betrifft inzwischen
selbst Weingüter im Burgund, in denen die historische Substanz
deutlich einfacher ist als im Bordeaux oder an der Loire. So wurde
das Château de Gevrey-Chambertin im Bourgogne von einem
gewissen Louis Ng Chi Sing für acht Millionen Euro erworben,
nachdem die einheimischen Winzer vergeblich vier Millionen für
die zwei Hektar Anbaugebiet geboten hatten. Ihr Versuch, das französische Kulturgut vor dem chinesischen Investor zu schützen, war
kläglich gescheitert.
Doch nicht immer steht der Kauf unter einem guten Stern.
Nachdem im Jahr 2013 der Weingutbesitzer James Grégoire sein
Château de la Rivière in Fronsac für 30 Millionen Euro an den
chinesischen Tee-Magnaten Lam Kok verkauft hatte, wurde dies
mit einer großen Zeremonie gefeiert. Kurz nach der offiziellen
Schlüsselübergabe wollte der alte Besitzer seinem Nachfolger mit
einem Helikopterflug den Besitz aus der Luft zeigen. Minuten nach
dem Start stürzte der Helikopter in die Dordogne. James Grégoire,
Lam Kok und sein Sohn Shun Yu Kok kamen ums Leben. Heute
führt die Witwe, die sich kurzfristig gegen das Mitfliegen entschieden hatte, das Weingut. Zuvor wurden jedoch 30 Schamanen engagiert, die die bösen Geister vertreiben sollten. •
Schamanen
gegen böse
geister.
86
87
-
Die Dietrich, Einstein, Gorbatschow oder
Chaplin, alle gaben sich schon in Deutschlands
inoffiziellem Gästehaus die Klinke in die Hand.
guteN
Morgen
B e r l i n
Frühstückskultur als Klassiker, so wie
ihn die Berliner lieben – im schönsten
Wohnzimmer der Hauptstadt.
Im „Quarré“ des Hotels Adlon.
Die Berliner lieben „ihr Tor“. Dafür kommen
sie auch zum Frühstück ins ehrwürdige Adlon,
um den Anblick zu genießen. Betreut werden
sie dort vom „Frühstücks-Direktor“ Volker
Bruns. Der ist dafür bekannt, schnell die
Eigenheiten seiner Dauergäste zu kennen.
Foto Kempinski
88
89
Guten Morgen, Berlin
A
ugustine Caroline Otéro
Iglesias, genannt la Bella
Otéro, stellte bei ihrer
pompösen Ankunft – Anno
1914 – das ganze Hotel
auf den Kopf. Zu ihrer Entourage gehörten ein Papagei, ein Perlhuhn, eine
siamesische Tempelkatze, achtunddreißig
Koffer und eine Kammerzofe, so die
peniblen Aufzeichnungen der damaligen
Hausherrin Hedda Adlon. Exaltierte
Auftritte waren die Spezialität der
Tänzerin und Mätresse unzähliger gekrönter Häupter. Heute – 100 Jahre später
– ist das Haus mit der Anschrift „Unter
den Linden“ immer noch – oder wieder –
Berlins Kultadresse Nummer 1. Wer sich
hineinwagt, betritt zweifelsohne eine
andere Welt. Doch im Unterschied zu
jenen Zeiten, als sich die Carusos und
Chaplins, die Einsteins und Manns, die
Dietrich und der Wallace die Klinke in die
Hand gaben – sind es heute neben all den
mehr oder weniger prominenten Gästen
auch „ganz normale“ Berliner, die dem
Grandhotel ganz ohne Schwellenangst
ihren Besuch abstatten. Und sei es
nur zum Frühstück oder zum üppigen
Sonntagsbrunch. Berlin frühstückt hier,
man genießt den gediegenen Luxus und
– vor allem – man hat den exklusivsten
Blick auf „sein Tor“. Diese Freiheit, sie
war allzu lang vermisst, als dass man sie
jetzt nicht entsprechend huldigen möchte.
Auch im Jahr 25 der Wiedervereinigung.
Volker Bruns weiß, wovon er spricht,
denn seit nunmehr 15 Jahren ist er der
Zeremonienmeister des Frühstücksbuffets.
Er kennt sie alle – die großen und die
kleinen Stars. Ihre Marotten, ihre Vorlieben,
Aus der Zeit gefallen und doch im neuen
Jahrtausend angekommen. Das Adlon
hat nichts von seinem Flair verloren, auch
wenn es im Foyer des Hauses deutlich
entspannter zugeht als noch zur
Zeit seiner ersten Eröffnung im Jahr 1907.
Sie gehörte zu den ganz großen
Paradiesvögeln unter den Gästen in den
Jahren um 1914: Die Tänzerin Augustine
Caroline Otéro. Zu ihrer Entourage
gehörte auch so manches Federvieh.
90
91
ihre Lieblingstische. Den Genscher, den
Lindenberg, aber auch Oma und Opa aus
Wuppertal, die im „Adlon“ immer ihren
Hochzeitstag feiern. Seine Kunst besteht darin, den Gästen jeden Wunsch von den Augen
abzulesen und dafür zu sorgen, dass sie sich
fühlen wie Zuhause. Wahre Tischkultur. Die
Zeitung, die Erdbeeren – alles liegt an der
richtigen Stelle. Gereifter Morbier mit Asche,
das selbst gemachte Bircher Müsli und die
Brandenburger Landeier, die sekundengenau
in Berliner Kalkwasser gebadet werden,
ehe sie mit weißem Papierhütchen auf dem
Tisch ihr Versprechen am angebrochenen
Morgen abgeben: „Heute wird ein schöner
Tag!“ Adlon sei Dank. Amerikanische
Frühstückskompositionen aus pochierten
Eiern und Muffins stoßen hier ebensowenig
auf Missfallen wie Forellenkaviar mit frischen
Brombeeren oder asiatische Hühnerspieße
LUST
aus
dem
MEER
Wer dem Luxus der einfachen Küche in Reinkultur huldigen will, muss nicht einmal
kochen können. Auf der französischen Insel Ré an der Atlantikküste gibt es dafür ein
natürliches Grundnahrungsmittel – die Auster. Sie muss für alles herhalten: Als Aperitif,
als Vorspeise, als Hauptgericht. Eine Liebeserklärung an die Einfachheit des Seins.
106
107
Idee
spirits
spirits
Sp
i r
Whisky ist nicht gleich Whiskey – das hat sich inzwischen herumgesprochen. Kenner wissen, dass Amis, Schotten und Iren eine jahrhundertealte Tradition pflegen. Selbst Japan ist
längst in die Riege der Top-Hersteller aufgerückt. Seit 2007 hat die Destillerie „SLYRS“ am
Schliersee in den bayrischen Alpen die altbekannten Koordinaten der Whisky-Szene nach
Deutschland verschoben. Mit einigem Erfolg: In der Szene ist „SLYRS“ angekommen.
Herstellung
Slyrs Bavarian Single Malt Whisky wird im Pot-Still-Verfahren zweifach in Kupferkesseln
mit je 1.500 Liter Inhalt destilliert und in Barrique-Fässern aus amerikanischer Weißeiche
mit 225 Litern Volumen gelagert. Als Rohstoff dient Gerstenmalz, das zum Teil mit Buchenholz geräuchert wird. Die Maischen werden geschrotet, gemaischt, geläutert, verzuckert
und mit Hefe vergoren. Seit 2015 gibt es 3-jährigen und 12-jährigen Whisky.
Lifestyle-Faktor
Hoher Lifestyle-Faktor. Das liegt schon daran, dass pro Jahr nur rund 100.000 Flaschen in
den Verkauf kommen. Wegen der geringen Menge ist der Verkauf je Person eingeschränkt.
„SLYRS“ gibt‘s vor Ort im Rahmen von Besichtigungen und im Fachhandel.
Name
Foto Hersteller
Der Name „SLYRS“ ist eine pseudo-gälische Verbrämung des Wortes „Schlürs“, wie der Ort
Schliersee in Oberbayern von den Einheimischen genannt wird. Dort gründeten im Jahr
779 Mönche ein Kloster mit ähnlich lautendem Namen. „Schlürs“ beschreibt einen
grünlich-gelben Schimmer, der typisch ist für die Gegend. Die Stilisierung ist ferner ein
augenzwinkernder sprachlicher Hinweis auf die schottische Whisky-Tradition.
Konzept und Preis
Sechs verschiedene Whisky-Sorten werden in unterschiedlichen Abfüllungen angeboten.
Die Preise liegen zwischen € 6,90 für Miniflaschen mit 5 cl und € 89,90 für 700 ml. Der neue
12-jährige Whisky ist wegen der geringen Menge nur auf Anfrage erhältlich.
117
Oy y s t e r B a r i n t e r n a t i o n a l
est.
Boston
illustration: ingeborg schindler
Z
imperlich wird im Union Oyster House mit den
Gästen nicht gerade umgegangen. Wer seine Austern
nicht selbst öffnen kann – oder will – dem werden
sie wohl oder übel geöffnet serviert. Gegen Aufpreis
natürlich, begleitet von reichlich Stirnrunzeln.
Trotzdem ist das Union die Anlaufadresse
Nummer 1, wenn es um Austern in Boston und vielleicht sogar in
Neu-England geht. Das seit 1826 bestehende Restaurant – übrigens
ist laut Aushang der Zutritt für Frauen und Männer gleichermaßen
gestattet – ist das älteste Restaurant Nordamerikas. Täglich gehen
hier rund 5.000 Austern über die aus Speckstein gemeißelte Theke,
an der man versuchen sollte, ein Plätzchen zu ergattern. Am
Frischegrad der Cherrystone- oder Littleneck-Austern sollte man
daher nicht zweifeln. Die Preise fallen mit 13 Dollar für das halbe
Dutzend eher moderat aus. Derart auf Meer eingestimmt kann man
dann in die durchaus abwechslungsreiche Seafoodkarte einsteigen.
Oyster-Soup oder Lobster-Roll – Brötchen mit Hummerfleisch und
Mayonnaise – gehören zu den Spezialitäten des Hauses. Besonderen
Luxus sollte man indes nicht erwarten, alles hat einen sehr rustikalen Charme. Bänke wie in alten Eisenbahnabteilen und Stühle wie
aus dem Wilden Westen. Ein Haus mit Charakter. OYySTER-Tipp:
Lohnt sogar einen größeren Umweg! •
41 Union Street, Boston, Massachussetts, Tel. 001-617-227 2750,
www.unionoysterhouse.com
119